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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 06.01.2006
Aktenzeichen: 12 UZ 3731/04
Rechtsgebiete: StAG


Vorschriften:

StAG § 11 S 1 Nr. 2
Die Tätigkeit im Vorstand eines Vereins, der von einer Organisation gesteuert wird, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen verfolgt, genügt grundsätzlich für die Erfüllung des Ausschlusstatbestandes nach § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG. Weitergehende Feststellungen dazu, dass der Betreffende innerlich selbst aktiv verfassungsfeindliche Bestrebungen unterstützt, sind grundsätzlich nicht erforderlich.

Für die Erfüllung des Ausschlusstatbestandes nach § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG ist es nicht erforderlich, dass die unterstützten Organisationen nahezu ausschließlich verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgen, vielmehr genügt es, wenn in mehr als nur ganz unwesentlichem Umfang gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen festzustellen sind, auch wenn ein Teil der Aktivitäten dieser Organisationen auf politisch nicht relevantem, allein kulturellem Gebiet stattfindet.


HESSISCHER VERWALTUNGSGERICHTSHOF BESCHLUSS

12 UZ 3731/04

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Staatsangehörigkeitsrechts

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 12. Senat - durch

Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Dr. Zysk, Richter am Hess. VGH Dr. Dieterich, Richter am Hess. VGH Debus

am 6. Januar 2006 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen vom 18. Oktober 2004 wird abgelehnt.

Die Kläger haben die Kosten des Antragsverfahrens zu je 1/2 zu tragen.

Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 20.000,-- € festgesetzt.

Gründe:

Der Antrag ist zulässig (§ 124a Abs. 4 VwGO), aber nicht begründet; denn mit ihm ist ein Grund, der gemäß § 124 Abs. 2 VwGO die Zulassung der Berufung rechtfertigen kann, nicht dargetan.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils ergeben sich aus der Darlegung im Zulassungsantrag nicht. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegen dann vor, wenn bei der im Zulassungsverfahren allein gebotenen summarischen Überprüfung der Erfolg des Rechtsmittels wahrscheinlicher ist als der Misserfolg. Das Rechtsmittelgericht muss bei der Prüfung anhand der mit dem Zulassungsantrag vorgetragenen Beanstandungen zu der Auffassung gelangen, dass das Rechtsmittel hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder - anders formuliert - das erstinstanzliche Gericht unrichtig entschieden hat. Die ernstlichen Zweifel müssen an der Richtigkeit des Ergebnisses der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung bestehen; ob sich die Entscheidung trotz formeller oder materieller Fehler letztlich doch als richtig erweist, ist im Zulassungsverfahren von Amts wegen anhand der maßgeblichen Sach- und Rechtslage zu prüfen.

Die Kläger beanstanden hier zunächst, dass aus der Mitgliedschaft des Klägers zu 1) in den Vereinen IKZ und VAJT und seiner Stellung in den Vorständen dieser Vereine auf das Vorliegen der Voraussetzungen nach § 11 Satz 1 Nr. 2 Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) geschlossen worden sei. Dem Verwaltungsgericht könne nicht dahin gefolgt werden, dass er sich alleine aufgrund seiner Stellung innerhalb der Vereine verfassungsfeindliche Einstellungen und Auffassungen anderer Vereinsmitglieder zurechnen lassen müsse. Konkrete Handlungen, die gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung gerichtet seien, könnten nicht belegt werden. Die Vereine IKZ und VAJT seien auch nicht in ihrer Gesamtheit als eindeutig extremistisch bzw. verfassungsfeindlich anzusehen.

Dieser Einwand begründet keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils. Der Ausschlussgrund nach § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG setzt tatsächliche Anhaltspunkte voraus, die die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die unter anderem gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gerichtet sind. Mit der gesetzlichen Regelung wird der Sicherheitsschutz im Einbürgerungsrecht hier weit vorverlagert in Handlungsbereiche, die strafrechtlich noch nicht beachtlich sind und für sich betrachtet auch noch keine unmittelbare Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung darstellen (Bay. VGH, Urteil vom 27.05.2003 - 5 B 01.1805 -, Urteilsabdruck S. 10 - juris -; Bay. VGH, Beschluss vom 13.07.2005 - 5 ZB 05.901 -, juris Randziffer 9). Für den Ausschlusstatbestand muss damit nur ein durch tatsächliche Anhaltspunkte gestützter Verdacht vorliegen, allgemeine Verdachtsmomente, die nicht durch bezeichenbare konkrete Tatsachen gestützt sind, genügen demgegenüber nicht (Hess. VGH, Urteil vom 15.11.2005 - 12 UE 3226/03 - S. 8 f. Urteilsabdruck). Die Anknüpfungstatsachen müssen die Annahme sicherheitsrelevanter Aktivitäten rechtfertigen; erforderlich ist eine wertende Betrachtungsweise bei der Einschätzung und bei der zusätzlich gebotenen Gesamtschau (Hess. VGH, a.a.O.). Dabei sind auch die Ausländern zustehenden Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 3 GG zu berücksichtigen; andererseits können grundsätzlich auch legale Betätigungen im Rahmen des § 11 Abs. 1 Nr. 2 StAG herangezogen werden (Hess. VGH, a.a.O.; Bay. VGH, Urteil vom 27.05.2003, a.a.O.).

Nach Maßgabe dieser Grundsätze hat das Verwaltungsgericht zu Recht die Mitgliedschaft in Verbindung mit der Tätigkeit des Klägers zu 1) im Vorstand von VAJT und IKZ als hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte im Sinne von § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG angesehen. Es handelt sich um bezeichenbare konkrete Tatsachen, die die Annahme sicherheitsrelevanter Aktivitäten rechtfertigen. Eine weitergehende Beweisführung dafür, dass der Kläger zu 1) innerlich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen aktiv unterstützt, war nicht erforderlich. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht seine Bewertung nämlich damit begründet, dass der Kläger zu 1) über die einfache Mitgliedschaft hinaus in den Vorstand der Vereine VAJT und IKZ gewählt worden ist und dass dies zeigt, dass er dem Verein gegenüber loyal eingestellt war und diese Einstellung den anderen Vereinsmitgliedern auch bekannt gewesen ist, denn die Wahl in den Vorstand stellt einen Vertrauensbeweis der Vereinsmitglieder dar. Beide Vereine, VAJT und IKZ, sind Mitgliedsvereine in der Föderation der Arbeiter aus der Türkei in Deutschland e. V. (ATIF). Dies ergibt sich aus dem Bericht 2002 des Hessischen Verfassungsschutzes (dort S. 39). Der Verein ATIF wiederum ist von der TKP/ML gesteuert und gehört dort zum Partizan-Flügel der TKP/ML (Verfassungsschutz in Hessen, Bericht 2002, S. 48 f.) und die TKP/ML verfolgt eindeutig verfassungsfeindliche Bestrebungen (a.a.O., S. 50). Diese Feststellungen hat das Verwaltungsgericht ausführlich und im einzelnen nicht von den Klägern angegriffen begründet (UA S. 8 - 14). Insbesondere hat sich das Verwaltungsgericht durch Beiziehung mehrerer Asylverfahrensakten eine eigenständige Überzeugung dazu gebildet, dass die Vereine VAJT und IKZ als von der TKP/ML bzw. den Vereinigungen ATIK und ATIF gesteuert anzusehen sind (UA S. 10 - 13). Auch diese Feststellungen werden durch den Zulassungsantrag nicht erschüttert.

Die Kläger rügen weiterhin, das Verwaltungsgericht habe die integrative, kommunikative und kulturelle Stellung der Vereine trotz ihres substantiierten Vortrags nicht berücksichtigt und damit den entscheidungserheblichen Sachverhalt nicht hinreichend ermittelt und festgestellt. Auch dieses Vorbringen vermag ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Bewertung des Verwaltungsgerichts nicht aufzuzeigen. Denn es trifft bereits nicht zu. Das Verwaltungsgericht hat den Vortrag zu der auch kulturellen Ausrichtung der Vereine durchaus im Blick gehabt, wenn es ausführt, es könne dahinstehen, ob der Kläger zu 1), wie von ihm vorgetragen, sich nur aus kulturellen Gründen den Vereinen zugewandt und nur in untergeordneter Position an Veranstaltungen teilgenommen habe. Unabhängig davon wird durch die auch integrativen, kulturellen und kommunikativen Aktivitäten der Vereine die Bewertung nicht in Zweifel gezogen, dass die Vereine verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgen. Für den Ausschluss einer Einbürgerung wegen Vorliegens von tatsächlichen Anhaltspunkten für die Unterstützung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteter Bestrebungen ist es nicht erforderlich, dass die Aktivitäten von unterstützten Vereinigungen ausschließlich oder ganz überwiegend verfassungsfeindlicher Natur sind. Vielmehr genügt es für die Erfüllung des Ausschlusstatbestandes nach § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG, dass die unterstützten Organisationen in mehr als nur ganz unwesentlichem Umfang verfassungsfeindliche Ziele verfolgen, auch wenn ein Teil der Aktivitäten der Vereine auf politisch nicht relevantem, allein kulturellem Gebiet stattfindet.

Aus dem Zulassungsantrag ergibt sich ferner nicht, dass die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO aufweist. Das Verwaltungsgericht wendet die Tatbestandsmerkmale des § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG auf den konkreten Fall an, indem es feststellt, dass der Kläger zu 1) nicht nur einfaches Mitglied, sondern Vorstand in solchen Vereinen gewesen ist, die letztlich gesteuert werden von Vereinigungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen verfolgen. Diese Gedankenführung wird von den Klägern in ihrer Methodik nicht erschüttert und sie wirft auch keine besonderen Rechtsanwendungsprobleme auf. Es ist auch weder näher dargelegt noch sonst wie erkennbar, dass sich aus der im Zulassungsantrag angesprochenen Beiziehung von Asylverfahrensakten durch das Verwaltungsgericht im vorliegenden Fall überdurchschnittliche Schwierigkeiten der Rechtssache ergeben.

Die Rechtssache hat schließlich auch nicht die ihr im Zulassungsantrag zugemessene grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Grundsätzliche Bedeutung in diesem Sinne hat eine Rechtsstreitigkeit nur dann, wenn sie eine rechtliche oder eine tatsächliche Frage aufwirft, die für die Berufungsinstanz entscheidungserheblich ist und über den Einzelfall hinaus im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung einer Klärung bedarf. Die Rechts- oder Tatsachenfrage muss nach Zulassung der Berufung anhand des zugrunde liegenden Falls mittels verallgemeinerungsfähiger Aussagen geklärt werden können.

Diese Voraussetzungen sind nicht dargelegt. Die von den Klägern aufgeworfene Frage, "ob sich der Kläger zu 1) allein aufgrund seiner Mitgliedschaft und seiner Stellung innerhalb der Vereine IKZ und VAJT verfassungsfeindliche Einstellungen und Auffassungen zurechnen lassen muss", ist bereits von ihrer Formulierung her einzelfallbezogen und damit einer grundsätzlichen Klärung nicht zugänglich. Die weiter aufgeworfene Frage, "inwieweit die Vereine IKZ und VAJT in ihrer Gesamtheit als extremistisch und verfassungsfeindlich einzustufen sind, wenn lediglich einzelne Mitglieder, sei es auch im Vorstand, Interessen von Organisationen verfolgen, die gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland gerichtet sind und damit auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden", ist nicht entscheidungserheblich. Nach der insoweit maßgeblichen Auffassung des Verwaltungsgerichts, die im Übrigen vom Senat geteilt wird, kommt es für das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG nicht darauf an, ob einzelne Mitglieder im Vorstand einer Organisation Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung unterstützen, während sich für andere Vorstandsmitglieder ein solcher Beweis nicht erbringen lässt. Vielmehr bewirkt die Vorverlagerung des Sicherheitsschutzes (siehe dazu oben), dass bereits die Tätigkeit an sich im Vorstand eines Vereines, der von verfassungsfeindlich eingestellten Organisationen gesteuert wird, ausreicht, um eine Einbürgerung so lange zu versagen, bis der Betreffende glaubhaft macht, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat (§ 11 Satz 1 Nr. 2 StAG am Ende). Die Vorstandstätigkeit genügt grundsätzlich für das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG, ohne dass es einer weiteren Beweisführung bedarf.

Die Entscheidungen über die Kosten und den Streitwert des Antragsverfahrens beruhen auf §§ 154 Abs. 1, 159 VwGO i.V.m. § 100 ZPO und § 52 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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