Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 18.08.2000
Aktenzeichen: 12 UE 420/97.A
Rechtsgebiete: AsylVfG


Vorschriften:

AsylVfG § 10
Das Rechtsschutzinteresse an der Weiterverfolgung eines Asylverfahrens entfällt, wenn der Ausländer einen Wohnungswechsel Behörden und Gerichten nicht anzeigt, eine Ladung zu einem Termin zur Beteiligtenvernehmung nicht zugestellt werden kann, weil der Ausländer an einer Anschrift als "unbekannt verzogen" und an einer anderen Anschrift als "unbekannt" gilt, und der Ausländer die Behauptung, er habe sich in einem Drittstaat einen Pass auf seinen richtigen Namen besorgt und sei in sein Heimatland gereist, nicht substantiiert entkräftet.
Gründe:

I.

Der am ... 1966 in B. (Nepal) geborene Kläger ist nepalesischer Staatsangehöriger. Er fuhr seinen Angaben zufolge im Februar 1993 mit dem Zug von B. nach K. und flog am 14. Februar 1993 mit der Nepal Airlines nach Frankfurt am Main. Unter dem 16. Februar 1993 beantragte er die Anerkennung als Asylberechtigter. Mit Bescheid vom 25. Februar 1994 hat das Bundesamt diesen Antrag abgelehnt und festgestellt, dass weder die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG noch Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen, und dem Kläger für den Fall der Nichtausreise binnen eines Monats nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens die Abschiebung nach Nepal oder in einen anderen Staat angedroht, in den der Kläger einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei. Die hiergegen am 4. und 11. März 1994 erhobene Klage hatte keinen Erfolg. Nach Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 17. Juli 1996 durch den früher zuständigen 13. Senat verfolgt der anwaltlich vertretene Kläger sein Begehren weiter und beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 17. Juli 1996 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamts vom 25. Februar 1994 zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen und festzustellen, dass die Voraussetzungen der §§ 51 und 53 AuslG vorliegen.

Die Beklagte verteidigt die Asylablehnung; der Bundesbeauftragte hat sich am Berufungsverfahren nicht beteiligt.

Auf gerichtliche Verfügungen vom 2. März und 12. Mai 2000 hat der Kläger mit Schriftsatz vom 17. Mai 2000 sein Asylvorbringen ergänzt und zusätzliche Unterlagen vorgelegt. Daraufhin sollte der Kläger aufgrund des Beweisbeschlusses des beschließenden Senats vom 21. Juni 2000 über seine Asylgründe als Beteiligter vernommen werden, er konnte jedoch nicht geladen werden; daher wurde der ursprünglich am 24. Juli 2000 vorgesehene Beweistermin aufgehoben. Mit Verfügungen vom 18. und 26. Juli 2000 wurden die Beteiligten auf die Möglichkeit der Verwerfung der Berufung nach § 125 Abs. 2 VwGO und darauf hingewiesen, dass Zweifel am Fortbestehen des Rechtsschutzinteresses bestehen könnten, wenn der Kläger unter falschem Namen in Deutschland lebe, sich nicht an dem zugewiesenen Wohnort aufhalte, während des Asylverfahrens in den Heimatstaat oder einen Drittstaat reise oder aus sonstigen Gründen nicht für das Verfahren zur Verfügung stehe, insbesondere für eine Vernehmung nicht oder nicht rechtzeitig erreichbar sei. Mit Schriftsatz vom 4. August 2000 hat der Klägervertreter unter anderem erklärt, der Kläger wohne nach wie vor in der Gemeinschaftsunterkunft in O., F-straße 48.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs (12 UE 420/97.A und 12 UZ 1407/98.A) und des VG Frankfurt am Main (5 E 30758/94.A) sowie die den Kläger und seine Ehefrau betreffenden Akten des Bundesamts Bezug genommen.

II.

Über die Berufung des Klägers kann durch Beschluss entschieden werden, da der Senat sie wegen Fortfalls des Rechtsschutzinteresses für unzulässig hält und die Beteiligten über diese Verfahrensweise belehrt worden sind (§ 125 Abs. 2 VwGO).

Die Berufung des Klägers ist zugelassen (§ 78 Abs. 2 Satz 1, Abs. 5 Satz 3 AsylVfG), wegen zwischenzeitlichen Fortfalls des Rechtsschutzinteresses aber unzulässig.

Hält sich ein Asylbewerber entweder an einem unbekannten Ort im Bundesgebiet oder im Ausland auf und ist er deshalb für Behörden und Gerichte nicht erreichbar, so fehlt ihm grundsätzlich das Rechtsschutzbedürfnis für das weitere Betreiben des Asylverfahrens. Wie der Hessische Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung angenommen hat, entfällt das Rechtsschutzinteresse für ein Asylverfahren, wenn ein Asylbewerber den Behörden und Gerichten seinen Aufenthaltsort beharrlich verschweigt (vgl. Hess. VGH, 08.10.1986 - 10 UE 1246/86 -, EZAR 630 Nr. 24 = NVwZ 1987, 626 = ESVGH 37, 44; Hess. VGH, 13.01.1988 - 12 UE 818/85 -). Allgemein wird in der Rechtsprechung die Ansicht vertreten, dass einem Asylbewerber mit unbekannten Aufenthalt das Rechtsschutzinteresse fehlt (dazu allgemein BVerwG, 06.08.1996 - 9 C 169.95 -, BVerwGE 101, 323 = NVwZ 1997, 1136 = InfAuslR 1996, 418 = DVBl. 1997, 180), insbesondere wenn er über einen längeren Zeitraum unbekannten Aufenthalts und zugleich auch unerreichbar ("untergetaucht") ist und damit zu erkennen gibt, dass er an einer Entscheidung über sein Rechtsmittel nicht mehr interessiert ist (VGH Baden-Württemberg, 11.12.1997 - A 12 S 3426/95 -, NVwZ-Beilage 1998, 72 = VBlBW 1998, 273 = Justiz 1998, 298 = AuAS 1998, 119), wenn der Asylbewerber gegen seine Mitteilungspflichten über seinen Aufenthaltsort verstößt und seit nahezu drei Jahren unbekannten Aufenthalts ist (VGH Baden-Württemberg, 14.04.1992 - A 16 S 211/91 -; Bay. VGH, 11.11.1992 - 19 BZ 92.31242 -), wenn der Asylbewerber im Bundesgebiet untergetaucht ist (Bay. VGH, 18.02.1991 - 11 BZ 90.32232 -), wenn ein Asylbewerber während des Asylverfahrens entweder ausreist oder in Deutschland untertaucht (OVG Lüneburg, 29.08.1991 - 12 L 7089/91 -; OVG Lüneburg, 20.09.1991 - 12 L 7133/99 -; OVG Saarland, 30.12.1997 - 9 U 9/97 -; OVG Saarland, 29.12.1993 - 9 R 11/93 -; OVG Saarland, 05.02.1992 - 9 R 143/91 -). Diese Rechtsprechung ist vom Bundesverfassungsgericht als verfassungsgemäß bestätigt worden (BVerfG-Kammer, 20.11.1990 - 2 BvR 1417/90 -) und inzwischen auf Ausländer ausgedehnt, die um Abschiebungsschutz nachsuchen, aber untergetaucht sind und sich verborgen halten (Thüringer OVG, 02.07.1999 - 3 ZEO 1154/98 -, EZAR 620 Nr. 9 = ThürVBl. 1999, 285 = InfAuslR 2000, 19 = AuAS 1999, 266; dazu Anm. Renner in NJ 2000, 106; vgl. dazu allerdings auch Hess. VGH, 30.05.1989 - 12 TH 1658/89 -, NJW 1990, 140).

Nach Überzeugung des beschließenden Senats hält sich der Kläger entweder in Deutschland oder in einem Drittstaat verborgen oder ist in seinen Heimatstaat Nepal zumindest vorübergehend ausgereist. Jedenfalls lässt sein Gesamtverhalten erkennen, dass er an einer gesetzmäßigen Weiterverfolgung seines Asylbegehrens in Deutschland kein schützenswertes Interesse mehr hat. Nachdem auf seinen Antrag mit Beschluss des damals zuständigen 13. Senats des Hess. VGH vom 31. Januar 1997 die Berufung gegen das klageabweisende Urteil des Verwaltungsgerichts vom 17. Juli 1996 zugelassen worden war, musste und konnte der Kläger damit rechnen, dass er zur Mitwirkung am Berufungsverfahren herangezogen wurde. Er hat zwar die Berufung durch anwaltlichen Schriftsatz vom 27. August 1997 kurz begründet, ist aber nach Übernahme des Berufungsverfahrens durch den 12. Senat unter dem 6. Januar 2000 darauf hingewiesen worden, dass damals Anträge zu der Berufung noch nicht gestellt waren. Nachdem dies unter dem 13. Januar 2000 nachgeholt war, wurde er unter dem 2. März 2000 zur Angabe und zum Nachweis von Einzelheiten seines Asylvorbringens aufgefordert. Auf seinen Antrag wurde die hierfür gesetzte Frist um einen Monat verlängert und dann nach Nichterfüllung der Auflagen gemäß § 130a i.V.m. § 125 Abs. 2 VwGO darauf hingewiesen, dass die Berufung einstimmig zurückgewiesen werden kann, wenn sie unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist (richterliche Verfügung vom 12. Mai 2000). Daraufhin hat der Kläger die Berufung mit Schriftsatz vom 17. Mai 2000 entsprechend zusätzlich begründet und ergänzende Unterlagen eingereicht. Zu der für 24. Juli 2000 angesetzten Beweisaufnahme konnte der Kläger als Beteiligter nicht persönlich geladen werden, weil er unter der zunächst angegebenen Anschrift in U., ... als "unbekannt verzogen" festgestellt wurde und die daraufhin genannte Anschrift in O., ... sich ebenfalls nicht als zutreffend erwies, weil der Kläger dort nach Feststellungen der Post "unbekannt" war. Daraufhin wurden die Beteiligten nach erfolglos gebliebenen Aufenthaltsermittlungsmaßnahmen über Meldeamt, Ausländerbehörde und Ausländerzentralregister mit richterlichem Schreiben vom 18. Juli 2000 darauf hingewiesen, dass aus diesen Umständen entnommen werden könne, dass der Kläger seine Mitwirkungspflichten gröblich verletze und damit nicht gewillt sei, Rechtsschutz unter den gesetzlich vorgeschriebenen Voraussetzungen in Anspruch zu nehmen, und infolge dessen seine Berufung als unzulässig angesehen und durch Beschluss verworfen werden könne. Daraufhin sagte der Bevollmächtigte des Klägers unter dem 18. Juli 2000 zu, er bemühe sich, die ladungsfähige Anschrift seines Mandanten zu ermitteln und unverzüglich mitzuteilen. Unter dem 24. Juli 2000 erklärte er, sein Mandant sei nach wie vor unter der Anschrift in O., ..., wohnhaft, jedenfalls seien seine an diese Anschrift gerichteten Schreiben nicht zurückgekommen. Auf Veranlassung des Gerichts ermittelte daraufhin der Landrat des Main-Taunus-Kreises die Wohnverhältnisse des Klägers und teilte unter dem 26. Juli 2000 als Ergebnis mit, der Kläger habe unter angegebenen Anschrift nicht angetroffen werden können und es existiere auch kein Klingelschild oder Briefkasten mit diesem Namen, der Sozialarbeiter habe jedoch angegeben, der Kläger sei dort nach wie vor angemeldet und auch tatsächlich wohnhaft; es handele sich um eine Gemeinschaftsunterkunft, in der nicht für jede Person Briefkästen vorhanden seien, die Bewohner einigten sich jeweils untereinander, welche Namen darauf geschrieben würden. Einem anonymen Brief zufolge hätten sich der Kläger und seine Ehefrau in Italien Pässe auf ihren richtigen Namen besorgt und seien damit Ende Juni 2000 nach Nepal geflogen. Daraufhin erklärte der Prozessbevollmächtigte des Klägers unter dem 4. August 2000, der Kläger wohne nach wie vor in der Gemeinschaftsunterkunft in Oberursel, Feldbergstraße 48, und halte sich dort auf. Dort seien ihm auch alle Briefe des Bevollmächtigten zugegangen, es gebe dort aber nur einen Gemeinschaftsbriefkasten. Er bestritt den Inhalt des anonymen Briefes und erklärte, der Kläger lebe hier nicht unter falschem Namen und sei auch nicht nach Nepal geflogen.

Nach alledem ist festzustellen, dass der Kläger seine vor allem aus § 10 AsylVfG folgenden Melde- und Mitwirkungspflichten seit längerer Zeit gröblich vernachlässigt hat und zumindest längere Zeit für Behörden und Gerichte nicht erreichbar war und ist. Er hat in der Klageschrift vom 3. März 1994 als Anschrift die in U., ..., angegeben und weder dem Verwaltungsgericht noch dem Verwaltungsgerichtshof eine zwischenzeitliche Änderung seiner Anschrift mitgeteilt, obwohl er seinen Angaben zufolge zwischenzeitlich nach O., ..., umgezogen ist. Demzufolge war die alte Anschrift in U. in dem Urteil vom 17. Juli 1996, dem Zulassungsbeschluss vom 31. Januar 1997 und dem Beweisbeschluss vom 21. Juni 2000 enthalten und wurde auch für die Zustellung der Ladung zu dem Termin am 24. Juli 2000 verwandt. Da die Zustellung in O., ... fehlgeschlagen ist, weil der Kläger dort nach Angaben der Post "unbekannt" ist, hat der Kläger dort jedenfalls nicht alle notwendigen Vorkehrungen getroffen, um sicherzustellen, dass ihn Mitteilungen der Behörden und Gerichte erreichen können. Im Übrigen hat er selbst nicht angegeben, wann er den Wohnort gewechselt hat und dass er in dem Zeitraum der erfolglosen Zustellungsversuche sich an der von ihm angegebenen neuen Anschrift aufgehalten hat. Es kann dahinstehen, ob und in welcher Weise die anonymen Informationen gegenüber der Ausländerbehörde über den angeblichen Aufenthalt des Klägers in Italien und in Nepal verwertet werden können. Maßgeblich ist nämlich allein, dass der Kläger selbst nicht dargetan hat, dass er in dem angegebenen Zeitraum dort für Behörden und Gerichte erreichbar ist und weiter erreichbar sein wird. Aufgrund der Mitteilung des Landrats des Main-Taunus-Kreises vom 26. Juli 2000 steht jedenfalls fest, dass der Kläger bei der Überprüfung durch die dortige Polizei nicht angetroffen werden konnte. Der dort befragte Sozialarbeiter hat zwar angegeben, dass der Kläger nach wie vor dort angemeldet und auch tatsächlich wohnhaft sei. Allem Anschein nach war der Kläger aber zu der Zeit der Überprüfung nicht in der Gemeinschaftsunterkunft anwesend; denn sonst hätte der Sozialarbeiter ihn ohne weiteres verständigen und für ein Gespräch mit den Polizeibediensteten herbeirufen können. Da der Bevollmächtigte des Klägers in dem Schriftsatz vom 4. August 2000 lediglich pauschal angegeben hat, dass der Kläger nach wie vor in der Gemeinschaftsunterkunft wohne und sich dort aufhalte, ist damit zugestanden, dass der Kläger jedenfalls zum Zeitpunkt der Überprüfung durch die Polizei in O. nicht in der Gemeinschaftsunterkunft anwesend war. Der Kläger hätte nur dann die durch die anonyme Mitteilung bekannt gewordenen Behauptungen über einen Auslandsaufenthalt entkräften können, wenn er im Einzelnen für den Zeitraum von Mitte Juni bis Ende Juli 2000 und auch für die Gegenwart im Einzelnen Auskunft über seine Lebensverhältnisse und seine Erreichbarkeit gegeben hätte. So hätte er zum Beispiel dartun können, ob er zum Zwecke einer Erwerbstätigkeit oder aus anderen Gründen zeitweilig die angegebene Anschrift verlassen und wann er sich im Einzelnen dort ununterbrochen aufgehalten hat. In diesem Zusammenhang hätte er auch Auskunft darüber geben können, ob etwa seine Ehefrau ebenfalls dort lebt und aus welchen Gründen sie bei der versuchten Zustellung der Ladung durch die Post am 6. Juli 2000 nicht die erforderlichen Auskünfte über seinen Aufenthalt gegeben hat. Schließlich hätte sein Bevollmächtigter erklären können, ob, wie und wann der Kläger sich zuletzt bei ihm gemeldet hat und ob er jetzt tatsächlich unter der angegebenen neuen Anschrift lebt und auch erreichbar ist.

Die Entscheidung über die Kostenpflicht und die Nichtzulassung der Revision ergeben sich aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b Abs. 1 AsylVfG und § 132 Abs. 2 VwGO.

Ende der Entscheidung

Zurück