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Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 01.03.2000
Aktenzeichen: 6 TZ 214/00
Rechtsgebiete: VwGO


Vorschriften:

VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1
VwGO § 146 Abs. 5 S. 3
1. Das Oberverwaltungsgericht hat im Zulassungsverfahren die angefochtene Entscheidung ausschließlich in Bezug auf die geltend gemachten Zulassungsgründe und im Rahmen des jeweiligen Zulassungsgrundes nur hinsichtlich der zu seiner Begründung genannten Gesichtspunkte zu überprüfen.

2. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind dann anzunehmen, wenn bei der im Zulassungsverfahren allein möglichen summarischen Überprüfung der Erfolg des Rechtsmittels wahrscheinlicher ist als der Misserfolg.

3. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung können nur mit Umständen tatsächlicher Art begründet werden, die in der angefochtenen erstinstanzlichen Entscheidung ausdrücklich festgestellt sind, im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorgetragen wurden oder sich aus den vom Verwaltungsgericht beigezogenen Behördenakten ergeben.


Gründe:

Der Antrag ist zulässig (§ 146 Abs. 5 VwGO), aber nicht begründet; denn mit ihm ist ein Grund, der gemäß § 146 Abs. 4 i.V.m. § 124 Abs. 2 VwGO die Zulassung der Beschwerde rechtfertigen kann, nicht dargetan.

Das Oberverwaltungsgericht hat im Zulassungsverfahren die angefochtene Entscheidung ausschließlich in Bezug auf die geltend gemachten Zulassungsgründe und im Rahmen des jeweiligen Zulassungsgrundes nur hinsichtlich der zu seiner Begründung genannten Gesichtspunkte zu überprüfen (Berkemann, Verwaltungsprozessrecht auf "neuen Wegen"?, DVBl. 1998, 446 - 457 -; Seibert, Das Verfahren auf Zulassung der Berufung - Erfahrungen mit der 6. VwGO-Novelle, NVwZ 1999, 113 - 114 -; Hess. VGH, 08.07.1997 - 13 TZ 2135/97 - und 30.01.1998 - 14 TZ 2416/97 -, NVwZ 1998, 755). Die in der Literatur und in der Rechtsprechung vereinzelt vertretene Auffassung, das Oberverwaltungsgericht könne die Berufung bzw. Beschwerde in Ausnahmefällen auch ohne Rüge von Amts wegen zulassen (so z. B.: Schmieszek, Sechstes Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung und anderer Gesetze <6. VwGOÄndG>, NVwZ 1996, 1151 - 1153 -; OVG Nordrhein-Westfalen, 13.05.1997 - 11 B 799/97 -, NVwZ 1997, 1224), widerspricht der Regelung des § 124a Abs. 1 Satz 3 VwGO bzw. des § 146 Abs. 5 Satz 3 VwGO ebenso wie der Absicht des Gesetzgebers, die Bearbeitung von Berufungsverfahren bzw. Beschwerdeverfahren zu beschleunigen.

Der mit Schriftsatz der Antragstellerin vom 13. Januar 2000 allein geltend gemachte Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (ernstliche Zweifel) rechtfertigt die Zulassung der Beschwerde nicht.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind dann anzunehmen, wenn bei der im Zulassungsverfahren allein möglichen summarischen Überprüfung der Erfolg des Rechtsmittels wahrscheinlicher ist als der Misserfolg (Bader, Zulassungsberufung und Zulassungsbeschwerde nach der 6. VwGO-Novelle, NJW 1998, 409 <411>; Seibert, a.a.O., 115, m.w.N.; Schmieszek, a.a.O., 1153; Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, 1998, § 124 Rdnr. 26; Hess. VGH, 04.04.1997 - 12 TZ 1079/97 -, EZAR 634 Nr. 1, und 27.07.1998 - 10 TZ 2718/98 -, ESVGH 49, 78; OVG Berlin, 29.07.1999 - 8 N 33.99 -; VGH Baden-Württemberg, 29.09.1999 - 7 S 1871/99 -). Die gegenteilige Auffassung in Literatur und Rechtsprechung, wonach ernstliche Zweifel bereits dann gegeben seien, wenn der Erfolg des Rechtsmittels (mindestens) ebenso wahrscheinlich sei wie der Misserfolg (Kopp/Schenke, VwGO, 11. Aufl., 1998, § 124 Rdnr. 7; Redeker/von Oertzen, VwGO, 12. Aufl., 1997, § 124 Rdnr. 15; VGH Baden-Württemberg, 12.02.1997 - 8 S 375/97 -, VBlBW 1997, 212 - 220 -; OVG Schleswig-Holstein, 18.01.1999 - 12 L 5431/98 -, DVBl. 1999, 478, und 14.05.1999 - 2 L 244/97 -, NVwZ 1999, 1354), lässt sich mit Wortlaut und Zweck der Regelung nicht vereinbaren. Der Begriff "ernstliche Zweifel" verweist bereits auf einen bestimmten Grad an Intensität des Zweifels und der mit dem 6. VwGOÄndG erstrebte Entlastungseffekt zwingt eindeutig zu einer restriktiven Handhabung bei der Auslegung des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung sind nur dann im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 124 a Abs. 1 Satz 4 bzw. § 146 Abs. 5 Satz 3 VwGO hinreichend dargelegt, wenn der jeweilige Antragsteller sich mit den Entscheidungsgründen auseinandersetzt und im Einzelnen anführt, welche Erwägungen er für unzutreffend hält, aus welchen Gründen sich die Unrichtigkeit ergeben soll und warum dies im konkreten Fall entscheidungserheblich ist (vgl. dazu: Seibert, a.a.O., 115, mit weiteren Nachweisen zur ganz überwiegenden herrschenden Meinung).

Die Frage, ob die Ausführungen in der Zulassungsschrift vom 13. Januar 2000 bzw. in den ergänzenden Schriftsätzen vom 28. Januar 2000 und 14. Februar 2000 den vorgenannten Darlegungsanforderungen genügen, kann dahingestellt bleiben, da sie ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung nicht zu begründen vermögen.

Das Verwaltungsgericht hat in dem angegriffenen Beschluss vom 27. Dezember 1999 die gaststättenrechtliche Unzuverlässigkeit der Antragstellerin darauf gestützt, dass sie erhebliche Verbindlichkeiten gegenüber öffentlichen Gläubigern habe, die zwar zunächst zurückgegangen, sodann jedoch erneut erheblich angestiegen seien; auf die Gründe, die zum Entstehen der Verbindlichkeiten geführt hätten, komme es nicht an. Aufgrund der Tatsache, dass die Antragstellerin ihre Verbindlichkeiten nicht zurückführen könne oder wolle, sei die Befürchtung gerechtfertigt, dass sich die Steuer- und Abgabenrückstände auch während des Hauptsacheverfahrens weiter erhöhten und damit die Anordnung bzw. Aufrechterhaltung des Sofortvollzugs gerechtfertigt sei.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Beschlusses hat die Antragstellerin im Wesentlichen damit begründet, dass das Verwaltungsgericht bei den vorgenannten Ausführungen von falschen Tatsachen ausgegangen sei. Die vom Finanzamt ... errechneten Steuerschulden beruhten auf Schätzungen, die zu hoch gegriffen seien; tatsächlich ergäbe sich hinsichtlich der Umsatzsteuer ein Guthaben. Das Finanzamt habe ihr zwischenzeitlich einen Kontoauszug vom 17. November 1999 übersandt, den sie in Kopie beifüge, aus dem sie ein "Soll" nicht erkennen könne. Vorauszahlungen an das Finanzamt würden pünktlich gezahlt. Die Verbindlichkeiten gegenüber der Stadt ... seien ebenfalls beglichen, einen entsprechenden Kontoauszug füge sie bei. Das Verwaltungsgericht sei demzufolge zu Unrecht davon ausgegangen, dass sich das Fehlverhalten der Antragstellerin im Hauptsacheverfahren fortsetzen werde.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO können nur mit Umständen tatsächlicher Art begründet werden, die in der angefochtenen erstinstanzlichen Entscheidung ausdrücklich festgestellt sind, im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorgetragen wurden oder sich aus den vom Verwaltungsgericht beigezogenen Behördenakten ergeben. Die prinzipielle Verpflichtung der Beteiligten, den streitentscheidenden Sachverhalt bereits vor dem Verwaltungsgericht umfassend und abschließend vorzutragen, folgt aus dem Zweck der Neufassung der Verwaltungsgerichtsordnung, die Gerichtsverfahren im Interesse der Entlastung der zweiten Instanz sowie der Beschleunigung des Verfahrens grundsätzlich mit der Entscheidung erster Instanz abzuschließen (Bader, a.a.O., 411; Berkemann, a.a.O., 455 ff.; Hess. VGH, 23.07.1997 - 13 TZ 2320/97 - und 30.01.1998 - 14 TZ 2416/97 -, NVwZ 1998, 755; VGH Baden-Württemberg, 29.09.1999 - 7 S 1871/99 -, VGHBW-Ls 2000, Beil. I, B 3; a. A. Seibert, a.a.O., 116 f., m.w.N.).. Für nachträglich veränderte Umstände steht grundsätzlich das Wiederaufnahmeverfahren nach § 153 VwGO i.V.m. §§ 578 ff. ZPO bzw. das Abänderungsverfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO zur Verfügung.

Die von der Antragstellerin in der Zulassungsschrift vom 13. Januar 2000 sowie in den ergänzenden Schriftsätzen vom 28. Januar 2000 und 14. Februar 2000 vorgetragenen Tatsachen sowie die jeweils eingereichten Belege sind in der ersten Instanz sämtlich nicht unterbreitet worden und vermögen aufgrund dessen ernstliche Zweifel an der (materiellen) Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung nicht zu begründen.

Darüber hinausgehende Zulassungsgründe hat die Antragstellerin nicht geltend gemacht.

Die Entscheidungen über die Kosten und den Streitwert des Antragsverfahrens beruhen auf § 154 Abs. 2 VwGO und §§ 13 Abs. 1, 14 Abs. 3 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).

Ende der Entscheidung

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