Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 18.05.2006
Aktenzeichen: 3 UE 177/04.A
Rechtsgebiete: AufenthG


Vorschriften:

AufenthG § 60 Abs. 1
Tschetschenische Volkszugehörige sind seit Ausbruch des 2. Tschetschenienkriegs im September 1999 in Tschetschenien einer gegen tschetschenische Volkszugehörige als Gruppe gerichteten - örtlich begrenzten - politischen Verfolgung ausgesetzt.

Allein die tschetschenische Volkszugehörigkeit sowie die Tatsache, dass diese Volksgruppe in der Russischen Föderation teils mit erheblichen Schwierigkeiten zu kämpfen hat, rechtfertigt keinen Anspruch auf Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG.

Die Russische Föderation muss hinsichtlich der Frage, ob einzelne Landesteile als inländische Fluchtalternative in Betracht kommen, einer differenzierten Betrachtung unterzogen werden, wobei den Schwierigkeiten, sich an einem Ort des vorübergehenden Aufenthalts registrieren zu lassen sowie den individuellen Möglichkeiten, sich gegen diese zur Wehr zu setzen, besondere Bedeutung zu kommt.

Grundsätzlich kann hinsichtlich eines allein stehenden 35-jährigen Mannes davon ausgegangen werden, dass dieser sich eine Existenz in der Russischen Föderation wird aufbauen können und sich gegen eventuell stattfindende Benachteiligungen wird zur Wehr setzen können.

Verfügt ein tschetschenischer Volkszugehöriger, der aus Tschetschenien stammt, über keinen gültigen Inlandspass, ist er nach der derzeit in der Russischen Föderation geltenden Rechtslage gezwungen, sich vor Ansiedlung am Ort der inländischen Fluchtalternative vorübergehend nach Tschetschenien zu begeben, um dort einen gültigen Inlandspass zu beantragen.

Tschetschenischen Volkszugehörigen aus Tschetschenien kann nicht zugemutet werden, auch nur vorübergehend zur Ausstellung eines Inlandspasses nach Tschetschenien zurückzukehren, da nicht mit der erforderlichen Gewissheit ausgeschlossen werden kann, dass sie dort keinen asylrelevanten Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt sein werden.


HESSISCHER VERWALTUNGSGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

3 UE 177/04.A

Verkündet am 18.05.2006

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Asylrechts

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof -3. Senat - durch

Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Blume, Richter am Hess. VGH Dr. Michel, Richterin am Hess. VGH Lehmann, den ehrenamtlicher Richter Herrn Kalb, die ehrenamtliche Richterin Frau Kind

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 18. Mai 2006 für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird der Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 26. September 2001 hinsichtlich der Ziffern 2 bis 4 aufgehoben.

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen vom 11. Dezember 2003 - 6 E 3437/01.A - wird abgeändert.

Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass in der Person des Klägers die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen tragen der Kläger zu einem Drittel und die Beklagte zu zwei Drittel.

Das Urteil ist im Kostenausspruch vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung jedoch durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der vollstreckbaren Kosten abwenden, sofern nicht der jeweilige Kostengläubiger vor der Vollstreckung in entsprechender Höhe Sicherheit leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der nach seinen Angaben am xxxxxxxxxxxx in Grozny geborene Kläger beantragte am 1. März 2001 seine Anerkennung als Asylberechtigter und trug im Rahmen seiner Anhörung vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, die in russischer Sprache durchgeführt wurde, im Wesentlichen vor, er beherrsche sowohl die russische als auch die tschetschenische Sprache. Er sei tschetschenischer Volkszugehöriger und russischer Staatsangehöriger. Seinen Inlandspass habe die Person, die sie nach Deutschland gebracht habe, an sich genommen, um sie zu Verwandten nach Dagestan zurück zu bringen. Die Kopie seines Inlandspasses sowie seinen Originalführerschein habe er bei der Antragstellung in Köln abgegeben. Einen Reisepass habe er nie besessen. Er selbst sei verwitwet, seine Ehefrau xxxxxxxxxxxxxx, die er 1989 im März geheiratet habe, sei am 26. Oktober 1999 in Grozny bei einem Bombenangriff ums Leben gekommen. Seine Eltern hätten ursprünglich ebenfalls in Grozny gelebt, seit November 1999 hielten sie sich jedoch bei dem Bruder seines Vaters in dem Dorf Tschetschen-Aul im Kreis Grozny auf. Er habe Grozny gemeinsam mit seinen Eltern im November 1999 verlassen und sei nach Tschetschen-Aul verzogen. Er habe acht Jahre die Schule Nr. 22 in Grozny besucht und anschließend auf der Fachoberschule das Diplom zum Bautechnologen erworben. Bis 1999 habe er in der Baufirma seines Vaters gearbeitet. Im Januar 2001 sei er gemeinsam mit seinem Bruder aus Tschetschenien ausgereist und habe sich zunächst für einen Monat in Dagestan bei Verwandten aufgehalten. Von dort aus seien sie mit einem Pkw und einem Bus nach Deutschland gereist, wo sie am 28. Februar 2001 angekommen seien. Sein Heimatland habe er verlassen, weil er dort von den russischen Sicherheitskräften gesucht werde. Hintergrund hierfür sei, dass sie während des ersten Krieges Flüchtlinge bei sich zu Hause aufgenommen hätten. Sie hätten ihre Landsleute unterstützt und Verletzte aufgenommen. Sie hätten sie sowohl mit Nahrungsmitteln als auch finanziell unterstützt. Im zweiten Krieg hätten sie das gleiche getan, sie hätten wieder Flüchtlinge aufgenommen und außerdem den tschetschenischen Kampftruppen geholfen. So hätten sie den tschetschenischen Rebellen durch den Wald und durch die Berge geholfen und ihnen den Weg gezeigt. Auch aus diesem Grund würden sie gesucht. Im März 2000 sei er gemeinsam mit seinen Brüdern anlässlich einer Hausdurchsuchung festgenommen worden und für drei Tage in ein Erdloch geworfen worden. Nachdem ihr Vater für sie 3.000,00 $ gezahlt habe, seien sie freigelassen worden, der russische Offizier habe ihnen jedoch mitgeteilt, dass sich ihre Namen auf der Liste der Gesuchten befänden. Nach diesem Vorfall hätten sie sich bei Freunden und Verwandten versteckt aufgehalten. Am 30. Juni 2000 sei ein weiterer Bruder von ihnen durch den staatlichen Suchdienst GRU getötet worden. Gemeinsam mit diesem Bruder seien zwei Lehrer und der Schuldirektor getötet worden. Er könne sich auf russischem Territorium nicht frei bewegen, da er gesucht werde.

Mit Bescheid vom 26. September 2001 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge den Asylantrag des Klägers ab und stellte fest, dass weder die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG noch Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen. Des Weiteren wurde der Kläger aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe bzw. im Falle einer Klageerhebung innerhalb eines Monats nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen. Für den Fall der Nichteinhaltung der Ausreisefrist wurde ihm seine Abschiebung in die Russische Föderation oder in einen anderen Staat, in den er einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist, angedroht.

Gegen den am 10. Oktober 2001 zugestellten Bescheid hat der Kläger am 24. Oktober 2001 Klage vor dem Verwaltungsgericht Gießen erhoben. Im Rahmen des Klageverfahrens trug er im Wesentlichen vor, er sei im Tschetschenienkrieg im so genannten "Volkssturm" tätig gewesen und habe gemeinsam mit 52 anderen Männern sein Heimatdorf gegen die russische Armee verteidigt. Er sei offizieller Kämpfer gewesen und habe einen Militärausweis von der tschetschenischen Armee gehabt. Die russische Armee habe in der Nacht vom 2. Februar auf den 3. Februar 1995 18 Zivilisten aus seinem Heimatdorf ermordet, woraufhin sich der "Volkssturm" gebildet habe, dem auch er sich angeschlossen habe. Während der kriegerischen Auseinandersetzungen seien durch den Volkssturm viele russische Soldaten erschossen worden, auch von ihm. Der Volkssturm habe sein Dorf gegen eine ca. vier Monate lange Belagerung durch die russische Armee verteidigt, anschließend sei die russische Armee erfolglos abgezogen. Nach Beendigung des ersten Tschetschenienkriegs sei er ab 1998 in der Firma seines Vaters tätig gewesen. Nach Beginn des zweiten Tschetschenienkrieges im Jahre 1999 sei er erneut aufgefordert worden, im Volkssturm zu kämpfen, was er jedoch abgelehnt habe. Er habe vielmehr Flüchtlingen aus der stark umkämpften Hauptstadt Grozny geholfen, zurück in ihre Heimatstadt zu gelangen, weiterhin habe er bei der Bergung und Versorgung von Verletzten geholfen. Auch habe er Kämpfer und Soldaten des tschetschenischen Präsidenten an den russischen Posten vorbei nach Grozny geführt, die dort den russischen Angriff hätten bekämpfen wollen. Am 26. Oktober 1999 sei seine Ehefrau bei einem Bombenangriff der russischen Armee auf Grozny ums Leben gekommen. In der Nacht vom 1. auf den 2. Januar 2000 seien russische Truppen von zwei Seiten auf seinen Heimatort vorgerückt, er habe die tschetschenischen Truppen durch die russischen Linien geführt, wodurch ein Kampf vermieden worden sei. Im März 2000 sei er gemeinsam mit seinen Brüdern xxxxxxxx und xxxxxxxxx vom russischen Militär festgenommen und drei Tage lang in einem Erdloch festgehalten worden. Erst durch Bestechung seien sie wieder freigekommen, der zuständige Offizier habe ihnen jedoch mitgeteilt, dass sie auf der Suchliste des russischen Militärs stünden. Er habe diese Warnung verstanden und sich anschließend nicht mehr zu Hause aufgehalten. Gleichzeitig mit ihnen sei der frühere Kommandant von Tschetschen-Aul verhaftet und später gegen Bestechung wieder freigelassen worden. Zirka einen Monat nach seiner Freilassung sei er von russischen Militärs erschossen worden. Am 30. Juni bzw. 30. Juli 2000 sei sein Bruder Tamerlan ermordet worden, er sei von russischen Soldaten erschossen worden, und obwohl von Seiten ihres Vaters Strafanzeige gestellt worden sei, bestehe auf russischer Seite kein Interesse an der strafrechtlichen Verfolgung der Täter. Bei Rückkehr nach Tschetschenien/Russland sei er aufgrund der Tatsache, dass er auf einer Suchliste stehe, besonders gefährdet.

Im Laufe des Klageverfahrens legte der Kläger verschiedene beglaubigte Kopien zu der Gerichtsakte vor, so unter anderem die Sterbeurkunde seines Bruders, diverse Schreiben der Staatsanwaltschaft der Tschetschenischen Republik, diverse Zeitungsausschnitte und Stellungnahmen sowie die Kopie eines Militärausweises der tschetschenischen Armee.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 11. Dezember 2003 wiederholte der Kläger im Wesentlichen den Vortrag aus dem Klageverfahren und trug ergänzend vor, ein besonderes Interesse der Sicherheitsbehörden an seiner Person sowie der Person seines Bruders bestehe deshalb, weil sie am Anfang des Tschetschenienkrieges sehr aktiv gewesen seien. Sie hätten Widerstand geleistet, gekämpft und die Kämpfer versorgt. Sie hätten nicht nur ihr Dorf, sondern auch andere Ortschaften in der Nähe von Grozny verteidigt. Sie hätten über zwei Monate Widerstand geleistet und zwar bis August 1996. Im August 1996 hätten sie auch an Verhandlungen wegen des Austausches von 22 militärischen Geiseln mit den Russen teilgenommen. Dadurch sei bekannt geworden, dass sie sehr aktiv gewesen seien. Außerdem gehe es den Russen darum, möglichst viele der jungen Leute zwischen 12 und 55 Jahren umzubringen, die dann nicht mehr gegen sie kämpfen könnten. Seine Schwester habe ihm von einem Neffen und einem weiteren Verwandten berichtet, die aus Deutschland zurückgekehrt seien, der Neffe sei umgebracht worden, der weitere Verwandte habe sich nur durch Untertauchen retten können. Sie seien freiwillige Kämpfer im ersten Tschetschenienkrieg gewesen, gegen Ende des Krieges seien diese Leute mit Namen, Geburtsort und Wohnort in Listen erfasst worden, um sie in andere Gruppen aufteilen und der tschetschenischen Regierung unterordnen zu können. Anfang des zweiten Krieges seien diese Listen in die Hände der russischen Soldaten gefallen, die dann anhand dieser Listen Razzien in den Ortschaften durchgeführt hätten, um die Leute zu fassen. So sei er dann gemeinsam mit seinen Brüdern bei einer Razzia im März 2000 festgenommen worden und anschließend freigekauft worden. Von seiner Mutter habe er telefonisch erfahren, dass drei Freunde, die damals ebenfalls von der Razzia betroffen worden seien, in Russland durch Gas vergiftet worden seien. Ihre Ausreise sei schließlich von ihren Verwandten in Dagestan organisiert worden, die auch Angst gehabt hätten, sie länger zu beherbergen. Auf entsprechende Nachfrage erklärte der Kläger, dass sie sich damals selbst in die Listen der freiwilligen Kämpfer im ersten Tschetschenienkrieg eingetragen hätten. Ihr Dorfvorsitzender sei damals sehr stolz gewesen, wie viel Kämpfer er zusammen bekommen habe und habe die Listen ihrem Präsidenten Maschadow überreicht. Ihr Dorf habe im zweiten Tschetschenienkrieg bis zuletzt gekämpft. Insoweit überreichte der Kläger im Rahmen der mündlichen Verhandlung dem Verwaltungsgericht das Original des auf Bl. 50 der Gerichtsakte in Kopie befindlichen Ausweises, der nach Auskunft des Klägers etwa im September 1996 ausgestellt worden ist. Damals habe man aus den freiwilligen Gruppen die tschetschenische Armee bilden wollen.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 26. September 2001 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen und festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG, hilfsweise des § 53 AuslG vorliegen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit Urteil vom 11. Dezember 2003 hat das Verwaltungsgericht Gießen die Klage abgewiesen. Das Urteil ist dem Bevollmächtigten des Klägers am 23. Dezember 2003 zugestellt worden. Auf Antrag des Bevollmächtigten des Klägers vom 6. Januar 2004 hat der 3. Senat des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs mit Beschluss vom 16. Januar 2004 - 3 UZ 147/04.A - die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen vom 11. Dezember 2003 zugelassen.

Zur Berufungsbegründung trägt der Kläger im Übrigen unter Bezugnahme auf seinen bisherigen Vortrag im Wesentlichen vor, für die russischen Sicherheitskräfte seien alle Tschetschenen im Alter zwischen 12 und 60 Jahren grundsätzlich des Terrorismus verdächtig und würden bei Bedarf überall verfolgt. Nach dem Anschlag auf die Moskauer U-Bahn sei von Präsident Putin erneut die Zerstörung der Terroristen angekündigt worden, andere forderten die Rückführung von Tschetschenen nach Tschetschenien. Innerhalb der Russischen Föderation komme es immer wieder zu asylrelevanten Übergriffen auf Tschetschenen sowohl von russischen Sicherheitskräften als auch von Privatpersonen. Im Übrigen verpflichte das rigorose russische Meldewesen Tschetschenen dazu, sich zunächst in ihrem Geburtsort registrieren zu lassen. Dies zwinge Tschetschenen zunächst zurück in den Verfolgerstaat mit absehbaren Folgen. In sämtlichen Teilrepubliken der Russischen Föderation seien Tschetschenen nicht gerne gesehen und sollten - je früher desto besser - die Gegenden wieder verlassen. In Inguschetien sei Flüchtlingen die Wasserversorgung abgestellt worden und es seien Flüchtlingslager geschlossen worden, um ihre Rückführung nach Tschetschenien zu erreichen. Nach der Geiselnahme im Moskauer Theater seien bestehende Flüchtlingslager unter lückenlose Bewachung durch russische Sicherheitskräfte gestellt worden. In Dagestan gebe es immer wieder Gefechte zwischen russischen Truppen und tschetschenischen Rebellen. Auch die dagestanischen Behörden verfolgten das Ziel, tschetschenische Flüchtlinge zurück nach Tschetschenien zu schieben. In Tschetschenien selbst fänden nach wie vor Folterungen, Hinrichtungen, Plünderungen oder Entführungen statt. Für Tschetschenen gebe es innerhalb der russischen Föderation auch keine sog. inländische Fluchtalternative, da auch in den Nachbarrepubliken wie Dagestan, Inguschetien oder Karbadino-Balkarien tschetschenische Volkszugehörige nicht ohne Gefahr der Verfolgung oder für Leib und Leben leben könnten. Entweder verhinderten dies die örtlichen Verwaltungsvorschriften - vor allem die Registrierung, die Voraussetzung für den Bezug von staatlichen bzw. Sozialleistungen wie Sozialhilfe oder medizinischer Versorgung sei - oder es gebe rassistische Übergriffe auf Tschetschenen durch Teile der Bevölkerung oder der Miliz selbst. Tschetschenen und generell Menschen mit kaukasischem Aussehen müssten in ganz Russland ständig damit rechnen, allein wegen ihres Aussehens oder ihrer Herkunft von der Miliz kontrolliert zu werden.

Der Kläger beantragt,

ihn unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 26. September 2001 sowie des Urteils des Verwaltungsgerichts Gießen vom 11. Dezember 2003 - 6 E 3437/01.A - als Asylberechtigten anzuerkennen sowie festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG - jetzt § 60 Abs. 1 AufenthG - vorliegen,

hilfsweise festzustellen,

dass die Voraussetzungen nach § 53 AuslG - jetzt § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG - erfüllt sind.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beteiligte stellt keinen Antrag.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, den Verwaltungsvorgang der Beklagten (1 Aktenheft), die den Kläger betreffende Ausländerakte sowie auf die Erkenntnisse zur Situation in der Russischen Föderation gemäß der den Beteiligten mitgeteilten Erkenntnisquellenliste Russische Föderation - Tschetschenien -, Stand März 2006 Bezug genommen. Ebenso wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte des Bruders des Klägers, die unter dem Aktenzeichen 3 UE 176/04.A geführt wird, sowie die dazugehörige Bundesamts- und Ausländerakte (je 1 Aktenheft). Die Unterlagen sind insgesamt zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gemacht worden.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers, mit der er die Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Gießen vom 11. Dezember 2003 begehrt, ist aufgrund der Zulassung durch den Senat und auch sonst zulässig. Die Berufung ist auch in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, soweit der Kläger einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter geltend gemacht hat.

Der von dem Kläger geltend gemachte Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter gemäß Art. 16 a Abs. 1 GG scheitert bereits daran, dass er auf dem Landweg und damit über einen sicheren Drittstaat gemäß Art. 16 a Abs. 2 GG, § 26 a AsylVfG in das Bundesgebiet eingereist ist, was der Zuerkennung eines Asylanspruchs entgegensteht.

Der Kläger hat jedoch einen Anspruch auf Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG, der in Ablösung des vormals anzuwendenden § 51 Abs. 1 AuslG gemäß Art. 15 Abs. 3 des Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz) vom 30. Juli 2004 am 1. Januar 2005 in Kraft getreten ist und dessen Voraussetzungen in dem hier maßgeblichen Umfang mit denen des Art. 16 a GG übereinstimmen (vgl. BVerwG, Urteile vom 26.10.1993 - 9 C 52.92 u. a. - EZAR 203 Nr. 2 = NVwZ 1994, 500; und vom 18.01.1995 - 9 C 48.92 - EZAR 230 Nr. 4 = NVwZ 1994, 497 zu der Vorläufervorschrift des § 51 Abs. 1 AuslG).

Asylrecht und damit Abschiebungsschutz gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG genießt, wer bei einer Rückkehr in seine Heimat aus politischen Gründen Verfolgungsmaßnahmen mit Gefahr für Leib und Leben oder Beeinträchtigungen seiner persönlichen Freiheit zu erwarten hat (BVerfG, 02.07.1980 - 1 BvR 147/80 u. a. -, BVerfGE 54, 341). Eine Verfolgung ist in Anlehnung an den Flüchtlingsbegriff des Art. 1 Abschn. A Nr. 2 GK als politisch im Sinne von Art. 16 a Abs. 1 GG anzusehen, wenn sie auf die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder die politische Überzeugung des Betroffenen zielt (BVerfG, 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 u. a. -, BVerfGE 76, 143 = EZAR 200 Nr. 20; BVerwG, 17.05.1983 - 9 C 874.82 -, BVerwGE 67, 195 = EZAR 201 Nr. 5, u. 26.06.1984 - 9 C 185.83 -, BVerwGE 69, 320 = EZAR 201 Nr. 8). Diese spezifische Zielrichtung ist anhand des inhaltlichen Charakters der Verfolgung nach deren erkennbarem Zweck und nicht nach den subjektiven Motiven des Verfolgenden zu ermitteln (BVerfG, 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 u. a. -, BVerfGE 80, 315, 344 = EZAR 201 Nr. 20; zur Motivation vgl. BVerwG, 19.05.1987 - 9 C 184.86 -, BVerwGE 77, 258 = EZAR 200 Nr. 19). Werden nicht Leib, Leben oder physische Freiheit gefährdet, sondern andere Grundfreiheiten wie etwa die Religionsausübung oder die berufliche und wirtschaftliche Betätigung, so sind allerdings nur solche Beeinträchtigungen asylrelevant, die nach Intensität und Schwere die Menschenwürde verletzen und über das hinausgehen, was die Bewohner des Heimatstaats aufgrund des dort herrschenden Systems allgemein hinzunehmen haben (BVerfG, 02.07.1980 - 1 BvR 147/80 u.a. -, a. a. O., u. 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 u. a. -, a. a. O.; BVerwG, 18.02.1986 - 9 C 16.85 -, BVerwGE 74, 31 = EZAR 202 Nr. 7). Die Gefahr einer derartigen Verfolgung ist gegeben, wenn dem Asylsuchenden bei verständiger Würdigung aller Umstände seines Falles politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, wobei die insoweit erforderliche Zukunftsprognose auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Tatsachenentscheidung abgestellt und auf einen absehbaren Zeitraum ausgerichtet sein muss (BVerwG, 03.12.1985 - 9 C 22.85 -, EZAR 202 Nr. 6 = NVwZ 1986, 760 m. w. N.). Eine Verfolgung droht bei der Ausreise mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit, wenn bei qualifizierender Betrachtungsweise die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen (BVerwG, Urteil vom 14.12.1993 - 9 C 45.92 -, DVBl. 1994, 524, 525). Einem Asylbewerber, der bereits einmal politisch verfolgt war, kann eine Rückkehr in seine Heimat nur zugemutet werden, wenn die Wiederholung von Verfolgungsmaßnahmen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist (BVerfG, 02.07.1980 - 1 BvR 147/80 u. a. -, a. a. O.; BVerwG, 25.09.1984 - 9 C 17.84 -, BVerwGE 70, 169 = EZAR 200 Nr. 12 m. w. N.). Nach diesem Maßstab wird nicht verlangt, dass die Gefahr erneuter Übergriffe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann. Vielmehr ist - über die theoretische Möglichkeit, Opfer eines Übergriffs zu werden, hinaus - erforderlich, dass objektive Anhaltspunkte einen Übergriff als nicht ganz entfernt und damit als durchaus reale Möglichkeit erscheinen lassen (BVerwG, Urteil vom 08.09.1992 - 9 C 62/91 -, NVwZ 1993, 191). Hat der Asylsuchende sein Heimatland unverfolgt verlassen, hat er nur dann einen Asylanspruch, wenn ihm aufgrund eines asylrechtlich erheblichen Nachfluchttatbestandes politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht (BVerfG, 26.11.1986 - 2 BvR 1058/85 -, BVerfGE 74, 51, 64 = EZAR 200 Nr. 18 = NVwZ 1987, 311 = InfAuslR 1987, 56, und 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 u.a. -, a. a. O.; BVerwG, 20.11.1990 - 9 C 74.90 -, BVerwGE 87, 152 = NVwZ 1991, 382 = InfAuslR 1991, 145 = EZAR 201 Nr. 22).

Der Asylbewerber ist aufgrund der ihm obliegenden prozessualen Mitwirkungspflicht gehalten, von sich aus umfassend die in seine eigene Sphäre fallenden Ereignisse substantiiert und in sich schlüssig zu schildern sowie eventuelle Widersprüche zu seinem Vorbringen in früheren Verfahrensstadien nachvollziehbar aufzulösen, so dass sein Vortrag insgesamt geeignet ist, den Asylanspruch lückenlos zu tragen (BVerwG, 08.05.1984 - 9 C 141.83 -, EZAR 630 Nr. 13 = NVwZ 1985, 36, 12.11.1985 - 9 C 27.85 -, EZAR 630 Nr. 23 = InfAuslR 1986, 79, u. 23.02.1988 - 9 C 32.87 -, EZAR 630 Nr. 25) und insbesondere auch den politischen Charakter der Verfolgungsmaßnahmen festzustellen (vgl. BVerwG, 22.03.1983 - 9 C 68.81 -, Buchholz 402.24 Nr. 44 zu § 28 AuslG, u. 18.10.1983 - 9 C 473.82 -, EZAR 630 Nr. 8 = ZfSH/SGB 1984, 281). Bei der Darstellung der allgemeinen Umstände im Herkunftsland genügt es dagegen, dass die vorgetragenen Tatsachen die nicht entfernt liegende Möglichkeit politischer Verfolgung ergeben (BVerwG, 23.11.1982 - 9 C 74.81 -, BVerwGE 66, 237 = EZAR 630 Nr. 1).

Der Anspruch auf Asyl ist zwar ein Individualgrundrecht, und der Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG ist ebenfalls personenbezogen, beide setzen deshalb eigene Verfolgungsbetroffenheit voraus. Die Gefahr eigener politischer Verfolgung kann sich aber auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen ergeben, wenn diese Dritten wegen eines insoweit asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das der Schutzsuchende mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsmöglichkeit vergleichbaren Lage befindet und deshalb seine eigene bisherige Verschonung von ausgrenzenden Rechtsgutbeeinträchtigungen als eher zufällig anzusehen ist (BVerfG, Beschluss vom 23.01.1991 - 2 BvR 902/85 u. a. -, BVerfGE 83, 216; BVerwG, Urteile vom 23.02.1988 - 9 C 85.87 -, BVerwGE 79, 79 und vom 05.07.1994 - 9 C 158.94 -, BVerwGE 96, 200 ff.). Zu einer in diesem Sinne verfolgungsbetroffenen Gruppe gehören alle Personen, die der Verfolger für seine Verfolgungsmaßnahmen in den Blick nimmt; dies können entweder sämtliche Träger eines zur Verfolgung anlassgebenden Merkmals - etwa einer bestimmten Ethnie oder Religion - sein oder nur diejenigen von ihnen, die zusätzlich (mindestens) ein weiteres Kriterium erfüllen, beispielsweise in einem bestimmten Gebiet leben oder ein bestimmtes Lebensalter aufweisen; solchenfalls handelt es sich um eine entsprechend - örtlich, sachlich oder persönlich - begrenzte Gruppenverfolgung (BVerwG, Urteile vom 20.06.1995 - 9 C 294.94 -, NVwZ-RR 1996, 97, und vom 30.04.1996 - 9 C 171.95 -, BVerwGE 101, 134 sowie vom 09.09.1997 - 9 C 43.96 -, BVerwGE 105, 204 = DVBl. 1998, 274). Kennzeichen einer "regionalen" oder "örtlich begrenzten" Gruppenverfolgung ist es, dass der unmittelbar oder mittelbar verfolgende Staat die gesamte, durch ein Kennzeichen oder mehrere Merkmale oder Umstände verbundene Gruppe im Blick hat, sie aber - als "mehrgesichtiger Staat" - beispielsweise aus Gründen politischer Opportunität nicht oder jedenfalls derzeit nicht landesweit verfolgt (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. September 1997 - 9 C 43.96 -, BVerwGE 105, 204 [207 ff.] m. w. N.; OVG NRW, Urteil vom 12. Juli 2005 - 11 A 2307/03.A). Die Annahme einer gruppengerichteten Verfolgung setzt eine bestimmte Verfolgungsdichte voraus, welche die Regelvermutung eigener Verfolgung jedes einzelnen Gruppenmitglieds rechtfertigt; hierfür ist die Gefahr einer so großen Zahl von Eingriffshandlungen in relevante Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine bloße Vielzahl solcher Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Gebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und in quantitativer und qualitativer Hinsicht so um sich greifen, dass dort für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht (BVerwG, Urteile vom 15.05.1990 - 9 C 17.89 -, BVerwGE 85, 139 und vom 05.07.1994 - 9 C 158.94 -, a. a. O.).

Bisweilen erstreckt sich die politische Verfolgung nicht auf das ganze Land, sondern nur auf einen Landesteil, so dass der Betroffene in anderen Landesteilen eine inländische Fluchtalternative finden kann. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, der insoweit nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts Bindungswirkung im Sinne des § 31 BVerfGG zukommt (BVerwG, 15. Mai 1990 - 9 C 17.89 -, BVerwGE 85, 139 ff., 145 f.), setzt die inländische Fluchtalternative voraus, dass der Asylbewerber in den in Betracht kommenden Gebieten vor politischer Verfolgung hinreichend sicher ist und ihm jedenfalls auch dort keine anderen Nachteile und Gefahren drohen, die nach ihrer Intensität und Schwere einer asylerheblichen Rechtsgutbeeinträchtigung aus politischen Gründen gleichkommen, sofern diese existentielle Gefährdung am Herkunftsort so nicht bestünde (BVerfG, 10. Juli 1989 - 2 BvR 502/86 u. a. -, BVerfGE 80, 315 ff., 343 f.). Zu diesen existentiellen Gefährdungen können vor allem die nicht mögliche Wahrung eines religiösen oder wirtschaftlichen Existenzminimums gehören (BVerwG, Urteil vom 15. Mai 1990, a. a. O.; Urteil vom 31. März 1992 - 9 C 40.91 -, DVBl. 1992, 1541). Es kommt darauf an, ob der Betroffene an dem Ort der inländischen Fluchtalternative bei generalisierender Betrachtung auf Dauer ein Leben unter dem Existenzminimum zu erwarten hat, das zu Hunger, Verelendung und schließlich Tod führt (BVerwG, Urteil vom 8. Februar 1989 - 9 C 30.87 -, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 104). Trotz der grundsätzlich gebotenen generalisierenden Betrachtungsweise können aber auch individuelle Umstände Berücksichtigung finden. So kann eine inländische Fluchtalternative beispielsweise zu verneinen sein, wenn für den Vorverfolgten dort wegen in seiner Person liegender Merkmale wie etwa Behinderung oder hohes Alter das wirtschaftliche Existenzminimum nicht gewährleistet ist. Sie kann auch dann zu verneinen sein, wenn der Vorverfolgte am Ort der Fluchtalternative keine Verwandten oder Freunde hat, bei denen er Obdach oder Unterstützung finden könnte, und ohne eine solche Unterstützung dort kein Leben über dem Existenzminimum möglich ist (BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 1993 - 9 C 45.92 -, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 166 Seite 403 [407] m. w. N.).

Nach diesen Grundsätzen hat der Kläger aufgrund seiner Angaben vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, seiner Angaben im Klageverfahren sowie aufgrund der in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen (Erkenntnisquellenliste Russische Föderation - Tschetschenien - Stand März 2006 - 108 Auskunftsquellen -) einen Anspruch auf Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG.

Der Kläger hat jedoch aus individuellen Gründen keine gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG zu berücksichtigenden Verfolgungsmaßnahmen zu befürchten. Dies folgt bereits daraus, dass der Senat in Übereinstimmung mit den Feststellungen des Verwaltungsgerichts seinen Vortrag hinsichtlich seines Einsatzes als freiwilliger Kämpfer im ersten Tschetschenienkrieg sowie der dabei erlittenen angeblichen Verfolgungsmaßnahmen für nicht glaubhaft hält. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts Bezug genommen. Der Senat folgt insoweit auch den Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur Asylrelevanz der behaupteten Festnahme im März 2000, da auch für den Senat nicht ersichtlich ist, dass allein aufgrund dieser Festnahme anlässlich einer Razzia belegt ist, dass die Sicherheitskräfte der Russischen Föderation ein über den Normalfall hinausgehendes Verfolgungsinteresse an dem Kläger haben.

Hierbei ist für den Senat insbesondere entscheidend, dass der Kläger anlässlich seiner Befragung in der mündlichen Verhandlung am 18. Mai 2006 nicht hat plausibel machen können, warum er über seine angebliche Kampfteilnahme im "Volkssturm" sowie die Aufnahme seines Namens auf die Liste von Kämpfern nicht bereits bei der Bundesamtsanhörung am 13. März 2001 berichtet hat, sondern erstmals im Rahmen der von seinem Bevollmächtigten vorgelegten Klagebegründung am 14. Dezember 2001. Auf entsprechende Nachfrage erklärte der Kläger in der mündlichen Verhandlung, sein Bruder und er hätten Angst gehabt, als Terroristen betrachtet zu werden und dadurch Rechte zu verlieren. Der Terrorismusverdacht begleite ihn in ständiger Angst, wobei er sich nicht daran erinnern könne, von Seiten des Bundesamtes aufgefordert worden zu sein, alles vollständig zu erzählen, er habe lediglich alle ihm gestellten Fragen beantwortet. Letztgenannter Aussage widerspricht zum einen das Protokoll der Bundesamtsanhörung, dort Seite 10, wonach der Antragsteller bestätigt, ausreichend Gelegenheit gehabt zu haben, die Gründe für seinen Asylantrag zu schildern und auch alle sonstigen Hindernisse darzulegen, die einer Rückkehr in sein Heimatland oder in einen anderen Staat entgegenstehen. Zum anderen widerspricht dieser Aussage auch die dem Antragsteller ausgehändigte Belehrung für Erstantragsteller über Mitwirkungspflichten und allgemeine Verfahrenshinweise, die ihm am 7. März 2001 auch in russischer Sprache ausgehändigt worden sind. Nach diesen Hinweisen ist der Antragsteller darauf aufmerksam gemacht worden, dass er sein persönliches Schicksal und die ihm konkret drohenden Gefahren bei seiner Rückkehr vollständig und wahrheitsgemäß darlegen muss und Tatsachen und Vorfälle, die nicht während der Anhörung vorgetragen werden, ggfs. später sowohl beim Bundesamt als auch in einem gerichtlichen Verfahren keine Berücksichtigung mehr finden können. Schließlich hätte es nahe gelegen, die angebliche Tätigkeit im "Volkssturm" sowie die Behauptung, sein Name stehe auf einer Liste von Tschetschenien-Kämpfern im Rahmen der von der Bundesamtsanhörerin gestellten Fragen "Aus welchem konkreten Grund haben Sie Ihr Heimatland verlassen?" und "Aus welchem Grund werden Sie gesucht?" zu benennen. Dies ist jedoch nicht geschehen.

Der Kläger hat auch schließlich anlässlich der Frage des Einzelrichters in der ersten Instanz , warum er bei der Anhörung beim Bundesamt nichts von einer aktiven Teilnahme im ersten Tschetschenienkrieg berichtet habe, nicht ausgeführt, Angst gehabt zu haben, als Terrorist betrachtet zu werden - was er nunmehr bei seiner Anhörung am 18. Mai 2006 als Grund vorgegeben hat - sondern vielmehr vorgetragen, sich nach den schweren Erlebnissen in seiner Heimat bei seiner Anhörung schwer getan zu haben, die Dolmetscherin habe ihm auch gesagt, er solle nur auf die gestellten Fragen antworten, die Einzelentscheiderin sei ihm gegenüber auch aggressiv eingestellt gewesen, so dass er schließlich keine Lust mehr gehabt habe, intensiver zu berichten. Aufgrund dieser Widersprüche hat der Senat nicht die Überzeugung gewinnen können, dass der Kläger im ersten Tschetschenienkrieg tatsächlich als Kämpfer am "Volkssturm" teilgenommen hat und sein Name sich auf einer Liste mit Tschetschenien-Kämpfern befindet.

Die Tatsache, dass der Kläger tschetschenischer Volkszugehöriger ist und diese Volksgruppe in der Russischen Föderation teils mit erheblichen Schwierigkeiten zu kämpfen hat, rechtfertigt allein keinen Anspruch auf Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG.

Der Senat geht allerdings davon aus, dass tschetschenische Volkszugehörige seit Ausbruch des zweiten Tschetschenienkrieges im September 1999 in Tschetschenien einer gegen tschetschenische Volkszugehörige als Gruppe gerichteten politischen Verfolgung ausgesetzt sind. Diese Feststellungen ergeben sich zur Überzeugung des Gerichts aus den ihm vorliegenden und in das Verfahren eingeführten Unterlagen. Danach stellt sich die Situation tschetschenischer Volkszugehöriger in Tschetschenien im Zeitpunkt der Ausreise des Klägers wie folgt dar:

Aus Anlass des Einfalls tschetschenischer Rebellengruppen in Dagestan und der Ausrufung eines islamischen Staates dort sowie Bombenattentaten auf ein Einkaufszentrum und ein Wohnhaus in Moskau, die von Seiten der russischen Regierung tschetschenischen Rebellen zugeschrieben wurden, aber auch im Hinblick auf den Präsidentschaftswahlkampf setzte die Führung der Russischen Föderation ab September 1999 Bodentruppen, Artillerie und Luftwaffe in Tschetschenien ein mit dem erklärten Ziel, die tschetschenischen Rebellengruppen zu vernichten, die das Ziel der Unabhängigkeit Tschetscheniens und die Errichtung eines islamischen Staates anstrebten. Im Verlauf der Kämpfe brachte die russische Armee Anfang des Jahres 2000 Grozny, das dabei fast völlig zerstört worden ist, und im Frühjahr des Jahres 2000 große Teile Tschetscheniens unter ihre Kontrolle. Die Rebellengruppen zogen sich in die südlichen Bergregionen zurück; sie sind seit dem zum Partisanenkrieg und zu terroristischen Anschlägen übergegangen (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 24.04.2001; Bundesamt, Der Tschetschenienkonflikt, Januar 2001; UNHCR, Stellungnahme über Asylsuchende aus der Russischen Föderation im Zusammenhang mit der Lage in Tschetschenien, Januar 2002). Die russische Armee ihrerseits ging unter dem Vorwand der Terroristenbekämpfung mit äußerster Brutalität auch gegen die Zivilbevölkerung in Tschetschenien vor, die zum damaligen Zeitpunkt nach Schätzungen bereits im Wesentlichen aus tschetschenischen Volkszugehörigen bestand (vgl. UNHCR, Stellungnahme über Asylsuchende aus der Russischen Föderation im Zusammenhang mit der Lage in Tschetschenien, Januar 2002).

Schon zu Beginn des zweiten Tschetschenienkrieges ist es zu großen Fluchtbewegungen gekommen. Aufgrund des Einmarschs der russischen Armeeeinheiten und der Bombardierung der Städte flohen große Teile der Bevölkerung aus ihren Wohnorten in Tschetschenien. Die russische Armee hinderte die Flüchtlinge zum Teil bereits am Verlassen des Kampfgebietes, teilweise am Übertritt in die Nachbarrepubliken wie Inguschetien (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 15. Februar 2000). Dabei wurden auch Flüchtlingstrecks von der russischen Luftwaffe angegriffen. Insgesamt ist davon auszugehen, dass von den zu Beginn des zweiten Tschetschenienkrieges in Tschetschenien lebenden 450.000 Einwohnern 350.000 gewaltsam aus ihren Wohnorten vertrieben worden sind, davon 160.000 an andere Orte in Tschetschenien und die übrigen in andere Teile der Russischen Föderation und das Ausland (UNHCR, Stellungnahme über Asylsuchende aus der Russischen Föderation im Zusammenhang mit der Lage in Tschetschenien, Januar 2002; Bundesamt, Russische Föderation, Checkliste Tschetschenien, August 2003). Die russischen Armeeeinheiten haben, wie schon im ersten Tschetschenienkrieg, an vielen Orten in Tschetschenien sog. Filtrationslager eingerichtet. In diese Lager wurden wahllos tschetschenische Einwohner gebracht, wo nach den Erklärungen der russischen Stellen Terroristen aufgespürt werden sollten. In den Lagern wurden die tschetschenischen Volkszugehörigen systematisch misshandelt, vergewaltigt, gefoltert und getötet (amnesty international, Stellungnahme vom 08.10.2001; Stellungnahme des Europäischen Parlaments zur Lage in Tschetschenien vom 08.03.2001). Auf der Suche nach Terroristen überfielen russische Militäreinheiten ganze Dörfer, nahmen deren Bewohner willkürlich fest und misshandelten sie (amnesty international vom 20.02.2002 an VG Braunschweig). Gespräche mit Flüchtlingen in den Lagern Inguschetiens haben die Greueltaten der russischen Armee bestätigt. Die zahlreichen Menschenrechtsverletzungen waren gravierend. Es kam zu willkürlichen Racheakten an der Zivilbevölkerung. Kriegsverbrechen und Massaker blieben ungesühnt, da die russische Führung kein Interesse an einer Aufklärung und strafrechtlichen Verfolgung zeigte (Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, Russische Föderation, der Tschetschenienkonflikt, Stand Januar 2001). Im Zusammenhang mit dem Militäreinsatz der russischen Armee in Tschetschenien berichteten internationale (z. B. Human Rights Watch) und russische (z. B. Memorial) Menschenrechtsorganisationen über massive Rechtsverletzungen (willkürliche Tötungen von Zivilisten, Folter, zahlreiche Vergewaltigungen, Geiselnahme und Plünderungen) durch die russischen Streitkräfte, aber auch durch die tschetschenischen Partisanen. Bestand der Verdacht, dass sich in einem Dorf Rebellen versteckt halten, fanden Säuberungsaktionen durch russische Soldaten statt. Die Männer wurden auf körperliche Spuren von Kampfhandlungen untersucht, der Ort geplündert und oftmals kam es zu Gewaltanwendungen gegenüber der Bevölkerung (vgl. Bundesamt, Russische Föderation, der Tschetschenienkonflikt, Januar 2001).

Angesichts dieses trotz der weitgehenden Behinderung unabhängiger Berichterstattung durch die Behörden in vielen Einzelheiten dokumentierten Vorgehens gegen die Zivilbevölkerung in Tschetschenien und der dabei erfolgenden massenhaften und massiven Verletzung asylrechtlich geschützter Rechtsgüter ist davon auszugehen, dass tschetschenische Volkszugehörige in Tschetschenien unabhängig davon, ob bei ihnen der konkrete Verdacht der Unterstützung von separatistischen Gruppierungen bestand unmittelbar und jederzeit damit rechnen mussten, selbst Opfer der Übergriffe der russischen Armeeeinheiten zu werden, weshalb davon auszugehen ist, dass sie im Zeitpunkt der Ausreise des Klägers einer gegen sie als tschetschenische Volkszugehörige gerichteten Gruppenverfolgung unterlagen (ebenso OVG der freien Hansestadt Bremen, Urteil vom 23. März 2005 - 2 A 116/03.A -; VG Kassel, Urteil vom 15.04.2003 - 2 E 802/02.A - unter Hinweis auf weitere erstinstanzliche Rechtsprechungen; die Frage der Vorverfolgung offen lassend bzw. eine inländische Fluchtalternative bejahend Bay. VGH, Urteil vom 31.01.2005 - 11 B 02.31597 -; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 12.07.2005 - 11 A 2307/03.A -; OVG des Saarlands, Urteil vom 23.06.2005 - 2 R 17.03 -; OVG Schleswig, Beschluss vom 07.10.2004 - 1 LA 79/04 -; anderer Auffassung insoweit auch das Vorliegen einer regionalen Gruppenverfolgung verneinend: Thüringer OVG, Urteil vom 16.12.2004 - 3 KO 1003/04 -).

Es kann dahinstehen, ob dem Kläger allein hinsichtlich seiner tschetschenischen Volkszugehörigkeit im Zeitpunkt der Ausreise eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung stand, da er zumindest heute bei Rückkehr in die Russische Föderation dort mit Ausnahme der weiter unten genannten Regionen sowie Tschetscheniens selbst hinreichend sicher vor erneuten asylerheblichen Verfolgungsmaßnahmen wäre und er dort auch nicht anderen existentiellen Bedrohungen ausgesetzt wäre, die so am Herkunftsort nicht bestünden, wenn man von der noch darzulegenden Unzumutbarkeit einer auch nur vorübergehenden Rückkehr nach Tschetschenien zwecks Passbeschaffung absieht. Dabei geht der Senat in Übereinstimmung mit dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof davon aus, dass dem Kläger erst recht eine dauernde Aufenthaltsnahme in der Tschetschenischen Republik selbst nicht zugemutet werden kann, da sich dort die Sicherheitslage seit Mai 2004 nach einem vorübergehenden leichten Abflauen der Auseinandersetzungen wieder erheblich verschlechtert hat und die menschenrechtliche Lage in Tschetschenien äußerst besorgniserregend bleibt. Zu dieser - negativen -Einschätzung gelangt auch das Auswärtige Amt in seinem aktuellen Lagebericht Russische Föderation einschließlich Tschetschenien vom 15. Februar 2006, Stand Dezember 2005. Tschetschenien ist aufgrund der Sicherheitslage, bürokratischer Hemmnisse und von Korruption der örtlichen Verwaltung und der Sicherheitskräfte für humanitäre Hilfslieferungen nur schwer zugänglich (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der russischen Föderation [Tschetschenien] 30.08.2005). Beim Vorgehen der Sicherheitskräfte kommt es nach Angaben unabhängiger Nichtregierungsorganisationen und nach Presseberichten weiterhin regelmäßig zu Übergriffen auch gegen die Zivilbevölkerung. An die Stelle flächendeckender "Säuberungsaktionen" sind gezielte "Säuberungsaktionen" getreten. Angaben von russischer Seite, dass die fortgesetzten Entführungen ausschließlich auf das Konto von als Soldaten verkleideten Rebellen oder der persönlichen Sicherheitskräfte des Leiters der tschetschenischen Verwaltung Kadyrow gingen, sind unglaubwürdig. Fest steht, dass die Opfer häufig nicht erkennen können, wer die Täter sind. Bedenklich ist weiterhin - so die Nichtregierungsorganisationen, kritische Beobachter und Presseberichte - die sich fortsetzende weitgehende Straflosigkeit nach Übergriffen durch die Sicherheitskräfte (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation [Tschetschenien] 30.08.2005). Der Tschetschenienkonflikt, der sich inzwischen auf den gesamten Nordkaukasus ausgedehnt hat, ist ein destabilisierendes Moment für die gesamte Russische Föderation, wie die Kette der Terroranschläge in der Region und in Moskau 2004/05 gezeigt hat. Nach wie vor werden in Tschetschenien von allen Konfliktparteien schwere Menschenrechtsverletzungen begangen, die Krisenlage hat sich allenfalls minimal verbessert (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht, Stand Dezember 2005). Die Lebensumstände für die Mehrheit der tschetschenischen Bevölkerung haben sich nach Angaben von internationalen Hilfsorganisationen in letzter Zeit nur leicht verbessert (in den Nachbarrepubliken Dagestan, Inguschetien und Karbadino-Balkarien sogar eher verschlechtert).

Nichtregierungsorganisationen, internationale Organisationen und Presse berichten, dass es auch nach Beginn des "politischen Prozesses" zu erheblichen Menschenrechtsverletzungen durch russische und pro-russische tschetschenische Sicherheitskräfte gegenüber der tschetschenischen Zivilbevölkerung komme, dabei insbesondere zu willkürlichen Festnahmen, Entführungen, Verschwindenlassen und Ermordung von Menschen, Misshandlungen, Vergewaltigungen, Sachbeschädigung und Diebstählen. Dies sei häufig darauf zurückzuführen, dass reales Ziel der in Tschetschenien eingesetzten Zeitsoldaten, Milizionäre und Geheimdienstangehörigen Geldbeschaffung und Karriere sei. In den ersten elf Monaten des Jahres 2005 wurden nach Angaben der russischen Menschenrechtsorganisation "Memorial" 236 Menschen entführt, von denen 93 befreit, 13 getötet, acht in Untersuchungshaft und 122 immer noch vermisst seien. Seit Beginn des zweiten Tschetschenienkrieges im Jahr 1999 seien insgesamt etwa 5.000 Personen verschwunden. Schwere Verbrechen und Vergehen werden auch von Seiten der Rebellen begangen. Neben den Aufsehen erregenden Terroranschlägen gegen die Zivilbevölkerung werden auch bei vielen Aktionen gegen russische Sicherheitskräfte Opfer unter der Zivilbevölkerung bewusst in Kauf genommen. Außerdem verüben die Rebellen gezielt Anschläge gegen Tschetschenen, die mit den russischen Behörden zusammenarbeiten. Die strafrechtliche Verfolgung der Menschenrechtsverletzungen bleibt weiter hinter deren Ausmaß zurück, so dass nach Ansicht von Nichtregierungsorganisationen ein "Klima der Straflosigkeit" entstanden sei. Dies kritisieren auch der Berichterstatter des Europarats, Rudolf Bindig, (Bericht zu Tschetschenien vom 20.09.2004 und zur Russischen Föderation allgemein vom 03.06.2005) und der Menschenrechtskommissar des Europarates Gil-Robles in seinem Bericht vom April 2005 (vgl. insgesamt Auswärtiges Amt, Lagebericht, Stand: Dezember 2005).

In den Gebieten Tschetscheniens, in denen sich russische Truppen aufhalten (dies betrifft mit Ausnahme der schwer zugänglichen Gebirgsregionen das gesamte Territorium der Teilrepublik), ist die Sicherheit der Zivilbevölkerung wegen ständiger Razzien, Guerillaaktivitäten, Geiselnahmen, "Säuberungsaktionen", Plünderungen und Übergriffen (durch russische Soldaten und Angehörige der Truppe von Ramsan Kadyrow) nicht gewährleistet (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht, Stand 30.08.2005; Bay. VGH, Urteil vom 31.01.2005 - 11 B 02.31597 -).

Nach Auffassung des Senats ist damit die von der Rechtsprechung geforderte Verfolgungsdichte gegeben, da es sich nach der zitierten Auskunftslage insbesondere auch des Auswärtigen Amtes nicht nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe handelt, sondern die tschetschenische Zivilbevölkerung in Tschetschenien aktuell der Gefahr eigener Betroffenheit hinsichtlich der geschilderten Übergriffe ausgesetzt ist.

Der Kläger kann aber nicht auf die gesamte Russische Föderation - mit Ausnahme Tschetscheniens - als inländische Fluchtalternative verwiesen werden. In Übereinstimmung mit dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (Urteil vom 31. Januar 2005 - B 02.31597 -) geht auch der Senat zunächst davon aus, dass die Russische Föderation hinsichtlich der Frage, ob einzelne Landesteile als inländische Fluchtalternative in Betracht kommen, einer differenzierten Betrachtung unterzogen werden muss, wobei den Schwierigkeiten, sich an einem Ort des vorübergehenden Aufenthalts registrieren zu lassen, besondere Bedeutung zukommt.

Dabei verkennt der Senat nicht, dass Tschetschenen grundsätzlich wie allen russischen Staatsbürgern das Recht der Freizügigkeit, der freien Wahl des Wohnsitzes und des Aufenthaltsrechts in der Russischen Föderation außerhalb von Tschetschenien zusteht. Diese Rechte sind in der Verfassung verankert. Jedoch wird in der Praxis an vielen Orten der legale Zuzug von Personen aus den südlichen Republiken der Russischen Föderation durch Verwaltungsvorschriften stark erschwert. Diese Zuzugsbeschränkungen gelten unabhängig von der Volkszugehörigkeit, wirken sich jedoch im Zusammenhang mit antikaukasischer Stimmung stark auf die Möglichkeit rückgeführter Tschetschenen aus, sich legal dort niederzulassen. 1993 erließ die russische Regierung das sog. Föderationsgesetz. Es beinhaltet die Schaffung eines Registrierungssystems am gegenwärtigen Aufenthaltsort ("vorübergehende Registrierung") oder am Wohnsitz ("dauerhafte Registrierung"), bei dem die Bürger den örtlichen Stellen des Innenministeriums ihren Aufenthalts- und Wohnort melden. Das davor geltende "Propiska"-System sah nicht nur die Meldung durch den Bürger, sondern auch die Gestattung oder Verweigerung durch die Behörden vor. Trotz der Systemumstellung wenden viele Regionalbehörden der Russischen Föderation restriktive örtliche Vorschriften oder Verwaltungspraktiken an. Aufgrund der restriktiven Vergabepraxis von Aufenthaltsgenehmigungen haben Tschetschenen erhebliche Schwierigkeiten, außerhalb Tschetscheniens eine offizielle Registrierung zu erhalten. In einem Sonderbericht vom Oktober 2000 kritisierte der Ombudsmann der Russischen Föderation die regionalen Vorschriften, die im Widerspruch zu den nationalen Vorschriften stehen, sowie rechtswidrige Vollzugspraktiken. Zahlreiche Nichtregierungsorganisationen berichten, dass Tschetschenen, besonders in Moskau, häufig die Registrierung verweigert wird. Die Registrierung legalisiert den Aufenthalt, und die Registrierung am Wohnort ist Voraussetzung für den Zugang zur Sozialhilfe, zu staatlich gefördertem Wohnraum oder Zugang zum kostenlosen Gesundheitssystem sowie zu den Bildungseinrichtungen (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation [Tschetschenien] vom 30.08.2005; UNHCR an Bay. VGH vom 29.10.2003). Personen, denen die Registrierung verwehrt wird, versuchen ihr Überleben unter Vorenthaltung elementarer sozialer Rechte sicherzustellen. Sie sind bei Kontrollen zudem der Willkür staatlicher Bediensteter ausgeliefert (vgl. UNHCR an Bay. VGH vom 29.10.2003) und daher auf ein Leben in der Illegalität verwiesen. Orte, an denen tschetschenische Binnenvertriebene eine Registrierung nicht erhalten können, scheiden als inländische Fluchtalternative aus, weil diese Orte nicht als hinreichend sicher im Sinne der oben genannten Rechtsprechung anerkannt werden können, da es für die Flüchtlinge nicht zumutbar ist, sich dort niederzulassen. Zurückkehrenden Flüchtlingen drohen zudem an diesen Orten mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit sonstige existentielle Gefährdungen, die so am Herkunftsort nicht bestünden, da sie dort in ständiger Unsicherheit ein Leben in der Illegalität führen müssen, wobei sie weder einen Zugang zum legalen Arbeitsmarkt, noch zur Gesundheitsfürsorge und Bildungseinrichtungen haben. Insbesondere die Verweigerung des Zugangs zum Wohnungsmarkt, zu den Bildungseinrichtungen sowie zum Gesundheitswesen lassen derartige Regionen als inländische Fluchtalternative ausscheiden.

In der Stellungnahme vom Januar 2002 führte der UNHCR zusammenfassend aus, tschetschenische Binnenvertriebene hätten praktisch keinen Zugang zu Kabardino-Balkarien und Karatschai-Tscherkessien und keine Möglichkeit, sich dort rechtmäßig aufzuhalten. Die sehr geringe Zahl tschetschenischer Binnenvertriebener in der Republik Nord-Ossetien-Alanien und in den Verwaltungsregionen Strawopol und Krasnodar sei erklärbar durch die restriktiven Vorschriften und Praktiken, die den Betroffenen den Aufenthalt dort unmöglich machten, sowie durch die Zurückhaltung der Binnenvertriebenen selbst, das Wagnis einzugehen, sich in Regionen zu begeben, in denen ihnen Behörden und einheimische Bevölkerung feindselig gegenüberstünden. Die Kombination aus restriktiven örtlichen Vorschriften betreffend die Freizügigkeit und die Wahl des Aufenthalts- bzw. Wohnortes, einer anti-tschetschenischen Stimmung in der Öffentlichkeit und ernsthafter Sorgen auf Seiten der örtlichen Behörden, keine ethnischen Spannungen aufkommen zu lassen und terroristische Handlungen zu verhindern, nähmen tschetschenischen Binnenvertriebenen die Möglichkeit einer echten internen Relokationsalternative außerhalb von Tschetschenien. Anders als Personen, die sich im Besitz einer Wohnsitzregistrierung befänden, gebe es derzeit in der Praxis keine Gewissheit, ob Personen, die an einem Aufenthaltsort registriert seien, eine Verlängerung des Aufenthalts genehmigt würde oder sich nach einer Reise oder einem Auslandsaufenthalt nach ihrer Rückkehr an ihren Aufenthaltsort wieder registrieren lassen könnten. Nach Berichten einiger örtlicher Nichtregierungsorganisationen, die sich für die Rechte der Vertriebenen einsetzten, würden ethnisch-russische Binnenvertriebene an ihren Zielorten von der einheimischen Bevölkerung und den örtlichen Behörden oft nicht sehr freundlich aufgenommen. Viele von ihnen berichteten über Schwierigkeiten bei der Registrierung des Aufenthaltsorts bzw. bei deren Verlängerung. Es gebe allerdings keine Anzeichen für polizeiliche Schikanen größeren Ausmaßes, wie sie tschetschenische Binnenvertriebene in vielen Regionen erlebten. In jenen Regionen, die die Registrierung des Aufenthalts vom Vorhandensein naher Verwandter in ihrem Territorium abhängig machten, könnten ethnisch-russische Binnenvertriebene möglicherweise auf Angehörige verweisen, die während des Konflikts der Jahre 1994 bis 1996 vertrieben worden seien. Bei der Prüfung, ob tschetschenische Asylsuchende des internationalen Schutzes bedürften und ob für sie die Möglichkeit einer internen Relokation bestehe, sei, wie dargelegt, eine Unterscheidung zwischen ethnischen Tschetschenen, die aus Tschetschenien vertrieben worden seien und ethnisch-tschetschenischen Bewohnern anderer Regionen der Russischen Föderation erforderlich (vgl. UNHCR, Stellungnahme über Asylsuchende aus der Russischen Förderation im Zusammenhang mit der Lage in Tschetschenien, Januar 2002).

Unter Berücksichtigung der vorstehend dargestellten allgemeinen Situation dieser Erkenntnislage geht der Senat zunächst in Übereinstimmung mit dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof davon aus, dass die Regionen Inguschetien, Kabardino-Balkarien, Krasnodar und Stawropol als Regionen einer inländischen Fluchtalternative ausscheiden.

Die Republik Inguschetien, die vormals die meisten tschetschenischen Flüchtlinge aufgenommen hatte, scheidet mittlerweile als inländische Fluchtalternative aus, da dort aufgrund der zwangsweisen Schließung von Flüchtlingslagern, der Verweigerung der Registrierung sowie vermehrter Präsenz und Schikanen durch russische Sicherheitskräfte ein erheblicher "Rückkehrdruck" auf Tschetschenen ausgeübt wird die dort Zuflucht gefunden haben (vgl. UNHCR an Bay. VGH vom 29.10.2003), um das politisch genannte Ziel einer zeitnahen Schließung aller Flüchtlingslager in Inguschetien (am häufigsten genannte Frist: Ende 2003) zu erreichen (vgl. Auswärtiges Amt an Bayerischen Verwaltungsgerichtshof vom 12.11.2003). Zwar wird von offizieller russischer Seite immer wieder betont, dass die Rückkehr strikt freiwillig erfolgen solle und offener Zwang, wie bei der Schließung des Flüchtlingslagers "Imam" bei Aki-Jurt zum 1. Dezember 2002 nicht mehr angewandt werden solle, gleichwohl bestätigt auch das Auswärtige Amt, dass mehr oder weniger verdeckte Elemente von Zwang im Rückkehrprozess nicht ausgeschlossen werden können: verstärkte Aktivitäten der Sicherheitskräfte, Deregistrierung von Flüchtlingen (z. B. durch tägliche Registrierung und sofortige Deregistrierung all derer, die nicht angetroffen werden), Störungen bei Wasser- und Stromversorgung, vage Drohungen, dass, wer nicht zurückkehre, das Anrecht auf Kompensationszahlungen für im Krieg in Tschetschenien verlorenes Eigentum verliere oder keinen Platz mehr in den zeitweiligen Flüchtlingsunterkünften in Tschetschenien erhalte (vgl. Auswärtiges Amt an Bay. VGH, 12.11.2003). Bei dieser Sachlage kann zur Überzeugung des Senats von einer hinreichenden Sicherheit bei Rückkehr nach Inguschetien nicht gesprochen werden.

Der Bejahung einer inländischen Fluchtalternative in Kabardino-Balkarien steht entgegen, dass nicht hinreichend gewährleistet ist, dass der Kläger dort einen legalen Aufenthalt begründen kann.

In einer Entschließung, die das Parlament von Kabardino-Balkarien 1994 verabschiedete und 1997 abänderte, wurde russischen Bürgern aus anderen Regionen der Föderation, die keine engen familiären Beziehungen zu Bewohnern Kabardino-Balkariens haben, der Aufenthalt und die Niederlassung in dieser Teilrepublik ausdrücklich untersagt, dieses Verbot ist nach wie vor in Kraft (vgl. UNHCR, Stellungnahme über Asylsuchende der Russischen Förderation im Zusammenhang mit der Lage in Tschetschenien, Januar 2002; Bay. VGH, Urteil vom 31.01.2005 - 11 B 02.31597 -). Kabardino-Balkarien steht sowohl wegen Verstößen gegen die Verfassung als auch gegen die Vorschriften der Föderation über die Freizügigkeit und die Wahl des Aufenthalts und Wohnorts der Bürger regelmäßig im Visier des Ombudsmanns der Russischen Föderation (vgl. UNHCR, a. a. O.). In seiner Stellungnahme an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof vom 29. Oktober 2003 weist der UNHCR darauf hin, dass der Übergang vom "Propiska" System zum neuen Registrierungssystem in der Praxis nicht geglückt ist und sich örtliche Behörden in der gesamten Russischen Föderation die Entscheidung darüber vorbehalten, die Modalitäten der Umsetzung des Rechts auf Freizügigkeit und der Wahl des Aufenthalts und des Wohnorts festzulegen mit der Folge, dass aufgrund restriktiver örtlicher Vorschriften und Verwaltungspraktiken vielerorts faktisch eine Situation fortbesteht, die weitgehend der unter der Geltung des alten "Propiska"-Systems entspricht. Der UNHCR weist in der zitierten Stellungnahme weiter darauf hin, dass die jeweilige konkrete Situation in den Landesteilen seiner kritischen Stellungnahme vom Januar 2002 entspreche, insoweit habe sich keine Änderung ergeben. Nach Auskunft der Menschenrechtsorganisation Memorial in dem Bericht "Zur Situation der Bürger Tschetscheniens in der Russischen Föderation Juni 2004 bis Juni 2005" vom 30. Juni 2005 ist in Kabardino-Balkarien die Entscheidung der Administration von Naltschik vom 29. April 2004 "Provisorische Maßnahmen zur Begrenzung der Registrierung von Personen, die zur ständigen Wohnsitznahme nach Naltschik reisen" nach wie vor gültig. Entsprechend dieser Entscheidung ist es für alle Neuankömmlinge in Naltschik verboten, sich vor Ort registrieren zu lassen, Geschäfte mit Immobilien einzutragen, Ehen und die Geburt von Kindern zu registrieren. In Kabardino-Balkarien stoßen laut Auskunft von Memorial tschetschenische Migranten überall auf Ablehnung, bei staatlichen und städtischen Organen, bei Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen. Zusätzlich ergibt sich aus dem Bericht von Memorial "Bewohner Tschetscheniens in der Russischen Föderation, Juni 2003 bis Mai 2004", dass ein Betroffener sein subjektives Recht, an einem Ort seiner Wahl innerhalb der Russischen Föderation einen Wohnsitz zu begründen oder sich dort vorübergehend niederzulassen, in Kabardino-Balkarien auch gerichtlich nicht mit der erforderlichen Gewissheit durchsetzen kann (vgl. auch Bay. VGH, Urteil vom 31. Januar 2005 - 11 B 02.31597 -). Der Angriff von mehr als 200 islamischen Untergrundkämpfern auf die Stadt Naltschik im Oktober 2005 (vgl. FAZ Sonntagszeitung, 23.10.2005; FAZ, 15.10.2005) dürfte die Situation in Karbadino-Balkarien für tschetschenische Volkszugehörige noch schwieriger werden lassen, umfangreiche "Säuberungen" waren eine Reaktion auf den Angriff. Danach steht zur Überzeugung des Senats fest, dass Kabardino-Balkarien als zumutbare inländische Fluchtalternative nicht in Betracht kommt, da dort selbst nach Einschaltung gerichtlicher Hilfe eine ordnungsgemäße Registrierung für Flüchtlinge nicht zu erwarten ist.

Ähnlich wie in Kabardino-Balkarien stellt sich die Situation in den Regionen Krasnodar und Stawropol dar, die ebenfalls wegen Verstößen gegen verfassungs- und förderationsrechtliche Bestimmungen über die Freizügigkeit durch den Ombudsmann der Russischen Föderation mehrfach zur Verantwortung gezogen wurden (vgl. UNHCR, Stellungnahme über Asylsuchende aus der Russischen Förderation im Zusammenhang mit der Lage in Tschetschenien, Januar 2002; so auch Bay. VGH, Urteil vom 31.01.2005 - 11 B 02.31597 -). Insbesondere besteht auch in der Region Krasnodar ein Gesetz, das den Schluss zulässt, dass Personen, die keine verwandtschaftlichen, ethnischen oder kulturellen Bindungen zu diesem Gebiet aufweisen, erhebliche Schwierigkeiten haben werden, dort eine Registrierung ihres Wohn- und Aufenthaltsorts zu erreichen (vgl. UNHCR, Stellungnahme vom Januar 2002; Bay. VGH, a. a. O.). Für die auf eine inländische Fluchtalternative verwiesenen Kläger stellen sich daher die genannten Regionen nicht als zumutbare Fluchtgebiete dar.

Darüber hinaus geht der Senat auch hinsichtlich weiterer Regionen davon aus, dass diese als inländische Fluchtalternative ausscheiden, worauf im Einzelnen im Folgenden einzugehen ist.

Auch die russische Hauptstadt Moskau sowie St. Petersburg kommen als inländische Fluchtalternative nicht ohne weiteres in Betracht, da nach den dem Senat vorliegenden Erkenntnismitteln dort eine Registrierung nur unter sehr erschwerten Bedingungen möglich ist. Nach Auskunft des Menschenrechtszentrums Memorial in seiner Stellungnahme vom 30. Juni 2005 "Zur Situation der Bürger Tschetscheniens in der Russischen Föderation Juni 2004 bis Juni 2005" finden Zuzugsbeschränkungen für aus Tschetschenien stammende Personen besonders rigoros in der Region Moskau sowie den Gebieten Krasnodar und Kabardino-Balkarien Anwendung. Das Auswärtige Amt führt in dem Lagebericht vom 30. August 2005 aus, dass das Recht auf Freizügigkeit in der Verfassung zwar verankert ist, jedoch in der Praxis an vielen Orten - unter anderem in großen Städten wie z. B. Moskau und St. Petersburg - der legale Zuzug von Personen aus den südlichen Republiken der Russischen Föderation durch Verwaltungsvorschriften stark erschwert wird. Diese Zuzugsbeschränkungen gelten unabhängig von der Volkszugehörigkeit, wirken sich jedoch im Zusammenhang mit antikaukasischer Stimmung stark auf die Möglichkeit rückgeführter Tschetschenen aus, sich legal dort niederzulassen. Nach Moskau zurückgeführte Tschetschenen haben in der Regel nur dann eine Chance, in der Stadt überhaupt Aufnahme zu finden, wenn sie auf ein Netzwerk von Bekannten oder Verwandten zurückgreifen können (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation <Tschetschenien> 30.08.2005). In der Praxis ist es seit Ende 1999 tschetschenischen Binnenvertriebenen nahezu unmöglich, in Moskau eine Registrierung ihres Aufenthaltes zu erhalten. Sie befinden sich in einem Teufelskreis: Um den Vertriebenenstatus beantragen zu können, benötigen sie eine Aufenthaltsregistrierung, die ihnen in der Praxis jedoch verwehrt wird. Aufgrund der fehlenden vorübergehenden Registrierungen sind Binnenvertriebene in Moskau nicht in der Lage, ihre grundlegenden sozialen und bürgerlichen Rechte auszuüben. Dies betrifft etwa den Zugang zur legalen Beschäftigung, medizinischer Versorgung und Bildung. Es gibt Berichte über die Einziehung von Passpapieren durch die Polizei, Inhaftierungen und Erpressung von Geldbeträgen (vgl. UNHCR, Stellungnahme über Asylsuchende aus der Russischen Föderation im Zusammenhang mit der Lage in Tschetschenien, Januar 2002; UNHCR an Bay. VGH vom 29.10.2003). Nach Informationen örtlicher Menschenrechtsgruppen ergibt die Situation in Russlands zweitgrößter Stadt St. Petersburg, hinsichtlich der restriktiven Praktiken bei der Registrierung des Aufenthalts von tschetschenischen Binnenvertriebenen ein ähnliches Bild (vgl. UNHCR, Stellungnahme über Asylsuchende aus der Russischen Föderation im Zusammenhang mit der Lage in Tschetschenien, Januar 2002). Dass hierbei die restriktive Handhabung der Zuzugsregelungen in den beiden großen russischen Städten nicht nur für tschetschenische Volkszugehörige, sondern unabhängig von der Volkszugehörigkeit gelten, ändert nichts an der Tatsache, dass diese Regionen ohne Hinzutreten weiterer Besonderheiten als inländische Fluchtalternative ausscheiden, da aufgrund der restriktiven Registrierungspraxis von einer hinreichenden Sicherheit am Ort der inländischen Fluchtalternative nicht gesprochen werden kann, bzw. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die genannten Gefährdungen drohen und sich die Verweigerung der Registrierung für aus einem Teil ihres Heimatlandes Vertriebene ungleich härter darstellt, als für sonstige Zugereiste, da jene auf die Existenz eines Fluchtortes angewiesen sind.

Ob die soeben genannten Regionen mit restriktiven Zuzugsbeschränkungen sowie die weiteren Regionen der Russischen Förderation, die nicht bereits als Orte einer inländischen Fluchtalternative ausgeschlossen worden sind, an denen jedoch nach den oben gemachten Ausführungen ebenfalls mit Beschränkungen der Registrierung zu rechnen ist, als inländische Fluchtalternative in Betracht kommen, hängt jeweils von der individuellen Durchsetzungsfähigkeit und den Möglichkeiten des Schutzsuchenden sowie seiner persönlichen Beziehungen und Anknüpfungspunkte außerhalb der tschetschenischen Republik ab. Letztendlich ist es eine Entscheidung des Einzelfalls, ob aufgrund der vorhandenen Beziehungen des Schutzsuchenden zu außerhalb von Tschetschenien aber innerhalb der Russischen Föderation lebenden Personen und/oder ob aufgrund seiner persönlichen Fähigkeiten davon ausgegangen werden kann, dass er trotz zu erwartender Schwierigkeiten auch in den übrigen Landesteilen der Russischen Föderation etwa bei der Registrierung sich erfolgreich hiergegen wird zur Wehr setzen können und sich am Ort der inländischen Fluchtalternative eine zumutbare Existenz wird aufbauen können. Dies kann nicht gleichermaßen für allein stehende Männer, Familien mit kleinen Kindern, allein stehende Frauen und ältere Personen beurteilt werden. In Anbetracht der Tatsache, dass nicht registrierte Tschetschenen allenfalls in der tschetschenischen Diaspora innerhalb Russlands untertauchen und dort überleben können und ihre Lebensverhältnisse insbesondere davon abhängen werden, ob sie über Geld, Familienanschluss, Ausbildung und russische Sprachkenntnisse verfügen (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation [Tschetschenien] 30.08.2005) muss aufgrund der Aufenthaltsorte vor Ausreise aus der Russischen Förderation, der persönlichen Beziehungen dorthin sowie der individuellen Fähigkeiten des Schutzsuchenden entschieden werden, ob eine hinreichend sichere Rückkehr in die Russische Förderation mit Ausnahme Tschetscheniens zumutbar ist. In Übereinstimmung mit dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof geht der Senat davon aus, dass die Lebensumstände jedenfalls solcher Tschetschenen, die aus dem Bürgerkriegsgebiet stammen (d. h. die sich nicht bereits vor Ausbruch des Konflikts andernorts dauerhaft und sicher in der Russischen Föderation angesiedelt und sich in einer russisch geprägten Umgebung sozialisiert haben), auch in den als hinreichend sicher einzustufenden Teilen Russlands schwierig sind. Die vorstehend aufgezeigten Gegebenheiten rechtfertigen es deshalb nicht ohne weiteres, das Bestehen einer inländischen Fluchtalternative für jeden tschetschenischen Asylsuchenden zu bejahen. Gesonderter, sorgfältiger Betrachtung bedarf namentlich die Frage, ob bereits die Schwierigkeiten und Verzögerungen, die ein Angehöriger dieses Volkes weiterhin in Kauf nehmen muss, um in den hierfür in Betracht kommenden Landesteilen einen legalen Aufenthalt zu begründen, ihn in eine "ausweglose Lage" bringen kann. Ob das z. B. bei Kindern, bei Alten, Kranken oder behinderten Personen bzw. bei solchen Menschen der Fall ist, die aus sonstigen Gründen (z. B. weil sie für andere sorgen müssen und deshalb keiner Erwerbstätigkeit nachgehen können) auch nur für eine beschränkte Zeit nicht ohne Leistung der staatlichen Daseinsfürsorge in menschwürdiger Weise existieren könnten, kann nicht mit Allgemeingültigkeit für alle Fälle entschieden werden (vgl. Bay. VGH, Urteil vom 31.01.2005 - 11 B 02.31597).

Hierbei befindet sich die tschetschenische Diaspora innerhalb der Grenzen der Russischen Föderation insbesondere in Dagestan, Inguschetien, der Republik Komi, St. Petersburg, Nord-Ossetien-Alanien, Moskau, Rostow, Tambow und Tyumen Oblast. Zwar berichtet amnesty international in seiner Stellungnahme an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof auch hinsichtlich der Regionen Nischni Nowgorod, Kaliningrad, Karatschai-Tscherkessien und Nord-Ossetien-Alanien von Beschränkungen des Aufenthalts, ebenso berichtet Memorial in seiner Stellungnahme "Zur Situation der Bürger Tschetscheniens in der Russischen Föderation Juni 2004 bis Juni 2005" von Schwierigkeiten der Registrierung auch in Tambow, gleichwohl kann hierdurch das Vorliegen einer inländischen Fluchtalternative nicht von vornherein und für alle Fallgruppen verneint werden. Hierbei verkennt der Senat nicht, dass es für den einzelnen Flüchtling mit Schwierigkeiten verbunden sein wird, bei einer derartig komplexen Verfolgungslage einen sicheren Ort aufzufinden und grundsätzlich von einer in ihrer Heimatregion verfolgten Person nicht verlangt werden kann, in ihrem Herkunftsland ohne weitere Orientierung "herumzuvagabundieren", bis sie schließlich, ggfs. nach mehreren erfolglosen Versuchen, einen sicheren Ort ausfindig macht. Insoweit wird die Rechtsprechung auch die weitere Entwicklung in der Russischen Föderation im Auge behalten müssen um zu beurteilen, ob die Voraussetzungen für das Vorliegen einer inländischen Fluchtalternative auch weiterhin noch gegeben sind. Unter der Voraussetzung, dass die Regionen Inguschetien, Kabardino-Balkarien, Krasnodar, Stawropol, Moskau und St. Petersburg als inländische Fluchtalternativen in der Regel ausscheiden, verbleiben die Regionen der tschetschenischen Diaspora in Rostow, Dagestan, Komi, Tambow, Tyumen - teils mit Einschränkungen - als mögliche Anknüpfungspunkte innerhalb der Russischen Föderation, in denen bereits tschetschenische Volkszugehörige Aufnahme gefunden haben bzw. sich dort angesiedelt haben.

Grundsätzlich kann für den im Zeitpunkt der Entscheidung 35-jährigen Kläger davon ausgegangen werden, dass er sich als allein stehender Mann eine Existenz wird aufbauen können und sich gegen eventuell stattfindende Benachteiligungen wird zur Wehr setzen können. Hierbei verkennt der Senat nicht, dass gerade junge Männer im Alter des Klägers leicht in das Fadenkreuz von Ermittlungen der russischen Sicherheitskräfte geraten können und sich Überprüfungen im Rahmen der Terrorismusabwehr stellen müssen. Trotz einzelner Übergriffe ist jedoch nicht belegt, dass Tschetschenen in der gesamten Russischen Föderation mit asylrelevanten Übergriffen zu rechnen haben, insbesondere kann dem russischen Staat nicht abgesprochen werden, im Rahmen der Terrorismusabwehr auch großflächige Ermittlungen durchzuführen. Kontrollen als solche, wie z. B. Wohnungsdurchsuchungen oder Razzien, seien sie rechtmäßig oder seien sie illegal, erreichen nicht notwendige die erforderliche Eingriffsintensität. Maßnahmen, die nicht mit einer Gefahr für Leib und Leben oder Beschränkungen der persönlichen Freiheit verbunden sind, bilden nur dann einen Verfolgungstatbestand, wenn sie nach Intensität und Schwere die Menschenwürde verletzen und über das hinausgehen, was die Bewohner des jeweiligen Landes aufgrund des dort herrschenden Systems allgemein hinzunehmen haben (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.03.1987 - 9 C 321.85 - in Buchholz 402.25, § 1 AsylVfG Nr. 64, S. 17; OVG NRW, Urteil vom 12.07.2005 - 11 A 2307/03.A -).

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat in seinem bereits mehrfach zitierten Urteil vom 31. Januar 2005 - 11 B 02.31597 - zutreffend ausgeführt, dass ein Tschetschene, soweit er über gültige Ausweispapiere als auch eine Registrierung an dem Ort, an dem er sich aufhält, verfügt, der russischen Staatsgewalt keine Handhabe dafür gibt, ihn mit asylrechtlich relevanten Maßnahmen zu überziehen. Dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof lagen zum Zeitpunkt seiner Entscheidung ebenso wenig wie dem Senat Erkenntnisse darüber vor, dass Tschetschenen, die diese Anforderungen erfüllten und in ihrer Person auch keinen sonstigen Anlass zu polizeilichem Einschreiten gegeben haben, in jüngster Zeit außerhalb derjenigen Teile der Russischen Förderation, die nach dem Vorgesagten nicht als hinreichend sicher angesehen werden können, seitens der russischen Staatsgewalt in asylrechtlich erheblicher Weise belangt wurden. Außer Betracht zu bleiben hat in diesem Zusammenhang der Umstand, dass Tschetschenen, ebenso wie andere kaukasisch aussehende Personen, öfters als andere Bewohner der Russischen Föderation kontrolliert werden (vgl. amnesty international an Bay. VGH vom 16.04.2004). So berichtet auch das Auswärtige Amt in seinem Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation (Tschetschenien) vom 30.08.2005, das nach der Moskauer Geiselnahme 2002 sich im Zusammenhang mit der intensiven Fahndung nach den Drahtziehern und Teilnehmern der Kontrolldruck gegenüber kaukasisch aussehende Personen in Moskau und anderen Teilen Russlands signifikant erhöht hat. Russische Menschenrechtsorganisationen berichten von einer verschärften Kampagne der Miliz gegen Tschetschenen, bei denen einziges Kriterium die ethnische Zugehörigkeit sei; kaukasisch aussehende Personen stünden unter einer Art Generalverdacht. Personenkontrollen (Ausweise, Fingerabdrücke) auf der Straße, in der U-Bahn und Hausdurchsuchungen (häufig ohne Durchsuchungsbefehle) seien verschärft worden. Die Terroranschläge im August 2004 (Absturz zweier Flugzeuge in Südrussland, Sprengstoffanschläge an einer Bushaltestelle und am Rigaer Bahnhof in Moskau) und die Geiselnahme in der Schule von Beslan/Nord-Ossetien am 1. September 2004 haben diesen Druck noch weiter erhöht, zumal die Sicherheitsbehörden befürchten, dass weitere Selbstmordattentäter eingeschleust werden (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation [Tschetschenien] vom 30.08.2005). Muss jemand seinen Ausweis vorzeigen und er ggf. auch Durchsuchungen seiner Person, mitgeführter Gegenstände sowie seiner Wohnung dulden, beeinträchtigt dies - für sich genommen - weder die asylrechtlich ausdrücklich geschützten Rechtsgüter Leben, körperliche Unversehrtheit und persönliche Fortbewegungsfreiheit, noch wird durch solche Maßnahmen, solange sie nicht mit weitergehenden Übergriffen einhergehen, die Menschenwürde verletzt. Der Umstand, dass bei der Auswahl der zu überprüfenden Personen an ethnische Merkmale angeknüpft wird, ändert an der asylrechtlichen Irrelevanz dieser Vorgehensweise solange nichts, als der Bereich sog. polizeilicher "Standardmaßnahmen" nicht überschritten wird. Denn auch nach rechtsstaatlichen Maßstäben müssen es Personen, die aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe in höherem Maße als andere verdächtig sind, eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darzustellen, unter Umständen hinnehmen, in verstärktem Umfang mit polizeilichen Eingriffsmaßnahmen konfrontiert zu werden. Ein solches erhöhtes Besorgnispotenzial ist bei Tschetschenen aufgrund der aus der Mitte dieses Volkes heraus begangenen schweren Terrorakte und angesichts der Verflechtung nicht weniger Angehöriger dieser Ethnie mit der organisierten Kriminalität nicht in Abrede zu stellen (vgl. insgesamt Bay. VGH, Urteil vom 31.01.2005 - 11 B 02.31597). In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs geht auch der Senat davon aus, dass die von Menschenrechtsorganisationen pauschal aufgestellte Behauptung, im Zusammenhang mit Kontroll- und Durchsuchungsmaßnahmen komme es "nicht selten zu tätlichen Übergriffen und anderen Einschüchterungsversuchen durch die Polizei" (vgl. amnesty international an Bay. VGH vom 16.04.2004) nicht den Schluss zulässt, dass Tschetschenen, die über gültige Papiere und eine ordnungsgemäße Anmeldung verfügen und die auch keinen sonstigen Anlass für ein polizeiliches oder sicherheitsbehördliches Einschreiten geben, insoweit in höherem Maße unter Berücksichtigung der asylrelevanten Verfolgungshandlungen als sonstige Bewohner der Russischen Föderation gefährdet sind (vgl. Bay. VGH, Urteil vom 31.01.2005, a. a. O.; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation [Tschetschenien] vom 30.08.2005). Zutreffend weist der Bayerische Verwaltungsgerichtshof auch darauf hin, dass bei den von Memorial geschilderten Fällen der Schikanierung von tschetschenischen Volkszugehörigen in der Russischen Föderation (dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof lag der Bericht von Memorial "Bewohner Tschetscheniens in der Russischen Föderation Juni 2003 bis Mai 2004" vor, dem Senat liegt zusätzlich der Bericht von Memorial, "Zur Situation der Bürger Tschetscheniens in der Russischen Föderation, Juni 2004 bis Juni 2005" vor) die häufigsten Gründe für Verfolgungen durch die Miliz das Fehlen einer Registrierung bzw. der Aufenthalt des Betroffenen an einem anderen Ort als dem darstelle, an dem er gemeldet sei. Über die von dem Senat als asylrelevant angesehene Verweigerung der Registrierung (aufgrund der damit verbundenen Konsequenzen des mangelnden Zugangs zu Bildung, Gesundheitswesen und Wohnraum) werden auch von den Menschenrechtsorganisationen asylrelevante Übergriffe in substantiierter Form nicht dargelegt (vgl. amnesty international an Bay. VGH vom 16.04.2004; Memorial "Bewohner Tschetscheniens in der Russischen Föderation Juni 2003 bis Mai 2004" und "Zur Situation der Bürger Tschetscheniens in der Russischen Föderation, Juni 2004 bis Juni 2005").

Dem Kläger wäre es als allein stehenden jungen Mann grundsätzlich zumutbar, sich an den Ort der inländischen Fluchtalternative zu begeben und sich dort gegen ggfs. stattfindende Registrierungsbeschränkungen zur Wehr zu setzen.

Die inländische Fluchtalternative wäre für den Kläger auch erreichbar.

Zunächst besteht bei der Einreise, die im Falle der Abschiebung üblicherweise über den Flughafen Moskau erfolgen wird, nicht die Gefahr menschenrechtswidriger Behandlung allein wegen der tschetschenischen Volkszugehörigkeit. Dem Auswärtigen Amt sind keine Fälle bekannt, in denen allein das Stellen eines Asylantrags im Ausland bei der Rückkehr russischer Staatsangehöriger zu staatlichen Verfolgungsmaßnahmen geführt hat. Ebenso liegen dem Auswärtigen Amt keine gesicherten Erkenntnisse darüber vor, ob tschetschenische Volkszugehörige nach ihrer Rückführung nach Russland besonderen Repressionen ausgesetzt waren. Im Jahr 2002 hatte es zwei Fälle gegeben, bei denen Mitarbeiter der russischen Nichtregierungsorganisation "Bürgerforum" vergebens mit einem Namensschild am Flughafen Moskau auf die angekündigte, aus Deutschland rückgeführte Person, die wohl auch von dem geplanten Empfang durch das Bürgerforum wusste, warteten. Trotz Nachforschungen der Deutschen Botschaft Moskau bei den offiziellen Stellen und im Zusammenhang mit den Nichtregierungsorganisationen konnte nicht aufgeklärt werden, ob die jeweils rückgeführte Person aufgrund eigenen Entschlusses ein Zusammentreffen mit der Nichtregierungsorganisation verhindert hatte oder ob sie nach dem Passieren der Grenzkontrollen daran gehindert worden war. Eine weitere aus Deutschland abgeschobene Person berichtete 2002, sie sei bei ihrer Einreise von den Grenzbeamten festgehalten und geschlagen worden, danach sei sie auf eigene Kosten nach Nazran (Inguschetien) geflogen und nach Angaben von Verwandten in Inguschetien untergetaucht. In zwei konkreten Rückführungsfällen (November 2003 und März 2004), bei denen Nichtregierungsorganisationen in Deutschland behaupteten, die abgeschobenen Asylbewerber seien bei der Einreise am Flughafen Moskau geschlagen, festgenommen und in einem Fall beraubt worden, haben Nachforschungen des Auswärtigen Amtes ergeben, dass diese Aussagen nicht den Tatsachen entsprechen. In einem Fall wurde die betreffende Person zwar mehrstündigen Befragungen wegen ihres fehlenden Reisepasses unterzogen, doch konnte sie dann problemlos den Flughafen verlassen. Aus den Jahren 2003 und 2004 ist bislang kein recherchierter Fall bekannt, in dem sich die erhobenen Vorwürfe bestätigt haben (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation [Tschetschenien] 30.08.2005). Unabhängig davon ist angesichts der andauernden Aktualität des innenpolitischen Problems Tschetschenien einschließlich anhaltender Anschläge auch in Moskau davon auszugehen, dass rückgeführten Tschetschenen besondere Aufmerksamkeit durch russische Behörden gewidmet wird, insbesondere solchen Personen, die sich in der Tschetschenienfrage engagiert haben bzw. denen die russischen Behörden ein solches Engagement unterstellen (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation <Tschetschenien> 30.08.2005). Hinsichtlich des von dem Kläger behaupteten individuellen Verfolgungsschicksals wird auf die oben gemachten Ausführungen verwiesen, allein aufgrund seiner tschetschenischen Volkszugehörigkeit hat er allenfalls eine intensive Befragung zu befürchten, die konkrete Gefahr menschenrechtswidriger Übergriffe besteht demgegenüber jedoch nicht (vgl. auch Bay. VGH, Urteil vom 31.01.2005 - 11 B 02.31597).

Der Kläger müsste auch eine zwangsweise Verbringung nach Tschetschenien vom Ort der inländischen Fluchtalternative aus nicht befürchten. Zwar arbeitet die russische Regierung auf eine möglichst baldige Rückkehr aller tschetschenischen Binnenflüchtlinge (etwa 500.000) hin und hat, insbesondere in Inguschetien, vermehrt Druck auf die dort angesiedelten tschetschenischen Volkszugehörigen ausgeübt, um sie zur Rückkehr zu bewegen. Auch in den übrigen nordkaukasischen Nachbarrepubliken halten sich tschetschenische Binnenflüchtlinge auf: Ca. 10.000 in Dagestan, 4.000 in Nord-Ossetien, 10.000 in Kabardino-Balkarien, 23.000 in Karatschai-Tscherkessien. Darüber hinaus gibt es praktisch in allen russischen Großstädten eine große, durch Flüchtlinge noch wachsende tschetschenische Diaspora: 200.000 in Moskau, 50.000 in der Wolgaregion (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation [Tschetschenien] 30.08.2005). Dem UNHCR sind Fälle einer zwangsweisen Verbringung tschetschenischer Volkszugehöriger nach Tschetschenien nicht bekannt, er weist jedoch darauf hin, dass ihm Informationen über die unfreiwillige Verbringung eines im April 2002 aus Deutschland nach Moskau abgeschobenen abgelehnten tschetschenischen Asylbewerbers nach Inguschetien vorliegen, insoweit kann auf die oben gemachten Ausführungen zu diesem Fall verwiesen werden. Darüber hinaus besteht laut UNHCR für eine zwangsweise Rückverbringung russischer Staatsangehöriger aus einem Landesteil, in dem sie nicht gemeldet seien, an den Ort ihrer vormaligen Registrierung keine Rechtsgrundlage (UNHCR an Bay. VGH vom 29.10.2003). Diese Aussage wird bestätigt von amnesty international in seiner Stellungnahme an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof vom 16. April 2004. Auch dem Auswärtigen Amt sind keine Fälle einer zwangsweisen Verschickung tschetschenischer Volkszugehöriger nach Tschetschenien aus anderen Landesteilen bekannt (vgl. Auswärtiges Amt an Bay. VGH, 12. November 2003). Auch die Gesellschaft für bedrohte Völker kann in ihrer Stellungnahme vom 18. März 2004 an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof keine Fälle zwangsweiser Verbringung von tschetschenischen Volkszugehörigen nach Tschetschenien berichten, berichtet jedoch über Übergriffe und Drangsalierungen von zurückgekehrten Tschetschenen in der Russischen Föderation.

Auch der Befehl Nr. 541, den der damaligen Innenminister der Russischen Föderation am 17. September 1999 angeblich erlassen haben soll, rechtfertigt keine abweichende Beurteilung der Gefährdung des Klägers nach seiner Rückkehr in den Heimatstaat. Hierbei kann dahinstehen, inwieweit dieser Befehl überhaupt authentisch ist oder es sich bei ihm um eine Fälschung handelt, was sich trotz nachhaltiger Bemühungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs nicht mit letzter Sicherheit hat aufklären lassen (vgl. die an den Bay. VGH adressierten Schreiben des UNHCR vom 29.10.2003, des Auswärtigen Amtes vom 12.11.2003, der Gesellschaft für bedrohte Völker vom 18.03.2004 und von amnesty international vom 16.04.2004). Denn selbst wenn eine solche Anordnung, die angeblich eine erschwerte Registrierung tschetschenischer Volkszugehöriger sowie ihre Niederlassung an anderen Orten in der Russischen Föderation zum Gegenstand haben soll, tatsächlich ergangen sein sollte, woran jedoch angesichts der substantiierten Darlegungen des Auswärtigen Amtes in den Stellungnahmen, die diese Behörde am 26. April 2002 gegenüber dem Verwaltungsgericht Karlsruhe und am 22. Oktober 2003 gegenüber dem Verwaltungsgericht Köln abgegeben hat, erhebliche Zweifel bestehen (selbst die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte schließt ausweislich der Darlegungen auf S. 4 oben der Anlage 1 zu ihrem Schreiben an das Auswärtige Amt vom 30.08.2001 eine Fälschung nicht aus), würde dies nicht den Schluss rechtfertigen, der Kläger sei in den als inländische Fluchtalternative in Betracht kommenden Teilen der Russischen Föderation vor asylrechtlich relevanten Maßnahmen der Staatsgewalt nicht hinreichend sicher. Eine besondere Überwachung der wirtschaftlichen Aktivitäten tschetschenischer Volkszugehöriger stellt jedenfalls solange keine politische Verfolgung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG dar, als dem Betroffenen auf diese Weise nicht die Existenzgrundlage entzogen wird. Dass es sich so verhält, wird in keiner von dem Gericht vorliegenden Erkenntnisquellen behauptet, auch ihrem Wortlaut nach zielen die sog. Anordnungen nur auf eine (präventive) Kontrolle geschäftlicher Aktivitäten, nicht auf deren Unterbindung. Dass es für Tschetschenen schwierig ist, eine Anmeldung sowie Ausweispapiere zu erhalten, steht unabhängig davon außer Zweifel, ob diese Anordnung authentisch ist und sie bejahendenfalls heute noch als Richtschnur für das Verwaltungshandeln dient (der UNHCR weist auf Seite 3 seines Schreibens vom 29.10.2003 zutreffend darauf hin, dass die festzustellenden Restriktionen auf lokalen Vorschriften und Ressentiments beruhen). Ausschlaggebend ist, dass die insoweit bestehenden Probleme nicht unüberwindbar sind. Da es Tschetschenen in einzelnen Regionen möglich ist, eine Registrierung auch am Ort eines nur vorübergehenden Aufenthaltes zu erlangen, können sie ihren Wohnort in rechtmäßiger Weise verlassen. Dass Angehörige dieser Volksgruppe nicht nur im Bürgerkriegsgebiet mit Hausdurchsuchungen und einer Verbringung auf Polizeireviere rechnen müssen, trifft nach dem Vorgesagten unabhängig davon zu, ob diese Anordnung jedenfalls ergangen ist und sie heute noch fort gilt; entscheidend fällt bei der Gefährdungsprognose insoweit ins Gewicht, dass kein Fall neuerer Zeit dokumentiert ist, in dem sich ein Tschetschene, der über eine Anmeldung und ordnungsgemäß Papiere verfügte, aus solchem Anlass Maßnahmen ausgesetzt gesehen hat, die über das nach rechtsstaatlichen Kriterien zulässige strafprozessuale Instrumentarium hinausgingen (vgl. insgesamt zu Vorgesagtem Bay. VGH, Urteil vom 31.01.2005 - 11 B 02.31597 -).

Allerdings wäre der Kläger nach derzeit in der Russischen Föderation geltender Rechtslage gezwungen , sich vor Ansiedlung am Ort der inländischen Fluchtalternative vorübergehend nach Tschetschenien zu begeben, um dort einen gültigen Inlandpass zu beantragen. Dieser ist Voraussetzung für eine Registrierung am Ort der inländischen Fluchtalternative ( vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 15. Februar 2006 ) und auch im Übrigen für einen zumutbaren Aufenthalt dort, da Tschetschenen ohne gültige Ausweispapiere verstärkt damit rechnen müssen anlässlich stattfindender Polizeikontrollen verhaftet und ggfs. in asylrelevanter Weise behandelt zu werden. Diese Tatsache führt im Ergebnis dazu , dass ihm eine Rückkehr in die Russische Föderation insgesamt nicht zugemutet werden kann, wobei der Senat davon ausgeht, dass der Kläger über keinen gültigen Inlandspass mehr verfügt. Im Jahr seiner Ausreise wird er allenfalls über einen alten Sowjetischen Inlandspass verfügt haben, dessen Gültigkeit unabhängig davon, ob dieser Pass von dem Schlepper in sein Heimatland zurückgebracht worden ist oder nicht, mittlerweile seine Gültigkeit verloren hat.

Der Umtausch der alten sowjetischen Inlandspässe, deren Gültigkeit ursprünglich bis zum 31. Dezember 2003 begrenzt war, verlief so zögerlich, dass die Umtauschfrist durch Verordnung der russischen Regierung nochmals bis zum 30. Juni 2004 verlängert wurde. Nach Angaben des russischen Innenministeriums sind etwa 200.000 russische Staatsangehörige ihrer Umtauschpflicht dennoch nicht nachgekommen, darunter 30.000, die im Ausland leben. Für diejenigen russischen Staatsangehörigen, die seit dem 1. Juli 2004 kein gültiges Personaldokument vorweisen können, gelten die üblichen Vorschriften: Sie müssen eine Geldstrafe zahlen, erhalten ein vorläufiges Personaldokument und müssen bei dem für sie zuständigen Meldeamt die Ausstellung eines neuen Inlandspasses beantragen (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht, Stand: Dezember 2005).

Nach Aufhebung des Befehls des Innenministeriums Nr. 347 vom 24. Mai 2003, nach dem es Tschetschenen, die sich außerhalb Tschetscheniens aufhielten, möglich war, ihren Inlandspass auch am Ort des vorübergehenden Aufenthaltes umzutauschen, ist dieser Personenkreis nunmehr wieder gezwungen, an den registrierten Wohnort zurückzukehren, um Passpapiere zu erhalten (vgl. Auswärtiges Amt an VG Berlin vom 22.11.2005). Gemäß dem Erlass der Russischen Regierung Nr. 828 vom 8. Juli 1997 ist jeder russische Staatangehörige im Laufe seines Lebens zur Ausstellung von drei Inlandspässen verpflichtet, beginnend im Alter von 14 Jahren. Der erste Umtausch ist im Alter von 20 Jahren, der zweite im Alter von 45 Jahren vorgeschrieben. Der im Alter von 45 Jahren ausgestellte Inlandspass ist bis zum Lebensende gültig (vgl. Auswärtiges Amt an Bay. VGH vom 03.03.2006 ).

Dem Kläger kann nicht zugemutet werden, auch nur vorübergehend zur Ausstellung eines Inlandspasses nach Tschetschenien zurückzukehren, da nicht mit der erforderlichen Gewissheit ausgeschlossen werden kann, dass er dort keinen asylrelevanten Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt sein wird. Zwar sieht nach der Auskunft des Auswärtigen Amtes an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof vom 3. März 2006 der Erlass Nr. 828 eine maximale Bearbeitungsdauer von zehn Tagen für die Ausstellung eines Inlandspasses vor. Auskünften Moskauer Passstellen und der Pass- und Visaverwaltung der tschetschenischen Republik in Grozny zufolge wird diese Frist sowohl in Moskau als auch in Tschetschenien in der Regel eingehalten. Nach Angaben der Pass- und Visaverwaltung in Tschetschenien kann die Ausstellung bei noch notwendigen Rückfragen bis zu einem Monat dauern. In diesen Fällen kann ein vorübergehender Ausweis ausgestellt werden, so dass die betroffene Person grundsätzlich Tschetschenien nach der Antragsabgabe in Richtung des derzeitigen Wohnortes verlassen und zur Passausgabe wieder einreisen kann. Auch setzt die Ausstellung eines Rückreisedokuments, das passlosen russischen Staatsangehörigen seitens ihres Heimatstaates ausgestellt werden muss, ehe sie nach einer Ablehnung ihres Asylgesuchs aus Deutschland abgeschoben oder von sich aus in die Russische Föderation zurückkehren nach der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 3. März 2006 die Überprüfung der Identität des Einreisenden durch die russischen Innenbehörden voraus, so dass davon ausgegangen werden kann, dass die für die Ausstellung eines Inlandspasses benötigten Unterlagen vorliegen (vgl. insgesamt Auswärtiges Amt an Bay. VGH vom 03.03.2006).

Aufgrund der oben näher beschriebenen, weiterhin besorgniserregenden Sicherheitslage in Tschetschenien kann dem Kläger jedoch nicht zugemutet werden, auch nur vorübergehend nach Tschetschenien zurückzukehren. In Anbetracht der Tatsache, dass auch heute in Tschetschenien noch von einer regional begrenzten Gruppenverfolgung der tschetschenischen Zivilbevölkerung auszugehen ist, sind insoweit an die Prognose, ob einer Person eine - kurzfristige - Rückkehr nach Tschetschenien zugemutet werden kann, hohe Anforderungen zu stellen. Nach den, bezogen auf eine inländische Fluchtalternative im Fall einer angenommenen Vorverfolgung entwickelten Kriterien müsste davon ausgegangen werden können, dass die betreffende Person bei nur kurzfristiger Rückkehr dort hinreichend sicher vor Verfolgung ist. Davon kann jedoch aufgrund der eindeutigen Auskunftslage insbesondere des Auswärtigen Amtes in dem bereits mehrfach zitierten aktuellen Lagebericht, Stand: Dezember 2005, nicht ausgegangen werden. Ohne Inlandspass bzw. ordnungsgemäße Ausweispapiere kann der Kläger jedoch - wie sich bereits aus den oben gemachten Ausführungen ergibt - nicht auf eine inländische Fluchtalternative verwiesen werden, da zum einen das Vorhandensein eines Inlandspasses Voraussetzung für eine ggfs. gegen örtlich bestehende Restriktionen durchzusetzende Registrierung ist, die wiederum Voraussetzung für das Anmieten einer Wohnung, Teilnahme am Arbeitsmarkt etc. ist. Zum anderen muss der Kläger aufgrund seiner Herkunft und seines Alters damit rechnen, innerhalb der Russischen Föderation verstärkt von Sicherheitskräften überprüft zu werden, so dass es für ihn auch unter dem Gesichtspunkt des Schutzes vor asylrelevanten Übergriffen der russischen Sicherheitskräfte von besonderer Bedeutung ist, über ordnungsgemäße Papiere zu verfügen. Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes reicht im Übrigen ein von der russischen Auslandsvertretung in Deutschland ausgestelltes Passersatzpapier für eine dauerhafte Registrierung in der Russischen Föderation nicht aus (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht, Stand: Dezember 2005).

Die Entscheidung des Bundesamtes zu § 53 AuslG - jetzt § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG - ist im Hinblick auf § 31 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 AsylVfG aufzuheben. Da in der Person des Klägers die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen, ist auch die unter Nr. 4 des angefochtenen Bescheides verfügte Abschiebungsandrohung aufzuheben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 1 ZPO i. V. m. § 167 VwGO.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben (§ 132 Abs. 2 VwGO).

Ende der Entscheidung

Zurück