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Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 20.10.2008
Aktenzeichen: 7 B 2084/08
Rechtsgebiete: AufenthG, EMRK, GG


Vorschriften:

AufenthG § 60a Abs. 1
EMRK Art. 8
GG Art. 2 Abs. 2 S. 1
GG Art. 6
1. Eine rechtliche Unmöglichkeit einer Abschiebung im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG kann zur Begründung eines atypischen Falles der in der Soll-Vorschrift des § 57 Abs. 1 Satz 1 AufenthG als Regelfall vorgesehenen Zurückschiebung eines unerlaubt eingereisten Ausländers erfolgreich entgegengehalten werden.

2. Aus den grundgesetzlichen Garantien der Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) und des Elternrechts (Art. 6 Abs. 2 GG), dem konventionsrechtlichen Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK) sowie dem Grundrecht auf Leben (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) resultieren staatliche Schutzpflichten, die bei der Auslegung und Anwendung des § 60a Abs. 2 AufenthG zu beachten sind.

3. Im Hinblick auf das ungeborene Kind setzt ein die rechtliche Unmöglichkeit der Aufenthaltsbeendigung des (werdenden) ausländischen Vaters auslösendes Eingreifen der die Familie betreffenden grund- und konventionsrechtlichen Schutzpflichten (sog. Vorwirkung) neben der überwiegenden Wahrscheinlichkeit der Vaterschaft des Ausländers die Prognose voraus, dass zwischen ihm und dem Kind nach der Geburt eine tatsächlich gelebte familiäre Verbundenheit bestehen wird und eine auch nur vorübergehende Aufenthaltsbeendigung dieses (zukünftige) Vater-Kind-Verhältnis in unzumutbarer Weise beeinträchtigen würde.


HESSISCHER VERWALTUNGSGERICHTSHOF BESCHLUSS

7 B 2084/08

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Ausländerrechts - vorläufiger Rechtsschutz gegen Zurückschiebung -

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 7. Senat - durch

Vizepräsidenten des Hess. VGH Dr. Rothaug, Richter am Hess. VGH Schönstädt, Richterin am Hess. VGH Schäfer

am 20. Oktober 2008 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Ablehnung seines Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes im Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 23. September 2008 - 8 L 2542/08.F (1) - wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,00 € festgesetzt.

Gründe:

Die nach § 146 Abs. 1 VwGO statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde ist unbegründet.

Die vom Antragsteller dargelegten Gründe, die gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO den Umfang der Prüfung des Beschwerdegerichts bestimmen, lassen nicht die Feststellung zu, das Verwaltungsgericht habe das Eilrechtsschutzgesuch des Antragstellers zu Unrecht abgelehnt.

Eine rechtliche Unmöglichkeit einer Abschiebung im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG, die zur Begründung eines atypischen Falles der in der Soll-Vorschrift des § 57 Abs. 1 Satz 1 AufenthG als Regelfall vorgesehenen Zurückschiebung eines unerlaubt eingereisten Ausländers erfolgreich entgegengehalten werden kann (vgl. GK-AufenthG, Stand: Mai 2008, § 57 Rdnr. 40 ff.), ist auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens des Antragstellers nicht überwiegend wahrscheinlich.

Aus den grundgesetzlichen Garantien der Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) und des Elternrechts (Art. 6 Abs. 2 GG), dem konventionsrechtlichen Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK) sowie dem Grundrecht auf Leben (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) resultieren staatliche Schutzpflichten, die im Ausländerrecht und damit bei der Auslegung und Anwendung des § 60a Abs. 2 AufenthG zu beachten sind. Auch die Eigenschaft, nichtehelicher Vater des ungeborenen Kindes einer schwangeren Ausländerin zu sein, die über ein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet verfügt, kann demgemäß für den Ausländer eine rechtliche Unmöglichkeit seiner zwangsweisen Aufenthaltsbeendigung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG begründen. Diese vorgeburtliche Stellung als Vater führt allerdings nicht automatisch zum Bestehen eines Abschiebungshindernisses nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG.

Dies gilt zunächst im Hinblick auf die die Familie betreffenden Gewährleistungen des Art. 6 Abs. 1 und 2 GG sowie des Art. 8 EMRK. Während deren Schutzwirkungen bei einer bereits in Deutschland gelebten - und infolge Unzumutbarkeit der Ausreise für Mutter und Kind auch nur hier möglichen - Lebensgemeinschaft regelmäßig einwanderungspolitische Belange, denen u. a. das grundsätzliche Erfordernis der Durchführung eines Visumsverfahrens vom Ausland her geschuldet ist, zurückdrängen und ein Abschiebungshindernis nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG begründen (vgl. 3. Kammer des Zweiten Senats des BVerfG, Beschluss vom 10. Mai 2008 - 2 BvR 588/08 - InfAuslR 2008, 347), kommt ihnen dieses Gewicht in der vorgeburtlichen Situation nicht in gleicher Weise zu. Im Hinblick auf das ungeborene Kind setzt ein die rechtliche Unmöglichkeit der Aufenthaltsbeendigung des (werdenden) ausländischen Vaters auslösendes Eingreifen der die Familie betreffenden grund- und konventionsrechtlichen Schutzpflichten (sog. Vorwirkung) neben der überwiegenden Wahrscheinlichkeit der Vaterschaft des Ausländers vielmehr die Prognose voraus, dass zwischen ihm und dem Kind nach der Geburt eine tatsächlich gelebte familiäre Verbundenheit bestehen wird und eine auch nur vorübergehende Aufenthaltsbeendigung dieses (zukünftige) Vater-Kind-Verhältnis in unzumutbarer Weise beeinträchtigen würde.

Ein Abschiebungshindernis nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG für den nichtehelichen ausländischen Vater kann sich überdies im Fall einer Risikoschwangerschaft aus der staatlichen Schutzpflicht des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG für das ungeborene Kind ergeben. Ein derartiges Abschiebungshindernis ist im Einzelfall in Betracht zu ziehen, wenn die auch nur vorübergehende Aufenthaltsbeendigung des Ausländers in Deutschland infolge der mit der Trennung verbundenen Belastungen für die über ein Aufenthaltsrecht verfügende Mutter eine ernsthafte Gesundheitsbeeinträchtigung oder eine Lebensgefahr für das ungeborene Kind bewirken würde (vgl. zu Vorstehendem: Sächsisches OVG, Beschluss vom 25. Januar 2006 - 3 BS 274/05 - juris; Bay. VGH, Beschluss vom 1. Februar 2006 - 24 CE 06.265 - juris; OVG Saarland, Beschluss vom 24. April 2008 - 2 B 199/08 - juris; GK-AufenthG, Stand: Mai 2008, § 60a Rdnr. 150 i. V. m. 148 f.).

Nach diesem Maßstab ist auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen eines zugunsten des Antragstellers bestehenden Abschiebungshindernisses nicht überwiegend wahrscheinlich.

Gegen die Prognose einer zukünftig tatsächlich gelebten familiären Verbundenheit mit dem ungeborenen Kind und für das zentrale Bestreben des Antragstellers, ein Bleiberecht zu erlangen, sprechen folgende Gesichtspunkte: Der Antragsteller anerkannte bereits am 2. Mai 2006 vorgeburtlich die Vaterschaft bezüglich des Kindes der deutschen Staatsangehörigen Sonja xxx. Dieses Kind wurde am 31. Juli 2006 geboren. Im Schriftsatz vom 15. Oktober 2008 legte der Antragsteller dar, nachdem ihm Frau xxx. sexuelle Kontakte mit anderen Männer offenbart habe, habe er Zweifel an seiner Vaterschaft bekommen, die Beziehung zu Frau xxx beendet und jeglichen Kontakt zu ihr verloren. Im Einklang hiermit gab Frau xxx in ihrer eidesstattlichen Versicherung vom 14. Oktober 2008 an, mit dem Antragsteller eine kurze intime Beziehung gehabt zu haben. Bei einer Vorsprache bei der Ausländerbehörde des Kreises Bergstraße am 30. August 2007, also mehr als ein Jahr nach der Geburt des Kindes, erklärte der Antragsteller, er sei sehr wohl "Papa" geworden. Er sei sich nur nicht sicher, ob er der Vater des Kindes sei. Am 6. März 2008 sprach der Antragsteller beim Standesamt in Bensheim vor und erklärte, er wolle die Ehe mit einer deutschen Frau eingehen. Die deutsche Frau identifizierte der Antragsteller in seiner eidesstattlichen Versicherung vom 14. Oktober 2008 als Frau xxx.

Bereits das Verhalten des Antragstellers im Zusammenhang mit dieser ersten Vaterschaftsanerkennung deutet darauf hin, dass für ihn die Sorge um ein Bleiberecht im Vordergrund gestanden hat und steht. So ist nicht ersichtlich, dass der Antragsteller sich um das (vermeintlich) gemeinsame Kind mit Frau xxx jemals in irgendeiner Weise gekümmert hat. Sollte der Grund hierfür darin liegen, dass er bereits zeitnah nach der Geburt dieses Kindes am 31. Juli 2006 Zweifel an der Vaterschaft bekommen und sich - wie er im Schriftsatz vom 15. Oktober 2008 bekundet hat und wofür die Angabe einer kurzen intimen Beziehung in der eidesstattlichen Versicherung von Frau xxx vom 14. Oktober 2008 spricht - endgültig von dieser getrennt hat, erklärt sich die Vorsprache beim Standesamt Bensheim am 6. März 2008 zwecks Eheschließung mit Frau xxx allein durch das Streben nach einem Bleiberecht.

Gegen die Prognose eines zukünftig gelebten Vater-Kind-Verhältnisses spricht ferner, dass an einer engen, durch Fürsorge geprägten persönlichen Beziehung zur werdenden Mutter erhebliche Zweifel bestehen. Deren Schwangerschaft war zumindest am 27. April 2008, dem Zeitpunkt einer Schwangerschaftsuntersuchung durch den betreuenden Arzt, bekannt. Gleichwohl reiste der Antragsteller aus dem Bundesgebiet aus und befand sich zumindest ab dem 2. Juni 2008 im Kosovo und reiste seinen eigenen Angaben zufolge erst am 14. August 2008 erneut ins Bundesgebiet ein, wo er am 28. August 2008 festgenommen und inhaftiert wurde. Vor diesem Hintergrund ist nicht ersichtlich, in welchem Zeitraum der Antragsteller sein fürsorgliches Verhalten, das die werdende Mutter in ihrer eidesstattlichen Versicherung vom 1. Oktober 2008 schilderte, entfaltet hat. Anders als der nichteheliche ausländische Vater eines noch nicht geborenen Kindes in dem Fall, über den das Sächsische Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom 25. Januar 2006 - 3 BS 274/05 - befunden hat und auf den der Antragsteller sich beruft, haben er und die werdende Mutter auch nicht nach §§ 1626a Abs.1 Nr. 1, 1626b Abs. 2 BGB vorgeburtlich erklärt, dass sie die elterliche Sorge gemeinsam übernehmen wollen.

Zumindest indizielle Bedeutung für die fehlende Wahrscheinlichkeit eines zukünftig gelebten Vater-Kind-Verhältnisses kommt schließlich dem Umstand zu, dass der Antragsteller sich weder während seines Aufenthalts im Kosovo vom 2. Juni 2008 bis zum 14. August 2008 unter Berufung auf seine (zukünftige) Vaterschaft um ein Visum noch nach der Einreise bei der Ausländerbehörde um eine vorübergehende Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG bemühte.

Unabhängig hiervon fehlt es nach dem Erkenntnisstand des Beschwerdegerichts im Zeitpunkt seiner Beschwerdeentscheidung auch daran, dass eine vorübergehende Aufenthaltsbeendigung ein (zukünftiges) Vater-Kind-Verhältnis in unzumutbarer Weise beeinträchtigen würde. Auf der Grundlage der geltenden Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes kann die Wiedereinreise des nichtehelichen ausländischen Vaters eines deutschen Kindes - im Fall des Antragstellers nach Befristung der Sperrwirkungen der Zurückschiebung - alsbald nach der Geburt des Kindes ermöglicht werden. Eine unzumutbare Beeinträchtigung des Vater-Kind-Verhältnisses infolge Zeitablaufs ist bei Einhaltung der gesetzlichen Regelungen nicht zu erwarten. Im Hinblick auf die Regelung des § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG besteht für den Antragsteller und die werdende Mutter die Möglichkeit, schon vor der Geburt des Kindes zu erklären, dass sie die Sorge gemeinsam übernehmen wollen.

Ein Abschiebungshindernis nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG lässt sich auch nicht aus einer Risikoschwangerschaft der werdenden Mutter herleiten. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Antragsteller vom 2. Juni 2008 bis zum 14. August 2008 nicht im Bundesgebiet verweilte, ist es nicht überwiegend wahrscheinlich, dass die werdende Mutter unabdingbar auf Betreuungs- bzw. Unterstützungsleistungen des Antragstellers angewiesen ist. Die im Beschwerdeverfahren vorgelegten ärztlichen Atteste des Prof. Dr. H. vom 7. Oktober 2008 und vom 9. Oktober 2008, nach denen die werdende Mutter sehr unter der Festnahme des "Ehemannes und Kindesvaters" leide und ihre Schwangerschaft aufgrund von Depressionen und Stresszuständen gefährdet sei, weshalb ihr für die nächsten zwei bis drei Wochen Bettruhe verordnet worden sei, sind mangels näherer Darlegungen angesichts der Abwesenheitszeiten des Antragstellers schon vor dessen Inhaftierung zur Begründung eines Abschiebungshindernisses unter dem Blickwinkel einer Risikoschwangerschaft unzureichend. Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass sich die Schwangere am 10. Oktober 2008 aufgrund von Depressionen in das Klinikum A-Stadt am Main stationär aufnehmen ließ.

Vor diesem Hintergrund ist schließlich kein Raum für die Annahme eines infolge Ermessensreduzierung auf Null bestehenden Abschiebungshindernisses gemäß § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG, wonach einem Ausländer eine Duldung u. a. erteilt werden kann, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwertes für das Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 3 Nr. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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