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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 03.05.2004
Aktenzeichen: 11 TG 3448/03
Rechtsgebiete: AO, BGB, BeitragszahlungsVO, HeilbG


Vorschriften:

AO § 225 Abs. 1
AO § 225 Abs. 3
BGB § 367 Abs. 1
BGB § 367 Abs. 2
BeitragszahlungsVO § 4 S. 1
HeilbG § 12 Abs. 1 S. 2
HeilbG § 5 Abs. 2
Dem Mitglied der Versorgungseinrichtung der Landeszahnärztekammer Hessen steht hinsichtlich der Tilgung von fälligen Beiträgen und anderen Forderungen der Versorgungseinrichtung (Säumniszuschläge, Mahnkosten u.s.w.) ein Leistungsbestimmungsrecht zu.
Hessischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss

11 TG 3448/03

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Rechts der freien Berufe

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 11. Senat - durch

Präsidenten des Hess. VGH Reimers, Richter am Hess. VGH Schröder, Richter am Hess. VGH Igstadt

am 3. Mai 2004 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 24. November 2003 (Az.: 7 G 1826/03 [V]) abgeändert. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 21. August 2003 gegen das Rückstandsverzeichnis der Antragsgegnerin vom 24. März 2003 wird angeordnet.

Die Kosten des gesamten Verfahrens hat die Antragsgegnerin zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird unter Abänderung der Streitwertentscheidung erster Instanz für beide Rechtszüge auf je 1.554,52 € festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den im Tenor der vorliegenden Entscheidung näher bezeichneten erstinstanzlichen Beschluss ist zulässig, insbesondere ist das Rechtsmittel innerhalb der gesetzlichen Fristen gemäß §§ 147 Abs. 1 Satz 1, 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO eingelegt und begründet worden.

Die Beschwerde ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht hätte dem Antrag des Antragstellers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen das mit Schreiben der Antragsgegnerin vom 24. März 2003 übersandte Rückstandsverzeichnis gleichen Datums entsprechen müssen.

Der Rechtsschutzantrag des Antragstellers ist, wie das Verwaltungsgericht zutreffend angenommen hat, als Aussetzungsantrag nach § 80 Abs. 5 VwGO statthaft. Durch die von den Kammern nach dem Heilberufsgesetz erstellten Rückstandsverzeichnisse werden offene Beiträge der Mitglieder sowie von diesen geschuldete Beiträge, Gebühren, Ordnungsgelder, Mahn- und Vollstreckungskosten vollstreckbar festgestellt (§ 12 Abs. 1 Satz 2 HeilbG). Der vorläufige Rechtsschutz gegen die Vollziehung des Rückstandsverzeichnisses richtet sich folglich nach § 80 Abs. 5 VwGO, wobei der Antrag wegen des Ausschlusstatbestandes nach § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gerichtet ist. Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere konnte der Antragsteller gegen das nicht mit Rechtsbehelfsbelehrung versehene Rückstandsverzeichnis vom 24. März 2003 noch mit Schriftsatz vom 21. August 2003 rechtzeitig Widerspruch einlegen. Das dem Antragsteller mit Schreiben der Antragsgegnerin vom 24. März 2003 übermittelte Rückstandsverzeichnis ist nicht etwa deshalb in Bestandskraft erwachsen, weil die Antragsgegnerin ihre Forderung mit nachfolgendem, nunmehr mit Rechtsbehelfsbelehrung zur Einlegung des Widerspruchs versehenen Schreiben an den Antragsteller vom 28. August 2003 bekräftigte. Ob es sich bei diesem Schreiben tatsächlich, wie die Vorinstanz angenommen hat, um einen mit fehlerhafter Rechtsbehelfsbelehrung versehenen Widerspruchsbescheid handelt (der gemäß § 58 Abs. 2 VwGO noch innerhalb eines Jahres angefochten werden könnte), oder aber um einen die vorangegangene Entscheidung vom 24. März 2003 bestätigenden Zweitbescheid, ist unerheblich. Auch in letzterem Fall wäre - wegen der unterbliebenen Einlegung eines gegen den Bescheid vom 28. August 2003 gerichteten gesonderten Widerspruchs - keine Bestandskraft des Rückstandsverzeichnisses eingetreten. Wenn - wie im vorliegenden Fall geschehen - ein mit Widerspruch angefochtener Verwaltungsakt nachträglich durch einen weiteren Verwaltungsakt wiederholt und bestätigt wird, ist die erneute Einlegung eines Widerspruchs gegen den nachfolgenden Bescheid entbehrlich (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl., Rdnr. 23 zu § 68 VwGO, mit weiteren Nachweisen).

Der Eilantrag ist auch begründet. Der angefochtene Verwaltungsakt vom 24. März 2003 - und damit auch der nachfolgende Bescheid vom 28. August 2003 - erweisen sich schon bei überschlägiger Überprüfung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes als offensichtlich rechtswidrig. Dem Interesse des Antragstellers, von einer Vollstreckung aus dem Rückstandsverzeichnis vorerst verschont zu bleiben, hat deshalb Vorrang vor dem Interesse der Antragsgegnerin an einer umgehenden Beitreibung der festgesetzten Rückstände.

Bedenken gegen die Rechtswidrigkeit der hier in Frage stehenden Bescheide der Antragsgegnerin vom 24. März und 28. August 2003 ergeben sich entgegen der Annahmen des Verwaltungsgerichts nicht bereits daraus, dass der in beiden Bescheiden identischen Briefkopf die Hessische Zahnärzte-Versorgung als Absender ausweist. Die durch die Antragsgegnerin auf der Grundlage von § 5 Abs. 2 HeilbG als Versorgungswerk eingerichtete Hessische Zahnärzte-Versorgung ist eine Einrichtung der Antragsgegnerin ohne eigenständige Rechtspersönlichkeit. Die von dem Antragsteller angegriffenen Bescheide wurden folglich von der Antragsgegnerin selbst als gemäß § 12 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 1 HeilbG sachlich zuständiger Behörde erlassen. Die von der Vorinstanz aufgeworfene Frage, ob die Bescheide von dem Hauptgeschäftsführer der Versorgungseinrichtung oder nicht stattdessen von dem Präsidenten der Antragsgegnerin hätten unterzeichnet werden müssen, betrifft behördeninterne Vertretungsregelungen, die für die Rechtmäßigkeit des Bescheides bedeutungslos sind.

Das Rückstandsverzeichnis vom 24. März 2003 stellt sich indessen als sachlich fehlerhaft und rechtswidrig dar.

Zu Recht beanstandet der Antragsteller, dass in der ihm mit Bescheid vom 24. März 2003 übersandten Aufstellung von ihm ausdrücklich als Beitragszahlungen bestimmte Leistungen mit zuvor u.a. aus Säumniszuschlägen und Mahngebühren entstandenen Rückständen verrechnet wurden. Durch diese von der früheren Handhabung (vgl. Rückstandsverzeichnis vom 12. Februar 2002) abweichende Berechnungsweise, auf die der Antragsteller durch die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 1. Oktober 2002 hingewiesen wurde, wurden u.a. die Beiträge für die Monate Juni bis September 2002 als offen ausgewiesen und mit Rücksicht auf diese als unbeglichen deklarierten Leistungen (weitere) Säumniszuschläge und Mahngebühren in Rechnung gestellt. Bei richtiger Behandlung hätten die Beiträge für den oben genannten Zeitraum nicht als unbeglichen deklariert werden dürfen. Wie sich aus der von dem Antragsteller vorgelegten Aufstellung des Zahnarztes H. vom 7. Mai 2003 ergibt, der für den einkommenslosen Antragsteller als Gegenleistung für die Übernahme von Notdiensten Versorgungsbeiträge an die Antragsgegnerin überweist, sind für die Monate Juni bis September 2002 Beiträge in Höhe des festgesetzten Mindestbeitrags in Höhe von jeweils 430 € geleistet worden. Mit der Überweisung dieser Beträge waren die Beitragsforderungen der Antragsgegnerin für den vorgenannten Zeitraum beglichen. Eine Verrechnung mit bis dahin aufgelaufenen Rückständen des Antragstellers u.a. aus Säumniszuschlägen und Mahnkosten war nicht zulässig, denn der Antragsteller hatte gegenüber der Antragsgegnerin ausdrücklich erklärt, dass Abbuchungen ausschließlich auf die jeweils fälligen Monatsbeiträge erfolgen sollen. Diese Erklärung hätte die Antragsgegnerin bei der Aufstellung des Rückstandsverzeichnisses nicht unberücksichtigt lassen dürfen, denn dem Antragsteller steht hinsichtlich der Anrechnung der geleisteten Zahlungen ein Leistungsbestimmungsrecht zu.

Der Ansicht der Antragsgegnerin, sie könne mangels Normierung eines Leistungsbestimmungsrechts des beitragsverpflichteten Mitglieds im Heilberufsgesetz und in dem Statut der Versorgungseinrichtung die Reihenfolge der Tilgung von offenen Beiträgen, Säumniszuschlägen und Mahnkosten selbst bestimmen und könne deshalb auch eingehende Beitragszahlungen ohne weiteres mit allen Arten von Rückständen verrechnen, vermag der Senat nicht zu folgen. Vielmehr liegt bezüglich der Bestimmung der Tilgungsreihenfolge eine Regelungslücke vor, die durch Heranziehung von Vorschriften vergleichbarer Rechtsbereiche wie dem Steuerrecht oder dem Sozialversicherungsrecht zu schließen ist.

Geht man, wie die Vorinstanz, von den Bestimmungen der Abgabenordnung aus, kommt eine entsprechende Anwendung von § 225 Abs. 1 AO in Betracht. Danach wird, wenn ein Steuerpflichtiger mehrere Beträge (zu denen nach § 225 Abs. 2 AO neben den Steuern auch Säumniszuschläge und andere Forderungen gehören) schuldet und bei freiwilliger Zahlung der gezahlte Betrag nicht zur Tilgung sämtlicher Schulden ausreicht, die Schuld getilgt, die der Steuerpflichtige bei der Zahlung bestimmt. Bei entsprechender Anwendung von § 225 Abs. 1 AO wäre dem Antragsteller das Recht zuzubilligen, die Anrechnung der regelmäßigen Überweisungen in Höhe des Monatsbeitrags auf den jeweils fälligen Beitrag zu bestimmen. Zum gleichen Ergebnis führt eine analoge Anwendung von § 4 Satz 1 der Beitragszahlungsverordnung in der Fassung vom 28. Juli 1997 (BGBl. I S. 1927), zuletzt geändert durch das Dritte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2003 (BGBl. I S. 2848, 2915), wonach der Arbeitgeber oder ein sonstiger Zahlungspflichtiger, der der Einzugsstelle Gesamtsozialversicherungsbeiträge, Säumniszuschläge und andere Leistungen schuldet, bei der Zahlung bestimmen kann, welche Schuld getilgt werden soll. Durch die vorgenannten Regelungen wird dem Zahlungspflichtigen - abweichend vom bürgerlichen Recht nach § 367 BGB - ein vorrangiges Bestimmungsrecht hinsichtlich der Reihenfolge der Tilgung von Haupt- und Nebenforderungen zugebilligt. Er hat hierdurch insbesondere die Möglichkeit, durch Tilgung der aktuell fälligen Beiträge ein ständiges Anwachsen der Nebenforderungen (im vorliegenden Fall insbesondere der Säumniszuschläge in Höhe von 1% der jeweils offenen Monatsbeiträge nach § 21 Abs. 3 Buchst. a des Statuts der Antragsgegnerin) zu vermeiden.

Aber auch bei entsprechender Anwendung von § 367 BGB würde sich die von der Antragsgegnerin vorgenommene Verrechnung als fehlerhaft darstellen. Zwar wird nach § 367 Abs. 1 BGB eine für eine Gesamttilgung nicht ausreichende Zahlung des Schuldners, der dem Gläubiger außer der Hauptleistung Zinsen und Kosten zu entrichten hat, zunächst auf die Kosten, dann auf die Zinsen und erst zuletzt auf die Hauptleistung angerechnet. Der Schuldner kann indessen eine andere Anrechnung bestimmen, bei der der Gläubiger allerdings zur Ablehnung der Leistung berechtigt ist (§ 367 Abs. 2 BGB). Da die Antragsgegnerin die Beitragszahlungen für den Antragsteller angenommen hat, hätte sie damit auch bei entsprechender Anwendung der Regelungen des bürgerlichen Rechts seine Erklärung zur Verwendung der Beitragszahlungen nicht unbeachtet lassen dürfen.

Eine Befugnis der Antragsgegnerin, eine von der Bestimmung des Antragstellers abweichende Tilgungsreihenfolge festzulegen und zur Begleichung der jeweils fälligen Beiträge bestimmte Zahlungen auf Rückstände vorzunehmen, lässt sich entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts nicht aus einer entsprechenden Anwendung von § 225 Abs. 3 AO entnehmen. Danach bestimmt die Finanzbehörde die Reihenfolge der Tilgung, wenn die Zahlung im Verwaltungswege erzwungen wird und der verfügbare Betrag nicht zur Tilgung aller Schulden ausreicht. Diese Voraussetzungen sind auf den vorliegenden Fall schon deshalb nicht übertragbar, weil hier die Verrechnung freiwillig entrichteter, also nicht im Verwaltungswege erzwungener Beiträge in Frage steht. Der Antragsteller greift nicht Fehler des von der Antragsgegnerin eingeleiteten Verwaltungszwangsverfahrens an, sondern stellt die Rechtmäßigkeit des Rückstandsverzeichnisses als zu vollstreckendem Verwaltungsakt in Frage. Eine entsprechende Anwendung von § 225 Abs. 3 AO scheidet im Hinblick hierauf aus.

Die Antragsgegnerin hat als unterliegender Teil die Kosten des gesamten Verfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 2 VwGO).

Der Streitwert ist unter Abänderung der Streitwertfestsetzung erster Instanz für beide Rechtszüge auf je 1.554,52 € festzusetzen (§ 25 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit §§ 14 Abs. 1, 13 Abs. 1 GKG). Für die Höhe des Streitgegenstandswertes maßgeblich ist der von der Antragsgegnerin in dem in Streit stehenden Rückstandsverzeichnis vom 24. März 2003 als zur Zahlung fällig ausgewiesene Betrag, nicht die in dem früheren Schreiben der Antragsgegnerin vom 24. September 2002 angegebene niedrigere Rückstandssumme.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).

Ende der Entscheidung

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