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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 12.03.2003
Aktenzeichen: 3 TG 3259/02
Rechtsgebiete: BauNVO


Vorschriften:

BauNVO § 6 Abs. 2 Nr. 5
BauNVO § 15
Eine Heroin-Ambulanz kann als Anlage für soziale und (oder) gesundheitliche Zwecke im Sinne des § 6 Abs. 2 Nr. 5 BauNVO in einem Mischgebiet zulässig sein.
3 TG 3259/02 VG Frankfurt 8 G 3397/02 (3)

Hessischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Baurechts

hier: Nachbareilantrags gegen Heroin-Ambulanz

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 3. Senat - durch

am 12. März 2003 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 6. November 2002 - 8 G 3397/02 (3) - wird zurückgewiesen.

Die Antragsteller haben die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen je zu 1/4 zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 25.000,00 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragsteller sind Eigentümer des in Frankfurt am Main zwischen Friedberger Anlage, Hanauer Landstraße und der Grünen Straße gelegenen Gebäudekomplexes xxxxxxxxxxxxxxxxxx (sog. Zoo-Passage). Gegenstand des Verfahrens ist ihr Antrag, den Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main, mit dem ihr Antrag zurückgewiesen worden ist, aufzuheben und die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zur Errichtung einer Heroin-Ambulanz anzuordnen. Es handelt sich dabei um den Frankfurter Standort eines deutschen Modellprojekts zur heroingestützten Behandlung Opiatabhängiger im Rahmen einer Trägergemeinschaft, zu der auch die Stadt Frankfurt am Main gehört, zur Vorbereitung und Durchführung des Modellversuchs. In der Ambulanz soll einer Gruppe von 100 ausgewählten schwerstdrogenabhängigen Patienten injizierbares Heroin als Medikament verabreicht werden. Eine Kontrollgruppe erhält parallel zu den mit Heroin behandelten Patienten die Ersatzdroge Methadon. Sie wird nicht in dieser Ambulanz, sondern in bereits vorhandenen Einrichtungen vergeben.

Die Zoo-Passage und das Grundstück Grüne Straße xxxxxx liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans NO 1 c Nr. 1 vom 01.03.1974, der dieses Gebiet beiderseits der Grünen Straße als Mischgebiet ausweist. Dieser Bebauungsplan ist am 14.05.1997 neu verkündet worden (Amtsblatt Nr. 20 a 1997, 61).

Gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts haben die Antragsteller rechtzeitig Beschwerde eingelegt und diese begründet. Die Antragsgegnerin und die Beigeladene sind der Beschwerde entgegengetreten und haben ihre Zurückweisung beantragt.

II.

Die Beschwerde der Antragsteller gegen den im Tenor näher bezeichneten Beschluss des Verwaltungsgerichts ist unbegründet. Der Senat verweist gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO auf die zutreffende Begründung des Verwaltungsgerichts. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht dahingestellt gelassen, ob dem Vorhaben der Beigeladenen bauplanungsrechtlich § 34 BauGB oder der Bebauungsplan NO 1 c Nr. 1 zugrundezulegen ist, weil sich die Rechtmäßigkeit der genehmigten Nutzungsänderung hinsichtlich der Art der Nutzung in beiden Fällen nach § 6 BauNVO richtet.

Die Antragsteller vertreten die Auffassung, dass die Entwicklung in dem Bereich, den das Verwaltungsgericht zur Beurteilung herangezogen hat, in erster Linie das Gebiet zwischen Friedberger Anlage, der Pfingstweidstraße, der Hanauer Landstraße und der Grünen Straße, zu einer Verdrängung des mischgebietstypischen Gewerbes im südlichen Ostend geführt habe und damit als faktisches allgemeines Wohngebiet gemäß § 4 BauNVO einzustufen sei. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht dagegen die sogenannte Zoo-Passage auf einer Fläche von über 9000 qm mit 207 Wohnungen und 30 gewerblich genutzten Einheiten, bei denen es sich nach den Angaben der Antragsteller um 6 Büros, 23 Läden und Gaststätten sowie ein privates Theater handelt, sowie einer öffentlichen Tiefgarage mit 389 Stellplätzen seiner Art nach als Geschäfts- und Bürogebäude im Sinne des § 6 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO eingestuft, das begrifflich ausschließlich dem Baugebietstyp des § 6 BauNVO zugeordnet werden kann. Dem sind die Antragsteller in der Beschwerdebegründung nicht substantiiert entgegengetreten, auch nicht der vom Verwaltungsgericht vertretenen Auffassung der Einstufung des sich östlich der Grünen Straße erstreckenden Gebiets. Auch die Antragsteller gehen in ihrer Beschwerdebegründung (S. 6) davon aus, dass es sich dabei zur Zeit noch um einen gewerblich genutzten Bereich handelt (S. 6 der Beschwerdebegründung).

Der Senat geht im Übrigen von der Geltung des Bebauungsplans NO 1 c Nr. 1 aus, weil Mängel der Abwägung nicht innerhalb der 7-Jahres-Frist des § 215 Abs. 1 Nr. 2 BauGB gerügt worden sind (vgl. dazu BVerwG, B. v. 25.02.1997 - 4 NB 40/96 - NVwZ 97, 893; ferner Senat, B. v. 10.10.2001 - 3 TG 2595/01 -). Auch hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof die erneute Inkraftsetzung alter Bebauungspläne der Antragsgegnerin durch die Neubekanntmachung von Bebauungsplänen im Amtsblatt Nr. 20 a vom 14.05.1997 nach Maßgabe des § 215 Abs. 3 Satz 1 BauGB 1986 zur Beseitigung einer unklaren Rechtslage für zulässig angesehen, wenn kein Anlass für eine erneute inhaltliche Abwägung nach § 1 Abs. 6 BauGB bestanden hat (Hess. VGH, U. v. 07.09.1999 - 4 UE 3469/98 - BRS 62, Nr. 76 = GewA 2000, 350 ff. = NVwZ-RR 2000, S. 483 ff., unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, B. v. 23.08.1992 - 4 NB 26/92 - BRS 54 Nr. 22; vgl. auch: BVerwG, B. v. 25.02.1997 - 4 NB 40.96 - BRS 59 Nr. 31 = DVBl. 1997, 828 = NVwZ-RR 1997, 515). Wie darzulegen ist, ist eine Änderung der Sach- bzw. Rechtslage, die eine erneute inhaltliche Abwägung hätte erforderlich machen können, nicht substantiiert vorgetragen.

Die Antragsteller leiten einen Paradigmenwechsel der Antragsgegnerin, der die Ungültigkeit des Bebauungsplans zur Folge haben soll, aus Änderungen des Flächennutzungsplans ab, die nach ihrer Auffassung eine Abkehr von der vordem getroffenen Mischgebietsausweisung beinhalten soll (S. 4 der Beschwerdebegründung) und legen dar, dass der Flächennutzungsplan, den tatsächlichen Verhältnissen folgend, auf beiden Seiten der Grünen Straße keine M-Flächen mehr, sondern W-Flächen darstellt. Auch unter Berücksichtigung des von ihnen vorgelegten Auszuges aus dem Flächennutzungsplan vom 31.03.2002 (Bl. 70 GA) ist damit eine Änderung der Bauleitplanung durch die Antragsgegnerin im dargestellten Sinne nicht substantiiert vorgetragen. Der östlich der Friedberger Anlage gelegene Teilbereich des Bebauungsplans NO 1 c Nr. 1 ist bereits in dem erstmals 1987 in Kraft gesetzten Flächennutzungsplan für das Gesamtgebiet des früheren Umlandverbandes Frankfurt (StAnz. 1987 S. 1535) mit einer als M-Gebiet dargestellten Teilfläche im Westen zwischen Friedberger Anlage und Hanauer Landstraße und im Übrigen als W-Gebiet dargestellt. Die städtebauliche Konzeption des Bebauungsplans orientiert sich auf der Grundlage des Flächennutzungsplans am Verlauf der Hanauer Landstraße. Entlang dieser Straße ist eine Nutzung als Mischgebiet festgesetzt.

Das Verwaltungsgericht hat auch zutreffend dargelegt, dass die Heroin-Ambulanz eine in einem festgesetzten bzw. faktischen Mischgebiet zulässige Anlage für gesundheitliche und/oder soziale Zwecke im Sinne des § 6 Abs. 2 Nr. 5 BauNVO darstellt, weil die heroingestützte Behandlung Opiatabhängiger die Verbesserung des gesundheitlichen Zustandes der Teilnehmer und die Reduktion des illegalen Drogenkonsums zum Gegenstand hat. Dem halten die Antragsteller - wie bereits in der ersten Instanz - entgegen, dass es sich bei der Heroin-Studie, als deren Bestandteil die Heroin-Ambulanz zu gelten habe, um einen Arzneimittelversuch, also ein Forschungsvorhaben handele und deshalb nicht um Heilbehandlung. Die Verabreichung von Heroin erfolge, um die Effekte der kontrollierten Heroinabgabe zu studieren und zu erforschen, ob es nicht als verkehrs- und verschreibungsfähiges Betäubungsmittel taugen könne. Zutreffend hat die Beigeladene erneut darauf hingewiesen, dass die Durchführung der Studie in der gesundheitlichen und sozialen Betreuung der teilnehmenden Patienten besteht, deren physische und psychische Verfassung sich durch die geplante Behandlung erheblich verbessern werde. Dass der Erfolg dieser bislang noch wenig erprobten Behandlungsmethode wissenschaftlich ausgewertet werde, ändere nichts daran, dass in der Einrichtung eine Heilbehandlung durchgeführt werde. Diese Auffassung wird vom Senat geteilt. Nach der von der Beigeladenen vorgelegten Kurzdarstellung des Forschungsdesigns des Modellprojekts zur opiatgestützten Behandlung wird diese bei den Patienten gegenüber der oralen Methadonsubstitution zu positiveren Effekten hinsichtlich der Verbesserung des gesundheitlichen Zustands führen, was ausweislich des Abschlussberichts über das in Bern/Schweiz durchgeführte Modellprojekt vom 10.07.1997 (S. 6 der Zusammenfassung des Syntheseberichts) auch tatsächlich erreicht worden ist. Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass es sich auch bei einer Einrichtung der ambulanten Drogenhilfe, in der unter anderem auch die Substitutionsbehandlung mit Methadon durchgeführt wird, um eine Einrichtung für soziale und gesundheitliche Zwecke im Sinne des § 7 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO handelt (Hess. VGH, U. v. 07.09.1999, a.a.O.; ebenso BVerwG, B. v. 06.12.2000 - 4 B 4.00 - BRS 63 Nr. 77 = BauR 2001 S. 605 = NVwZ 2001, S. 217 = UPR 2001, S. 161). Im Rahmen des Modellprojekts erhält eine Kontrollgruppe von Patienten parallel zu den mit Heroin behandelten Patienten die Ersatzdroge Methadon. Die Vergabe erfolgt nicht in der Ambulanz "Grüne Straße", sondern in den bereits vorhandenen Einrichtungen. Durch die Einbeziehung auch der Einrichtung der ambulanten Drogenhilfe, die Gegenstand des Urteils des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 7. September 1999 (a.a.O.) war, in das Modellprojekt ändert sich an der Zuordnung dieser Einrichtung zu den Anlagen für gesundheitliche und soziale Zwecke im Sinne der Begriffskategorie der Baunutzungsverordnung nichts.

Entgegen der Auffassung der Antragsteller ist die Ambulanz nach Art und Ausgestaltung im Mischgebiet zulässig. Nach Auffassung der Antragsteller können die für eine Einrichtung der Drogenhilfe im Kerngebiet zutreffenden Erwägungen auf den vorliegenden Fall nicht übertragen werden. Der Betrieb werde, meinen die Antragsteller, gravierende Auswirkungen auf sein Umfeld und damit auch auf die Zoo-Passage haben. Dem folgt der Senat nicht. Im Unterschied zu der offenen Einrichtung der Drogenhilfe, die Gegenstand der Nachbarklage vor dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof im Verfahren 4 UE 3469/98 (a.a.O.) war, handelt es sich hier um eine begrenzte Zahl von Patienten (bis zu 100), die die Ambulanz in der Regel zwei bis dreimal täglich zur Heroininjektion aufsuchen werden und die in ein festes sozialpädagogisches Begleitkonzept eingebunden sind. Anders als bei einer offenen Drogenhilfeeinrichtung ist bei dieser Ausgestaltung nicht davon auszugehen, dass andere Drogenabhängige, die von vornherein keinen Zutritt zu der Ambulanz haben, durch den Standort angezogen werden könnten. Im Gegenteil, es werden laut Betriebsbeschreibung Vorkehrungen gegen eine Beeinträchtigung des Umfelds durch den Betrieb der Heroinambulanz getroffen, die sich auch zugunsten der Antragsteller auswirken werden, geht man von dem von ihnen geschilderten derzeitigen Zustand aus, dass eine illegale Drogenszene bereits vor der Aufnahme des Betriebs der Ambulanz vorhanden ist. Das laut Betriebsbeschreibung bereits im Vorfeld der Genehmigung entwickelte Präventions- und Sicherheitskonzept, das in der "Frankfurter Montagsrunde" mit dem Jugendamt und dem Stadtgesundheitsamt abgestimmt worden ist und worin das Carrée zwischen Friedberger Anlage, Ostendstraße, Tiergartenstraße, Pfingstweide und damit auch die Grüne Straße einbezogen wird, wird dazu führen, dass diese illegale Drogenszene stark zurückgehen wird. Schließlich sind die Ein- und Ausgänge der Ambulanz so angelegt, dass der Zutritt der Patient/innen nicht von der Grünen Straße aus erfolgt, sondern über den direkt an der S-Bahn-Station in der Hanauer Landstraße eingerichteten rückwärtigen Zugang. Ausweislich der Betriebsbeschreibung verfügt die Ambulanz auch über die für eine bestimmungsgemäße Nutzung einer sozialen Einrichtung erforderliche Mindestbetreuung für die Nutzer (vgl. Hess. VGH, U. v. 07.09.1999, a.a.O.) Auch eine tatsächliche Beeinträchtigung der Nachbarschaft durch den Betrieb derartiger Einrichtungen ist von den Antragstellern weder vorgetragen noch dem Gericht anderweitig bekannt geworden, obwohl vergleichbare Ambulanzen in anderen Städten erheblich früher als in Frankfurt am Main errichtet und in Betrieb genommen worden sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig (§§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO).

Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 13 Abs. 1, 14 Abs. 1 und 20 Abs. 3 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).



Ende der Entscheidung

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