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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 19.03.2002
Aktenzeichen: 12 TG 165/02
Rechtsgebiete: AuslG


Vorschriften:

AuslG § 42
AuslG § 47
Ob dem Ausländer, der aus mehreren Gründen ausreisepflichtig ist, ein Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gegenüber aufenthaltsbeendenden Maßnahmen zur Seite steht, hängt maßgeblich davon ab, auf welcher Grundlage die Ausländerbehörde die Ausreisepflicht zwangsweise durchzusetzen beabsichtigt.
Hessischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss

12. Senat

12 TG 165/02

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Ausländerrechts

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 12. Senat - durch Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Dr. Renner, Richter am Hess. VGH Kohlstädt, Richterin am Hess. VGH Fischer

am 19. März 2002 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Antragstellers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt Heinrich Lau, 34346 Hann. Münden, für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Kassel vom 15. November 2002 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.000,00 € festgesetzt.

Gründe:

Der Antrag auf Prozesskostenhilfe ist abzulehnen, da die Rechtsverfolgung des Beschwerdeführers keine Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 ZPO).

Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig, aber nicht begründet.

Allerdings hat das Verwaltungsgericht den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz hinsichtlich der Ausweisung zu Unrecht für unzulässig erachtet. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ist dieser Antrag zulässig, da dem Antragsteller für seinen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die ausländerbehördliche Ausweisungsverfügung ein Rechtsschutzinteresse zur Seite steht. Der Antragsteller war zwar seit 27. Oktober 1999 sofort vollziehbar ausreisepflichtig, weil er seitdem nicht mehr über eine Aufenthaltserlaubnis verfügte und er die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis nicht während deren Geltungsdauer beantragt hatte (§ 42 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 AuslG). Es kann aber nicht festgestellt werden, dass er aus diesem Grunde mit der von ihm erstrebten Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Ausweisungsverfügung in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 1. Oktober 2001 weder einen rechtlichen noch einen tatsächlichen Vorteil erreichen könnte.

Das grundsätzlich für Klagen wie für Anträge auf vorläufigen Rechtsschutz erforderliche Rechtsschutzinteresse wird allgemein dann verneint, wenn deren Erfolg die Rechtsstellung des Klägers oder Antragstellers nicht verbessern würde (Eyermann, VwGO, 11. Aufl., vor § 40 Rdnr. 16 f.; Redeker/von Oertzen, VwGO, 13. Aufl., 2000, § 42 Rdnr. 28) oder wenn sie keinerlei rechtlichen oder tatsächlichen Vorteil und damit keinen Nutzen bringen können (Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll, VwGO, vor §§ 40 ff. Rdnr. 31; Kopp/Schenke, VwGO, 12. Aufl., 2000, Vorb. § 40 Rdnr. 38). Diese Grundsätze sind auch auf Klageverfahren gegen aufenthaltsbeendende Maßnahmen und auf Eilverfahren wegen der sofortigen Vollziehung ausländerbehördlicher Verwaltungsakte anwendbar (vgl. z. B. VGH Baden-Württemberg, 21.11.2001 - 11 S 1822/01 -, EZAR 019 Nr. 13; Hess. VGH, 27.09.2000 - 12 TZ 2669/00 -; Hess. VGH, 18.11.1999 - 7 TZ 1988/99 -). Soweit es Anträge auf gerichtliche Aussetzung der sofortigen Vollziehung angeht, ist dabei nicht allein auf nebeneinander bestehende sofort vollziehbare Ausreiseverpflichtungen abzustellen, sondern auch und in erster Linie darauf, ob dem Ausländer aus der jeweiligen Ausreiseverpflichtung Vollstreckungsmaßnahmen der Ausländerbehörde drohen. Dabei ist von dem Grundsatz auszugehen, dass es zwischen auf verschiedenen Verwaltungsakten oder sonstigen Grundlagen beruhenden Ausreiseverpflichtungen und deren sofortiger Vollziehbarkeit keinen logischen oder anderweitigen inhaltlichen Vorrang oder ein sonstiges Prioritätsverhältnis gibt. Eine sofort vollziehbare Ausreisepflicht kann auf unterschiedlichen Tatbeständen beruhen, die sich entweder unmittelbar aus dem Gesetz ergeben oder durch Verwaltungsakt konkretisiert werden (vgl. § 42 Abs. 2 AuslG). Die Ausreisepflicht selbst kann sich aus dem Fehlen einer erforderlichen Aufenthaltsgenehmigung (vgl. § 42 Abs. 1 AuslG) oder dem Erlöschen einer Aufenthaltsgestattung (vgl. § 67 AsylVfG) ergeben. Beim Zusammentreffen mehrerer Ausreisepflichttatbestände hat die Ausländerbehörde zu entscheiden, welche Verpflichtung sie nach Vollziehbarkeit durch Abschiebung zwangsweise durchsetzt (vgl. § 49 Abs. 1 AuslG) und in welcher Weise sie diese zuvor androht (vgl. § 50 AuslG). Daher kann sie z. B. nach Auslaufen einer Aufenthaltsgenehmigung zusätzlich eine Ausweisungsverfügung erlassen und hierauf die Abschiebungsandrohung stützen. Oder sie kann nach Vollziehbarkeit der Abschiebungsandrohung des Bundesamts auf den Erlass einer eigenen Androhung anlässlich der Ablehnung eines Genehmigungsantrags verzichten und die asylrechtliche Abschiebungsandrohung verwirklichen. Ob und mit welchem Vorbringen der Ausländer dagegen gerichtlich vorgehen kann, hängt in erster Linie von den Absichten der Ausländerbehörde ab, die sich dazu entschließen kann, mit dem Vollzug zuzuwarten oder diesen gar durch Erteilung einer Duldung formell auszusetzen.

Daher kann dem Ausländer beispielsweise nicht ein schützenswertes Interesse daran abgesprochen werden kann, sich gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehung einer Ausweisung zur Wehr zu setzen, obwohl er ohnehin schon wegen Ablaufs der zuvor gültigen Aufenthaltsgenehmigung und wegen Versagung einer weiteren Aufenthaltsgenehmigung vollziehbar ausreisepflichtig ist (Hess. VGH, 20.02.1995 - 12 TH 2253/94 -, NVwZ-RR 1995, 541 = InfAuslR 1995, 200; a. A. VGH Baden-Württemberg, 05.11.1991 - 11 S 1157/91 -, NVwZ 1992, 702). An einem Rechtsschutzinteresse kann es danach jedoch unter Umständen fehlen, wenn ein Ausländer nach bestandskräftiger Ablehnung seines Asylantrags bereits vollziehbar ausreisepflichtig ist und anschließend sich gegen eine sofort vollziehbar erklärte Ausweisungsverfügung zur Wehr setzt (vgl. dazu Hess. VGH, 17.03.1997 - 3 TG 3656/96 -, NVwZ-Beil. 1997, 57).

Für das vorliegende Verfahren ist nach alledem maßgeblich, dass die Ausländerbehörde die Abschiebung des Antragstellers aus der Strafhaft allein aufgrund der hier angegriffenen Ausweisungsverfügung betreibt und nicht beabsichtigt, die nach Ablauf der Gültigkeit der letzten Aufenthaltserlaubnis am 27. Oktober 1999 eingetretene sofort vollziehbare Ausreiseverpflichtung nach § 42 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AuslG zwangsweise durchzusetzen. Es lässt sich weder aus den vorgelegten Behördenakten entnehmen noch ist etwas dafür vorgetragen, dass die Ausländerbehörde im Anschluss an das Auslaufen der zuletzt bis 27. Oktober 1999 verlängerten Aufenthaltserlaubnis den Antragsteller abzuschieben entschlossen war. Es entspricht auch weder allgemein einer Behördenpraxis noch der Handhabung der Ausländerbehörde gegenüber dem Antragsteller, jeweils sofort nach Ablauf einer Aufenthaltsgenehmigung aufenthaltsbeendende Maßnahmen einzuleiten. Insbesondere kann eine derartige Praxis nicht für Fälle der vorliegenden Art festgestellt werden, in denen der Ausländer die Verlängerung nicht rechtzeitig, sondern mit einigen Tagen Verzögerung beantragt (vgl. dazu auch § 97 AuslG). So hat der Antragsteller die Verlängerung der vom 6. März bis 30. Oktober 1997 erteilten Aufenthaltserlaubnis erst am 25. November 1997 und die Verlängerung der dann vom 2. Juni bis 28. Oktober 1998 erteilten Aufenthaltserlaubnis erst am 3. November 1998 beantragt, ohne dass die Ausländerbehörde zwischenzeitlich Vollstreckungsmaßnahmen in Angriff genommen hat. Unter diesen Umständen bestand auch keinerlei Veranlassung für den Antragsteller, nach Ablauf der Aufenthaltserlaubnis Ende Oktober 1999 Abschiebemaßnahmen der Ausländerbehörde zu befürchten und deshalb prophylaktisch vorläufigen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen. Erst nach Erlass der mit der Ausweisungsverfügung verbundenen Abschiebungsandrohung bestand hierzu ein triftiger Anlass.

Im Ergebnis kann die Beschwerde des Antragstellers jedoch keinen Erfolg haben, weil sich die Ausweisungsverfügung und die Abschiebungsandrohung als offenbar rechtmäßig erweisen, und im Hinblick darauf überwiegt das persönliche Interesse des Antragstellers an einem vorläufigen weiteren Verbleib im Bundesgebiet nicht das öffentliche Interesse an seiner sofortigen Ausreise (BVerfG, 21.03.1985 - 2 BvR 1642/83 -, BVerfGE 69, 220 = EZAR 622 Nr. 1; BVerfG, 18.07.1973 - 1 BvR 23,155/73 -, BVerfGE 35, 382; BVerfG - Kammer -, 12.09.1995 - 2 BvR 1179/95 -; Hess. VGH, 09.11.1995 - 12 TG 2783/95 -; Hess. VGH, 22.09.1988 - 12 TH 836/88 -, EZAR 622 Nr. 6 = InfAuslR 1989, 14).

Wie in der ausländerbehördlichen Verfügung vom 7. Juni 2001 und dem Widerspruchsbescheid vom 1. Oktober 2001 zu Recht ausgeführt ist, erfüllt der Antragsteller nach der Verurteilung durch das Landgericht Hanau vom 20. November 2000 zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten wegen Beihilfe zum schweren Raub die Voraussetzungen der Ist-Ausweisung nach § 47 Abs. 1 Nr. 1, ohne dass ihm ein besonderer Ausweisungsschutz nach § 48 Abs. 1 AuslG zur Seite steht. Danach bedurfte es nicht der Prognose der Ausländerbehörde, dass von dem Antragsteller auch in Zukunft eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch neue strafrechtliche Verfehlungen droht und von ihm somit eine bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut ausgeht. Zu Recht hat die Ausländerbehörde die Anwendbarkeit des Ausweisungsschutzes nach Art. 3 Abs. 3 des Europäischen Niederlassungsabkommens im Hinblick auf einen nicht ununterbrochenen ordnungsgemäßen Aufenthalt seit 10 Jahren verneint und angenommen, dass der Antragsteller sich nicht auf Art. 6 ARB 1/80 berufen kann, weil er sich im Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung für längere Zeit in Strafhaft befand und deshalb nicht mehr dem regulären Arbeitsmarkt angehörte. Entgegen der Auffassung des Antragstellers kann dieser sich nicht auf Art. 7 ARB 1/80 berufen, obwohl sein Vater, bevor er Rentner wurde, dem regulären Arbeitsmarkt in Deutschland angehört hat. Der Antragsteller könnte sich nämlich auf Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 nur berufen, wenn sein Vater im Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung noch dem regulären Arbeitsmarkt angehört hätte, und der Antragsteller hat nichts dafür vorgetragen, dass er als Kind eines türkischen Arbeitnehmers eine Berufsausbildung in Deutschland abgeschlossen hat und deshalb unter die Vorschrift des Art. 7 Abs. 2 ARB 1/80 fällt. Soweit sich schließlich der Antragsteller darauf beruft, er habe die vom Landgericht Hanau abgeurteilte Straftat im Zustand einer massiven Drogenabhängigkeit begangen und er werde nach Verbüßung seiner Halbstrafenzeit an einer Langzeit-Entwöhnungsbehandlung teilnehmen können, kann damit die Rechtmäßigkeit der auf die zwingende Vorschrift des § 47 Abs. 1 Nr. 1 AuslG gestützten Ausweisung nicht angezweifelt werden. Dies gilt auch hinsichtlich des Vorbringens im Beschwerdeverfahren, dass der Antragsteller inzwischen einen Therapieplatz für eine zehnmonatige Langzeit-Entwöhnungsbehandlung zugesagt erhalten habe, den Kurs "Deutsch für Ausländer" abgeschlossen habe und ab Februar 2002 mit einem Grundlehrgang "Metall" beginne. Schließlich muss in diesem Zusammenhang auch außer Acht gelassen werden, dass der Antragsteller seinem Vorbringen zufolge nach der Entlassung aus der Strafhaft bei seinem Vater wird wohnen können, der eine Aufenthaltsberechtigung besitzt und seit über 30 Jahren in Deutschland lebt. Alle diese Umstände können nicht zugunsten des Antragstellers berücksichtigt werden, weil er keinen Tatbestand des besonderen Ausweisungsschutzes nach § 48 AuslG erfüllt und deshalb die Ist-Ausweisung zwingend für ihn vorgeschrieben ist.

Die Entscheidung über die Kosten und den Streitwert des Beschwerdeverfahrens ergeben sich aus § 154 Abs. 2 VwGO und §§ 13 Abs. 1, 20 Abs. 3 GKG.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO; § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).

Ende der Entscheidung

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