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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 26.03.2001
Aktenzeichen: 3 UE 3555/00.A
Rechtsgebiete: AuslG


Vorschriften:

AuslG § 53 Abs. 6 S. 1
Ein 33-jähriger alleinstehender Angolaner, der im Ausland zum Bautechniker ausgebildet wurde und neben seiner Muttersprache und portugiesisch die russische, deutsche und spanische Sprache beherrscht, droht auch angesichts der sehr schlechten Versorgungslage in Angola im Falle seiner Abschiebung dorthin nicht sehenden Auges dem Tod oder schweren Gesundheitsverletzungen ausgeliefert zu werden.
Hessischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss

3 UE 3555/00.A

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Asylrechts

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 3. Senat - durch

Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Blume, Richter am Hess. VGH Dr. Michel, Richterin am Hess. VGH Schott

am 26. März 2001 beschlossen:

Tenor:

Auf die Berufung des Beteiligten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Kassel vom 14. März 2000 - 5 E 4630/94.A - geändert und die Klage in vollem Umfang abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Dieser Beschluss ist wegen der außergerichtlichen Kosten des Beteiligten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung nach Maßgabe der Kostenfestsetzung abwenden, falls nicht der Beteiligte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Der am 13. November 1967 in Luanda geborene Kläger ist angolanischer Staatsangehöriger. Nach dem Schulbesuch studierte er fünf Jahre in der UdSSR. Das Studium schloss er im Februar 1992 ab. Nach seiner Rückkehr arbeitete er beim angolanischen Bauministerium. Am 22. November 1992 verließ er Angola erneut und kam am 23. November 1992 in Moskau an, von wo er sich nach Krasnodar begab, wo seine russische Ehefrau lebte. Am 06. Februar 1993 reiste er mit einem Besuchervisum über Polen in die Bundesrepublik Deutschland ein.

Am 11. Februar 1993 beantragte er seine Anerkennung als Asylberechtigter und führte zur Begründung aus, er habe in Russland kein Asyl erhalten können, da Russland ein sehr gutes Verhältnis zu Angola habe. Obwohl er in Russland hätte bleiben können, weil er mit einer Russin verheiratet gewesen sei, hätte er dort keine Entwicklungsmöglichkeiten gehabt, da die Situation in der UdSSR sehr schlecht gewesen sei. In Angola habe er für die MPLA gearbeitet, sei jedoch Sympathisant der UNITA gewesen. Weil er dieser ein Waffenlager der MPLA verraten habe, sei er für einen Monat inhaftiert worden. Er habe Zwangsarbeit leisten müssen und sei geschlagen worden. Nachdem ihm die Flucht gelungen sei, habe ihm seine Ehefrau ein Flugticket geschickt. Bei der Ausreise habe ihm sein Cousin, ein Polizeioffizier, geholfen.

Mit Bescheid vom 31. August 1994 lehnte die Beklagte den Asylantrag des Klägers ab und stellte ferner fest, dass die Voraussetzungen der §§ 51 und 53 AuslG nicht vorliegen. Weiter wurde der Kläger zur Ausreise binnen eines Monats aufgefordert und ihm für den Fall der Nichtbefolgung die Abschiebung nach Angola angedroht.

Mit am 31. Oktober 1994 beim Verwaltungsgericht Kassel eingegangenem Schriftsatz hat der Kläger Klage erhoben und sein Vorbringen aus der Anhörung vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge wiederholt. Er müsse bei einer Rückkehr mit Inhaftierung oder Tötung rechnen; außerdem bestehe für jeden Angolaner die Gefahr, Opfer des Bürgerkriegs zu werden.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 31. August 1994 aufzuheben und die Beklagte zur verpflichten, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen und festzustellen, dass die Voraussetzungen der §§ 51 Abs. 1, 53 AuslG vorliegen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit Urteil vom 14. März 2000 hat das Verwaltungsgericht unter Klageabweisung im Übrigen den Bescheid des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge insoweit aufgehoben, als dort das Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 6 AuslG verneint wurde und die Beklagte verpflichtet festzustellen, dass in der Person des Klägers die Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 AuslG in Bezug auf Angola vorliegen.

Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt, der Rechtsprechung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs (Beschluss vom 3. Mai 1999 - 3 UE 305/98.A -) werde nicht gefolgt, weil sich die Situation in Angola in der zweiten Jahreshälfte des Jahres 1999 weiter entscheidend verschlechtert habe. § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG gebiete in verfassungskonformer Auslegung und Anwendung, dem einzelnen Ausländer im Ausnahmefall Schutz vor der Durchführung der Abschiebung nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG zu gewähren, wenn seiner Abschiebung an sich keine Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG entgegenstünden, seine Abschiebung aber eine Verletzung höherrangigen Verfassungsrechts darstellen würde. Das sei nur dann der Fall, wenn die obersten Landesbehörden trotz einer extremen allgemeinen Gefahrenlage, in der jeder einzelne Ausländer im Falle seiner Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen überantwortet würde, von ihrer Ermessensermächtigung aus § 54 AuslG keinen Gebrauch gemacht hätten, einen generellen Abschiebestopp zu verfügen. In einer solchen Ausnahmesituation geböten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 2 Satz 1 GG, dem einzelnen Ausländer unabhängig von einer Ermessensentscheidung nach den §§ 53 Abs. 6 Satz 2, 54 AuslG Abschiebungsschutz zu gewähren. § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG sei in einem solchen Fall verfassungskonform einschränkend dahin auszulegen, dass derartige extreme Gefahren im Rahmen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG zu berücksichtigen seien. Eine solche extreme Gefahrenlage sei für die durch die Folgen des andauernden Bürgerkriegs geprägte Situation auch in der Hauptstadt Luanda, über die derzeit eine Abschiebung auf dem Luftweg nach Angola allein möglich sei, gegeben. Nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes hätten fortgesetzte Kampfhandlungen und die vorgenommenen Neuverminungen die Flüchtlings- und Versorgungssituation in ernstzunehmender Weise verschärft. Aus der UNHCR-Position zur zwangsweisen Rückführung abgelehnter Asylsuchender nach Angola vom September 1999 sei zu entnehmen, dass der größte Teil der betroffenen Bevölkerung von den Nothilfeprogrammen humanitärer Situationen nicht erreicht werden könne. Die UN-Friedensmission für Angola habe im Februar 1999 ihre Arbeit eingestellt. Zahlreiche in Angola vertretene Staaten hätten in der Zwischenzeit ihre diplomatischen Missionen auf ein Minimum verkleinert und warnten eigene Staatsbürger eindringlich vor Reisen dorthin. Verschiedene humanitäre Organisationen, darunter auch UNHCR, hätten ihre Aktivitäten beinahe in allen Teilen des Landes eingestellt oder zumindest eingeschränkt und verbliebenes Personal und Ausrüstungsgegenstände nach Luanda verbracht. Die wenigen Organisationen, die ihre Hilfseinsätze in Angola in nennenswertem Maße aufrechtzuerhalten versuchten, stießen bei ihrer Arbeit auf unzählige Hindernisse und Schwierigkeiten, vor allem auf einen gravierenden Mangel benötigter Hilfsgüter. Es stehe zu befürchten, dass die sich weiterhin verschärfende Sicherheitslage auch die letzten Hilfsprogramme zum baldigen Erliegen bringen werde. Das UNHCR fordere dementsprechend die Aussetzung aller Abschiebungen nach Angola einschließlich Luanda. Bereits Anfang 1999 habe die große Mehrheit der Bevölkerung von Luanda keinen Zugang zu ausreichender Versorgung mit Lebensmitteln, adäquater medizinischer Betreuung oder zu sauberem Trinkwasser und sanitären Einrichtungen gehabt. Die Lage in den übrigen Landesteilen sei größtenteils noch schlechter als in Luanda. Die Überlebenschancen aus dem Ausland kommender Personen ohne Familienrückhalt in Luanda seien schlecht (AA an Verwaltungsgericht München vom 12.01.1999). Da schon in der Vergangenheit die Nahrungsmittelversorgung in Luanda nur durch humanitäre Hilfsorganisationen ansatzweise habe gewährleistet werden können, sei aufgrund des von UNHCR im Positionspapier prognostizierten Rückzugs dieser Organisationen auch aus Luanda und der Tatsache, dass aufgrund der erneuten Kriegshandlungen und Verminungen Angola auf Jahre nicht zur Eigenversorgung in der Lage sein werde, von einer zunehmenden Verschlechterung der ohnehin schon trostlosen Lage zu rechnen. Da der Kläger nach seinen Angaben keine Verwandten mehr in Angola habe und somit nicht auf familiäre Netzwerke zurückgreifen könne und auch seit 13 Jahren mit einer kurzen Unterbrechung im Jahre 1992 im Ausland gelebt habe, sehe das Gericht aufgrund der zitierten Auskunftslage derzeit so gut wie keine Überlebenschancen für ihn, falls er nach Angola zurückkehre.

Gegen das am 29. März 2000 zugestellte Urteil hat der Beteiligte mit am 7. April 2000 beim Verwaltungsgericht eingegangenem Schriftsatz vom 4. April 2000 die Zulassung der Berufung beantragt und zur Begründung ausgeführt, das Urteil weiche von dem Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 3. Mai 1999 ( 3 UE 305/98.A) ab und beruhe auch auf der Abweichung. Darüber hinaus werfe die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine Frage grundsätzlicher Bedeutung im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG auf. Es bedürfe einer grundsätzlichen Klärung, ob sich seit der erwähnten Entscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 3. Mai 1999 die Situation in Angola dergestalt verändert habe, dass im Wege der vom Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 17.10.1995 - 9 C 15.95 -) aufgestellten Grundsätze der verfassungskonformen Auslegung des § 53 Abs. 6 AuslG für einen abgeschobenen Angolaner ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG bestehe. Eine extreme allgemeine Gefährdungslage hätten der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (Beschluss vom 02.09.1999 - 25 B 99.30815 -) sowie das OVG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 17.11.1999 - 8 A 11816/99.OVG -) verneint. Einer solch extremen Gefahrenlage seien die Abgeschobenen derzeit nicht ausgesetzt. Landesteile an der Küste seien von Militäraktionen so gut wie nicht berührt. Die Hauptstadt Luanda gelte weiterhin als sichere Stadt. Aufgrund der allgemeinen Folgen des Bürgerkriegs ließe sich zwar ein beträchtliches Risiko für das Leben und die körperliche Unversehrtheit im Falle einer Rückkehr nach Angola herleiten. Es könne jedoch nicht festgestellt werden, dass Rückkehrer der vom Bundesverwaltungsgericht geforderten extremen Gefahrenlage ausgesetzt sein würden, wonach bei der Rückkehr der sichere Tod oder schwerste Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit drohen müssten. Eine Gefahr in diesem Sinne sei auch nicht bereits wegen der hohen Kindersterblichkeit in Angola anzunehmen. Bei einer Abschiebung nach Luanda, die alleine in Betracht käme, würden Rückkehrer auf im Verhältnis zu anderen Landesteilen günstige Lebensbedingungen treffen. Dort könnten sie mit der zum Überleben nötigen Lebensmittelversorgung rechnen, Unterstützung von Hilfsorganisationen in Anspruch nehmen. In Luanda müssten Rückkehrer auch nicht damit rechnen, von den unmittelbaren Auswirkungen des Bürgerkrieges in Form von Kampfhandlungen und Mienen betroffen zu werden. Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 8. November 1999 gelte Luanda, abgesehen von einem Anwachsen der Kriminalität, weiterhin als sichere Stadt. Dort sei wie in anderen vom Bürgerkrieg nicht berührten Landesteilen eine Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln gewährleistet.

Der Kläger ist dem Zulassungsantrag mit der Begründung entgegengetreten, die vom Bundesbeauftragten aufgeworfene Frage bedürfe keiner Durchführung eines Berufungsverfahrens. Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten habe sich nicht am erstinstanzlichen Verfahren beteiligt, obwohl er dort seine Rechtsansicht hätte darlegen können.

Mit Beschluss vom 30. Oktober 2000 - 3 UZ 1382/00.A - hat der Senat die Berufung zugelassen.

Der Beteiligte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Kassel vom 14. März 2000 - 5 E 4630/94.A (3) - abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Zur Begründung nimmt er auf seine Ausführungen im Zulassungsantrag Bezug.

Der Kläger und die Beklagte haben sich im Berufungsverfahren nicht zur Sache geäußert.

Der Verwaltungsvorgang der Beklagten sowie die Ausländerakte des Oberbürgermeisters der Stadt Kassel sind beigezogen und zum Gegenstand der Beratung gemacht worden. Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird hierauf Bezug genommen. Den Verfahrensbeteiligten ist eine Erkenntnisquellenliste Angola, Stand: November 2000 übersandt worden. Auf diese wird ebenfalls Bezug genommen.

II.

Der Senat entscheidet über die Berufung des Beteiligten durch Beschluss gemäß § 130 a Satz 1 VwGO, weil er sie einstimmig für begründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Zu der beabsichtigten Vorgehensweise sind die Prozessbeteiligten angehört worden.

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist lediglich die Frage, ob dem Kläger ein Abschiebungshindernis gemäß § 53 Abs. 6 AuslG zur Seite steht.

Nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG kann von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Für eine solche konkret-individuelle Gefährdung des Klägers gibt es keine Anhaltspunkte. Gefahren in diesem Staat, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt sind, werden bei der Entscheidung nach § 54 AuslG berücksichtigt (§ 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der der Senat folgt, ist dies bei allgemeinen Gefahrenlagen auch ohne Vorliegen einer Entscheidung nach § 54 AuslG der Fall, sofern eine solche allgemeine Gefahrenlage eine extreme Zuspitzung erfahren hat, sodass ein abzuschiebender Ausländer "gleichsam sehenden Auges" dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgesetzt wäre. Denn für diesen Fall gebieten die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 2 Satz 1 GG in verfassungskonformer Auslegung des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG die Gewährung von Abschiebungsschutz (BVerwG, Urteil vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324).

Das Vorliegen einer derartig außergewöhnlichen und extrem zugespitzten Gefahrenlage kann zumindest für Teile der Küstenregion Angolas und damit auch für die Hauptstadt Luanda ausgeschlossen werden.

Allen Erkenntnisquellen gemeinsam ist die Feststellung, dass die aktuellen Lebensverhältnisse in Angola außerordentlich schwierig sind. Im Jahre 1998 ist der Bürgerkrieg zwischen den MPLA-Regierungstruppen und den erneut aufgerüsteten UNITA-Verbänden wieder entflammt. Beide Seiten verfügen über Rohstoffressourcen (Erdöl, Rohdiamanten), die es ihnen ermöglichen, den fortdauernden Bürgerkrieg zu finanzieren. Zwei Millionen Angolaner sind Opfer von Vertreibungen innerhalb des Landes, weitere 300.000 Menschen haben Zuflucht im Ausland gesucht, wobei sich zudem noch eine größere Anzahl ausländischer Flüchtlinge, vor allem aus den beiden Kongo-Republiken, in Angola aufhält. Drei Millionen Menschen leben unter verheerenden Umständen eingeschlossen in Städten und Dörfern, die durch den Krieg und insbesondere durch die Minenfelder von der Außenwelt abgeschnitten sind. In der auf 500.000 Einwohner angelegten Hauptstadt Luanda leben über drei Millionen Menschen. Die Versorgungslage mit Nahrungsmitteln ist sehr kritisch und verschärft sich durch kriegsbedingte Ernteausfälle weiter. Humanitäre Hilfsorganisationen können die große Mehrzahl der angolanischen Bevölkerung nicht erreichen, ihre Aktivitäten beschränken sich auf die nicht vom Konflikt erfassten Gebiete. Große Teile der Bevölkerung leiden deshalb unter nicht ausreichender Ernährung mit der Folge von Mangelerscheinungen und Seuchenanfälligkeit. Hiervon sind Kinder in noch stärkerem Maße betroffen als Erwachsene. In den vom Bürgerkrieg nicht betroffenen Landesteilen ist nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes (Lagebericht vom 15. November 2000) die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln noch auf niedrigem Niveau gewährleistet, auch durch die Tätigkeit nationaler wie internationaler Hilfsorganisationen. Die Überlebensmöglichkeiten für alleinstehende Frauen und Kinder ohne familiären Rückhalt seien jedoch bedenklich.

Die medizinische Versorgung der Bevölkerung ist wegen des Fehlens von Medikamenten sehr angespannt. Ein staatliches Gesundheitssystem existiert wie fast überall in Afrika praktisch nicht. Größere staatliche Kliniken gibt es lediglich in der Hauptstadt, in denen die Behandlung kostenlos, aber unzureichend ist, weil häufig Strom, Wasser, Medikamente und Gerätschaften fehlen. Die notwendigen Medikamente müssen meist privat besorgt werden. Ohne internationale Hilfe sind die wenigen vorhandenen Gesundheitsposten und kleinen Krankenhäuser nicht überlebensfähig. In Luanda gibt es einige teuere Privatkliniken mit besseren Behandlungsmöglichkeiten. Ihre Inanspruchnahme kann sich indes die normale Bevölkerung finanziell nicht leisten.

Die unzureichende Versorgung mit Nahrungsmitteln, hygienisch einwandfreiem Trinkwasser und Medikamenten ist Ursache der hohen Kindersterblichkeitsrate (bei Kindern bis zu 5 Jahren 30 bis 40 %), wobei Durchfallerkrankungen und Malaria besonders häufig einen tödlichen Verlauf nehmen. Über das konkrete Kriegsgeschehen hinaus ist das Leben oder die Gesundheit der Landbevölkerung durch die hohe Zahl der verlegten Landminen gefährdet. Bereits jeder 132. Angolaner ist durch Minen verstümmelt. Rückkehrer nach langjährigem Auslandsaufenthalt müssen bei der Wiedereingliederung in Angola mit sehr großen Schwierigkeiten rechnen. Der Arbeitsmarkt ist faktisch zusammengebrochen. Die Hauptstadt Luanda als einzig mögliches Abschiebungsziel ist völlig übervölkert und ohne zureichende Unterkunftsmöglichkeiten (vgl. zu alledem insbesondere Institut für Afrika-Kunde an Verwaltungsgericht München vom 15.10.1998, UNICEF an Verwaltungsgericht München vom 05.11.1998, UNHCR an Verwaltungsgericht München vom 15.12.1998, AA Lageberichte vom 08.12.1999 und vom 15.11.2000). Der UNHCR (Stellungnahme an die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union vom 08.09.1999 sowie ergänzende Stellungnahme bezüglich der Situation in Luanda vom 04.07.2000) fordert deshalb dringend, von zwangsweisen Rückführungen nach Angola bis auf Weiteres abzusehen.

Der vorangegangenen Bestandsaufnahme lässt sich zwar ein nicht unerhebliches Risiko für das Leben und die körperliche Unversehrtheit des Klägers im Falle seiner Rückkehr nach Angola entnehmen. Die vom Bundesverwaltungsgericht geforderte extreme Gefahrenlage, wonach bei der Rückkehr der sichere Tod oder schwerste Verletzungen drohen müssen (BVerwG, Urteil vom 17.10.1995 a.a.O. und Urteil vom 08.12.1998, 9 C 4.98 - BVerwGE 108, 77), ist dies jedoch noch nicht. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Lebensbedingungen in Luanda im Vergleich zum Bürgerkriegsgebiet im Landesinneren noch als verhältnismäßig günstig anzusehen sind. Luanda gilt trotz starken Anwachsens der Kriminalität als sicher; die Gefahr, durch Landminen verletzt zu werden, besteht hier nicht.

Auch wenn der Kläger nun schon seit knapp 9 Jahren außerhalb Angolas lebt, ist zu erwarten, dass er über die zum Überleben erforderlichen Eigenschaften und Fähigkeiten und das nötige Improvisierungsvermögen verfügt. Er ist mit 33 Jahren in einem günstigen Lebensalter und kann sich seine Berufsausbildung als Bautechniker möglicherweise in irgendeiner auch handwerklichen Art auf dem informellen Sektor der Dienstleistungen zu Nutze machen. Hinzu kommt, dass er neben kimbundu und portugiesisch noch russisch, spanisch und deutsch spricht. Auch dies kann ihm bei seiner Rückkehr behilflich sein. Ferner kann dem Kläger zugute kommen, dass er, so seine Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht, in Angola noch Geschwister und einen Onkel hat. Schließlich ist noch zu berücksichtigen, dass der Kläger im Falle seiner Rückkehr in eine vom Bürgerkrieg nicht unmittelbar betroffene Region gelangen würde, in der die Unterstützung durch Hilfsorganisationen wenngleich unter schwierigen Bedingungen möglich ist.

Nach alledem steht nicht zu erwarten, dass der Kläger bei seiner Rückkehr in eine nach den Kriterien des Bundesverwaltungsgerichts (a.a.O.) extreme Gefahrensituation geraten wird.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83 b Abs. 1 AsylVfG.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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