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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 28.05.2001
Aktenzeichen: 12 UE 3734/00
Rechtsgebiete: StAG, Mehrstaaten-Übereinkommen, RuStAG, AuslG


Vorschriften:

StAG § 8
StAG § 16
Mehrstaaten-Übereinkommen Art. 1
RuStAG § 8
AuslG § 85
AuslG § 87
Durch die Einbürgerung in Deutschland verliert ein italienischer Staatsangehöriger seine italienische Staatsangehörigkeit und ist verpflichtet, seinen italienischen Reisepass Zug um Zug gegen Aushändigung der Einbürgerungsurkunde zur Weiterleitung an die italienischen Behörden abzugeben.
Hessischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes Urteil

12 UE 3734/00

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Staatsangehörigkeitsrechts

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 12. Senat - durch

Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Dr. Renner, Richter am Hess. VGH Kohlstädt, Richter am Hess. VGH Pertek, ehrenamtliche Richterin Höf, ehrenamtlichen Richter Hofmann

auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 28. Mai 2001 für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird die Klage unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Gießen vom 21. August 2000 abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des gesamten Verfahrens zu tragen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung hinsichtlich der festgesetzten Kosten abzuwenden, falls der Beklagte nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in der selben Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der am 3. Oktober 1969 in Deutschland geborene Kläger hat einen italienischen Vater und eine deutsche Mutter. Er hat durch Abstammung die italienische Staatsangehörigkeit erworben und besitzt einen italienischen Pass. Nach der Grundschule hat er in OOlpe das Gymnasium besucht und dort 1989 das Abitur abgelegt. Danach hat er Rechtswissenschaften in Marburg studiert und befindet sich derzeit im juristischen Vorbereitungsdienst des Landes Hessen als Beamter auf Widerruf (Rechtsreferendar). Er besitzt eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis.

Im September 1993 stellte er einen Einbürgerungsantrag und führte dazu aus, er habe bei seiner Geburt aufgrund der damals geltenden verfassungswidrigen Regelung des § 4 RuStAG die deutsche Staatsangehörigkeit nicht erhalten und sei jetzt nicht mehr bereit, die daraus entstehenden Nachteile auf sich zu nehmen. Er lege Wert auf eine Einbürgerung nach § 8 RuStAG, da er seine italienische Staatsangehörigkeit beibehalten wolle. In einer schriftlichen Begründung lehnte er es ab, seine italienische Staatsangehörigkeit aufzugeben, weil er sich durch seinen Vater mit Italien sehr verbunden fühle. Da er bzw. seine Eltern das ihm bis zum 31. Dezember 1977 zustehende konstitutive Erklärungsrecht nach Art. 3 des Gesetzes zur Änderung des RuStAG von 1974 nicht wahrgenommen hätten, sei er darauf angewiesen, seine Einbürgerung zu betreiben. Da ein eminent öffentliches Interesse daran bestehe, die nachwirkenden Folgen der erwähnten Verfassungswidrigkeit auszuräumen, dürfe die Ablehnung der Einbürgerung nicht allein auf den Gesichtspunkt der Vermeidung der Mehrstaatigkeit gestützt werden.

Nachdem das Regierungspräsidium Gießen unter dem 24. April 1997 erklärt hatte, es könne die vom Kläger vertretene Rechtsauffassung zum Gesichtspunkt der Vermeidung von Mehrstaatigkeit nicht teilen, und der Kläger dem mit Schreiben vom 9. Juni 1997 entgegengetreten war, hat das Regierungspräsidium Gießen den Antrag auf Einbürgerung mit Bescheid vom 20. April 1998 abgelehnt und dazu ausgeführt, sowohl nach § 8 RuStAG als auch nach § 86 Abs. 1 Nr. 1 AuslG sei der Verlust oder die Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit zwingende Voraussetzung für den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit. Das Bundesverwaltungsgericht habe für die Einbürgerung erklärungsberechtigt gewesener Kinder deutscher Mütter festgestellt, es sei kein Raum für die Annahme, dass zur Beseitigung fortwirkender Folgen des erwähnten Verfassungsverstoßes bei dem betroffenen Personenkreis gruppentypisch ein öffentliches Interesse an der Einbürgerung bestehe, wenn die Kinder von dem Optionsrecht des Art. 3 RuStAÄndG 1974 keinen Gebrauch gemacht hätten. Es sei vielmehr nach allgemeinen Grundsätzen zu entscheiden, ob in Würdigung aller wesentlichen Umstände des Einzelfalls ein staatliches Interesse an der Einbürgerung bejaht werden könne. Darüber hinaus seien die Bundesrepublik Deutschland und Italien mit Wirkung vom 18. Dezember 1969 bzw. 28. März 1968 dem Übereinkommen zur Verringerung von Mehrstaatigkeit und über die Wehrpflicht von Mehrstaatern (Gesetz vom 29.09.1969, BGBl. II S. 1953, geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom 20.12.1974, BGBl. I S. 3714) - MStÜbk. - beigetreten, und Art. 1 dieses Übereinkommens besage, dass ein volljähriger Staatsangehöriger einer Vertragspartei, der infolge einer ausdrücklichen Willenserklärung durch Einbürgerung, Option oder Wiedereinbürgerung die Staatsangehörigkeit einer anderen Vertragspartei erwerbe, seine vorherige Staatsangehörigkeit verliere; die Beibehaltung der vorherigen Staatsangehörigkeit sei ihm zu versagen. Da andere Gründe nicht bekannt seien, die ausnahmsweise die Hinnahme von Mehrstaatigkeit rechtfertigen könnten, sei nach alledem der Antrag auf Einbürgerung in den deutschen Staatsverband abzulehnen.

Den hiergegen eingelegten Widerspruch des Klägers hat das Regierungspräsidium Gießen mit Bescheid vom 28. Oktober 1998 nach Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Versäumung der Widerspruchsfrist als unbegründet abgelehnt. Der Kläger erfülle zwar ohne weiteres die Voraussetzungen der erleichterten Einbürgerung nach § 86 Abs. 1 AuslG, er sei jedoch nicht bereit im Sinne von § 86 Abs. 1 Nr. 1 AuslG, seine bisherige Staatsangehörigkeit aufzugeben oder zu verlieren. Bei ihm könne auch nicht nach § 87 AuslG von den Voraussetzungen des § 86 Abs. 1 Nr. 1 AuslG abgesehen werden, da das italienische Staatsangehörigkeitsrecht das Ausscheiden aus der italienischen Staatsangehörigkeit bei Volljährigkeit vorsehe und keine besonders schwierigen Bedingungen im Sinne des § 87 Abs. 1 AuslG erkennbar seien. Daher komme eine Einbürgerung hier nur nach den Bestimmungen des RuStAG in Betracht, die der Kläger auch ausdrücklich begehre. Gemäß § 8 Abs. 1 RuStAG stehe die Einbürgerung bei Vorliegen der in den Nummern 1 bis 4 angeführten Mindestvoraussetzungen im Ermessen der Behörde. Nach den das Ermessen im Sinne einer Gleichbehandlung aller Einbürgerungsbewerber steuernden Einbürgerungsrichtlinien kämen Ausnahmen vom Einbürgerungshindernis eintretender Mehrstaatigkeit nur in besonderen Fällen in Betracht, die Voraussetzungen hierfür erfülle der Kläger jedoch nicht.

Nach Zustellung des Widerspruchsbescheids am 30. Oktober 1998 hat der Kläger am 27. November 1998 Klage erhoben und sein Einbürgerungsbegehren weiter verfolgt. Zur Begründung hat er seine Rechtsauffassung zur Auslegung von § 8 RuStAG wiederholt und vertieft und beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung der Bescheide des Regierungspräsidiums Gießen vom 20. April 1998 und vom 28. Oktober 1998 zu verpflichten, ihn in den deutschen Staatsverband einzubürgern,

hilfsweise,

den Beklagten unter Aufhebung der genannten Bescheide zu verpflichten, ihn unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Der Beklagte hat unter Wiederholung der Argumente aus den angegriffenen Bescheiden beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die in erster Instanz beigeladene Bundesrepublik Deutschland hat darauf hingewiesen, dass nach § 87 Abs. 2 AuslG in der Fassung des Gesetzes zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts vom 15. Juli 1999 (BGBl. I S. 1618) unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit eingebürgert wird, wer die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union besitzt und die sonstigen Voraussetzungen erfüllt, falls Gegenseitigkeit besteht. Das Auswärtige Amt habe sich an die anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union gewandt, um die Frage der Gegenseitigkeit rechtsverbindlich auf amtlichem Wege zu klären. Nach derzeitigem Kenntnisstand seien Staatsangehörige von Griechenland, Großbritannien, Irland und Portugal begünstigt. Im Übrigen bestehe eine Anwendungsmöglichkeit für die Bestimmung des neuen § 87 Abs. 2 AuslG auch bei bestehender Gegenseitigkeit grundsätzlich so lange nicht, wie das jeweilige Herkunftsland und die Bundesrepublik Deutschland Vertragspartei des gesamten MStÜbk seien. Inzwischen sei zwar Art. 1 MStÜbk. hinsichtlich der Hinnahme von Mehrstaatigkeit in bestimmten Fällen ergänzt, die Bundesrepublik Deutschland sei jedoch nicht Vertragspartei dieses Protokolls. Zu bemerken bleibe, dass das Begehren des Klägers ungeachtet der Frage der Anwendbarkeit von § 87 Abs. 2 AuslG im Ergebnis keinen Erfolg haben könne, da nach Art. 1 Abs. 1 MStÜbk. der Kläger (nach italienischem Recht) seine italienische Staatsangehörigkeit ohnehin automatisch verlieren würde.

Das Verwaltungsgericht Gießen hat mit Urteil vom 21. August 2000 den Beklagten unter Aufhebung der Bescheide des Regierungspräsidiums Gießen vom 20. April und 28. Oktober 1998 verpflichtet, den Kläger unter Hinnahme der italienischen Staatsangehörigkeit in den deutschen Staatsverband einzubürgern, weil der Kläger einen Anspruch auf Einbürgerung in den deutschen Staatsverband unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit gemäß §§ 85, 87 AuslG in der im Zeitpunkt der Entscheidung geltenden Fassung (zuletzt geändert durch das erwähnte Gesetz vom 15.07.1999) habe. Zwischen den Beteiligten streitig sei allein die Voraussetzung des § 85 Abs. 1 Nr. 4 AuslG, wonach die Einbürgerung voraussetze, dass der Ausländer seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgebe oder verliere. Ausweislich der Begründung des Einbürgerungsantrags und seinen späteren Erklärungen sei der Kläger indes nicht bereit, seine italienische Staatsangehörigkeit, die er von seinem Vater ableite, aufzugeben. § 85 Abs. 1 Nr. 4 AuslG stehe dem Begehren des Klägers gleichwohl nicht entgegen; denn gemäß § 87 Abs. 2 AuslG sei von dieser Voraussetzung abzusehen, wenn der Ausländer die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union besitze und Gegenseitigkeit bestehe. Nach dem insoweit maßgeblichen Art. 9 Abs. 1 des italienischen Gesetzes Nr. 91 aus 1992 vom 5. Februar 1992 über "neue Bestimmungen über die Staatsangehörigkeit" könne die italienische Staatsangehörigkeit durch Dekret des Präsidenten der Republik nach Anhörung des Staatsrats auf Vorschlag des Innenministers verliehen werden unter anderem einem Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats der Europäischen Gemeinschaft, der seit mindestens vier Jahren rechtmäßigen Aufenthalt in dem Gebiet der Republik habe. Insoweit sei dem maßgeblichen italienischem Recht fremd, dass die Einbürgerung einen vorherigen oder gleichzeitigen Verlust der anderen Staatsangehörigkeit vorsehe oder gar voraussetze. Die Verleihung der italienischen Staatsangehörigkeit komme danach auch ohne Verzicht auf die ausländische Staatsangehörigkeit in Betracht. Damit korrespondiere das italienische Staatsangehörigkeitsrecht mit der Regelung in § 87 Abs. 2 AuslG, auch wenn im Gegensatz zu dem nach deutschem Recht erforderlichen achtjährigen rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland (§ 85 Abs. 1 Satz 1 AuslG) die italienischen Einbürgerungsvorschriften lediglich einen rechtmäßigen Aufenthalt von mindestens vier Jahren im Gebiet der Republik erforderten. Einer bestehenden Gegenseitigkeit könne zudem nicht entgegengehalten werden, dass §§ 85 Abs. 1 Satz 1, 87 Abs. 2 AuslG einen Anspruch auf Einbürgerung begründeten und das italienische Recht in dessen Art. 9 des Gesetzes Nr. 91 aus 1992 die Einbürgerung lediglich in das Ermessen der zuständigen Stelle stelle. Damit stehe zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Ermessenseinbürgerung durch den italienischen Staat so angewendet werde, dass eine Einbürgerung regelmäßig unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit vorgenommen werde. Zudem könne das Gericht der Auffassung des Beklagten und der Beigeladenen nicht folgen, diesem Anspruch stünden die Regelungen des Vertragsgesetzes vom 29. September 1969 zu dem MStÜbk. entgegen. Auch wenn die Neufassung der §§ 85 Abs. 1 Satz 1, 87 Abs. 2 AuslG gegen die vertragliche Verpflichtung aus Art. 1 MStÜbk. verstoßen sollte, könne dies dem Anspruch des Klägers auf Einbürgerung nicht entgegengehalten werden. Bei dem MStÜbk. handele es sich nur um eine in innerstaatliches Recht transformierte völkerrechtliche Vereinbarung. Mit dem Vertragsgesetz sei das MStÜbk. innerstaatlich geltendes Recht geworden und stehe damit als einfaches Bundesrecht gleichrangig neben dem AuslG, jedoch nicht im Rang darüber. Zudem sei mit der Transferierung des MStÜbk. ein innerstaatliches Recht lediglich eine Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland begründet, dieses Abkommen einzuhalten und anzuwenden. Das Abkommen betreffe und regele nur zwischenstaatliche Verpflichtungen und an keiner Stelle Einbürgerungsansprüche und den Ausschluss von der Staatsangehörigkeit in Bezug auf individualisierbare Personen. Unabhängig davon, dass das später erlassene AuslG dem Vertragsgesetz vom 29. September 1969 im Rahmen des Lex-posterior-Prinzips vorgehe, sei nicht ersichtlich, dass von der Möglichkeit, nach der völkerrechtlichen Vereinbarung das nachfolgende staatliche Recht ausdrücklich oder stillschweigend zurücktreten zu lassen, Gebrauch gemacht worden wäre. Zudem müsste die Bundesrepublik Deutschland sich entgegenhalten lassen, dass es ein Verstoß gegen Treu und Glauben wäre, wenn bundesgesetzlich ein Anspruch einer positiven Regelung zugeführt werde, derjenige, der sich aber auf diesen Anspruch berufe, darauf verwiesen werde, dieser Anspruch bestehe wegen älteren Rechts oder eines bestehenden völkerrechtlichen Vertrags nicht. Diese Auswirkungen hätte man bereits im Gesetzgebungsverfahren berücksichtigen und würdigen müssen. Nach alledem bedürfe es keiner weiteren Erörterung, ob ein Einbürgerungsanspruch auch auf der Grundlage des § 8 StAG bestehe oder dem Kläger Wiedereinsetzung in die Erklärungsfrist nach Art. 3 RuStAGÄndG 1974 gewährt werden könne oder zu gewähren sei.

Nach Zulassung der Berufung auf Antrag des Beklagten durch Beschluss des Senats vom 20. November 2000 (12 UZ 3420/00) macht der Beklagte geltend, das angegriffene Urteil sei rechtsfehlerhaft, da es zum Erlass eines rechtlich nicht vorgesehenen Verwaltungsaktes verpflichte; denn die Einbürgerung erfolge durch Aushändigung einer Einbürgerungsurkunde, die weder die rechtlichen noch die tatsächlichen Grundlagen der Einbürgerung noch den Umstand erkennen lasse, ob von den grundsätzlichen Bedenken gegen das Entstehen von Mehrstaatigkeit ausnahmsweise abgesehen worden sei. Darüber hinaus enthalte das angegriffene Urteil eine Verurteilung zu einem Verwaltungsakt, der rechtlich nicht möglich sei; denn der Kläger verliere durch die Einbürgerung in den deutschen Staatsverband kraft Gesetzes seine italienische Staatsangehörigkeit und könne somit nicht unter Hinnahme von Mehrstaatlichkeit eingebürgert werden. Rein theoretisch wäre es zwar möglich, den Kläger einzubürgern und damit den Verlust seiner italienischen Staatsangehörigkeit herbeizuführen. Die Bundesrepublik Deutschland sei jedoch aufgrund des deutsch-italienischen Notenwechsels vom 10. Dezember 1938 (GMBl. 1976, 369) dazu verpflichtet, gegenüber Italien vollzogene Einbürgerungen italienischer Staatsangehöriger nachzuweisen und den italienischen Behörden die einzuziehenden Ausweisdokumente des Eingebürgerten zur Verfügung zu stellen. Der Kläger sei darauf aber nicht eingegangen und habe die Herausgabe des italienischen Passes immer von vornherein verweigert. In diesem Falle würde die Vollziehung der Einbürgerung des Klägers zu einem Verstoß gegen den genannten Notenwechsel führen, der von der Verwaltung nicht verlangt werden könne. Weiterhin sei ständige Verwaltungspraxis des Beklagten, eine Einbürgerung dann nicht zu vollziehen, wenn sie Rechtsfolgen auslöse, die der Einbürgerungsbewerber nicht wünsche, oder wenn der Einbürgerungsbewerber sich rechtsirrige Vorstellungen über die Rechtsfolgen mache. Außerdem sei nach derzeitigem Kenntnisstand davon auszugehen, dass mit Italien keine Gegenseitigkeit im Sinne des § 87 Abs. 2 AuslG bestehe. Einem Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom 2. November 2000 zu Folge sei aufgrund einer Verbalnote des italienischen Außenministeriums davon auszugehen, dass nur hinsichtlich der Personengruppe mit italienischen Ehegatten von Gegenseitigkeit ausgegangen werden könne. Letztendlich sei es nicht zutreffend, dass im vorliegenden Fall das Mehrstaaterübereinkommen hinter den Neuregelungen der §§ 85 Abs. 1 Satz 1, 87 Abs. 2 AuslG zurücktrete.

Der Beklagte beantragt sinngemäß,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen vom 21. August 2000 aufzuheben und die Klage mit der Maßgabe abzuweisen, dass der Kläger seine Einbürgerung nur unter Einhaltung der deutsch-italienischen Vereinbarung vom 10. Dezember 1938 verlangen kann.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Nach Auffassung des Klägers zieht die angestrebte Einbürgerung in Deutschland nach italienischem Recht nicht den Verlust der italienischen Staatsbürgerschaft nach sich. Dies ergebe sich vornehmlich aus Art. 11 des italienischen Staatsangehörigkeitsgesetzes von 1992 und entspreche im Übrigen eindeutig der Intention des Zweiten Zusatzprotokolls zum Mehrstaaterübereinkommen von 1993, das in Kraft getreten und dem Italien neben Frankreich und den Niederlanden beigetreten sei. Dass die italienische Rechtslage auch die aktuelle internationale Rechtsentwicklung wiederspiegele, zeige sich in dem Entwurf eines neuen Abkommens über Staatsangehörigkeitsfragen vom 15. Januar 1997, das Mehrstaatigkeit voraussetze und entsprechende Regelungsmechanismen bereitstelle, statt der Mehrstaatigkeit entgegen zu wirken.

Die Voraussetzungen des § 85 AuslG für die Einbürgerung seien bis auf die Aufgabe der ursprünglichen Staatsangehörigkeit erfüllt. Von dem Ausnahmetatbestand des § 87 AuslG sei Abs. 1 Nr. 5 AuslG in Betracht zu ziehen, wobei im vorliegenden Fall insbesondere eine mögliche Benachteiligung im Bereich des Erbrechts in Betracht komme. Daneben sei § 87 Abs. 2 AuslG einschlägig, wobei nur das Merkmal der Gegenseitigkeit strittig sei. Bei Bewertung der Mitteilung des Bundesinnenministeriums dürfe nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Personengruppe mit deutsch-italienischen Elternteilen bei Einbürgerungen in Italien gar nicht in Frage stehen könnten, da diese Gruppe in Italien kraft Gesetzes die italienische Staatsbürgerschaft habe. Außerdem sei § 8 StAG neben den Vorschriften des Ausländergesetzes anwendbar und berücksichtige eine etwaig entstehende Mehrstaatigkeit bei der Ermessensprüfung. Die hierzu von der Beklagten vertretene Ermessensausübung sei unter verschiedenen Gesichtspunkte fehlerhaft. Die Vermeidung von Mehrstaatigkeit werde überbewertet, und andere Ermessensgesichtspunkte würden überhaupt nicht berücksichtigt und damit auch nicht abgewogen. Der Gesichtspunkt der Vermeidung von Mehrstaatigkeit stelle zwar noch ein anerkennenswertes staatliches Interesse dar, habe aber in seiner Bedeutung im Zuge der fortschreitenden Europäisierung erheblich an Bedeutung verloren. Das zweite Zusatzprotokoll zum Mehrstaaterübereinkommen sei richtigerweise als ein eindeutiges Zeichen für die international steigende Akzeptanz der Mehrstaatigkeit gewertet worden. In diesem Zusammenhang sei auch die Schaffung der Unionsbürgerschaft im Rahmen des Amsterdamer Vertrags zu nennen. Sie werte den Gesichtspunkt der Vermeidung von Mehrstaatigkeit auf europäischer Ebene weiter ab, da in ihr der Gedanke, gleichzeitig Staatsbürger mehrerer europäischer Staaten sein zu können, zum Ausdruck komme. Neben diesen speziellen Aspekten müsse allgemein festgestellt werden, dass der europäische Einigungs- und Rechtsangleichungsprozess der Übeltheorie den Boden entziehe, da ihre innere Begründung von der Auffassung der Staatsangehörigkeit als Pflichten- und Treueverhältnis gegenüber dem Staat in der europäischen Realität keine Grundlage mehr finde. Das Pflichten- und Treueverhältnis zwischen Staatsangehörigen und Staat sei im heutigen Europa gleicher Rechte und Pflichten über die deutschen Grenzen hinaus auf Europa ausgedehnt worden. Andererseits lasse sich eine Reihe von Gesichtspunkten erkennen, die für die Einbürgerung trotzt entstehender Mehrstaatigkeit sprächen und in der Ermessensausübung des Beklagten nicht bzw. nicht richtig gewertet würden. So werde die Ausstrahlung der Grundrechte nicht genügend beachtet. Die vom Bundesverwaltungsgericht vorgegebene Abwägung, die der Einheitlichkeit der Staatsangehörigkeit in der Familie Vorrang vor dem Grundsatz der Vermeidung von Mehrstaatigkeit gebe, sei zu beachten. Das Argument, diese Wertung sei auf den volljährigen Kläger nicht zu übertragen, dringe nicht durch. Eine mögliche Umgehung aufenthaltsrechtlicher, berufsrechtlicher oder sonstiger Beschränkungen könne hier zur Begründung der Differenzierung zwischen volljährigen und minderjährigen Antragstellern nicht angeführt werden. Ganz im Gegenteil erscheine es unbillig, hier durch Versagung der deutschen Staatsangehörigkeit die Zulassung zur Beamtenberufung zu verhindern. Letztlich sei als Ermessensgesichtspunkt, der für die Einbürgerung trotz entstehender Mehrstaatigkeit spreche, das damit verbundene allgemeine Integrationsmoment anzuführen, dem von staatlicher Seite aus ein Interesse im Rahmen des europäischen Integrationsprozesses entgegen zu bringen sei. Das Argument, der Mehrstaater würde übervorteilt, könne jedenfalls auf der Ebene der europäischen Mitgliedstaaten nicht angebracht werden, da hier durch entsprechende Regelungen eine Übervorteilung ausgeschlossen sei. Ganz im Gegenteil wirke sich hier die Nichteinbürgerung als Benachteiligung aus, da z. B. das Wahlrecht nur in sehr beschränktem Maße ausgeübt werden könne.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten und die Behördenakten des Regierungspräsidiums Gießen Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

Die vom Senat zugelassene und auch sonst zulässige Berufung des Beklagten (§§ 124 Abs. 1, 124a Abs. 2 Satz 4, Abs. 4 VwGO) ist begründet; denn der Kläger kann entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts weder seine Einbürgerung verlangen, noch hat er einen Anspruch darauf, vom Beklagten erneut unter Rechtsauffassung des Gerichts beschieden zu werden.

Da für die vom Kläger begehrte Einbürgerung unterschiedliche Vorschriften mit unterschiedlichen tatsächlichen Voraussetzungen in Betracht kommen und die Übergangsregelung des § 102a AuslG (eingefügt durch Art. 2 Gesetz zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts vom 15.07.1999, BGBl. I S. 1618 - StARG) vorsieht, dass auf bis zum 16. März 1999 gestellte Einbürgerungsanträge die §§ 85 bis 91 AuslG in der vor dem 1. Januar 2000 geltenden Fassung mit der Maßgabe Anwendung finden, dass sich die Hinnahme von Mehrstaatigkeit nach der Neufassung des § 87 AuslG beurteilt, ist es für die rechtliche Beurteilung ausschlaggebend, wie das Begehren des Klägers wirklich auszulegen ist. Der Kläger hat von Anfang an den Wunsch geäußert, in Deutschland eingebürgert zu werden und gleichzeitig die italienische Staatsangehörigkeit zu behalten. Die hierfür heranzuziehende Rechtsgrundlage ist ihm letztlich gleichgültig. Es kann hier dahinstehen, ob dem Einbürgerungsbewerber eine Dispositionsbefugnis hinsichtlich der Einbürgerungsgrundlage zukommt; denn der Kläger kann mit seinem im Berufungsverfahren verdeutlichten Begehren in keinem Fall Erfolg haben. Das Regierungspräsidium Gießen hat wie der Kläger nur auf § 8 RuStAG (Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz vom 22.07.1913, RGBl. I S. 583; zuletzt geändert durch Gesetz vom 18.06.1997, BGBl. I S. 1430) abgestellt und das Verwaltungsgericht die Verpflichtung zur Einbürgerung sodann auf der Grundlage von § 85 AuslG a. F. ausgesprochen.

Hinsichtlich des maßgebenden Rechts ist zunächst festzustellen, dass auf den vor dem 16. März 1999 gestellten Einbürgerungsantrag des Klägers ungeachtet des Charakters seiner Klage als Verpflichtungsklage gemäß § 102a AuslG die Vorschriften der §§ 85 bis 91 AuslG in der vor dem 1. Januar 2000 geltenden Fassung und hinsichtlich der Hinnahme von Mehrstaatigkeit die Neufassung des § 87 AuslG anzuwenden sind (Hailbronner/Renner, Staatsangehörigkeitsrecht, 2001, § 102a AuslG Rdnr. 1; Renner, Ausländerrecht, Nachtrag zur 7. Aufl., 2000, § 102a AuslG Rdnr. 4 ff.). Zu Unrecht legt das Verwaltungsgericht die Vorschrift des § 102a AuslG dahin aus, auf das Einbürgerungsbegehren des Klägers seien die neuen Einbürgerungsvorschriften des AuslG anzuwenden. Die Anwendung der neuen Vorschriften des § 85 AuslG, der die früheren Tatbestände der §§ 85 und 86 AuslG ablöst und erweitert, können nur dann von Interesse sein, wenn sie sich günstiger darstellen. Unter diesen Umständen kommt eine Umstellung des laufenden Gerichtsverfahrens ebenso wie des laufenden Verwaltungsverfahrens auf die neue Rechtslage in Betracht, falls die Beteiligten dem zustimmen, so dass in diesem Fall dann einheitlich neues Recht anzuwenden ist (vgl. Nr. 102a Abs. 1 Satz 2 StAR-VwV vom 13.12.2000; GMBl. 2001, 122 = BAnz. 2001 Nr. 21a; Renner, a.a.O. § 102a AuslG Rdnr. 6).

Der Kläger erfüllt die Voraussetzungen des § 85 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 AuslG a. F., weil er seit über acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat, sechs Jahre im Bundesgebiet eine Schule, davon mindestens vier Jahre eine allgemeinbildende Schule besucht hat und nicht wegen einer Straftat verurteilt worden ist. Soweit er sein Einbürgerungsbegehren auf die Neufassung von § 85 AuslG stützt, sind auch dessen Voraussetzungen gegeben. Der Kläger besitzt eine Aufenthaltserlaubnis und kann seinen Lebensunterhalt ohne Inanspruchnahme von Sozial- oder Arbeitslosenhilfe bestreiten; letzteres wird ihm zunächst für die Dauer der Referendarzeit und trotz der prekären Stellensituation für junge Juristen auch für die Zeit nach Abschluss des Zweiten Staatsexamens möglich sein. Es kann weiter zu seinen Gunsten angenommen werden, dass er sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt und erklärt, dass er keine Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben oder die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden; Anhaltspunkte dafür, dass er früher derartige Bestrebungen verfolgt und unterstützt hat, liegen nicht vor (§ 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG). Schließlich steht fest, dass der Kläger - was unabhängig von der jeweils anzuwendenden Fassung von § 85 AuslG für seine Einbürgerung erforderlich ist - seine bisherige Staatsangehörigkeit mit dieser Einbürgerung entgegen seiner Auffassung verliert (§ 85 Abs. 1 Nr. 1 AuslG a. F. und § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 n. F.).

Soweit der Kläger sein Einbürgerungsbegehren ursprünglich auf die Ermessensvorschrift des § 8 RuStAG gestützt hat, ist insoweit mangels einer Übergangsvorschrift nunmehr die Neufassung dieser Bestimmung (§ 8 StAG) anzuwenden, die sich von der früheren Fassung allerdings nur hinsichtlich der Handlungsfähigkeit nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 StAG unterscheidet, im Übrigen aber dem Gesetzeswortlaut nach eine Vermeidung von Mehrstaatigkeit nicht voraussetzt. Das öffentliche Interesse an einer Vermeidung von Mehrstaatigkeit ist nach früherer Rechtslage aufgrund einer einheitlichen Verwaltungspraxis nach Maßgabe der Einbürgerungsrichtlinien durchgesetzt worden, und diese Praxis wird auch nach der Staatsangehörigkeitsrechtsreform insoweit fortgesetzt, als bei der Ermessenseinbürgerung nach § 8 StAG von der Verwaltung "der Grundsatz der Vermeidung von Mehrstaatigkeit" nach wie vor "zu beachten ist" (Nr. 8.1.2.6 StAR-VwV) und Ausnahmen auch weiterhin nur in bestimmten Fallgruppierungen in Betracht kommen (vgl. Nr. 8.1. 2. 6. 3 ff. StAR-VwV).

Auf die mögliche Rechtsgrundlage einer Einbürgerung und auf die jeweils anzuwendenden Regeln über die Vermeidung von Mehrstaatigkeit kommt es aber letztlich nicht an, weil der Kläger in jedem Fall mit der Einbürgerung in Deutschland seine italienische Staatsangehörigkeit verliert; damit verbleibt der deutschen Einbürgerungsbehörde keine irgendwie geartete Kompetenz zur Durchsetzung der im öffentlichen Interesse und im Interesse der Staaten liegenden möglichst weitgehenden Durchsetzung des Grundsatzes der Monostaatigkeit. Eine Entscheidung über die Hinnahme von Mehrstaatigkeit wird von der deutschen Einbürgerungsbehörde nur verlangt, wenn die Voraussetzung des § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AuslG nicht erfüllt ist, wonach der Einbürgerungsbewerber seine bisherige Staatsangehörigkeit entweder aufgeben oder verlieren muss. Auf die Bereitschaft des Klägers, seine italienische Staatsangehörigkeit aufzugeben, kommt es aber nicht an, weil er sie nach dem insoweit allein maßgeblichen italienischen Recht verliert. In Folge dessen ist es für die Entscheidung auch unerheblich, ob die Privilegierung von Unionsbürgern nach § 87 Abs. 2 AuslG im vorliegenden Fall angewandt werden kann, Italien also bei der Einbürgerung deutscher Staatsangehöriger Mehrstaatigkeit hinnimmt und damit insoweit Gegenseitigkeit besteht. Ebenso wenig kommt es hier darauf an, aus welchen Gründen die Erklärung nach Art. 3 RuStAÄndG 1974 nicht fristgerecht für den Kläger abgegeben worden ist.

Gemäß Art. 1 Abs. 1 des sowohl von Deutschland als auch von Italien ratifizierten Mehrstaaterübereinkommens (vom 06.05.1963, BGBl. 1969 II S. 1954; Ges. vom 29.09.1969, BGBl. 04.05.1953; betr. Italien vgl. BGBl. 1969 II S. 2232 u. 1986 II S. 541) - MstÜbk. - verlieren volljährige Staatsangehörige einer Vertragspartei, die infolge einer ausdrücklichen Willenserklärung durch Einbürgerung, Option oder Wiedereinbürgerung die Staatsangehörigkeit einer anderen Vertragspartei erwerben, ihre vorherige Staatsangehörigkeit, und die Beibehaltung der vorherigen Staatsangehörigkeit ist ihnen zu versagen. Diese Bestimmungen wenden sich wie allgemein so auch im vorliegenden Fall nicht an die deutsche Einbürgerungsbehörde, sondern regeln die Folgen der Einbürgerung in Deutschland für die italienische Staatsangehörigkeit des Klägers. Sie sind in Italien aufgrund der dortigen Ratifizierung ebenso unmittelbar anwendbar wie in Deutschland. Für das deutsche Recht ist unstreitig und als geklärt anzusehen, dass das Mehrstaaterübereinkommen durch die zwischenzeitlichen Änderungen des RuStAG und des Ausländergesetzes nicht in seiner innerstaatlichen Verbindlichkeit berührt worden ist. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ist der Grundsatz lex posterior derogat legi priori im Verhältnis zwischen innerstaatlich verbindlichem Völkervertragsrecht und sonstigem Bundesrecht nicht anwendbar. Es ist ohne Weiteres und ohne ausdrücklich Erklärung des Gesetzgebers zu unterstellen, dass er durch die Änderung von Bundesgesetzen nicht die Geltung zuvor ratifizierten Völkervertragsrechts zu beeinträchtigen beabsichtigt. Ein dahingehender Wille ist vor allem deswegen anzunehmen und in der Rechtspraxis seit jeher anerkannt, weil sonst die Bundesrepublik Deutschland ebenso wie andere Vertragsparteien ständig Gefahr liefe, ihren Vertragsverpflichtungen nicht nachzukommen und, um nicht vertragsbrüchig zu werden, immer wieder in erneute Vertragsverhandlungen mit dem Ziel der Abänderung völkerrechtlicher Verträge eintreten müsste. So war der Grundsatz, das völkerrechtliche Verträge unberührt bleiben, für das Ausländerrecht noch in § 55 AuslG 1965 erwähnt, dieser Vorbehalt gilt aber nach wie vor, obwohl er im neuen Ausländergesetz nicht besonders ausgedrückt ist. Ebenso verhält es sich mit dem Mehrstaaterübereinkommen, das nach einhelliger Auffassung in Literatur und Rechtsprechung neben § 25 RuStAG bzw. § 25 StAG fortgilt (z.B. Makarov/v. Mangoldt, Dt. Staatsangehörigkeitsrecht, § 25 RuStAG Rdnr. 5, 21,23; Hailbronner/Renner, a.a.O., Einl. F Rdnr. 5 ff., § 25 StAG Rdnr. 35; Marx, Staatsangehörigkeitsrecht, 1997, § 25 RuStAG Rdnr. 16 ff.). Nur aus diesem Grund hat die Bundesregierung im Zusammenhang mit der Staatsangehörigkeitsrechtsreform Überlegungen angestellt, Verhandlungen über eine mögliche Modifizierung des Mehrstaaterübereinkommens auf der Ebene des Europarats aufzunehmen. Ungeachtet dieser allgemeinen Überlegungen ist in Art. 26 Nr. 3 des italienischen Gesetzes Nr. 91 aus 1992, was das Verwaltungsgericht nicht beachtet hat, ausdrücklich bestimmt: "Die verschiedenen Vorschriften in internationalen Verträgen bleiben unberührt."

Allerdings ist bei Anwendung des Mehrstaaterübereinkommens im Verhältnis zu Italien zu beachten, dass Italien den in Nr. 1 der Anlage zum MstÜbk vorgesehenen Vorbehalt erklärt und aufrecht erhalten hat (vgl. dazu Bekanntmachung vom 05.12.1969, BGBl. II S. 2232). Damit behält sich Italien das Recht vor, den in Art. 1 Abs. 1 MstÜbk vorgesehenen Verlust der italienischen Staatsangehörigkeit von der Voraussetzung abhängig zu machen, dass die betreffende Person sich gewöhnlich außerhalb des italienischen Hoheitsgebiets aufhält oder dort zu irgend einem Zeitpunkt ihren gewöhnlichen Aufenthalt nimmt, es sei denn, dass beim Erwerb einer fremden Staatsangehörigkeit kraft ausdrücklicher Willenserklärung die betreffende Person durch die zuständige Behörde von der Voraussetzung des gewöhnlichen Aufenthalts im Ausland befreit wird (vgl. dazu und zu den Folgen für den Fall des § 25 StAG BVerwG, 29.09.1998 - 1 C 20.96 -, BVerwGE 107, 223 = EZAR 272 Nr. 8; vgl. auch Makarov/v. Mangoldt, a.a.O., § 25 RuStAG Rdnr. 23). Auf diesen Vorbehalt und seine Auswirkung kommt es im vorliegenden Fall nicht an, weil der Kläger seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland und damit außerhalb des italienischen Hoheitsgebiets hat, die in dem Vorbehalt gemachte Voraussetzung des Auslandsaufenthalts also gegeben ist.

Soweit der Kläger im Laufe des Berufungsverfahrens darauf hingewiesen hat, die Bundesrepublik Deutschland beabsichtige die Kündigung des Mehrstaaterübereinkommens, hat dies keinen Einfluss auf die Entscheidung über die Berufung. Gemäß Art. 12 Abs. 2 MstÜbk kann jede Vertragspartei das Übereinkommen kündigen, die Kündigung wird gemäß Art. 12 Abs. 3 MstÜbk aber erst ein Jahr nach dem Eingang der Notifikation beim Generalsekretär des Europarats wirksam. Damit würde die Kündigung auch im Verhältnis zum Vertragsstaat Italien erst frühestens im Sommer 2002 wirksam. Unter diesen Umständen käme ein Ruhen des Verfahrens in Betracht, um die Kündigungserklärung und deren Wirksamwerden abzuwarten; dies erscheint dem Senat jedoch nicht sachgerecht, weil eine solche Entwicklung zunächst einmal von politischen Entscheidungen abhängig ist, die noch unsicher erscheinen, und weil im Übrigen dem Kläger die Möglichkeit verbleibt, in einem solchen Fall ein neues Verwaltungsverfahren zu beginnen.

Das Zweite Protokoll zum Mehrstaaterübereinkommen vom 2. Februar 1993 (englischer Text in Hailbronner/Renner, a.a.O., S. 1038 f.) ist bisher von Frankreich, Italien und den Niederlanden ratifiziert, nicht jedoch von der Bundesrepublik Deutschland und kann deshalb nicht zu Gunsten des Klägers angewandt werden. Ebenso verhält es sich im Ergebnis mit dem Europäischen Übereinkommen über Staatsangehörigkeit vom 6. November 1997 (Text in Hailbronner/ Renner, a.a.O., S. 1042 ff.), das unter anderem von Italien gezeichnet ist, nicht aber von der Bundesrepublik Deutschland. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die italienische Rechtspraxis dieser Rechtslage nicht entspricht.

Nach alledem verliert der Kläger durch eine Einbürgerung in Deutschland entgegen seiner Auffassung seine italienische Staatsangehörigkeit auf Grund Art. 1 Abs. 1 MstÜbk. Soweit er seinen Einbürgerungswunsch dennoch aufrecht erhält und dem Verlust der italienischen Staatsangehörigkeit dadurch zu entgegnen sucht, dass er die Abgabe seines italienischen Passes verweigert, kann er damit keinen Erfolg haben. Er kann nämlich seine Einbürgerung in Deutschland durch Aushändigung der Einbürgerungsurkunde (§ 16 StAG) nur erreichen, wenn er zuvor der deutschen Einbürgerungsbehörde seinen italienischen Reisepass zur Weiterleitung an die italienische Behörde abgibt. Deutschland und Italien haben durch Notenwechsel im Jahr 1976 vereinbart, die Vereinbarung vom 12. Dezember 1938 über die Mitteilung vollzogener Einbürgerungen "wieder anzuwenden" (Rundschreiben des BMI vom 14.07.1976, GMBl. 1976, 369). Danach ist dem jeweils anderen Staat die Einbürgerung von dessen Angehörigen auf einem vereinbarten Vordruck mitzuteilen, und außerdem sind die durch die Einbürgerung ungültig gewordenen Reisepässe, Heimatscheine usw. des anderen Staats einzuziehen und an die früheren Heimatbehörden zurückzugeben. Abgesehen von dem Nachweis der Einbürgerung gegenüber der italienischen Botschaft sind die genannten Dokumente "bei Aushändigung der Einbürgerungsurkunde einzuziehen und den Nachweisungen beizufügen". Da diese völkerrechtlich vereinbarte Verfahrensweise im Einbürgerungsverfahren ständig praktiziert wird, ist es als integrativer Bestandteil des deutschen Einbürgerungsverfahrens im Verhältnis zu Italien anzusehen und von der Einbürgerungsbehörde einzuhalten. Der Kläger ist also gehalten, seinen italienischen Reisepass Zug um Zug gegen die deutsche Einbürgerungsurkunde zur Einziehung und zur Weiterleitung an die italienischen Behörden herauszugeben. Diese Verpflichtung schränkt nicht seinen Einbürgerungsanspruch in materieller Hinsicht ein, sondern gewährleistet lediglich die verwaltungsmäßige Durchführung des mit der Einbürgerung in Deutschland verbundenen Verlusts der italienischen Staatsangehörigkeit. Hierfür ist ohne Belang, dass die zwischenstaatlich vereinbarte Einziehungsverpflichtung ursprünglich auf anderen materiell-rechtlichen Staatsangehörigkeitsvorschriften in Deutschland und in Italien beruhte. Da der Notenwechsel 1976 wieder in Kraft gesetzt worden ist, besteht die Einziehungsverpflichtung auch dann, wenn der Verlust der Staatsangehörigkeit auf Art. 1 MStÜbk. beruht. Ob hiervon im Einzelfall im Einverständnis beider Regierungen abgewichen werden kann und welche Formalitäten hierbei einzuhalten wären, kann hier offen bleiben; denn dem Kläger ist es nicht gelungen, eine dahingehende Erklärung des italienischen Generalkonsulats vorzulegen. Es erscheint dem Senat nicht sachgerecht, das Verfahren auszusetzen, um abzuwarten, ob der Kläger in absehbarer Zeit eine solche Erklärung beibringen kann. Der Inhalt des vom ihm geführten Telefongesprächs mit einer Mitarbeiterin des Konsulats allein genügt hierfür nicht.

Die Entscheidungen über die Kosten des gesamten Verfahrens, die vorläufige Vollstreckbarkeit und die Nichtzulassung der Revision folgen aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO sowie aus §§ 154 Abs. 1, 167 VwGO i.V.m. § 132 Abs. 2 VwGO.

Ende der Entscheidung

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