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Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 20.11.2000
Aktenzeichen: 12 UZ 3420/00
Rechtsgebiete: AuslG, VwGO


Vorschriften:

AuslG § 85 Abs. 1 Nr. 4
VwGO § 80 Abs. 4 S. 3
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1
VwGO § 124 Abs. 2 S. 4
1. Die verwaltungsgerichtliche Verpflichtung zum Erlass eines rechtlich nicht vorgesehenen Verwaltungsaktes begründet ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung.

2. Die Einbürgerung in den deutschen Staatsverband "unter Hinnahme der italienischen Staatsangehörigkeit" stellt einen rechtlich nicht vorgesehenen Verwaltungsakt dar.


Gründe:

Die mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Gießen vom 2. Dezember 1998 angeordnete und im Zulassungsverfahren fortgeltende Beiladung der Bundesrepublik Deutschland gemäß § 65 Abs. 2 VwGO ist aufzuheben, da ihre Grundlage, § 3 der Verordnung über die deutsche Staatsangehörigkeit vom 5. Februar 1934 (RGBl. I S. 85), am 1. Januar 2000 außer Kraft getreten ist (Art. 4 Nr. 1, Art. 5 Abs. 3 des Gesetzes zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts vom 15. Juli 1999 - BGBl. I S. 1618 -).

Der Antrag ist zulässig, insbesondere ist er fristgerecht gestellt und begründet worden (§ 124a Abs. 1 Sätze 1 bis 4 VwGO).

Der Antrag ist auch begründet; denn mit ihm ist zu Recht geltend gemacht, dass die Berufung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen ist.

Wie der Beklagte mit dem Zulassungsantrag zu Recht geltend macht, bestehen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind dann anzunehmen, wenn bei der im Zulassungsverfahren allein möglichen summarischen Überprüfung der Erfolg des Rechtsmittels wahrscheinlicher ist als der Misserfolg (Hess. VGH, 04.04.1997 - 12 TZ 1079/97 -, EZAR 625 Nr. 1 = NVwZ 1998, 195 = HessJMBl. 1997, 768; VGH Baden-Württemberg, 27.02.1998 - 7 S 216/98 -, VBlBW 1998, 378; OVG Berlin, 09.03.1999 - 4 SN 158.98 -). Die zur Auslegung des Begriffs der ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit in § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO und § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG entwickelten Grundsätze können zur Auslegung von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO mit der Maßgabe herangezogen werden, dass die Entscheidung über die Zulassung der Berufung weniger eilbedürftig ist als die Entscheidung über die Zulassung der Beschwerde nach § 146 Abs. 4 VwGO sowie in abgabe- und asylrechtlichen Eilverfahren (§ 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO, Art. 16a Abs. 4 Satz 1 GG und § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG). Das Rechtsmittelgericht muss bei der Prüfung anhand der mit dem Zulassungsantrag vorgetragenen Beanstandungen zu der Meinung gelangen, dass das Rechtsmittel hinreichende Aussicht auf Erfolg oder - anders formuliert - das erstinstanzliche Gericht unrichtig entschieden hat (vgl. Sendler, DVBl. 1982, 157). Mit dieser Auslegung wird dem vom Gesetzgeber vorgegebenen Ziel entsprochen, mit Hilfe des Zulassungsgrundes des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO an die gefestigte Rechtsprechung zu dem Begriff der ernsthaften Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Entscheidung (vgl. dazu Schenke, JZ 1996, 1155 m. Nachw. d. Rspr. u. der davon abw. Lit. in Fußn. 729, 730; zu Art. 16a Abs. 4 Satz 1 GG und § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG vgl. BVerfG, 14.05.1996 - 2 BvR 1516/93 -, BVerfGE 94, 166 = EZAR 632 Nr. 25) anzuknüpfen, die Einzelfallgerechtigkeit zu verwirklichen (vgl. dazu Sendler, a.a.O.) und grob ungerechte Entscheidungen zu korrigieren (vgl. dazu BT-Drs. 13/3993 S. 13). Die Zulassung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung ist aber damit nicht auf solche Fälle beschränkt, die dem Rechtsmittelgericht grob ungerecht gelöst erscheinen (ähnlich Hess. VGH, 17.02.1997 - 14 TZ 385/97 -); denn die für den Gesetzgeber ersichtlich maßgebliche Rechtsprechung zu § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO setzt eine derartige qualifizierte materielle Unrichtigkeit der angegriffenen Entscheidung nicht voraus. Die ernstlichen Zweifel müssen an der Richtigkeit des Ergebnisses der erstinstanzlichen Entscheidung bestehen; ob sich die Entscheidung trotz formeller oder materieller Fehler letztlich doch als richtig erweist, ist im Zulassungsverfahren von Amts wegen anhand der maßgeblichen Sach- und Rechtslage zu prüfen (Hess. VGH, 26.03.1998 - 6 TZ 4017/97 -, NVwZ-RR 1998, 777 = DVBl. 1998, 1033 = ESVGH 48, 223 = InfAuslR 1998, 438 m.w.N.; Hess. VGH, 15.07.1997 - 13 TZ 1947/97 -, AuAS 1998, 6 = HessJMBl. 1997, 818; VGH Baden-Württemberg, 18.12.1997 - A 14 S 3451/97 -, NVwZ 1998, 414 = VBlBW 1998, 261; a. A. VGH Baden-Württemberg, 22.10.1997 - NC 9 S 20/97 -, NVwZ 1998, 197). Veränderte oder in erster Instanz nicht vorgetragene Tatsachen oder zwischenzeitliche Rechtsänderungen können grundsätzlich nicht zur Begründung ernstlicher Zweifel herangezogen werden (VGH Baden-Württemberg, 29.09.1999 - 7 S 1871/99 -, VBlBW 2000, 109; Hess. VGH, 01.03.2000 - 6 TZ 214/00; OVG Nordrhein-Westfalen, 05.11.1999 - 15 A 2923/99 -, NVwZ 2000, 334 = NWVBl. 2000, 140; anders bei Rechtsänderung vor Ablauf der Zulassungsantragsfrist: Hess. VGH, 10.11.1999 - 5 UZ 2876/99 -, NVwZ 2000, 85).

Das angegriffene Urteil ist, wie der Beklagte zu Recht beanstandet, fehlerhaft, weil der Beklagte zum Erlass eines rechtlich nicht vorgesehenen Verwaltungsakts verpflichtet worden ist, nämlich zur Einbürgerung des Klägers in den deutschen Staatsverband "unter Hinnahme der italienischen Staatsangehörigkeit". Falls ein Ausländer einen Anspruch auf Einbürgerung besitzt oder er im Ermessenswege eingebürgert werden soll, ist die Einbürgerung durch Aushändigung einer Einbürgerungsurkunde vorzunehmen, die weder die rechtlichen noch die tatsächlichen Grundlagen der Einbürgerung erkennen lässt noch den Umstand, ob von dem grundsätzlichen Bedenken gegen das Entstehen von Mehrstaatigkeit ausnahmsweise abgesehen worden ist.

Da aus diesem Grunde jedenfalls die ausgesprochene Verpflichtung der Beklagten rechtlich zu beanstanden ist, kann offen bleiben, ob auch andere von dem Beklagten geltend gemachten Gründe zur Zulassung der Berufung führen würden. Offen bleiben kann auch, ob und aus welchen Gründen der Kläger seine Einbürgerung verlangen kann, ob er trotz Fortbestehens der italienischen Staatsangehörigkeit einzubürgern ist oder ob seine italienische Staatsangehörigkeit durch die Vornahme der Einbürgerung in den deutschen Staatsverband ohnehin verloren geht.

Das Verfahren wird gemäß § 124a Abs. 2 Satz 4 VwGO als Berufungsverfahren fortgesetzt, ohne dass es der Einlegung einer Berufung bedarf. Innerhalb eines Monats nach Zustellung diese Beschlusses ist die Berufung bei dem Hess. Verwaltungsgerichtshof zu begründen; die Begründung muss einen bestimmten Antrag und die im einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung enthalten (§ 124 a Abs. 3 Sätze 1, 2 und 4 VwGO). Die Begründungsfrist kann auf ein vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden (§ 124 a Abs. 2 Satz 3 VwGO).

Die Entscheidung über die Kosten des Antragsverfahrens folgt der künftigen Kostenentscheidung im Berufungsverfahren.

Die Entscheidung über den Streitwert des Antragsverfahrens beruht auf §§ 13 Abs. 1 Satz 2, 14 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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