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Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 09.01.2004
Aktenzeichen: 12 TG 3002/03
Rechtsgebiete: AufenthG/EWG, AuslG, FreizügV/EG


Vorschriften:

AufenthG/EWG § 12
AuslG § 47
AuslG § 63
FreizügV/EG § 4
1. Die örtliche Zuständigkeit für die Ausweisung eines Ausländers, der in einem anderen Bundesland inhaftiert ist als in dem Land, in dem er vor der Inhaftierung gelebt hat und in das er nach der Entlassung zurückzukehren beabsichtigt, richtet sich nach den Regeln des § 63 Abs. 2 AuslG i.V.m. Nr. 63.2.2 bis 63.2.2.5 AuslG-VwV.

2. Ein Unionsbürger darf nicht aufgrund der Verurteilung zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe wegen Schleusens in drei Fällen ausgewiesen werden, wenn die Ausländerbehörde außer Acht lässt, dass der bis dahin nicht vorbestrafte Ausländer nach der Tatbegehung bis zu seiner Inhaftierung etwa drei Jahre lang straf- und auch sonst beanstandungsfrei in Deutschland gelebt hat.


Hessischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss

12 TG 3002/03

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Ausländerrechts

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 12. Senat - durch

Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Prof. Dr. Renner, Richter am Hess. VGH Dr. Dieterich, Richterin am Hess. VGH Lehmann

am 9. Januar 2004 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 7. Oktober 2003 die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die ausländerbehördliche Verfügung vom 22. Januar 2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Gießen vom 23. Oktober 2002 und der ausländerbehördlichen Verfügung vom 17. Dezember 2002 wiederhergestellt bzw. angeordnet.

Der Antragsgegner hat - unter Abänderung des angefochtenen Beschlusses auch insoweit - die Kosten des gesamten Verfahrens zu tragen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.000,-- € festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde ist zulässig und begründet (§§ 146 Abs. 1 und 4, 147 VwGO).

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Wiederherstellung und Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die ausländerbehördliche Verfügung vom 22. Januar 2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Gießen vom 23. Oktober 2002 und der ausländerbehördlichen Verfügung vom 17. Dezember 2002, wie die Beschwerde zu Recht geltend macht (zur Beschränkung der Überprüfung im Beschwerdeverfahren vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO; Hess. VGH, 05.07.2002 - 12 TG 959/02 -, EZAR 037 Nr. 7), zu Unrecht abgelehnt. Die Ausweisungs- und Abschiebungsandrohung sind nämlich offensichtlich rechtswidrig, und im Hinblick darauf rechtfertigen es öffentliche Belange unter Berücksichtigung der hier gegebenen persönlichen Verhältnisse, welche die persönlichen Interessen des Antragstellers überwiegen und über das den angegriffenen Verwaltungsakt selbst rechtfertigende Interesse hinausgehen, nicht, den Rechtsschutzanspruch des Antragstellers einstweilen zurückzustellen, um unaufschiebbare Maßnahmen im Interesse des allgemeinen Wohls rechtzeitig in die Wege zu leiten (BVerfG, 21.03.1985 - 2 BvR 1642/83 -, BVerfGE 69, 220 = EZAR 622 Nr. 1; BVerfG, 18.07.1973 - 1 BvR 23,155/73 -, BVerfGE 35, 382; BVerfG - Kammer -, 12.09.1995 - 2 BvR 1179/95 -; Hess. VGH, 09.11.1995 - 12 TG 2783/95 -; Hess. VGH, 22.09.1988 - 12 TH 836/88 -, EZAR 622 Nr. 6 = InfAuslR 1989, 14).

Ausweisungsverfügung und Abschiebungsandrohung erweisen sich jedenfalls nach der hier allein möglichen summarischen Bewertung entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts als offensichtlich rechtswidrig; allerdings war die Ausländerbehörde des Landrats des Landkreises Limburg-Weilburg entgegen der Auffassung des Antragstellers für den Erlass der Ausweisungsverfügung zuständig, wie das Verwaltungsgericht zu Recht ausgeführt hat.

Das geltende Ausländerrecht enthält anders als noch § 20 Abs. 2 AuslG 1965 keine Regelungen mehr über die örtliche und die funktionelle Zuständigkeit der Ausländerbehörde mit der Folge, dass sich die örtliche Zuständigkeit nach dem Verfahrensrecht der Länder richtet, die das Ausländergesetz gemäß Art. 83 GG als eigene Angelegenheit ausführen (BVerwG, 04.06.1997 - 1 C 25.96 -, EZAR 601 Nr. 8 = NVwZ-RR 1997, 751; Hess. VGH, 28.10.1996 - 12 UE 628/96 -, EZAR 601 Nr. 5 = DVBl. 1997, 913; OVG Nordrhein-Westfalen, 10.07.1997 - 24 L 1342/96 -, EZAR 601 Nr. 7 = NVwZ-RR 1998, 201). Infolgedessen können zum Beispiel in Hessen und in Nordrhein-Westfalen, falls keine anderweitige ausdrückliche Regelung getroffen ist, für die Ausweisung eines inhaftierten Ausländers mehrere Behörden zuständig sein, unter anderem die des Haftorts und die des früheren Wohnorts (Hess. VGH und OVG Nordrhein-Westfalen, jeweils a.a.O.). Nach der in Hessen geltenden Verordnung über die Zuständigkeit der Ausländerbehörden (vom 21.06.1993, GVBl. I S. 260; zuletzt geändert durch Verordnung vom 13.05.1998, GVBl. I S. 206) ist für ausländerrechtliche Maßnahmen und Entscheidungen in erster Linie die Ausländerbehörde zuständig, in deren Bezirk der Ausländer seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (§ 1a Abs. 1), und bei inhaftierten Ausländern diejenige Ausländerbehörde, in deren Bezirk eine Freiheitsstrafe vollzogen wird (§ 1a Abs. 3 Satz 1). Diese Regelungen sind indes auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar, weil die beiden möglichen Anknüpfungspunkte des Wohnsitzes und des Haftorts in verschiedenen Ländern liegen; denn der Antragsteller ist seit seiner Verhaftung im November 1999 in Justizvollzugsanstalten in Rheinland-Pfalz inhaftiert, und zwar seit 29. März 2001 in A-Stadt, und sein früherer Wohnsitz, an den er nach der Haftentlassung zurückzukehren beabsichtigt, um dort zusammen mit seiner Lebensgefährtin und dem gemeinsamen Kind zu leben, liegt in Limburg a. d. Lahn und damit in Hessen. Für den daraus folgenden länderübergreifenden Kompetenzkonflikt fehlt es nicht mehr an ausdrücklichen Regelungen, nachdem das Bundesministerium des Innern im Jahre 2000 von der ihm durch § 63 Abs. 2 AuslG eingeräumten Ermächtigungen zum Erlass allgemeiner Verwaltungsvorschriften zur Bestimmung der zuständigen Ausländerbehörde in den dort genannten Fällen Gebrauch gemacht und insbesondere die dort in Nr. 2 genannten Kompetenzkonflikte gelöst und für den Fall eines inhaftierten Ausländers die Ausländerbehörde des anderen Landes, in deren Bezirk sich der Haftort befindet, für grundsätzlich zuständig erklärt, aber gleichzeitig angeordnet hat, dass für die Ausweisung und die damit verbundene Abschiebungsandrohung nach § 50 Abs. 5 AuslG diejenige Ausländerbehörde zuständig bleibt, in deren Bezirk der Ausländer zuvor seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, wenn dort enge familiäre Bindungen fortbestehen (Nr. 63.2.2.2.1 Sätze 1 und 2 AuslG-VwV). Für die Durchsetzung der Ausreisepflicht soll in solchen Fällen die Ausländerbehörde des Haftorts in Amtshilfe zuständig sein (Nr. 63.2.2.2.1 Satz 3 AuslG-VwV). Angesichts dieser bundesrechtlichen Regelung der örtlichen Zuständigkeit der Ausländerbehörde für die hier in Rede stehende Verfügung der Ausweisung und die Anordnung der Abschiebung aus der Haft gehen die Hinweise des Regierungspräsidiums und des Verwaltungsgerichts auf die erwähnte hessische Zuständigkeitsverordnung fehl. Dasselbe gilt für die hierauf bezogenen Ausführungen des Antragstellers in der Beschwerdebegründung. Soweit dort ein Kompetenzkonflikt zwischen den Ländern Hessen und Rheinland-Pfalz verneint wird, kann dem der beschließende Senat nicht beipflichten. Der Bundesinnenminister darf aufgrund der Ermächtigungsnorm des § 63 Abs. 2 Nr. 2 AuslG allgemein die örtliche Zuständigkeit der Ausländerbehörden bestimmen, wenn Ausländerbehörden mehrerer Länder nach landesrechtlichen Vorschriften zuständig sind oder jede Ausländerbehörde ihre Zuständigkeit im Hinblick auf die Zuständigkeit der Ausländerbehörde eines anderen Landes verneinen kann. Ob der zuerst genannte positive Kompetenzkonflikt besteht, richtet sich danach allein nach dem jeweiligen Landesrecht. Wie nicht zuletzt hier der Streit zwischen den Beteiligten deutlich macht, können nach den in Hessen und Rheinland-Pfalz geltenden landesrechtlichen Regelungen Ausländerbehörden in beiden Ländern zuständig sein, weil hierfür entweder an den Haftort oder den Ort des gewöhnlichen Aufenthalts angeknüpft wird (vgl. grundsätzlich dazu Renner, Ausländerrecht in Deutschland, 1998, Rdnrn. 8/64 bis 8/100; Rumpf in Huber [Hrsg.], Handbuch des Ausländer- und Asylrechts, Anm. zu § 63 Abs. 2 AuslG). Eben dieser Fall wird aber durch Nr. 63.2.2.2.1 AuslG-VwV dahin geregelt, dass der Ort des gewöhnlichen Aufenthalts vor der Inhaftierung vorgeht, falls dort enge familiäre Bindungen fortbestehen. Zu Unrecht verneint der Antragsteller in diesem Zusammenhang einen Kompetenzkonflikt mit der Überlegung, bei einem inhaftierten Ausländer würden die zu schützenden Interessen in polizeirechtlichem Sinne allein am Haftort gefährdet oder möglicherweise verletzt; denn insoweit ist nicht nur auf die Zeit der Inhaftierung abzustellen, in der jedenfalls bestimmungsgemäß eine Wiederholung der begangenen Straftaten auszuschließen ist, sondern auch auf den Ort, an den der Ausländer nach der Haftentlassung wahrscheinlich sich begeben und wo er sich niederlassen wird und möglicherweise eine erneute Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt.

Nach alledem hat die Ausländerbehörde des Landkreises Limburg-Weilburg zu Recht ihre örtliche Zuständigkeit bejaht und zu diesem Zweck unter anderem durch Befragung der Lebensgefährtin des Antragstellers im Juni 2001 ermittelt, ob während der Haft regelmäßige Kontakte zwischen dem Antragsteller einerseits und der Lebensgefährtin und dem gemeinsamen Kind andererseits bestehen, ob die Beziehung nach Verbüßung der Haftstrafe fortgesetzt werden soll und ob die Familie danach in Limburg zusammen wohnen will. Aufgrund der Angaben der Lebensgefährtin bei der Vorsprache vor der Ausländerbehörde am 28. Juni 2001 und in dem handschriftlichen Schreiben vom 14. September 2001 sowie der eigenen Angaben des Antragstellers in dem Brief vom 26. Juli 2001 können auch nach Auffassung des Senats keine Zweifel bestehen, dass der Antragsteller nach der Haftentlassung wieder in Limburg leben wird.

Nach alledem hat das Verwaltungsgericht die örtliche Zuständigkeit der Ausländerbehörde zu Recht bejaht, entgegen den Ausführungen in dem angegriffenen Beschluss erscheint die Ausweisungsverfügung aber in materiell-rechtlicher Hinsicht offensichtlich rechtswidrig.

Zunächst hat das Verwaltungsgericht allerdings zu Recht angenommen, dass der Antragsteller nur nach Maßgabe des einschlägigen Gemeinschaftsrechts ausgewiesen werden durfte, weil er die italienische Staatsangehörigkeit besitzt und damit Staatsangehöriger eines Mitgliedsstaats der Europäischen Union ist (vgl. dazu grundsätzlich Hess. VGH, 04.03.2002 - 12 UE 200/02 -, EZAR 034 Nr. 11 = ESVGH 52, 154 = InfAuslR 2002, 342). Die dem entgegenstehende Feststellung der Ausländerbehörde über die fehlende Arbeitnehmereigenschaft des Antragstellers gehen dagegen fehl. Für die Bestimmung der nach Gemeinschaftsrecht Freizügigkeitsberechtigten sind nämlich nicht nur die Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes/EWG und der weder von der Ausländerbehörde noch von der Widerspruchsbehörde beachteten Freizügigkeitsverordnung/EG heranzuziehen, die lediglich zur deklaratorischen Feststellung der gemeinschaftsrechtlichen Freizügigkeitsrechte dienen, sondern in erster Linie die hierfür konstitutiven Regelungen des Gemeinschaftsrechts. Danach stellt sich die Rechtslage für die Ausweisung des Antragstellers zusammengefasst wie folgt dar:

Nach Art. 18 Abs. 1 EG hat jeder Unionsbürger das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in diesem Vertrag und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten. Voraussetzungen und Umfang der Personenverkehrsfreiheiten ergeben sich danach nicht nur aus den zur Durchführung erlassenen Verordnung und Richtlinien, sondern können auch unmittelbar aus der primär-rechtlichen Bestimmung des Art. 18 Abs. 1 EG abgeleitet werden (dazu EuGH, 17.09.2002 - C-413/99 -, EZAR 814 Nr. 9 = NJW 2002, 3610 - Baumbast). Beschränkungen der Freizügigkeit sind, wie das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen hat, nur aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit zulässig (Art. 39 Abs. 3 EG) und setzen daher voraus, dass die Anwesenheit des Unionsbürgers oder sein Verhalten eine tatsächliche und hinreichend schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellen, welche ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (EuGH, st. Rspr., z.B. U. v. 19.01.1999 - C-348/96 -, EZAR 810 Nr. 11 = InfAuslR 1999, 165 - Calfa). Zur näheren Bestimmung der für diese Gefahrenprognose maßgeblichen Kriterien dienen die Vorschriften der Richtlinie 64/221/EWG. Diese sind zum Beispiel dann nicht erfüllt, wenn das Recht eines Mitgliedstaats die automatische Verfügung einer Ausweisung auf Lebenszeit aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung vorschreibt, ohne dass das persönliche Verhalten des Täters oder die von ihm ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung berücksichtigt werden können (EuGH, a.a.O.).

Zutreffend hat das Verwaltungsgericht nach Maßgabe dieser Grundsätze zu Grunde gelegt, dass der Antragsteller zu den freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern zählt. Dieser ist nämlich nach seiner Einreise im Jahre 1995 bis zu seiner Inhaftierung im November 1999 als Arbeitnehmer im gemeinschaftsrechtlichen Sinne beschäftigt gewesen, weil er im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung Leistungen erbracht und dafür Gegenleistungen erhalten hat, die nicht als ganz unerheblich angesehen werden können. Der Antragsteller ist auch dann als Arbeitnehmer anzusehen, wenn er während seines etwa vierjährigen Aufenthalts insgesamt nur etwa zwei Jahre als Arbeitnehmer beschäftigt gewesen sein sollte. Die bereits vor der Ausweisungsverfügung erfolgte Inhaftierung steht der Annahme der Arbeitsnehmereigenschaft im Rahmen der Freizügigkeit nicht entgegen, zumal der Antragsteller nach der Inhaftierung wiederum eine Beschäftigung aufzunehmen beabsichtigt. Abgesehen davon könnte sich der Antragsteller auch auf die ihm zukommende Freizügigkeit für Nichterwerbstätige im Sinne der Richtlinie 90/364/EWG über das Aufenthaltsrecht (ABl.-EG Nr. L180 S. 26) und des § 1 Freizügigkeitsverordnung/EG berufen und wahrscheinlich erforderlichenfalls auch unmittelbar auf Art. 18 Abs. 1 EG.

Zu Unrecht hat das Verwaltungsgericht im Anschluss an die Hilfserwägungen der Ausländerbehörde in der Ausweisungsverfügung und des Regierungspräsidiums in dem Widerspruchsbescheid angenommen, von dem Antragsteller gehe eine hinreichend schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung aus, weil zu befürchten stehe, dass er erneut straffällig werde. Bei der von dem Kläger begangenen und im Juli 2000 abgeurteilten Straftaten handelt es sich um schwerwiegende Kriminalität. Der Antragsteller ist nämlich mit rechtskräftigem Urteil des Landgerichts Koblenz vom 26. Juli 2000 wegen dreifachen gewerbs- und bandenmäßigen Einschleusens von Ausländern, jeweils tateinheitlich begangen mit gewerbsmäßiger Bandenhehlerei und Urkundenfälschung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt worden, und das unerlaubte Einschleusen von Drittstaatsangehörigen in Mitgliedstaaten der EU gefährdet hochrangige Gemeinschaftsgüter, zu deren Schutz die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten gerade in den letzten Jahren erhebliche Anstrengungen unternommen haben, insbesondere zur Bekämpfung des Menschenhandels und der illegalen Beschäftigung. Dieser Gewichtung entspricht zweifelsohne das Strafurteil des Landgerichts Koblenz, wenn es wegen der Beschaffung von illegalen Dokumenten zum Zwecke der Einreise in drei Fällen im Gegenwert von insgesamt 9.000 DM eine Freiheitsstrafe von immerhin annähernd fünf Jahren verhängt, obwohl dem Antragsteller zugute gehalten wurde, dass er bis dahin nicht straffällig geworden war, die Straftaten gestanden und das Unrecht eingesehen hat und besonders haftempfindlich ist, weil er erstmals eine Freiheitsstrafe verbüßt, der deutschen Sprache nicht mächtig und kurz vor der Verurteilung Vater geworden ist und dass der gesondert verfolgte Mittäter die treibende Kraft bei den Tatbegehungen war. Zudem spricht für ein künftig von dem Antragsteller ausgehende Gefährdung auch die im Strafurteil bereits zu Lasten des Antragstellers angestellte Überlegung, dass dieser durch seine Kontakte in Neapel erst die Möglichkeit zur Beschaffung der Personaldokumente hergestellt und damit in erheblichem Maße dazu beigetragen hat, dass das von ihm und seinem Mittäter erdachte System funktionierte. Unter diesen Umständen kann grundsätzlich für den Fall der Freilassung des Antragstellers eine Wiederholungsgefahr angenommen werden, als Prognosetatsachen dürfen aber insbesondere das sonstige Verhalten des Antragstellers vor der Ausweisung und die zu erwartenden künftigen Entwicklungen in seinen persönlichen Verhältnissen nicht außer Acht gelassen werden. Insoweit leiden jedoch die angegriffenen Entscheidungen an einem grundsätzlichen Fehler. Sie berücksichtigen nämlich nicht, dass sich der Antragsteller in dem Zeitraum zwischen der letzten abgeurteilten Straftat (Frühjahr 1997) bis zu seiner Inhaftierung (November 1999) fast drei Jahre weiter in Deutschland aufgehalten hat, ohne Straftaten zu begehen oder sonst Anlass zu Beanstandungen zu geben. Die Annahme des Landgerichts Koblenz, der Antragsteller habe gewerbsmäßig in einer Bande (mit einem weiteren Mittäter) die Einschleusung von Ausländern betrieben, ist zwar - trotz der für eine dauerhafte Gewinnerzielungsabsicht recht bescheidene Reihe von drei Straftaten mit einem Gewinn von insgesamt weniger als 4.000 DM je Bandenmitglied in einem halben Jahr - rechtlich nicht zu beanstanden, die Ausländerbehörde durfte aber bei ihrer fast fünf Jahre nach Begehung der letzten Straftat angestellten Prognose nicht außer Acht lassen, dass der Antragsteller sich nach diesem Zeitpunkt bis zu seiner Verhaftung straffrei geführt und damit jedenfalls für diesen Zeitraum die Befürchtung widerlegt hat, er könne rückfällig werden. Selbst wenn der von dem Antragsteller geltend gemachten familiären Stabilisierung auch während der Haftzeit keine besondere Bedeutung zuzumessen wäre, so fehlt es doch im Hinblick auf den bereits erwähnten mehrjährigen straffreien Aufenthalt bis zur Inhaftierung und bis zur Ausweisung an brauchbaren Anhaltspunkten für die Annahme, der Antragsteller werde nach Haftentlassung erneut versuchen, seinen Lebensunterhalt ganz oder teilweise durch Straftaten zu finanzieren. Die Annahme der Ausländerbehörde, der Antragsteller könne wie in der Vergangenheit geneigt sein, sich durch schnelles Geld statt durch Arbeit die notwendigen Unterhaltsmittel zu verschaffen, stellt sich danach als bloße Vermutung dar, entbehrt aber vor allem deshalb einer zuverlässigen Grundlage, weil die ausreichend glaubhaft gemachte Absicht des Antragstellers und seiner Lebensgefährtin, nach der Haftentlassung wieder zusammen zu leben, zusätzlich berücksichtigt werden muss.

Da sich hiernach sowohl die Ausweisungsverfügung als auch die darauf beruhende Abschiebungsandrohung als offensichtlich rechtswidrig erweist, ist es für die Entscheidung über die Beschwerde unerheblich, ob hinsichtlich der Gefährdungsprognose auf die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, hier also des Widerspruchsbescheids vom 23. Oktober 2002 abzustellen ist, oder das Gemeinschaftsrecht eine aktuelle Gefährdungsprognose im jeweiligen Entscheidungszeitpunkt verlangt (vgl. dazu Schlussanträge der Generalanwältin des EuGH v. 11.09.2003 in den Rechtssachen Orfanopoulos und Oliveri, C-482/01 und C-493/01).

Die Entscheidung über die Kosten und den Streitwert des Beschwerdeverfahrens ergeben sich aus §§ 154 Abs. 1 VwGO und aus §§ 13 Abs. 1, 20 Abs. 3 GKG.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO; § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).

Ende der Entscheidung

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