Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 02.08.2001
Aktenzeichen: 5 TG 3723/00
Rechtsgebiete: Hess. KAG


Vorschriften:

Hess. KAG § 11 Abs. 1
Eine satzungsrechtliche Regelung, die nur baulich, gewerblich oder "in sonstiger (straßenbeitragsrechtlich relevanter) Weise" genutzte Grundstücke der Straßenbeitragspflicht unterwirft, bietet keine ausreichende rechtliche Grundlage für die Erhebung von Ausbaubeiträgen bei solchen Straßen, durch die auch Grundstücke mit nicht baulicher Nutzung bevorteilt werden.

Die Vorteilhaftigkeit im Sinne des § 11 Abs. 1 KAG lässt sich nicht beschränken auf Grundstücke, die aufgrund planerischer Ausweisung oder Innenbereichslage baulich oder gewerblich nutzbar sind und damit im Sinne des § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB als "Bauland" von der Verkehrsanlage "erschlossen" werden.

Es ist Sache der Gemeinde, im Rahmen des ihr obliegenden normgeberischen Gestaltungsspielraums zu entscheiden, wie sie entsprechend der wirtschaftlichen Nutzungsmöglichkeiten Außenbereichsgrundstücke im Verhältnis zu baulich genutzten Grundstücken an dem Aufwand für den Um- und/oder Ausbau der Straße beteiligt und eine entsprechende Verteilungsregelung schafft.


Hessischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss

5 TG 3723/00

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Ausbaubeiträgen

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 5. Senat - durch

Vizepräsidenten des Hess. VGH Dr. Klein, Richter am Hess. VGH Dr. Lohmann, Richter am Hess. VGH Dr. Göbel-Zimmermann

am 2. August 2001 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Kassel vom 14. August 2000 - 6 G 2833/99 - wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 8.339,79 DM festgesetzt.

Gründe:

Die vom Senat zugelassene Beschwerde der Antragsgegnerin ist nicht begründet.

Auch der Senat hat - wie das Verwaltungsgericht - ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der von der Antragstellerin angefochtenen Heranziehungsbescheide zu Straßenbeiträgen, weil die Antragsgegnerin mit ihrer Straßenbeitragssatzung vom 31. April 1983 über keine wirksame Rechtsgrundlage für die Heranziehung der Antragstellerin zu Straßenbeiträgen für die abgerechnete Baumaßnahme verfügt.

Nach § 7 Abs. 1 der Straßenbeitragssatzung der Antragsgegnerin unterliegen nur die durch die Straße erschlossenen Grundstücke der Straßenbeitragspflicht, für die entweder eine bauliche oder gewerbliche Nutzung festgesetzt ist und die bebaut, gewerblich oder in sonstiger straßenbeitragsrechtlich relevanter Weise genutzt werden dürfen oder für die eine bauliche oder gewerbliche Nutzung nicht festgesetzt ist, die aber nach der Verkehrsauffassung Bauland sind und baulich, gewerblich oder in sonstiger straßenbeitragsrechtlich relevanter Weise genutzt werden dürfen.

Die satzungsrechtliche Regelung, die nur baulich, gewerblich oder in sonstiger (straßenbeitragsrechtlich relevanter) Weise genutzte Grundstücke der Straßenbeitragspflicht unterwirft, bietet keine ausreichende rechtliche Grundlage für die Erhebung von Ausbaubeiträgen bei solchen Straßen, durch die auch Grundstücke mit nicht baulicher Nutzung bevorteilt werden. § 11 Abs. 1 des Hessischen Kommunalabgabengesetzes - KAG beschränkt nach seinem Wortlaut den Kreis der Grundstücke, die straßenbeitragspflichtig werden können, nicht auf diejenigen im unbeplanten Innenbereich und in beplanten Gebieten. Nach dieser Vorschrift können die Gemeinden und Landkreise zur Deckung des Aufwandes für die Schaffung, Erweiterung und Erneuerung öffentlicher Einrichtungen Beiträge von den Grundstückseigentümern erheben, denen die Möglichkeit der Inanspruchnahme dieser öffentlichen Einrichtung nicht nur vorübergehende Vorteile bietet. Gesetzliches Anknüpfungsmerkmal der Beitragspflicht nach § 11 Abs. 1 KAG ist somit die vorteilhafte Möglichkeit der Inanspruchnahme der um- und/oder ausgebauten Verkehrsanlage. Diese Vorteilhaftigkeit lässt sich nicht beschränken auf Grundstücke, die aufgrund planerischer Ausweisung oder Innenbereichslage baulich, gewerblich oder "in vergleichbarer Weise" nutzbar sind und damit im Sinne des § 131 Abs. 1 Satz 1 Baugesetzbuch - BauGB - als "Bauland" von der Verkehrsanlage "erschlossen" werden. Einen Vorteil können vielmehr auch Grundstücksflächen im Außenbereich erhalten, die wegen der auf ihnen ausgeübten land- oder forstwirtschaftlichen Nutzung von der Anbindung an das öffentliche Straßennetz wirtschaftlich profitieren. Eine vorteilhafte Möglichkeit der Inanspruchnahme drängt sich zum Beispiel auch bei einer bestandsgeschützten privilegierten Wohnbebauung im Außenbereich auf (vgl. hierzu OVG NW, Urteil vom 19.01.1998 - 15 A 2939/95 -, GemHH 1999, 284). Eine Straßenbeitragssatzung, die Anspruch auf vollständige Erfassung der bevorteilten Grundstücke erhebt, muss alle Grundstücke in die Beitragspflicht mit einbeziehen, deren Gebrauchswert durch die um- und ausgebaute Verkehrsanlage gesteigert wird, damit auch Außenbereichsgrundstücke, die baulich, gewerblich, landwirtschaftlich genutzt werden oder sonst eine vorteilhafte Inanspruchnahmemöglichkeit durch die öffentliche Einrichtung haben. Eine § 133 Abs. 1 Satz 1 und 2 BauGB vergleichbare, den Kreis der von einer Straße erschlossenen Grundstücke einschränkende Regelung enthält § 11 KAG an keiner Stelle. Entscheidend ist nach dem Wortlaut nur die vorteilhafte Möglichkeit der Inanspruchnahme der öffentlichen Einrichtung. Dies ist dann anzunehmen, wenn sie den Gebrauchswert eines Grundstücks positiv beeinflusst, die ausgebaute Anlage somit wirtschaftliche Vorteile im Hinblick auf die Grundstücksnutzung bewirkt (vgl. auch OVG NW, Beschluss vom 28.04.1997 - 15 B 211/97 - und Urteil vom 19.01.1998 - 15 A 2939/95 -, GemHH 1999, 284; OVG Niedersachsen, Beschluss vom 08.03.1996 - IX M 7369/95 -, Die Gemeinde 1997, S. 145; OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 11.02.1998 - 2 L 79/96 -, NordÖR 1998, S. 269).

Dass der Vorteilsbegriff in § 11 Abs. 1 KAG straßenausbaubeitragsrechtlich nicht identisch ist mit dem Begriff des Erschlossenseins nach den §§ 127 ff. BauGB, verstößt nicht gegen den bundesrechtlichen Vorrang nach Art. 31 GG. Dieser Vorrang erfasst ausschließlich die in § 127 Abs. 2 BauGB abschließend genannten Erschließungsanlagen, für die Erschließungsbeiträge zu erheben sind. Er erstreckt sich seiner Zielrichtung nach nur auf die erstmalige Herstellung der nach Maßgabe des § 127 Abs. 2 BauGB beitragsfähigen Erschließungsanlagen. Vom Vorrang des Erschließungsbeitragsrechts sind somit nicht erfasst die Schaffung, Erneuerung und Erweiterung der öffentlichen Einrichtung, die nicht Erschließungsanlagen im Sinne des § 127 Abs. 2 BauGB sind und Baumaßnahmen, die - nach erfolgter erstmaliger Herstellung - zur Erweiterung oder Erneuerung dieser öffentlichen Einrichtungen führen. Maßgeblich ist insoweit nur das landesrechtliche Beitragsrecht in § 11 KAG. Unerheblich ist dabei, ob für die einzelnen Grundstücke Erschließungsbeitragspflichten entstanden sind bzw. überhaupt entstehen konnten. Der Landesgesetzgeber ist im Rahmen seiner Gesetzgebungskompetenz nicht gehindert, abweichend von der bundesgesetzlichen Regelung alle Grundstücke, denen wirtschaftliche besondere Vorteile durch den Ausbau der Einrichtung vermittelt werden, in die Beitragspflicht einzubeziehen.

Die Gemeinden müssen demnach ihre satzungsrechtlichen Regelungen derart ausgestalten, dass an den um- und auszubauenden Straßen anliegende und wirtschaftlich nutzbare Außenbereichsgrundstücke in die Abrechnung vorteilsgerecht einbezogen werden. Dabei ist es Sache der Gemeinde, im Rahmen des ihr obliegenden normgeberischen Gestaltungsspielraums zu entscheiden, wie sie entsprechend der wirtschaftlichen Nutzungsmöglichkeiten Außenbereichsgrundstücke im Verhältnis zu baulich genutzten Grundstücken an dem Aufwand für den Um- und/oder Ausbau der Straße beteiligt und eine entsprechende Verteilungsregelung schafft.

Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben hätte die Antragsgegnerin ihre satzungsrechtlichen Regelungen zum Kreis der straßenbeitragspflichtigen Grundstücke in § 7 Abs. 1 der Straßenbeitragssatzung und die Verteilungsregelung in § 8 der Straßenbeitragssatzung entsprechend ausgestalten müssen.

Der Rinnweg, für dessen zweifelsfrei straßenbeitragsfähigen Um- und Ausbau die Antragstellerin zu den im Verfahren streitgegenständlichen Straßenbeiträgen herangezogen worden ist, ist eine öffentliche Gemeindestraße und überwiegend einseitig zum Anbau bestimmt. Er erschließt nämlich auf der westlichen Seite neun Grundstücke, die ausweislich der vorliegenden Unterlagen sämtlich im unbeplanten Innenbereich liegen und baulich oder gewerblich genutzt werden können und auch genutzt werden. Auf der östlichen Seite grenzen insgesamt sechs Grundstücke an den Rinnweg an, wobei es sich bei dem Grundstück Flurstück 211 ausweislich des vorliegenden Planes offenbar um eine Wegeparzelle handelt. Von den übrigen Grundstücken wird das im Eigentum der Antragstellerin stehende Flurstück 208 noch dem Bebauungszusammenhang zuzurechnen sein. Die Grundstücke Flurstücke 209, 210, 212 und 213 liegen in einem Bereich, den der gültige Flächennutzungsplan der Antragsgegnerin als Flächen für die Landwirtschaft mit erwünschter Grünlandnutzung ausweist. Sie grenzen unmittelbar an die Straße Rinnweg an. Der Rinnweg stellt nach den von der Antragsgegnerin eingereichten Plänen offensichtlich die einzige Anfahrmöglichkeit für diese Grundstücke und damit die einzige Anbindung an das übrige Verkehrsnetz der Antragsgegnerin dar. Die planerischen Ausweisungen lassen eine landwirtschaftliche Nutzung und damit eine wirtschaftlich messbare Nutzungsmöglichkeit zu. Die Antragsgegnerin durfte somit die vier Außenbereichsgrundstücke, die an die Straße Rinnweg angrenzen, bei der Abrechnung des Aufwandes für den Um- und Ausbau der Straße und Heranziehung der Antragstellerin zu Beiträgen nicht unberücksichtigt lassen. Insofern war sie gehalten, vor Heranziehung der Antragstellerin zu Straßenbeiträgen in ihrer Straßenbeitragssatzung die Einbeziehung der Außenbereichsgrundstücke in die Beitragsbemessung zu ermöglichen.

Nach alledem war dem vorläufigen Rechtsschutzantrag der Antragstellerin hinsichtlich der von ihr angefochtenen Heranziehungsbescheide stattzugeben.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertentscheidung beruht auf §§ 13 Abs. 1, 14 analog und 20 Abs. 3 Gerichtskostengesetz - GKG -.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO und § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).

Ende der Entscheidung

Zurück