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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 01.07.2009
Aktenzeichen: 5 A 576/09.Z
Rechtsgebiete: HessAGVwGO


Vorschriften:

HessAGVwGO § 12 Abs. 3
Für den Widerruf eines gem. § 12 Abs. 3 des Hessischen Ausführungsgesetzes zur VwGO beim Anhörungsausschuss im Widerspruchsverfahren geschlossenen und protokollierten Vergleichs durch die Gemeinde in einem Abgabenstreit bedarf es keiner an den Anhörungsausschuss gerichteten Widerrufserklärung; es genügt vielmehr, dass die Gemeinde durch den Erlass eines zurückweisenden Widerspruchsbescheides innerhalb der Widerrufsfrist gegenüber der anderen Vergleichspartei zum Ausdruck bringt, dass sie den Vergleich widerruft.
HESSISCHER VERWALTUNGSGERICHTSHOF BESCHLUSS

5 A 576/09.Z

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Heranziehung zu einem Erschließungsbeitrag;

hier: Antrag auf Zulassung der Berufung

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 5. Senat - durch

Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Dr. Lohmann, Richter am Hess. VGH Dr. Apell, Richter am Hess. VGH Schneider

am 1. Juli 2009 beschlossen:

Tenor:

Auf den Antrag der Beklagten wird die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Kassel vom 2. Februar 2009 - 6 K 623/06.KS - zugelassen.

Das Verfahren wird unter dem Aktenzeichen 5 A 2062/09 als Berufungsverfahren fortgeführt.

Gründe:

Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das im Tenor genannte Urteil des Verwaltungsgerichts Kassel ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg, denn die Beklagte hat gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - ernstliche Zweifel an der Richtigkeit dieses Urteils dargelegt.

Der Annahme des Verwaltungsgerichts, mangels wirksam erklärten Widerrufs durch die Beklagte sei aufgrund des am 15. Dezember 2005 vor dem Anhörungsausschuss beim Landrat des Landkreises Fulda geschlossenen Vergleichs der Beteiligten das Verfahren beendet worden, so dass ein Widerspruchsbescheid nicht mehr habe ergehen dürfen, kann auch nach Auffassung des Senats nicht gefolgt werden. Der Widerruf des Vergleichs liegt bereits darin, dass die Beklagte unter dem 17. März 2006 - damit innerhalb der vereinbarten Widerrufsfrist - den zurückweisenden Widerspruchsbescheid erlassen hat. Der Wille, den geschlossenen Vergleich auf eben diese Weise zu widerrufen, kommt erkennbar z.B. im letzten Satz der Entscheidungsgründe des Widerspruchsbescheides zum Ausdruck, wo es heißt, dass der Gemeindevorstand mit Beschluss vom 6. März 2006 der (Vergleichs-)Empfehlung des Anhörungsausschusses nicht entsprochen und deshalb beschlossen habe, "diesen Widerspruchsbescheid zu erlassen". Soweit in diesem Zusammenhang mit Bezug auf den Vergleich nicht ausdrücklich die Formulierung "Widerruf" verwendet wird, ist das für das tatsächliche Verständnis als Widerruf unschädlich. Eine Widerrufserklärung kann auch konkludent, etwa impliziert durch den Widerspruchsbescheid wie hier, abgegeben werden. Erforderlich ist nur, dass der Wille zum Widerruf eindeutig und unmissverständlich zum Ausdruck gebracht wird. Davon ist im vorliegenden Fall ohne Weiteres auszugehen.

Die Annahme eines durch den Widerspruchsbescheid vom 17. März 2006 erklärten wirksamen Widerrufs des vor dem Anhörungsausschuss geschlossenen Vergleichs scheitert entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts auch nicht daran, dass der Widerruf nicht gegenüber dem Anhörungsausschuss erklärt worden ist. Wer richtiger Empfänger der Widerrufserklärung ist, richtet sich in erster Linie nach der Vereinbarung, die hierzu die Vergleichsparteien im Vergleich selbst getroffen haben. Fehlt es an einer solchen Vereinbarung, so kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 30.09.2005 - V ZR 275/04 - NJW 2005, 3576) der Widerruf eines gerichtlichen Vergleichs wirksam sowohl gegenüber dem Gericht als auch gegenüber der anderen Vergleichspartei erklärt werden. Das Bundesverwaltungsgericht meint dagegen in einer Entscheidung aus dem Jahre 1993 (Urteil vom 26.01.1993 - 1 C 29/92 - NJW 1993, 2193), dass der Widerruf eines vor dem Verwaltungsgericht geschlossenen Prozessvergleichs bei Fehlen einer abweichenden Vereinbarung der Vergleichsparteien immer gegenüber dem Gericht zu erklären sei. Letzteres begründet das Bundesverwaltungsgericht u.a. mit der Überlegung, dass die Widerrufserklärung auf Weiterführung des Rechtsstreits zielt, weshalb gerade das Gericht davon in Kenntnis zu setzen sei, ob die Sache noch rechtshängig sei und einer Entscheidung zugeführt werden müsse. Ob in diesem Punkt dem Bundesgerichtshof oder dem Bundesverwaltungsgericht zu folgen ist, braucht aus Anlass des vorliegenden Falles nicht entschieden zu werden. Denn hier geht es nicht um einen gerichtlichen Vergleich, sondern um einen Vergleich, der vor dem Anhörungsausschuss im Widerspruchsverfahren abgeschlossen und protokolliert worden ist. Im Unterschied zu der vom Bundesverwaltungsgericht hervorgehobenen Funktion des Gerichts ist der Anhörungsausschuss nach erfolgter Anhörung mit der Sache nicht mehr befasst; bei ihm ist nichts mehr anhängig, und er trifft auch nicht die Entscheidung über den Widerspruch in dem nach erfolgten Widerruf fortzuführenden Widerspruchsverfahren. Den Widerspruchsbescheid erlässt vielmehr die Gemeinde, die ihrerseits Vergleichspartei ist. Das bedeutet: Die fortbestehende Rechtshängigkeit kann kein Grund dafür sein, die Abgabe der Widerrufserklärung gerade gegenüber dem Anhörungsausschuss für erforderlich zu halten. Als "richtiger" Erklärungsempfänger ist vielmehr - ausschließlich - die andere Vergleichspartei anzusehen. Damit war der Widerruf des hier streitigen Vergleichs in der Tat gegenüber den Klägern zu erklären. Diese waren zugleich Empfänger des Widerspruchsbescheides, so dass Widerruf und Widerspruchsentscheidung, wie hier geschehen, in einem Akt ihnen gegenüber vorgenommen werden konnten.

Da die Berufung bereits wegen der geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung zuzulassen ist, erübrigt sich eine Befassung mit dem Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO), auf den die Beklagte außerdem ihren Zulassungsantrag stützt.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens folgt der Kostenentscheidung im Berufungsverfahren.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Es wird darauf hingewiesen, dass die Berufung innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses zu begründen ist. Die Begründung ist beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag vom Vorsitzenden verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig.

Ende der Entscheidung

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