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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 05.08.2002
Aktenzeichen: 12 UE 2982/00.A
Rechtsgebiete: AuslG


Vorschriften:

AuslG § 51
Nachdem sich die Lage im Südosten der Türkei in den letzten Monaten erheblich verändert hat, kann eine Gruppenverfolgung kurdischer Volkszugehöriger seit etwa Beginn des Jahres 2002 nicht mehr angenommen werden. Kurdischen Volkszugehörigen kann daher die Rückkehr sowohl in die noch unter Notstandsrecht stehenden Provinzen als auch in alle Gebiete außerhalb der Notstandsprovinzen zugemutet werden; auf das Bestehen einer zumutbaren inländischen Fluchtalternative und die Möglichkeit, dort das notwendige Existenzminimum zu erzielen, kommt es insoweit nicht mehr an.
Hessischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes Urteil

12 UE 2982/00.A

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Asylrechts

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 12. Senat - durch Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Dr. Renner, Richterin am Hess. VGH Thürmer, Richter am Hess. VGH Dr. Dieterich, ehrenamtliche Richterin Höf, ehrenamtlicher Richter Hofmann auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 5. August 2002 für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen vom 11. September 1998 wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, falls der Kostengläubiger nicht seinerseits Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der am in B. (Türkei) geborene Kläger reiste am 20. März 1996 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 28. März 1996 einen Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter. Bei seiner Anhörung am 21. Mai 1996 vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge gab er an, er habe in seinem Heimatort B. in seinem eigenen Ziegelwerk gearbeitet bis er dieses im Jahr 1994 habe schließen müssen. Er sei von der PKK und vom Militär unterdrückt und schikaniert worden, seitens der PKK durch Schutzgelderpressung und vom Militär mit mehreren Festnahmen. Die letzte Festnahme sei 1993 gewesen, danach habe er das Werk schließen müssen. Am 20. März 1996 sei er deshalb mit einem TIR-LKW über Istanbul ausgereist; seine Frau und die Kinder seien in G. bei B. geblieben.

Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge lehnte mit Bescheid vom 28. Juni 1996 den Asylantrag sowie die begehrte Feststellung von Abschiebungshindernissen nach §§ 51 und 53 AuslG ab und drohte dem Kläger die Abschiebung in sein Heimatland Türkei an. Zur Begründung wurde ausgeführt, die vom Kläger berichteten Vorfälle seien nicht asylrelevant und hätten die Zumutbarkeitsschwelle nicht überschritten; außerdem stehe ihm eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung.

Mit seiner am 5. Juli 1996 erhobenen Klage hat der Kläger die Anerkennung als Asylberechtigter und die Feststellung von Abschiebungshindernissen gemäß § 51 AuslG und gemäß § 53 AuslG begehrt und sich zur Begründung auf sein bisheriges Vorbringen sowie darauf berufen, dass sein Bruder A. als Asylberechtigter anerkannt worden sei und davon ausgegangen werden müsse, dass dieser im Computer in der Türkei registriert sei; bei einer Rückkehr drohe ihm, dem Kläger, daher die Gefahr der Sippenhaft.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Gießen am 11. September 1998 gab der Kläger weiter an, das Ziegelwerk habe wegen einiger Vorfälle geschlossen werden müssen, später sei dort eine Sicherheitswache gebaut worden. Er sei einige Male verhört worden, und die PKK habe Geld von ihm verlangt. Im Jahr 1993 sei er festgenommen worden, danach habe er die Gegend verlassen; nach der Schließung der Fabrik sei er auch finanziell pleite gewesen. Er sei weiterhin unter Druck gesetzt worden und insgesamt zwei Wochen in Haft gewesen. Er befürchte bei Rückkehr Verfolgung, da sein Bruder als Asylberechtigter anerkannt worden sei.

Nach Rücknahme der auf die Asylanerkennung gerichteten Klage hat der Kläger beantragt, den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 28. Juni 1996 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass die Voraussetzungen der §§ 51 Abs. 1 und 53 AuslG vorliegen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Bundesbeauftragte hat keinen Antrag gestellt und sich auch nicht am Verfahren beteiligt.

Mit Urteil vom 11. September 1998 hat das Verwaltungsgericht Gießen die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, es lägen keine Anhaltspunkte für eine vom Kläger erlittene politische Vorverfolgung vor. Es bestehe auch keine Gefahr der Sippenhaft bei Rückkehr, da der Bruder des Klägers nicht mit Haftbefehl in der Türkei gesucht werde.

Die mit Beschluss des erkennenden Senats vom 31. August 2000 zugelassene Berufung begründet der Kläger unter Bezugnahme auf sein bisheriges Vorbringen mit der ihm bei Rückkehr insbesondere drohenden Gefahr der Sippenhaft. Die im Heimatort verbliebene Familie sei drangsaliert und seine Ehefrau mehrfach zur Wache mitgenommen worden, um seinen Aufenthaltsort zu erfragen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen vom 11. September 1998 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 28. Juni 1996 zu verpflichten festzustellen, dass in seiner Person die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG, hilfsweise die Voraussetzungen des § 53 AuslG vorliegen.

Die Beklagte und der Bundesbeauftragte haben keine Anträge gestellt.

Über die Asylgründe des Klägers ist aufgrund des Beweisbeschlusses vom 24. Juni 2002 Beweis erhoben worden durch dessen Vernehmung als Beteiligter. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Niederschrift über den Termin vor der Berichterstatterin am 10. Juli 2002 Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte nebst den vom Kläger vorgelegten Unterlagen und die ihn betreffenden Behördenakten der Beklagten (Az.: D 2 094 698 - 163) Bezug genommen. Diese waren ebenso Gegenstand der mündlichen Verhandlung wie die nachfolgend aufgeführten, den Beteiligten mit Schreiben der Berichterstatterin vom 10. Juli 2002 bekannt gegebenen Erkenntnisquellen:

Kurden Allgemein (KA)

1. 12.06.1981 Sachverständiger Roth vor VG Hamburg

2. 12.06.1981 Sachverständige Kappert vor VG Hamburg

3. 09.08.1981 a. i. an VG Mainz

4. 20.11.1981 Auswärtiges Amt an Bay. VGH

5. 10.11.1982 Nebez vor VG Berlin

6. 10.11.1982 Kaya vor VG Berlin

7. 11.11.1982 Taylan vor VG Berlin

8. 15.11.1982 von Sternberg-Spohr vor VG Berlin

9. 15.11.1982 Roth vor VG Berlin

10. 03.01.1983 Auswärtiges Amt an VG Hannover

11. 18.02.1983 Max-Planck-Institut Heidelberg an VG Karlsruhe

12. 12.06.1983 Oehring an VGH Baden-Württemberg

13. 06.02.1984 Gesellschaft für bedrohte Völker an VG Hamburg

14. Mai 1984 Bericht der Delegation Fischer u. a.

15. 29.05.1984 Kappert an VGH Baden-Württemberg

16. Sept. 1985 Das türkische Sprachenverbotsgesetz

17. 15.03.1987 Auswärtiges Amt - Lagebericht Türkei

18. 29.06.1987 Auswärtiges Amt - Lagebericht Türkei

19. 27.07.1990 Auswärtiges Amt an VG Oldenburg

20. 28.01.1991 FAZ: "Ankara hebt Verbot des Kurdischen auf"

21. 31.07.1991 Auswärtiges Amt an OVG Saarland

22. 10.10.1991 Auswärtiges Amt an VG Stade

23. 10.12.1991 FR: "Demirel nennt Kurden Brüder"

24. 20.02.1992 Auswärtiges Amt - Lagebericht Türkei

25. 18.05.1992 Taylan an OVG Hamburg

26. 12.06.1992 Auswärtiges Amt - Lagebericht Türkei

27. 20.08.1992 SZ: "Özal kündigt Erleichterungen an"

28. 15.09.1992 Rumpf an VG Bremen

29. 30.10.1992 Auswärtiges Amt - Lagebericht Türkei

30. 15.01.1993 a. i. an VG Stuttgart

31. 08.03.1993 Rumpf an VG Wiesbaden

32. 28.04.1993 Auswärtiges Amt - Lagebericht Türkei

33. 17.05.1993 Der Spiegel: "Den eigenen Vater foltern"

34. 02.06.1993 Kaya an OVG Schleswig-Holstein

35. 15.07.1993 Auswärtiges Amt an Regierungspräsidium Ludwigsburg

36. 06.08.1993 a. i., Türkei - Menschenrechtsverletzungen an Kurden

37. 11.08.1993 FR: "Staatliche Gewalt"

38. 16.08.1993 SZ: "140.000 Soldaten gegen Kurden im Einsatz"

39. 21.08.1993 a. i., Türkei (Kurden)

40. 27.08.1993 taz: "Hier gibt es keine zivile Gewalt, nur Militär"

41. 02.09.1993 FR: "Im Kurdenkonflikt setzt Tansu Ciller aufs Militär"

42. 18.09.1993 FR: "Publizist in Ankara verhaftet"

43. 20.09.1993 Kaya an VG Aachen

44. 23.09.1993 Gesellschaft für bedrohte Völker an VG Frankfurt am Main

45. 20.10.1993 Kaya an VG Köln

46. 25.10.1993 SZ: "Berichte über Hunderte von getöteten Kurden"

47. 26.10.1993 FR: "Ausnahmezustand in Türkei verlängert"

48. 28.10.1993 FR: "Türkei will kurdische Rebellen ausrotten"

49. 29.10.1993 taz: "Der Kampf gegen den Terror"

50. 29.10.1993 Auswärtiges Amt an VG Aachen

51. 30.10.1993 FR: "Armee - Angriff auf Lice bestätigt"

52. 10.11.1993 FR: "Hilferufe aus Kurdendorf"

53. 11.11.1993 FR: "Parlament verlängert Notstand"

54. 16.11.1993 Auswärtiges Amt - Lagebericht Türkei

55. 07.01.1994 Auswärtiges Amt an VG Bremen

56. 28.01.1994 a. i. an VG Ansbach

57. 20.04.1994 Kaya an VG Kassel

58. 10.05.1994 Oberdiek an VG Frankfurt am Main

59. 06.06.1994 Auswärtiges Amt - Lagebericht Türkei

60. 30.06.1994 Rumpf an VG Frankfurt am Main

61. 23.08.1994 Rumpf an VG Frankfurt am Main

62. 17.11.1994 a. i.: Menschenrechtsverletzungen an Kurden in der Türkei

63. 02.01.1995 dpa: "Tote bei PKK-Überfall im türkischen Kurdengebiet"

64. 04.01.1995 Auswärtiges Amt an OVG Hamburg

65. 09.01.1995 FAZ: "Pro-Kurdische Zeitungen beschlagnahmt"

66. 17.01.1995 Auswärtiges Amt - Lagebericht Türkei

67. 24.01.1995 dpa: "PKK will Genfer Konvention anerkennen"

68. 17.02.1995 FR: "PKK nennt manche türkische Lehrer Agenten"

69. 25.02.1995 FR: "Menschenrechtler gibt auf"

70. 07.03.1995 Rumpf an OVG Hamburg

71. 13.03.1995 Auswärtiges Amt - Lagebericht Türkei

72. 13.03.1995 dpa: "Schwerste Unruhen in Istanbul seit 15 Jahren"

73. 24.03.1995 FR: "Sorge um verschollene Reporter"

74. 07.04.1995 FAZ: "PKK-Rebellen kämpfen erstmals im Süden der Türkei"

75 10.04.1995 FR: "Für jedes Ohr gibt es eine Prämie"

76. 19.04.1995 SZ: "Mindestens 23 Tote bei Kämpfen in der Türkei"

77. 22.05.1995 Die Welt: "Acht PKK-Kämpfer bei Diyarbakir getötet"

78. 24.05.1995 Auswärtiges Amt an VG Aachen

79. 26.05.1995 Oberdiek an VG München

80. 02.06.1995 SZ: "Aktion gegen mysteriöses Verschwinden in der Türkei"

81. 07.06.1995 dpa: "Deutscher amnesty-Ermittler aus der Türkei ausgewiesen"

82. 16.06.1995 Die Zeit: "Hörst du einen Schrei?"

83. 22.06.1995 Kaya vor OVG Schleswig-Holstein

84. 24/25.6.1995 SZ: "Demirel ruft Kurden zum Frieden auf"

85. 24.06.1995 Kaya an VG München

86. 12.07.1995 Auswärtiges Amt an VG Freiburg

87. 08.08.1995 FR: "Abgeordneter berichtet von Kurdenvertreibung"

88. 18.08.1995 FAZ: "Deutsche Aktivisten wieder frei"

89. 18.08.1995 NZZ: "Kurdenzeitung in der Türkei geschlossen"

90. Sept. 1995 a.i., Report Türkei

91. 01.09.1995 SZ: "Türkischer Journalist in der Haft gestorben"

92. 13.09.1995 dpa: "Wieder 23 Tote bei Kämpfen in türkischen Kurdengebieten"

93. 12.10.1995 dpa: "In Deutschland geehrt, in der Heimat Türkei mit Gefängnis bedroht"

94. 13.10.1995 Die Zeit: "Exil in der Heimat" 95. 26.11.1995 dpa: "Türkische Menschenrechtsstiftung: Weiter Folter von Festgenommenen"

96. 29.11.1995 dpa: "Mindestens 18 Tote bei Kämpfen in Kurdengebieten der Türkei"

97. 30.11.1995 Kaya an VG Freiburg

98. 2./3.12.1995 SZ: "Europa siegt in Istanbul"

99. 07.12.1995 Auswärtiges Amt: Lagebericht

100. 18.12.1995 FR: "Soldaten töten vier PKK-Kämpfer"

101. 21.12.1995 FR: "Journalisten verurteilt"

102. 02.01.1996 SZ: "Kämpfe im Herzen der Türkei"

103. 02.01.1996 FR: "Kämpfe mit Kurden jetzt auch in Zentralprovinz"

104. 09.01.1996 FR: "Schläge beim morgendlichen Zählappell"

105. 11.01.1996 FR: "Journalist zu Tode gefoltert"

106. 15.01.1996 FR: "Islamistische Wohlfahrtspartei bleibt weiter ohne Partner"

107. 17.01.1996 NZZ: "Eingeständnis Ankaras zum jüngsten Journalistenmord" und "Rache der PKK an Dorfmiliz in Südostanatolien"

108. 30.01.1996 Auswärtiges Amt an VG Freiburg

109. 02.02.1996 FR: "Keine Besserung für Kurdistan"

110. 10.04.1996 SZ: "100 PKK-Terroristen getötet"

111. 17.04.1996 Auswärtiges Amt: Lagebericht Türkei

112. 10.06.1996 dpa: "PKK kündigt verstärkte militärische Aktivitäten in der Türkei an"

113. 11.07.1996 dpa: "Türkische Luftwaffe bombardierte PKK-Lager im Norden des Irak"

114. 04.12.1996 Auswärtiges Amt - Lagebericht

115. 20.12.1996 Oberdiek an OVG Schleswig-Holstein

116. 01.02.1997 Taylan an OVG Schleswig-Holstein

117. 28.02.1997 Auswärtiges Amt an OVG Schleswig-Holstein

118. 02.04.1997 Rumpf an VG Bremen

119. 02.04.1997 Oberdiek an OVG Mecklenburg-Vorpommern

120. 10.04.1997 Auswärtiges Amt - Lagebericht

121. 14.10.1997 Auswärtiges Amt an VG Bremen

122. 31.03.1998 Auswärtiges Amt - Lagebericht Türkei

123. 22.06.1998 Gesellschaft für bedrohte Völker an VG Kassel

124. 29.07.1998 Gesellschaft für bedrohte Völker an VG Freiburg

125. 18.08.1998 Kaya an VG Würzburg

126. 18.09.1998 Auswärtiges Amt - Lagebericht Türkei

127. 22.12.1998 Dokumentation des Auswärtigen Amtes

128. 15.01.1999 Kaya an VG Sigmaringen

129. 03.02.1999 a.i. - Gefährdung von Kurden im Fall ihrer Rückkehr in die Türkei

130. 24.02.1999 a.i. an VG Berlin

131. 29.04.1999 Oberdiek an VG Berlin

132. 30.04.1999 a.i. an VG Aachen

133. 01.07.1999 a.i. an VG Bremen

134. 07.09.1999 Auswärtiges Amt - Lagebericht

135. 13.09.1999 Kaya an VG Darmstadt

136. 24.09.1999 Die Welt: "Angeklagt für das Zitieren türkischer Soldaten"

137. 29.09.1999 Frankfurter Rundschau: "Armee tötet PKK-Kämpfer"

138. 30.09.1999 Neue Zürcher Zeitung: "Neue türkische Offensive im Nordirak"

139. 20.10.1999 Frankfurter Rundschau: "Gericht lässt Polizisten gehen"

140. 25.11.1999 Internationaler Verein für Menschenrechte der Kurden (IMK) Wocheninformationsbrief Nr. 44/45

141. 02.12.1999 FR: "Minderheit in der PKK will den Kampf fortsetzen"

142. 11.12.1999 NZZ: "Anhaltende Kämpfe im Südosten"

143. 16.12.1999 IMK-Wocheninformationsdienst Nr. 47

144. 30.12.1999 FR: "Birdal-Attentäter zu hohen Haftstrafen verurteilt"

145. 11.01.2000 FR: "Tote bei Kämpfen mit PKK"

146. 13.01.2000 IMK-Wocheninformationsdienst Nr. 49

147. 27.01.2000 IMK-Wocheninformationsdienst Nr. 51

148. 04.02.2000 Die Welt: "Gericht spricht Menschenrechtler frei"

149. 09.02.2000 SZ: "Abgeschobener Kurde in der Türkei gefoltert"

150. 19.02.2000 SZ: "Sendeverbot für CNN wegen PKK-Diskussion"

151. 03.03.2000 FR: "Türkei: Neun Tote bei Kämpfen"

152. 04.03.2000 Die Welt: "Polizisten trotz Schuldspruchs auf freiem Fuß"

153. 09.03.2000 IMK-Wocheninformationsdienst Nr. 55/56

154. 11.03.2000 NZZ: "Kämpfe zwischen PKK und Armee in Ostanatolien"

155. 13.03.2000 NZZ: "Über 300 Festnahmen vor Demonstration in Istanbul"

156. 15.03.2000 FR: "Ecevit will Gesetz entschärfen"

157. 16.03.2000 Die Welt: "Ankara verschließt sich Reformen"

158. 21.03.2000 Die Welt: "Behörden verbieten Empfang der prokurdischen HADEP-Partei"

159. 22.03.2000 FR: "Hunderttausende Kurden feiern friedlich Newroz"

160. 04.04.2000 Die Welt: "Ankara setzt Offensive gegen PKK im Nordirak fort"

161. 22.04.2000 FR: "Öcalan-Bruder beschuldigt"

162. 03.05.2000 NZZ: "Kämpfe im Südosten der Türkei"

163. 12.05.2000 FR: "Türkische Armee tötet 53 kurdische Rebellen"

164. 15.05.2000 FR: "Kurdische Musik verpönt"

165. 16.05.2000 taz: "Presse: Haft für Morde"

166. 20.05.2000 taz: "Türkei Menschenrechte - IHD-Büro geschlossen"

167. 27.05.2000 NZZ: "Vorstoß der türkischen Armee in den Nordirak?"

168. 29.05.2000 SZ: "Türkisches Parlament deckt Polizei-Folter auf"

169. 30.05.2000 SZ: "Istanbul verbietet Demokratie-Symposium"

170. 31.05.2000 Die Welt: "Menschenrechtler übergeben Folterwerkzeuge an Ermittler"

171. 09.06.2000 FR: "Zensur in der Türkei angeprangert"

172. 16.06.2000 FR: "Anwalt setzt sich für Soysal ein - Ehemaligem PKK Funktionär droht in Ankara Todesstrafe"

173. 22.06.2000 Auswärtiges Amt - Lagebericht

174. 24.06.2000 taz: "Reformen in der Warteschleife"

175. 28.06.2000 Die Welt: "30 Mitglieder von kurdischer Partei festgenommen"

176. 12.07.2000 Auswärtiges Amt an VG Bremen

177. 20.07.2000 taz: "Ecevit will gegen Folter vorgehen"

178. 18.08.2000 taz: "PKK-Dissidenten sind auf dem Vormarsch"

179. 21.08.2000 Auswärtiges Amt an VG Gießen

180. 13.09.2000 FR: "Journalisten verhaftet"

181. 16.09.2000 taz: "Justiz prüft Interview"

182. 16.09.2000 FR: "Weniger Repression in der Türkei - Bericht über Fortschritte, aber Folter immer noch alltäglich"

183. 02.10.2000 taz: "Autorin freigesprochen"

184. 20.10.2000 IMK-Wocheninformationsdienst Nr. 82/83

185. 06.11.2000 FR: "Kurdische Politiker verhaftet"

186. 01.03.2001 Auswärtiges Amt an VG Sigmaringen

187. 10.04.2001 Auswärtiges Amt an VG Schleswig-Holstein

188. 03.05.2001 FR:" Man weiß nie, was Anstoß erregt - in der Türkei üben viele Journalisten Selbstzensur"

189. 05.05.2001 Kaya an VG Schleswig-Holstein

190. 18.05.2001 FR: "Polizei verhaftet Kurdenpolitiker"

191. 15.06.2001 taz: "Engagierte Anwältin vor Gericht"

192. 05.07.2001 nadir info system: "BRD & Türkei: Mit deutscher Polizeibegleitung direkt in türkische Haft"

193. 24.07.2001 Auswärtiges Amt - Lagebericht

194. 14.08.2001 FR: "Kritik an Zwangsräumung zweier kurdischer Dörfer"

195. 27.08.2001 NZZ: "Zunahme von Beschwerden über Folter in der Türkei"

196. 28.08.2001 Die Welt: "50 Frauen bei prokurdischer Kundgebung festgenommen"

197. 01.09.2001 NZZ: "Verletzte bei Polizeieinsatz im Osten der Türkei"

198. 03.09.2001 NZZ: "Proteste von Kurden in der Türkei - Zahlreiche Festnahmen"

199. 08.09.2001 SZ: "16 Justizangestellte in der Türkei verurteilt"

200. 10.09.2001 Der Spiegel: "Folter und Misshandlungen beim EU-Kandidaten"

201. 27.09.2001 FR: "Menschenrechtlerin verlässt Partei von Premier Ecevit"

202. 04.10.2001 FR: "Parlament billigt Verfassungsreform"

203. 13.10.2001 FR: "Lokalzeitung in der Türkei verboten"

204. 09.11.2001 NZZ: "Weniger Kritik wegen Folter in der Türkei"

205. 10.01.2002 FR: "HADEP Mitglieder festgenommen"

206. 28.01.2002 taz: "Verbotsverfahren gegen HADEP"

207. 07.02.2002 FR: "PKK verabschiedet sich"

208. 16.02.2002 taz: "1229 Folterungen"

209. 25.02.2002 FR: "2001 war in der Türkei Jahr der Repression"

210. 07.03.2002 FR: "PKK reicht Ankaras Teilamnestie-Angebot nicht"

211. 20.03.2002 Auswärtiges Amt - Lagebericht

212. 22.03.2002 FR: "Türkische Kurden demonstrieren für Demokratie"

213. 27.03.2002 FAZ: "Skepsis gegenüber Wandel der PKK"

214. 28.03.2002 FR: "Festnahme wegen Demonstration für kurdisch-sprachigen Unterricht"

215. 17.04.2002 FR: "Die PKK-Anhänger müssen künftig "Kadek" skandieren"

216. 01.06.2002 FR: "Ausnahmezustand aufgehoben"

Fluchtalternative-Existenzminimum (FA)

1. 31.10.1990 Rumpf an VG Hamburg

2. 23.10.1992 FR: "Krieg lässt die Kurdenprovinzen auch wirtschaftlich ausbluten"

3. 24.11.1992 a.i. an VG Bremen

4. 05.03.1993 Zeuge Ayzit vor VG Hamburg

5. März 1994 Saarländische Kurden-Delegation: Inländische Fluchtalternative Westtürkei

6. 28.01.1997 Ges. für bedrohte Völker an OVG Schleswig-Holstein

7. 17.06.1997 Auswärtiges Amt an VG Hamburg

8. 20.08.1997 Rumpf an VG Hamburg

9. 14.10.1997 Kaya an OVG Greifswald

10. 20.10.1997 Auswärtiges Amt an Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge

11. 01.02.1998 Rumpf an VG Berlin

12. 09.07.1998 Auswärtiges Amt an VG Saarlouis

13. 12.11.1999 FR: "Zehn-Millionen-Note soll das Ende der Fahnenstange sein"

14. 27.04.2000 Oberdiek an OVG Hamburg

15. 29.04.2000 Kaya an OVG Hamburg

16. 13.05.2000 Taylan an OVG Hamburg

17. 05.06.2000 Auswärtiges Amt an OVG Hamburg

Sippenhaft (S)

1. 02.05.1984 Max-Planck-Institut Heidelberg an VGH Baden-Württemberg

2. 05.03.1990 Auswärtiges Amt an VG Hannover

3. 29.03.1990 amnesty international an VG Stade

4. 18.06.1990 Oehring an VG Hannover

5. 29.08.1991 Kaya an VG Hamburg

6. 18.01.1993 amnesty international an VG Köln

7. 14.11.1994 amnesty international an VG Bremen

8. 13.03.1995 amnesty international an VG München

9. 10.05.1995 Taylan an VG Mainz

10. 20.05.1995 Kaya an VG Mainz

11. 09.08.1995 Rumpf an VG Darmstadt

12. 14.08.1995 Auswärtiges Amt an VG Mainz

13. September 1995 amnesty international: Familien von "Verschwundenen" als Opfer

14. 25.09.1995 SZ: "Bruder des PKK-Führers vorübergehend festgesetzt

15. 25.02.1996 Taylan an VG Neustadt a. d. W.

16. 22.07.1996 amnesty international an VG Stuttgart

17. 15.11.1996 Oberdiek an VG Hamburg

18. 17.02.1997 Oberdiek an VG Hamburg

19. 14.03.1997 Gesellschaft für bedrohte Völker an VG Hamburg

20. 16.03.1997 Kaya an VG Gießen

21. 17.03.1997 Kaya an VG Stuttgart

22. 21.04.1997 Auswärtiges Amt an VG Bayreuth

23. 15.05.1997 Taylan vor VG Gießen

24. 15.05.1997 Rumpf an VG Hamburg

25. 20.08.1997 Rumpf an VG Hamburg

26. 11.02.1998 Dinc an VG Berlin

27. 11.03.1998 Kaya an VG Berlin

28. 15.04.1998 amnesty international an VG Hamburg

29. 24.07.1998 Rumpf an VG Berlin-Moabit

30. 05.01.1999 Auswärtiges Amt an VG Braunschweig

31. 05.05.1999 Oberdiek an VG Stuttgart

32. 03.08.1999 Auswärtiges Amt an VG Stuttgart

33. 13.10.1999 Kaya an VG Gelsenkirchen

34. 28.12.1999 Kaya an OVG Greifswald

35. 10.03.2000 Kaya an VG Darmstadt

36. 16.10.2000 Rumpf an OVG Greifswald

37. 23.05.2001 Auswärtiges Amt an VG Sigmaringen

38. 25.05.2001 Taylan an Rechtsanwälte

Entscheidungsgründe:

Die vom Senat zugelassene und auch sonst zulässige Berufung ist unbegründet.

Das Verwaltungsgericht hat die nur noch auf Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und von Abschiebungshindernissen gemäß § 53 AuslG gerichtete Klage zu Recht abgewiesen. Der insoweit angegriffene Bescheid der Beklagten ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, da er in dem nach § 77 Abs. 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt der Berufungsentscheidung keinen Anspruch auf die Feststellung hat, dass für ihn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen (A.) oder Abschiebungshindernisse gemäß § 53 AuslG bestehen (B.). Hieraus ergeben sich die zu treffenden Nebenentscheidungen (C.).

A.

Die Voraussetzungen für die als Flüchtlingsanerkennung geltende Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 51 Abs. 1 AuslG (vgl. §§ 3, 4 AsylVfG) decken sich in dem hier maßgeblichen Umfang mit denen für die Asylanerkennung nach Art. 16a Abs. 1 GG (vgl. dazu BVerwG, 26.1.1993 - 9 C 50.92 u.a. -, EZAR 230 Nr. 2 = NVwZ 1994, 500; BVerwG, 18.01.1995 - 9 C 48.92 -; BVerwGE 95, 42 = EZAR 230 Nr. 3).

Asylrecht als politisch Verfolgter im Sinne des mit dem früheren Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG übereinstimmenden Art. 16a Abs. 1 GG genießt, wer bei einer Rückkehr in seine Heimat aus politischen Gründen Verfolgungsmaßnahmen mit Gefahr für Leib und Leben oder Beeinträchtigungen seiner persönlichen Freiheit zu erwarten hat (BVerfG, 02.07.1980 - 1 BvR 147/80 u.a. -, BVerfGE 54, 341 = EZAR 200 Nr. 1). Wer unverfolgt seinen Heimatstaat verlassen hat, ist nur dann als Asylberechtigter anzuerkennen, wenn ihm aufgrund eines beachtlichen Nachfluchttatbestandes politische Verfolgung droht (§ 28 AsylVfG; BVerfG, 26.11.1986 - 2 BvR 1058/85 -, BVerfGE 74, 51 = EZAR 200 Nr. 18; BVerwG, 20.11.1990 - 9 C 74.90 -, BVerwGE 87, 152 = EZAR 201 Nr. 22). Eine Verfolgung ist in Anlehnung an den Flüchtlingsbegriff des Art. 1 Abschn. A Nr. 2 GK als politisch im Sinne von Art. 16a Abs. 1 GG anzusehen, wenn sie auf die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder die politische Überzeugung des Betroffenen zielt (BVerfG, 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 u.a. -, BVerfGE 76, 143 = EZAR 200 Nr. 20; BVerwG, 17.05.1983 - 9 C 874.82 -, BVerwGE 67, 195 = EZAR 201 Nr. 5, u. 26.06.1984 - 9 C 185.83 -, BVerwGE 69, 320 = EZAR 201 Nr. 8). Diese spezifische Zielrichtung ist anhand des inhaltlichen Charakters der Verfolgung nach deren erkennbarem Zweck und nicht nach den subjektiven Motiven des Verfolgenden zu ermitteln (BVerfG, 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 u.a. -, BVerfGE 80, 315, 344 = EZAR 201 Nr. 20; zur Motivation vgl. BVerwG, 19.05.1987 - 9 C 184.86 -, BVerwGE 77, 258 = EZAR 200 Nr. 19). Werden nicht Leib, Leben oder physische Freiheit gefährdet, sondern andere Grundfreiheiten wie etwa die Religionsausübung oder die berufliche und wirtschaftliche Betätigung, so sind allerdings nur solche Beeinträchtigungen asylrelevant, die nach Intensität und Schwere die Menschenwürde verletzen und über das hinausgehen, was die Bewohner des Heimatstaats aufgrund des dort herrschenden Systems allgemein hinzunehmen haben (BVerfG, 02.07.1980 - 1 BvR 147/80 u.a. -, a.a.O., u. 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 u.a. -, a.a.O.; BVerwG, 18.02.1986 - 9 C 16.85 -, BVerwGE 74, 31 = EZAR 202 Nr. 7). Die Gefahr einer derartigen Verfolgung ist gegeben, wenn dem Asylsuchenden bei verständiger Würdigung aller Umstände seines Falles politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, wobei die insoweit erforderliche Zukunftsprognose auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Tatsachenentscheidung abgestellt und auf einen absehbaren Zeitraum ausgerichtet sein muss (BVerwG, 03.12.1985 - 9 C 22.85 -, EZAR 202 Nr. 6 = NVwZ 1986, 760 m.w.N.). Die Prüfung der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erfordert eine qualifizierende Betrachtungsweise, die neben der Eintrittswahrscheinlichkeit auch die zeitliche Nähe des befürchteten Eingriffs berücksichtigt (BVerwG, 14.12.1993 - 9 C 45.92 -, EZAR 200 Nr. 30). Einem Asylbewerber, der bereits einmal politisch verfolgt war, kann eine Rückkehr in seine Heimat nur zugemutet werden, wenn die Wiederholung von Verfolgungsmaßnahmen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist (BVerfG, 02.07.1980 - 1 BvR 147/80 u.a. -, a.a.O.; BVerwG, 25.09.1984 - 9 C 17.84 -, BVerwGE 70, 169 = EZAR 200 Nr. 12 m.w.N.). Die Asylanerkennung kann wegen anderweitigen Verfolgungsschutzes, insbesondere nach Einreise aus einem sicheren Drittstaat ausgeschlossen sein (Art. 16a Abs. 2 GG; §§ 26a, 27, 29 Abs. 1 und 2 AsylVfG, Anlage I zum AsylVfG; vgl. vor allem BVerfG, 14.09.1996 - 2 BvR 1516/93 -, BVerfGE 94, 49 = EZAR 208 Nr. 7).

Der Asylbewerber ist aufgrund der ihm obliegenden prozessualen Mitwirkungspflicht gehalten, von sich aus umfassend die in seine eigene Sphäre fallenden Ereignisse substantiiert und in sich schlüssig zu schildern sowie eventuelle Widersprüche zu seinem Vorbringen in früheren Verfahrensstadien nachvollziehbar aufzulösen, so dass sein Vortrag insgesamt geeignet ist, den Asylanspruch lückenlos zu tragen (BVerwG, 08.05.1984 - 9 C 141.83 -, EZAR 630 Nr. 13 = NVwZ 1985, 36, 12.11.1985 - 9 C 27.85 -, EZAR 630 Nr. 23 = InfAuslR 1986, 79, u. 23.02.1988 - 9 C 32.87 -, EZAR 630 Nr. 25), und insbesondere auch den politischen Charakter der Verfolgungsmaßnahmen festzustellen (vgl. BVerwG, 22.03.1983 - 9 C 68.81 -, Buchholz 402.24 Nr. 44 zu § 28 AuslG, u. 18.10.1983 - 9 C 473.82 -, EZAR 630 Nr. 8 = ZfSH/SGB 1984, 281). Bei der Darstellung der allgemeinen Umstände im Herkunftsland genügt es dagegen, dass die vorgetragenen Tatsachen die nicht entfernt liegende Möglichkeit politischer Verfolgung ergeben (BVerwG, 23.11.1982 - 9 C 74.81 -, BVerwGE 66, 237 = EZAR 630 Nr. 1). Die Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung kann schließlich nur festgestellt werden, wenn sich das Gericht in vollem Umfang die Überzeugung von der Wahrheit des von dem Asylbewerber behaupteten individuellen Verfolgungsschicksals verschafft, wobei allerdings der sachtypische Beweisnotstand hinsichtlich der Vorgänge im Verfolgerstaat bei der Auswahl der Beweismittel und bei der Würdigung des Vortrags und der Beweise angemessen zu berücksichtigen ist (BVerwG, 12.11.1985 - 9 C 27.85 -, a.a.O.).

Nach diesen Grundsätzen sowie aufgrund der Begründung seines Asylantrags, der Anhörung des Klägers durch das Bundesamt am 21. Mai 1996, durch das Verwaltungsgericht und aufgrund der Vernehmung im Berufungsverfahren durch die Berichterstatterin am 10. Juli 2002 sowie aufgrund der in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen kann nicht zur Überzeugung des Senats festgestellt werden, dass der Kläger bis zu seiner Ausreise aus der Türkei (I.) wegen seiner Zugehörigkeit zur kurdischen Volksgruppe (1.) oder aus individuellen Gründen (2.) politisch verfolgt war und dass er bei einer Rückkehr in die Türkei (II.) die zum Zeitpunkt der Entscheidung des erkennenden Senats sowohl in den Notstandsgebieten (1.) als auch in den übrigen Gebieten der Türkei (2.) grundsätzlich bestehende Möglichkeit des verfolgungsfreien Lebens in seiner Heimat bei einer Rückkehr erreichen (3.) und wahrnehmen kann, da er keine politische Verfolgung zu befürchten hat (4.).

I.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Kläger, an dessen kurdischer Volkszugehörigkeit der Senat keinen Zweifel hat, bis zu seiner Ausreise im März 1996 einer landesweiten politischen Verfolgung als kurdischer Volkszugehöriger oder aus individuellen Gründen ausgesetzt war.

1. Der Kläger unterlag im Zeitpunkt seiner Ausreise wegen seiner Zugehörigkeit zur kurdischen Volksgruppe trotz der nach den Feststellungen des erkennenden Senats in den dem Notstandsrecht unterliegenden Gebieten der Türkei, zu denen die Provinz Bingöl zu diesem Zeitpunkt noch gehörte, seit etwa Mitte 1993 bestehenden Gruppenverfolgung keiner politischen Verfolgung, da ihm damals wie allgemein kurdischen Volkszugehörigen aus den Notstandsgebieten eine Möglichkeit verfolgungsfreien Lebens außerhalb der dem Notstandsrecht unterliegenden Regionen zur Verfügung stand.

Asylrelevante politische Verfolgung kann sich nicht nur gegen Einzelpersonen, sondern auch gegen eine durch gemeinsame Merkmale verbundene Gruppe von Menschen richten mit der Folge, dass dann jedes Gruppenmitglied als von dem Gruppenschicksal mitbetroffen anzusehen ist (BVerfG, 02.07.1980 - 1 BvR 147/80 u. a. -, a.a.O., 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 u. a. -, a.a.O., und 23.01.1991 - 2 BvR 902/85 u. a. -, BVerfGE 83, 216 = EZAR 202 Nr. 20, 531; BVerwG, 02.08.1983 - 9 C 599.81 -, BVerwGE 67, 314 = EZAR 203 Nr. 1 und 23.02.1988 - 9 C 85.87 -, a.a.O.). Die Gefahr eigener politischer Verfolgung eines Asylbewerbers kann sich deshalb auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen ergeben, wenn diese wegen eines asylerheblichen, auch bei ihm vorliegenden Merkmals verfolgt werden und er sich in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsgefahr vergleichbaren Lage befindet. Gilt die Verfolgung unabhängig von individuellen Umständen allein einer durch ein asylerhebliches Merkmal gekennzeichneten Gruppe als solcher und damit grundsätzlich allen Gruppenmitgliedern, so kann eine solche Gruppengerichtetheit der Verfolgung dazu führen, dass jedes Mitglied der Gruppe im Verfolgerstaat jederzeit der Gefahr eigener Verfolgung ausgesetzt ist (BVerfG, 23.01.1991 - 2 BvR 902/85 u. a. -, a.a.O.). Die Annahme einer Gruppenverfolgung setzt eine Verfolgungsdichte voraus, die in quantitativer Hinsicht die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen aufweist, dass ohne weiteres von einer aktuellen Gefahr eigener Betroffenheit jedes Gruppenmitglieds gesprochen werden kann (BVerwG, 08.02.1989 - 9 C 33.87 -, EZAR 202 Nr. 15 = NVwZ-RR 1989, 502, 23.07.1991 - 9 C 154.90 -, EZAR 202 Nr. 21 = DVBl. 1991, 1089 = InfAuslR 1991, 363, 24.09.1992 - 9 B 130.92 -, EZAR 202 Nr. 23 = NVwZ 1993, 192, 05.07.1994 - 9 C 158.94 -, EZAR 202 Nr. 25 = NVwZ 1995, 175). Mit dem Begriff der Gruppenverfolgung werden derartige Fallkonstellationen schlagwortartig zusammengefasst (BVerwG, 05.11.1991 - 9 C 118.90 -, BVerwGE 89, 162 = EZAR 202 Nr. 22). Eine mittelbare Gruppenverfolgung setzt nicht unbedingt Pogrome oder vergleichbare Massenausschreitungen voraus (BVerwG, 24.09.1992 - 9 B 130.92 -, a.a.O.). Übergriffe Privater sind dem Staat aber nur zuzurechnen, wenn er dagegen grundsätzlich keinen effektiven Schutz gewährt (BVerwG, 05.07.1994 - 9 C 1.94 -, EZAR 202 Nr. 24 = InfAuslR 1995, 24). Allerdings erfüllt nicht erst eine (physische) Vernichtung einer Volksgruppe den Tatbestand einer Gruppenverfolgung (BVerfG - Kammer -, 11.05.1993 - 2 BvR 2245/92 -; BVerfG - Kammer -, 09.12.1993 - 2 BvR 1916/93 -, InfAuslR 1994, 156). Um zu beurteilen, ob eine ausreichende Verfolgungsdichte vorliegt, müssen Intensität und Anzahl aller Verfolgungshandlungen auch zur Größe der Gruppe in Beziehung gesetzt werden (BVerwG, 05.07.1994 - 9 C 158.94 -, a.a.O.). Als nicht vor- verfolgt ist nur derjenige Gruppenangehörige anzusehen, für den die Verfolgungsvermutung widerlegt werden kann (BVerwG, 03.10.1984 - 9 C 24.84 -, EZAR 202 Nr. 3); es kommt nicht darauf an, ob sich die Verfolgungsmaßnahmen schon in seiner Person verwirklicht haben (BVerwG, 23.02.1988 - 9 C 85.87 -, a.a.O.).

Bei der Prüfung, ob die kurdische Minderheit in der Türkei seinerzeit asylrechtlich relevante Beeinträchtigungen zu erleiden oder zu befürchten hatte, ist zunächst von der Befugnis eines Mehrvölkerstaates auszugehen, seine staatliche Einheit und seinen Gebietsstand zu sichern und dieses Selbsterhaltungsinteresse auch durchzusetzen. Dieser Grundsatz verbietet es, die von solchen Maßnahmen Betroffenen notwendigerweise als politisch Verfolgte anzusehen. Eine andere Beurteilung könnte Platz greifen, wenn ein Mehrvölkerstaat nach seiner Verfassung oder in der Staatswirklichkeit von der Vorherrschaft einer Volksgruppe über andere ausgeht, die ethnischen, kulturellen oder religiösen Eigenarten bestimmter Volksgruppen überhaupt leugnet und diese an einer ihrer Eigenart entsprechenden Existenzweise hindert (BVerwG, 17.05.1983 - 9 C 36.83 -, BVerwGE 67, 184, und - 9 C 874.82 -, a.a.O.), wenn er also insbesondere eine Zwangsassimilierung betreibt. Deshalb bedarf es vor allem der Untersuchung, wie der türkische Staat die Kurden in seiner Rechts- und Wirtschaftsordnung bis zum Ausreisezeitpunkt behandelt hat, wie sich deren Lebensverhältnisse im Vergleich zu denen der türkischen Mehrheit in der Wirklichkeit darstellten und ob dabei etwa Unterschiede je nach der soziologischen Herkunft, den regionalen Strukturen und dem Maß der Assimilation der Minderheit an die Mehrheit festzustellen sind. Dabei genügt nicht eine isolierte Untersuchung einzelner Ausschnitte des individuellen Schicksals des Asylsuchenden; es kommt vielmehr auf eine umfassende Gesamtbetrachtung der innenpolitischen Lage in dem angeblichen Verfolgerstaat und aller irgendwie relevanten Lebensumstände der Betroffenen an. Hierfür sollen sowohl allgemein- oder gerichtsbekannte geschichtliche Vorgänge als auch Tatsachenbekundungen aus den oben aufgeführten Unterlagen verwertet werden.

a) Die im Gebiet des ehemaligen Osmanischen Reiches siedelnden Kurden erlebten nach dessen Zerfall eine wechselvolle Geschichte. Nach der Aufteilung ihrer angestammten Heimat auf Syrien, den Irak und die Türkei und der Zusicherung einer lokalen Autonomie und eines späteren Volksentscheids über die volle Selbstständigkeit in dem Friedensvertrag von Sèvres vom August 1920 waren im Vertrag von Lausanne vom 21. Juli 1923 für ethnische Minderheiten wie Kurden keinerlei Sonderrechte mehr vorgesehen. Nach der Proklamation der Türkischen Republik im Oktober 1923 und der Wahl von Mustafa Kemal - "Atatürk" - zum Staatspräsidenten wurden verstärkt Türkisierungsversuche unternommen. So wurden etwa kurdische Dorfnamen und kurdische Vornamen geändert, die kurdische Sprache als Amts- und Unterrichtssprache verboten und die Türkei in drei ethnisch abgegrenzte Regionen aufgeteilt. Die erste war das Gebiet, in dem die türkische Kultur in der Bevölkerung sehr stark verankert war; die zweite war diejenige, in der die Bevölkerung angesiedelt werden sollte, die zu türkisieren war; bei der dritten handelte es sich um Gebiete, die aus gesundheitlichen, ökonomischen, kulturellen, militärischen und sicherheitstechnischen Gründen entvölkert werden sollten und in denen sich niemand mehr ansiedeln durfte. Es kam zu großangelegten Umsiedlungsaktionen, die teilweise in Zwangsdeportationen ausarteten. Die auf Atatürk zurückgehenden sechs kemalistischen Grundprinzipien des türkischen Staats-Nationalismus, Säkularismus, Republikanismus, Populismus, Etatismus und Reformismus - wurden auch nach dem Zweiten Weltkrieg nicht aufgegeben. Nach anfänglichen Erfolgen bei Demokratisierungsbestrebungen unter den Ministerpräsidenten Inönü (CHP) und Menderes (DP) kam es im Mai 1960 zu einem Militärputsch und im Juli 1961 zu einer neuen Verfassung, die wiederum vom Kemalismus geprägt war. In den nachfolgenden zwei Jahrzehnten gab es in der Türkei verschiedene Koalitions- und Minderheitsregierungen, bis im Dezember 1978 von Ecevit das Kriegsrecht vor allem über ostanatolische Provinzen verhängt und später auf weitere Provinzen ausgedehnt und verlängert wurde. Nach dem Militärputsch im Jahre 1980 kam es zunächst zu einer Verschärfung und gesetzlichen Absicherung der Restriktionen und Diskriminierungen der kurdischen Volksgruppe durch Maßnahmen, mit denen der Gebrauch der kurdischen Sprache behindert, die Kurden in der Pflege ihrer kulturellen Eigenheiten eingeschränkt und in den kurdischen Provinzen massiert Sicherheitskräfte eingesetzt wurden. Seit Beginn der 90er Jahre verschärften sich die Auseinandersetzungen mit der PKK (Partiya Karkeren Kurdistan - Arbeiterpartei Kurdistans) insbesondere in den südöstlichen Landesteilen.

Trotz einer Vielzahl von Restriktionen und Diskriminierungen der kurdischen Volksgruppe vermag der Senat nicht zu der Überzeugung zu gelangen, dass in der Vergangenheit bis zum Jahr 1992/93 eine staatliche Verfolgung der ethnischen Minderheit der Kurden erfolgt ist. Obwohl der türkische Staat den Gebrauch der kurdischen Sprache behinderte, die kurdische Volksgruppe in der Pflege ihrer kulturellen Eigenheiten einschränkte und der wirtschaftlichen und kulturellen Unterentwicklung in kurdischen Provinzen nicht effektiv entgegentrat, lässt sich nach Auffassung des Senats für diesen Zeitraum nicht der Schluss ziehen, der türkische Staat unterdrücke und verfolge die Kurden bewusst mit dem Ziel, sie zu assimilieren, zu vertreiben oder zu vernichten.

Anzeichen für eine asylerhebliche Zwangsassimilierung der Kurden ergeben sich zunächst nicht aus dem Leugnen ihrer Existenz als eigenständige Volksgruppe. Die Kurden wurden in der Vergangenheit nach dem historisch gewachsenen Selbstverständnis der Türkischen Republik offiziell als nicht vorhanden angesehen und damit von Staats wegen als ethnische Gruppe schlechthin ignoriert. Diese Einstellung gegenüber den Kurden kam unter anderem in der in den letzten Jahrzehnten offiziell verwandten Bezeichnung als "Bergtürken" zum Ausdruck (KA 2). Selbst wenn indessen die Kurden in der Türkei aufgrund dieser Umstände auf Dauer gesehen der Assimilierung nicht entgehen sollten, ließe sich daraus ein asylrelevanter Umstand nicht herleiten. Denn das Asylrecht schützt nicht vor langfristigen und allmählichen Anpassungsprozessen aufgrund veränderter Lebensbedingungen (BVerwG, 15.02.1984 - 9 CB 191.83 -, EZAR 203 Nr. 2 = InfAuslR 1984, 152).

Von allen legislativen und administrativen Mitteln, die zum Zwecke der Verdrängung oder vollständigen Angleichung gegen eine ethnische Minderheit eingesetzt werden können, kommt einem Verbot der eigenen Sprache eine wesentliche Bedeutung zu. Soweit es das Primat der türkischen Sprache und den Ausschluss jeder anderen - und damit vor allem der kurdischen - Sprache angeht, lässt sich eine eindeutige Rechtslage und Rechtswirklichkeit seit Bestehen der Türkischen Republik nicht erkennen. Andererseits kann aber auch nicht festgestellt werden, der Gebrauch der kurdischen Sprache sei im hier maßgeblichen Zeitraum in der Türkei praktisch verboten gewesen.

Staatspräsident Atatürk soll bereits einige Monate nach Unterzeichnung des Lausanner Friedensvertrages vom Juli 1923, nach dessen Art. 39 keinem türkischen Staatsbürger irgendwelche Beschränkungen beim Gebrauch einer Sprache auferlegt werden können, Kurdisch als Amtssprache verboten haben (KA 2, 13). Anderen Angaben zufolge soll der Gebrauch der kurdischen Sprache jedenfalls in der Zeit von 1924 bis 1929 gesetzlich verboten worden sein. Dieses Verbot ist aber danach staatlicherseits im Laufe der Zeit nicht mehr durchgesetzt worden (KA 3). Im Jahre 1967 machte sodann der Ministerrat von einer im Pressegesetz von 1950 enthaltenen Ermächtigung Gebrauch und verbot die Einfuhr und die Verteilung sämtlicher in kurdischer Sprache im Ausland herausgegebenen Druckerzeugnisse, Schallplatten, Tonbänder und dergleichen. Damit war die Verbreitung von im Ausland hergestellten Erzeugnissen dieser Art unter Strafe gestellt (KA 3, 11). Wenn demgegenüber teilweise ohne nähere Erläuterung und ohne Schilderung nachprüfbarer Beispiele angegeben wird, allgemein seien der Besitz (KA 1, 9) oder die Herausgabe und nicht nur die Einfuhr kurdischer Schriften und Tonträger verboten und strafbar gewesen (KA 2), so kann dies durchaus auf Missverständnissen und Ungenauigkeiten bei der Einholung und Wiedergabe von Informationen beruhen. Denn nach den glaubhaften Angaben von anderen Sachverständigen (KA 11, 12) wurde die Herausgabe kurdischer Zeitschriften - teilweise mit Beiträgen in türkischer Sprache - nur dann und nur deswegen verboten und strafrechtlich verfolgt, weil deren Inhalt als autonomistisch oder separatistisch angesehen wurde.

Nach dem Militärputsch von 1980 wurden die Kurden zunehmend stärker in der Pflege ihrer Kultur und Sprache behindert. Nach der neuen Verfassung vom 9. November 1982 ist die Türkische Republik als Einheitsstaat konzipiert (Präambel) und als dem Nationalismus Atatürks verbundener Staat bezeichnet (Art. 2). Gemäß Art. 3 stellt sie in ihrem Staatsgebiet und Staatsvolk ein unteilbares Ganzes dar, dessen Sprache Türkisch ist. Die auch in der Verfassung von 1982 zum Ausdruck gelangte Negierung der Existenz der kurdischen Volksgruppe durch den türkischen Staat rechtfertigt indessen nicht den Schluss auf eine staatlich bezweckte asylerhebliche Zwangsassimilierung.

Im Umgang mit Behörden und anderen staatlichen Stellen sowie im Militärdienst wurde seit jeher auf den Gebrauch der türkischen Sprache Wert gelegt. Darüber hinaus war wegen der Türkisierung der Vor-, Familien- und Ortsnamen die Registrierung kurdischer Namen nicht erlaubt. Anders als in der Schule, im Rundfunk und im amtlichen Verkehr war der Gebrauch des Kurdischen jedoch bei privaten Unterhaltungen und im geschäftlichen Verkehr in den von Kurden bewohnten Siedlungsgebieten im hier maßgeblichen Zeitraum allgemein üblich und weder verboten noch gar strafbar (KA 6, 10, 12). Am 19. Oktober 1983 erging das Gesetz Nr. 2932 über "Veröffentlichungen in einer anderen als der türkischen Sprache" - Sprachenverbotsgesetz - (KA 16), das die Grundlagen und Verfahren regelte, "die auf Veröffentlichungen in nicht zugelassenen Sprachen Anwendung finden" (Art. 1). Gemäß Art. 2 Abs. 2 dieses Gesetzes waren die Erklärung, Verbreitung und Veröffentlichung von Meinungen in jeder Sprache verboten, die nicht die erste offizielle Sprache eines von der Türkei anerkannten Staats war. Obwohl das Gesetz nach seiner Überschrift und der Beschreibung seines Gegenstandes in Art. 1 nur "Veröffentlichungen" betraf und nur auf die allein für die Presse geltende Bestimmung des Art. 28 Abs. 2 der Verfassung Bezug zu nehmen schien, ging der Wortlaut der Vorschriften der Art. 2 und 3 darüber hinaus und erfasste auch andere als veröffentlichte schriftliche Meinungsäußerungen. Eine entsprechende verfassungsrechtliche Grundlage befindet sich in Art. 26 Abs. 3 der Verfassung, der lautet: "Bei der Äußerung oder Verbreitung von Meinungen darf keine durch Gesetz verbotene Sprache verwendet werden ...". Allerdings wurde das Monopol der türkischen Sprache seit dem Militärputsch lediglich im Umgang mit Behörden und anderen staatlichen Stellen sowie im Militärdienst durchgesetzt (KA 5, 6, 9). Gegen den Gebrauch des Kurdischen bei privaten Unterhaltungen und im geschäftlichen Verkehr wurde dagegen nicht eingeschritten, und es war im eigentlichen Siedlungsgebiet der Kurden, im Südosten der Türkei, jedenfalls faktisch möglich, sich des Kurdischen als Umgangssprache zu bedienen (KA 3, 4, 10, 12, 15, 17, 18).

Neben dem Gebrauch der Sprache ist für den Bestand und die Erhaltung einer eigenständigen Nationalkultur die Pflege von Brauchtum und Sitte wichtig und letztlich unerlässlich. Auch in dieser Hinsicht unterliegen die Kurden gewissen Beschränkungen. Sie konnten allerdings im hier maßgeblichen Zeitraum grundsätzlich ungehindert ihre Nationaltracht tragen, kurdische Volkslieder singen und ihr Newroz-Fest sowie andere bäuerliche Feste feiern und sich auch sonst als Kurden zu erkennen geben - angesichts ihrer kurdischen Sprache können sie ihre Herkunft ohnehin kaum verbergen. Man kann für diesen Zeitraum im Vergleich zu der Zeit bis 1950 von einer relativen Liberalisierung sprechen (KA 6).

Es kann schließlich nicht festgestellt werden, dass der türkische Staat eine gezielte Assimilierungspolitik durch bewusste Vernachlässigung kurdischer Siedlungsgebiete in kultureller und wirtschaftlicher Hinsicht betrieben hat. Während Industrie und Wirtschaft der Türkei hauptsächlich in den westlichen Teilen des Landes, vorzugsweise in den Ballungsgebieten um die großen Städte angesiedelt und konzentriert sind, sind die überwiegend von Kurden bewohnten 18 Provinzen in Ostanatolien von der Agrarwirtschaft geprägt, und deren Strukturen und Arbeitsweisen sind zudem durch die Herrschaft von Großgrundbesitzern gekennzeichnet (KA 14). Aufgrund unsicherer Besitzverhältnisse, Streitigkeiten um Weideland und Ackerboden und wegen der Hoffnung auf bessere Verdienstmöglichkeiten im Westen der Türkei und den Industrieländern Mittel- und Westeuropas haben im Hinblick auf die eklatante Unterentwicklung der östlichen Gebiete im Laufe der letzten 30 Jahre immer mehr kurdische Bauern ihre Dörfer verlassen. Diese Landflucht hat das Ungleichgewicht zwischen den östlichen und westlichen Provinzen der Türkei noch verstärkt. Das Einkommensgefälle hat auch in den letzten Jahren weiter zugenommen (FA 10). Die Bodenschätze des Ostens wurden zur Industrialisierung des Westens genutzt. Gesundheitswesen und Schulen sind wesentlich schlechter ausgestattet als allgemein in der Türkei. Es sind jedoch keine konkreten Tatsachen festzustellen, die den Vorwurf rechtfertigen, die türkische Regierung hätte die kurdischen Provinzen in der Absicht vernachlässigt, die dort lebenden Kurden ihres Volkstums wegen zu benachteiligen, oder in ihrer Politik habe dieses Ziel zumindest eine nicht unwesentliche Rolle gespielt (so aber etwa KA 7, 14). Gegen eine solche Annahme spricht, dass von den im Osten der Türkei herrschenden Lebensbedingungen auch andere Bevölkerungsgruppen wie etwa Christen, Jeziden und Muslime betroffen waren und sind. Für die Benachteiligung der kurdischen Regionen scheinen insgesamt gesehen ganz unterschiedliche Faktoren verantwortlich zu sein, etwa die ungünstigen Boden-, Klima- und Verkehrsverhältnisse. Das Fehlen besonderer Erschließungs- und Entwicklungsprogramme dürfte auf den desolaten Zustand der Staatsfinanzen der Türkei zurückzuführen gewesen sein.

Ungeachtet dessen bestand für Kurden, die ihre Volkszugehörigkeit im gesellschaftlichen Bereich verbunden mit der Forderung nach politischer Autonomie oder Unabhängigkeit vom türkischen Staat ostentativ bekundeten, die Gefahr, durch staatliche Organe des Separatismus bezichtigt zu werden (KA 2, 4, 6, 8, 12 bis 15). Insoweit war aber auch eine deutliche Liberalisierung und Zurückhaltung der Sicherheitskräfte gegenüber friedlichen Meinungsäußerungen für ein eigenständiges Kurdistan erkennbar. Wegen des schlichten Bekenntnisses zu ihrer Volkszugehörigkeit waren Kurden nicht von staatlicher Verfolgung bedroht (KA 3). Eine sich in diesem Rahmen haltende Pflege kurdischen Brauchtums war legal möglich (KA 15, 18).

In engem Zusammenhang mit Ermittlungen und Verfolgungen wegen Verdachts des Separatismus standen die nach dem Militärputsch verstärkt unternommenen Razzien, die der Suche nach Waffen und dem Aufspüren Krimineller dienten, die aber in der Regel pauschal alle Bewohner von Grenzdörfern oder bestimmten Gecekondu-Bereichen erfassten und diese oft einer erniedrigenden, brutalen oder sonst menschenrechtswidrigen Behandlung unterzogen (KA 1, 7, 8, 13, 17, 18). Im Zuge der Verfolgung kurdischer Separatisten kam es dabei im Herbst 1984 ("Operation Sonne") auch zu türkischen militärischen Aktionen auf irakischem Gebiet (KA 17). Aufgrund der Vielzahl terroristischer Aktionen in den kurdischen Siedlungsgebieten kam es nach und nach zu einer stärkeren Konzentration von Sicherheitskräften in diesen Gebieten und im Zusammenhang damit zu vielen militärischen Aktionen gegen die PKK, die das Ziel der Gründung eines unabhängigen kurdischen Staats in den von Kurden besiedelten Gebieten des türkischen Staatsgebiets verfolgen. Zur Durchsetzung dieses Ziels führte die PKK in den südöstlichen Landesteilen der Türkei einen bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat; bei ihren Operationen bediente sie sich der Guerillataktik (KA 19).

Zu Beginn der 90er Jahre trat zunächst eine gewisse Entspannung der Lage der Kurden ein. Durch Art. 23e des "Gesetzes über die Bekämpfung des Terrors" (Nr. 3713) - Anti-Terror-Gesetz (ATG) - vom 12. April 1991 wurde das Sprachenverbotsgesetz ersatzlos aufgehoben (KA 22). Daraus kann angesichts des in Art. 1 normierten Zwecks des Sprachenverbotsgesetzes entnommen werden, dass der Gebrauch einer anderen als der türkischen Sprache, insbesondere der Sprache der Kurden als größter nichttürkischer Volksgruppe im Staatsverband der Türkei, nicht mehr als separatistische, gegen die Einheit des türkischen Staats gerichtete Handlung qualifiziert wird. Zudem wird mit der Aufhebung der bisherigen Feststellung des Art. 3 Abs. 1 des Sprachenverbotsgesetzes, die Muttersprache der türkischen Staatsbürger sei türkisch, für die türkischen Staatsbürger auch der Besitz einer anderen Muttersprache eingeräumt und damit mittelbar auch die Existenz anderer ethnischen Gruppen neben den Türken anerkannt. Die Aufgabe der Leugnung der Existenz einer kurdischen Volksgruppe in der Türkei kommt im Übrigen in der Anfang 1991 getroffenen Feststellung des damaligen Staatspräsidenten Özal zum Ausdruck, in der Türkei lebten 10 bis 12 Millionen Kurden (KA 20 ). Insgesamt wurde durch die Aufhebung des Sprachenverbotsgesetzes vor allem der öffentliche Gebrauch der kurdischen Sprache erheblich erleichtert. So ist es nicht mehr gesetzlich verboten, auf Versammlungen und Demonstrationen Plakate in einer anderen als der türkischen Sprache zu zeigen und dort in diesen Sprachen Schallplatten und ähnliches abzuspielen oder kurdischsprachige Lieder zu singen (KA 21). Wenngleich für bestimmte Bereiche das Verbot der Verwendung anderer Sprachen als der türkischen, wie etwa im Parteiengesetz und Vereinsgesetz (KA 16), weiter fortbesteht, hat dennoch die Aufhebung des Sprachenverbotsgesetzes zunächst in einer wesentlichen Frage zu einer Abnahme der Beeinträchtigungen der kurdischen Volksgruppe in der Türkei geführt. So wurde vom Kultusministerium die Freigabe von ungefähr 25.000 früher verbotenen Buchtiteln bestätigt, und Ende 1991/Anfang 1992 kam es zur Herausgabe einer kurdischsprachigen Wochenzeitung (KA 24). Die Zeitung Özgür Gündem wurde seit ihrem Erscheinen von den türkischen Behörden belästigt (KA 42); ein Verbot dieser Zeitung war letztlich nur eine Frage der Zeit (KA 49). Auch die Nachfolgezeitung Özgür Ülke hatte von Anfang an mit Schwierigkeiten gegenüber den Behörden zu kämpfen (vgl. KA 60). Darüber hinaus wurde im Jahre 1993 durch den Nationalen Sicherheitsrat das Anti-Terror-Gesetz (ATG) wieder verschärft. Danach wurden kurdische Musik, kurdische Reden und das Bekenntnis, Kurde zu sein, mit der Strafandrohung des Art. 8 ATG verfolgt; auch Demonstrationen und Märsche gegen die nationale und territoriale Einheit der Türkei sowie gegen die laizistische Grundordnung auf der Basis einer strikten Trennung von Staatsführung und Religion sollten schwerer als früher geahndet werden (KA 44).

Die von Dezember 1991 an amtierende Regierungskoalition von DYP und SHP setzte die zuvor begonnene Liberalisierung in der Kurdenpolitik verstärkt fort, indem sie mehrfach ausdrücklich bekundete, dass sie die Kurden als eine eigenständige ethnische Minderheit anerkenne und grundsätzlich ein friedvolles Zusammenleben von Kurden und Türken anstrebe (KA 23, 28). In dem Regierungsprogramm war vorrangig die Fortsetzung des Demokratisierungsprozesses und die Verbesserung der Menschenrechtssituation, wozu vor allem eine Normalisierung der Situation in den Notstandsgebieten zählt, aufgenommen worden (KA 24). Das Versprechen für mehr Demokratie und Rechtsstaatlichkeit konnte die Regierungskoalition allerdings nicht einlösen (KA 29). Nachdem im Jahr 1992 von der türkischen Regierung Verbesserungen für die Kurden in den zehn südöstlichen Provinzen der Türkei insbesondere auch durch Unterricht sowie Rundfunk- und Fernsehsendungen in kurdischer Sprache (KA 27) in Aussicht gestellt wurden, sah die PKK - eine stalinistische Organisation, die blutigen Terror für ein legitimes Mittel hält (KA 19) - offensichtlich die "Gefahr", dass es auf der Grundlage dieses Öffnungsprozesses zu einer geregelten Autonomie der kurdischen Siedlungsgebiete innerhalb des türkischen Staatsverbands kommen könnte und versuchte seit dem Frühjahr 1992 mit umfangreichen militärischen Aktionen, den türkischen Staat und insbesondere das Militär zum Rückzug aus den kurdischen Siedlungsgebieten sowie zur Aufgabe staatlicher Hoheitsgewalt in diesem Gebiet zu zwingen. Durch Gegenaktionen der türkischen Armee wurde auch die kurdische Zivilbevölkerung zum Teil erheblich in Mitleidenschaft gezogen. Erster Höhepunkt waren die schweren Zusammenstöße zwischen türkischen Sicherheitskräften und kurdischen Guerillas aus Anlass des kurdischen Neujahrsfestes (Newroz) am 21. März 1992. Es kam zu zahlreichen Toten und Verwundeten, wobei diese Unruhen in Cizre begannen und danach unter anderem noch Sirnak, Nusaybin, Batman erfassten. In Sirnak kam es Mitte August 1992 zu weiteren heftigen Kämpfen, in deren Folge die Stadt von ihren Bewohnern weitgehend verlassen wurde, wobei allerdings die PKK eine Verwicklung ihrer Mitglieder in die Vorfälle leugnete und sich im weiteren Verlauf die Anzeichen mehrten, dass es sich allein um eine von den Sicherheitskräften zu verantwortende Aktion gegen die Bevölkerung handelte (KA 28). Gegen die unter Einsatz von militärischen Mitteln - mit Bomben, Mörsern und Raketenwaffen - zum Teil mit Hunderten von Guerillakämpfern durchgeführten Überfälle der PKK, Anschläge in zahlreichen Städten und Ortschaften des südöstlichen Grenzgebiets der Türkei und Angriffe auf öffentliche Gebäude wie Bankfilialen und insbesondere Einrichtungen des Militärs, der Gendarmas und der Polizei setzte der türkische Staat große Einheiten von Sicherheitskräften - zunehmend die paramilitärisch ausgerüsteten Gendarmas (Landpolizei) und die in gleicher Weise ausgerüsteten Sicherheitseinheiten des Innenministeriums - ein, die in Gegenschlägen in kurdischen Siedlungsgebieten selbst und im nördlichen Irak - dem Rückzugsgebiet der PKK - PKK-Kämpfer aufspüren und bekämpfen sollen (KA 26). Durch Umsiedlungsaktionen im Kampfgebiet der PKK sollte der PKK auch die in diesem Gebiet mögliche logistische Unterstützung durch die örtliche Bevölkerung entzogen werden (KA 30).

Die Maßnahmen des türkischen Staates in den kurdischen Siedlungsgebieten, insbesondere in den Notstandsgebieten im südöstlichen Grenzgebiet, richteten sich zunächst im wesentlichen gegen die Kampfaktionen der PKK. Der Senat hat dazu schon früher festgestellt, dass anlässlich dieser Maßnahmen gehäuft vorkommende illegale oder sogar menschenrechtswidrige Übergriffe auf Zivilpersonen nicht zu der Annahme einer allgemeinen und landesweiten Verfolgung der Kurden in Anknüpfung an ihre Volkszugehörigkeit führten (vgl. Hess.VGH, 23.11.1992 - 12 UE 2590/89 -). Erkenntnisse, die Anlass geben könnten, diese Einschätzung neu zu überdenken, liegen für den hier maßgeblichen Zeitraum nicht vor (vgl. Hess.VGH, 24.01.1994 - 12 UE 200/91 -; 19.01.1998 - 12 UE 1624/95 -, 27.03.2000 - 12 UE 583/99.A -; zuletzt 04.03.2002 - 12 UE 2545/00.A -).

b) Im Jahr 1993 wurden im Südosten der Türkei etwa zwei Drittel der Streitkräfte der türkischen Armee einschließlich 80 % der Panzer- und Helikoptereinheiten stationiert, denen etwa 10.000 PKK-Kämpfer gegenüberstanden (KA 38, 45). Die Situation wurde mittlerweile zumindest als bürgerkriegsähnlich charakterisiert (KA 32), wobei die PKK in bestimmten Bergregionen im Südosten und Osten der Türkei sogar schon effektive Gewalt ausübte (KA 54). In dieser insgesamt angespannten Situation entschloss sich die Führung der PKK am 20. März 1993, dem türkischen Staat zunächst bis zum 15. April 1993 und alsdann bis auf weiteres einen einseitigen Waffenstillstand und die Bereitschaft zu Verhandlungen anzubieten (KA 39, 43). Eine offizielle Reaktion gab es darauf nicht, und zu einer vom damaligen Staatschef Özal in der dritten Aprilwoche geplanten Sondersitzung des Nationalen Sicherheitsrats, bei der er seine Kurdeninitiative erläutern wollte, kam es nicht mehr, da der Staatschef eine Woche vor dieser Sitzung verstarb (KA 41). Nach der Aufkündigung des von der PKK einseitig erklärten Waffenstillstandes am 24. Mai 1993 (KA 50) kündigten die türkische Regierung und der Generalstabschef eine Großoffensive mit dem Ziel der endgültigen Vernichtung der PKK an (KA 36) und es wurde mit der Verhängung des Kriegsrechts gedroht, wenn die PKK bis zum Winterbeginn nicht ausgerottet sei (KA 41). Staatspräsident Demirel wandte sich gegen ein Recht auf Schulunterricht in kurdisch und schloss "jeden Kuhhandel und jedes Zugeständnis" an die PKK aus (KA 48); die damalige Ministerpräsidentin Ciller sprach anlässlich einer Informationsreise durch die Südostprovinzen davon, dass es gar keine Kurdenfrage gebe (KA 41) und die Armee kündigte einen "Vernichtungskrieg" unter Einsatz von moderneren und wirksameren Waffen an (KA 48; vgl. auch KA 43).

Im Zuge der präventiven Bekämpfung von PKK-Einheiten durch türkische Sicherheitskräfte wurden zunehmend unbeteiligte Bewohner in terrorgefährdeten Gebieten der Südosttürkei erheblich in Mitleidenschaft gezogen. Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung geschahen häufig bei Dorf- und Räumungsaktionen; dabei kam es auch zu zahlreichen Misshandlungen von Zivilpersonen durch Sicherheitskräfte (KA 55). Insgesamt verschärfte sich die Menschenrechtslage in den kurdischen Provinzen der Türkei unter der Regierung Ciller. Die Verschleppung und Ermordung von Menschen, teils durch uniformiert auftretende offizielle Sicherheitskräfte, aber auch durch die PKK nahm erschreckende Ausmaße an (KA 56). Die Regierung setzte entgegen einer im Koalitionsprotokoll vom 24. Juni 1993 erklärten Absicht einseitig auf eine militärische Lösung, die staatlichen Handlungen in den Notstandsprovinzen des Südostens und Ostens der Türkei nahmen in der Folge insgesamt den Charakter eines Guerilla-Bürgerkriegs an. Übergriffe der Sicherheitskräfte in Form von Eigentumszerstörung, Freiheitsberaubung, Misshandlung und Tötung auch gegenüber Unbeteiligten kamen verbreitet vor; die Aktionen gingen zum Teil in ihrer Intensität über das für die Wiederherstellung der staatlichen Friedensordnung erforderliche Maß erheblich hinaus (KA 57) und richteten sich seit den ab Mitte 1993 verschärften Kämpfen mit der PKK auch gegen die Zivilbevölkerung (KA 32, 39).

Im Zusammenhang mit der Eskalation der Gewalt im Südosten wurde der über zehn Provinzen (Batman, Bingöl, Bitlis, Diyarbakir, Hakkari, Mardin, Siirt, Sirnak, Tunceli, Van) verhängte Ausnahmezustand mehrmals verlängert (KA 53, 64, 66). Während früher die Maßnahmen der türkischen Sicherheitskräfte durchgehend aus Anlass und zum Zweck der Eindämmung des bewaffneten Kampfes der PKK in der Südosttürkei durchgeführt wurden, indem zum Beispiel Umsiedlungsaktionen (KA 26) zielgerichtet unter militärisch-strategischen Gesichtspunkten der Bekämpfung der PKK, veranlasst durch deren Operationen und noch nicht wahllos unter Anknüpfung an die kurdische Volkszugehörigkeit erfolgten, vielmehr allein bedingt durch die Guerilla-Taktik der PKK Durchsuchungen und vorläufige Festnahmen der Einwohner ganzer Dörfer vorgenommen wurden (vgl. Hess. VGH, 23.11.1992 - 12 UE 2590/89 -), konnte bei den Maßnahmen der Sicherheitskräfte seit etwa Mitte 1993 nicht mehr davon gesprochen werden, sie würden nur dem aktiven Terroristen, dem Teilnehmer im strafrechtlichen Sinn oder demjenigen gelten, der im Vorfeld Unterstützungshandlungen zugunsten terroristischer Aktivitäten vornimmt, ohne sich an diesen Aktivitäten unmittelbar zu beteiligen. Diese Maßnahmen sowohl nach Angriffen der PKK als auch nach legalen oder illegalen Demonstrationen erscheinen ab Mitte 1993 als Strafaktionen gegen die kurdische Bevölkerung; für den türkischen Staat galten seitdem offenbar alle Kurden als potentielle Unterstützer der PKK. Als Reaktion auf PKK-Aktivitäten verfolgten Sicherheitskräfte nicht die Guerillakämpfer, sondern schossen ganze Ortschaften im kurdischen Osten zusammen (KA 33, 43). Zwar wurde von der türkischen Staatsführung angekündigt, sie werde die Rebellen der verbotenen PKK ausrotten (KA 48). Tatsächlich kam es in einer Vielzahl von Fällen zu Angriffen auf die Zivilbevölkerung in den Notstandsgebieten, wobei sogar zunehmend Massaker an kurdischen Zivilisten vom Militär in Kauf genommen wurden (KA 49).

Beispielsweise wurde die hauptsächlich von Kurden bewohnte Stadt Lice von der türkischen Armee unter Einsatz von Hubschraubern und Panzern angegriffen, die Bewohner von Soldaten aus ihren Wohnungen geholt und diese dann in Brand geschossen (KA 51). Dabei kamen mindestens 34 Menschen ums Leben, Einwohner berichteten von Hunderten von Toten und Vermissten (KA 49). Auch die Kleinstadt Kulp wurde belagert und angegriffen (KA 47), und die ungefähr 950 Einwohner des Dorfes Kursunlu bei Dicle wurden unter Drohung mit Beschuss vom Militär aufgefordert, ihre Siedlung zu verlassen (KA 52). Im Frühjahr und Sommer 1993 wurden 108 Siedlungen zerstört (KA 37); nach anderen Angaben wurden vom 20. März bis 30. August 1993 117 Dörfer verbrannt und deren Bewohner vertrieben (KA 43; vgl. auch KA 40). Zwar stand den Betroffenen eine Entschädigung zu; zu Entschädigungsleistungen ist es aber nachweislich nicht gekommen (KA 50). Bei diesen Aktionen trieben die Sicherheitskräfte regelmäßig zunächst alle Dorfbewohner auf dem Dorfplatz, teilweise unter Misshandlungen, zusammen, durchsuchten danach die Häuser, raubten das Geld und die Wertsachen der Bewohner und setzten die Häuser einschließlich der darin befindlichen Gegenstände und die Ställe mit den Tieren in Brand (KA 43). Dabei wurden in der Region um Lice, Kulb und Bingöl innerhalb von drei Tagen neun Dörfer von Soldaten niedergebrannt; in der Provinz Bitlis wurden drei Dörfer von Soldaten und Dorfschützern unter Einsatz von Artillerie angegriffen und innerhalb von vier Stunden vernichtet (KA 43). Am 14. August 1993 richteten Sondereinheiten der türkischen Armee in der Kreisstadt Digor während eines Schweigemarsches von über 4.000 Kurden aus Anlass des 9. Jahrestages des Beginns des bewaffneten Kampfes der PKK ein Blutbad an (KA 40). Einen Tag später wurden Tausende Teilnehmer an einer Demonstration am Kreuzungspunkt Dolabas im Kreis Malazgirt (Provinz Mus) von Militäreinheiten umstellt und unter anderem von Panzern und Helikoptern unter Beschuss genommen; dabei gab es drei Tote und über 70 Verletzte (KA 45). Zahlreiche weitere Dörfer waren von Militäraktionen betroffen (KA 36, 43, 45). In der Provinz Mardin wurden fünf Dörfer geräumt, weil die Bewohner nicht Dorfwächter werden wollten (KA 42), obwohl das Dorfschützeramt nicht zwangsweise übertragen und eine Weigerung nicht strafrechtlich geahndet wird (KA 86, 108). Auch nach den Angaben des Auswärtigen Amtes litt die Bevölkerung in den unter Notstandsrecht stehenden Gebieten seither unter den oft unverhältnismäßigen Aktionen der Sicherheitskräfte und unter den blutigen Anschlägen der PKK (KA 32, 99, 111, 118). Diese Übergriffe der Sicherheitskräfte im Südosten ereigneten sich meistens - und damit nicht immer - im Zusammenhang mit militärischen Einsätzen als Antwort auf bewaffnete Angriffe der PKK, im Zusammenhang mit polizeilichen Maßnahmen zur Strafverfolgung von Staatsschutzdelikten sowie zur Gefahrenabwehr oder auch im Zusammenhang mit notstandsrechtlich sanktionierten Zwangsevakuierungen von Dörfern (KA 53), wobei die Grenze zwischen Terrorismusbekämpfung und individuellen und/oder kollektiven Maßnahmen der Sicherheitskräfte gegen die Zivilbevölkerung insbesondere bei den Straßenkämpfen immer schwerer zu ziehen war (KA 50). Beispielsweise wurde die Stadt Sirnak im August 1992 noch lange nach dem Rückzug angreifender PKK-Militanter vom türkischen Militär zum Teil mit Artillerie unter Beschuss genommen und schwer beschädigt (KA 50). Die pro-kurdische Zeitung "Özgür Gündem" berichtete, Anfang 1993 sei über die Ortschaft Beytüssebap ein Nahrungsmittelembargo verhängt und seit August 1993 auf die Städte Uludere, Sirnak und umliegende Dörfer ausgeweitet worden mit der Begründung, dass die Bewohner die PKK mit Lebensmitteln versorgten (KA 50). Das Lebensmittelembargo wurde dann auf die im Dreieck der Kreise Lice, Kulp und Genc liegenden Kreisstädte und Dörfer sowie auf die auf den Bergen Agri und Tendürek gelegenen Dörfer ausgedehnt (KA 43). Die türkische Regierung selbst hat auf eine parlamentarische Anfrage eines DEP-Abgeordneten bestätigt, dass bis Ende 1993 über 870 Dörfer zwangsweise geräumt wurden; ein großer Teil dieser Dörfer wurde niedergebrannt (KA 59). Dabei kam es zu zahlreichen Übergriffen, zu "standrechtlichen" Erschießungen und Folterungen an Dorfbevölkerungen, die eindeutig nicht mehr durch Notstandsrecht zu rechtfertigen waren (KA 59, 66). Bis zum Herbst 1994 waren etwa 1.300 Dörfer (KA 58, 64, 66) evakuiert und teilweise ganz zerstört worden.

Diese Situation im Südosten der Türkei ab Mitte 1993 war zur Überzeugung des Senats als eine gegen die Kurden als Gruppe in den Notstandsprovinzen gerichtete staatliche Verfolgung, die an ihre Volkszugehörigkeit und damit an ein asylerhebliches Merkmal anknüpfte, zu bewerten. Die die kurdische Zivilbevölkerung in diesen Gebieten betreffenden Maßnahmen und Übergriffe der türkischen Sicherheitskräfte stellten sich nach den oben aufgeführten Grundsätzen als eine Gruppenverfolgung der Kurden in diesen Gebieten dar. Es ist nämlich festzustellen, dass die türkischen Sicherheitskräfte die Angehörigen der kurdischen Bevölkerung unter Anknüpfung an ihre Volkszugehörigkeit durch schwerwiegende Rechtsverletzungen verfolgten, die gerade auch darauf ausgerichtet waren, die dort lebenden Kurden wegen ihrer Volkszugehörigkeit zu treffen. Die staatlichen Kräfte führten den Kampf gegen die PKK in einer Weise, die auch auf die physische Vernichtung der durch asylerhebliche Merkmale bestimmten Personengruppe der Kurden gerichtet war, obwohl diese keinen Widerstand leisteten oder nicht am militärischen Geschehen beteiligt waren. Diese Voraussetzungen sind nach Einschätzung des Senats seit etwa Mitte 1993 festzustellen und dauerten in den Notstandsgebieten bis etwa Anfang des Jahres 2002 an. Die Aktionen der Sicherheitskräfte waren jedenfalls seit dieser Zeit bei einer Vielzahl von Angriffen bewusst auch gegen die kurdische Zivilbevölkerung in diesen Gebieten gerichtet und gingen über das hinaus, was im Interesse der Wiederherstellung der staatlichen Friedensordnung notwendig war. Dabei ist für das Vorliegen einer asylrelevanten Intensität des Eingriffs maßgebend, ob sich dieser nicht nur als Beeinträchtigung, sondern als ausgrenzende Verfolgung darstellt (BVerfG - Kammer -, 04.04.1991 - 2 BvR 1597/90 -). Die Maßnahmen der Sicherheitskräfte in den Notstandsprovinzen sind, soweit sie die Zivilbevölkerung betreffen, in diesem Zeitraum als Aktionen eines bloßen Gegenterrors zu werten, die zwar auch der Bekämpfung des Terrorismus und seines ihn aktiv unterstützenden Umfelds gelten mochten, aber gleichzeitig darauf ausgerichtet waren, die an dem bestehenden Konflikt nicht unmittelbar beteiligte Zivilbevölkerung unter den Druck brutaler Gewalt zu setzen (vgl. BVerfG, 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 u. a. -, a.a.O.), so dass daraus auf eine allgemeine Gefährdung der in diesem Gebiet lebenden durch die Volkszugehörigkeit gekennzeichneten Gruppe der Kurden für den Zeitraum zwischen Mitte 1993 und Anfang 2002 zu schließen ist. Dabei ist auch zugrundezulegen, dass - wie für die Annahme einer unmittelbar staatlichen Gruppenverfolgung erforderlich - mit diesem Handeln eigene staatliche Ziele des türkischen Staates durchgesetzt werden sollten, wozu sich der Staat der Sicherheitskräfte - wie Gendarmas und Polizei - sowie der Armee bediente (vgl. grundsätzlich zu diesem Erfordernis für eine "unmittelbare" staatliche Gruppenverfolgung im Unterschied zu einer mittelbaren Gruppenverfolgung: BVerwG, 05.07.1994 - 9 C 158.94 -, a.a.O.). Wie aus den dargelegten Maßnahmen der Sicherheitskräfte und der Streitkräfte ersichtlich, wurde damit eine Konzeption der türkischen Regierung zur "Befriedung" der kurdischen Siedlungsgebiete im Südosten der Türkei durchgesetzt, die auch auf politische Verfolgung der kurdischen Bevölkerungsgruppe setzte. Dabei unterstellten die Sicherheits- und Streitkräfte ganz überwiegend pauschal eine Nähe oder Unterstützung separatistischer Aktivitäten der PKK und knüpften insoweit an die kurdische Volkszugehörigkeit der Bewohner dieses Gebietes an (vgl. zu diesen Kriterien für die Gerichtetheit von Verfolgungsmaßnahmen bei unmittelbarer staatlicher Gruppenverfolgung: BVerfG - Kammer -, 09.12.1993 - 2 BvR 1638/93 -, a.a.O.; BVerwG, 05.07.1994 - 9 C 158.94 -, a.a.O.). Obwohl der eigentliche Grund für das Eingreifen der Sicherheitskräfte in dem pauschalen Terrorismusverdacht zu sehen ist, handelte es sich um ethnische Verfolgung; denn sie richtete sich allgemein gegen Angehörige der kurdischen Volksgruppe in den dem Notstandsrecht unterworfenen Gebieten, die fast ausschließlich von Kurden bewohnt sind. Gegen eine derartig zielgerichtete Verfolgung spricht auch nicht der Umstand, dass bisweilen bei Razzien und ähnlichen Maßnahmen zwischen Verdächtigen und Unverdächtigen unterschieden wurde; denn in aller Regel werden zunächst alle in den Notstandsgebieten Lebenden pauschal verdächtigt, festgehalten und misshandelt. Insbesondere die zahlreichen Fälle von Zwangsevakuierungen und vollständiger oder teilweiser Zerstörung von Dörfern mit den damit einhergehenden massiven Eingriffen in die Freiheit und körperliche Unversehrtheit der Dorfbewohner verdeutlichen, dass die Sicherheitskräfte verstärkt zu einer Strategie übergegangen waren, die neben dem unmittelbaren militärischen Kampf gegen die PKK auch auf eine politische Verfolgung der kurdischen Bevölkerungsgruppe setzte, um so der PKK Ressourcen und eine breitere Unterstützung in der Bevölkerung zu entziehen. Welche Dimensionen die Aktivitäten der Sicherheitskräfte in Anwendung dieser Strategie hatte, zeigen die bekannt gewordenen Zahlen eindrucksvoll.

Insgesamt ist bei Abwägung und Einbeziehung aller genannten Berichte festzustellen, dass die Aktionen der Sicherheitskräfte in den Notstandsprovinzen ab Mitte 1993 nicht allein unmittelbar auf die Bekämpfung der PKK gerichtet waren, sondern dass bewusst und in einer Vielzahl von Fällen zielgerichtet die Verletzung und Tötung von Personen der Zivilbevölkerung in Kauf genommen wurde, um dadurch jedenfalls auch mittelbar - durch Abschreckung und Einschüchterung der kurdischen Zivilbevölkerung - den militärischen Kampf gegen die PKK zu erleichtern, ohne einen konkreten Anlass dafür zu haben, dass es sich bei den jeweiligen Personen um Anhänger oder Unterstützer der PKK handelte. Dabei ist es für die Asylrelevanz dieser Maßnahmen nicht erforderlich, dass sie auf die Zerstörung der Identität der gesamten der Gegenseite zugerechneten Zivilbevölkerung ausgerichtet sind. Es ist insoweit schon asylrechtlich erheblich, wenn von solchen Aktionen nur Teile dieser Zivilbevölkerung betroffen sind, die - wie hier - nach asylerheblichen Merkmalen bestimmt sind (BVerwG, 27.01.1993 - 9 B 95.92 -). Für diese Beurteilung maßgeblich sind nicht die subjektiven Gründe oder Motive der handelnden Sicherheitskräfte, sondern die nach ihrem inhaltlichen Charakter erkennbare Gerichtetheit der von ihnen durchgeführten Aktionen. Damit ist eine objektivierte Betrachtung der grundsätzlichen Zielrichtung der Aktionen der türkischen Sicherheitskräfte erforderlich. Aus der Sicht eines objektiven Dritten stellen sich die Aktionen der türkischen Sicherheitskräfte in diesem Zeitraum als in erheblichem Umfange auch gegen die kurdische Zivilbevölkerung gerichtet dar, durch die als flankierende Maßnahmen zu dem direkten Kampf gegen die PKK die kurdische Zivilbevölkerung mit brutaler Gewalt unter Druck gesetzt werden sollte, den PKK-Aktivisten keinen Schutz zu gewähren und sie nicht zu unterstützen.

Der Senat hat auch die Überzeugung gewonnen, dass aufgrund der geschilderten zahlreichen und durchgehenden Vorkommnisse während der kriegerischen Handlungen im Südosten der Türkei, insbesondere auch in Anbetracht der Tatsache, dass in diesen Jahren über dreitausend kurdische Dörfer durch Sicherheits- und Streitkräfte zwangsweise geräumt und Dorfbewohner dabei regelmäßig Eingriffen in Leben, körperliche Unversehrtheit und Freiheit ihrer Person ausgesetzt waren, eine derartige Verfolgungsdichte bestand, dass jedem kurdischen Volkszugehörigen im Südosten der Türkei akut ein den genannten Vergleichsfällen entsprechendes Verfolgungsschicksal drohte (zum Kriterium der Verfolgungsdichte vgl. insbesondere BVerwG, 05.07.1994 - 9 C 158.94 -, a.a.O.). Dabei kann schon angesichts der in Rede stehenden Schwere der Rechtsgutverletzungen nicht auf eine statistische Ermittlung der bereits schwer Geschädigten, der eher leicht Betroffenen, der latent Gefährdeten und der noch unbehelligt Gebliebenen abgestellt werden. Gerade die Vielfalt der Eingriffe erlaubt keine selektive Betrachtung je nach Ort, Art und Folgen der Eingriffe. Insbesondere hängt die Feststellung der erforderlichen Verfolgungsdichte nicht davon ab, dass die ansässige kurdische Bevölkerung mehrheitlich oder zu einem bestimmten Anteil getötet, gefoltert, verletzt oder vertrieben und der Heimat beraubt wurde. Im Hinblick auf die Unberechenbarkeit der Verfolgungshandlungen, die von der wechselnden Taktik der PKK ebenso abhingen wie von den innenpolitisch und militärisch bestimmten Gegenaktionen der Sicherheitskräfte, hat sich das Risiko in so vielen Fällen verwirklicht, dass es für einen kurdischen Bewohner der Notstandsprovinzen seither nur eine Frage der Zeit war, wann er selbst betroffen wurde. Daher kann gegen die Annahme der erforderlichen Verfolgungsdichte nicht ins Feld geführt werden, dass nicht die gesamte kurdische Bevölkerung in den Notstandsgebieten politische Verfolgung erlitten hat. Zudem ist es für die Annahme einer örtlich begrenzten Gruppenverfolgung unerheblich, dass einige ostentativ staatsloyale Bewohner wie beispielsweise Dorfschützer und Großgrundbesitzer ebenso wenig durch Maßnahmen der Sicherheitskräfte beeinträchtigt wurden wie Inhaber hervorgehobener politischer Stellen wie Parlamentsabgeordnete und Bürgermeister. Sie bildeten nämlich wegen ihrer besonderen persönlichen Eigenschaften eine fast jeder Gruppenverfolgung eigene Ausnahme.

Der Senat hält es deshalb im Ergebnis für beachtlich wahrscheinlich, dass durchaus jeder in seinem angestammten Siedlungsgebiet im Südosten der Türkei lebende Kurde in diesem Zeitraum von an seine Volkszugehörigkeit anknüpfenden, oben beschriebenen Verfolgungsmaßnahmen staatlicher Organe in der Türkei betroffen sein konnte. Der Senat weist insoweit darauf hin, dass er zur Begründung und Herleitung dieses Ergebnisses nur die wesentlichen Gründe angegeben hat, die für die richterliche Überzeugungsbildung gemäß § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO leitend gewesen sind, und nicht alle Einzelheiten von Gutachten und Berichten, die er in seine Entscheidungsfindung einbezogen hat, hier ausdrücklich wiedergegeben und bewertet hat. Aus der Nichterwähnung einzelner Umstände ist deshalb nicht zu schließen, dass der Senat diese bei seiner Entscheidung unberücksichtigt gelassen hätte; insbesondere der Umstand, dass bestimmte verfolgungsrelevante Situationen in einem Bericht nicht erwähnt sind, kann im vorliegenden Rahmen nicht jeweils ausdrücklich dargestellt und bewertet werden (vgl. zu diesen Erfordernissen grundsätzlich: BVerwG, 05.07.1994 - 9 C 158.94 -, a.a.O.). Dies bedeutet aber nicht, dass der Senat bei der Gewichtung der vorhandenen Dokumente dies nicht im Blick gehabt und etwa nicht in seine Betrachtung einbezogen hätte. Soweit der Senat hinsichtlich der Feststellung oder Bewertung von Verfolgungstatsachen von der Rechtsprechung anderer Tatsachengerichte abweicht, hat er dies bei seiner Überzeugungsbildung beachtet. Vor allem hat er alle divergierenden Tatsachenfeststellungen, soweit sie ihm bekannt sind, in die Beweiswürdigung einbezogen, auch soweit dies nicht ausdrücklich vermerkt ist.

Zusammenfassend ist danach festzustellen, dass einem kurdischen Volkszugehörigen, der in dem Zeitraum von Mitte 1993 bis Anfang 2002 in den Notstandsprovinzen des Südostens der Türkei lebte, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung durch Aktionen der türkischen Sicherheitskräfte drohte, da Angriffe der Sicherheitskräfte gezielt auch die Zivilbevölkerung in Anknüpfung an ihre kurdische Volkszugehörigkeit wahllos trafen, um diese von einer gerade aufgrund ihrer Volkszugehörigkeit für möglich gehaltenen Unterstützung der PKK abzuhalten (a.A. z. B. VGH Baden-Württemberg, 22.07.1999 - A 12 S 1891/97 -; OVG Nordrhein-Westfalen, 25.10.2000 - 8 A 1292/96.A -; offengelassen z. B. von OVG Hamburg, 01.09.1999 - 5 Bf 2/92.A - und Niedersächsisches OVG, 28.01.1999 - 11 L 2551/96 -). Gegen diese Annahme spricht nicht, dass sich die Lage in städtischen Gebieten anders darstellte als auf dem Lande und insbesondere in Grenznähe. Schon wegen der stärkeren Präsenz der Sicherheitskräfte und der Anwesenheit nichtkurdischer Bewohner erübrigten und verboten sich dort militärische Aktionen größeren Stils; dafür waren dort vermehrt repressive Maßnahmen wie willkürliche Festnahmen festzustellen. Wie bereits ausgeführt, ist es auch unerheblich, dass es in der hier maßgebenden Region einzelne Kurden gab, die aufgrund ihrer wirtschaftlichen und sozialen Stellung oder ihrer Einbindung in den Staat von diesen Aktionen nicht betroffen waren und im wesentlichen unbehelligt leben konnten; denn für diese wäre dann gegebenenfalls die Verfolgungsvermutung als widerlegt anzusehen.

Aus diesen Feststellungen zum Kreis der von der Gruppenverfolgung betroffenen Personen folgt, dass es sich hier nicht um eine regionale, sondern um eine örtlich begrenzte Gruppenverfolgung im Sinne der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts handelte (dazu BVerwG, 09.09.1997 - 9 C 43.96 -, a.a.O.; BVerwG, 30.04.1996 - 9 C 171.95 -, a.a.O.). Nach den obigen Feststellungen waren die Verfolgungsmaßnahmen strikt auf die Notstandsprovinzen begrenzt, und im Zusammenhang mit der nachfolgenden Prüfung wird deutlich, dass der türkische Staat die Bevölkerungsgruppe der Kurden nicht landesweit in den Blick genommen und verfolgt hatte, obwohl es auch gelegentlich außerhalb der Notstandsprovinzen zu asylrelevanten Übergriffen kam. Der türkische Staat stellt sich nicht als mehrgesichtiger Staat dar, der sich insgesamt als Verfolgerstaat erwiesen hat und nur beispielsweise aus Gründen politischer Opportunität die Kurden nicht landesweit verfolgte. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass er lediglich aus politischem Kalkül oder aus ähnlichen Gründen Kurden außerhalb der Notstandsprovinzen unbehelligt leben ließ, obwohl er sie allgemein als gefährliche Sympathisanten und mögliche Unterstützer der PKK und damit aus seiner Sicht als staatsgefährdende Terroristen einschätzte. Nach den vom Senat getroffenen Feststellungen hegte der türkische Staat den seine Verfolgungshandlungen auslösenden pauschalen Separatismusverdacht nur gegenüber denjenigen kurdischen Volkszugehörigen, die in den Notstandsprovinzen der Türkei lebten. Nur ihnen gegenüber kam es insbesondere aufgrund der besonderen Bedingungen des Notstandsrechts zu Übergriffen durch Sicherheitskräfte, gegen die weder die militärische noch die politische Führung vorging, die im Gegenteil einen wichtigen strategischen Teil des Kampfes gegen die PKK darstellten.

An dieser Situation hat sich in den folgenden Jahren zunächst auch nichts wesentliches geändert. Auch nach 1994 wurden die Kämpfe zwischen den Sicherheitskräften und den Angehörigen der PKK in den Notstandsgebieten mit unveränderter Härte fortgesetzt. Nachdem die PKK im Januar 1995 gegenüber dem Internationalen Komitee des Roten Kreuzes die Genfer Konvention und das Zusatzprotokoll von 1977 anerkannt hatte (KA 67), haben sowohl die Sicherheitskräfte als auch die PKK ihre Aktivitäten nach Anzahl und Umfang im Laufe des Jahres 1995 noch verstärkt. Seit September 1994 konzentrierte und verstärkte die Armee ihre Streitkräfte in der damals unter Notstandsrecht stehenden Provinz Tunceli (KA 63), die 1995 zunehmend zum wichtigsten Schauplatz der Kämpfe wurde, erheblich. Nachdem im März 1995 die PKK ihre Übergriffe erstmals auf die südtürkische Provinz Hatay ausdehnte (KA 81), marschierten 35.000 türkische Soldaten mit Panzern und Artillerie in die Kurdengebiete im Nordirak ein und gingen, bis Mai 1995 unterstützt von mit der PKK rivalisierenden irakischen Kurdengruppen, gegen PKK-Lager vor; zahlreiche Übergriffe gegen die kurdische Zivilbevölkerung im Irak sowie die Zerstörung etlicher Dörfer werden ihnen angelastet (KA 74). Bis zum Herbst 1995 kam es in allen Notstandsprovinzen zu zahlreichen Auseinandersetzungen (vgl. z. B. KA 76, 77, 84, 92, 96), die trotz eines von PKK-Führer Öcalan am 15. Dezember 1995 wegen der bevorstehenden Parlamentswahlen verkündeten einseitigen Waffenstillstandes fortgesetzt wurden (KA 100, 102, 103). Seit 1995 fanden weiterhin Militäraktionen in verschiedenen Provinzen statt (KA 72, 85, 97), und während des gesamten Jahres 1995 kamen bei etlichen Überfällen der PKK auf Dörfer sowohl in der Notstandsregion als auch in angrenzenden Provinzen zahlreiche vor allem kurdische Zivilisten ums Leben, so bei einem Angriff von PKK-Kämpfern auf das Dorf Hamzali in der Provinz Diyarbakir und auf das Dorf Naliza in der Nähe der Stadt Kulp (vgl. z. B. KA 63, 92). Die Anschläge der PKK richteten sich vor allem gegen Lehrer, die von ihr als türkische Agenten und damit der gegnerischen Kriegspartei zugehörig bezeichnet wurden (KA 68). Auch in den an die Notstandsregionen angrenzenden Provinzen kam es zu mehreren Überfällen der PKK auf Bergdörfer, vor allem in der Provinz Karamanmaras (KA 71), über welche bis zum Jahr 1995 ebenfalls der Ausnahmezustand verhängt war (KA 78). Nach Beendigung eines erneuten Waffenstillstands (KA 112) gab es im Rahmen der Frühjahrsoffensive 1996 auf beiden Seiten wieder zahlreiche Tote und Verwundete (KA 110), wobei es auch zu Auseinandersetzungen mit der PKK im Nordirak kam. Im Juli 1996 griff auch die türkische Luftwaffe PKK-Lager im Nordirak an (KA 113). Die türkischen Sicherheitskräfte setzten im Zuge der gesteigerten Aktivitäten zur Bekämpfung der PKK in den Notstandsgebieten die massiven Übergriffe gegen die kurdische Zivilbevölkerung fort, zunehmend unter Berücksichtigung der seitdem verstärkt verfolgten Strategie, Dorfbewohner, bisweilen sogar ganze Dorfgemeinschaften zur Übernahme des Dorfschützeramtes zu pressen und im Weigerungsfall die Dorfbewohner zu schlagen, die Häuser zu verwüsten und Haushaltsgegenstände zu zerstören (KA 85).

Seit November 1994 ist es zu systematischen Zwangsevakuierungen gekommen, die mit völliger Zerstörung der Dörfer einschließlich des Viehbestandes, der landwirtschaftlichen Geräte, Ernte und noch nicht geernteter Feldfrüchte einhergingen (KA 94). Die Dörfer wurden entvölkert; es kam zu willkürlichen Verhaftungen (KA 80). Oft ließen die Soldaten den Dorfbewohnern nur Zeit, das Nötigste zusammenzupacken, und zerstörten dann ihre Häuser. Die Stadt Tunceli selbst war im April 1995 infolge der Vertreibungen in der Region in kurzer Zeit von 25.000 auf 40.000 Einwohner angewachsen (KA 75). Der Bundestagsabgeordnete Özdemir berichtete nach einer Türkeireise Anfang August 1995, dass zwei Drittel der Dörfer um die Hauptstadt Tunceli entvölkert und die Bewohner in die Flucht getrieben worden seien; rechtsextreme Sondereinheiten hätten einen Staat im Staate errichtet und versuchten, mit Ausgangssperren und Nahrungsmittelrationierungen jegliche Unterstützung für die PKK zu verhindern (KA 87). Nach den Parlamentswahlen am 24. Dezember 1995 sollen die Sicherheitskräfte in kurdischen Dörfern der Notstandsgebiete Strafaktionen gegen die Zivilbevölkerung in Form von Verhaftungen von Einwohnern und Dorfschützern durchgeführt haben, weil diese die HADEP gewählt hätten. In dem Dorf Narike sollen die Einwohner gezwungen worden sein, sich auf dem Dorfplatz zu versammeln, und gefoltert worden sein (KA 102). In den Provinzen, über die der Notstand verhängt war, kam es seither im Rahmen von Zwangsevakuierungen von Dörfern sowie bei sonstigen großangelegten Aktionen der Sicherheitskräfte zu Übergriffen gegenüber Zivilpersonen, insbesondere wenn diese verdächtigt wurden, mit der PKK zusammenzuarbeiten (KA 111, 114, 118, 119, 120, 122, 125,184). Seit Beginn der bewaffneten Auseinandersetzungen mit der PKK im Jahre 1984 in der Kurdenregion bis zum Zeitpunkt der Entscheidung wurden nach Angaben des Auswärtigen Amtes (KA 114, 118, 134,193, 211) etwa 3.428 Dörfer evakuiert und ganz oder teilweise zerstört, wobei die Gesamtzahl der Dörfer im Notstandsgebiet mit 12.000 angegeben wird. Die Evakuierungen betrafen nach unterschiedlichen Quellen demnach bisher 300.000 bis 2.000.000 Menschen (KA 134,193), wobei aufgrund der verschiedenen anderen Maßnahmen wie der Räumung der Häuser von Familien, die keine Dorfschützer stellen wollen, von Verhören und Misshandlungen Verdächtiger und ihrer Angehörigen, Razzien und Kampfhandlungen Orte häufig auch freiwillig aufgegeben werden.

Die Situation beruhigte sich 1995 und 1996 (KA 121); das seit 1993 in zehn Provinzen bestehende Notstandsrecht (KA 99, 111, 114) wurde für die Provinz Mardin am 28. November 1996 (KA 118), für die Provinzen Bitlis, Batman und Bingöl zum 6. Oktober 1997 aufgehoben (KA 211). Im Jahr 1997 war es nach erneuten Attentaten der PKK zu militärischen Offensiven in der Türkei und im Nordirak gekommen (KA 122), im Frühjahr 1998 gab es in der Provinz Sirnak heftige Kämpfe auch unter Beteiligung der türkischen Luftwaffe (KA 123). Im Sommer 1998 sollen bei Gefechten in Sirnak, Hakkari und Diyarbakir (KA 123) und bei Offensiven des türkischen Militärs gegen die PKK im Grenzgebiet zum Irak (KA 134) 170 Menschen getötet worden sein. Während des Aufenthalts von Öcalan in Rom im November 1998 kam es zu verschiedenen Verhaftungswellen von etwa 3.000 Mitgliedern der HADEP, wobei zwei Personen im Polizeigewahrsam ums Leben kamen und Freigelassene von Folter berichteten; 200 Personen sollen sich Anfang Januar 1999 noch in Untersuchungshaft befunden haben (KA 130).

Seit der Verschärfung der Auseinandersetzungen mit der PKK ist die Situation in der Türkei immer wieder von dem verschärften Vorgehen staatlicher Organe gegen Oppositionelle und insbesondere Kritiker der Kurdenpolitik der Regierung geprägt. Hiervon betroffen sind in erster Linie Menschenrechtsaktivisten, türkische und ausländische Journalisten sowie Politiker von Parteien, die sich für die Kurden einsetzen, insbesondere der HADEP bzw. DEP. Nach dem Verbot der pro-kurdischen Zeitung Özgür Gündem im April 1994 wurde auch das Nachfolgeorgan Özgür Ülke im Februar 1995 eingestellt (KA 65, 89); und im August 1995 wurde die Nachfolgezeitung Yeni Politika mit der Begründung verboten, die Zeitung sei im wesentlichen eine Fortsetzung der Özgür Ülke gewesen (KA 89).

Das massive Vorgehen der türkischen Behörden gegen Kritiker der staatlichen Kurdenpolitik wird aus den Angaben verschiedener Quellen über die im Zusammenhang mit Art. 8 ATG Inhaftierten und Verurteilten deutlich. So sollen sich im Jahr 1995 fast 200 türkische Journalisten, Schriftsteller und Intellektuelle in Haft befunden haben (KA 116). Das Staatssicherheitsgericht in Istanbul verurteilte am 21. Dezember 1995 einen türkischen Journalisten, der im April 1994 in der Zeitung Özgür Ülke einen Artikel über den PKK-Führer Öcalan veröffentlicht hatte, wegen separatistischer Propaganda zu 10 Monaten Haft und einer Geldstrafe in Höhe von umgerechnet 8.300 DM (KA 101). Am 9. Januar 1996 wurde ein früherer kurdischer Abgeordneter der Partei der Ministerpräsidentin Ciller, der zwei Jahre zuvor aus Protest gegen die Kurdenpolitik der Regierung aus der Partei ausgetreten war, unter dem Vorwurf der Unterstützung der PKK festgenommen, wobei den Behörden politische Motivationen wegen der deutlichen Kritik des Festgenommenen an der Kurdenpolitik der Regierung vorgeworfen wurde (KA 106). Am 27. Oktober 1995 wurden die Vorschriften der Art. 8 und 13 ATG reformiert. Dies führte zwar zu einer Einengung sowohl des objektiven als auch des subjektiven "Separatismus"-Tatbestandes; nach wie vor werden aber kritische Meinungsäußerungen zur Kurdenfrage strafrechtlich sanktioniert (KA193). Der Strafrahmen sieht nunmehr Gefängnisstrafe von einem bis drei Jahre und schwere Geldstrafen von 100 bis 300 Millionen TL vor und lässt die Umwandlung von Freiheitsstrafen in Geldstrafen sowie die Aussetzung der Strafen zur Bewährung zu (KA 114). Bis April 1996 wurden von etwa 150 bis 180 nach Art. 8 ATG Verurteilten über 140 freigelassen (KA 114), unter ihnen auch prominente Menschenrechtler (KA 113, 114: 111 von insgesamt 146 nach Art. 8 ATG Verurteilten). Da das türkische Parlament die Wiederaufnahme der bis dahin nach Art. 8 ATG durchgeführten Verfahren auch nach Eintritt der Rechtskraft innerhalb eines Monats nach Inkrafttreten der gesetzlichen Regelung unter Beurteilung der Strafbarkeit nach neuem Recht beschloss (KA 114), mussten die bisher nach Art. 8 ATG Verurteilten jedoch mit einer erneuten Verurteilung rechnen. Insgesamt ist festzustellen, dass auch nach der Reform des Art. 8 ATG die bisher geübte Strafverfolgungspraxis gegenüber kritischen türkischen und türkisch-kurdischen aber auch ausländischen Journalisten, Mitgliedern von Menschenrechtsvereinen und den die Kurdenpolitik kritisierenden Politikern keine grundlegende Veränderung erfahren hat, da die türkische Justiz zunehmend von Art. 8 ATG auf andere Straftatbestände ausweicht (KA 134).

Auch gegen missliebige Journalisten gingen die Sicherheitskräfte brutal vor. So ist im August 1995 ein kurdischer Journalist offensichtlich im türkischen Polizeigewahrsam in Bitlis ums Leben gekommen; nach Erklärungen der Polizei hatte er sich in seiner Zelle erhängt. Nach Angaben von Familienangehörigen wies die Leiche aber Folterspuren auf (KA 91). Der türkische Journalist Metin Göktepe war während der Beerdigung zweier während des Gefängnisaufstandes Ende Dezember 1995 in Istanbul getöteter Häftlinge abgeführt und am 8. Januar 1996 in Istanbul tot aufgefunden worden; später räumte die Regierung ein, dass er im Polizeigewahrsam umgebracht wurde (KA 105, 107). Mindestens 20 kritische Journalisten sollen in dem Zeitraum von 1991 bis Ende 1996 ermordet worden sein (KA 116). Von dem Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen missliebige Journalisten oder sonstige Kritik äußernde Personen blieben auch ausländische Beobachtergruppen, Aktivisten und Journalisten nicht verschont (KA 73, 81, 82, 88, 131).

An der für das Jahr 1993/94 festgestellten Verfolgungssituation im Bereich der unter Notstandsrecht stehenden Provinzen hat sich, wie sich aus obigen Feststellungen ergibt, in der Folgezeit nichts Wesentliches geändert. Weiterhin kam es in Zusammenhang mit der Bekämpfung der PKK zu Zwangsräumungen von und Angriffen auf Dörfer, die als Rückzugsmöglichkeiten der Guerilla angesehen wurden, und dabei zu derart undifferenzierten und breit angelegten Übergriffen auf die Zivilbevölkerung, wie sie auch für den Zeitraum seit Mitte 1993 zu beobachten waren. In diesem Zeitraum war jeder kurdische Bewohner dieses Gebiets potentiell Betroffener dieser Maßnahmen, deren Häufung und Zielrichtung sie als Gruppenverfolgung charakterisierten, die jedoch in dieser Zeit örtlich begrenzt blieb.

c) Ein kurdischer Volkszugehöriger konnte aber in der Türkei in dem hier maßgeblichen Zeitpunkt der Ausreise des Klägers leben, ohne dass ihm politische Verfolgung drohte, wenn er sich außerhalb der Notstandsprovinzen, vor allem in den Großstädten Ankara und Istanbul, niederließ (vgl. Hess.VGH, 23.11.1992 - 12 UE 2590/89 -, 24.01.1994 - 12 UE 200/91 -, zuletzt 04.03.2002 - 12 UE 2545/00.A).

Im Falle einer örtlich begrenzten Gruppenverfolgung stellt sich anders als bei einer regionalen Gruppenverfolgung nicht die Frage nach einer zumutbaren inländischen Fluchtalternative (vgl. BVerwG, 30.04.1996 - 9 C 171.95 -, BVerwGE 101, 134 = EZAR 203 Nr. 8; BVerwG, 09.09.1997 - 9 C 43.96 -, BVerwGE 105, 204 = EZAR 203 Nr. 11; BVerwG, 08.03.2000 - 9 B 620.99 -). Da Grundlage für die Relevanz einer inländischen Fluchtalternative und deren Voraussetzungen die Überlegung ist, dass ein von regionaler politischer Verfolgung betroffener Bürger eines Staats erst dann politisch Verfolgter ist, wenn er dadurch landesweit in eine ausweglose Lage gerät, weil er in anderen Teilen seines Heimatlandes eine zumutbare Zuflucht nicht finden kann, ist im Unterschied zur regionalen Verfolgung bei örtlich begrenzter Verfolgung die Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung außerhalb des örtlich begrenzten Verfolgungsgebiets schon dem Begriff nach nahezu ausgeschlossen. Da nämlich die Verfolgung von vornherein strikt auf bestimmte Gebiete begrenzt ist und der Verfolgerstaat nicht nur aufgrund von Praktikabilitätsüberlegungen von der Verfolgung in einem anderen Gebiet absieht, sind Verfolgungen dort nicht wahrscheinlich; denn anders als bei regionaler Verfolgung hat der Staat die verfolgte Gruppe nicht landesweit in den Blick genommen und lässt sie nicht nur aus opportunistischen oder ähnlichen Gründen im übrigen Staatsgebiet unbehelligt. Bei einer Person, die zwar der ethnisch, religiös oder sonst abgegrenzten Gruppe angehört, jedoch nicht zu der Personengruppe zu rechnen ist, die örtlich begrenzt verfolgt wird, kann deshalb von vornherein angenommen werden, dass sie ohne Gefahr kollektiver Verfolgung in ihrer Heimatregion oder sonst außerhalb des Verfolgungsgebiets leben kann. Auf die Möglichkeit eines nicht von existenziellen Risiken anderer Art bedrohten Lebens kommt es für sie nicht an (grundsätzlich hierzu: Hess.VGH, 07.12.1998 - 12 UE 2091/98.A -; vgl. auch HessVGH, 27.01.1999 - 6 UE 1253/96.A -). Offenbleiben kann dabei, ob es für die aus dem Verfolgungsgebiet stammenden und daher der Gruppenverfolgung unterliegende Personen ebenfalls nicht hierauf ankommt (ebenso schon HessVGH, 07.12.1998 - 12 UE 232/97.A -; HessVGH, 31.01.2000 - 12 UE 176/99.A -; HessVGH, 27.03.2000 - 12 UE 1562/99.A -; zuletzt 04.12.2000 - 12 UE 968/99.A -), da zum hier maßgeblichen Zeitpunkt der Ausreise der Klägerin Kurden, soweit sie in ihrer Heimat allenfalls der marginalen Unterstützung der PKK verdächtig waren, ohne sich aktiv und hervorgehoben für separatistische Bestrebungen einzusetzen, insbesondere in der Westtürkei grundsätzlich unbehelligt leben und dort auch eine hinreichende Existenzmöglichkeit finden konnten.

Mit der Verschärfung der Auseinandersetzung zwischen Sicherheitskräften und PKK im Südosten der Türkei sollen auch in der Westtürkei Repressionen gegen Kurden zugenommen haben (KA 44). Die kurdischen Zuwanderer sollen bei Razzien und Fahndungen in erster Linie von Festnahmen betroffen worden sein, da sie bereits allein aufgrund ihrer kurdischen Herkunft als verdächtig galten (KA 31, 44). Dies soll sich mit der Andauer des Kampfes im Südosten weiter verschlimmert haben, wobei gleichgültig gewesen sein soll, welche konkreten Verdachtsmomente in Bezug auf die Verwandtschaft oder Bekanntschaft mit PKK-Rebellen vorlagen. Des Weiteren wurde der Verdacht geäußert, dass Kurden in den west-, süd- und nordtürkischen Regionen von der Polizei drangsaliert wurden, ohne dass auch nur der Versuch gemacht worden sei, den Vorwurf einer tatsächlich vorhandenen radikalen kurdischen Einstellung oder Aktivität nachzuweisen. Allein die Zugehörigkeit zur ethnischen Gruppe der Kurden habe den Vorwurf einer separatistischen Einstellung nach sich gezogen (KA 48, 67).

1992 und 1993 kam es in verschiedenen Orten der West- und Südtürkei zu Zwischenfällen gegenüber kurdischen Volkszugehörigen (KA 44, 48). Im Rahmen von Beerdigungen und Trauerfeiern von türkischen Trauergemeinden gab es nicht nur gegen die PKK, sondern gegen die Kurden gerichtete Ausschreitungen, die teilweise mehrere Tage andauerten, beispielsweise Ende Oktober 1992 in Alanya in der Nähe von Antalya (KA 30, 33) und in Fethiye (Provinz Mugla; KA 30, 44). Anfang Dezember 1992 entstanden in Antalya nach einem Feuerüberfall auf einen Polizeiwagen Spannungen zwischen türkischer und kurdischer Bevölkerung, die in Ausschreitungen gegen kurdische Geschäfte mündeten (KA 36). Auch alltägliche Streitereien zwischen Bürgern türkischer und kurdischer Herkunft wurden häufig zum Anlass gewalttätiger Auseinandersetzungen genommen, wie in der Nacht vom 12. zum 13. Juli 1993 in Ezine (Provinz Canakkale) zwischen kurdischen Hotelangestellten und Gästen aus dem Nachbardorf (KA 48). Darüber hinaus trugen auch öffentliche diskriminierende Äußerungen von Politikern zur Verschlechterung des Verhältnisses zwischen Türken und Kurden bei (KA 48). Mit dem Andauern der Kämpfe im Südosten der Türkei und weiterer Flüchtlingswellen aus diesen Gebieten insbesondere in die Großstädte im Westen der Türkei verbesserte sich die Lage vor allem in den überwiegend von Kurden bewohnten Vierteln nicht. Dort vermehrte sich die Häufigkeit von Razzien und Überprüfungen einschließlich Festnahmen eher noch, da die Sicherheitskräfte unter den neu aus den östlichen Provinzen hinzugezogenen Kurden einen hohen Anteil von PKK-Anhängern vermuteten (KA 62, 67, 70, 77). Nach auf Informationen von türkischen Menschenrechtsvereinen beruhenden Berichten kam es im Jahre 1994 zu 14.473 Festnahmen (KA 70); in der gesamten Türkei soll es sich um eine Million Festnahmen pro Jahr gehandelt haben (KA 96). Oberdiek ermittelte aus Zeitungsberichten oder Informationen von Menschenrechtsvereinen für Istanbul, Adana, Izmir und andere Orte insgesamt etwa 118 Razzien und Verhaftungen im Zeitraum Oktober 1994 bis Mai 1995; daneben kam es in diesem Zeitraum zu mehreren ungeklärten Fällen Ermordeter und Verschwundener sowie zu Bombenanschlägen, deren Täter vielfach nicht zu ermitteln waren, so beispielsweise in Adana und Mersin im März 1995 (KA 77).

Die Situation in der Türkei war in den Jahren vor und nach der Ausreise des Klägers durch Regierungskrisen geprägt, die von unterschiedlichen Auffassungen zur Lösung des Kurdenproblems sowie insbesondere durch die gravierende Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation ausgelöst wurden. Aus den Neuwahlen vom 24. Dezember 1995 war die islamistische Wohlfahrtspartei (RP) als Sieger hervor gegangen, gefolgt von der Mutterlandspartei (ANAP) und der Partei des Rechten Weges von Ministerpräsidentin Ciller (DYP; KA 117), die neue Regierung wurde aus einer Koalition von RP und DYP gebildet. Am 28. Juni 1996 wurde Erbakan zum Ministerpräsidenten gewählt (KA 120), am 18. Juni 1997 trat er zurück, nachdem die Koalitionsregierung der islamisch orientierten Wohlfahrtspartei und der Partei des Richtigen Weges (DYP) unter erheblichen innenpolitischen Druck geraten war. Am 30. Juni 1997 wurde Mesut Yilmaz zum Ministerpräsidenten ernannt (KA 126) und am 16. Januar 1998 wurde die Wohlfahrtspartei verboten (KA 134).

Die Sicherheitslage war auch außerhalb der Notstandsprovinzen nicht unproblematisch. Laut Taylan verschwanden nach einer Aufstellung von amnesty international allein 1995 mindestens 35 Personen; in den ersten 11 Monaten des Jahres 1996 sollen es schon 179 gewesen sein (KA 116). Eine in Zusammenhang mit den Unruhen in Istanbul im März 1995 durchgeführte Demonstration war Anlass zu einer Großrazzia, bei der etwa 350 Personen festgenommen wurden (KA 155). Bei solchen Polizeirazzien mit zahlreichen vorläufigen Festnahmen in Großstädten im westlichen oder südlichen Teil der Türkei kommt es nach Angaben des Auswärtigen Amtes deshalb in den dortigen Kurdensiedlungen häufiger zu Übergriffen seitens der Sicherheitskräfte (KA 134,193). Amnesty international berichtete über 80 politische Morde von Januar bis August 1995 (KA 90); der türkische Menschenrechtsverein Human Rights Association (HRA) gab im Oktober 1995 die Zahl der bis dahin Verschwundenen mit 158 an (KA 93). In einer im Januar 1996 veröffentlichten Jahresbilanz für 1995 zählte der türkische Menschenrechtsverein IHD 99 Tote und 136 Verletzte, die offenbar politisch motivierten Anschlägen zum Opfer fielen; dem Bericht zufolge starben 122 Personen durch extralegale Hinrichtungen oder Folter im Polizeigewahrsam, 231 Personen verschwanden, 251 wurden im Gefängnis gefoltert, 14.473 Personen wurden vorläufig und 2.101 dauernd festgenommen (KA 109). Der im Juli 1998 erschienene Jahresbericht der Türkischen Menschenrechtsstiftung (TIHV) von 1997 wies insgesamt 518 Fälle von Folter aus; das Auswärtige Amt zitiert den Jahresbericht 1999 von amnesty international, in dem die Zahl der 1998 "Verschwundenen", durch Folter zu Tode gekommenen oder außergerichtlich hingerichteten Menschen mit mindestens 30 angegeben worden sein soll (KA 134, S. 22).

Nach einem Bericht der türkischen Menschenrechtsstiftung TIHV wird die Folter von den türkischen Sicherheitskräften weit verbreitet als systematische Verhörmethode sowie als Mittel zur Bestrafung und Abschreckung angewandt. Danach wird am häufigsten, nämlich mit ca. 78 % aller bekannt gewordenen Fälle, in Polizeihauptquartieren gefoltert; der Erhebung zufolge werden von den Folteropfern, die bei der TIHV, die medizinische Zentren zur Behandlung von Folteropfern unterhält, um Hilfe nachsuchten, ca. 85 % aus politischen Gründen, 2 % wegen gewöhnlicher Kriminalität und ca. 13 % ohne ersichtliche Gründe gefoltert (KA 95). Ein Grund für diese trotz der zwischenzeitlich eingeführten Unterrichtung der Vernehmungsbeamten in modernen, rechtsstaatlichen Verhörmethoden immer noch alltäglichen Übergriffe liegt dem Auswärtigen Amt zufolge darin, dass die Beweisführung türkischer Sicherheitskräfte in hohem Maße auf Geständnissen beruht, denen traditionell von den Gerichten hoher Beweiswert zugemessen wird (KA193). Nach wie vor räumen die türkischen Behörden bei erhobenen Foltervorwürfen Übergriffe nur in Einzelfällen ein (KA 134, S. 22, 173). Die Veröffentlichung des Berichts der von der türkischen Regierung Anfang 1994 eingesetzten Menschenrechtskommission wurde verweigert, und mehrere Mitglieder der eingesetzten Kommission traten aus Protest dagegen zurück. Ihren Angaben zufolge kam die Kommission zu dem Ergebnis, dass in türkischen Polizeiwachen systematisch gefoltert wird, die daran beteiligten Beamten aber überhaupt nicht oder nur unzureichend belangt werden (KA 69).

Es lässt sich jedoch nicht feststellen, dass in dem hier maßgeblichen Zeitraum bis zur Ausreise des Klägers Kurden allein wegen ihrer Volkszugehörigkeit verhaftet, verhört und gefoltert wurden. Die nach wie vor auch im Westen feststellbaren Übergriffe (KA 115, 116, 193) rechtfertigen nicht die Annahme, Kurden seien in der Westtürkei generell von asylrechtsrelevanten staatlichen Verfolgungsmaßnahmen bedroht gewesen. Zwar ergibt sich aus den recherchierten Fällen, dass die kurdische Volkszugehörigkeit und der Zuzug aus dem Südosten vor kürzerer Zeit schon als Anknüpfungspunkt für die Durchführung einer Razzia oder Durchsuchung ausreichen konnten, da unter diesen Personen ein hoher Anteil von PKK-Anhängern vermutet wurde (KA 62). Jedoch sind solche, noch der Bekämpfung terroristischer Anschläge und Täter dienende Maßnahmen für sich allein nicht als asylrechtlich relevante Beeinträchtigung zu bewerten. Zu längerdauernder Verhaftung kam es - von einzelnen Fällen abgesehen - in aller Regel nur bei Vorliegen entsprechender Verdachtsmomente, auch wenn diese häufig als vage und willkürlich erscheinen oder auf nicht rechtsstaatliche Weise erlangt wurden. So ist auch in den ermittelten Fällen (KA 58, 60) festzustellen, dass bei den länger Inhaftierten Verdachtsmomente dieser Art vorlagen, wenn es sich beispielsweise um HADEP-Mitglieder handelte oder die Verwendung kurdischer Farben und/oder Symbole, das Singen kurdischer Lieder und ähnliche Begebenheiten Anlass für die Maßnahme waren. Die anlässlich der Beerdigung zweier politischer Häftlinge von der Polizei in Istanbul vorgenommenen vorläufigen Festnahmen von zumindest 500 bis 800 Trauergästen erfolgten offensichtlich zur Feststellung der Personalien (KA 104) sowie um befürchtete Ausschreitungen zu verhindern, und auch nach den schweren Unruhen in Istanbul im März 1995 mit etlichen Toten normalisierte sich die Lage wieder. Zwanzig an den Todesfällen beteiligte Polizisten wurden angeklagt und schließlich zwei wegen Totschlags verurteilt (KA 152).

Es fehlen auch genügende Anhaltspunkte dafür, dass Ausschreitungen und Übergriffe Privater vom türkischen Staat veranlasst oder geduldet wurden. Insoweit ist vielmehr festzustellen, dass die türkischen Sicherheitskräfte grundsätzlich schutzbereit waren. Soweit es zu spontanen und häufig emotional wegen der türkischen Opfer der bewaffneten Auseinandersetzungen mit der PKK begründeten Übergriffen Privater gegenüber kurdischen Volkszugehörigen in der Westtürkei kam blieb die Polizei nicht völlig untätig, sondern forderte beispielsweise die kurdische Bevölkerung auf, zu ihrem Schutz vorübergehend die Häuser nicht zu verlassen, oder verhinderte weitere Ausschreitungen (KA 44). Auch die berichteten Einzelfälle von Übergriffen staatlicher Sicherheitskräfte nach Festnahmen von Kurden in Adana (KA 58) können insbesondere unter Berücksichtigung der großen Zahl der im Westen der Türkei lebenden sechs bis acht Millionen Kurden nicht zu der Feststellung führen, dass Kurden dort generell wegen ihrer Volkszugehörigkeit politische Verfolgung drohte. Nach den durch unbekannte Täter verübten Anschlägen und Morden führte die Polizei Ermittlungsmaßnahmen beispielsweise durch Hausdurchsuchungen durch (KA 79, S. 27); teilweise war die Polizei auch selbst betroffen von solchen Anschlägen (KA 79, S. 25). Aus Berichten türkischer Menschenrechtsvereine gehen ca. 1.000 Folterfälle in den Jahren 1994 und 1995, 298 Todesfälle in Polizeihaft oder bei Polizeirazzien und 328 Fälle vermuteten Verschwindenlassens innerhalb eines Jahres hervor (KA 72). Diesen Zahlen von Folterfällen, Todesfällen in Polizeihaft oder bei Polizeirazzien und Fällen vermuteten Verschwindenlassens steht eine (geschätzte) Zahl von etwa 3,5 Millionen Kurden in Istanbul (von etwa 8,5 Millionen Einwohnern; 1997: etwa 3 Millionen Kurden, KA 66) gegenüber. Die Zahl der Binnenflüchtlinge aus dem Südosten, die sich im Westen niedergelassen haben, wird auf zwei bis drei Millionen geschätzt; etwa die Hälfte bis annähernd zwei Drittel der kurdischstämmigen Bevölkerung lebte damit im Westen der Türkei (KA 66). Der Zunahme bei der Zahl von Verhaftungen und auch Übergriffen steht die noch deutlichere Zunahme der Zahl der kurdisch-stämmigen, insbesondere auch aus dem Südosten neu zugezogenen Bevölkerung gegenüber.

Kurdische Volkszugehörige hatten zum Zeitpunkt der Ausreise des Klägers insbesondere in der Westtürkei, vor allem in den Großstädten Istanbul und Ankara auch grundsätzlich die Möglichkeit, sich jedenfalls für eine bescheidene Lebensführung eine ausreichende wirtschaftliche und finanzielle Grundlage zu schaffen. Es drohte ihnen bei der gebotenen generalisierenden Betrachtung (BVerwG, 08.02.1989 - 9 C 30.87 -, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 104) nicht auf Dauer ein Leben unter dem Existenzminimum mit der Gefahr von Verelendung und Hungertod.

Etwa die Hälfte bis annähernd zwei Drittel der kurdischen Bevölkerung (KA 54, 66), deren Gesamtzahl auf etwa 12 oder 13 Millionen geschätzt wurde (KA 60), lebte mittlerweile außerhalb der ursprünglichen Siedlungsgebiete im Osten der Türkei. In der übrigen Türkei, insbesondere in den Großstädten Istanbul, Izmir und Ankara, lebten zwischen sechs und zehn Millionen türkischer Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit (KA 32, 66). Die Zahl der Zuwanderer belief sich dort zwischenzeitlich auf etwa ein Fünftel bis ein Drittel der Gesamteinwohnerzahl (KA 22, 44). In Istanbul wohnten etwa 3,5 Millionen Kurden unter einer Gesamtbevölkerung von jedenfalls über acht Millionen (FA 1, 4, KA 66) und damit mehr als in den meistumkämpften Kurdenprovinzen (KA 33). Ein Teil der Kurden lebte schon seit Generationen und assimiliert im Einvernehmen mit den jeweiligen Nachbarn im Westen, während andere erst in neuerer Zeit zugewandert waren, wobei sich die Zuwanderung aus einem bestimmten Dorf an dem Ort konzentrierte, an dem der erste Abwanderer aus diesem Dorf sich niedergelassen hatte (KA 22). Das Gros der im Westen lebenden kurdischstämmigen Bevölkerung befand sich im Familienverbund und wurde dadurch auch in die Lage versetzt, sich gegenseitig zu unterstützen (FA 5). Ursachen für diese "Auswanderung" in den Westen der Türkei waren oft auch wirtschaftliche Gründe, da sich die wirtschaftliche Lage insbesondere in den städtischen Gebieten der Westtürkei in der Regel besser als im Heimatdorf der Kurden in ihrem Siedlungsgebiet darstellte (KA 24), wobei die wirtschaftliche Situation der in der Westtürkei lebenden kurdischstämmigen Bevölkerung tatsächlich nicht von ihrer Volkszugehörigkeit, sondern überwiegend von ihrem Bildungs- und Ausbildungsstand abhing. Auch Kurden aus dem ländlichen Bereich der kurdischen Siedlungsgebiete im Südosten der Türkei, die mangels ausreichenden Schulbesuchs oft nicht einmal lesen oder schreiben konnten und vor allem in der Landwirtschaft tätig waren, fanden in den Großstädten durchaus Möglichkeiten, sich insbesondere als Hilfskräfte im Dienstleistungsbereich ein bescheidenes Auskommen zu sichern. Da die Schulpflicht auch unter den in den Gecekondus der Großstädte lebenden Zuwanderern zu einem hohen Prozentsatz erfüllt wurde, waren die wirtschaftlichen Möglichkeiten dort heranwachsender Kurden bereits erheblich besser und unterschieden sich nicht von denen vergleichbarer angestammter Einwohner dieser Städte. Kurdischstämmige Türken wurden hier in die Gesellschaft gut integriert und waren entsprechend ihrer Qualifikation auch in höchsten Positionen der Wirtschaft, beim Militär und bei der Regierung vertreten; der Präsident der Istanbuler Handelskammer etwa war Kurde (KA 60). Kurden konnten insbesondere in westtürkischen Großstädten, vor allem in Istanbul, genauso wie die dort angestammten Einwohner Arbeit finden. Es lässt sich nicht erkennen, dass Kurden in den Städten von Arbeitslosigkeit verhältnismäßig stärker betroffen waren als andere Gruppen (KA 28). Länger ansässige Kurden hatten im Westen der Türkei ohne Anzeichen für irgendeine Diskriminierung ihren festen Platz in der Geschäftswelt (KA 28), etwa in der Gastronomie, im Gemüse- und Obstgroßhandel, im Transportwesen oder der Industrie. Ein Großteil des Kleinhandels, aber auch des Handwerks, befand sich fest in kurdischer Hand. Aus dem Südosten zuwandernden Kurden war es nicht schwerer gefallen als anderen Zuwanderern, auf dem Arbeitsmarkt unterzukommen. Gerade in der türkischen Bauwirtschaft, die insbesondere an den Küsten einen Boom erlebte, gehörten Kurden zu den beliebtesten Arbeitskräften (KA 28). Tatsächlich sind aus diesem Grunde Hunderttausende aus den Kurdenprovinzen, die auch unter dem Einfluss der zwischen der PKK und türkischen Sicherheitskräften geführten bewaffneten Auseinandersetzungen wirtschaftlich ausgeblutet waren, aus ihren heimatlichen Siedlungsgebieten in den Westen der Türkei abgewandert (FA 2). In den städtischen Ballungszentren war für sie immer noch besser Arbeit zu finden als im mehr und mehr verödenden Südosten (KA 32). Neben der allgemein herrschenden Arbeitslosigkeit führte allerdings eine zunehmend feindliche Haltung der Türken in der Westtürkei gegenüber Kurden dazu, dass diese zum Teil bewusst nicht mehr beschäftigt wurden. Kurden, die oft ihre einzige Möglichkeit, Geld zu verdienen, in einer Tätigkeit als Straßenhändler sahen, wurde diese Tätigkeit zunehmend durch polizeiliche Maßnahmen wie Verbote, Festnahmen und Misshandlungen erschwert (KA 56, FA 4), z. B. durch Umwerfen der Wagen, so dass die Waren kaum mehr zu verkaufen waren. Männer konnten durch Gelegenheitsarbeiten zunehmend nur das Notwendigste verdienen; angesichts einer hohen Arbeitslosigkeit blieben ihnen auch in den Großstädten nur schlecht bezahlte Arbeiten am Bau und in der Kanalisation (FA 4). Andererseits ist festzustellen, dass kurdische Arbeitnehmer auch auf dem Hintergrund der sehr angespannten Arbeitsmarktsituation im Westen der Türkei dort und an der Südküste immer noch eher Arbeit fanden als in ihrem südöstlichen Heimatgebiet. Denn die Lebensverhältnisse in der Türkei wurden durch ein starkes West-Ost-Gefälle geprägt; das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf belief sich in der Osttürkei nur auf ein Zehntel des Wertes in der Westtürkei. Unter der hohen Arbeitslosigkeit hatten Kurden und Türken in der jeweiligen Region gleichermaßen zu leiden (KA 59, 66). Kurdische Flüchtlinge mussten im Westen der Türkei oft auf engerem Raum zusammenleben als in ihren Heimatdörfern; zudem waren sie zusätzlich belastet durch hohe Mieten und mangelnde Wasserversorgung. Einnahmen konnten sie sich als ungelernte Arbeitskräfte nur durch eine Beschäftigung in der Landwirtschaft, im Baugewerbe, als Lastenträger oder als Straßenhändler verschaffen (KA 44, 56). Auch wenn derartige existentielle Schwierigkeiten für Kurden an ihrem Herkunftsort im Südosten in Friedenszeiten so nicht bestanden haben (KA 28), ist zu beachten, dass angesichts der kriegerischen Auseinandersetzungen in ihrem Heimatgebiet die Sicherheits- und Wirtschaftslage in der Regel im Westen, jedenfalls in den Großstädten, gesicherter war, worauf auch die ganz erhebliche Binnenwanderung vom Südosten nach Westen wegen der dort insgesamt besseren materiellen Lebensumstände (KA 59) hinweist.

Diese Rahmenbedingungen haben sich zwar auch insbesondere in Folge der Wirtschaftskrise seit Februar 2001 weiter verschlechtert, es bestanden jedoch immer noch Möglichkeiten, einen Lebensstandard zu erreichen, der dem Existenzminimum entspricht, beispielsweise als Straßenverkäufer, Schuhputzer oder ähnliches; auch das Schwarzmeer- und das Mittelmeergebiet mit der Tourismusbranche kam immer wieder als Fluchtgebiet in Frage (KA 65). Aus einer Umfrage des Menschenrechtsvereins in Istanbul im Jahr 1995 geht hervor, dass zum damaligen Zeitpunkt 62,5 % der befragten Kurden Einkünfte durch Arbeit erzielen konnten, wenn diese auch bei der Mehrzahl äußerst niedrig waren und bei 44,6 % bis umgerechnet 100 DM pro Monat und bei 38 % bis maximal 300 DM im Monat betragen (KA 72); nach Angaben des Gewerkschaftsverbandes im Jahr 1995 mussten 40 % aller Beschäftigten mit einem Mindestlohn von umgerechnet ca. 150 DM im Monat auskommen, die Mehrheit davon in den Städten (KA 94). Seit nunmehr zwanzig Jahren liegt die Inflationsrate zwischen 30 und 100 Prozent (FA 13), für das Jahr 2000 wurde sie auf 67,9 % geschätzt (FA 16). Nach Angaben des Auswärtigen Amtes von 1997/1998 belief sich das Pro-Kopf-Einkommen in der Türkei im Jahr auf etwa 2.200 $ mit erheblichem West-Ost-Gefälle (FA 10: 4.500 $/Jahr in Izmir; 500 $/Jahr in Diyarbakir, 170 $/Jahr in Hakkari). Allerdings bestand weiterhin die Möglichkeit, in der verstärkt ausgebildeten Schatten- und Nischenwirtschaft ein Auskommen zu finden, die in der Türkei mittlerweile etwa die Hälfte des Bruttoinlandsproduktes ausgemacht hat (KA 94). Diese Möglichkeiten haben zwar mit der wachsenden Zuwanderung vor allem in die Großstädte insgesamt weiter abgenommen (FA 10: die Bevölkerung Diyarbakirs wuchs von 381.000 im Jahr 1990 auf 1,5 Mio. im Jahr 1996; vgl. auch KA 115 S. 102), eine Arbeitslosenversicherung oder Sozialhilfe gibt es nicht (FA 7, 8, 10, 17) und erst neuerdings wurde aufgrund der seit dem Jahr 2000 geltenden neuen Arbeitslosengeldverordnung nach 3 Jahren Tätigkeit max. 10 Monate lang Arbeitslosengeld i.H.v. 50 % des letzten Nettoeinkommens bezahlt (FA 16). Diese Bedingungen haben sich in den Jahren 1999 bis 2001 nochmals verschlechtert, nachdem das schwere Erdbeben in der Marmararegion August 1999 zu einem fast totalen Stillstand des dortigen Bausektors führte, der nach einem weiteren Erdbeben drei Monate später auch außerhalb der Erdbebenregion zum Erlahmen gekommen war, weil auf neue Bauanweisungen der Behörden gewartet wurde. Im Jahr 2001 betrug die Inflation 85 % und führte zu einem Absinken des Pro-Kopf-Einkommens unter 3.000 € im Jahr (KA 211).

Es lässt sich jedoch nicht feststellen, dass es für Kurden im Westen der Türkei generell unmöglich war, ein zum Überleben ausreichendes Auskommen zu finden. Bis auf wenige Einzelfälle ist eine soziale Verelendung der Kurden bis hin zu Hungersnot und Existenzbedrohung in der Türkei nicht feststellbar (FA 7, 10; KA 99, 111, 193). Maßgebend für die Frage, ob und inwieweit Kurden im Westen der Türkei unterkommen, dort auf dem regulären Arbeitsmarkt Fuß fassen, in der Schattenwirtschaft ein Auskommen finden oder sonst versorgt werden konnten, waren nach wie vor das Bestehen von familiären Kontakten zu Eingesessenen, die allgemeinen Marktgegebenheiten sowie die beruflichen und sonstigen Qualifikationen des Rückkehrers (FA 6, KA 70). Allerdings soll auch nicht verkannt werden, dass die Existenzmöglichkeiten im Westen insbesondere außerhalb der Großstädte immer schwieriger wurden, weil gerade dort Kurden - dies gilt gerade auch in den touristischen Gebieten - besonders argwöhnisch beobachtet wurden, so dass der Zuwanderungsdruck auf die Gecekondu-Viertel der Großstädte weiter zunahm (FA 7, 9; KA 115, 117). Weiterhin boten der Tourismus in verschiedenen Teilen des Landes, die Baubranche, der in Großstädten weit verbreitete Klein- oder Straßenhandel, Handwerk und Dienstleistungen Verdienstmöglichkeiten - auch für Jugendliche, die beispielsweise in Gastronomie- und Handwerksbetrieben beschäftigt werden (FA 7, 8, 9, 10). Frauen, die aus dem Südosten zuwanderten, litten zwar unter noch größeren Schwierigkeiten, da sie deutlich weniger häufig die türkische Sprache beherrschen und die Analphabeten-Quote unter ihnen höher ist; auch sie konnten jedoch im Bereich der Reinigung von Wohn- und Arbeitsstätten, als Abwäscherin in Restaurants und Kasinos, in der Wäscherei, der Landwirtschaft und in ähnlichen Bereichen Arbeit finden (FA 17), wenn auch zumeist vorübergehend, nicht abgesichert und in der Regel für Einkommen in einer Höhe, die zur Existenzsicherung nur bei Erlangen mehrerer solcher Arbeitsstellen ausreicht (FA 9, 14). Dass beispielsweise in Antalya im Bereich der Tourismusbranche die Nachfrage das Arbeitsplatzangebot um ein zwanzigfaches überstiegen hat und Bewerber mit Sprachkenntnissen bevorzugt wurden (FA 15), hat kurdische und türkische Bewerber grundsätzlich in gleichem Maß betroffen (FA 17). Auch gelungene Fälle von "Re"-Integration konnten bisher - jedenfalls bei männlichen Personen - festgestellt werden. Existierende Arbeitsplätze werden allerdings in der Regel von männlichen Bewerbern besetzt; in der Industrieproduktion betrug der Frauenanteil beispielsweise 13,3 %; in der Landwirtschaft hingegen 65,4 % (FA 16). Frauen konnten jedoch bei zusätzlichen Kenntnissen z.B. im Bürobereich mit einem Posten als Fremdsprachensekretärin rechnen (FA 14).

Insgesamt lässt sich demnach feststellen, dass für Kurden außerhalb der Notstandsprovinzen, jedenfalls aber in der Westtürkei, sowohl unter Sicherheitsaspekten als auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten eine Existenzmöglichkeit zum hier maßgeblichen Zeitpunkt der Ausreise des Klägers bestand (z.B.: VGH Baden-Württemberg, 07.05.2002 - A 12 S 196/00 -; OVG des Saarlandes, 18.08.1999 - 9 Q 66/98 -; OVG Nordrhein-Westfalen, 27.06.2002, - 8 A 4782/99.A -; Niedersächsisches OVG, 28.01.1999, aaO; OVG Hamburg, 01.09.1999, aaO; 23.11.1995 - 11 L 6076/91 -; OVG Rheinland-Pfalz, 04.12.1995 - 10 A 12970/95 -).

2. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Kläger in der Türkei vor seiner Ausreise aus individuellen Gründen politische Verfolgung erlitten hat.

Aus seinen Angaben in den verschiedenen Abschnitten des Verfahrens lässt sich zur Überzeugung des Senats nicht feststellen, dass er vor seiner Ausreise individuell auf ihn zielenden, über den örtlichen Bereich hinausgehenden und damit landesweit drohenden Maßnahmen ausgesetzt war. Die von ihm in den verschiedenen Vernehmungen gemachten Angaben zu den erlittenen Festnahmen und vor allem zu der behaupteten Schließung des Ziegelwerkes, das sich in seinem Eigentum befunden haben soll, sind insgesamt so pauschal und farblos geblieben, dass daraus asylrelevante und landesweit drohende Verfolgungsmaßnahmen nicht entnommen werden können. Die auch auf Nachfragen hin pauschal gebliebenen Angaben zu der Schließung des Ziegelwerks, die den Kläger als Eigentümer des Werks betroffen und damit existenziell bedroht haben soll, vermag allein eine landesweite politische Verfolgung oder deren unmittelbares Bevorstehen nicht zu begründen, da sich hieraus staatliche Verfolgungsmaßnahmen schon nicht erkennen lassen. Die Angaben des Klägers sind wenig detailliert und unterscheiden sich andererseits in den verschiedenen Vernehmungen zum Teil erheblich voneinander, so dass sich eine unmittelbar durch die Sicherheitskräfte veranlasste oder gar vorgenommene Schließung der Werkstatt nicht zur Überzeugung des Senats feststellen lässt. Auch aus den Angaben zu der von Seiten der PKK-Guerilla erfolgten Schutzgelderpressung lässt sich noch nicht der Schluss ziehen, dass eine Schließung des Werks durch die Sicherheitskräfte erfolgt ist. Vielmehr hat offenbar der Kläger seine Werkstatt aus eigenem Entschluss aufgegeben, um diesen wechselnden Erpressungen durch die PKK und den Maßnahmen der Sicherheitskräfte zu entgehen, zumal, wie der Kläger in der Vernehmung vor der Berichterstatterin angab, die bei ihm offenbar beschäftigten Arbeiter angesichts der immer häufiger werdenden Besuche von Guerilla und Sicherheitskräften dort auch nicht mehr arbeiten wollten. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hat der Kläger zwar andeutungsweise den Eindruck vermittelt, das Werk könne sozusagen requiriert worden sein, später sei dort nämlich eine Sicherheitswache errichtet worden, da es an einer wichtigen Straßenkreuzung und damit an einem strategisch wichtigen Punkt gelegen gewesen sei. Dies hat der Kläger aber auf konkrete Nachfrage hin nicht bestätigt. In der Vernehmung vor der Berichterstatterin gab er erstmals an, die Werkstatt mit seinem Bruder, der aber vor ihm aus den gleichen Gründen ausgereist sei, gemeinsam betrieben zu haben. Auch zu dem zwischen der Schließung und seiner Ausreise liegenden Zeitraum hat der Kläger völlig unterschiedliche Angaben gemacht, die von knapp zwei Jahren Aufenthalt in seiner Heimatregion (so vor dem Bundesamt und vor dem Verwaltungsgericht) bis zu lediglich drei Monaten (in der Vernehmung vor der Berichterstatterin dieses Berufungsverfahrens) reichen. Mit der auf Nachfrage zu diesen Zeitunterschieden abgegebenen Erklärung, er sei psychisch nicht so gut beisammen, konnten solche Unterschiede in der Wahrnehmung auch nicht befriedigend erklärt werden.

Selbst wenn der Kläger sein Ziegelwerk durch Schließung seitens der Sicherheitskräfte und damit aufgrund staatlicher Maßnahmen verloren haben sollte, lässt sich hieraus eine landesweite Verfolgungsbetroffenheit nicht entnehmen. Zwar können auch Beeinträchtigungen der Berufsausübung Asylrelevanz erlangen, es ist jedoch nicht erkennbar, dass die vom Kläger behauptete Werksschließung ihn nach ihrer Intensität und Schwere in asylrechtlich relevanter Weise betroffen haben, denn es ist beispielsweise nichts dazu vorgebracht worden, dass das Ziegelwerk gerade an dieser offenbar strategisch wichtigen Stelle betrieben werden musste und es keinerlei Ausweichmöglichkeit gab. Auch aus den spärlichen Angaben des Klägers dazu, er sei nach der Schließung finanziell pleite gewesen, da er seine Maschinen nicht zurück erhalten habe, lässt sich eine von staatlichen Kräften durchgeführte Existenzvernichtung nicht zur Überzeugung des erkennenden Senats feststellen. Dabei geht der Senat davon aus, dass der Kläger nach der Schließung der Werkstatt noch geraume Zeit in seinem Heimatland unbehelligt leben und durch andere Arbeiten offensichtlich den notwendigen Lebensunterhalt erwirtschaften konnte. Dass er lediglich zwei oder drei Monate versteckt und, wie er in der Vernehmung vor der Berichterstatterin angab, illegal gelebt hat, ist von ihm auf Vorhalt der früheren Angaben hin nicht aufrecht erhalten worden. Es ist auch offensichtlich keinerlei Ermittlungs- oder Strafverfahren gegen den Kläger eingeleitet worden, das mit der finanziellen Unterstützung der PKK begründet wurde.

Nach alledem lässt sich zur Überzeugung des Senats allenfalls feststellen, dass der Kläger Maßnahmen der Sicherheitskräfte ausgesetzt war, ohne jedoch dabei derart aufgefallen zu sein, dass ihm auch landesweit weitere Maßnahmen, insbesondere Ermittlungs- oder Strafverfahren wegen der Unterstützung der PKK gedroht hätten. Hierfür spricht zuletzt auch, dass der Kläger ohne weitere Probleme das Land verlassen konnte.

II.

Der somit unverfolgt ausgereiste Kläger kann die Feststellung des Abschiebungshindernisses nach § 51 Abs. 1 AuslG auch nicht aufgrund des nachträglichen Eintritts eines Verfolgungstatbestands erreichen. Ein Nachfluchtgrund setzt voraus, dass dem Asylbewerber aufgrund von Umständen, die nach seiner Ausreise aus seinem Heimatland eingetreten sind, für den Fall seiner Rückkehr dort gegenwärtig und in absehbarer Zeit politische Verfolgung droht. Dabei ist zu unterscheiden zwischen objektiven Nachfluchtgründen, die durch Vorgänge im Heimatland des Asylbewerbers unabhängig von seiner Person ausgelöst wurden, und subjektiven Nachfluchtgründen, die der Asylbewerber nach Verlassen seines Heimatstaates aus eigenem Entschluss geschaffen hat (§ 28 AsylVfG; BVerfG, 26.11.1986 - 2 BvR 1058/85 -, a.a.O.). Für die Prognose der Verfolgungsgefahr ist der Maßstab anzulegen, ob dem unverfolgt ausgereisten Asylbewerber politische Verfolgung bei einer Rückkehr in sein Heimatland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht (zur Asylanerkennung: BVerwG, 31.03.1981 - 9 C 286.80 -, EZAR 200 Nr. 3, 25.09.1984 - 9 C 17.84 -, a.a.O., 03.12.1985 - 9 C 22.85 -, a.a.O.).

1. Bei einer Rückkehr in die Türkei hat der Kläger eine gruppenbezogene Verfolgung schon deshalb nicht zu befürchten, da seine Heimatprovinz B. seit 1997 nicht mehr unter Notstandsrecht steht. Zudem hat sich nach den Feststellungen des Senats die Lage im Südosten der Türkei in den letzten Monaten so verändert, dass eine Gruppenverfolgung kurdischer Volkszugehöriger seit etwa Beginn des Jahres 2002 nicht mehr angenommen werden kann. Damit kann dem Kläger als kurdischem Volkszugehörigen ohne Weiteres die Rückkehr in seine Heimatregion, zumindest aber in alle Gebiete außerhalb der Notstandsprovinzen ohne Gefahr einer Verfolgung zugemutet werden; auf das Bestehen einer zumutbaren inländischen Fluchtalternative und die Möglichkeit, dort das notwendige Existenzminimum zu erzielen, kommt es insoweit nicht (mehr) an.

a) Seit der Verhaftung und Verurteilung Öcalans zeichnen sich einige Veränderungen in der Kurdenpolitik ab. So wurde das noch in fünf Provinzen bestehende Notstandsrecht zum 1. Dezember 1999 auch in der Provinz Siirt aufgehoben (KA 211). Zum 30. Juni 2002 war die Aufhebung des Notstandsrechts für die Provinzen Hakkari und Tunceli geplant (KA 216), in absehbarer Zeit sollen die dann noch unter Notstandsrecht stehenden Provinzen Diyarbakir und Sirnak folgen (KA 216).

Die Drangsalierung der kurdischen Bevölkerung, wenn diese die Unterstützung verweigert oder gar den türkischen Staat aktiv unterstützt haben (KA 111, 114, 118, 134) und von der Dorfschützer sowie ihre Familien, Sicherheitsbeamte, Staatsanwälte, Richter und Lehrer besonders betroffen (KA 134) waren, hat offenbar nachgelassen. Dissidenten innerhalb der PKK oder diejenigen, die als Verräter angesehen werden, wurden jedoch von der PKK gemaßregelt oder gewaltsam daran gehindert, die Guerilla zu verlassen (KA 178). So kam es im Jahr 1999 nach Feststellungen des IHD noch zu 30 zwangsgeräumten und niedergebrannten Dörfern sowie 341 Bombenangriffen und Razzien (KA 146). Seit der Beilegung des bewaffneten Kampfes der PKK Ende 1999 wurden zunächst keine Räumungen und Vertreibungen mehr bekannt (KA193); im August sollen jedoch nach einem Bericht des IHD etwa 700 Bewohner aus zwei Dörfern in der Provinz Sirnak vertrieben worden sein, da sie verdächtigt wurden, kurdischen Rebellen bei der Verlegung von Minen geholfen zu haben (KA 194). Seither ist es nur noch vereinzelt zu Dorfräumungen oder Vertreibungen gekommen (KA 211).

In einer Offensive Ende September 1999 marschierten 5.000 türkische Soldaten im Nordirak ein und griffen Stellungen der PKK an (KA 138), und Anfang April 2000 fand eine großangelegte und grenzüberschreitende Aktion statt (KA 173), die bis Mai andauerte (KA 163, 167); dabei kamen auch Kampfflugzeuge zum Einsatz (KA 160). Auch im Südosten der Türkei wurden noch im Jahr 1999 bei Zusammenstößen zwischen PKK und Militär 15 bis 20 PKK-Rebellen getötet (KA 137, 142). Innerhalb der Türkei sind die Kämpfe zwischen Militär und PKK aber offenbar zum Erliegen gekommen, im Nordirak sollen hingegen PKK-Kämpfer weiterhin von türkischen Einheiten bekämpft worden sein (KA 193). Seit der Verhaftung und Verurteilung des PKK-Führers Öcalan im Jahr 1999, dessen Kapitualitionsappellen und verschiedener Offensiven der türkischen Sicherheitskräfte ist die PKK nur noch in wenigen Bergregionen im Südosten und Osten der Türkei in verminderter Stärke präsent; das Militär schätzt ihre Stärke jetzt auf noch 4.000 bis 4.500 Kämpfer, davon etwa 90 % im Ausland, vor allem im Nord-Irak (KA 211). Es fanden jedoch einzelne Auseinandersetzungen statt; beispielsweise wurden in der Provinz Tunceli im Januar sechs Rebellen und sechs Soldaten getötet (KA 145), in Mardin und Sirnak sollen bei weiteren Kämpfen insgesamt 15 PKK-Aktivisten und 5 Soldaten getötet worden sein (KA 151, 154) und im April/Mai insgesamt 5 Personen (KA 162). Im Oktober/November 2000 sowie im März 2001 fanden Gefechte mit einzelnen PKK-Kämpfern statt (KA 185), am 28. Juni 2001 kamen drei PKK-Kämpfer in Diyarbakir ums Leben. Am 11. Juli 2001 kam es in Tokat zu Auseinandersetzungen, wobei ein PKK-Kämpfer getötet wurde (KA 193). Im Februar 2002 hat die PKK ihre Selbstauflösung bekannt gegeben (KA 207), die seitherigen Aktivisten der Organisation wollen sich zukünftig unter anderem Namen und mit friedlichen Mitteln für die Rechte der Kurden einsetzen (KA 215). Die Forderung nach einem eigenen Staat für die Kurden soll nicht mehr weiterverfolgt werden (KA 215), allerdings sollen die bewaffneten Verbände vorerst noch nicht aufgelöst werden (KA 215), weil die seitherige PKK das Teilamnestieangebot der türkischen Regierung für unzureichend hält (KA 210). Führende türkische Politiker äußerten sich zurückhaltend zu diesen Ankündigungen der PKK (KA 213), während das Militär am Kampf gegen die PKK festhält (KA 211).

Nach der Verhaftung Öcalans am 16. Februar 1999 und seiner Inhaftierung in der Türkei kam es zu einer Welle von Festnahmen im ganzen Land, wobei hauptsächlich Mitglieder und Anhänger der HADEP sowie Gewerkschaften betroffen waren. Etwa 3.000 Personen sollen nach Angaben des IHD vorübergehend in Polizeigewahrsam genommen worden sein, davon allein 1.400 in Diyarbakir (KA193). Öcalan wurde wegen Hochverrats von dem Staatssicherheitsgericht am 29. Juni 1999 gem. § 125 tStGB zum Tode verurteilt, das Urteil wurde am 25. November 1999 vom Kassationsgerichtshof bestätigt. Am 12. Januar 2000 beschloss die Regierung, das Todesurteil vorerst nicht dem Parlament zur Beschlussfassung über die Vollstreckung vorzulegen, sondern zunächst den Ausgang des von Öcalan angestrengten Verfahrens vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte abzuwarten (KA 173); das Verfahren dauert noch an (KA193). Öcalans Bruder Osman wurde trotz unbekannten Aufenthalts im April 2000 des Hochverrats angeschuldigt und für ihn ebenfalls die Todesstrafe gefordert (KA 161), und am 13. Juli 2000 wurde der PKK-Funktionär Soysal aus Moldawien in die Türkei entführt, dort wegen Hochverrats angeklagt und wiederum die Todesstrafe gefordert (KA 172). Nach der Eröffnung des Prozesses gegen Öcalan kam es auch im Südosten zu Massenverhaftungen; in den Dörfern Tilkiler, Törolar, Cöcenler, Salliusagi und Musolar (Kreis Pazarcik) wurden etwa 50 Personen festgenommen, von denen am 17. Juni 1999 17 Personen freigelassen wurden (KA 133). Nach dem Aufruf Öcalans zum Rückzug der PKK und der Aufgabe des bewaffneten Kampfes im September 1999 haben zumindest Teile der PKK den Rückzug angetreten (KA 173); wenn auch die Aufgabe des Kampfes von einem Teil der PKK in Frage gestellt wurde (KA 141). Auch Kaya (KA 135) berichtet von einem Rückzug der PKK seit September 1999, fügte aber hinzu, dass seither die kurdischen Bewohner der Dörfer in den Provinzen Diyarbakir, Bingöl, Bitlis, Mus und Batman von Sicherheitskräften aufgesucht worden seien, um sie einzuschüchtern. Auch das Auswärtige Amt bestätigt (KA 134, 173), dass sich im Herbst 1999 zwei Gruppen von PKK-Mitgliedern in Istanbul und Hakkari den Sicherheitskräften gestellt hätten; gegen sie wurden Verfahren eingeleitet. Es sei aber weiterhin zu Übergriffen auf die Zivilbevölkerung gekommen, wobei als Grund für das Vorgehen gegen Zivilisten regelmäßig der Verdacht der Zusammenarbeit mit der PKK angegeben werde.

Seit etwa 1999 lässt sich jedoch aus den vereinzelten Berichten über das Vorgehen der türkischen Sicherheitskräfte gegen die Zivilbevölkerung in den Notstandsgebieten, insbesondere der deutlichen Abnahme von Räumungen von Dörfern unter Vertreibung der Zivilbevölkerung ein kontinuierlicher Rückgang von den bisher festgestellten undifferenzierten, die Zivilbevölkerung einbeziehenden Maßnahmen registrieren.

Nachdem die PKK bereits dem Aufruf Öcalans vom September 1999 zum Rückzug und zur Aufgabe des bewaffneten Kampfes zumindest teilweise gefolgt ist, sind in den Jahren 2000 und 2001 nur noch vereinzelt Kämpfe zwischen der restlichen Guerilla-Gruppe der PKK und den türkischen Sicherheitskräften im Südosten der Türkei dokumentiert, diese Auseinandersetzungen haben jedoch gegenüber den in den vorherigen Jahren festgestellten Kämpfen in Ausmaß und Häufigkeit erheblich abgenommen. Auch die Zahl der Dorfräumungen und Zwangsevakuierungen hat sehr deutlich abgenommen, und teilweise konnten die Bewohner sogar nach kurzer Zeit wieder in ihr Dorf zurückkehren. Die Maßnahmen der Sicherheitskräfte stellen sich seither wieder als anlassbezogene Aktionen zur Verfolgung von kleinen Gruppen von PKK-Kämpfern oder einzelner verdächtigter Personen dar, und undifferenzierte Aktionen gegen die Zivilbevölkerung wie in den bisherigen Jahren sind nicht mehr dokumentiert worden, während die dokumentierten Aktionen wie Verhaftungen von HADEP-Mitgliedern, Demonstranten und sonst in irgendeiner Weise für kurdische Ziele aktiv gewordenen Personen sich vielmehr als verdachtsbezogene Maßnahmen charakterisieren lassen. Spätestens seit etwa Anfang 2002 kann somit die für die seitherige Bewertung des Senats maßgebliche und für die Feststellung der Verfolgungsdichte erforderliche Einbeziehung der unbeteiligten Zivilbevölkerung der Notstandsgebiete in einem derart unberechenbaren Ausmaß in die Bekämpfung der PKK, dass jeder Bewohner der unter Notstandsrecht stehenden Gebiete potenziell Verfolgungsbetroffener ist, nicht mehr festgestellt werden. Nachdem die PKK im Februar 2002 ihre Selbstauflösung bekannt gegeben hat (KA 207) und die Forderungen nach einem eigenen Staat für die Kurden nicht mehr weiter verfolgt werden sollen (KA 215), ist eine erneut zunehmende Einbeziehung der Zivilbevölkerung in Kämpfe zwischen der PKK und türkischem Militär im Südosten der Türkei in absehbarer Zeit auch nicht zu erwarten.

b) Die Situation in der Türkei auch außerhalb der Notstandsprovinzen ist weiterhin durch Regierungskrisen beeinträchtigt, die vor allem durch eine deutliche Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation seit 1999 ausgelöst wurden. Aufgrund der Wirtschaftskrise von Ende Februar 2001 wurde Kemal Dervis als Staatsminister und Koordinator für Wirtschaftsangelegenheiten eingesetzt, in dessen Hände de facto die Staatsgeschäfte zunehmend übergingen. Am 5. Mai 2000 wurde Necdet Sezer zum Staatspräsidenten gewählt; dieser forderte das Parlament unter anderem dazu auf, die Todesstrafe durch einfache Abänderung des Strafgesetzes abzuschaffen. Heftige Auseinandersetzungen zwischen Staatspräsident und Ministerpräsident anlässlich einer Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates am 19. Februar 2001 über die Frage des Vorgehens gegen Korruption lösten einen offenen Konflikt mit der Regierung aus, der im Staat zu einer schweren Krise führte (KA193). Am 26. September 2001 billigte das Parlament Verfassungsänderungen, mit denen die Todesstrafe auf Terrorakte und Hochverrat beschränkt, Radio- und Rundfunksendungen in kurdischer Sprache eingeschränkt zugelassen, Beschränkungen der freien Meinungsäußerung beseitigt und die Bildung von Parteien und Gewerkschaften erleichtert wurden (KA 202), und am selben Tag beschloss die Nationalversammlung die Verkürzung der Frist, in der die Polizei Verdächtige ohne richterlichen Beschluss festhalten darf (KA 201). Gleichwohl wurde eine Lokalzeitung in der Stadt Batman wegen einer in Kurdisch gedruckten Rubrik verboten (KA 203).

Diese Reformen zeigen ebenso wie die frühere Verkürzung der maximal zulässigen Dauer des Polizeigewahrsams unter Beschneidung der Kompetenzen der Staatssicherheit und die unter dem Eindruck des Öcalan-Prozesses nach einer Verfassungsänderung eilig vom Parlament verabschiedeten Anpassungsgesetze, wonach die Staatssicherheitsgerichte in Zukunft lediglich aus zivilen Richtern zusammengesetzt sind (KA 134), noch keine besondere Wirkung. Obwohl die Kämpfe im Südosten der Türkei in jüngster Zeit abgenommen haben, hat sich aufgrund weiterer Flüchtlingswellen aus diesen Gebieten insbesondere in die Großstädte im Westen der Türkei sowie aufgrund der Verurteilung Öcalans die Lage vor allem in den überwiegend von Kurden bewohnten Vierteln nicht verbessert. Nach wie vor kommt es häufig zu Razzien und Überprüfungen einschließlich Festnahmen, da die Sicherheitskräfte unter den neu aus den östlichen Provinzen zugezogenen Kurden einen hohen Anteil von PKK-Anhängern vermuten (KA 79, 134,193). Nach der Verhaftung Öcalans am 15./16. Februar 1999 und seiner Inhaftierung in der Türkei kam es zu einer Welle von Festnahmen im ganzen Land. Nach Auskunft des Auswärtigen Amts (KA193) geht der IHD von 3.000 dabei vorübergehend in Gewahrsam genommenen Personen aus; solche Razzien werden in den Siedlungen von Türken kurdischer Volkszugehörigkeit überdurchschnittlich häufig vorgenommen, da dies Teil der Suche der Sicherheitskräfte nach PKK-Mitgliedern und Sympathisanten ist. Auch anlässlich des Zwei-Jahrestages der Öcalan-Festnahme im Februar 2001 kam es bei Unruhen zu Festnahmen von 20 Personen in Batman, darunter waren vier Jugendliche (KA193).

Weiterhin kommt es bei solchen Polizeirazzien mit zahlreichen vorläufigen Festnahmen in Großstädten im westlichen oder südlichen Teil der Türkei zu Übergriffen seitens der Sicherheitskräfte (KA 193). Zwar ging im ersten Halbjahr 2000 die Zahl unaufgeklärter Morde aus politischen Motiven zwar auf 73 gegenüber 130 im Vorjahr zurück und es gab nur noch 6 Fälle von "Verschwindenlassen" gegenüber 12 im Vorjahr; nach einem Bericht des IHD vom Januar 2000 sind in den letzten zehn Jahren insgesamt 1964 Menschen von unbekannten Tätern ermordet worden, 80 % von ihnen in den kurdischen Provinzen im Südosten (KA 147). Im Jahr 2001 belief sich die Zahl unaufgeklärter Morde aus politischen Motiven auf 24 (KA 209), es gab jedoch weiterhin viele Fälle von "Verschwindenlassen" und Tod im Polizeigewahrsam (KA 209). Für den Zeitraum von Januar bis September 2001 berichtete der IHD über 762 Fälle von Folter, die Türkische Menschenrechtsstiftung (TIHV) nannte für den gleichen Zeitraum 335 Fälle (KA 211) und hat im Jahr 2001 insgesamt 1.229 Fälle von Folter registriert (KA 208).

Auch nach den zwischenzeitlichen Reformen wie der Erhöhung des Strafmaßes für Folter in Polizeihaft aufgrund eines am 10. August 1999 vom Rechtsausschuss des türkischen Parlaments verabschiedeten Gesetzes gewinnt die strafrechtliche Aufklärung und Ahndung von Übergriffen nur langsam an Konsequenz. Neben der unklaren Beweislage liegt ein Grund hierfür darin, dass Staatsbedienstete bisher nur dann gerichtlich belangt werden konnten, wenn der zuständige Provinzverwaltungsrat dem zugestimmt hat (KA 134, 173). Seit einer Novellierung des einschlägigen Gesetzes sind Zuständigkeiten und Verfahren bei der Freigabe der Einleitung eines Strafverfahrens zwar präziser bestimmt, es bleibt allerdings bei der Notwendigkeit der Genehmigung durch einen Vorgesetzten; gegen deren Verweigerung kann aber nunmehr der Rechtsweg beschritten werden. Auch eine infolge der EU-Beitrittsbemühungen tätig gewordene Parlamentskommission hat festgestellt, Folter sei bei der türkischen Polizei gängige Praxis (KA 168), der Parlamentspräsident bezeichnete dies hingegen als Problem isolierter Einzelfälle (KA 170). Erst nach konkreten Foltervorwürfen in türkischen Zeitungen im Zusammenhang mit dem Gefängnisaufstand im Juli 1999 wurden Ermittlungen eingeleitet (KA 177). Der Vorsitzende einer vom Ministerpräsidenten eingesetzten Hohen Kommission für Menschenrechte musste nach Vorlage seines Kataloges über notwendige Änderungen im türkischen Rechtssystem zurücktreten. Auch die von einer Parlamentskommission vorgelegte Dokumentation über Menschenrechtsverstöße in Polizeistationen wurde bislang nicht debattiert; der Minister für Menschenrechte trat vielmehr im April 2000 zurück (KA 174). Die Vorsitzende der Parlamentskommission, Sema Piskinsüt, verlor den Vorsitz; zwischenzeitlich hat die Staatsanwaltschaft vor dem Staatssicherheitsgericht in Ankara die Aufhebung ihrer Immunität unter dem Vorwurf der Verschleierung von Straftaten gefordert, weil sie sich weigerte, die Identität der Gefangenen preiszugeben, die vor ihr als Vorsitzender der Menschenrechtskommission Angaben unter der Zusicherung der Anonymität gemacht haben (KA 211). Nur in einzelnen Fällen kommt es überhaupt zur Einleitung von Verfahren, wie beispielsweise nach einem tödlichen Polizeieinsatz in Adana, wo jedoch fünf von den zunächst verhafteten sechs Beamten, die Anfang Oktober 1999 ein falsches Haus gestürmt und einen unschuldigen Menschen erschossen hatten, einen Tag später wieder entlassen wurden (KA 139). Der Prozess gegen zehn Polizisten, die zu fünf bis zehn Jahren Haft verurteilt wurden, weil sie 1995 in Manisa elf Teenager gefoltert hatten, die Graffiti an die Wände gesprüht hatten, musste auf Anordnung des Obersten Gerichtshofs wegen Verfahrensfehlern noch einmal aufgerollt werden (KA193). In dem von der Rechtsanwältin Keskin 1997 gegründeten "Rechtsbüro gegen sexuelle Folter" wurden in den letzten drei Jahren insgesamt 136 Anzeigen in Fällen sexueller Misshandlungen in Polizeihaft und Gefängnissen erstattet, die allerdings überwiegend eingestellt oder jahrelang verschleppt wurden. In den Fällen, in denen Verfahren eingeleitet wurden, kam es zum Teil zu Freisprüchen, da zum Nachweis einer Vergewaltigung ein von einem gerichtsmedizinischen Institut spätestens innerhalb von 48 Stunden nach der Tat erstelltes medizinisches Gutachten erforderlich ist (KA191). Nach dem neuesten Bericht des Anti-Folter-Komitees des Europarats aus dem Jahre 2001 gibt es auf dem Gebiet der Folterung oder anderer inhumaner Behandlung von inhaftierten Personen weniger Beanstandungen als in früheren Jahren, jedoch wird weiterhin eine geringe Schulung der Polizei und des Gefängnispersonals moniert (KA 204). Auch aus diesen Gründen wurde im Juni 2001 in einem an die Gouverneure und die Jandarma gerichteten Rundschreiben des Innenministers nachdrücklich die Einhaltung des Folterverbots und der strafprozessualen Vorschriften zu Festnahme und Verhör verlangt (sogenannter 11-Punkte-Plan; KA 211).

Seit August 1999 werden wegen schriftlicher Meinungsäußerungen verhängte Strafen sowie laufende Verfahren zwar für drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt; nach erfolgreichem Ablauf der Frist werden die Verfahren eingestellt sowie ergangene Verurteilungen als nie geschehen behandelt (KA 173). Bis Dezember 1999 wurden allerdings nur sechs Journalisten auf dieser Grundlage aus Gefängnissen freigelassen (KA 143). Im Jahr 2001 sind 80 Journalisten wegen politischer Aktivitäten oder Verstoßes gegen verschiedene Gesetze verhaftet worden (KA 211). Das Gesetz gegen Aufwiegelung ist entgegen einer Ankündigung von Ministerpräsident Ecevit bisher nicht reformiert worden (KA 156) und auch die beabsichtigte Diskussion über eine grundlegende Reform des § 312 TStGB, der hohe Haftstrafen für diejenigen vorsieht, die "Hass unter Ausnutzung von Unterschieden in Gesellschaftsklassen, Religionen, Rassen oder Regionen verbreiten" und regelmäßig die Grundlage für Verfahren gegen HADEP-Mitglieder darstellt, ist bisher ausgeblieben (KA 157). Am 1. September 1999 verweigerte Staatspräsident Demirel allerdings die Ausfertigung eines vom Parlament am 27. August 1999 verabschiedeten Amnestiegesetzes, das auch prominente Häftlinge begünstigen sollte, die als Mitglieder des organisierten Verbrechens oder wegen Korruption verurteilt worden waren, während politische Straftaten ausgenommen werden sollten (KA 134, S. 20). Seit Mitte der neunziger Jahre wurden zudem die Haftbedingungen dahingehend verändert, dass kleine Zellen die Regel wurden (sogenannte F-Typ-Gefängnisse), was jedoch wegen der befürchteten Erleichterung von Übergriffen trotz einer Änderung des Gesetzes eine Welle von Hungerstreiks ausgelöst hat (KA 211).

Auch nach 1999 bleibt die Situation in der Türkei immer wieder von dem verschärften Vorgehen staatlicher Organe gegen Oppositionelle und insbesondere Kritiker der Kurdenpolitik der Regierung geprägt. Die Tageszeitung Ülkede Gündem musste Ende 1998 schließen; das Nachfolgeblatt Özgür Bakyp konnte noch einige Zeit ungehindert erscheinen, wurde aber Anfang Mai 2000 zusammen mit einigen anderen Zeitungen jedenfalls im Notstandsgebiet im Südosten des Landes verboten (KA 173). Insgesamt 13 Medien wurden bis Anfang 2001 verboten (KA 171), darunter das seit Mai 2000 existierende prokurdische Blatt Yeni Gündem, das schließlich zum 31. März 2001 aus finanziellen Gründen eingestellt wurde; die Nachfolgezeitung "Yedinci Gündem" hat Mitte 2001 die Arbeit aufgenommen. Die Aufsichtsbehörde RTÜK, die Sender bis zu ein Jahr schließen kann, wenn eine Sendung nicht "den nationalen und geistigen Werten der Gesellschaft entspricht", hat im Jahr 2000 Sendeverbote von insgesamt 4.500 Tagen verhängt (KA193). An dieser Praxis wurde auch im Jahr 2001 festgehalten, nachdem im Dezember 2000 das Istanbuler Staatssicherheitsgericht den Medien alle Berichte untersagte, die als "Propaganda für illegale Organisationen" oder "Anstiftung zu Straftaten" ausgelegt werden könnten (KA188). Esber Yagmurdereli, der am 19. Oktober 1997 zur Verbüßung einer 1991 zur Bewährung ausgesetzten 36-jährigen Haftstrafe aus dem Jahr 1978 wegen kritischer Meinungsäußerungen zur Unterdrückung des kurdischen Volkes verhaftet und nach am 9. November 1997 gewährter Haftverschonung seit dem 1. Juni 1998 erneut in Haft genommen wurde, kam erst aufgrund des neuen Strafminderungsgesetzes vom 21. Dezember 2000 (Amnestiegesetz) im Januar 2001 frei (KA 173,193). Die Büros des IHD in Diyarbakir und Van wurden unter dem Vorwurf, die öffentliche Ordnung zu stören, im Mai 2000 geschlossen (KA 166). Der türkische CNN wurde nach einem Interview mit Öcalan mit einem eintägigen Sendeverbot belegt (KA 150); während der Generalsekretär des türkischen Menschenrechtsvereins IHD wegen eines Artikels zum Weltfriedenstag angeklagt, vom Gericht jedoch freigesprochen wurde (KA 148). Vor dem Staatssicherheitsgericht in Izmir läuft ein Prozess gegen mehrere Ärzte, die sich in Zusammenhang mit Todesfällen bei der Niederschlagung der Gefängnismeuterei im September 1999 geäußert haben (KA 173), und eine Dolmetscherin wurde allein wegen ihrer Übersetzung in die kurdische Sprache bei einer öffentlichen Veranstaltung zu 10 Monaten Haft verurteilt (KA 140). Gegen den Menschenrechtsverein IHD wurde im März 2001 ein Verbotsprozess angestrengt (KA193). Anfang September 2001 hat das Staatssicherheitsgericht in Ankara sechzehn Justizangestellte wegen der "Unterstützung terroristischer Organisationen" verurteilt, weil sie sich kritisch über die umstrittenen neuen Haftanstalten geäußert hatten (KA 199).

Insbesondere Menschenrechtsaktivisten müssen auch weiterhin mit Verhaftungen rechnen. Ein am 19. Oktober 1999 gegen einen Arzt und ehrenamtlichen Mitarbeiter des Behandlungs- und Rehabilitierungszentrums der Türkischen Stiftung für Menschenrechte (HRFT) unter dem Vorwurf der Behandlung zweier Mitglieder einer illegalen Organisation eingeleitetes Verfahren wurde wegen Mangels an Beweisen eingestellt, das Verfahren gegen einen anderen Mitarbeiter wegen Teilnahme an einer illegalen Demonstration infolge des Besuchs des Begräbnisses eines Folteropfers dauert an. Ein weiterer Menschenrechtler , der sich über diesen Prozess öffentlich geäußert hatte, wurde zu einem Monat Gefängnis und einer Geldstrafe verurteilt (KA193). Achtzehn Frauen und ein Mann sind aufgrund der Organisation eines Kongresses gegen sexuelle Folter in Istanbul wegen "Verunglimpfung des Staates und seiner Organe angeklagt, fünf von ihnen müssen sich deswegen auch vor dem Staatssicherheitsgericht verantworten. In einem ähnlichen Verfahren ist die Rechtsanwältin und Menschenrechtsaktivistin sowie Mitbegründerin des "Büros gegen sexuelle Folter" in Istanbul, Eren Keskin, angeklagt worden (KA 211). Fünfundzwanzig Mitglieder der Istanbuler Filiale des IHD wurden wegen der Organisation einer Demonstration anlässlich der Menschenrechtswochen am 17. Dezember 2000 vorübergehend verhaftet, ein Verfahren vor dem Strafgericht ist noch anhängig (KA 211).

Immer wieder werden Maßnahmen gegen führende HADEP-Mitglieder durchgeführt. Ein Prozess gegen drei am 18. und 19. Februar 2000 festgenommene Bürgermeister sowie neunzehn weitere HADEP-Mitglieder vor dem Staatssicherheitsgericht in Diyarbakir endete mit einer Verurteilung der drei Bürgermeister zu drei Jahren und neun Monaten Haft; aufgrund des Amnestiegesetzes kamen sie jedoch im Januar 2001 wieder frei (KA193). Dreizehn am 24. April 2000 verurteilte Funktionäre der HADEP konnten ebenfalls zwischenzeitlich vom Amnestiegesetz profitieren; einer von ihnen, Ahmet Turan Demir, wurde am 1. Juni 2000 vom Staatssicherheitsgericht Ankara erneut wegen Art. 8 ATG verurteilt (KA 193). Ende Juni 2000 wurden 30 HADEP-Mitglieder nach Durchsuchung ihrer Büros festgenommen (KA 175); im September 2000 wurde gegen die der HADEP angehörige Bürgermeisterin von Kiziltepe ein Verfahren aufgrund eines Interviews eröffnet (KA181) und ein im März geplanter Empfang zum kurdischen Neujahrsfest Newroz wurde vom Istanbuler Gouverneur wegen der benutzten kurdischen Schreibweise untersagt (KA 158). Die Newroz-Feiern vor allem in Diyarbakir, Batman und anderen kurdischen Orten konnten unbehelligt ablaufen, es kam nur am Rande zu einzelnen Verhaftungen (KA 159). Im Mai 2001 wurden 42 HADEP-Mitglieder festgenommen, weil sie die Fahne der PKK bei einer Kundgebung geschwenkt hatten (KA190), sie wurden im Juli 2001 vom Ersten Staatssicherheitsgericht in Ankara freigesprochen. Am 24. Mai 2001 wurden in Mardin 29 HADEP-Mitglieder festgenommen, von denen sechs im Juni noch in Untersuchungshaft waren. Zwei HADEP-Mitglieder sind seit dem 25. Januar 2001 in Silopi/Siverek verschwunden, nachdem sie die lokale Gendarmerie aufgesucht hatten (KA193). Am 1. September 2001 wurden bei gewaltsamen Zusammenstößen zwischen der Polizei und Demonstranten in Diyarbakir mindestens 19 Personen verletzt und 25 weitere festgenommen, als die Polizei versuchte, rund 3.000 Kurden daran zu hindern, zu einer von der HADEP organisierten und verbotenen Demonstration anlässlich des Weltfriedenstages in die Hauptstadt Ankara zu fahren (KA 197); es kam deshalb landesweit zu Auseinandersetzungen und allein in Ankara wurden 700, in Istanbul 200 Personen festgenommen. In Anadolu wurde eine Versammlung von HADEP-Anhängern gestürmt, wobei es zu 20 Verletzten gekommen sein soll (KA 198). Gegen die HADEP läuft derzeit ein Verbotsverfahren (KA 206) und im Januar 2002 wurden in Adana 18 führende Mitglieder der Partei unter dem Vorwurf, Verbindungen mit kurdischen Rebellen zu halten, festgenommen (KA 205). Insgesamt sollen im Jahre 2001 3245 Funktionäre der HADEP festgenommen worden sein (KA 209). Bei den Newroz-Feiern im März 2002 kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten, wobei mindestens zwei Personen getötet worden sind (KA 212).

Auch an dem Vorgehen gegen Journalisten hat sich nichts Wesentliches geändert. Der türkische Menschenrechtler Akin Birdal wurde zu einer einjährigen Haftstrafe wegen "separatistischer Äußerungen" verurteilt und musste diese im Juni 1999 trotz der nach einem Attentat verbliebenen erheblichen Gesundheitsschäden antreten. Ende September 1999 wurde der Vollzug aus gesundheitlichen Gründen ausgesetzt; am 28. März 2000 wurde er erneut verhaftet (KA 173). Ende September 2000 wurde er entlassen und ist nun wegen Art. 149 tStGB angeklagt, da er laut einem Zeitungsartikel in "Gözcü" bei einem Deutschlandbesuch im Oktober 2000 die Türkei zur Entschuldigung wegen des Vorgehens gegen die Armenier im Ersten Weltkrieg aufgefordert habe, das Verfahren läuft noch (KA193, 211). Die Autorin und der Herausgeber eines Buches über die Erfahrungen türkischer Soldaten im Kampf gegen PKK-Rebellen wurden in einem Gerichtsverfahren wegen des Vorwurfs der Herabsetzung der Streitkräfte (KA 136) zwar freigesprochen, die Anklage wollte allerdings Revision einlegen (KA183). Im August 2000 wurden sechs als prokurdisch bzw. linksgerichtet bezeichnete Journalisten verhaftet und Sendesperren über drei Radiosender sowie eine Fernsehstation verhängt (KA 180). Nach einem Bericht des IHD forderten türkische Staatsanwälte im ersten Halbjahr 2001 für 1.519 Angeklagte in Meinungs- und Pressedelikten Haftstrafen von insgesamt 3.125 Jahren - viermal so viel wie im ersten Halbjahr 2000 und fast zehnmal so viel wie 1999 (KA 200). Anfang Februar 2002 wurde gegen die Filiale des Türkischen Menschenrechtsvereins (TIHV) in Diyarbakir Anklage wegen § 526 tStGB (Ungehorsam gegen die Anordnungen zuständiger Behörden) erhoben, weil ein Behandlungszentrum für Folteropfer ohne die erforderliche Genehmigung zum Betrieb eines Krankenhauses eröffnet worden sei (KA 211).

Die nach wie vor auch im Westen feststellbaren Übergriffe (KA 115, 116, 193) rechtfertigen aber nicht die Annahme, Kurden seien in der Westtürkei generell von asylrechtsrelevanten staatlichen Verfolgungsmaßnahmen bedroht. Auch die Festnahme und Verurteilung Öcalans im Jahr 1999 bewirkten keine grundsätzliche Änderung der Situation. Die Fortsetzung der Auseinandersetzungen zwischen den türkischen Sicherheitskräften und der PKK nach dem Rückzugsangebot 1999 (KA 100, 103, 112, 137, 138, 193), führten zu keinen andauernden Rückwirkungen auf das allgemeine Verhältnis zu der kurdischen Bevölkerung außerhalb der Notstandsgebiete. Die danach festzustellenden Verhaftungswellen im Westen der Türkei betrafen insbesondere Mitglieder der HADEP (KA 131, 132,133, 193), nach deren Angaben im November 1998 ca. 2000 Mitglieder in Polizeigewahrsam verbracht wurden (KA 173). Im Übrigen handelt es sich meist um Verhaftungen anlässlich des kurdischen Neujahrsfestes Newroz oder um sonst anlassbezogene Maßnahmen, wie beispielsweise im Vorfeld der türkischen Parlaments- und Kommunalwahlen vom 18. April 1999 (KA 132) oder die Festnahme von 50 Frauen bei einer prokurdischen Kundgebung in Istanbul, weil sie eine Presseerklärung in kurdischer Sprache abgeben wollten (KA 196). In Istanbul wurden im März 2002 100 Kurden festgenommen, die für kurdischsprachigen Unterricht demonstriert hatten (KA 214).

Es lässt sich aber nicht feststellen, dass Kurden allein wegen ihrer Volkszugehörigkeit verhaftet, verhört und gefoltert werden. Aus den zwischenzeitlich recherchierten Fällen ergibt sich zwar weiterhin, dass im Südosten geborene und/oder von dort kürzlich zugezogene Personen leichter als andere Staatsangehörige in den Verdacht geraten, "Separatisten" zu sein, mit "Separatisten" zu sympathisieren oder Mitglied einer bewaffneten Bande zu sein (KA 193). Nach wie vor kommt es zu längerdauernder Verhaftung und asylrechtlich relevanten Beeinträchtigungen - von einzelnen Fällen abgesehen - in aller Regel jedoch nur bei Vorliegen entsprechender Verdachtsmomente, auch wenn diese bis heute häufig als vage und willkürlich erscheinen oder auf nicht rechtsstaatliche Weise erlangt wurden. In der Zahl der zwischenzeitlich ermittelten Fälle (KA 79, 119, 131, 193) ist auch heute festzustellen, dass bei den länger Inhaftierten individuell begründete Verdachtsmomente vorlagen, wie beispielsweise die HADEP-Mitgliedschaft oder bei Verwendung kurdischer Farben und/oder Symbole, dem Singen kurdischer Lieder und ähnliche Begebenheiten wie beispielsweise das Spielen einer kurdischen Musikgruppe (KA 164). Ein Zusammenhang besteht oft auch mit früheren Verhaftungen von Freunden, Bekannten oder Verwandten, so dass - möglicherweise unter Folter erzwungene - Denunziationen der Anlass hierfür sein können.

An dem schon oben dargestellten Verhältnis zwischen den ermittelten Zahlen von Folterfällen, Todesfällen in Polizeihaft oder bei Razzien sowie Fällen vermuteten Verschwindenlassens einerseits und der zunehmenden kurdischen Zuwanderer aus dem Südosten hat sich bis zum Zeitpunkt der Entscheidung nichts Wesentliches verändert (KA 120, 173). Nach Oberdiek (KA 131) kam es im Jahr 1998 zu 3.200 Festnahmen; im Februar 1999 sollen es insgesamt (landesweit) 3.400 Festnahmen und zum Newroz-Fest 8.000 Festnahmen gewesen sein. Auch bei den nach der Verhaftung Öcalans, der Prozesseröffnung und der Verurteilung festzustellenden Verhaftungswellen handelt es sich um - wenn auch sehr weitgehend - anlassbezogene Maßnahmen gegen Personen, die bestimmte Verdachtsmomente aufwiesen, wie beispielsweise bei einer HADEP-Mitgliedschaft.

Für die ungeklärten politischen Morde werden von Menschenrechtsorganisationen und kurdennahen Oppositionskreisen Todesschwadronen verantwortlich gemacht, bezeichnet als "Kontra-Guerilla" oder "Hizbollah", die über enge Verbindungen zum staatlichen Sicherheitsapparat verfügen sollen. Seitens türkischer Menschenrechtsgruppen wird den Strafverfolgern eine bewusste Verschleppung der Ermittlungen vorgeworfen, ein zur Aufklärung dieser Morde eingesetzter parlamentarischer Untersuchungsausschuss beendete seine Arbeiten jedoch ergebnislos. Der Abschlussbericht soll sich ungewöhnlich kritisch mit der Aufklärungsarbeit örtlicher Sicherheitskräfte und mit dem einschlägigen politischen Umfeld befassen (KA 126). Nach einem Verkehrsunfall in der Nähe von Susurluk mit tödlichem Ausgang für einen in dem Auto befindlichen steckbrieflich gesuchten Mafiaführer und einen hohen Polizeioffizier neben dem einzigen Überlebenden, einem Parlamentsabgeordneten der DYP, wurde in der türkischen Öffentlichkeit über Verbindungen zwischen Staatsapparat und dem organisierten Verbrechen diskutiert (KA 126, 134). Diese Diskussion wurde wieder angefacht, als Anfang 2000 in Folge von großangelegten Razzien der Polizei eine erhebliche Zahl von Mordopfern der Hizbollah entdeckt wurden, die entführt und auf äußerst brutale Weise umgebracht worden waren. Von staatlicher Seite wurde jegliche Verbindung zur Hisbollah verneint, Hunderte von Hizbollah-Mitgliedern wurden verhaftet und ihr Anführer bei einem Feuergefecht getötet (KA 193). Im Jahr 2001 ist die Hizbollah nicht mehr deutlich in Erscheinung getreten (KA 211).

Es fehlen auch genügende Anhaltspunkte dafür, dass Ausschreitungen und Übergriffe Privater vom türkischen Staat veranlasst oder geduldet werden. Insoweit ist nach wie vor die grundsätzliche Schutzbereitschaft der türkischen Sicherheitskräfte festzustellen. So zog beispielsweise die Ermordung des türkischen Journalisten Göktepe ein Strafverfahren gegen die beschuldigten Polizisten nach sich; am 19. März 1998 wurden fünf der elf Angeklagten zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt, dieses Urteil wurde im Januar 2000 rechtskräftig (KA 134, 173). Im Dezember 1999 wurden elf Angeklagte im Zusammenhang mit dem Mordanschlag auf Birdal rechtskräftig zu Haftstrafen von 10 Monaten bis 19 Jahren verurteilt; sechs weitere wurden freigesprochen (KA 144). Zwei weitere Morde an Journalisten wurden unlängst aufgeklärt und führten zu Verhaftungen (KA 165).

Da Kurden demnach in der gesamten Türkei zum Zeitpunkt der Entscheidung des erkennenden Senats grundsätzlich verfolgungsfrei leben können, sind Feststellungen zu der Frage, ob sie im Bereich außerhalb der unter Notstandsrecht stehenden Provinzen die für eine bescheidene Lebensführung ausreichende wirtschaftliche und finanzielle Grundlage schaffen können, entbehrlich.

c) Ein kurdischer Volkszugehöriger hat grundsätzlich die Möglichkeit, sein Heimatland Türkei zu erreichen, ohne dass ihm die Gefahr droht, an der Landesgrenze oder am Flughafen asylrelevanten Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt zu sein.

Nach verschiedenen Gutachten und Auskünften müssen ehemalige Asylbewerber, die in die Türkei abgeschoben werden oder freiwillig einreisen, an der Grenze mit längerfristiger Polizeihaft rechnen, während von den türkischen Behörden geprüft wird, ob sich der Betreffende politisch gegen den türkischen Staat betätigt hat oder Informationen über exilpolitische Organisationen geben kann. Amnesty international nimmt an, dass bei diesen während der Haft stattfindenden Verhören bei Personen kurdischer Volkszugehörigkeit auch Folter angewandt wird (KA 39, 62, 129), und stützt dies auf Berichte, die jedoch vor allem wegen der Angst der Betroffenen vor weiteren Verfolgungsmaßnahmen schwer zu recherchieren seien. Es werde zunehmend berichtet, dass die betroffenen Rückkehrer nach der routinemäßigen Eingangskontrolle am Flughafen zunächst freigelassen, später jedoch auf ihrer Weiterreise in ihre Heimatregion oder in ihrem Heimatort erneut festgenommen worden seien, wobei es mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Anwendung von Folter und Misshandlungen komme (KA 129). Eine diese Gefahr mit sich bringende Überstellung zu weiteren Verhören erfolge häufig, wenn im Verlauf der Routinekontrolle Verdachtsmomente einer oppositionellen politischen Tätigkeit aufkämen; insbesondere, wenn Betroffene keine Personaldokumente mit sich führten oder solche Dokumente, die auf ein Asylverfahren im Ausland hinweisen (KA 129).

Rumpf (KA 31, 60) stuft eine Festnahme bei der Einreise als wahrscheinlich ein; zurückgewiesene Asylbewerber müssten, wenn sie als solche von den türkischen Behörden erkannt worden seien, mit Festnahme und genauerer Untersuchung der persönlichen Verhältnisse und, wenn es sich um einen Kurden handele, mit verschärften sonstigen Maßnahmen, wozu die körperliche Misshandlung zähle, rechnen, wobei diese Gefahr erst nach Weiterleitung an die politische Abteilung bestehen soll (KA 31). Dabei ist seinen Angaben zufolge davon auszugehen, dass das abgefragte Fahndungsregister alle Personen ausweist, die mit staatsanwaltschaftlichen Festnahmeanordnungen gesucht werden, die ihrerseits auf der Grundlage eines Haftbefehls ergehen. Gleiches nimmt er auch für solche Personen an, die ohne Haftbefehl aufgrund staatsanwaltschaftlicher oder polizeilicher Festnahmeanordnung gesucht werden, allerdings bildeten diese die Ausnahme. Als Personengruppen kommen insoweit entflohene Strafhäftlinge oder Personen in Betracht, die bereits festgenommen worden waren und den Bewachern entkommen sind. Auf frischer Tat ertappte Täter oder sonstige Täter, für deren Ergreifung Staatsanwaltschaften oder Polizeiorgane wegen Fluchtgefahr oder Gefahr im Verzuge unmittelbar zur Festnahme befugt sind, werden dem Sachverständigen zufolge nicht im Fahndungsregister geführt. Danach ist davon auszugehen, dass es zu einem Eintrag im Fahndungsregister auch einen vollziehbaren Haftbefehl gibt (KA 70).

Auch die Gesellschaft für bedrohte Völker (KA 44, 124 mit Hinweis auf ein Gutachten von März 1995) kann das Risiko einer Festnahme und anschließende Folterung von abgeschobenen kurdischen Asylbewerbern nur schwer beurteilen und letztlich keine konkreten Fälle nennen mit Ausnahme von Einzelfällen, die auf Erkenntnissen aus Pressemeldungen beruhen, nicht jedoch auf eigenen Recherchen (Auskunft an VGH Baden-Württemberg v. 05.06.97 in KA 127). Die Gefahr sei erhöht, wenn der Betreffende auf Fahndungslisten stehe, insbesondere bei Kurden, die irgendwann einmal für die PKK tätig gewesen seien. Ein erhöhtes Risiko treffe noch denjenigen, der mit einem gefälschten Pass in die Türkei einreise. Die Asylantragstellung gelte als verdächtig, da davon ausgegangen werde, dass im Rahmen der Begründung des Asylgesuchs "separatistische Aktivitäten" und entsprechende Reaktionen des türkischen Staats geltend gemacht würden. Auch Aktivitäten kurdischer Asylbewerber im Ausland würden den türkischen Sicherheitsbehörden durchaus bekannt, jedoch werde von den Behörden regelmäßig bestritten, dass es zu solchen Maßnahmen komme. Zwischen den regierungsamtlichen Äußerungen und der Realität bestehe aber eine große Diskrepanz, so dass es nicht als abwegig angesehen werden könne, dass Vorwände gefunden würden, um Abgeschobene auch dann, wenn ihre ausländischen Aktivitäten in der Türkei nicht strafbar seien, gleichwohl zur Rechenschaft zu ziehen (KA 124).

Kaya berichtet, dass Folter in der Türkei bei Verhören durch alle Sicherheitskräfte als gängige Methode angewandt werde (KA 128). Die Behandlung der Flüchtlinge, die nach Ablehnung ihres Asylantrages in die Türkei zurückkehren müssten richte sich danach, ob man türkischer oder kurdischer Abstammung sei, einen gültigen Reisepass habe oder durch die Polizei abgeschoben werde. Personen mit einem gültigen Reisepass könnten, wenn nicht nach ihnen gefahndet werde, nach Durchlaufen der für alle anderen Reisenden üblichen Kontrollen wieder in die Türkei zurückkehren. Kurden, die mit einem vorläufigen Reisedokument einreisten, würden von den Sicherheitskräften zwecks Feststellung ihrer Personalien und ihrer rechtlichen Lage eine Zeitlang festgehalten und nach ihren Kontakten im Ausland sowie nach dem Grund ihres Asylantrages befragt. Abgeschobene ehemalige Asylbewerber würden ohne Ausnahme direkt der türkischen Polizei überstellt; gegen sie werde ausführlich ermittelt. Gegen Personen, die bereits früher aufgrund ihrer politischen Aktivitäten verfolgt oder verurteilt, von der politischen Abteilung der Polizei erfasst worden oder vorbestraft seien, werde genauer und sorgfältiger ermittelt (KA 34). Seinen Angaben zufolge wird vor allem gegen Kurden, die längere Zeit im Ausland waren, besonders ermittelt, da ihnen unterstellt wird, dass sie sich für die kurdische Sache eingesetzt haben. Liegen keine Beweise vor, werde die betreffende Person freigelassen, müsse aber damit rechnen, beschattet zu werden (KA 83). Die aus dem Osten oder Südosten stammenden Personen würden schon aufgrund des generellen Verdachts, in Verbindung mit der PKK zu stehen, eine Zeitlang festgehalten und verhört. Gewalt werde auch dann angewandt, wenn nichts gegen die Betroffenen vorliege, schon um sie einzuschüchtern. Dies sei in 80 % der Fälle von in die Türkei abgeschobenen Asylbewerbern zu beobachten gewesen; etwa die Hälfte davon sei länger als drei Tage festgehalten worden, und gegen einige seien Strafverfolgungsmaßnahmen eingeleitet worden (KA 128). Er beschreibt 13 Fälle von Verhaftungen nach Abschiebungen seit 1995 im Einzelnen, wobei allerdings in drei Fällen keine weitere Klarheit über das anschließende Schicksal der Betroffenen erlangt werden konnte. Darüber hinaus werden sieben Fälle aus dem Bericht des Menschenrechtsvereins für den Zeitraum 1997 und 1998 angegeben sowie ein Bericht aus der Zeitung Özgür Politica vom Dezember 1998 (KA 128). In einem neueren Gutachten gibt er an, dass der Menschenrechtsverein in Istanbul in einer Studie die Namen von 65 Personen aufgeführt habe, die nach Ablehnung ihrer Asylanträge in die Türkei abgeschoben, dort festgenommen und gefoltert worden seien, da sie an Protestaktionen, Kundgebungen und Demonstrationen im Ausland teilgenommen hätten (KA189). Auch Kaya räumt aber ein, dass ein kurdischstämmiger Bewohner eines Dorfes oder einer Stadt, der vor seiner Ausreise noch nicht in das Blickfeld der Sicherheitskräfte geraten ist, auch im Hinblick auf den Vorfall Öcalan nicht mit Schwierigkeiten zu rechnen hat, wenn er sich nicht an Aktionen gegen die Festnahme Öcalans beteiligt oder entsprechende Kampagnen unterstützt hat (KA 135).

Taylan (KA 25) zufolge kann demgegenüber davon ausgegangen werden, dass zurückkehrende Asylbewerber im allgemeinen unbehelligt die Grenze passieren können; zu Schwierigkeiten kommt es, wenn die betreffenden Personen registriert sind, weil sie als PKK-Aktivisten bekannt sind oder ihnen beispielsweise die Einreise verweigert wurde. Ihm sei kein Fall dazu bekannt geworden, dass diese generell an der türkischen Grenze misshandelt würden (KA 25).

Nach Berichten des Auswärtigen Amts liegen keine definitiven Nachweise darüber vor, dass aus Deutschland zurückkehrende Kurden lediglich aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit Opfer von Maßnahmen der türkischen Sicherheitskräfte geworden sind (KA 126). Bei der Einreise in die Türkei hat sich jedermann einer Personenkontrolle zu unterziehen (KA 32, 64, 99, 111, 120, 126, 134, 179). Sofern abgelehnte Asylbewerber freiwillig und mit einem gültigen Reisepass in die Türkei zurückkehrten, hätten sie in der Regel nicht mit Repressalien zu rechnen. Ebenso verhalte es sich, wenn türkische Asylbewerber im Wege der Abschiebung einreisten und dies den türkischen Behörden bekannt sei. Es werde dann allerdings bei der Grenzpolizei eine eingehendere Befragung durchgeführt; ein solches Verhör finde in jedem Fall dann statt, wenn die Einreisenden nicht über ein gültiges türkisches Reisedokument verfügten (KA 54, 64, 111, 134, 179,187). Dann müsse zunächst eine Personenfeststellung durchgeführt werden, die in den meisten Fällen eine Rückfrage bei den Sicherheitsbehörden am Heimatort und bei den dortigen Personenstandsbehörden umfasse, da es kein Zentralregister gebe (KA187). Insbesondere werde in diesem Zusammenhang der Geburtseintrag der Betreffenden überprüft. Dies könne bei Einreisen am Wochenende und in den Fällen, in denen die Personenstandsunterlagen in einer kleinen Kreisstadt in Ostanatolien geführt würden, ein bis drei Tage dauern (KA 54, 111,126). Während dieser Zeit werde die betreffende Person bei der Grenzpolizei am Flughafen in Polizeigewahrsam genommen (KA 35). Schwierigkeiten für Abgeschobene könnten eintreten, wenn Befragung, Durchsuchung des Gepäcks oder Recherchen bei den Heimatbehörden den Verdacht der Mitgliedschaft in der PKK oder deren Unterstützung oder anderer illegaler Organisationen begründe (KA 126,184,187). Es gebe aber keine Erkenntnisse darüber, dass bestimmte Orte oder Gebiete dabei besonders verdächtig seien (KA186). Konkrete Erkenntnisse, dass ein aus Deutschland Abgeschobener der Folter unterworfen worden sei, lägen nur in wenigen Fällen vor; Recherchen aufgrund früherer Hinweise auf Fälle von Folter hätten nicht zu einer Bestätigung geführt (KA 126, S. 18; 134, S. 25, S. 29 f). Neuere Recherchen haben zu einem Bericht geführt, der sieben Fälle von Verhaftungen und angeblicher Folter seit der Verhaftung Öcalans bis November 2000 aufführt (KA 193, S. 32-37): ein Betroffener sei vor dem Staatssicherheitsgericht Ankara wegen des Verstoßes gegen Art. 8 ATG angeklagt, im Verfahren dann freigesprochen worden, ein anderer nach Art. 125 tStGB wegen "Separatismus" angeklagt, aufgrund des Amnestiegesetzes jedoch nicht verurteilt worden. Ein weiterer Betroffener konnte erneut nach Deutschland einreisen, während ein weiterer nach Freispruch am 27. Mai 1999 im August 1999 erneut festgenommen wurde; die Verhandlung wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung sollte im September 2001 beginnen. Ein im November 1999 Festgenommener sei nach eigenen Angaben sieben Tage festgehalten worden und schließlich über Rumänien zurück nach Deutschland gekommen, wo er im April 2001 einen Asylfolgeantrag gestellt habe. Ein im Januar 2000 Festgenommener sei noch am gleichen Tag freigelassen worden, während eine im Oktober 2000 festgenommene Person am nächsten Tag freigelassen wurde und später angab, nochmals inhaftiert und misshandelt worden zu sein; eindeutige Feststellungen habe man hierzu nicht treffen können. Ein ehemaliger Sprecher des Wanderkirchenasyls sei bei Rückkehr festgehalten, aber am gleichen Tag auf freien Fuß gesetzt worden. Weitere Ermittlungen in früheren Fällen hätten ergeben, dass in drei Fällen von Folterungen auszugehen sei, ein Fall sei nicht aufzuklären gewesen und in einem weiteren Fall sei der Betroffene nach Festnahme und Anklage 1998 am 9. März 2000 unter Anwendung des Reuegesetzes verurteilt und sofort aus der Haft entlassen worden (KA 193, S. 37-38).

Oberdiek (KA 79) führt demgegenüber an, dass aus dem Ausland zurückkehrende, insbesondere abgeschobene Kurden den gleichen Risiken ausgesetzt seien wie die Kriegsflüchtlinge. Sie alle würden bei einer Einreise sicherheitsdienstlich erfasst und gälten zumindest im gleichen Maße wie Personen, die sich weigerten, Dorfschützer zu werden, als "unloyale Staatsbürger". Eine erhöhte Gefährdung von abgeschobenen Asylbewerbern nach der Überführung von Öcalan in die Türkei sei nicht feststellbar; weiterhin bestehe die Rückkehrergefährdung aber nicht nur zum Zeitpunkt der Einreise, wenn die Betroffenen mit Passersatz auf ihre Identität und mögliche gegen sie angestrengte Strafverfahren überprüft würden, sondern viele würden erst später in der Heimat aufgegriffen. Hiervon betroffen seien anscheinend alle Rückkehrer gewesen, die aus dem Südosten stammten, und jüngere, unverheiratete Kurden (KA 131 S. 30).

Aus verschiedenen Quellen (KA 60, 62, 64) sind Fälle von Verhaftungen nach Abschiebung oder Rückreise in die Türkei bekannt geworden; in einem Zeitraum von insgesamt fünf Jahren ließen sich 24 Fälle feststellen, die teilweise noch weiter recherchiert wurden (KA 127). Nicht in allen Fällen wurde von längerdauernder Verhaftung, Misshandlungen oder Folter berichtet, sondern in der Mehrzahl der Fälle handelte es sich um eine kurze Verhaftungsdauer, wobei auch zum Teil später erneute Verhaftung erfolgte. Auch die Fälle, in denen Misshandlungen und/oder Folter behauptet wurden, sind nicht alle belegt oder belegbar. In einer Vielzahl von Fällen sind die ehemals Verhafteten nicht mehr ermittelbar, wobei von Seiten der Sicherheitskräfte angegeben wurde, die Betreffenden seien freigelassen worden (KA 60 S. 57f in fünf Fällen). Sowohl amnesty international als auch Oberdiek stellen fest, dass die ihnen zur Kenntnis gelangenden Fälle zumeist sehr schwer zu recherchieren seien, da in der Regel nur der Betroffene als Zeuge zur Verfügung stehe. Amnesty international führt insgesamt sieben stimmige und mit den allgemeinen Erkenntnissen übereinstimmende Berichte aus den Jahren 1996 bis 1998 an (KA 129). Oberdiek berichtet über die vom IHD Istanbul recherchierten Fälle und weist in diesem Zusammenhang auf die insoweit enorm beschränkten Mittel des IHD hin, der sich hauptsächlich auf Informationen seitens der Flughafenpolizei stützen könne (KA 131, S. 17). Er berichtet über sechs einigermaßen gesicherte Fälle Anfang 1999, wobei in einem Fall die Abschiebung 1997 erfolgt war (KA 131, S. 18 ff).

Nach Angaben des IHD im Januar 2000 werden alle Personen, die als abgelehnte Asylbewerber aus Deutschland zurückkehren sofort nach ihrer Abschiebung in Gewahrsam genommen und höchstens 24 Stunden auf den Polizeiwachen der Flughäfen festgehalten. In dieser Zeit werden Nachforschungen über mögliche Haft- und Suchbefehle, Militärdienst und eventuelle Desertion angestellt. Personen, deren polizeiliche Akten Hinweise auf strafbare Handlungen enthalten, werden demnach zur weiteren Vernehmung an die Abteilung zur Terrorismusbekämpfung oder zur zuständigen Militärkommandatur gebracht (KA 147). Im vergangenen Jahr soll ein aus Deutschland abgeschobener kurdischer Türke nach seinen Angaben sieben Tage von der Flughafenpolizei festgehalten und gefoltert worden; ein gerichtsmedizinisches Gutachten habe verschiedene Verletzungen belegt (KA 149, 176). Außerdem wird über zwei weitere Fälle im Januar sowie Februar 2000 in Istanbul berichtet (KA 153, 176), einer davon wurde bei der Oberstaatsanwaltschaft Izmir zur Anzeige gebracht (KA 173, 176).

Auch in jüngerer Zeit wird wieder über Fälle berichtet, in denen Abgeschobene nach ihrer Ankunft festgehalten und misshandelt oder gefoltert wurden. Mitglieder des Bundestages berichteten in einer Presseerklärung vom Juli 2001, dass von 88 abgeschobenen türkischen Staatsangehörigen, die von deutschen Sicherheitsbeamten begleitet und den türkischen Amtskollegen übergeben wurden, 25 sofort verhaftet worden seien, da sie wegen verschiedener Delikte von der türkischen Justiz gesucht wurden (KA192).

Weder aus der Zahl dieser Fälle noch aus weiteren Umständen und Begebenheiten lässt sich jedoch der Schluss ziehen, dass kurdische Volkszugehörige grundsätzlich bei der Überprüfung nach einer Rückkehr menschenunwürdiger Behandlung ausgesetzt sind. Zum einen handelt es sich bei den in den verschiedenen Auskünften dokumentierten Fällen größtenteils um letztlich ungeklärte Fälle, die nach der Verhaftung nicht mehr ermittelbar waren. Selbst wenn man jedoch unterstellen wollte, dass es in allen diesen Fällen zu einer menschenunwürdigen Behandlung gekommen ist, lässt sich angesichts der bisher feststellbaren Gesamtzahl von Abschiebungen hieraus der Schluss einer wenn nicht allen, so jedoch der weitaus größten Zahl kurdischer Volkszugehöriger drohenden Behandlung dieser Art nicht ziehen. Hiergegen spricht schon die vermutlich wesentlich höher liegende Zahl von Rückkehrern türkischer Staatsangehörigkeit und kurdischer Volkszugehörigkeit. Allein im Zeitraum von Dezember 1994 bis März 1995 lag die Zahl abgeschobener türkischer Staatsangehöriger - deren kurdische Volkszugehörigkeit nicht immer erkennbar ist oder feststeht - bei etwa 200, obwohl in dieser Zeit in verschiedenen Bundesländern Abschiebestopps galten (BT-Drs. 13/1434); im Jahr 1994 und zuvor dürfte sie insgesamt wesentlich höher gewesen sein. Im Jahre 1995 wurden von der Grenzschutzdirektion Koblenz 2.610 Personen in die Türkei per Flugzeug zurückgeführt, darunter mindestens 1.234 abgelehnte Asylbewerber (KA 111). Im Jahr 1996 wurden 4.609 Personen aus Deutschland in die Türkei abgeschoben und 7 Personen ausgeliefert (BT Drucks. 13/7398 in KA 127). Im Jahre 1997 wurden 5.979, im Jahre 1998 6.694, im Jahre 1999 6.083, im Jahre 2000 5.003 sowie im Jahre 2001 4.121 türkische Staatsangehörige aus Deutschland in die Türkei abgeschoben (KA 211). Bezüglich Abschiebungen, die nach dem Oktober 2000 stattfanden, sind an das Auswärtige Amt nur noch ganz vereinzelt - insgesamt in sechs Fällen - Sachverhalte herangetragen worden, in denen Misshandlung oder Folter abgeschobener Asylbewerber behauptet oder vermutet wurde (KA 211). Insgesamt lassen die bekannt gewordenen Zahlen jedenfalls nicht die Bewertung zu, dass kurdische Volkszugehörige bei einer Rückkehr in die Türkei verfolgungsfreie Regionen nicht ohne die erhebliche Gefahr drohender menschenunwürdiger Behandlung erreichen könnten.

Auch nach neuen Erkenntnissen muss ein als Asylbewerber identifizierter Rückkehrer bei der Einreise regelmäßig damit rechnen, dass er zunächst festgehalten und einer intensiven Überprüfung unterzogen wird (KA 60, 64, 66, 111, 118, 126, 134, 179, 211). Dies gilt insbesondere, wenn gültige Reisedokumente nicht vorgewiesen werden können. In diesem Falle erfolgt regelmäßig eine genaue Personalienfeststellung (unter Umständen mit einem Abgleich der Angaben der Personenbestandsbehörde und des Fahndungsregisters) hinsichtlich Grund und Zeitpunkt der Ausreise aus der Türkei, Grund der Abschiebung, eventueller Vorstrafen in Deutschland, Asylantragstellung und Kontakten zu illegalen türkischen Organisationen im In- und Ausland (KA 59, 111, 118, 126, 134, 179). Diese Einholung von Auskünften, während der der Rückkehrer meist in den Diensträumen der jeweiligen Polizeiwache festgehalten wird, kann bis zu mehreren Tagen dauern. Da den türkischen Behörden bekannt ist, dass viele türkische Staatsbürger aus wirtschaftlichen Gründen mit dem Mittel der Asylantragstellung versuchen, in Deutschland ein Aufenthaltsrecht zu erlangen, werden Verfolgungsmaßnahmen nicht allein deshalb durchgeführt, weil der Betroffene in Deutschland einen Asylantrag gestellt hat, sondern nur, wenn sich konkrete Anhaltspunkte für eine Mitgliedschaft oder Unterstützung der PKK ergeben (KA 59, 111, 118, 126, 134, 179, 193, 211). Liegt gegen den Betroffenen nichts vor, so wird er in der Regel nach spätestens zwei oder drei Tagen wieder freigelassen. Anders ist es, wenn Personen wegen konkreter Anhaltspunkte für die Begehung von Straftaten, insbesondere durch Unterstützung der PKK, durch die politische Abteilung der Polizei in Haft genommen werden; dann besteht die reale Gefahr von asylrelevanten Verfolgungsmaßnahmen bis hin zum Verschwinden von Personen (KA 60, vgl. auch KA 116, 134).

Die in einem Briefwechsel zwischen dem türkischen Innenminister und dem Bundesinnenminister enthaltene Erklärung der Republik Türkei (Text in BT-Drs. 13/1434, S. 2 bis 4) hat keine Auswirkung auf die Beurteilung der Frage, ob für kurdische Volkszugehörige in der Türkei ein Leben ohne politische Verfolgung möglich ist (vgl. HessVGH, 07.12.1998 - 12 UE 2185/97.A -; siehe dazu auch OVG Nordrhein-Westfalen, 03.06.1997 - 25 A 3631/95.A - und 28.10.1998 - 25 A 1284/96.A -).

2. Dem Kläger droht auch unter Berücksichtigung seiner persönlichen Verhältnisse bei einer Rückkehr in die Türkei nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung aus individuellen Gründen aufgrund der Asylanerkennung seines Bruders unter dem Aspekt der Sippenhaft.

Eine derartige aus dem Schutzgedanken des Art. 16a Abs. 1 GG folgende Vermutung kann dafür wirksam werden, dass auch dem nahen Familienangehörigen eines politisch Verfolgten, über dessen Asylanspruch im konkreten Fall zu entscheiden ist, das gleiche Schicksal mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, wenn nämlich Fälle festgestellt wurden, in denen der Verfolgungsstaat Repressalien beispielsweise gegenüber Ehefrauen im Zusammenhang mit der politischen Verfolgung ihres Ehemannes ergriffen hat (BVerwG, 02.07.1985 - 9 C 35.84 -, EZAR 204 Nr. 2 = InfAuslR 1985, 274; krit. Anm. Bell, ZAR 1986, 188). Zu Gunsten von Ehegatten politisch Verfolgter ist das Eingreifen dieser Vermutungsregel grundsätzlich auch im Fall der Türkei bejaht worden (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, 29.09.1992 - 18 A 10239/90 - InfAuslR 1993, 113), da sich der türkische Staat unter bestimmten Voraussetzungen Repressalien gegenüber diesem Personenkreis bedient. Abgesehen davon, dass dies bei anderen Familienangehörigen wie Eltern oder Geschwistern möglicherweise anders zu beurteilen sein könnte, kommt eine derartige Vermutung letztlich vorliegend nicht zum Tragen.

Ein Institut der Sippenhaft gibt es im türkischen Strafrecht, das in seinen wesentlichen Zügen dem italienischen Strafrecht nachgebildet ist, zwar nicht (S 1, 10, 22, 32, 36, 37, 38; KA 173), sondern Verfolgungsmaßnahmen sind auch gegenüber Familienangehörigen von Straftätern grundsätzlich unzulässig (S 10). Obwohl die Sippenhaft dem türkischen Recht insgesamt unbekannt ist, spielt der Zugriff auf Angehörige in der Polizeiermittlungspraxis jedoch eine große Rolle, wie zahlreiche Beispiele zeigen (S 11, 18, 24, 38). Unter Umständen werden Verwandte von Gesuchten polizeilich zu deren Aufenthaltsort vernommen (S 12; KA 173), sodass es auch möglich erscheint, dass die Ehefrau eines flüchtigen Straftäters in Polizeigewahrsam genommen, verhört und bedroht und auf die eine oder andere Art und Weise genötigt wird (S 5). Insbesondere nach 1990 wurde die Unterdrückung von Angehörigen gesuchter Personen verstärkt, wie zahlreiche Beispiele belegen (S 8, 9). Verwandte von gesuchten Personen müssen bei Razzien zum Zwecke der Festnahme der gesuchten Personen damit rechnen, unter Druck gesetzt, geschlagen und schikaniert zu werden (S 3). Zwar ist das Recht der Aussageverweigerung gewährleistet, andererseits jedoch nicht ausgeschlossen, dass es zu Übergriffen kommt (S 22, 30, 32, KA 173). Vermehrt wird darüber berichtet, dass Familienangehörige aktiver PKK-Angehöriger menschenrechtswidrig behandelt werden, da angenommen wird, dass auch sie die PKK unterstützen (S 19, 28). Zu solchen Übergriffen auf Verwandte kommt es vor allem auch deshalb, weil es bei der Fahndung nach Personen, denen Unterstützungshandlungen für die PKK zur Last gelegt werden, durchaus üblich ist, alle bekannten Anschriften des Verdächtigen zu überprüfen (S 17). Nach Kaya (S 27) ergeht bei Personen, die per Haft- oder Festnahmebefehl gesucht werden, alle drei Monate ein Befehl durch die republikanischen Staatsanwaltschaften, nach dem das Haus der betreffenden Person durchsucht wird, sodass dort lebende Angehörige mindestens alle drei Monate einmal Belästigungen durch die Sicherheitskräfte ausgesetzt sind. Besonders betroffen von solchen Maßnahmen sind Verwandte ersten Grades, da sie unter dem Verdacht stehen, den Organisationen der kurdischen nationalen Opposition Unterstützung und Unterschlupf zu gewähren, insbesondere wenn die Angehörigen wegen Unterstützung der Guerilla der Strafverfolgung ausgesetzt waren, nicht aber, wenn diese nur wie alle anderen kurdischen Familien von den Razzien staatlicher Sicherheitskräfte betroffen waren (S 33). Eine Verbindung zur politischen Vergangenheit des Ehemannes wird dadurch möglich, dass die Personenstandsregistrierung der Ehefrau an den Ort verlegt wird, an dem ihr Ehemann gemeldet ist, und dort auch Informationen über den Ehemann vorhanden sind (S 26); bei den im Zuge der Einreise üblicherweise angestellten Nachforschungen oder bei späteren Routinekontrollen wird hingegen nicht in Erfahrung gebracht, ob Verwandte dieser Person gesucht werden oder nicht (S 34). Bei anderen, weitläufigeren Verwandten (Onkel, Tanten, Cousins und Cousinen) können hingegen die Verwandtschaftsverhältnisse nicht so leicht über Personenstandsregister in Erfahrung gebracht werden (S 20, 23). Anders ist dies zu beurteilen, wenn die Personen nach der Einreise in ihren Heimatorten wohnen (S 20), vor allem, wenn es sich um kleinere Siedlungsgebiete (Dörfer) handelt (S 23). Auch wenn schon der Verdacht besteht, dass die betroffene Person selbst politische Kontakte pflegt und möglicherweise politische Aktionen durchführen könnte, werden derartige Nachforschungen angestellt und eine solche Person verhört, um Informationen beispielsweise über ihren gesuchten Bruder zu erhalten, insbesondere wenn dieser in Deutschland als asylberechtigt anerkannt ist (S 34). Rumpf (S 25, 29) zufolge erstreckt sich diese Gefahrenlage allerdings auch auf "Bekannte". Grundlage dafür ist die Praxis, durch weit gestreuten Druck an Informationen zu gelangen, die mit rechtsstaatlichen Mitteln nicht zu erlangen sind (S 25, 29). Nach Oberdiek (S 31) kommt es bei weiterer Verwandtschaft wie z. B. Cousins darauf an, ob aus dem Verhalten des Betroffenen zusätzliche Verdachtsmomente in Richtung auf politische Tätigkeiten geschöpft werden können, und inwieweit es zu Denunziationen im Heimatort kommen kann. Es gibt indes keine Erkenntnisse über besondere Verfolgungsmaßnahmen gegen minderjährige Kinder türkischer Staatsangehöriger, die nach türkischem Recht verfolgt werden und sich im Ausland aufhalten (S 2, 4, 31). Auch Familienangehörige von in der Türkei als Terroristen gesuchten Personen wie etwa des Führers der PKK, Öczalan und des Cemil Isik wurden während ihres Aufenthalts in der Türkei nicht behelligt (S 2); allerdings wurde der Bruder des PKK-Führers im September 1990 vorübergehend festgenommen, als er mit gefälschtem Pass zusammen mit seinen sechs Kindern auf eine griechische Ägäisinsel fliehen wollte (S 14). In die Türkei zurückkehrende kurdische Volkszugehörige werden nicht allein deswegen verfolgt, weil Verwandte im Ausland als Asylberechtigte anerkannt sind (S 9) oder dort ein Asylverfahren betreiben (S 10, 15, 30, 32, 34). Es gibt jedoch Berichte darüber, dass der Ehegatte eines in Deutschland politisch aktiven Asylbewerbers bei einer Rückkehr in die Türkei ebenfalls mit menschenrechtswidriger Behandlung rechnen muss (S 6), dass insbesondere gegen Frauen mittels entwürdigender Übergriffe vorgegangen wird (S 7) und dass von derartigen Beeinträchtigungen auch die Familienangehörigen von Verschwundenen (S 13) und von Asylberechtigten (S 16) betroffen sind. Vor allem wenn ein Familienangehöriger in der Türkei polizeilich gesucht wird, ist von einem Ermittlungsinteresse auszugehen, das eine Festnahme von Verwandten begründen kann (S 36). Kaya sieht es für denkbar an, dass die Mutter eines in Deutschland als asylberechtigt Anerkannten mit von Zeit zu Zeit erfolgenden Belästigungen durch die Sicherheitskräfte rechnen muss (S 35). Unmittelbar bei der Rückkehr besteht die Gefahr einer Festnahme wegen PKK-Aktivitäten Verwandter nach Auskunft von Kaya (S 21) nicht, da den Grenzstationen keine Listen derjenigen, die sich der Guerilla angeschlossen haben, mitgeteilt werden und dies auch bei den üblichen Nachforschungen nicht bekannt werden dürfte. Allerdings kann dies bei Rückkehr in die Heimatgemeinde durch dortige Nachforschungen bekannt werden und zur Festnahme führen (S 21).

Die grundsätzlich auch auf andere nahe Angehörige neben Ehegatten anwendbare Vermutungsregel (vgl. hierzu Bell, a.a.O.) ist im vorliegenden Fall widerlegt. Allein der Umstand der Flüchtlingsanerkennung seines Bruders führt nicht dazu, dass dieser schon deshalb in der Türkei gesucht wird. Dass es sich bei diesem um eine derart herausragende exilpolitisch tätige Person handelt, die den türkischen Sicherheitskräften als wertvolle Informationsquelle auch bei einer Befragung von Angehörigen bekannt sein könnten, ist weder aus dem Vorbringen des Klägers, der keinerlei Einzelheiten über exilpolitisches Engagement dieses Bruders berichtet hat, noch sonst aus den Verfahrensakten ersichtlich. Ebenso wenig ist erkennbar, dass der Kläger in heimatliche Aktivitäten seines Bruders verstrickt war, die eine Einbeziehung in dessen politische Verfolgung nahe legen würde, denn er gab insoweit lediglich an, sein Bruder habe die gleichen Ereignisse erlebt wie er selbst.

B.

Aus den oben genannten Gründen sind auch Abschiebungshindernisse im Sinne des § 53 AuslG nicht ersichtlich.

C.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO; Gerichtskosten werden jedoch nicht erhoben (§ 83b Abs. 1 AsylVfG). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO, 167 VwGO.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 VwGO).

Ende der Entscheidung

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