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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 16.07.2007
Aktenzeichen: 11 TP 1155/07
Rechtsgebiete: AufenthG


Vorschriften:

AufenthG § 26 Abs. 3
AufenthG § 26 Abs. 4
AufenthG § 85
AufenthG § 9 Abs. 2 S. 1 Nr. 1
1. Bei der Berechnung von Zeiten des Besitzes einer Aufenthaltserlaubnis in § 26 Abs. 4 AufenthG kann § 85 AufenthG in der Weise angewendet werden, dass die Zeit der Unterbrechung nicht auf die Zeit des Besitzes angerechnet wird, vorangegangene Besitzzeiten aber berücksichtigungsfähig bleiben.

2. Im Rahmen des § 26 Abs. 3 AufenthG können Zeiten des Besitzes einer Aufenthaltsbefugnis vor dem 1. Januar 2005 nicht angerechnet werden (im Anschluss an Hess. VGH, 20.12.2006 - 9 TP 2959/06 -).


HESSISCHER VERWALTUNGSGERICHTSHOF BESCHLUSS

11 TP 1155/07

In dem Prozesskostenhilfeverfahren

wegen Ausländerrechts

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 11. Senat - durch

Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Dr. Zysk, Richter am Hess. VGH Igstadt, Richter am Hess. VGH Dr. Dieterich

am 16. Juli 2007 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Darmstadt vom 23. April 2007 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Gründe:

I.

Die Klägerin erstrebt die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis. Auf ihren Asylantrag vom 18. August 1995 hin stellte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge aufgrund rechtskräftiger Verpflichtung durch das Verwaltungsgericht mit Bescheid vom 22. Juli 2000 für die Klägerin Abschiebungshindernisse nach § 51 AuslG fest. Am 8. August 2000 stellte die Klägerin einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nach § 30 AuslG, welche ihr unter dem Datum vom 10. August 2000 befristet bis zum 9. August 2002 erteilt wurde. Am 19. August 2002 beantragte die Klägerin die Verlängerung der Aufenthaltsbefugnis, die mit Verfügung vom gleichen Tag bis zum 18. August 2004 erfolgte. Am 29. September 2004 beantragte die Klägerin die erneute Verlängerung. Nachdem ihr zunächst eine Bescheinigung nach § 69 AuslG ausgestellt wurde, verlängerte die Beklagte unter dem 22. März 2005 den Aufenthaltstitel nunmehr als Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 2 AufenthG bis zum 27. September 2006. Bereits am 19. August 2005 hatte die Klägerin einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis gestellt. Diesen Antrag lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 6. September 2006 mit der Begründung ab, die Klägerin erfülle weder die erforderlichen Zeiten des Besitzes einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 26 Abs. 3 AufenthG noch die erforderlichen Besitzzeiten für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis auf der Grundlage des § 26 Abs. 4 AufenthG. Hiergegen hat die Klägerin Klage erhoben und Prozesskostenhilfe für die Durchführung des Klageverfahrens beantragt. Das Verwaltungsgericht lehnte den Prozesskostenhilfeantrag ab.

II.

Die Beschwerde bleibt im Ergebnis ohne Erfolg, weil derzeit nicht erkennbar ist, dass das auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis gerichtete Klagebegehren hinreichende Erfolgsaussichten hat (§§ 166 VwGO, 114 ZPO).

Dies ergibt sich allerdings entgegen der Auffassung der Beklagten und des Verwaltungsgerichts nicht bereits daraus, dass die für die Anwendung des § 26 Abs. 4 AufenthG erforderlichen Besitzzeiten einer Niederlassungserlaubnis zum Zeitpunkt des Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis am 19. August 2005 nicht erfüllt waren. Vielmehr dürfte die Klägerin zu diesem Zeitpunkt mehr als neuneinhalb Jahre anrechenbare Zeiten aufzuweisen haben. Die Auffassung, diejenigen Zeiten des Besitzes einer Aufenthaltserlaubnis würden für die Berechnung entfallen, die vor einer Unterbrechung des Besitzes etwa aufgrund verspäteter Antragstellung liegen, erscheint nicht zutreffend. Vielmehr spricht Überwiegendes dafür, dass entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts und der Beklagten in solchen Situationen § 85 AufenthG dergestalt angewendet werden kann, dass die Zeit der Unterbrechung nicht auf die Zeit des Besitzes angerechnet wird, vorangegangene Besitzzeiten aber berücksichtigungsfähig bleiben (für Anwendbarkeit von § 85 AufenthG Jakober/Welte, Aktuelles Ausländerrecht, § 26 AufenthG Rdnr. 20 und zur entsprechenden Problematik bei § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG: § 9 Rdnr. 28; Hailbronner, Ausländerrecht, § 26 AufenthG Rdnr. 18 und § 9 Rdnr. 9; a.A. VG Hamburg, Urteil vom 17.02.1998 - 10 VG 249/97 - juris, zu den Vorgängervorschriften der §§ 35, 97 AuslG).

Der Zweck des § 26 Abs. 4 AufenthG besteht - ebenso wie etwa das Erfordernis nach § 9 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG - darin, nach langjährigem legalem Aufenthalt die Möglichkeit einer Aufenthaltsverfestigung zu eröffnen (siehe Jakober/Welte, a.a.O., Rdnr. 19) und dieser Zweck entfällt nicht durch kurze Unterbrechungen, die durch - etwa versehentlich - geringfügig verspätete Beantragung einer Verlängerung entstehen. Dieser Sichtweise steht auch nicht der Umstand entgegen, dass der Gesetzgeber in § 26 Abs. 4 AufenthG - ebenso wie in § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG - ausdrücklich auf den Besitz eines Aufenthaltstitels und nicht auf die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts abstellt. Denn durch die Anwendung des § 85 AufenthG in der beschriebenen Weise werden nicht Zeiten ohne Besitz einer Aufenthaltserlaubnis auf die erforderlichen Wartefristen angerechnet, sondern es werden Unbilligkeiten vermieden, die sich ansonsten bei formalen Nachlässigkeiten des Ausländers ergeben würden. Auf die Bereinigung von geringfügigen Ordnungsverstößen ist aber die Vorschrift des § 85 AufenthG gerade zugeschnitten. Die Anwendung des § 85 AufenthG auf die Situation der hiesigen Klägerin ist schließlich nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Vorschrift erst am 1. Januar 2005 in Kraft getreten ist. Vorher galt nämlich die gleichlautende Vorgängervorschrift des § 97 AuslG.

Bei Anwendung des § 85 AufenthG (siehe dazu, dass es sich vorliegend wahrscheinlich um Bagatellunterbrechungen mit der Folge der Tendenz zu einer Ermessensreduktion auf Null gehandelt hat, Nr. 85.1 der Vorläufigen Anwendungshinweise zum Aufenthaltsgesetz und Jakober/Welte, a.a.O., § 85 Rdnr. 13) wird die Zeit des Asylverfahrens von 1995 bis 2000 gemäß § 26 Abs. 4 Satz 3 AufenthG angerechnet; die Anrechnung der Zeit des Besitzes einer Aufenthaltsbefugnis vom 10. August 2000 bis zum 9. August 2002 und vom 19. August 2002 bis zum 18. August 2004 ergibt sich aus § 102 Abs. 2 AufenthG. Anrechnungsfähig ist schließlich die Zeit des Besitzes einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 AufenthG im Jahre 2005 und die davorliegende Zeit einer Bescheinigung nach § 69 AuslG (s. zu letzterem VGH Mannheim, Beschluss vom 29.05.2007 - 11 S 2093/06 - juris Rdnr. 8; Jakober/Welte, a.a.O., § 26 AufenthG Rdnr. 22).

Gleichwohl ist derzeit nicht erkennbar, dass die Voraussetzungen für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG vollständig vorliegen. Gemäß § 26 Abs. 4 Satz 1 AufenthG müssen die in § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 bis 9 bezeichneten Voraussetzungen gegeben sein, wobei § 9 Abs. 2 Satz 2 bis 6 entsprechend gilt. Gemäß § 104 Abs. 2 Satz 2 AufenthG ist die Klägerin zwar von den Voraussetzungen nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 und 8 befreit und hinsichtlich der deutschen Sprachkenntnisse gelten gemäß § 104 Abs. 2 Satz 1 AufenthG für sie herabgesetzte Anforderungen. Es kann jedoch nicht prognostiziert werden, dass der Lebensunterhalt gesichert ist oder angenommen werden, dass die Klägerin von der Erfüllung dieser Voraussetzung wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung suspendiert ist (§ 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 9 Abs. 2 Satz 6 und Satz 3 AufenthG). Vielmehr deuten die vorgelegten Belege zum Prozesskostenhilfeantrag darauf hin, dass der Lebensunterhalt der Klägerin nicht gesichert ist. Entgegen der Auffassung der Klägerin kann von diesem gesetzlichen Erfordernis auch nicht pauschal unter Hinweis auf ihr Alter abgesehen werden. Vielmehr muss für eine Abweichung im Einzelfall eine körperliche, geistige oder seelische Krankheit oder Behinderung maßgebend sein, die auch altersbedingt sein kann und eine Sondersituation im Einzelfall darstellt (siehe Jakober/Welte, a.a.O., § 26 Rdnr. 27). Die Nachweise hierfür hat die Klägerin zu führen (§ 82 Abs. 1 AufenthG).

Die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG, die nicht die Sicherstellung des Lebensunterhalts voraussetzt, kann derzeit noch nicht begehrt werden. Die Klägerin erfüllt die Voraussetzung, seit drei Jahren eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 1 oder 2 AufenthG zu besitzen, noch nicht. In diesem Zusammenhang hat die Beklagte zutreffend darauf hingewiesen, dass sich aus dem Umkehrschluss zu § 102 Abs. 2 AufenthG ergibt, dass Zeiten des Besitzes einer Aufenthaltsbefugnis vor dem 1. Januar 2005 im Falle des § 26 Abs. 3 AufenthG nicht angerechnet werden können. Der Gesetzgeber hat die aufenthaltsrechtliche Besserstellung von Konventionsflüchtlingen erst mit dem Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes verwirklicht und deshalb kann die Anrechnung früherer Zeiten des Besitzes einer Aufenthaltsbefugnis nach dem Willen des Gesetzgebers nicht erfolgen (siehe Jakober/Welte, a.a.O., Rdnr. 14; ferner so auch BayVGH, 30.03.2007 - 24 CS 06.856 - juris Rdnr. 12; Hess. VGH, 20.12.2006 - 9 TP 2959/06 -; VG Schleswig, 05.10.2006 - 7 A 27/06 - juris).

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet (§ 166 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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