Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 10.11.2004
Aktenzeichen: 7 TG 1413/04
Rechtsgebiete: BSHG, HSchG, VO über die sonderpädagogische Förderung


Vorschriften:

BSHG § 39
BSHG § 40 Abs. 1 Nr. 4
HSchG §§ 49 ff
VO über die sonderpädagogische Förderung
Nach hessischem Landesrecht haben behinderte Kinder keinen Anspruch gegen das Land Hessen bzw. den zuständigen Schulträger auf Gestellung eines sogenannten Integrationshelfers (Unterrichtsbegleiters zur Ermöglichung des Schulbesuchs) oder auf Übernahme der dadurch anfallenden Kosten.
Hessischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss

7 TG 1413/04

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Schulrechts

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 7. Senat - durch Richtterin am Hess. VGH Dr. Rudolp als Berichterstatterin am 10. November 2004 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Gießen vom 22. April 2004 der Antrag des Antragstellers auf Erlass auf einer einstweiligen Anordnung vom 23. September 2003 abgelehnt.

Der Antragsteller hat - unter Abänderung des angefochtenen Beschlusses auch insoweit - die Kosten des gesamten Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 4.000,-- € festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt die Verpflichtung des Antragsgegners, ihm eine zusätzliche unterrichtsbegleitende Einzelbetreuung für die Zeit des Besuchs der C-Schule in B-Stadt vorläufig zur Verfügung zu stellen.

Der am 19.11.1990 geborene Antragsteller leidet an einer autistischen Verhaltensstörung, einer ataktischen Bewegungsstörung und einer intellektuellen Behinderung. Das staatliche Schulamt für den Landkreis Gießen und den Vogelsbergkreis stellte mit Bescheid vom 19.05.1998 gemäß § 54 Abs. 1 Hessisches Schulgesetz (HSchG) fest, dass für den Antragsteller sonderpädagogischer Förderbedarf besteht, der Unterricht nach den Rahmenplänen der Schule für Lernhilfe sowie den Richtlinien der Schule für Körperbehinderte erforderlich macht.

Seit dem 01.08.1998 besucht der Antragsteller die Abteilung für Körperbehinderte an der C-Schule für Lernhilfe und Körperbehinderte in B-Stadt.

Das Medizinische Zentrum für Kinderheilkunde und Jugendmedizin der Justus-Liebig-Universität stellte mit Gutachten vom 19.12.2000 fest, dass eine Beschulung des Antragstellers nur mit einer Einzelbetreuung erfolgen könne, die es ermögliche, den Antragsteller stundenweise aus dem Klassenverband herauszunehmen.

Mit Schreiben vom 14.02.2001 beantragten die gesetzlichen Vertreter des Antragstellers beim Sozialamt des Beigeladenen die Übernahme der Kosten für eine Begleitperson während des Unterrichts. Diesen Antrag lehnte das Sozialamt des Beigeladenen mit Bescheid vom 13.03.2001 ab. Zur Begründung hieß es im Wesentlichen: Der Antragsteller gehöre zwar zum Personenkreis des § 39 BSHG. Dem geltend gemachten Anspruch stehe jedoch der Nachranggrundsatz des § 2 BSHG entgegen, der es verbiete, dass der Sozialhilfeträger Leistungen der Eingliederungshilfe erbringe, für die das Staatliche Schulamt im Rahmen der sonderpädagogischen Förderung zuständig sei. Hiergegen legten die gesetzlichen Vertreter des Antragstellers mit Schreiben vom 04.04.2001 Widerspruch ein. Sie legten einen Schulbericht der D-Schule (Schule für Kranke am Universitätsklinikum B-Stadt) vor, die der Antragsteller im Rahmen einer genehmigten Einzel-Sonderunterrichtsmaßnahme in der Zeit vom 24.08.2000 bis 24.10.2000 besuchte. Diesem Bericht vom 22.06.2001 zufolge ist der Antragsteller nur zur Mitarbeit bereit, wenn sich jemand direkt mit ihm befasst und ihn individuell betreut. Nur eine direkte und individuelle schulische Betreuung, die auf die besonderen Wünsche und den Lernbedarf des Antragstellers eingehe, ermögliche die von Misserfolgen, Enttäuschungen und Frustrationen geprägten Konflikte zu vermeiden. Dabei handele es sich nicht um die Abdeckung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs, sondern um eine zusätzliche, dringend erforderliche individuelle schulbegleitende Maßnahme, ohne die der Antragsteller an der C-Schule nicht erfolgreich lernen könne.

Nach einem Bericht der Klassenlehrerin des Antragstellers vom 15.01.2002 kann der Antragsteller aufgrund seiner autistischen Verhaltensstörung nur bedingt am Unterricht teilnehmen, d. h., er verweigert die Mitarbeit und zeigt nur geringe Lernfortschritte. Ein sogenannter "Stützer" könne ihn im Klassenverband einzeln ansprechen, das Lernumfeld und die Lernsituation klar strukturieren und ihn zur Erledigung des vorgegebenen Lernstoffs anleiten.

Am 12.04.2002 hatte der Antragsteller bei dem Verwaltungsgericht Gießen beantragt, den Beigeladenen als Träger der Sozialhilfe im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Kosten für einen Integrationshelfer während des Schulbesuchs des Antragstellers im Wege der Eingliederungshilfe nach §§ 39, 40 BSHG zu übernehmen (VG Gießen, Aktenzeichen: 6 G 1357/02 ).

Mit Beschluss vom 16.05.2002 lud das Verwaltungsgericht Gießen in diesem Verfahren das Land Hessen, vertreten durch das Staatliche Schulamt für den Landkreis Gießen und den Vogelsbergkreis, zum Verfahren bei; dieses gab in dem Verfahren keine Stellungnahme ab.

Mit Beschluss vom 14.06.2002 lehnte das Verwaltungsgericht den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ab. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: Der Gewährung der Eingliederungshilfe stehe der Nachranggrundsatz der Sozialhilfe gemäß § 2 BSHG entgegen. Es sei Aufgabe des Schulträgers, den während des Schulbetriebs an einer Sonderschule erforderlichen Betreuungsaufwand durch zusätzliches Personal sicherzustellen.

Am 08.08.2003 erhob der Antragsteller Klage gegen den Vogelsbergkreis als Träger der Sozialhilfe mit dem Begehren, die Kosten für einen Integrationshelfer während des Schulbesuchs im Wege der Eingliederungshilfe nach §§ 39, 40 BSHG zu übernehmen (VG Gießen, Aktenzeichen: 5 E 2796/03); über die Klage ist bislang noch nicht entschieden worden.

Mit Schreiben vom 20.06.2002 beantragte der Antragsteller unter Bezugnahme auf den Beschluss des Verwaltungsgerichts Gießen vom 14.06.2002 in dem Verfahren 6 G 1357/02 bei dem Antragsgegner, ihm eine zusätzliche unterrichtsbegleitende Einzelbetreuung für die Zeit des Besuchs der C-Schule zu gewähren.

Mit einem (ohne Rechtsmittelbelehrung versehenen) Schreiben vom 06.09.2002 teilte der Antragsgegner den Prozessbevollmächtigten des Antragstellers mit, der Förderbedarf des Antragstellers werde durch die Beschulung in der C-Schule erfüllt. Die Schule erhalte zur Umsetzung ihres pädagogischen Auftrags eine Personalzuweisung, die sich an der Verordnung über die Festlegung der Anzahl und der Größe der Klassen, Gruppen und Kurse in allen Schulformen vom 3. Dezember 1992 (ABl. 1993 S. 2) orientiere. Eine höhere Personalzuweisung für diese Schulform sei seitens des Landes nicht möglich.

Gegen dieses Schreibens legte der Antragsteller am 02.07.2003 Widerspruch ein, über den noch nicht entschieden worden ist.

Auf das entsprechende vorläufige Rechtsschutzbegehren des Antragstellers verpflichtete das Verwaltungsgericht den Antragsgegner mit Beschluss vom 22.04.2004, vorläufig bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache eine unterrichtsbegleitende Einzelbetreuung für den Besuch der C-Schule in B-Stadt zur Verfügung zu stellen. Zur Begründung hat es sich im Wesentlichen folgende, im Beschluss des Verwaltungsgerichts Gießen vom 14.06.2002 (Aktenzeichen: 6 G 1357/02) enthaltene Ausführungen zu Eigen gemacht: "Kinder und Jugendliche, die zur Gewährleistung ihrer körperlichen, sozialen und emotionalen sowie kognitiven Entwicklung in der Schule sonderpädagogischer Hilfen bedürfen, haben nach § 49 Abs. 1 HSchG einen Anspruch auf sonderpädagogische Förderung. Den sich aus diesem Anspruch ergebenden sonderpädagogischen Förderbedarf erfüllen die Sonderschulen in ihren verschiedenen Formen (§ 49 Abs. 2 Satz 1 1. Halbsatz HSchG). Der Anspruch auf sonderpädagogische Förderung wird durch die auf der Ermächtigungsgrundlage des § 55 HSchG erlassenen Verordnung über die sonderpädagogische Förderung vom 22.12.1998 konkretisiert. Nach § 14 Abs. 1 dieser Verordnung ist der Unterricht in den Sonderschulen gemäß den jeweiligen Richtlinien nach sonderpädagogischen Gesichtspunkten so zu gestalten, dass er den behinderungsspezifischen Erfordernissen der Schülerinnen und Schüler entspricht. Über den Rahmen des Unterrichts nach den Stundentafeln hinaus werden die Schülerinnen und Schüler in zusätzliche Fördermaßnahmen einbezogen, die unterrichtsbegleitend oder -ergänzend stattfinden. In ihnen erfolgt in kleinen Gruppen oder einzeln gezielte sonderpädagogische Förderung entsprechend dem festgestellten sonderpädagogischen Förderbedarf. Nach § 40 Abs. 1 Nr. 4 2. Halbsatz BSHG dürfen derartige Bestimmungen über die Ermöglichung der Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht durch Maßnahmen der Eingliederungshilfe nicht berührt werden. Vorliegend hat das Staatliche Schulamt für den Landkreis Gießen und den Vogelsbergkreis mit Bescheid vom 19.05.1998 für den Antragsteller sonderpädagogischen Förderbedarf festgestellt. [...]. Erachtet die C-Schule im Rahmen des sonderpädagogischen Förderbedarfs des Antragstellers eine pädagogische Einzelbetreuung während des Unterrichts für erforderlich, hat nicht der Sozialhilfeträger, sondern der Schulträger diesen Bedarf zu decken. Nach § 21 Abs. 4 der Verordnung über die sonderpädagogische Förderung vom 22.12.1998 kann Unterricht an Sonderschulen nämlich nicht nur im Klassenverband und in Lerngruppen, sondern auch als Einzelunterricht erteilt werden. Er orientiert sich am individuellen Förderbedarf der einzelnen Schülerinnen und Schüler und ist durch Formen der äußeren und inneren Differenzierung so zu gestalten, dass er verschiedene Lernausgangslagen und Belastbarkeiten, unterschiedliche Lernvermögen, Lernfähigkeiten und Lerntempi sowie die Neigungen und Interessen der Schülerinnen und Schüler zu berücksichtigen vermag. Sonderpädagogische Förderung in diesem Sinne umfasst im Bedarfsfall auch die unterrichtsbegleitende Einzel- oder Kleingruppenbetreuung. [...] Demzufolge ist es Aufgabe des Schulträgers und nicht des Sozialhilfeträgers, den während des Schulbetriebes an einer Sonderschule erforderlichen Betreuungsaufwand gegebenenfalls durch zusätzliches Personal sicherzustellen und dafür Sorge zu tragen, dass der Antragsteller im Unterricht individuell angeleitet wird."

Der Antragsgegner hat gegen diesen Beschluss Beschwerde eingelegt.

Er macht geltend, dass die Verordnung über die sonderpädagogische Förderung vom 22.12.1998 (ABl. 1999 S. 47 ff.) eine Einzelbetreuung während des gesamten Zeitraums des Schulbesuchs nicht vorsehe; die C-Schule könne aufgrund ihrer Personalzuweisung lediglich eine punktuelle und zeitlich begrenzte Einzelbetreuung leisten. Bei der Tätigkeit eines Integrationshelfers handele es sich um eine medizinisch-therapeutische Aufgabe, die nicht der Schule obliege, sondern die schulbegleitend die angemessene Schulbildung überhaupt erst ermöglichen solle. Die Finanzierung solcher Eingliederungshilfen obliege gemäß § 40 Abs. 1 Ziff. 4 BSHG dem Sozialhilfeträger.

Der Antragsgegner beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Verwaltungsgerichts Gießen vom 22.04.2004 aufzuheben und den Antrag des Antragstellers abzulehnen.

Der Antragsteller beantragt unter Bezugnahme auf seinen erstinstanzlichen Vortrag,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Der Beigeladene hat auf seine erstinstanzlichen Ausführungen verwiesen. Er ist der Auffassung, dass die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen sei, da sie entgegen § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO keinen bestimmten Antrag enthalte.

II.

Die Beschwerde ist zulässig.

Zwar muss die Beschwerdebegründung gemäß § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO einen bestimmten Antrag enthalten. Ein ausdrücklicher Antrag ist aber ausnahmsweise dann entbehrlich, wenn aufgrund der Beschwerdebegründung das Rechtsschutzziel unzweifelhaft feststeht (vgl. Bader, in: Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll, VwGO, 2. Aufl., § 146 Rn 28). So verhält es sich im vorliegenden Fall, da aufgrund des Beschwerdevorbringens unzweifelhaft feststeht, dass der Antragsgegner die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und die Antragsablehnung begehrt.

Die Beschwerde ist auch begründet.

Der Beigeladene nimmt zu Unrecht an, dass aufgrund der eingetretenen Bindungswirkung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Gießen vom 14.06.2002 (Aktenzeichen: 6 G 1357/02) gemäß § 121 VwGO der Anspruch des Antragstellers gegen den Antragsgegner auf eine zusätzliche unterrichtsbegleitende Einzelbetreuung im Rahmen der sonderpädagogischen Förderung bereits verbindlich festgestellt ist.

Zwar gilt § 121 VwGO auch für Beschlüsse nach § 80 Abs. 5 VwGO und § 123 VwGO (Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl., § 121 Rdnr. 4). Beschlüsse nach § 123 VwGO und § 80 Abs. 5 VwGO entscheiden bindend jedoch nur über einen vorläufigen Zustand und sind auch nur in diesem Sinne der materiellen Rechtskraft fähig. Wegen des besonderen Zwecks des Eilverfahrens, einer faktischen Entwertung des Rechtsschutzes in der Hauptsache entgegen zu wirken, unterliegen sie einer erleichterten Abänderbarkeit (Eyermann, VwGO, 11. Aufl., § 121 Rdnr. 6). Der formell und materiell rechtskräftige Beschluss des Verwaltungsgerichts Gießen vom 14.06.2002 in dem Verfahren 6 G 1357/02 steht also unter Vorbehalt der Hauptsacheentscheidung, die noch aussteht.

Unabhängig hiervon ist eine Bindungswirkung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Gießen vom 14.06.2002 auch deswegen zu verneinen, weil die in diesem Beschluss festgestellte Rechtsfolge, dass der Antragsteller keinen Anspruch auf Kostenerstattung für eine unterrichtsbegleitende Einzelbetreuung gemäß §§ 39 Abs. 1, 40 Abs. 1 Nr. 4 BSHG i. V. m. § 12 der Eingliederungshilfe-Verordnung hat, für den im vorliegenden Verfahren zu beurteilenden Anspruch auf Zurverfügungstellung eines Integrationshelfers als Bestandteil des Anspruchs auf sonderpädagogische Förderung nicht präjudiziell ist (vgl. zur Bindungswirkung bei Präjudizialität: BVerwG, U. v. 10.05.1994 - BVerwG 9 C 501.93 - BVerwGE 96, 24). Denn der Anspruch auf sonderpädagogische Förderung ist nicht vom Bestehen bzw. Nichtbestehen des sozialhilferechtlichen Anspruchs abhängig. Das Bestehen eines schulrechtlichen Anspruchs gegen das Land bzw. den Schulträger ist wegen des Nachrangs der Sozialhilfe gemäß § 2 Abs. 1 BSHG vielmehr eine materiell-rechtliche Vorfrage für das Bestehen des sozialhilferechtlichen Anspruchs, deren gerichtliche Beantwortung keine Bindungswirkung nach § 121 VwGO entfaltet (vgl. zur fehlenden Bindungswirkung, wenn in den Entscheidungsgründen materiell-rechtliche Vorfragen geprüft werden: Redeker/von Oertzen, VwGO, 13. Aufl., § 121 Rdnr. 8).

Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts in dem angefochtenen Beschluss besteht auch nach dem (insoweit allein maßgebenden [vgl. BVerwG, B. v. 13.06.2001 - BVerwG 5 B 105/00 - ZfSH/SGB 2001, 615]) hessischen Landesrecht kein Anspruch behinderter Kinder gegen das Land Hessen bzw. den zuständigen Schulträger auf Bestellung eines sogenannten Integrationshelfers (Unterrichtsbegleiters zur Ermöglichung des Schulbesuchs) oder auf Übernahme der dadurch anfallenden Kosten.

Zwar haben Kinder und Jugendliche, die zur Gewährleistung ihrer körperlichen, sozialen und emotionalen sowie kognitiven Entwicklung in der Schule sonderpädagogischer Hilfen bedürfen, einen Anspruch auf sonderpädagogische Förderung (§ 49 Abs. 1 HSchG). Der Anspruch auf sonderpädagogische Förderung wird durch weitere Vorgaben des Hessischen Schulgesetzes und durch die auf der Ermächtigungsgrundlage des § 55 HSchG erlassene Verordnung über die sonderpädagogische Förderung vom 22. Dezember 1998 (ABl. 1999 S. 47) konkretisiert. Nach § 14 Abs. 1 Satz 2 dieser Verordnung ist in den Sonderschulen der Unterricht gemäß den jeweiligen Richtlinien nach sonderpädagogischen Gesichtspunkten so zu gestalten, dass er den behinderungsspezifischen Erfordernissen der Schülerinnen und Schüler entspricht. Über den Rahmen des Unterrichts nach den Stundentafeln hinaus werden die Schülerinnen und Schüler in zusätzliche Fördermaßnahmen einbezogen, die unterrichtsbegleitend oder -ergänzend stattfinden. In ihnen erfolgt in kleinen Gruppen oder einzeln gezielte sonderpädagogische Förderung entsprechend dem festgestellten sonderpädagogischen Förderbedarf.

Die Verordnung über die sonderpädagogische Förderung sieht somit zwar erforderlichenfalls zusätzliche unterrichtsbegleitende Fördermaßnahmen vor, die in Kleingruppen oder auch als individuelle Maßnahmen stattfinden können. Eine Anspruchsgrundlage für eine Einzelbetreuung durch einen Integrationshelfer während des Unterrichts, um den Behinderten in die Lage zu versetzen, das Lehrangebot überhaupt wahrnehmen zu können, ermöglicht die Verordnung über die sonderpädagogische Förderung demgegenüber nicht. Auch aus § 21 Abs. 4 Satz 1 dieser Verordnung, wonach der Unterricht an Sonderschulen im Klassenverband, in Lerngruppen oder als Einzelunterricht erteilt werden kann, ergibt sich ein solcher Anspruch nicht. Aus dem Umstand, dass der einschlägigen Verordnung zufolge erforderlichenfalls auch Einzelunterricht erteilt werden kann, kann entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht - im Sinne eines argumentum a maiore ad minus - gefolgert werden, dass auch eine Einzelbetreuung während des Unterrichts zu den sonderpädagogischen Maßnahmen gehört. Dies gilt auch deswegen, weil - wie der systematische Zusammenhang der §§ 14 und 21 Abs. 4 mit § 25 der Verordnung über die sonderpädagogische Förderung zeigt - Einzelunterricht nur als zeitlich begrenzte Fördermaßnahme möglich ist, so dass eine Integrationshilfe, die eine Einzelbetreuungsmaßnahme während des gesamten Zeitraums des Schulbesuchs darstellt, nicht zu den sonderpädagogischen Maßnahmen zählen kann. Dass zeitlich nicht begrenzter ständiger Einzelunterricht nicht im Rahmen des regulären Sonderschulunterrichts, sondern in Form eines Sonderunterrichts erfolgen soll, ergibt sich nämlich aus § 25 Abs. 1 der Verordnung über die sonderpädagogische Förderung, wonach u. a. Schülerinnen und Schülern, die auch in einer Sonderschule nicht gefördert werden können, Sonderunterricht im Umfang bis zu acht Wochenstunden erteilt wird. Hieraus folgt, dass nur für den in § 25 der Verordnung genannten Schülerkreis eine auf Dauer angelegte Einzelbeschulung möglich sein soll.

Hinzu kommt im vorliegenden Fall, dass die Integrationshilfe bei einem Schüler mit autistischer Verhaltensstörung nicht die Erteilung von Unterricht oder andere Tätigkeiten, die zum Kernbereich pädagogischer Arbeit gehören, umfasst. Für die Unterrichtsbegleitung bedarf es nach dem jugendpsychiatrischen Gutachten des Prof. Dr. med. E. und der Dr. F. vom 19.12.2000 keiner pädagogisch ausgebildeten Person. Erforderlich ist lediglich, dass die Betreuungsperson mit dem beziehungs- und kontaktgestörten Kind angemessen umgeht und eine gewisse Kontinuität in der Betreuung stattfindet.

Unabhängig hiervon steht der Anspruch auf sonderpädagogische Förderung unter dem Vorbehalt des in Abwägung mit anderen gesellschaftlichen Bedürfnissen Leistbaren, also unter dem des Haushalts und der Ressourcen, die der Haushaltsgesetzgeber für diesen Zweck zur Verfügung stellt (Köller/Achilles, Hessisches Schulgesetz, Stand: August 2004, § 49 Rdnr. 3). Der Antragsgegner hat insoweit vorgetragen, dass die Sonderschulen zur Umsetzung ihres pädagogischen Auftrags eine Personalzuweisung erhalten, die sich an der Verordnung über die Festlegung der Anzahl und der Größe der Klassen, Gruppen und Kurse in allen Schulformen vom 3. Dezember 1992 (ABl. 1993. S. 2) orientiert. Für die von dem Antragsteller besuchte Schule für Lernhilfe und Körperbehinderte bedeutet dies, dass einer Klasse mit minimal vier und maximal acht Schülerinnen und Schülern je eine Lehrkraft zugewiesen wird. Ferner sind gemäß der Richtlinie für die Tätigkeit von Erziehern und Erzieherinnen an den Schulen für praktisch Bildbare und an den Schulen für Körperbehinderte (Sonderschulen) vom 21.10.1988 (ABl. 1988 S. 877), geändert durch Erlass vom 20.12.1991 (ABl. 1992 S. 114), an der Schule des Antragstellers vier Erzieherinnen beschäftigt. Der Anspruch des Antragstellers auf pädagogische Förderung wird somit dadurch erfüllt, dass er in einer Schule mit sehr kleinen Lerngruppen (maximal acht Schüler) beschult wird und eine zusätzliche Betreuung durch Erzieher erhält. Diese Personalausstattung ermöglicht es zwar, den Förderbedarf im Einzelfall stundenweise auch durch Einzelunterricht gemäß § 21 Abs. 4 der Verordnung über die sonderpädagogische Förderung zu decken; eine ständige Einzelbetreuung während des Gruppenunterrichts durch einen sogenannten Integrationshelfer ist aber nicht leistbar, ohne zugleich den Bildungsanspruch der Mitschüler zu gefährden. Hierauf besteht auch kein gesetzlicher Anspruch, da der Anspruch auf sonderpädagogische Förderung nur im Rahmen der durch den Haushaltsgesetzgeber für die sonderpädagogische Förderung zur Verfügung gestellten Mittel erfüllt werden kann. Ferner besteht auch kein subjektiv-rechtlicher Anspruch gegen das Land bzw. den Schulträger auf Bereitstellung einer bestimmten Anzahl von Lehrkräften, pädagogischen Fachkräften und sonstigen Hilfspersonals (vgl. zur Problematik: OVG Koblenz, U. v. 16.07.2004 - 12 A 10701/04 - JAmt 2004, 432; OVG Koblenz, B. v. 05.09.2002 - 12 B 11355/02 - FEVS 54, 137; VG Koblenz, U. v. 18.12.2002 - 5 K 1591/02.KO - NDV-RD 2004, 36; OVG Lüneburg, B. v. 18.05.2000 - 13 L 549/00 - FEVS 52, 140; VG Leipzig, B. v. 21.11.2000 - 2 K 1589/00 - LKV 2001, 382; vgl. auch Beckermann, Finanzierung individueller Betreuungen behinderter Schülerinnen und Schüler zum Schulbesuch, Behindertenrecht 2002, 77).

Folglich kann auch der Sozialhilfeträger die Übernahme der Kosten eines Integrationshelfers gemäß §§ 39, 40 Abs. 1 Nr. 4 BSHG i. V. m. § 12 Nr. 1 Eingliederungshilfe-Verordnung nicht unter Hinweis auf vorrangige Leistungsansprüche auf schulrechtlicher Grundlage ablehnen. Dies gilt insbesondere auch deswegen, weil der Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe (§ 2 Abs. 1 BSHG) der Leistungspflicht des Sozialhilfeträgers dann nicht entgegensteht, wenn der Schulträger die zusätzlichen Kosten für einen Integrationshelfer während der Zeit des Schulbesuchs - trotz unterstellter Verpflichtung - tatsächlich nicht aufbringt (Schellhorn, BSHG, 16. Aufl., § 40 Rdnr. 41; OVG Koblenz, U. v. 29.04.1999 - 12 A 13055/96 -). Selbst wenn der Sozialhilfeträger in einem solchen Fall meint, die Schulverwaltung müsse für die Kosten des Integrationshelfers aufkommen, ist er verpflichtet gemäß § 44 Abs. 1 BSHG dem behinderten Kind vorläufig Hilfe zu leisten, bis feststeht, ob ein anderer zur Hilfe verpflichtet ist (Bayerischer VGH, B. v. 17.04.2002 - 12 CE 01.297- RdLH 2002, 161; OVG Münster, U. v. 12.06.2002 - 16 A 5013/00 - RdLH 2002, 104; ders., U. v. 15.06.2000 - 16 A 2975/98 -; OVG Brandenburg, B. v. 28.04.2000 - 4 B 9/00 - LKV 2001, 77; VG Koblenz, U. v. 18.12.2002 - 5 K 1591/02.KO - a. a. O.). Der Streit über die Kostenträgerschaft soll nicht auf dem Rücken des behinderten Kindes ausgetragen werden. Es ist dem Hilfesuchenden auf der Grundlage des § 2 Abs. 1 BSHG daher nicht zuzumuten, einen - vermeintlichen - Rechtsanspruch gegen einen Dritten gerichtlich durchzusetzen, wenn z. B. wegen der Ungeklärtheit der Rechtslage keine rechtzeitige Deckung des sozialhilferechtlichen Bedarfs erwartet werden kann (BVerwG, B. v. 02.09.2003 - BVerwG 5 B 259/02 -; BVerwG, B. v. 13.05.1996 - BVerwG 5 B 52.96 - Buchholz 436.0 § 2 BSHG Nr. 20).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Billigkeit gebietet es nicht, die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen für erstattungsfähig zu erklären, da der Beigeladene keinen Antrag gestellt und somit nicht am Kostenrisiko teilgenommen hat (§§ 162 Abs. 3, 154 Abs. 3 VwGO).

Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 13 Abs. 1 Satz 2 a. F. i. V. m. § 72 Nr. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 3 Satz 2 a. F. i. V. m. § 72 Nr. 1 GKG).

Ende der Entscheidung

Zurück