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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 19.07.2007
Aktenzeichen: 7 TJ 1217/07
Rechtsgebiete: RVG


Vorschriften:

RVG § 11 Abs. 5
1. Im Hinblick auf den Charakter des Vergütungsfestsetzungsverfahrens nach § 11 RVG als eines vereinfachten zivilrechtlichen Gebührenprozesses zwischen der Partei und deren Anwalt greift auch im Vergütungsfestsetzungsverfahren vor dem Verwaltungsgericht der Verhandlungs- oder Beibringungsgrundsatz ein, nicht der den Verwaltungsprozess sonst beherrschende Untersuchungsgrundsatz.

2. Für die in § 11 Abs. 5 Satz 1 RVG normierte Ablehnungsvoraussetzung der Erhebung einer Einwendung, die nicht ihren Grund im Gebührenrecht hat, genügt grundsätzlich die bloße Berufung des Antragsgegners auf eine solche Einwendung, ohne dass deren Substantiierung oder gar schlüssige Darlegung erforderlich wäre.

3. Nur aufgrund dieser einfachen Verhinderungsmöglichkeit des Antragsgegners kann ein Vergütungsfestsetzungsbeschluss - ohne dass ein Konflikt mit dem rechtsstaatlichen Gebot der Justizgewährleistung auftritt - umfassend in materielle Rechtskraft erwachsen mit der Folge, dass sowohl gebühren- als auch nicht gebührenrechtliche Einwendungen, die vor Titelerlass entstanden sind, infolge Präklusion gemäß § 767 Abs. 2 ZPO auch mit der Vollstreckungsgegenklage nicht mehr geltend gemacht werden können.

4. Eine Ausnahme, in der das bloße Erheben einer nicht gebührenrechtlichen Einwendung nicht genügt, um eine Festsetzung der Vergütung im vereinfachten Verfahren nach § 11 RVG zu verhindern, kann vor diesem Hintergrund nur angenommen werden, wenn deren Geltendmachung offensichtlich haltlos ist, insbesondere ohne jeden konkreten tatsächlichen Anhaltspunkt für eine nicht gebührenrechtliche Einwendung erfolgt.


HESSISCHER VERWALTUNGSGERICHTSHOF BESCHLUSS

7 TJ 1217/07

In dem Vergütungsfestsetzungsverfahren

wegen Festsetzung der anwaltlichen Vergütung gegen die eigene Partei

hier: Ablehnung der Festsetzung aufgrund der Erhebung nicht gebührenrechtlicher Einwendungen

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 7. Senat - durch

Vizepräsidenten des Hess. VGH Dr. Rothaug, Richter am Hess. VGH Schönstädt, Richterin am Hess. VGH Schäfer

am 19. Juli 2007 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Gießen vom 24. Mai 2007 - 9 J 1100/07 - wird zurückgewiesen.

Die Antragsteller haben die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

I.

Die Beschwerde richtet sich gegen den im Tenor bezeichneten Beschluss des Verwaltungsgerichts Gießen, mit dem die Erinnerung der Antragsteller gegen die Ablehnung ihres Vergütungsfestsetzungsantrags durch Beschluss des Urkundsbeamten des Verwaltungsgerichts Gießen vom 15. März 2007 - 9 E 99/05 - zurückgewiesen wurde.

Die Antragsteller begehrten mit Schreiben vom 26. Januar 2007 gegen die eigene Partei - die Antragsgegnerin - Festsetzung der anwaltlichen Vergütung im unter der Geschäftsnummer 9 E 99/05 geführten Verwaltungsstreitverfahren, dessen Streitgegenstand die Erteilung einer humanitären Aufenthaltserlaubnis nach § 25 AufenthG an die Antragsgegnerin war. Dem Antrag ist als Kostenrechnung ein Schreiben an die Eltern der Antragsgegnerin vom selben Tag beigefügt, in dem unter Nr. I bis XXXIV Kostenpositionen gelistet sind, die sich in der Summe auf 14.429,80 € belaufen. Die Kosten, die Gegenstand des Vergütungsfestsetzungsverfahrens sind, sind unter Nr. XXV aufgeführt. Ferner werden auf den Seiten 17 und 18 dieses Schreibens die erfolgten Zahlungen der Familie der Antragsgegnerin in Höhe von 5.130,00 € verschiedenen Kostenpositionen zugewiesen und verrechnet, wobei ein Betrag von 3.000,00 € auf eine Honorarvereinbarung fällt. Eine Zahlung auf die Kostenposition Nr. XXV ist hiernach nicht erfolgt.

Nachdem die Antragsgegnerin mit beim Verwaltungsgericht Gießen am 14. Februar 2007 eingegangenem Schreiben mitgeteilt hatte, "Die Mandantschaft bei Herrn N. wurde über 2 Jahren gekündigt. Alle Forderungen bis dahin wurden an ihm gezahlt. Wir sind Ihm nicht mehr schuldig!", lehnte der Urkundsbeamte mit Beschluss vom 15. März 2007 - 9 E 99/05 - den Antrag auf Vergütungsfestsetzung mit der Begründung ab, die Antragsgegnerin habe Einwendungen erhoben, die nicht im Gebührenrecht ihren Grund hätten.

Die Antragsteller legten gegen den - ihnen am 19. März 2007 zugestellten - Beschluss am 2. April 2007 Erinnerung ein, der der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle nicht abhalf. Im Erinnerungsverfahren erklärte ein unter derselben Adresse wie die Antragsgegnerin wohnhafter Herr Avni B. am 17. April 2007 zu Protokoll der Geschäftsstelle, er beantrage, auch im Namen seiner Eltern und Geschwister, die Erinnerung der Antragsteller zurückzuweisen. Die von Herrn Rechtsanwalt Müller in seinem Schreiben vom 26. Januar 2007 an die Eltern erfolgte Gebührenabrechnung sei nicht nachvollziehbar, insbesondere die Positionen, die keine Gerichtsverfahren beträfen. Für diese Angelegenheiten sei - wie in dem Schreiben ausgeführt - eine Honorarvereinbarung getroffen worden. Es mache wenig Sinn und sei auch von den Eltern und ihm nicht beabsichtigt gewesen, eine Honorarvereinbarung zu schließen und dann noch jeden Vorgang einzeln abzurechnen. Darüber hinaus sei er sich auch nicht sicher, ob z. B. die Kündigung des Mandats eines anderen Anwalts nicht mit der Prozessgebühr abgegolten sei.

Das Verwaltungsgericht Gießen wies mit dem im Tenor bezeichneten Beschluss, der den Antragstellern am 31. Mai 2007 zugestellt wurde, die Erinnerung zurück. Die Vergütungsfestsetzung sei gemäß § 11 Abs. 5 RVG zu Recht unterblieben. Im Hinblick auf die erfolgten Zahlungen an die Antragsteller könne die Einwendung, dass unter Berücksichtigung der Honorarvereinbarung sämtliche berechtigten anwaltlichen Forderungen bezahlt worden seien, nicht als haltlos und unbeachtlich angesehen werden.

Am 12. Juni 2007 haben die Antragsteller Beschwerde erhoben, wegen deren Begründung auf den Schriftsatz der Antragsteller vom selben Tag Bezug genommen wird.

II.

Die gemäß § 146 Abs. 1 VwGO statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde der Antragsteller gegen die nach § 11 Abs. 3 Satz 2 RVG i. V. m. §§ 165, 151 VwGO ergangene Erinnerungsentscheidung des Verwaltungsgerichts ist unbegründet. Die verwaltungsgerichtliche Zurückweisung der Erinnerung mit Beschluss vom 24. Mai 2007 - 9 J 1100/07 - ist nicht als fehlerhaft zu beanstanden, da sich (auch) nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung des Beschwerdegerichts die Ablehnung des Vergütungsfestsetzungsantrags durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle als rechtmäßig darstellt.

Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 RVG ist die gesetzliche Vergütung auf Antrag des Rechtsanwalts durch das Gericht des ersten Rechtszugs festzusetzen, soweit sie zu den Kosten des gerichtlichen Verfahrens gehört. Im Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit wird die Vergütung gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 RVG vom Urkundsbeamten der Geschäftsstelle festgesetzt. Nach § 11 Abs. 2 Satz 3 RVG gelten für das Verfahren prinzipiell die Vorschriften der jeweiligen Verfahrensordnung für das Kostenfestsetzungsverfahren, für das Vergütungsfestsetzungsverfahren vor dem Urkundsbeamten des Verwaltungsgerichts mithin § 164 VwGO, gemäß § 173 VwGO ergänzt durch die §§ 103 ff. ZPO. Im Hinblick auf den Charakter des Vergütungsfestsetzungsverfahrens nach § 11 RVG als eines vereinfachten zivilrechtlichen Gebührenprozesses zwischen der Partei und deren Anwalt greift auch im Vergütungsfestsetzungsverfahren vor dem Verwaltungsgericht der Verhandlungs- oder Beibringungsgrundsatz ein, nicht der den Verwaltungsprozess sonst beherrschende Untersuchungsgrundsatz (vgl. Riedel/Sußbauer, RVG, 9. Aufl. 2005, § 11 Rdnr. 23; Bischof/Jungbauer/Bräuer/Curkovic/Mathias/Uher, RVG, 2. Aufl. 2007, § 11 Rdnr. 36). Nach § 11 Abs. 5 Satz 1 RVG ist die Festsetzung abzulehnen, soweit der Antragsgegner Einwendungen oder Einreden erhebt, die nicht im Gebührenrecht ihren Grund haben.

Der eine Vergütungsfestsetzung ausschließende Tatbestand des § 11 Abs. 5 Satz 1 RVG ist nach dem maßgeblichen Vorbringen der Beteiligten gegeben.

Die Berufung der Antragsgegnerin im am 14. Februar 2007 beim Verwaltungsgericht eingegangenen Schreiben auf erfolgte Zahlungen sowie eine hierdurch eingetretene vollständige Schuldtilgung stellt eine nicht gebührenrechtliche Einwendung im Sinne des § 11 Abs. 5 Satz 1 RVG dar. Die Antragsteller selbst haben in ihrer Kostenaufstellung vom 26. Januar 2007 sowie ihrer Forderungsaufstellung vom 2. April 2007 bestimmte Zahlungen der Antragsgegnerin bzw. deren Familie bestätigt. Zugleich haben die Antragsteller das Bestehen einer Honorarforderung mitgeteilt, so dass es nicht mehr darauf ankommt, dass Herr Avni B. seinen entsprechenden Vortrag am 17. April 2007 leistete, ohne eine Vollmacht der Antragsgegnerin vorzulegen.

Für die in § 11 Abs. 5 Satz 1 RVG normierte Ablehnungsvoraussetzung der Erhebung einer Einwendung, die nicht ihren Grund im Gebührenrecht hat, genügt grundsätzlich die bloße Berufung des Antragsgegners auf eine solche Einwendung, ohne dass deren Substantiierung oder gar schlüssige Darlegung erforderlich wäre. Denn das zu einem Vergütungsfestsetzungsbeschluss als Vollstreckungstitel führende Vergütungsfestsetzungsverfahren, in dem lediglich geprüft wird, ob eine Gebühr nach den Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes in der beantragten Höhe entstanden ist, wird vom Gesetzgeber nur für den Fall zur Verfügung gestellt, dass nach dem Vortrag des angehörten Antragsgegners andere als gebührenrechtliche Einwendungen oder Einreden nicht entgegenstehen. Dem Antragsgegner ist vom Gesetz die Rechtsmacht eingeräumt, durch die bloße Berufung auf nicht gebührenrechtliche Einwendungen das Erwirken eines Titels im vereinfachten Vergütungsfestsetzungsverfahren nach § 11 RVG auszuschließen. Nur aufgrund dieser einfachen Verhinderungsmöglichkeit des Antragsgegners kann ein Vergütungsfestsetzungsbeschluss - ohne dass ein Konflikt mit dem rechtsstaatlichen Gebot der Justizgewährleistung auftritt - umfassend in materielle Rechtskraft erwachsen mit der Folge, dass sowohl gebühren- als auch nicht gebührenrechtliche Einwendungen, die vor Titelerlass entstanden sind, infolge Präklusion gemäß § 767 Abs. 2 ZPO auch mit der Vollstreckungsgegenklage nicht mehr geltend gemacht werden können (vgl. zu Vorstehendem: Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert/Müller-Rabe, RVG, 17. Aufl. 2006, § 11 Rdnr. 133 - 150, 337, 353; v. Eicken/Hellstab/Lappe/Madert/Mathias, Die Kostenfestsetzung, 19. Aufl. 2006, Teil I Rdnr. 28 - 41, 51; Riedel/Sußbauer, a. a. O., § 11 Rdnr. 27 - 29, 51; jeweils m. w. N.).

Eine Ausnahme, in der das bloße Erheben einer nicht gebührenrechtlichen Einwendung nicht genügt, um eine Festsetzung der Vergütung im vereinfachten Verfahren nach § 11 RVG zu verhindern, kann vor diesem Hintergrund nur angenommen werden, wenn die Geltendmachung der Einwendung offensichtlich haltlos ist, insbesondere ohne jeden konkreten tatsächlichen Anhaltspunkt für eine nicht gebührenrechtliche Einwendung erfolgt. Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Der Erfüllungseinwand der Antragsgegnerin als nicht gebührenrechtliche Einwendung ist auf die Besonderheiten des konkreten Falles bezogen und lässt zumindest im Ansatz die Möglichkeit erkennen, dass der mit dem Vergütungsfestsetzungsantrag geltend gemachte Anspruch unbegründet sein könnte. Das Bestehen einer Honorarvereinbarung stellt einen Umstand dar, dem Bedeutung für die von den Antragstellern vorgenommene und im Schreiben vom 26. Januar 2007 dargestellte Verrechnung der unstreitig erfolgten Zahlungen der Antragsgegnerin und deren Familie zukommen kann. Abhängig von der Reichweite der getroffenen Honorarvereinbarung ist nicht von vornherein auszuschließen, dass Zahlungen der Antragsgegnerin und deren Familie anderen als in der Verrechnung angegebenen Positionen und damit möglicherweise auch der Kostenposition Nr. XXV zuzuordnen sind, die Gegenstand des Vergütungsfestsetzungsgesuchs ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Außergerichtliche Kosten werden gemäß § 11 Abs. 2 Satz 6, 2. Halbsatz RVG nicht erstattet.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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