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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 05.02.2009
Aktenzeichen: 3 B 2218/08
Rechtsgebiete: HBO, WÜK


Vorschriften:

HBO § 6
HBO § 63
WÜK Art. 28
WÜK Art. 31 Abs. 3
WÜK Art. 59
Die Gefährdungslage eines Konsulats kann bauordnungsrechtlich eine Abweichung von den Mindestabstandsvorschriften für die Errichtung eines übermannshohen, schwer übersteigbaren Schutzzauns an der Nachbargrenze rechtfertigen.
HESSISCHER VERWALTUNGSGERICHTSHOF BESCHLUSS

3 B 2218/08

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Baurechts (Nachbareilantrag gegen Schutzzaun für Konsulat)

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 3. Senat - durch Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Blume als Berichterstatter am 5. Februar 2009 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerden der Antragsgegnerin und der Beigeladenen wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 30. September 2008 - 8 L 1470/08.F (V) - aufgehoben.

Der Antrag der Antragstellerin auf vorläufigen Rechtsschutz wird abgelehnt.

Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen im Beschwerdeverfahren. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten im ersten Rechtszug selbst.

Der Streitwert wird für beide Rechtszüge auf je 15.000,00 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin wendet sich in einem beplanten Kerngebiet gegen die von der Antragsgegnerin der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung samt Abweichungsbescheid vom 14. Mai 2008.

Die Antragstellerin ist Eigentümerin eines straßenseitig und entlang der nördlichen Grundstücksgrenze je mit einem mehrgeschossigen Gebäude und im hinteren Grundstücksbereich entlang der östlichen Grenze mit Garagen bebauten Grundstücks.

Die Beigeladene hat auf dem straßenseitig südlich und im hinteren Grundstücksbereich östlich angrenzenden Grundstück sowie weiteren Grundstücken ihr Generalkonsulat.

Die ihr erteilte Baugenehmigung und die Abweichung von § 6 HBO wegen Unterschreitung der Mindestabstandsflächen umfassen u.a. auf einer vorhandenen etwa 2 m hohen Mauer entlang der nördlichen Grenze des Baugrundstücks zum Grundstück der Antragstellerin einen 1,50 m hohen Metallgitterzaun und entlang der westlichen Grundstücksgrenze mit der Antragstellerin auf einem eingeschossigen Grenzbauwerk, das etwa höhengleich mit den entlang dieser Grenze errichteten Garagen der Antragstellerin ist, einen 2,50 m hohen Metallgitterzaun. Die streitbefangene Zaunanlage ist teilweise errichtet worden.

Die Antragstellerin legte gegen die Baugenehmigung der Beigeladenen und die Abweichung Widerspruch ein, über den noch nicht entschieden ist.

Das Verwaltungsgericht hat dem gemäß § 80 a Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO gestellten Eilantrag der Antragstellerin stattgegeben. Es ist wegen gebäudegleicher Wirkungen der grenzseitigen Zaunanlage von einer Verletzung des nachbarschützenden Abstandsflächenrechts und der Rechtswidrigkeit der diesbezüglich erteilten Abweichung ausgegangen. Zudem sei nicht ersichtlich, dass das Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen (WÜK) vom 24. April 1963 (BGBl. 1969 II, S. 1587) zur Nichtbeachtung nationalen Bauordnungs- und Verfahrensrechts zwinge.

Die Antragsgegnerin und die Beigeladene haben gegen den verwaltungsgerichtlichen Beschluss vom 30. September 2008 Beschwerde eingelegt.

II.

Im Einverständnis der Beteiligten entscheidet gemäß § 87 a Abs. 2 VwGO der Vorsitzende.

Die Sache ist entscheidungsreif. Soweit die Beigeladene nach ihrer erstinstanzlichen Prozessniederlage einen Zaunpfosten zurückgebaut und geäußert hat, damit gebe sie zu erkennen, dass weitere Bauarbeiten nicht durchgeführt werden, sprechen weder diese Aussage noch das sonstige Beschwerdevorbringen der Beigeladenen dafür, sie wolle freiwillig bis zum rechtskräftigen Abschluss der Hauptsache oder gar darüber hinaus auf die weitere Ausnutzung der Baugenehmigung samt Abweichung verzichten. Mithin erübrigt sich eine diesbezügliche gerichtliche Nachfrage, zumal die Beigeladene auch nach dieser Beschwerdeentscheidung über die weitere Ausnutzung der Baugenehmigung bestimmen kann.

Die Beschwerden der Antragsgegnerin und der Beigeladenen gegen den im Tenor genannten Beschluss des Verwaltungsgerichts haben mit den gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO maßgeblichen Gründen Erfolg. Der Eilantrag der Antragstellerin ist abzulehnen.

Mit dem Verwaltungsgericht ist davon auszugehen, dass der weit übermannshohe, schwer übersteigbare grenzseitige Schutzzaun, der im Süden des Grundstücks der Antragstellerin oberhalb einer Grenzmauer bis auf 3,50 m und im Norden oberhalb von Garagen der Antragstellerin bis auf 5 m Höhe optisch in Erscheinung tritt, wegen gebäudegleicher Wirkungen gemäß § 6 Abs. 8 HBO die nachbarschützende Tiefe der Abstandsfläche von mindestens 3 m gemäß § 6 Abs. 5 Satz 4 HBO nicht einhält.

Soweit wird gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO bis auf S. 6 Mitte des angefochtenen Beschlusses auf die zutreffenden Entscheidungsgründe des Verwaltungsgerichts Bezug genommen.

Im Gegensatz zur Auffassung des Verwaltungsgerichts ist jedoch davon auszugehen, dass die gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 HBO erteilte Abweichung von den Anforderungen des § 6 HBO rechtmäßig ist. Nach dieser Vorschrift kann die Bauaufsicht Abweichungen von Vorschriften der Hessischen Bauordnung zulassen, wenn sie unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderung und unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange mit den öffentlichen Belangen vereinbar sind.

Dabei kommt es nicht auf die vom Verwaltungsgericht verneinte Frage an, ob das Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen zur Nichtbeachtung nationalen Bauordnungs- und Verfahrensrechts zwinge, sondern darauf, ob im Rahmen einer behördlichen Ermessensentscheidung nach § 63 Abs. 1 HBO unter Berücksichtigung der planungsrechtlichen und standörtlichen baulichen Gegebenheiten unter Würdigung des Zwecks der Schutznorm und der nachbarlichen Belange auch die möglichen Gefahren für eine diplomatische Einrichtung und das öffentliche Interesse an einer wirksamen Durchsetzung des Wiener Übereinkommens im Einzelfall eine bauordnungsrechtliche Abweichung rechtfertigen können. Das ist hier der Fall.

Wie die vorgelegten Lichtbilder zeigen, bietet das Grundstück der Antragstellerin mit seinen zwei mehrgeschossigen Gebäuden, den rückwärtigen Grenzgaragen, der 2 m hohen südlichen Grenzwand und den schlauchartigen versteinten Freiflächen mindestens teilweise selbst schon den Eindruck einer baulich verdichteten Hinterhofsituation, die sich ausweislich der vorliegenden Lagepläne auf den Nachbargrundstücken fortsetzt. Hinzu kommt die langgestreckte Pergola auf dem Konsulatsgelände in mit der südlichen Zaunanlage vergleichbarer Höhe.

Angesichts der vorfindlichen baulichen Verdichtung in enger räumlicher Nähe würde die abstandsrechtlich zulässige Zurückversetzung der streitbefangenen Zaunanlage um 3 m in das Grundstück der Beigeladenen hinein die optische und psychische Beeinträchtigung der Antragstellerin und ihrer Mieter nicht entscheidend mindern. Bei alledem zeigen schon die Ausnutzungsziffern des § 17 Abs. 1 BauNVO, dass in einem beplanten Kerngebiet eher mit einer verdichteten baulichen Ausnutzung zu rechnen ist, die in der näheren Umgebung auch vorliegt.

Eine Zurückversetzung der Zaunanlage um 3 m würde die berechtigten Sicherheitsinteressen der Beigeladenen unzumutbar beeinträchtigen. Es würden größere, zum Teil schlecht einsehbare Teilflächen ihrer Grundstücke ohne den erforderlichen Schutz vor nicht von der Hand zu weisenden Gefahren bleiben. Schon eine durchschnittliche konsularische Nutzung, etwa als Pkw-Zufahrt, wäre entscheidend beeinträchtigt und sicherheitsmäßig unbefriedigend geregelt. Durch eine zurückgesetzte innere Zaunanlage würde sich die Beigeladene von wesentlichen Teilflächen ihres Geländes und seiner Nutzung bis zur Entwertung dieser Restflächen selbst abschnüren. Dieses Ergebnis wäre hier mit den völkerrechtlich und gesetzlich zu beachtenden Bestimmungen des Wiener Übereinkommens von 1963 nicht zu vereinbaren. Dasselbe gilt für einen sonst nur offenstehenden Verzicht auf einen Schutzzaun oder eine deutlich geminderte Höhe.

Gemäß Art. 28 WÜK gewährt der Empfangsstaat der konsularischen Vertretung jede Erleichterung zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben. Gemäß Art. 31 Abs. 3 WÜK hat er die besondere Pflicht, alle geeigneten Maßnahmen zu treffen, um die konsularischen Räumlichkeiten vor jedem Eindringen und jeder Beschädigung zu schützen und um zu verhindern, dass der Friede der konsularischen Vertretung gestört oder ihre Würde beeinträchtigt wird. Art. 59 WÜK greift diese Pflicht nahezu wortgleich auf. Selbst wenn in diesen Regelungen vom Wortlaut her nur das Eindringen in die konsularischen Räumlichkeiten verhindert werden soll, gilt dies der Sache nach in vergleichbarer Weise für das Sicherheitsinteresse daran, dass ein Konsulat auch nur durch die dafür vorgesehenen Ausgänge verlassen werden kann, um etwa flüchtige Tatverdächtige besser erkennen und ggfs. festhalten zu können. Im Hinblick darauf, dass die Beigeladene bereits zwei sicherheitsrelevante Vorfälle gemeldet hat und im Übrigen die allgemeine Sicherheitslage für diplomatische und konsularische Einrichtungen gefährdeter Entsendestaaten besondere Schutzmaßnahmen wie hier den streitbefangenen Metallzaun gebietet, ist die erteilte Abweichung insgesamt nicht zu beanstanden und nachbarrechtlich hinzunehmen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung für beide Rechtszüge auf den §§ 52 Abs. 1, 47 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 2 und 63 Abs. 3 Satz 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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