Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 07.12.2000
Aktenzeichen: 4 TG 3044/99
Rechtsgebiete: BauGB, VwGO, HBO


Vorschriften:

BauGB § 37 Abs. 1
VwGO § 80 Abs. 1
VwGO § 212 A
HBO § 75
Die Entscheidung der höheren Verwaltungsbehörde nach § 37 Abs. 1 BauGB stellt ebenso wie die Entscheidung des zuständigen Bundesministers nach § 37 Abs. 2 Satz 3 BauGB gegenüber der von ihr betroffenen Gemeinde einen Verwaltungsakt dar, der mit Widerspruch und Anfechtungsklage angegriffen werden kann.

Dem Widerspruch der Gemeinde gegen die Entscheidung der höheren Verwaltungsbehörde kommt aufschiebende Wirkung zu, was für ein Bauvorhaben in öffentlicher Trägerschaft die Erteilung einer rechtmäßigen Zustimmung nach § 75 HBO hindert.


Gründe:

I.

Die Beigeladene zu 1 beabsichtigt, an der Bundesautobahn A 66 den bisher in der Gemarkung Ahl gelegenen Winterdienststützpunkt an die Anschlussstelle Bad Soden-Salmünster zu verlegen und dort neu zu errichten. Die Antragstellerin verweigerte hierzu ihr Einvernehmen unter Hinweis auf die Beeinträchtigung öffentlicher Belange, insbesondere die Beeinträchtigung des Ortsbildes. Unter dem 02.10.1998 ersetzte das Regierungspräsidium Darmstadt das Einvernehmen der Antragstellerin und erklärte das Vorhaben nach § 37 Abs. 1 BauGB für zulässig. Der Antragsgegner teilte der Antragstellerin mit, dass das Regierungspräsidium deren Einvernehmen ersetzt habe und erteilte mit Bescheid vom 16.11.1998 der Beigeladenen zu 1 die Zustimmung zur Ausführung des Bauvorhabens. Sowohl gegen die Ersetzung des Einvernehmens und die nach § 37 BauGB getroffene Entscheidung als auch gegen den Zustimmungsbescheid des Antragsgegners legte die Antragstellerin jeweils Widerspruch ein. Beide Widersprüche sind bisher, soweit ersichtlich, nicht beschieden worden.

Am 08.12.1998 hat die Antragstellerin beim Verwaltungsgericht Frankfurt am Main einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gestellt.

Sie hat beantragt,

die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Zustimmungsbescheid des Antragsgegners vom 16.11.1998 anzuordnen.

Der Antragsgegner hat beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.

Mit Beschluss vom 13.04.1999 hat das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main den Eilantrag der Antragstellerin abgelehnt.

Der beschließende Senat hat auf den am 30.04.1999 gestellten Antrag der Antragstellerin deren Beschwerde gegen den vorgenannten Beschluss des Verwaltungsgerichts mit Beschluss vom 07.10.1999 zugelassen.

Die Beteiligten haben sich im Beschwerdeverfahren nicht mehr zur Sache geäußert und auch keine Anträge gestellt.

Die Gerichtsakte und die einschlägigen Behördenakten (ein Hefter und ein Leitzordner) haben vorgelegen und waren Gegenstand der Beratung.

II.

Die zugelassene Beschwerde ist begründet. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Zustimmungsbescheid des Antragsgegners vom 16.11.1998 ist anzuordnen.

Der Antrag der Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs vom 09.12.1998 gegen den Zustimmungsbescheid des Antragsgegners vom 16.11.1998 ist statthaft, denn nach § 212a Abs. 1 BauGB kommt dem Widerspruch eines Dritten, hier der Antragstellerin, gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens keine aufschiebende Wirkung zu. Der Zustimmungsbescheid vom 16.11.1998 stellt eine bauaufsichtliche Zulassungsentscheidung im Sinne des § 212a Abs. 1 BauGB dar, denn dieser Bescheid tritt an die Stelle einer Baugenehmigung und vermittelt der Beigeladenen zu 1 die Befugnis, die beantragte Baumaßnahme durchzuführen.

Der Antrag ist auch begründet. Der Zustimmungsbescheid vom 16.11.1998 erweist sich schon bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig und verletzt die Antragstellerin zumindest gegenwärtig in ihren Rechten mit der Folge, dass dem Aufschubinteresse der Antragstellerin der Vorrang vor dem öffentlichen Interesse am Vollzug des Zustimmungsbescheides vom 16.11.1998 einzuräumen ist.

Offensichtlich rechtswidrig ist der Zustimmungsbescheid gegenwärtig zumindest deshalb, weil es bisher an einer vollziehbaren Ersetzung des Einvernehmens der Antragstellerin fehlt. Dem Widerspruch der Antragstellerin gegen die Entscheidung der höheren Verwaltungsbehörde, das Vorhaben nach § 37 Abs. 1 BauGB für zulässig zu erklären und das Einvernehmen der Antragstellerin zu ersetzen, kommt nämlich, da es sich bei dieser Maßnahme gegenüber der Antragstellerin um einen belastenden, in ihre Planungshoheit unmittelbar eingreifenden Verwaltungsakt handelt, aufschiebende Wirkung zu. Die aufschiebende Wirkung dieses Widerspruchs hätte, was jedoch nicht geschehen ist, der Antragsgegner zu beachten gehabt mit der Folge, dass sich der Zustimmungsbescheid vom 16.11.1998 zumindest gegenwärtig als offensichtlich rechtswidrig erweist. Offen bleiben kann deshalb, ob das Vorhaben ansonsten mit den baurechtlichen Vorschriften in Einklang steht oder nicht.

In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass eine nach § 37 Abs. 2 Satz 3 BauGB ergehende Entscheidung des zuständigen Bundesministers gegenüber der Gemeinde, auf deren Gebiet das Bauvorhaben verwirklicht werden soll, einen Verwaltungsakt darstellt (vgl. BVerwG, Urteil vom 03.12.1992 - 4 C 24/90 - NVwZ 1993, 892). Vorliegend ist das Einvernehmen der Antragstellerin zwar nicht nach § 37 Abs. 2 Satz 3 BauGB, sondern vom Regierungspräsidium Darmstadt als höherer Verwaltungsbehörde nach § 37 Abs. 1 BauGB ersetzt und zugleich ausgesprochen worden, dass das Vorhaben nach der vorgenannten Vorschrift zulässig sei. Die Entscheidung der höheren Verwaltungsbehörde nach § 37 Abs. 1 BauGB stellt jedoch, ebenso wie die Entscheidung des zuständigen Bundesministers nach § 37 Abs. 2 Satz 3 BauGB, gegenüber der von ihr betroffenen Gemeinde/Stadt einen Verwaltungsakt dar, der mit Widerspruch und Anfechtungsklage angegriffen werden kann (ebenso Krautzberger in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 7. Aufl., Rdnr. 8 zu § 37 und Simon, Bayerische Bauordnung Rdnr. 21 zu Art. 93).

Einer nach § 37 Abs. 2 Satz 2 BauGB ergehenden Entscheidung des zuständigen Bundesministers gegenüber der Gemeinde, auf deren Gebiet das Bauvorhaben verwirklicht werden soll, misst das Bundesverwaltungsgericht deshalb Verwaltungsaktsqualität zu, weil mit dieser Entscheidung unmittelbar in die gemeindliche Planungshoheit eingegriffen und gegenüber der Gemeinde verbindlich über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens nach § 37 BauGB entschieden wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 03.12.1992 - 4 C 24/90 - a. a. O.). Nicht anders stellt sich die Rechtslage bei einer nach § 37 Abs. 1 BauGB ergehenden Entscheidung dar. Ebenso wie § 37 Abs. 2 Satz 3 BauGB verleiht auch § 37 Abs. 1 BauGB, um Bauvorhaben des Bundes oder eines Landes, die im öffentlichen Interesse unverzichtbar sind, nicht bereits im Verwaltungsverfahren am fehlenden Einvernehmen der Gemeinde und ihrem Widerspruch scheitern zu lassen, der höheren Verwaltungsbehörde die Befugnis, das fehlende gemeindliche Einvernehmen zu überwinden und die städtebauliche Zulässigkeit des Vorhabens festzustellen. Auch mit dieser Entscheidung - und nicht erst mit dem nach § 75 HBO ergehenden Zustimmungsbescheid - wird bereits rechtsverbindlich in die Planungshoheit der betreffenden Gemeinde, mindestens in das ihr zugeordnete und ihrer Wahrung dienende verfahrensrechtliche Mitwirkungsrecht (vgl. Krautzberger in Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, Rdnr. 27 zu § 37), eingegriffen und diese Hoheit eingeschränkt. Darüber hinaus wird mit der Entscheidung, das Vorhaben nach § 37 Abs. 1 BauGB für zulässig zu erklären, gegenüber der Gemeinde/Stadt bereits verbindlich eine Regelung über die Zulässigkeit einer Abweichung von städtebaulichen Vorschriften getroffen, da die Zulässigkeit einer derartigen Abweichung nicht mehr Gegenstand des Zustimmungsverfahrens nach § 75 HBO ist, sondern bereits zuvor durch die Entscheidung nach § 37 Abs. 1 BauGB mit bindender Wirkung auch für die Zustimmungsbehörde festgestellt wird. Liegt aber mit der Ersetzung des Einvernehmens durch die höhere Verwaltungsbehörde und der Erklärung des Vorhabens als nach § 37 Abs. 1 BauGB zulässig gegenüber der von der Baumaßnahme betroffenen Gemeinde, hier der Antragstellerin, ein anfechtbarer Verwaltungsakt vor, so entfaltet deren hiergegen erhobener Widerspruch nach § 80 Abs. 1 VwGO aufschiebende Wirkung. Diese Wirkung ist von der unteren Bauaufsichtsbehörde im Rahmen des Verfahrens nach § 75 HBO zu beachten, denn die an die Stelle der Baugenehmigung tretende Zustimmung darf erst erteilt werden, wenn die Entscheidung der höheren Verwaltungsbehörde nach § 37 Abs. 1 BauGB, die nicht identisch ist mit der Zustimmung im bauaufsichtlichen Zustimmungsverfahrens nach § 75 HBO, vorliegt und vollziehbar ist (ebenso Krautzberger in Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, Rdnr. 21 zu § 37). § 212a Abs. 1 BauGB greift in Bezug auf die Ersetzung des Einvernehmens nach § 37 Abs. 1 BauGB nicht ein, da mit der Entscheidung der höheren Verwaltungsbehörde dem Bauherrn, hier der Beigeladenen zu 1, nicht die Befugnis zum Bauen erteilt wird. Diese Befugnis vermittelt erst der von der unteren Bauaufsichtsbehörde nach § 75 HBO erteilte Zustimmungsbescheid.

Der im Zulassungsverfahren von dem Antragsgegner bzw. den Beigeladenen geäußerten Auffassung, wonach allein die nach § 75 HBO erteilte Zustimmung der unteren Bauaufsichtsbehörde gegenüber der von dem öffentlichen Bauvorhaben betroffenen Gemeinde/Stadt einen anfechtbaren Verwaltungsakt darstelle, vermag der Senat nicht zu folgen. Diese Auffassung findet - anders als der Antragsgegner und die Beigeladenen meinen - in der Kommentierung bei Müller (Baurecht in Hessen III. A 1 zu § 37 BauGB) keine hinreichende Stütze. Auch Müller (a. a. O.) geht ausdrücklich davon aus, dass die Gemeinde gegen die Entscheidung der höheren Verwaltungsbehörde Anfechtungsklage erheben kann. Dass dieses Anfechtungsrecht nur inzident im Rahmen der Anfechtung des Zustimmungsbescheides nach § 75 HBO, der nicht von der höheren Verwaltungsbehörde erlassen wird, geltend zu machen ist, lässt sich der Kommentierung bei Müller nicht entnehmen. Die von dem Antragsgegner bzw. den Beigeladenen vertretene Auffassung findet auch in der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 13.03.1981 - 10 A 2501/79 - BRS 38 Nr. 172) keinen hinreichenden Beleg. Abgesehen davon, dass diese Entscheidung nicht zu § 75 HBO ergangen ist, lässt sich auch ihr nicht entnehmen, dass nur die Zustimmung der unteren Bauaufsichtsbehörde, nicht aber auch die Ersetzung des Einvernehmens von der Gemeinde mit Widerspruch und Anfechtungsklage angefochten werden kann. Die Auffassung des Antragsgegners und der Beigeladenen lässt außer Acht, dass schon die nach § 37 Abs. 1 BauGB von der höheren Verwaltungsbehörde getroffene Entscheidung und nicht erst die Zustimmungsentscheidung der unteren Bauaufsichtsbehörde nach § 75 HBO unmittelbar in die Planungshoheit der betreffenden Gemeinde/Stadt eingreift. Sie würde zudem auch zu dem nicht wünschenswerten Ergebnis führen, dass die höhere Verwaltungsbehörde im Falle einer rechtlich zweifelhaften Ersetzungsentscheidung nach § 37 Abs. 1 BauGB das Prozessrisiko durch die Nichtstellung von Anträgen (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO) stets auf den Rechtsträger der unteren Bauaufsichtsbehörde verlagern könnte. Gegen die von dem Antragsgegner und den Beigeladenen vertretene Rechtsauffassung spricht schließlich, dass § 75 BauGB nur eine eingeschränkte Prüfung des Bauantrages durch die Bauaufsichtsbehörde vorsieht und die Erteilung bzw. Ersetzung des Einvernehmens der Gemeinde bereits als abgeschlossen voraussetzt, wie es sich vergleichbar bei einem die bodenrechtliche Bebaubarkeit (auf die Zeit von drei Jahren) abschließend bestimmenden Bauvorbescheid im Verhältnis zur Baugenehmigung darstellt.

Der Antragsgegner hat, da er unterlegen ist, gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des gesamten Verfahrens zu tragen. Den Beigeladenen können Kosten nicht auferlegt werden, da sie im Beschwerdeverfahren keine Anträge gestellt haben. Anlass zu einer Kostenentscheidung zugunsten der Beigeladenen nach § 162 Abs. 3 VwGO hat der Senat nicht.

Die Festsetzung des Streitwertes richtet sich nach der Bedeutung der Sache für die Antragstellerin (§§ 13 Abs. 1, 14 Abs. 1 analog, 20 Abs. 3 GKG). Unter Berücksichtigung, dass die Antragstellerin im vorliegenden Verfahren als Kurstadt eine erhebliche Beeinträchtigung des Ortsbildes geltend macht, erscheint ihr Interesse an der Verhinderung des Winterdienststützpunktes für das Hauptsacheverfahren mit 50.000,-- DM zu veranschlagen zu sein. Hiervon hat der Senat im Hinblick auf die Vorläufigkeit der begehrten Regelung für das vorliegende Verfahren die Hälfte in Ansatz gebracht. Die Befugnis zur Abänderung der erstinstanzlichen Wertfestsetzung ergibt sich aus § 25 Abs. 2 Satz 2 GKG.

Hinweis: Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).

Ende der Entscheidung

Zurück