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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 09.02.2006
Aktenzeichen: 2 UZ 3768/04.A
Rechtsgebiete: AsylVfG, AufenthG, Richtlinie 2004/83/EG


Vorschriften:

AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 1
AufenthG § 60
Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004
Vor Umsetzung der Qualifikationsrichtlinie in nationales Recht (bis spätestens 10.10.2006) steht einem um Abschiebungsschutz nachsuchenden Angehörigen der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft kein weitergehender Schutzanspruch zu, als ihm § 60 des am 01.01.2005 in Kraft getretenen Aufenthaltsgesetzes gewährt.
HESSISCHER VERWALTUNGSGERICHTSHOF BESCHLUSS

2 UZ 3768/04.A

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Asylrechts (Abschiebungsschutz);

hier: Antrag auf Zulassung der Berufung

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 2. Senat - durch

Richter am Hess. VGH Hassenpflug als Vorsitzenden, Richter am Hess. VGH Dr. Bark, Richter am Hess. VGH Pabst

am 9. Februar 2006 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 28. September 2004 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main - 12 E 3076/03.A (1) - wird abgelehnt.

Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens auf Zulassung der Berufung zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe:

Der am 8. Dezember 2004 per Telefax fristgerecht gestellte und auch im Übrigen zulässige Antrag ist nicht begründet. Die von dem Kläger allein geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache kann die Zulassung der Berufung gegen das ihm am 24. November 2004 zugestellte verwaltungsgerichtliche Urteil nicht rechtfertigen.

Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG hat eine Rechtsstreitigkeit nur dann, wenn sie eine tatsächliche oder eine rechtliche Frage aufwirft, die entscheidungserheblich ist und über den Einzelfall hinaus im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts einer berufungsgerichtlichen Klärung zugänglich ist und dieser Klärung auch bedarf. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.

Der Kläger leitet die rechtsgrundsätzliche Bedeutung seiner Streitsache insbesondere aus der nach seiner Auffassung klärungsbedürftigen Fragestellung ab, ob und inwieweit die in der sog. "Qualifikationsrichtlinie" (Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl. EU Nr. L 304/S. 12 vom 30. September 2004) festgeschriebenen Mindestnormen bereits jetzt - nämlich vor Ablauf der Umsetzungsfrist am 10. Oktober 2006 - als geltendes Recht anzusehen und von dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sowie von den Verwaltungsgerichten zwingend anzuwenden sind. Auch die weiteren von ihm als rechtsgrundsätzlich bedeutsam formulierten Fragen, ob einem gläubigen Ahmadi unter Beachtung von Art. 10 Abs. 1 Buchstabe b der vorgenannten Richtlinie mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit eine gemäß Art. 6 dieser Richtlinie (dem pakistanischen Staat) zurechenbare Verfolgung in Form einer asylerheblichen Einschränkung seiner Glaubensausübung durch die von den Strafvorschriften der sec. 298-B, 298-C und 295-C PPC ausgehende Nötigungswirkung droht, ob die vorgenannten Strafvorschriften sowie die Bestimmungen des Antiterrorismusgesetzes (ATA) gemäß Art. 9 der Richtlinie als diskriminierende oder in diskriminierender Weise angewandte (gesetzliche) Maßnahmen Verfolgungshandlungen im Sinne des Art. 1A der Genfer Flüchtlingskonvention darstellen, weil sie die Ausübung der "Religion" (im Sinne des Art. 10 Abs. 1 Buchstabe b der Richtlinie) unter Strafe stellen und schließlich ob die bisherige, nur das sog. Forum Internum schützende Auslegung zur Frage der religiösen Verfolgung von Angehörigen der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gegen die genannte Richtlinie verstößt und von daher nicht mit geltendem europäischem Flüchtlingsrecht vereinbar ist, stehen in einem unauflösbaren Zusammenhang mit der Frage einer Vorwirkung bestimmter Vorschriften der "Qualifikationsrichtlinie" vor Ablauf der Umsetzungsfrist. Zur Beantwortung dieser Frage bedarf es aber nicht eines von dem Kläger durchzuführenden Berufungsverfahrens.

Fraglich erscheint bereits, ob die (Rechts-)Fragen, denen der Kläger eine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 78 Abs. 1 Nr. 3 AsylVfG beimisst, im vorliegenden Verfahren entscheidungserheblich sind. Entscheidungserheblich im Berufungsverfahren sind nämlich grundsätzlich nur solche Fragen, die bereits für die erstinstanzliche Entscheidung tragend gewesen sind und die sich deshalb unmittelbar aus den im Urteil des Verwaltungsgerichts getroffenen tatsächlichen oder rechtlichen Feststellungen ergeben. Das Verwaltungsgericht hat mit eingehender Begründung (S. 4 bis 22 der Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils) entschieden, den Abschiebungsschutz politisch Verfolgter genieße der Kläger nicht; es habe sich nicht davon überzeugen können, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen. Ferner hat es entschieden, Abschiebungshindernisse gemäß § 53 AuslG bestünden nicht (S. 22 a.a.O.). Weder hat das Verwaltungsgericht eine schon vor Ablauf des 10. Oktober 2006 einsetzende rechtliche Auswirkung der "Qualifikationsrichtlinie" auf Fallgestaltungen der vorliegenden Art auch nur ansatzweise problematisiert noch hat dies der Kläger selbst vor der Zustellung des erstinstanzlichen Urteils am 24. November 2004 getan; entsprechende Darlegungen finden sich vielmehr erstmals in dem am 8. Dezember 2004 bei dem Verwaltungsgericht eingegangenen Antrag auf Zulassung der Berufung.

Diesem Antrag kann aber jedenfalls deshalb nicht entsprochen werden, weil die Beantwortung sämtlicher von dem Kläger als rechtsgrundsätzlich bedeutsam aufgeworfener Einzelfragen von der Beantwortung der sich vorrangig stellenden Frage abhängt, ob und inwieweit die in der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 festgelegten Mindestnormen bereits vor Ablauf der den Mitgliedstaaten gesetzten Umsetzungsfrist (aber nach Inkrafttreten des § 60 AufenthG am 1. Januar 2005) unmittelbare Anwendung zugunsten eines um Abschiebungsschutz nachsuchenden Klägers finden, und diese Vorrangfrage bereits hinreichend geklärt ist:

Bereits durch Beschluss vom 2. Mai 2005 (- 14 B 02.30703 -, juris) hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hinsichtlich des nach § 60 Abs. 1 AufenthG zu gewährenden Abschiebungsschutzes unter Hinweis auf BVerfGE 76, 143, 158 f. und BVerwGE 120, 16, 19 f. entschieden, dass dem Ausländer ein Verzicht auf eine Glaubensbetätigung nach außen auch im Hinblick auf Art. 4 Abs. 1 und 2 GG zumutbar sei, ein weitergehender Schutzanspruch des Einzelnen im Hinblick auf eine über den Kernbereich der Religionsausübung hinausgehende Glaubensbetätigung demgegenüber insbesondere auch nicht aus Art. 10 Abs. 1 Buchstabe b der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 abgeleitet werden könne. Der dort gegebenen Begründung

Zwar haben nach dieser Regelung die Mitgliedstaaten bei der Prüfung der Verfolgungsgründe zu berücksichtigen, dass der Begriff der Religion auch die Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich und sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen umfasst. Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass sich Richtlinien gemäß Art. 249 Abs. 3 EGV allein an die Mitgliedstaaten richten und dass der Einzelne erst nach ihrer Umsetzung durch nationales Recht aus den entsprechenden nationalen Rechtsvorschriften berechtigt und verpflichtet wird. Nur in den Fällen, in denen ein Mitgliedstaat eine Richtlinie nicht fristgemäß oder nur unzulänglich in das nationale Recht umgesetzt hat und in denen die Bestimmungen der Richtlinie inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind, kann sich ein Einzelner vor einem nationalen Gericht gegenüber dem Staat auf die Bestimmungen der Richtlinie berufen. Das ist hier jedoch nicht der Fall, weil die Umsetzungsfrist der vorgenannten Richtlinie am 10. Oktober 2006 abläuft (Art. 38 Abs. 1 der Richtlinie). Schließlich ist zu berücksichtigen, dass auch § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 9 EMRK über die geschützte Religionsausübung im nichtöffentlich, privaten Bereich (Forum Internum) nicht hinausgeht.

schließt sich der beschließende Senat in vollem Umfang an.

Dass im Ausländer- und Asylrecht vor Ablauf der Umsetzungsfrist bzw. - wenn zuvor erfolgt - vor Verkündung des Umsetzungsgesetzes regelmäßig keine vom Instanzrichter zu beachtende Vorwirkung von EG-Richtlinien anzunehmen ist und der Begriff der Religion in § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG derzeit noch nicht zwingend im Lichte von Art. 10 Abs. 1 Buchstabe b der "Qualifikationsrichtlinie" ausgelegt werden muss, entspricht auch der Rechtsprechung des VGH Baden-Württemberg (Beschlüsse vom 12. Mai 2005 - A 3 S 358/05 -, DÖV 2005, 747 ff. = NVwZ 2005, 1098 f. = VBlBW 2005, 303 f.; und vom 27. Oktober 2005 - A 12 S 603/05 -, juris), des OVG Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 18. Mai 2005 - 11 A 533/05.A -, ZAR 2005, 374 f.).

Die Richtlinie 2004/83/EG ist nicht direkt anwendbar. Die Frist zu ihrer Umsetzung läuft gemäß § 38 Abs. 1 dieser Richtlinie erst am 10. Oktober 2006 ab. Vor Ablauf der Umsetzungsfrist entfaltet eine Richtlinie keine unmittelbare Wirkung. Ein Einzelner kann sich vor den nationalen Gerichten auf eine Richtlinie erst nach Ablauf der für ihre Umsetzung in das nationale Recht vorgesehenen Frist berufen.

Vgl. EuGH, Urteile vom 5. April 1979 - Rs. 148/78 - (Ratti), Slg. 1979, 1629 (1645), vom 10. November 1992 - Rs. C-156/91 - (Hansa Fleisch Ernst Mundt), Slg. I 1992, 5567 (5595), und vom 3. März 1994 - Rs. C-316/93 - (Vaneetfeld), Slg. I 1994, 763 (784); Ruffert, in: Callies/Ruffert, EuV/EGV, Kommentar, 2. Aufl. (2002), Art. 249 EGV Rdnr. 73; Nettesheim, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Kommentar, Loseblatt-Ausgabe (Stand: Januar 2005), Band III, Art. 249 EGV Rdnr. 158

Dementsprechend ist auch die Richtlinie 2004/83/EG gegenwärtig und bis zum Ablauf der Umsetzungsfrist nicht unmittelbar anwendbar (so auch Duchrow, Flüchtlingsrecht und Zuwanderungsgesetz unter Berücksichtigung der sog. Qualifikationsrichtlinie, ZAR 2004, 339).

des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern (Beschluss vom 29. Juni 2005 - 2 L 208/01 -, juris) und des 7. Senats des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs (Beschluss vom 21. Oktober 2005 - 7 UZ 205/05.A -):

Soweit der Kläger sinngemäß die Frage aufwirft, ob die Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über "Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes" - sog. Qualifikationsrichtlinie - bereits vor Ablauf der Umsetzungsfrist von den Gerichten zu beachten ist, ergibt sich eine Klärung bereits aus dem Zusammenhang mit anderen europarechtlichen Regelungen. Aus Art. 249 Abs. 3 EGV folgt, dass sich Richtlinien allein an die Mitgliedstaaten richten (hierzu: von der Groeben/Schwarze, Vertrag über die Europäische Union und Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, 6. Aufl., Art. 249 Rdnr. 37). Der Einzelne kann grundsätzlich erst nach der Umsetzung durch nationales Recht aus den entsprechenden nationalen Rechtsvorschriften berechtigt und verpflichtet werden. Nur in den Fällen, in denen ein Mitgliedstaat eine Richtlinie nicht fristgerecht oder nur unzulänglich in nationales Recht umgesetzt hat und in denen die Bestimmungen der Richtlinie unbedingt und hinreichend genau sind, kann sich ein Einzelner vor einem nationalen Gericht gegenüber dem Staat auf die Bestimmungen der Richtlinie berufen. Dies ist hier jedoch nicht der Fall, weil die Umsetzungsfrist für die Qualifikationsrichtlinie gemäß Art. 38 Abs. 1 dieser Richtlinie erst am 10. Oktober 2006 abläuft (vgl. hierzu Bay. VGH, B. v. 02.05.2005 - 14 B 02.30703 -; OVG Nordrhein-Westfalen, B. v. 18.05.2005 - 11 A 533/05.A - beide zit. n. juris). Auch folgt aus der Umsetzungsfrist, dass den Mitgliedstaaten kein Vorwurf gemacht werden darf, wenn sie eine Richtlinie nicht vor Ablauf dieser Frist in ihrer Rechtsordnung umsetzen (VGH Baden-Württemberg, B. v. 12.05.2005 - 3 S 358/05 - InfAuslR 2005, 296). Zwar hat ein Staat vor Umsetzung einer EU-Richtlinie in nationales Recht gewisse vorgezogene Verhaltenspflichten zu beachten. So dürfen die Ziele der Richtlinie nicht unterlaufen und keine vollendeten Tatsachen geschaffen werden, die dem Staat die Erfüllung der durch die Richtlinie begründeten Pflichten unmöglich machen (so für den Bereich der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie: BVerwG, U. v. 19.05.1998 - 4 A 9.97 - UPR 1998, 384). Bei der einzelfallbezogenen Auslegung der Regelungen des Aufenthaltsgesetzes und des Asylverfahrensgesetzes durch die Verwaltungsgerichte können jedoch weder in faktischer noch in rechtlicher Hinsicht vollendete Tatsachen geschaffen werden, die die Erfüllung der durch die Richtlinie begründeten Pflichten der Bundesrepublik Deutschland bei Fristablauf unmöglich machen. Somit sind die mit Ausländer- und Asylrecht befassten Verwaltungsrichter ab Verkündung des Umsetzungsgesetzes bzw. Ablauf der Umsetzungsfrist daran gebunden. Dies bedeutet zugleich, dass sich ein Ausländer wie der Kläger zu einem früheren Zeitpunkt noch nicht mit Erfolg auf einzelne Richtlinienvorgaben und Vorgaben berufen kann (vgl. VGH Baden-Württemberg, a. a. O.).

Einen weitergehenden Klärungsbedarf, der zur Zulassung der Berufung nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG führen könnte, vermag der beschließende Senat nach alledem auch auf Grund der Darlegungen des Klägers nicht zu erkennen.

Da weitere Gründe für die Zulassung der Berufung nicht geltend gemacht werden, ist der Antrag mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 2 VwGO abzulehnen; danach hat der Kläger die Kosten des Verfahrens auf Zulassung der Berufung zu tragen, da sein Antrag ohne Erfolg geblieben ist. Diese Kosten bestehen jedoch nur aus den außergerichtlichen Kosten der Beteiligten, da gemäß § 83b AsylVfG in Streitigkeiten nach dem Asylverfahrensgesetz Gerichtskosten nicht erhoben werden.

Dieser Beschluss ist gemäß § 78 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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