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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 05.02.2009
Aktenzeichen: 3 B 1661/08
Rechtsgebiete: HBO


Vorschriften:

HBO § 56
HBO § 57
HBO § 63
HBO § 72 Abs. 2
Die formelle Legalität eines baugenehmigungsbedürftigen Vorhabens kann nur durch eine Baugenehmigung sichergestellt werden.

Eine isolierte Abweichung setzt ein baugenehmigungsfreies Vorhaben voraus.


HESSISCHER VERWALTUNGSGERICHTSHOF BESCHLUSS

3 B 1661/08

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Baurechts (Bau- und Abweichungsantrag für Aufschüttungen)

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 3. Senat - durch

Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Blume, Richter am Hess. VGH Dr. Michel, Richter am VG Darmstadt Griebeling (abgeordneter Richter)

am 5. Februar 2009 beschlossen:

Tenor:

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Gießen vom 15. Juli 2007 - 1 L 1653/08.GI - wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung aufgehoben. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtschutzes wird abgelehnt.

Der Antragsteller hat die Kosten des gesamten Verfahrens zu tragen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1 250,00 € festgesetzt.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde hat Erfolg. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Gießen ist aus den von dem Antragsgegner dargelegten Gründen aufzuheben.

Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass nicht feststehe, ob die vom Antragsteller vorgenommenen Aufschüttungen an der östlichen und der westlichen Seite des Baugrundstücks baugenehmigungsfrei seien. Obwohl daher nicht auszuschließen sei, dass für das Gesamtvorhaben "Aufschüttung mit Absicherung durch zwei Stützmauern" keine Baugenehmigungsfreiheit bestehe, sei das Begehren, einen Bauantrag zu stellen, unzulässig. Der Bauantrag sei nämlich im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren nach § 57 HBO zu prüfen. Nach den Ausführungen des Antragsgegners in seiner Verfügung vom 19. Juni 2008 solle im Rahmen des Genehmigungsverfahrens die Abstandsproblematik nach § 6 HBO geprüft werden. Diese Prüfung dürfe aber im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren nicht erfolgen, denn die Prüfung des Bauordnungsrechts sei - ausgenommen Abweichungen nach § 63 HBO - nicht Prüfungsgegenstand dieses Verfahrens. Die Anordnung, einen Bauantrag vorzulegen, stelle deshalb einen Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dar, der auch im Rahmen des dem Gefahrenabwehrrecht zuzurechnenden § 72 Abs. 2 HBO zu beachten sei.

Der Antragsgegner hat zu Recht vorgetragen, dass das Verlangen, einen Bauantrag zu stellen, keinen Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit darstellt. Die Aufschüttungen, die der Antragsteller vorgenommen hat, sind baugenehmigungspflichtig. Sie sind nicht gemäß § 55 HBO i. V. m. der Anlage 2 zur HBO baugenehmigungsfrei. Nach Nr. 12.1 der Anlage 2 zur HBO sind selbständige Aufschüttungen oder Abgrabungen bis 2 m Höhe oder Tiefe und bis 30 m², im Außenbereich bis 300 m² Grundfläche, baugenehmigungsfrei. Die von der jeweiligen Grenze bis an das Wohnhaus heranreichenden Aufschüttungen, die der Antragsteller vorgenommen hat, dienen der Nutzung des Baugrundstücks zu Wohnzwecken. Die Aufschüttung an der Ostseite dient dem Zweck, die beiden dort vorgesehenen Stellplätze von der höherliegenden Straße aus leicht anfahrbar zu machen. Die Aufschüttung zwischen Stützmauern und Wohnhaus an der Westseite ist nach der Angabe des Antragstellers dazu bestimmt, eine Zuwegung von der Straße zum Garten zu schaffen. Damit sind die Aufschüttungen keine selbständigen Aufschüttungen. Sie sind schon aus diesem Grund nicht baugenehmigungsfrei. Darüber hinaus wären die Aufschüttungen aber auch dann nicht baugenehmigungsfrei, wenn es sich um selbständige Aufschüttungen handeln sollte. Allein die auf der Ostseite vorgenommene Aufschüttung hat eine Grundfläche von ca. 39 m², wobei die mit einer 3 m langen Zufahrt von der Straße vorgesehenen beiden hintereinanderliegenden Stellplätze eine Länge von jeweils 5 m bei einer Breite von ca. 3 m aufweisen sollen. Addiert man die zweite aufgeschüttete Teilfläche, was geboten ist, wird die Gesamtfläche noch deutlich größer.

Der Antragsgegner war, weil die vorgenommenen Aufschüttungen baugenehmigungspflichtig sind, auch berechtigt, dem Antragsteller aufzugeben, einen Bauantrag einzureichen. Gemäß § 72 Abs. 2 HBO kann die Bauaufsichtsbehörde verlangen, dass ein erforderliches Verfahren durchgeführt wird oder nach § 56 Abs. 3 Satz 1 HBO erforderliche Bauvorlagen eingereicht werden. Im vorliegenden Fall musste der Antragsgegner sich nicht darauf beschränken, dem Antragsteller aufzugeben, in Ergänzung seiner bereits eingereichten Bauvorlagen für das Wohnhaus für die Aufschüttung und die Stütz- bzw. die Mauer aus Florwallsteinen gemäß § 56 Abs. 3 Satz 1 HBO nur Bauvorlagen für die Genehmigungsfreistellung nach § 56 HBO einzureichen. Für das Vorhaben der Errichtung der Stützmauer, der Mauer aus Florwallsteinen und der Aufschüttungen ist nämlich der Anwendungsbereich des § 56 HBO nicht eröffnet. Das Verwaltungsgericht hat, da der Antragsgegner dies nicht mit einer Beschwerde angegriffen hat, mit jedenfalls für das Eilverfahren bindender Wirkung entschieden, dass für dieses Vorhaben eine Abweichung (§ 63 HBO) erforderlich ist. Wenn für ein Vorhaben aber eine Abweichung erforderlich ist, ist ein Vorhaben nicht mehr genehmigungsfrei gestellt nach § 56 Abs. 2 Nr. 4 HBO. Der Antragsgegner konnte somit verlangen, dass durch die Einreichung eines Bauantrags sichergestellt ist, dass das erforderliche Baugenehmigungsverfahren durchgeführt wird.

Sofern der Antragsteller nicht gemäß § 78 Abs. 10 HBO das Baugenehmigungsverfahren nach § 58 HBO wählt, ist der Bauantrag, den der Antragsteller einreichen soll, im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren nach § 57 HBO zu prüfen. In diesem werden zwar an sich - wovon das Verwaltungsgericht ausgegangen ist - Vorschriften des Bauordnungsrechts nicht geprüft (§ 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HBO). Es ist aber zu beachten, dass nach § 63 Abs. 3 Satz 1 2. Alternative, Abs. 2 HBO im vorliegenden Fall der Antragsteller verpflichtet ist, einen gesonderten Abweichungsantrag zu stellen. Wie schon ausgeführt, steht mit jedenfalls für das Eilverfahren bindender Wirkung fest, dass der Antragsteller wegen der Nichteinhaltung der gemäß § 6 HBO erforderlichen Abstandsflächen einen Abweichungsantrag stellen muss. § 63 Abs. 2 HBO bestimmt, dass u. a. die Zulassung von Abweichungen nach Abs. 1 gesondert schriftlich zu beantragen und der Antrag zu begründen ist. § 63 Abs. 3 Satz 1 1. Alternative HBO erweitert diese Verpflichtung über den Anwendungsbereich von baugenehmigungspflichtigen Vorhaben hinaus auf nach § 55 HBO i. V. m. der Anlage 2 zur HBO oder aufgrund einer Freistellungsverordnung nach § 80 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 HBO baugenehmigungsfreie Vorhaben. Insoweit begründet § 63 Abs. 3 Satz 1 HBO eine Verpflichtung zum Stellen eines "isolierten" Abweichungsantrags in Fällen, in denen eine Abweichung erforderlich ist, das Vorhaben aber baugenehmigungsfrei ist. § 63 Abs. 3 Satz 1 HBO enthält in seiner zweiten Alternative aber noch eine andere Verpflichtung für die Bauherrschaft. Nach § 63 Abs. 3 2. Alternative HBO gilt § 63 Abs. 2 HBO auch für Abweichungen von Vorschriften, die in bauaufsichtlichen Verfahren nicht geprüft werden. Auch in diesen Fällen ist, wie dies § 63 Abs. 2 HBO bestimmt, eine erforderliche Abweichung gesondert schriftlich zu beantragen. Ein Bauherr, der ein genehmigungspflichtiges Vorhaben verwirklichen will, ist somit in Fällen, in denen er von Vorschriften, die im bauaufsichtlichen Verfahren nicht geprüft werden, abweichen will, zum Stellen eines - gesonderten - Abweichungsantrags verpflichtet. Neben dem Bauantrag, den er etwa im vereinfachten Genehmigungsverfahren nach § 57 HBO einreicht, muss der Bauherr somit nach der gesetzlichen Vorgabe des § 63 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 HBO zusätzlich einen Abweichungsantrag stellen. Über diesen ist dann in Verbindung mit dem Bauantrag zu entscheiden (für das vereinfachte Baugenehmigungsverfahren bestimmt in § 57 Abs. 1 Nr. 2 HBO). Nach dem Willen des Gesetzgebers soll in Fällen, in denen ein Bauantrag und ein Abweichungsantrag erforderlich sind, kein isoliertes Abweichungsverfahren durchgeführt werden. Der Bauherr soll sowohl einen Bauantrag einreichen als auch - gesondert vom Bauantrag - einen Abweichungsantrag stellen. Der Antragsgegner hat somit mit seiner Verfügung vom 19. Juni 2008 dem Antragsteller lediglich aufgegeben, die nach den §§ 57 Abs. 1, 63 Abs. 3 HBO erforderlichen Anträge zu stellen.

Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts liegt darin in Bezug auf die Anordnung, einen Bauantrag vorzulegen, kein Verstoß gegen den auch für Verlangen nach § 72 Abs. 2 HBO geltenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§§ 3 Abs. 1 Satz 3, 4 HSOG). Wie dargelegt, soll nach dem Willen des Gesetzgebers über die Abweichung im Zusammenhang mit der Baugenehmigung entschieden werden. Darüber hinaus gibt auch allein die gemäß § 64 Abs. 3 Satz 1 HBO schriftlich zu erteilende Baugenehmigung den Bau frei (§ 65 Abs. 1 HBO). Nur durch die Erteilung einer Baugenehmigung wird der Antragsteller gegebenenfalls berechtigt, die Stützmauer, die Mauer aus Florwallsteinen und die Aufschüttungen zu errichten und diese Anlagen zu nutzen. Eine Legalisierung der illegal begonnenen Baumaßnahme kann somit ausschließlich durch die Erteilung der Baugenehmigung, nicht aber allein durch die Zulassung einer Abweichung nach § 63 HBO erreicht werden. Die Anordnung, einen Bauantrag einzureichen, ist daher für die Erreichung eines rechtmäßigen Zustands erforderlich. Ist eine Anordnung erforderlich, ist sie auch nicht unverhältnismäßig.

Abschließend weist der Senat darauf hin, dass die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Anordnung, Bauvorlagen vorzulegen, diene nur dem Zweck, die Abstandsproblematik des § 6 HBO zu prüfen, nicht zutreffend sein muss. Im vorliegenden Fall könnten möglicherweise auch Vorschriften des Bauplanungsrechts, etwa Vorschriften über die überbaubaren Grundstücksflächen (§§ 9 Abs. 1 Nr. 2 BauGB, 23 BauNVO), das Anpflanzen vom Bäumen, Sträuchern und sonstigen Bepflanzungen (§ 9 Abs. 1 Nr. 25 BauGB) oder die Höhenlage (§§ 9 Abs. 3 BauGB, 16 Abs. 2 Nr. 4, 18 BauNVO) dem Vorhaben des Antragstellers entgegenstehen. Zu prüfen, ob dies der Fall ist, ist Aufgabe der Bauaufsichtsbehörde, die dazu durch den vom Antragsteller einzureichenden Bauantrag zu befähigen ist.

Insgesamt kann die formelle Legalität eines baugenehmigungsbedürftigen Vorhabens nur durch eine Baugenehmigung sichergestellt werden, nicht durch eine isolierte Abweichung, die ein baugenehmigungsfreies Vorhaben voraussetzt.

Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens beider Rechtzüge zu tragen, weil er unterlegen ist (§ 154 Abs. 1 VwGO). Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf den §§ 47, 53 Abs. 3, 52 Abs. 1 GKG. Da in der Beschwerdeinstanz nur über die sofortige Vollziehbarkeit der Verpflichtung, einen Bauantrag zu stellen, zu entscheiden war, bewertet der Senat das Interesse des Antragsgegners mit dem halben Auffangstreitwert des § 52 Abs. 2 GKG in Höhe von 5 000 Euro. Wegen der Vorläufigkeit der Entscheidung im Eilverfahren war der sich somit ergebende Betrag von 2 500 Euro zu halbieren.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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