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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 07.02.2005
Aktenzeichen: 11 TG 3519/04
Rechtsgebiete: HundeVO


Vorschriften:

HundeVO § 9 Abs. 3
Die Ermächtigung nach § 9 Abs. 3 HundeVO begrenzt die Anordnung zum Tragen eines Maulkorbs, anders als § 9 Abs. 1 HundeVO für den Leinenzwang, nicht auf die Wohnung oder das befriedete Besitztum der Halterin oder des Halters. Der Verordnungsgeber überlässt es vielmehr der zuständigen Behörde, im Rahmen des ihr durch § 9 Abs. 3 HundeVO eingeräumten Ermessens unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes darüber zu befinden, ob sie den Maulkorbzwang auf den in § 9 Abs. 1 HundeVO umschriebenen Bereich begrenzen oder im Interesse von Personen, die die Wohnung oder das befriedete Besitztum der Halterin oder des Halters betreten, ohne räumliche Einschränkungen erlassen möchte.
Hessischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss

11 TG 3519/04

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Polizeirechts

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 11. Senat - durch

Richter am Hess. VGH Dr. Dyckmans, Richter am Hess. VGH Schröder, Richter am Hess. VGH Igstadt

am 7. Februar 2005 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Darmstadt vom 8. November 2004 (Az.: 3 G 1593/04) wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den im Tenor der vorliegenden Entscheidung näher bezeichneten erstinstanzlichen Beschluss ist zulässig, insbesondere ist das Rechtsmittel innerhalb der gesetzlichen Fristen gemäß §§ 147 Abs. 1 Satz 1, 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO eingelegt und begründet worden. Die Beschwerde bleibt aber in der Sache ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat es zu Recht abgelehnt, der Antragstellerin gegen die Verfügung der Antragsgegnerin vom 19. Juli 2004 vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren.

Gegen die Feststellung der Vorinstanz, dass sich die vorgenannte Verfügung der Antragsgegnerin als offensichtlich rechtmäßig und ihre Vollziehung als dringlich darstellen, und dass im Hinblick hierauf das Suspensivinteresse der Antragstellerin hinter das vorrangige öffentliche Interesse an der sofortigen Durchsetzung der gegen die Antragstellerin ergangenen Anordnungen zurückzutreten hat, bestehen unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens, das der Senat allein zu prüfen hat (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) keine rechtlichen Bedenken.

Auch die Darlegungen der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren lassen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Verfügung vom 19. Juli 2004, mit der - unter Anordnung der sofortigen Vollziehung - der Hund "J." der Antragstellerin sichergestellt und mit der der Antragstellerin unter Widerruf der ihr bis zum 28. Februar 2005 erteilten Halteerlaubnis und unter Androhung der Ersatzvornahme aufgegeben wurde, den Hund am 28. Juli 2004 im Tierheim D. abzugeben, nicht aufkommen.

Offensichtlich rechtmäßig ist zunächst die in der angefochtenen Verfügung unter Nr. 1 angeordnete Sicherstellung des Hundes "J." und die unter Nr. 2 ergangene Anordnung, den Hund im Tierheim D. abzugeben. Diese Verwaltungsakte finden ihre Rechtsgrundlage in § 14 Abs. 1 HundeVO. Nach dieser Bestimmung kann die zuständige Behörde die Sicherstellung eines Hundes sowie die Verwahrung nach den §§ 40, 41 HSOG anordnen, wenn die nach der HundeVO bestehenden Verbote oder Gebote nicht eingehalten werden oder den Anordnungen oder Auflagen der zuständigen Behörde nicht nachgekommen wird.

Diese Voraussetzungen sind, wie das Verwaltungsgericht jedenfalls im Ergebnis zutreffend festgestellt hat, im vorliegenden Fall deshalb erfüllt, weil die Antragstellerin die ihr durch Auflage zur Erlaubnis vom 28. Mai 2003 bestandskräftig auferlegte Verpflichtung, dem Hund einen Maulkorb anzulegen, missachtet hat. Der Verstoß gegen diese Verpflichtung folgt daraus, dass "J." am 8. Juni 2004 vor dem Anwesen der Antragstellerin in A-Stadt eine Passantin biss und ihr eine Verletzung am rechten Oberschenkel zufügte. Zu dem Beißvorfall konnte es nur deshalb kommen, weil der Hund der Antragstellerin zu diesem Zeitpunkt entgegen der in der Erlaubnis erteilten Auflage keinen Maulkorb trug. Die Antragstellerin ist somit der Auflage, ihren Hund mit einem Maulkorb auszustatten, nicht nachgekommen.

Dass es "J." war, der die Passantin an dem besagten Tag anfiel und durch einen Biss verletzte, steht nach den vorliegenden Umständen außer Zweifel. Auch die Antragstellerin führt mit der Beschwerde keine Gesichtspunkte an, die die Annahme rechtfertigen könnten, Frau R. sei etwa durch einen anderen Hund gebissen worden.

Ungeachtet dessen stellt die Antragstellerin eine Missachtung des auferlegten Maulkorbzwangs für ihren Hund deshalb in Abrede, weil sich "J." zu der fraglichen Zeit, anders als von der Antragsgegnerin und von dem Verwaltungsgericht angenommen, nicht außerhalb des eingezäunten Grundstücks befunden habe. Damit kann ein Verstoß gegen den angeordneten Maulkorbzwang aber nicht mit Erfolg verneint werden. Die Antragstellerin setzt mit ihrer Argumentation voraus, dass sich die Auflage, dass der Hund ein das Beißen zuverlässig verhindernden Maulkorb zu tragen hat, lediglich auf den öffentlichen Bereich außerhalb der Wohnung bzw. außerhalb des befriedeten Besitztums der Antragstellerin bezieht. Mit einer solchen räumlichen Einschränkung ist die Auflage indessen nicht versehen. Die Auflage ist vielmehr ihrem Wortlaut nach ("Maulkorbzwang wird angeordnet. Der Hund hat eine Vorrichtung zu tragen, die das Beißen zuverlässig verhindert (Maulkorb)") nicht auf den Aufenthalt des Hundes außerhalb der Wohnung bzw. außerhalb des Grundstücks der Antragstellerin beschränkt. Auch die für die Auflage gegebene Begründung im Bescheid vom 28. Mai 2003 lässt nicht erkennen, dass der Maulkorb von dem Hund nur im öffentlichen Bereich getragen werden soll. Da in dieser Begründung auch auf einen weiteren Vorfall am 12. August 2001 verwiesen wird, bei dem "J." auf dem Hof des Grundstücks den Besucher einer Mieterin in die Hand gebissen hatte, ist im Gegenteil davon auszugehen, dass die Behörde den Maulkorbzwang mit Rücksicht auf etwaige Besucher des von mehreren Personen bewohnten Hauses ohne räumliche Einschränkungen erlassen wollte.

Eine Beschränkung der Anordnung zum Tragen eines Maulkorbs auf den Bereich außerhalb der Wohnung oder außerhalb des befriedeten Besitztums der Halterin oder des Halters folgt auch nicht aus der HundeVO selbst. Die in § 9 Abs. 1 HundeVO enthaltene Begrenzung auf den vorgenannten Bereich bezieht sich nur auf den Leinenzwang. Die Ermächtigung nach § 9 Abs. 3 HundeVO begrenzt dagegen die Anordnung zum Tragen eines Maulkorbs nicht auf bestimmte Örtlichkeiten (anders noch die durch Urteil des Senats vom 29. August 2001 - 11 UE 2497/00 -, ESVGH 52, 41 ff. für nichtig erklärte Bestimmung gemäß § 6 Abs. 3 Satz 1 der Gefahrenabwehrverordnung über das Halten und Führen gefährlicher Hunde vom 15. August 2000, GVBl. I S. 411: "Wer einen gefährlichen Hund nach § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, der älter als neun Monate ist, außerhalb seiner Wohnung oder seines eingefriedeten Besitztums führt, hat diesem eine Vorrichtung anzulegen, die das Beißen zuverlässig verhindert"). Der Verordnungsgeber überlässt es mithin der zuständigen Behörde, im Rahmen des ihr durch § 9 Abs. 3 HundeVO eingeräumten Ermessens unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes darüber zu befinden, ob sie den Maulkorbzwang auf den in § 9 Abs. 1 HundeVO umschriebenen Bereich begrenzen oder im Interesse von Personen, die die Wohnung oder das befriedete Besitztum der Halterin oder des Halters betreten, ohne räumliche Einschränkungen erlassen möchte.

Ob die im vorliegenden Fall erlassene Auflage den Anforderungen an eine fehlerfreie Ermessensausübung entspricht, insbesondere ob die Antragsgegnerin bei richtiger Ausübung des Ermessens das umfriedete Besitztum und/oder die Wohnung der Antragstellerin von der Anordnung des Maulkorbzwangs hätte ausnehmen müssen, ist ohne Belang. Da diese Auflage in Bestandskraft erwachsen ist, musste sie die Antragstellerin in der vorliegenden Form beachten.

Selbst wenn man aber annehmen wollte, dass der Antragstellerin durch die Auflage vom 28. Mai 2003 keine Verpflichtung auferlegt war, ihrem Hund innerhalb ihrer Wohnung und im Bereich ihres befriedeten Besitztums einen Maulkorb anzulegen, würde sich gleichwohl an der Missachtung der Auflage nichts ändern. "J." befand sich nämlich, als er der Passantin die Bissverletzungen zufügte, nicht innerhalb des umzäunten Grundstücksbereichs. Vielmehr ereignete sich der Angriff außerhalb dieses Bereiches auf dem Gehweg vor dem Grundstück der Antragstellerin, nachdem es dem Hund gelungen war, durch das offen stehende Grundstückstor zu entweichen. Die von der Antragstellerin gegebene abweichende Darstellung des Vorfalls, wonach "J." Frau R. durch die Gitterstäbe des Tores hindurch gebissen habe, nachdem diese ihn durch lautes Schlagen an die Gitterstäbe mit einem Schlüsselbund provoziert habe, ist auch unter Beachtung der im Eilverfahren gebotenen Zurückhaltung bei einer abschließenden Würdigung des Sachverhalts auszuschließen.

Es ist bereits kaum denkbar, dass der Hund in der Lage ist, durch die nach Angaben der Antragstellerin lediglich im Abstand von etwas mehr als 12 cm stehenden Gitterstäbe hindurch zu beißen. Keinesfalls hätte er aber hierbei der Passantin die bei ihr festgestellte Verletzung an der rechten Gesäßhälfte zufügen können. Dies würde, wie das Verwaltungsgericht zutreffend erwähnt hat, voraussetzen, dass sich Frau R. dem Hund mit ihrer Rückseite geradezu zugewandt hätte. Für ein solches die eigene Verletzung selbst herbeiführendes und damit nicht nachvollziehbares Verhalten der Betroffenen ergeben sich keinerlei Anhaltspunkte.

Im Hinblick auf diesen als feststehend zu betrachtenden Sachverhalt ist es entgegen der Ansicht der Antragstellerin letztlich unerheblich, an welcher Stelle und in welcher Weise sich der Vorfall am 8. Juni 2004 genau ereignet hat und wie schwerwiegend die Verletzungen der Passantin zu bewerten sind. Ebenso ist unerheblich, ob die Antragsgegnerin und das Verwaltungsgericht die vorliegenden Zeugenaussagen zu dem Geschehensablauf in jeder Hinsicht zutreffend gewürdigt haben. Schließlich ist es auch ohne entscheidungserhebliche Bedeutung, ob dem Beißvorfall tatsächlich, wie von der Antragstellerin behauptet, ein provozierendes Verhalten der Passantin vorangegangen ist. Ein solches Verhalten kann nur für die Frage maßgeblich sein, ob ein Hund einen Menschen ohne begründeten Anlass gebissen oder in Gefahr drohender Weise angesprungen hat und deshalb gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1 HundeVO als gefährlich zu betrachten ist. Für die hier in Streit stehende Anordnung der Sicherstellung des Hundes ist dagegen allein maßgeblich, ob die Antragstellerin der Auflage zur Anbringung eines Maulkorbs bei ihrem Hund nachgekommen ist. Dies ist, wie dargelegt, nicht der Fall.

Die Sicherstellung des Hundes der Antragstellerin begegnet, ebenso wie die in der angefochtenen Verfügung der Antragsgegnerin vom 19. Juli 2004 enthaltenen weiteren Anordnungen, auch im Übrigen keinen rechtlichen Bedenken. Insbesondere widersprechen diese Maßnahmen nicht dem Gebot der Verhältnismäßigkeit. Bei dem zum Erlass der Verfügung führenden Vorfall am 8. Juni 2004 handelte es sich nicht etwa, wie die Antragstellerin ins Feld führt, um ein singuläres Geschehen, das es für die Behörde erforderlich gemacht hätte, zunächst auf ein weniger einschneidendes Mittel zurückzugreifen. Die Antragsgegnerin hat vielmehr ohne Rechtsfehler geltend gemacht, dass der Hund der Antragstellerin bereits zuvor mehrfach durch übersteigerte Aggression gegenüber Menschen und anderen Hunden auffällig geworden ist, ohne dass die Antragstellerin hieraus die erforderlichen Konsequenzen zur Beseitigung dieser Gefahr gezogen hatte.

Schließlich stellt sich die Vollziehung der Verfügung auch als eilbedürftig dar. Angesichts der von dem Hund der Antragstellerin ausgehenden Gefahren für Menschen und andere Hunde ist es nicht vertretbar, die Vollziehung der Verfügung bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache hinauszuschieben. Eine andere Beurteilung ist auch nicht im Hinblick auf den von der Antragstellerin angeführten schlechten Gesundheitszustand des Hundes angezeigt. Belege für diese von der Antragstellerin nicht näher erläuterte Verschlechterung des Gesundheitszustandes sind von ihr nicht vorgelegt worden.

Da die Antragstellerin mit ihrem Rechtsmittel erfolglos bleibt, hat sie die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 2 VwGO).

Die Entscheidung über die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren folgt aus §§ 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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