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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 02.12.2002
Aktenzeichen: 12 UE 1019/02
Rechtsgebiete: AuslG


Vorschriften:

AuslG § 20 Abs. 4
1. Die Voraussetzung des Beherrschens der deutschen Sprache im Sinne von § 20 Abs. 4 Nr. 1 1. Alternative AuslG muss zum Zeitpunkt des Erfordernisses einer Aufenthaltserlaubnis vorliegen. Ein Ausländer beherrscht die deutsche Sprache im Sinne dieser Vorschrift, wenn seine Kenntnisse der deutschen Sprache in Schrift und Wort den durchschnittlichen Deutschkenntnissen seiner Altersgruppe entsprechen.

2. Ein Schulzeugnis mit der Note "befriedigend" im Fach Deutsch belegt durchschnittliche Kenntnisse der deutschen Sprache gemessen an der jeweiligen Altersgruppe.


Hessischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes Urteil

12. Senat

12 UE 1019/02

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Ausländerrechts

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 12. Senat - durch

Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Dr. Renner, Richterin am Hess. VGH Thürmer, Richter am Hess. VGH Dr. Dieterich, ehrenamtliche Richterin Rossi, ehrenamtliche Richterin Trappe

auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 2. Dezember 2002 für Recht erkannt: Tenor:

Der Bescheid der Beklagten vom 13. September 1996 in der Form des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Darmstadt vom 7. Mai 1998 wird unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 8. Februar 2002 aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden.

Die Beklagte hat die Kosten des gesamten Verfahrens zu drei Viertel, der Kläger zu einem Viertel zu tragen. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, falls der jeweilige Kostengläubiger nicht seinerseits Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der 1978 in U /H (Türkei) geborene Kläger reiste am 25. August 1993 in die Bundesrepublik Deutschland zu seinem hier lebenden Vater ein. Mit Datum vom 19. Juni 1995 stellte er einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Familienzusammenführung. Mit Schreiben seines damaligen Bevollmächtigten vom 8. Januar 1996 begründete er diesen Antrag damit, dass seine Eltern geschieden seien, seine Versorgung wie die der übrigen Kinder durch den allein in Deutschland lebenden Vater erfolge und er vom 30. August 1994 bis zum 30. Juni 1995 in einem an der Schule absolvierten Berufsvorbereitungsjahr den Hauptschulabschluss erreicht habe.

Mit Bescheid vom 13. September 1996 lehnte die Ausländerbehörde der Beklagten den Antrag auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis ab und drohte dem Kläger die Abschiebung in die Türkei an. Zur Begründung führte sie an, ein Anspruch auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 20 Abs. 2 und 3 AuslG bestehe nicht, da die Eltern des Klägers seit 1983 geschieden seien, die Mutter nach wie vor in der Türkei lebe und nicht ersichtlich sei, dass die Sorgerechtsentscheidung zu Gunsten des Vaters dem Kindeswohl entsprechend getroffen worden sei. Auch § 20 Abs. 4 AuslG verschaffe dem Kläger keinen Anspruch, da hiernach eine Ermessensentscheidung zu treffen sei. Außerdem müsse er hierzu die deutsche Sprache beherrschen, und hierfür seien sehr gute Sprachkenntnisse erforderlich, die der Kläger nach zwei Jahren Aufenthalt in Deutschland nicht erreicht haben dürfte. Auch sei eine Integration in die hiesigen Verhältnisse angesichts eines laufenden Ermittlungsverfahrens zu verneinen. Eine unzumutbare Härte liege angesichts seines langjährigen Aufenthalts in seinem Heimatland nicht vor.

Den Widerspruch des Klägers gegen den am 17. September 1996 zugestellten Bescheid, dessen Eingang bei der Behörde für den 14. März 1997 dokumentiert ist, lehnte das Regierungspräsidium Darmstadt unter Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit Widerspruchsbescheid vom 7. Mai 1998 ab und begründete diese Ablehnung unter Bezugnahme auf den Erstbescheid sowie weitergehend damit, dass der Kläger in der Türkei zuletzt angesichts des Alters von 15 Jahren von seiner Großmutter hätte betreut werden können.

Ein am 23. Dezember 1996 angestrengtes Eilverfahren wurde mit Beschluss Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 15. Juli 1997 (12 TZ 1630/97) für den Kläger erfolglos abgeschlossen.

Mit seiner am 12. Mai 1998 erhobenen Klage hat der Kläger unter Bezugnahme auf das Widerspruchsverfahren und eine ebenfalls erfolglos gebliebene Petition zum Hessischen Landtag vom 25. Juli 1997 geltend gemacht, seine Großmutter sei nicht mehr in der Lage gewesen, sich in der Türkei um ihn zu kümmern, und ihrerseits mittlerweile nach Deutschland übergesiedelt. Er habe bereits 1995 seinen Hauptschulabschluss erreicht und sei hinreichend in die hiesigen Lebensverhältnisse integriert; aufgrund seines guten Schulabschlusses könne er jederzeit eine Arbeitsstelle finden. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Frankfurt am Main am 8. Februar 2002 legte der Kläger eine Bescheinigung der Schule vom 21. Dezember 1995 über das voraussichtliche Ende des Schulbesuchs im Juli 1996 vor.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 13. September 1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Darmstadt vom 7. Mai 1998 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit Urteil vom 8. Februar 2002 hat das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dem Kläger stehe kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 20 Abs. 2 oder Abs. 3 AuslG zu. Das der Beklagten in § 20 Abs. 4 AuslG eingeräumte Ermessen sei nicht auf eine Entscheidung zu seinen Gunsten reduziert, denn dieser habe schon nicht belegt, dass er bis zum hier maßgeblichen Zeitpunkt am 1. Mai 1996 die deutsche Sprache beherrscht habe; der Hauptschulabschluss allein rechtfertige einen solchen Schluss nicht. Aufgrund seines Werdegangs sei auch nicht gewährleistet, dass er sich in die Lebensverhältnisse in Deutschland einfügen könne. Ein Härtefall im Sinne dieser Vorschrift liege nicht vor.

Zur Begründung seiner mit Beschluss des erkennenden Senats vom 10. April 2002 zugelassenen Berufung führt der Kläger aus, dass er sich nach Aushändigung seines mittlerweile verlängerten Passes wieder polizeilich angemeldet habe. Er beruft sich auf Art. 7 Abs. 1 1. Spiegelstrich ARB 1/80. Hieraus ergebe sich für ihn ein Anspruch, nachdem er im Jahr 1993 visafrei zu seinem Vater, der das Sorgerecht innegehabt habe, eingereist und bis zum 16. Lebensjahr von dem Erfordernis der Aufenthaltserlaubnis befreit gewesen sei. Maßgeblich sei insoweit der Zeitpunkt der Einreise, da die Ausländerbehörde auch keine nachträgliche zeitliche Befristung seiner Aufenthaltserlaubnis verfügt habe. Dass in seinem Heimatland keine ausreichende Betreuungsmöglichkeit mehr durch die Großmutter bestanden habe, sei schon in erster Instanz belegt worden. Alle übrigen, jüngeren und älteren Geschwister hätten eine Aufenthaltserlaubnis erhalten; dass sie ihm gegenüber als Einzigem der Familie verweigert werde, stelle einen Ermessensfehler dar. Wie die im Zulassungsverfahren in Kopie vorgelegten Schulzeugnisse der Jahre 1994 und 1995 belegten, habe er im Jahr 1995 den Hauptschulabschluss mit der Note "gut" im Fach Deutsch erreicht und daraus ergebe sich, dass er die deutsche Sprache schon zu diesem Zeitpunkt beherrscht habe.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 8. Februar 2002 den Bescheid der Beklagten vom 13. September 1996 in der Form des Bescheids des Regierungspräsidiums Darmstadt vom 8. Mai 1998 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen,

hilfsweise,

die Beklagte zu verurteilen, den Antrag unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung abzuweisen. Sie führt neben Angaben zur zwischenzeitlichen Passlosigkeit und der fehlenden polizeilichen Anmeldung des Klägers im Wesentlichen aus, dieser habe sein Vorbringen zu den bestehenden Deutschkenntnissen weder vor der Ausländerbehörde noch im erstinstanzlichen Verfahren glaubhaft gemacht.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte nebst den vom Kläger vorgelegten Unterlagen, die Gerichtsakte des Verfahrens 12 TZ 1630/97 und die ihn betreffenden Behördenakten der Beklagten Bezug genommen, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist vom Senat zugelassen und auch sonst zulässig (§§ 124 Abs. 1, 124a Abs. 5 Satz 5, Abs. 6, 125 Abs. 1 VwGO), sie ist jedoch nur hinsichtlich des hilfsweise gestellten Antrags begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht in vollem Umfang abgewiesen. Die Versagung einer Aufenthaltserlaubnis erweist sich als fehlerhaft und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Da die Sache nicht spruchreif in dem Sinne ist, dass das der Behörde eingeräumte Ermessen auf Null reduziert ist, sind die behördlichen Bescheide aufzuheben und die Beklagte zur Neubescheidung zu verpflichten (§ 113 Abs. 5 VwGO). Von der Möglichkeit, Gelegenheit zur nachträglichen Ergänzung der Ermessensüberlegungen (§ 114 Satz 2 VwGO) zu geben, macht der Senat keinen Gebrauch, weil die Beklagte und die Widerspruchsbehörde bisher überhaupt noch kein Ermessen ausgeübt haben.

Dem Kläger steht allerdings kein Anspruch auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis gemäß § 20 Abs. 2 AuslG zu, der zusätzlich außer der Erfüllung der Voraussetzungen des § 17 AuslG verlangt, dass auch der andere Elternteil eine Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsberechtigung besitzt oder gestorben ist. Da nur der Vater und nicht die Mutter des Klägers in Deutschland lebt, kann hier offen bleiben, auf welchen Zeitpunkt es für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 AuslG ankommt.

Der Kläger kann auch keine Aufenthaltserlaubnis nach § 20 Abs. 3 Satz 1 AuslG verlangen. Nach dieser Vorschrift kann von der Voraussetzung, dass auch der andere Elternteil eine Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsberechtigung besitzen muss, falls er nicht verstorben ist, abgesehen werden, wenn die Eltern nicht oder nicht mehr miteinander verheiratet sind. Da die Ehe der Eltern des Klägers im Jahr 1983 geschieden worden ist, konnte die Ausländerbehörde im Wege des Ermessens von dieser Vorschrift Gebrauch machen. Die unabhängig davon nach § 20 Abs. 2 Nr. 2 AuslG geltende Altersgrenze von 16 Jahren wird von dem Kläger eingehalten, obwohl er zum Entscheidungszeitpunkt schon volljährig ist, da diese Altersgrenze beim Kindernachzug jedenfalls bei den ledigen Kindern unter 16 Jahren, die nach § 2 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 DVAuslG (in der Fassung vor der Änderung durch VO vom 11.01.1997, BGBl. I S. 4) ohne Aufenthaltsgenehmigung nach Deutschland einreisen und sich darin aufhalten dürfen, auf den Zeitpunkt des Nachzugs, also der Einreise bezogen ist (ausführlich dazu Hess. VGH, 17.02.1997 - 12 UE 4436/96 -, EZAR 022 Nr. 6). Unbeachtlich ist dabei auch, ob der Kläger seiner Anzeigepflicht nach § 13 DVAuslG nachgekommen ist, was sich anhand der vorgelegten Verwaltungsakten nicht eindeutig klären lässt. Für eine zumindest polizeiliche oder einwohnermelderechtliche Anmeldung spricht allerdings, dass der Kläger sogleich die Schule in F besucht hat. Die fristgemäße Anzeige des genehmigungsfreien Aufenthalts bei der Ausländerbehörde nach § 13 DVAuslG ist aber nicht Voraussetzung für die Erlaubtheit des Aufenthalts, und ein Verstoß gegen diese Verpflichtung ändert mithin nichts an der Rechtmäßigkeit des genehmigungsfreien Aufenthalts (Hess. VGH, a.a.O.).

Auch der Umstand, dass der Kläger seinen Antrag auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis erst dreizehn Monate nach Vollendung des 16. Lebensjahres gestellt hat, stellt hier keinen Versagungsgrund dar, denn die Ausländerbehörde hat bisher nicht zu erkennen gegeben, dass Sie die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis aus diesem Grund verweigern will; vielmehr wurde durch Erteilung der Verfahrensduldung gemäß § 69 AuslG zum Ausdruck gebracht, dass die Ausländerbehörde insoweit von dem ihr in § 97 AuslG eingeräumten Ermessen zu Gunsten des Klägers Gebrauch machen wollte. Damit kann der Zeitraum der Unterbrechung bis zur Dauer eines Jahres auch als Zeit ordnungsgemäßen Aufenthaltes angerechnet werden, wenn die Aufenthaltserlaubnis erteilt wird.

Die von der Ausländerbehörde der Beklagten ebenso wie von der Widerspruchsbehörde angestellten Ermessenserwägungen zu § 20 Abs. 3 AuslG sind im Ergebnis nicht zu beanstanden. Allerdings ist im Gegensatz zu der in den angegriffenen Bescheiden zum Ausdruck gekommenen Rechtsauffassung bei der aufenthaltsrechtlichen Bewertung des Kindeswohls bei einem allein erziehenden Elternteil maßgeblich auf den Besitz des Personensorgerechts abzustellen, und eine im Ausland erfolgte Sorgerechtsübertragung ist nur dann im Inland als unwirksam außer Acht zu lassen, wenn sie offensichtlich gegen den deutschen ordre public verstößt (ausführlich hierzu Hess. VGH, 17.02.1997, a.a.O. m.w.N.). Die Begründung der Entscheidung des Amtsgerichts H vom 14. April 1983 über die Übertragung des Sorgerechts hinsichtlich des jüngsten Kindes auf die Mutter und in Bezug auf die übrigen Kinder auf den Vater lässt allerdings nicht erkennen, welche Erwägungen dabei angestellt wurden oder ausschlaggebend waren. Es ist nicht ersichtlich, aus welchen Gründen das Gericht von der durch den Vertreter des Vaters des Klägers beantragten Übertragung des Sorgerechts auf die Mutter abgewichen ist, oder wie der Antrag der Mutter, ihr das Sorgerecht nur für das jüngste Kind zu übertragen, begründet war, sodass nicht erkennbar ist, ob auch das für das türkische Recht maßgebliche Kindeswohl beachtet wurde, und damit ein offensichtlicher Verstoß gegen den ordre public festzustellen ist. Die insoweit angestellten Ermessenserwägungen der Ausländerbehörde sind auch nicht zu beanstanden. Diese hat nämlich zu Recht außerdem berücksichtigt, dass trotz der Sorgerechtsübertragung auf den in Deutschland lebenden Vater der Kläger fünfzehn Jahre in der Türkei lebte und dort offenbar von der Großmutter betreut wurde. Es ist nicht zu beanstanden, dass die Behörde unter Berücksichtigung dieses Umstands festgestellt hat, dass keine hinreichenden Anhaltspunkte ersichtlich waren oder dargetan wurden, die eine plötzlich eingetretene Notwendigkeit der tatsächlichen Wahrnehmung des Sorgerechts durch den Vater in Deutschland plausibel gemacht hätten. Dass die Großmutter ihrerseits zwischenzeitlich nach Deutschland zu ihrer Familie übersiedelt ist, lässt allein nicht auch eine Übersiedlung des Klägers notwendig erscheinen, zumal dieser das Land verlassen musste, in dem er aufgewachsen und in dessen Lebensverhältnisse er während der entscheidenden Jahre der Kindheit integriert worden ist. Nach seinem eigenen Vorbringen war er zu diesem Zeitpunkt bei seiner Mutter untergebracht, und es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass dort eine weitere Unterbringung mit finanzieller Unterstützung durch den in Deutschland lebenden Vater nicht möglich gewesen wäre oder er im Alter von fünfzehn Jahren auf eine derart intensive Betreuung angewiesen war, dass er nicht mit Hilfe dieser Unterstützung dort zumindest solange hätte leben können, bis er als Volljähriger selbst in der Lage war, für seinen Lebensunterhalt zu sorgen.

Dem Kläger steht jedoch ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung gemäß § 20 Abs. 4 Nr. 1 AuslG zu. Aus den vorgelegten Schulzeugnissen von 1994, Februar 1995 und Juni 1995 ergibt sich, dass er zu dem insoweit maßgeblichen Zeitpunkt die deutsche Sprache im Sinne dieser Vorschrift beherrscht hat.

Maßgeblich für die Entscheidung über das Vorliegen dieser Voraussetzung ist allerdings der Zeitpunkt der Vollendung des 16. Lebensjahres durch den Kläger, denn zu diesem Zeitpunkt mussten die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vorliegen (vgl. Hess. VGH, a.a.O.).

Mit der Vorlage der Schulzeugnisse hat der Kläger nachgewiesen, dass er zu diesem Zeitpunkt die deutsche Sprache im Sinne des § 20 Abs. 4 Nr. 1 1. Alternative AuslG beherrscht hat. Im Gegensatz zur Auffassung der Ausländerbehörde verlangt diese Vorschrift nicht ganz besonders gute oder gar sehr gute Sprachkenntnisse (so allerdings noch OVG Hamburg, 18.04.1991 - Bs V 30/91) in dem Sinne, dass der Betreffende in der deutschen Sprache "sehr bewandert" sein muss. Vielmehr ist Maßstab hierfür eine an den durchschnittlichen Deutschkenntnissen der jeweiligen Altersgruppe orientierte Beherrschung der deutschen Sprache, und zwar als Beherrschung des die Umgangssprache umfassenden Wortschatzes, der Fähigkeit zur Umsetzung dieses Wortschatzes im Gespräch sowie die Befähigung, sich der deutschen Sprache schriftlich ohne gravierende orthografische Mängel zu bedienen (GK-Ausländerrecht, § 20 Rdnr. 95; Renner, Ausländerrecht, § 20 AuslG Rdnr. 16; Hess. VGH, 6.7.1998 - 13 TZ 2209/98 -; 9.12.1998 - 6 TG 2688/98 -, InfAuslR 1999, 189). Dies unterscheidet sich im Übrigen nicht wesentlich von den Anforderungen, die im Fall einer beabsichtigten Einbürgerung an den Nachweis der hierfür erforderlichen Sprachkenntnisse gestellt werden (vgl. hierzu Hess. VGH, 19.08.2002 - 12 UE 1473/02 -, EZAR 271 Nr. 35), mit der Einschränkung, dass auf das durchschnittliche Sprachniveau gleichaltriger deutscher Kinder oder Jugendlicher abzustellen ist. In Nr. 86.1 der zur Einbürgerung nach §§ 85, 86 AuslG nach wie vor anwendbaren, aufgrund § 39 StAG erlassenen Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Staatsangehörigkeitsrecht (StAR-VwV) vom 13. Dezember 2000 (BAnz. 2001 Nr. 21a = GMBl. 2001, 122; Text auch in Renner, Verwaltungsvorschriften zum Staatsangehörigkeits- und zum Ausländerrecht, 2001, S. 1 ff.) ist hierzu bestimmt:

"86.1.1 Begriffsbestimmung

Ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache liegen vor, wenn sich der Einbürgerungsbewerber im täglichen Leben einschließlich der üblichen Kontakte mit Behörden in seiner deutschen Umgebung sprachlich zurecht zu finden vermag und mit ihm ein seinem Alter und Bildungsstand entsprechendes Gespräch geführt werden kann. Dazu gehört auch, dass der Einbürgerungsbewerber einen deutschsprachigen Text des alltäglichen Lebens lesen, verstehen und die wesentlichen Inhalte mündlich wiedergeben kann. Auf Behinderungen, die dem Einbürgerungsbewerber das Lesen oder Sprechen nachhaltig erschweren, ist Rücksicht zu nehmen.

Die Fähigkeit, sich auf einfache Art mündlich verständigen zu können, reicht nicht aus.

86.1.2 Nachweis der Sprachkenntnisse

Der Ausschlussgrund nicht ausreichender Kenntnisse der deutschen Sprache ist von der Einbürgerungsbehörde zu prüfen. Die erforderlichen Sprachkenntnisse sind in der Regel nachgewiesen, wenn der Einbürgerungsbewerber

a) das Zertifikat Deutsch oder ein gleichwertiges Sprachdiplom erworben hat,

b) vier Jahre eine deutschsprachige Schule mit Erfolg (Versetzung in die nächsthöhere Klasse) erworben hat,

c) einen Hauptschulabschluss oder wenigstens gleichwertigen deutschen Schulabschluss erworben hat,

d) in die zehnte Klasse einer weiterführenden deutschsprachigen Schule (Realschule, Gymnasium oder Gesamtschule) versetzt worden ist oder

e) ein Studium an einer deutschsprachigen Hochschule oder Fachhochschule oder eine deutsche Berufsausbildung erfolgreich abgeschlossen hat.

Sind die erforderlichen Kenntnisse der deutschen Sprache nicht oder nicht hinreichend nachgewiesen, soll das persönliche Erscheinen des Einbürgerungsbewerbers zur Überprüfung der Sprachkenntnisse angeordnet werden, vergleiche Nummer 91.1. Die Anforderungen des Zertifikats Deutsch (ISBN 3-933908-17-5) sind dafür ein geeigneter Maßstab."

Bei der Bestimmung der zu stellenden Anforderungen ist außerdem zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber an den Nachweis der Integrationsfähigkeit möglicherweise erst kürzlich nachgezogener Jugendlicher und Kinder unter sechzehn Jahren jedenfalls nicht noch höhere Anforderungen stellen wollte, als nach § 86 AuslG für den Nachweis der für eine erfolgreiche Eingliederung in Deutschland sowie für die Beteiligung am politischen Willensbildungsprozess notwendigen Sprachkenntnisse für erforderlich gehalten wird. Dass es sich bei den vom Gesetzgeber in den unterschiedlichen Vorschriften aufgestellten Anforderungen an die Beherrschung der deutschen Sprache um abgestufte Anforderungen handelt und deshalb keine Mindestdauer des Schulbesuchs erforderlich ist, ergibt sich auch aus der Verwaltungspraxis zu § 26 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AuslG, wonach für die Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis an volljährige nachgezogene Kinder als Nachweis für ausreichende deutsche Sprachkenntnisse ein mindestens vierjähriger Besuch einer deutschen Schule verlangt wird. An die noch minderjährigen, erlaubnisfrei nachgezogenen Jugendlichen können zur Erteilung einer befristeten Aufenthaltserlaubnis nicht gleichlautende Anforderungen gestellt werden, da es sich hierbei zwangsläufig um eine niedrigere Stufe nachweisbarer Integration handelt. Es kommt demnach darauf an, ob aus den sprachlichen Kenntnissen Rückschlüsse auf eine rasche und vollständige Integration innerhalb kurzer Zeit möglich sind, diese kann und muss aber noch nicht abgeschlossen sein, wie erst später eingreifende Verfestigungsstufen von Integration und Aufenthalt zeigen. Danach kann kein ideales oder optimales Niveau der Sprachkenntnisse verlangt werden, sondern es ist lediglich ein für die Kommunikation mit anderen Menschen und gegebenenfalls mit staatlichen und privaten Stellen erforderliches Maß handeln, das die mündliche und schriftliche Beherrschung der Sprache umfasst (ausführlich für den Fall der Einbürgerung Hess. VGH, 19.08.2002 - 12 UE 1473/02).

Diese Fähigkeiten hat der Kläger mit dem ihm am 15. Juli 1994 erteilten Schulzeugnis, das die Note "befriedigend" im Fach "Deutsch" aufweist, aus der Sicht des erkennenden Senats hinreichend nachgewiesen. Insbesondere sind mit der Vorlage des Originals dieses Zeugnisses in der mündlichen Verhandlung auch die Bedenken der Beklagten ausgeräumt worden, die sich auf die Nichtvorlage des Zeugnisses im Verwaltungsverfahren und in dem erstinstanzlichen Gerichtsverfahren sowie auf die Vorlage lediglich von Fotokopien mit dem Zulassungsantrag gründeten. Mit der Note "befriedigend" oder besser sind durchschnittliche schriftliche und mündliche Sprachkenntnisse im Vergleich zu den übrigen Jugendlichen dieses Alters nach Auffassung des erkennenden Senats in jedem Fall belegt, und zwar für den gesamten Zeitraum des 2. Schulhalbjahres 1993/94, der auch die letzten Monate vor der Vollendung des 16. Lebensjahres durch den Kläger und damit den hier maßgeblichen Zeitpunkt umfasst.

Diese Einschätzung wird mit der in den Schulzeugnissen aus dem Jahr 1995 nachgewiesenen weiteren Entwicklung auch bestätigt, denn die Deutschkenntnisse des Klägers wurden zu diesen Zeitpunkten jeweils mit "gut" bewertet, und es bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass diese Benotungen unrichtig sind, sich nicht auf den gesamten Zeitraum des jeweiligen Schulhalbjahres beziehen oder dass die Bewertung ihrerseits an einem anderen als dem üblichen Bewertungsmaßstab orientiert ist.

Da der Kläger die Voraussetzung der Beherrschung der deutschen Sprache erfüllt, kommt es auf konkrete Feststellungen dazu, ob er sich in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland zum maßgeblichen Zeitpunkt der Vollendung des 16. Lebensjahres eingefügt hat, nicht an. Unbeachtlich ist insoweit auch, ob es zwischenzeitlich an einer ordnungsgemäßen polizeilichen Anmeldung gefehlt hat und der Pass abgelaufen war, was zudem im Wesentlichen auf den während der Verfahrensdauer ungesicherten aufenthaltsrechtlichen Status zurückzuführen ist. Das zunächst von der Ausländerbehörde der Beklagten im Erstbescheid angeführte Ermittlungsverfahren wegen Landfriedensbruchs hat offensichtlich zu keinerlei Strafverfahren geführt, so dass auch das Vorliegen eines Ausweisungsgrundes nicht festgestellt werden kann.

Der im Hauptantrag auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis gerichteten Klage kann jedoch nicht in vollem Umfang stattgegeben werden, da eine Reduzierung des der Beklagten in § 20 Abs. 4 und § 17 Abs. 5 AuslG eingeräumten Ermessens auf die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis als allein mögliche Entscheidung auch wegen der fehlenden Belege für die Erfüllung der Voraussetzungen des § 17 Abs. 2 Nr. 2 und 3 AuslG nicht festgestellt werden kann; es war deshalb über den Hilfsantrag zu entscheiden. Die mit diesem Hilfsantrag erhobene Bescheidungsklage ist auch statthaft, da die hierfür maßgeblichen tatsächlichen Umstände sich nicht zuletzt auf Grund der Verfahrensdauer verändert haben und der Beklagten sowohl in § 17 Abs. 5 AuslG als auch in § 20 Abs. 4 AuslG Ermessen eingeräumt ist, von dem diese bisher noch in keiner Weise Gebrauch gemacht hat. Die im Hinblick auf eine tatbestandliche Voraussetzung des § 20 Abs. 4 AuslG rechtswidrige Ablehnung der vom Kläger erstrebten Begünstigung hat hier in der Folge im Zusammenhang mit der Fortdauer des Verfahrens und der zwangsläufigen Änderung tatsächlicher Verhältnisse unter anderem durch die zwischenzeitlich eingetretene Volljährigkeit des Klägers und der sich daraus ergebenden Änderung im Hinblick auf die Unterhaltspflichten des Vaters bisher daran gehindert, eine ausreichende Sachaufklärung zu erlangen. Während der Kläger zum Zeitpunkt der Stellung seines Antrags auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis das Vorliegen der Voraussetzungen des § 17 AuslG dargetan und unter Vorlage eines Mietvertrages über die Wohnung seines Vaters, bei dem er lebte, sowie dessen Verdienstbescheinigung belegt hat, fehlen Nachweise, die die von ihm vorgebrachte Erfüllung der Voraussetzungen des § 17 Abs. 2 Nr. 2 und 3 AuslG zum insoweit maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats belegen. Aus dem Vortrag des mittlerweile volljährigen Klägers dazu, dass er gemeinsam mit seinen Geschwistern aus der väterlichen Wohnung ausgezogen sei und nunmehr mit diesen in einer Wohnung zusammenlebe, die etwa 67 qm groß sei, und dass seine Geschwister ihm gegenüber Sachleistungen zur Gewährung des Lebensunterhalts sowie einen monatlichen Geldbetrag von etwa 100 € als Taschengeld erbringen, ergibt sich allerdings, dass diese Voraussetzungen aller Wahrscheinlichkeit nach erfüllt sein dürften. Es fehlt jedoch an Nachweisen in Form einer Verpflichtungserklärung der Geschwister oder des Vaters gemäß 84 AuslG zu Gunsten des Klägers ebenso wie an der Vorlage eines Mietvertrages und des gemäß § 4 AuslG erforderlichen gültigen Passes, die sämtlich der Ausländerbehörde vorzulegen sind.

Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Vermeidung einer besonderen Härte nach § 20 Abs. 4 Nr. 2 AuslG ist abgelehnt worden, ohne dass in diesem Zusammenhang Ermessensfehler feststellbar sind, denn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte hierfür wurden, wie oben schon festgestellt, allein mit dem auf Grund ihrer Übersiedlung nach Deutschland erfolgten Ausfall der Großmutter als Betreuungsperson bei gleichzeitig offensichtlich möglicher Unterbringung des damals fünfzehnjährigen Klägers in der Türkei bei seiner Mutter nicht dargelegt.

Ein Anspruch nach Art. 7 1. Spiegelstrich ARB 1/80, wonach die Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedsstaats angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen, das Recht haben, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben, wenn sie dort mindestens drei Jahre ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben, kommt hier nicht in Betracht. Unabhängig davon, ob es insoweit auf den Zeitpunkt der Vollendung des 16. Lebensjahres oder auf den Zeitpunkt der Antragstellung ankommt, liegen die Voraussetzungen eines mindestens dreijährigen ordnungsgemäßen Aufenthaltes nicht vor. Selbst wenn man davon ausgehen wollte, dass der Aufenthalt des Klägers mit nunmehriger Erteilung der Aufenthaltserlaubnis seit dem Zeitpunkt der Antragstellung rechtmäßig ist und die zwischen Vollendung des 16. Lebensjahres und Antragstellung in Folge der verspäteten Antragstellung eingetretene Unterbrechung der Rechtmäßigkeit nach § 97 AuslG außer Betracht bleibt, hatte der Kläger zum insoweit maßgeblichen Zeitpunkt lediglich über höchstens 21 Monate einen ordnungsgemäßen Wohnsitz bei seinem Vater in Deutschland.

Mit der Versagung der Aufenthaltsgenehmigung ist auch die Abschiebungsandrohung wegen Fortfalls ihrer Grundlage als rechtswidrig aufzuheben (vgl. §§ 49, 50 AuslG).

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens, die vorläufige Vollstreckbarkeit und die Nichtzulassung der Revision beruht auf §§ 154, 167 VwGO i.V.m. §§ 708, 711 ZPO und auf § 132 Abs. 2 VwGO.

Ende der Entscheidung

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