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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 08.05.2006
Aktenzeichen: 12 TP 357/06
Rechtsgebiete: StAG


Vorschriften:

StAG § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
StAG § 10 Abs. 1 S. 3
Nach geltender Rechtslage kommt im Einbürgerungsrecht der Voraussetzung einer eigenen Sicherung des Lebensunterhalts geringeres Gewicht zu als im Aufenthaltsrecht für Ausländer.
HESSISCHER VERWALTUNGSGERICHTSHOF BESCHLUSS

12 TP 357/06

In dem Prozesskostenhilfeverfahren

wegen Staatsangehörigkeitsrechts

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 12. Senat - durch

Richterin am Hess. VGH Thürmer, Richter am Hess. VGH Dr. Dieterich, Richter am Hess. VGH Debus

am 8. Mai 2006 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Darmstadt vom 17. Januar 2006 abgeändert.

Der Klägerin wird unter Beiordnung von Rechtsanwalt B., B-Straße, B-Stadt, zu den Bedingungen eines am Gerichtssitz oder am Wohnsitz der Klägerin ansässigen Anwalts Prozesskostenhilfe für das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Darmstadt (5 E 1143/05) bewilligt.

Gründe:

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts liegen die gesetzlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe (§ 166 VwGO, § 114 ZPO) vor.

Insbesondere hat die von der Klägerin erstrebte Rechtsverfolgung hinreichende Erfolgsaussicht. Als Rechtsgrundlage für ihr Einbürgerungsbegehren kommt § 10 StAG in Betracht. Die Voraussetzungen eines achtjährigen gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland erfüllt die Klägerin, unabhängig davon könnte § 10 Abs. 2 StAG herangezogen werden. Von dem Erfordernis der Lebensunterhaltssicherung (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG) wird gemäß § 10 Abs. 1 Satz 3 2. Alternative StAG abgesehen, wenn der Einbürgerungsbewerber aus einem von ihm nicht zu vertretenden Grund den Lebensunterhalt nicht ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem 2. oder 12. Buch Sozialgesetzbuch bestreiten kann. Die Voraussetzungen hierfür sind noch näher aufklärungsbedürftig, jedenfalls steht die fehlende Lebensunterhaltssicherung im Fall der Klägerin nicht von vornherein der Einbürgerung entgegen.

Die vom Verwaltungsgericht hierzu - insbesondere im Nichtabhilfebeschluss - vertretene Auffassung, wonach die gesetzliche Ausnahme - gemeint ist offenbar § 10 Abs. 1 Satz 3 StAG ausschließlich - "Fälle einer grundsätzlich abgeschlossenen Integration (mehrjährige Berufstätigkeit) mit späterer unverschuldeter vorübergehender Arbeitslosigkeit" betreffen soll, ist weder mit dem Wortlaut des § 10 Abs. 1 Satz 3 StAG vereinbar noch entspricht sie der Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. Beschluss vom 10.10.2005 - 12 TP 1398/05 -) noch der Kommentarliteratur und wird auch nicht in den allgemeinen Verwaltungsvorschriften zu Grunde gelegt.

Zum Ausschlussgrund des Bezugs von Sozialhilfeleistungen heißt es in den nach inhaltlich unveränderter Überleitung der §§ 85 ff. AuslG in die §§ 10 bis 12b StAG weiterhin anwendbaren Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zu § 85 AuslG (Ziffer 85.1.2) vielmehr, der Bezug von Sozial- oder Arbeitslosenhilfe sei vom Einbürgerungsbewerber dann zu vertreten und stehe deshalb einer Einbürgerung entgegen, wenn der Bewerber durch ihm zurechenbares Handeln oder Unterlassen die Ursache für einen fortdauernden Leistungsbezug gesetzt habe. Dies sei insbesondere dann gegeben, wenn die Hilfsbedürftigkeit durch einen Arbeitsplatzverlust wegen Nichterfüllung arbeitsvertraglicher Pflichten herbeigeführt worden sei. Andere Anhaltspunkte dafür, dass ein Einbürgerungsbewerber das Fehlen der wirtschaftlichen Voraussetzungen zu vertreten habe, ergäben sich beispielsweise daraus, dass er wiederholt die Voraussetzungen für eine Sperrzeit nach § 144 SGB III erfüllt habe oder aus anderen Gründen Hinweise auf Arbeitsunwilligkeit bestünden. Nicht zu vertreten habe es der Einbürgerungsbewerber hingegen insbesondere, wenn ein Leistungsbezug wegen Verlust des Arbeitsplatzes durch gesundheitliche, betriebsbedingte oder konjunkturelle Ursachen begründet ist und er sich hinreichend intensiv um eine Beschäftigung bemüht habe.

Diese Hinweise zur Rechtsanwendung werden in der staatsangehörigkeitsrechtlichen Kommentierung aufgegriffen (siehe Hailbronner in Hailbronner/Renner, Staatsangehörigkeitsrecht, 4. Aufl., § 10 StAG Rdnr. 24; GK-Berlit, § 10 StAG Rdnr. 239 ff.) und es wird angenommen, dem Ausschlussgrund des Sozialhilfebezugs komme wegen der Ausnahme bei nicht zu vertretendem Leistungsbezug nur geringe Bedeutung zu, da die Behörde den Nachweis der verschuldeten Sozialhilfeabhängigkeit führen müsse (Hailbronner, a. a. O., Rdnr. 23). Während der Gesetzgeber die Erlangung eines Aufenthaltstitels im Ausländerrecht bei Sozialhilfebezug an mehreren Stellen ausnahmslos ausschließt (siehe die Aufzählung bei GK-Berlit, a. a. O., Rdnr. 23909) lässt er im Einbürgerungsrecht eine Ausnahme bei nicht zu vertretendem Sozialhilfebezug zu und gewichtet somit fiskalische Interessen bei der Einbürgerung geringer als im Ausländerrecht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss vom 27.10.1995 - 1 B 34/95 - InfAuslR 1996, 54 unter Hinweis auf BT-Drs. 11/6321, S. 47) liegt der Unterschied für diese unterschiedliche Regelung darin, dass die Einbürgerung nicht auf Erleichterung der Integration gerichtet ist, sondern eine Konsequenz daraus zieht, dass die Integration als Folge eines langjährigen rechtmäßigen Aufenthalts bereits stattgefunden hat und abgeschlossen ist. Bei der Einbürgerung kommt daher nach geltender Rechtslage der eigenen Lebensunterhaltssicherung ein weniger entscheidendes Gewicht zu.

Instanzgerichtliche Entscheidungen aus neuester Zeit prüfen die Frage, ob Sozialhilfebezug vom Einbürgerungsbewerber zu vertreten ist, unter Berücksichtigung von im Einzelfall auch durch informatorische Befragung des Einbürgerungsbewerbers in der mündlichen Verhandlung ermittelter Umstände wie das Alter des Bewerbers, ferner der Fragestellung, ob der Einbürgerungsbewerber aus eigenen Kräften etwas zur Verbesserung seiner Chancen auf dem Arbeitsmarkt getan hat, ob er Vermittlungsvorschläge der Arbeitsverwaltung erhalten hat und ob ihm angesonnen werden kann, eine Tätigkeit zur Lebensunterhaltssicherung etwa in der Gastronomie oder im Reinigungsbereich anzunehmen (siehe VG Karlsruhe, Urteil vom 09.12.2004 - 2 K 913/04 -, juris; VG B-Stadt, Urteil vom 07.09.2004 - 4 A 4184/0 - juris).

Im vorliegenden Fall bedarf somit die Beurteilung der Frage, ob die Klägerin aus einem von ihr zu vertretenden Grund auf Sozialleistungen zum Lebensunterhalt angewiesen ist, einer weiteren Aufklärung, etwa durch Anfrage bei der zuständigen Arbeitsagentur.

Ebenfalls weiterer Aufklärung bedarf die Einbürgerungsvoraussetzung nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 i. V. m. § 12 StAG. Die zur Frage der Einbürgerung unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit vorgenommene Prüfung der Einbürgerungsbehörde bezieht sich ausdrücklich allein auf den Fall der Ermessenseinbürgerung (§ 8 StAG). Vorliegend kommt aber in erster Linie eine Anspruchseinbürgerung nach § 10 StAG in Betracht, da - wie sogleich auszuführen ist - entgegen der bisherigen Auffassung der Einbürgerungsbehörde der Ausschlussgrund der nicht hinreichenden Kenntnisse der deutschen Sprache (§ 11 Satz 1 Nr. 1 StAG) nicht ohne weiteres eingreift.

In dem angefochtenen Bescheid wird die Einbürgerung tragend mit der Erwägung abgelehnt, die Klägerin verfüge nicht über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache, weil sie einen deutschsprachigen Text nicht lesen könne und die Tatsache, dass sie Analphabetin sei, sei unerheblich. Diese Rechtsauffassung dürfte nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 20.10.2005 - 5 C 8.05 - NJW 2006, 1079 - 1081) zu den Anforderungen an die "ausreichenden Kenntnisse der deutschen Sprache" bei Analphabeten jedenfalls in dieser Allgemeinheit nicht mehr haltbar sein. Vielmehr bedarf die Frage, ob der Klägerin in ihrer konkreten Situation der Ausschlussgrund nach § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG entgegengehalten werden kann, näherer Überprüfung nach Maßgabe der bundesverwaltungsgerichtlichen Entscheidung.

Schließlich stehen auch die drei strafgerichtlichen Verurteilungen zu Geldstrafen von 15, 40 und 80 Tagessätzen der Einbürgerung nicht nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG entgegen, vielmehr bleiben sie gemäß § 12a Satz 1 Nr. 2 StAG außer Betracht.

Die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Prozesskostenhilfegewährung sind glaubhaft gemacht (§ 166 VwGO, §§ 117 Abs. 4, 118 Abs. 2 ZPO). Die Beiordnung des Rechtsanwalts beruht auf § 121 ZPO i. V. m. § 166 VwGO.

Gerichtsgebühren für das Beschwerdeverfahren fallen nicht an, weil die Beschwerde Erfolg hatte (Nr. 5502 der Anlage I zum GKG); außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet (§ 166 VwGO i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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