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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 10.02.2005
Aktenzeichen: 8 UE 185/02.A
Rechtsgebiete: AsylVfG, GK


Vorschriften:

AsylVfG § 26
AsylVfG § 26a
AsylVfG § 27
AsylVfG § 73 Abs. 1 S. 1
GK Art. 1 C Nr. 5 S. 1
1. Der Ausschluss der Asylanerkennung in Satz 2 des § 26a Abs. 1 AsylVfG enthält im Verhältnis zu dessen Satz 1 keinen eigenständigen Regelungsinhalt, sondern hat lediglich klarstellende Funktion.

2. Der asylrechtliche Ausschlussgrund der anderweitigen Verfolgungssicherheit gemäß § 27 Abs. 1 AsylVfG ist auf die Gewährung von Familienasyl gemäß § 26 AsylVfG nicht anwendbar, und zwar auch nicht in Übertragung der Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts zur Anwendbarkeit der Drittstaatenregelung in § 26a AsylVfG.

3. Das Vorliegen von Rücknahme- oder Widerrufsgründen gemäß § 73 AsylVfG in Bezug auf den Stammberechtigten ist gemäß § 26 Abs. 1 Nr. 4 und Abs. 2 Satz 1 AsylVfG im Familienasylverfahren uneingeschränkt zu prüfen und nicht einem gesondert gegen den Stammberechtigten gerichteten Rücknahme- oder Widerrufsverfahren vorzubehalten.

4. Der Widerruf einer in Vollziehung einer rechtskräftigen Verurteilung erfolgten Asylanerkennung gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG setzt eine nach dem Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Tatsachenentscheidung eingetretene erhebliche Veränderung der für die gerichtliche Beurteilung der Verfolgungslage maßgeblichen tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse voraus; dabei ist die damalige Rechtsfindung nicht in Frage zu stellen, ein strenger Maßstab anzulegen und eine Beweislast des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge bzw. für Migration und Flüchtlinge anzunehmen.

In dieser Auslegung stimmt der Regelungsgehalt des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG mit der "Beendigungsklausel" in Art. 1 C Nr. 5 Satz 1 der Genfer Flüchtlingskonvention überein, soweit es um Schutz vor politischer Verfolgung geht.

5. Nach der Entmachtung der Taliban und der Einsetzung der Übergangsregierung unter Präsident Karsai haben sich seit Ende 2001 die tatsächlichen Verhältnisse in Afghanistan nicht so grundlegend, stabil und dauerhaft verändert, dass eine Wiederholung von Verfolgungsmaßnahmen gegen ehemalige Mitglieder der kommunistischen DVPA oder/und des Geheimdienstes Khad mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen ist.

6. Die derzeit in Afghanistan bestehenden Machtverhältnisse rechtfertigen trotz eines fehlenden landesweiten Gewaltmonopols der Übergangsregierung Karsai und trotz der nach wie vor weitgehend unzureichenden Sicherheits- und Versorgungslage die Annahme verfolgungsmächtiger zentralstaatlicher (im Großraum Kabul) bzw. regionaler quasi-staatlicher Herrschaftsstrukturen.


Hessischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes Urteil

8 UE 185/02.A

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Asylrechts/Afghanistan/Familienasyl

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 8. Senat - durch

Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Höllein, Richter am Hess. VGH Dr. Nassauer, Richter am Hess. VGH Jeuthe, ehrenamtliche Richterin Reifenberg, ehrenamtlichen Richter Krüger

auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 10. Februar 2005 für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 10. Februar 2000 - 5 E 31057/98.A (V) - wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des gesamten Verfahrens zu tragen, mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diesen selbst zur Last fallen; Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die am 5. Februar 1971 in Kabul/Afghanistan geborene Beigeladene zu 1. ist afghanische Staatsangehörige tadschikischer Volkszugehörigkeit. Sie ist seit der am 14. Januar 1988 in Kabul erfolgten Eheschließung Ehefrau des am 24. Juni 1970 in Kapisa/Afghanistan geborenen A., des Beigeladenen zu 6., eines ebenfalls afghanischen Staatsangehörigen tadschikischer Volkszugehörigkeit.

Die am 5. Januar 1989, 10. Februar 1990 und 16. März 1991 jeweils in Kabul und am 14. November 1997 in Islamabad bzw. Rawalpindi/Pakistan geborenen Beigeladenen zu 2. bis 5. sind deren Kinder.

Der Beigeladene zu 6. war - nach seinen eigenen Angaben - im Januar 1994 auf dem Landweg aus Afghanistan aus- und über Moskau mit dem Flugzeug Anfang Februar 1994 zu seiner in A-Stadt am Main wohnenden Schwester in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Zur Begründung seines Asylantrags hatte er in der mündlichen Anhörung vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt Bundesamt für Migration und Flüchtlinge; im Folgenden: Bundesamt) am 22. Februar 1994 u.a. geltend gemacht: Er habe seine Schulausbildung 1989 mit dem Abitur abgeschlossen und sei bis etwa Mitte 1990 als Mitglied der kommunistischen Partei beim Militär im Geheimdienst gegen die Mudschaheddin tätig gewesen. Seine Aufgabe habe darin bestanden, deren Verbleib und Aufenthalt zu erforschen und Angriffe auf sie zu organisieren. 1990 sei er von den Mudschaheddin in einem Hinterhalt gefangen genommen und für etwa 3 1/2 Jahre inhaftiert und gefoltert worden; dabei sei ihm u.a. der rechte Arm gebrochen und er sei durch Messerstiche verletzt worden. Etwa einen halben Monat vor seiner Entlassung habe der Führer der Mudschaheddin-Gruppe Kontakt zu seinen Eltern aufgenommen; gegen Zahlung eines Lösegeldes sei er dann freigelassen worden. Ohne dass er Kontakt zu seiner Familie hätte aufnehmen können, habe ein Bruder seiner Mutter mit Hilfe eines Schleppers seine Flucht organisiert. Wenn er in seine Heimat zurückkehren müsste, drohe ihm die Tötung, weil er als Mitglied der Partei viele Feinde im Lande habe.

Mit anwaltlichen Schriftsätzen hatte der Beigeladene ergänzend vortragen lassen, dass er zunächst in einer Höhle und dann in einer Festung mit hohen Mauern festgehalten und ständig geschlagen und gefoltert worden sei, weil die Mudschaheddin alles von ihm hätten erfahren wollen, was er über den Staat bzw. das Militär gewusst habe. Er sei am ganzen Körper verletzt worden. So hätten sie ihm seine Nase, seine rechte Hand und sein linkes Bein gebrochen und ihm an einigen Körperstellen mit der Spitze von Bajonetten Verletzungen beigebracht. Von einer Amnestie gegenüber Angehörigen der seinerzeitigen kommunistischen Regierung könne auch im Machtbereich der Mudschaheddin-Gruppen keine Rede sein. Auf Anordnung des Präsidenten Rabbani seien im Januar 1994 frühere Beamte und Offiziere festgenommen und teilweise ermordet worden. Es sei auch in Veröffentlichungen zum Kampf gegen die Kommunisten aufgerufen worden.

Mit Bescheid vom 6. Juni 1995 hatte das Bundesamt seinen Asylantrag u.a. mit der Begründung abgelehnt, die frühere Zugehörigkeit zur kommunistischen Demokratischen Volkspartei Afghanistans (DVPA) oder die frühere Ausübung einer offiziellen Funktion im Nadschibullah-Regime sei für sich allein genommen kein Verfolgungstatbestand. Eine Gefährdung bestehe allenfalls für seine prominenten Anhänger.

Das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main hatte der Asylklage des Beigeladenen zu 6. mit Urteil vom 16. November 1995 - 5 E 31367/95.A (V) - stattgegeben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, er habe bereits im Verwaltungsverfahren vor dem Bundesamt, aber auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung ausführlich, detailliert und für das Gericht in hohem Maße glaubwürdig dargelegt, welchen Lebensweg er genommen habe und welche Umstände ihm in seiner Heimat wiederverfahren seien. Danach sei davon auszugehen, dass er als Angehöriger des Geheimdienstes Khad im Rahmen von Kampfhandlungen gegen die Mudschaheddin von diesen gefangen genommen und über einen Zeitraum von ca. 3 1/2 Jahren gefangen gehalten worden sei. Obgleich sich die Gefangennahme bereits im Jahre 1990 ereignet habe, habe sie doch über den Zeitpunkt der Machtübernahme der Mudschaheddin in Afghanistan hinaus angedauert, was zur Folge gehabt habe, dass der Beigeladene zu 6. als eine Person anzusehen sei, die staatlichen Verfolgungsmaßnahmen der siegreichen Mudschaheddin ausgesetzt gewesen sei, weil zumindest für den Zeitpunkt nach ihrer Machtübernahme sowie einige Monate danach noch nicht die Bürgerkriegssituation bestanden habe, die in der Folgezeit die innerafghanische Situation geprägt habe. Da der Beigeladene zu 6. mithin vorverfolgt seine Heimat verlassen habe, könne ihm eine Rückkehr nach Afghanistan nur zugemutet werden, wenn eine Wiederholung von Verfolgungsmaßnahmen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen wäre. Davon könne jedoch nicht zuletzt im Hinblick auf seine frühere Tätigkeit beim Geheimdienst Khad nicht ausgegangen werden.

Die dagegen vom Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten (im Folgenden: Bundesbeauftragter) beantragte Zulassung der Berufung hatte der Hessische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 20. September 1996 - 13 UZ 621/96 - abgelehnt. Das Verwaltungsgericht sei entgegen der Auffassung des Bundesbeauftragten nicht von der Rechtsprechung des Bundesverfassungs- und des Bundesverwaltungsgerichts zum Erfordernis einer staatlichen Gebietsgewalt für die Annahme politischer Verfolgung abgewichen.

Daraufhin hatte das Bundesamt den Beigeladenen zu 6. mit Bescheid vom 21. Oktober 1996 als Asylberechtigten anerkannt und festgestellt, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen.

Die Beigeladenen zu 1. bis 5. reisten mit einem von der Deutschen Botschaft in Islamabad/Pakistan zum Zwecke der Familienzusammenführung am 3. Februar 1998 erteilten und bis zum 3. Mai 1998 gültigen Visum in die Bundesrepublik Deutschland ein. Mit einem beim Bundesamt am 20. März 1998 eingegangenen Schreiben vom 18. März 1998 beantragte die Beigeladene zu 1. für sich und ihre Kinder die Erteilung von "Familienasyl gemäß § 26 Asylverfahrensgesetz".

Mit Bescheid vom 13. August 1998 erkannte das Bundesamt die Beigeladenen gemäß § 26 Abs. 1 und 2 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) als Asylberechtigte an.

Gegen den ihm am 25. August 1998 zugestellten Anerkennungsbescheid hat der Bundesbeauftragte am 2. September 1998 beim Verwaltungsgericht Frankfurt am Main Anfechtungsklage erhoben und diese damit begründet, dass sich die Beigeladenen mehr als drei Monate in Pakistan, einem sonstigen Drittstaat i.S.d. § 27 AsylVfG, aufgehalten hätten. Da das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 6. Mai 1997 - 9 C 56.96 - entschieden habe, dass eine Einreise aus einem sicheren Drittstaat gemäß § 26 a AsylVfG der Gewährung von Familienasyl entgegenstehe, könne hinsichtlich § 27 AsylVfG nichts anderes gelten. Zudem sei zweifelhaft, ob die Asylantragstellung unverzüglich i.S.d. § 26 Abs. 1 Nr. 3 AsylVfG erfolgt sei, weil sich das genaue Einreisedatum wegen des nicht lesbaren Einreisestempels der Verfahrensakte nicht entnehmen lasse.

Nachdem die Beigeladenen auf gerichtliche Anfrage schriftlich mitgeteilt hatten, dass sie am 4. März 1998 auf dem Frankfurter Flughaften eingetroffen seien, hat das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main die Klage des Bundesbeauftragten mit Urteil vom 10. Februar 2000 - 5 E 31057/98.A (V) - (AuAS 2000 S. 71 = juris [LS]) abgewiesen und dies im Wesentlichen wie folgt begründet:

Die Asylantragstellung sei noch unverzüglich erfolgt, denn in der vorliegenden Passkopie sei (im Einreisestempel) der Monat März 1998 lesbar, und die Beigeladenen hätten auch erklärt, am 4. März 1998 eingereist zu sein. Entgegen der Auffassung des Bundesbeauftragten stehe auch § 27 AsylVfG der Anerkennung der Beigeladenen als Asylberechtigte im Rahmen des Familienasyls nicht entgegen. Das ergebe sich bereits aus rechtssystematischen Gründen, ohne dass geprüft werden müsse, ob die Vermutungsregelung des § 27 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG hier überhaupt greife. Die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts zur Anwendbarkeit der Drittstaatenregelung des § 26 a Abs. 1 AsylVfG auf die Gewährung von Familienasyl nach § 26 AsylVfG könnten auf die Vorschrift des § 27 AsylVfG nicht übertragen werden. Die Überlegungen, dass der Gesetzgeber das gesamte Asylrecht grundlegend geändert und mit der Drittstaatenregelung ein neues System der Schutzgewährung geschaffen habe, welches die Subsidiarität des Asylschutzes in Deutschland betone und eine gesamteuropäische Verteilungsregelung anstrebe und ermöglichen solle, seien auf die vor Einführung des § 26 a AsylVfG bereits bestehende Vorschrift des § 27 AsylVfG nicht anwendbar. Diese schließe die Berufung auf Art. 16 a Abs. 1 GG gerade nicht aus, sondern gebe den Behörden und Gerichten lediglich eine Regelung an die Hand, eine Anerkennung beim Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen zu versagen. Entsprechend den Anforderungen des Bundesverwaltungsgerichts seien die Beigeladenen vorliegend auch mit einem in Pakistan erteilten Visum für die Bundesrepublik Deutschland und somit ordnungsgemäß eingereist. Wenn ihnen deshalb gemäß § 26 a Abs. 1 Satz 2 (richtig: Satz 3) Nr. 1 AsylVfG selbst die Einreise über einen sicheren Drittstaat nicht entgegengehalten werden könnte, müsse dies erst recht für die Regelung des § 27 AsylVfG gelten. Zudem würde bei dessen Anwendung dem mit der Einführung des Familienasyls erstrebten Zweck der Verfahrensvereinfachung gerade nicht Rechnung getragen.

Auf den Zulassungsantrag des Bundesbeauftragten hat der Senat mit Beschluss vom 17. Januar 2002 - 8 UZ 962/00.A - die Berufung wegen der vom Bundesbeauftragten aufgeworfenen Frage zugelassen, ob eine anderweitige Sicherheit vor politischer Verfolgung in einem sonstigen Drittstaat gemäß § 27 AsylVfG einer Anerkennung als Asylberechtigter im Wege des sog. Familienasyls gemäß § 26 AsylVfG entgegensteht.

Nach der am 24. Januar 2002 erfolgten Zustellung des Beschlusses hat der Bundesbeauftragte mit am 21. Februar 2002 per Telefax eingegangenem Schriftsatz die Berufung im Wesentlichen unter Bezugnahme auf seine Ausführungen im Zulassungsantrag begründet und beantragt,

den Bescheid des Bundesamtes vom 13.08.98 unter Abänderung des angefochtenen Urteils aufzuheben.

Weder das Bundesamt noch die Beigeladenen haben sich am Verfahren beteiligt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf den Inhalt der vorliegenden Streitakte nebst Verwaltungsvorgang und auf die den Beigeladenen zu 6. betreffende Streitakte - 5 E 31367/95.A (V) - des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main nebst Verwaltungsvorgang sowie wegen der in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen auf die in den Schreiben des Berichterstatters an die Beteiligten vom 31. Januar 2005 und nachfolgend nochmals aufgeführten Fundstellen verwiesen.

Liste der zu Grunde gelegten Erkenntnismittel

I. In folgenden Entscheidungen des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs zitierte Erkenntnisse:

- Urteil vom 8. Juli 1996

- 13 UE 962/96.A - (juris)

- Urteil vom 26. Januar 1998

- 13 UE 2978/96.A - (juris)

- Urteil vom 16. November 1998

- 9 UE 3908/96.A - (juris)

II. neuere Erkenntnisquellen

1. G/Geschichte 5/89 "Afghanistan" (auszugsweise)

2. Berg, Das Erbe der Großmoguln, 2. Aufl. 1988 (auszugsweise)

3. Lageberichte des Auswärtigen Amtes vom 10. Januar 2002 (ad hoc)

4. Juni 2002 (ad hoc, Stand: Ende Mai 2002)

2. Dezember 2002 (Stand: November 2002)

6. August 2003 (Stand: Juli 2003)

22. April 2004 (Stand: März 2004)

3. November 2004 (Stand: Oktober 2004)

4. Auskünfte des Auswärtigen Amtes

- an VG Hamburg vom 12. Dezember 2003

- an Sächs. OVG vom 17. Februar 2004

5. Gutachten Dr. M. Danesch

- an VG Wiesbaden vom 9. Oktober 2002

- an VG Bayreuth vom 31. Oktober 2002

- an VG Wiesbaden vom 29. Januar 2003

- an VG Braunschweig vom 21. Mai 2003

- an Sächs. OVG vom 1. Oktober 2003

- an VG Gießen vom 6. April 2004

- an Sächs. OVG vom 24. Juli 2004

6. Gutachten Deutsches Orient-Institut

- an Sächs. OVG vom 23. September 2004

7. Gutachten B. Glatzer

- an VG Braunschweig vom 3. Juli 2003

8. Aufsatz Baraki, in "Aus Politik und Zeitgeschichte" vom 22. November 2004

9. Zeitungsberichte

- FR vom 26. November 2001

"Viele greifen nach der Macht"

"Der lange Krieg"

- HNA vom 6. Dezember 2001

"Hamid Karsai"

- FR vom 13. März 2002

"Kabuler Kleiderordnung"

- HNA vom 4. Juni 2004

"Helfer stellen Arbeit ein"

- FR vom 4. Juni 2004

"Hilfsprojekte gestoppt"

- FR vom 8. Juli 2002

"Kabul befürchtet Rückschlag"

"An Feinden mangelt es Kadir nicht" - FR vom 8. Oktober 2004

"Wahlen im Krieg"

"Angriffslustig"

"Stillstand am Tor zur Wüste"

"In Afghanistan herrscht weiter Armut"

- HNA vom 11. Oktober 2004

"UN: Wahlen waren fair"

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Bundesbeauftragten ist zulässig, aber nicht begründet.

Der Bundesbeauftragte hat mit seinem beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof am 21. Februar 2002 per Telefax eingegangenen Schriftsatz gleichen Datums die auch in Rechtsstreitigkeiten nach dem Asylverfahrensgesetz geltende Berufungsbegründungspflicht des § 124 a Abs. 3 VwGO a.F. (vgl. Hess. VGH, Urteil vom 11. November 2004 - 8 UE 2759/01.A - juris m.w.N.) rechtzeitig und hinreichend erfüllt.

Der Zulassungsbeschluss des Senats vom 17. Januar 2002 ist ihm am 24. Januar 2002 zugestellt worden, so dass die nach dieser Vorschrift einzuhaltende Monatsfrist, da der 24. Februar 2002 ein Sonntag war, gemäß §§ 56, 57 VwGO i. V. m. § 222 ZPO und § 187 Abs. 1 und § 188 Abs. 2 BGB erst am 25. Februar 2002 ablief.

Die Berufungsbegründungsschrift vom 21. Februar 2002 enthielt einen Berufungsantrag und eine kurze Begründung, die unter Berücksichtigung der Bezugnahme auf die Zulassungsantragsbegründung dem Begründungserfordernis auch inhaltlich genügte (vgl. Hess. VGH, Urteil vom 11. November 2004 a.a.O. m.w.N.).

Der Bundesbeauftragte ist zwar durch die in dem Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz) vom 30. Juli 2004 unter Art. 3 (Änderung des Asylverfahrensgesetzes) Nr. 5 (BGBl. I Nr. 41 vom 5. August 2004 S. 1950 ff. [1990]) erfolgte Aufhebung des § 6 AsylVfG - gemäß Art. 15 Abs. 2 - mit Wirkung zum 1. September 2004 als Institution aufgelöst worden. Er kann jedoch nach der unter Art. 3 Nr. 48 eingefügten Übergangsvorschrift des § 87 b AsylVfG das vorliegende, vor dem 1. September 2004 anhängig gewordene gerichtliche Verfahren weiter betreiben.

Die Berufung ist aber nicht begründet.

Das Verwaltungsgericht hat die auf § 26 AsylVfG gestützte Asylgewährung an die Beigeladenen zu 1. bis 5. zutreffend als rechtmäßig angesehen und die Beanstandungsklage des Bundesbeauftragten abgewiesen; nach dieser Vorschrift werden der Ehegatte und die bei Antragstellung minderjährigen ledigen Kinder eines Asylberechtigten nach den dort aufgeführten Voraussetzungen als Asylberechtigte anerkannt.

Obwohl es sich vorliegend um eine Anfechtungsklage handelt, ist gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG auf den Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Tatsachenentscheidung, also auf die mündliche Verhandlung am 10. Februar 2004 und damit auf § 26 AsylVfG in der Fassung abzustellen, die er durch das gemäß Art. 15 Abs. 3 generell am 1. Januar 2005 in Kraft getretene Zuwanderungsgesetz erhalten hat.

Danach steht den Beigeladenen zu 1. bis 5. ein Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte zu.

Der Umstand, dass ihnen nach einem entsprechenden Behördenvermerk bereits im März 1998 eine bis November 1998 befristete ausländerrechtliche Aufenthaltsgenehmigung erteilt und offensichtlich auch in der Folgezeit weiter verlängert worden ist, steht ihrem Sachbescheidungs- bzw. Rechtsschutzinteresse nicht entgegen, weil das Asylrecht gegenüber dem Aufenthaltsrecht nach dem Ausländergesetz nicht subsidiär ist und dies auch für die einfach-gesetzliche Ausgestaltung der Rechtsstellung eines Asylbewerbers gilt (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Januar 1987 - 9 C 53.86 - BVerwGE 75 S. 304 ff.); daran hat sich auch durch das Zuwanderungsgesetz nichts geändert.

Die Gewährung von Familienasyl gemäß § 26 AsylVfG an die Beigeladenen ist auch weder über die sog. Drittstaatenregelung gemäß § 26 a AsylVfG noch wegen der Erlangung anderweitiger Verfolgungssicherheit in einem sonstigen Drittstaat gemäß § 27 AsylVfG ausgeschlossen.

Abgesehen von ihrer behaupteten und nach Ansicht des Verwaltungsgerichts durch den Einreisestempel belegten Einreise über den Flughafen A-Stadt am Main und abgesehen von seiner grundsätzlichen Anwendbarkeit auf die Gewährung von Familienasyl ergibt sich das für § 26 a AsylVfG jedenfalls schon daraus, dass die Beigeladenen zu 1. bis 5. mit einem Einreisesichtvermerk der Deutschen Botschaft in Pakistan eingereist sind, so dass gemäß § 26 a Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AsylVfG der die Berufung auf das Asylgrundrecht des Art. 16 a Abs. 1 GG versagende Satz 1 des § 26 a Abs. 1 AsylVfG nicht gilt. Dass dieser Anwendungsausschluss sich nicht auf Satz 2 dieser Vorschrift bezieht, wonach ein aus einem sicheren Drittstaat eingereister Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt wird, steht dem nicht entgegen, weil Satz 2 im Verhältnis zu Satz 1 keinen eigenständigen Regelungsinhalt enthält, sondern lediglich deklaratorisch klarstellende Funktion hat (vgl. u.a. OVG Rheinl.-Pf., Urteil vom 29. Oktober 1996 - 7 A 12233/96 - NVwZ 1997 Beilage Nr. 3 S. 22 ff. = juris; Gerson, InfAuslR 1997 S. 253 f.) und die sich andernfalls ergebende Rechtsfolge, dass dann "auch die Anerkennung eines in eigener Person Verfolgten und sich auf das Asylrecht nach Art. 16 a GG berufenden Ausländers, der die Voraussetzungen nach § 26 a Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AsylVfG erfüllt, ausgeschlossen" wäre, vom Gesetzgeber nicht gewollt sein kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Mai 1997 - 9 C 56/96 - InfAuslR 1997 S. 422 [424] = NVwZ 1998 S. 1190 f. = juris S. 3 f. Rdnr. 15).

Der ebenfalls auf dem Grundgedanken mangelnder Schutzbedürftigkeit durch anderweitigen Verfolgungsschutz beruhende Ausschlusstatbestand des § 27 Abs. 1 AsylVfG, wonach ein Ausländer, der bereits in einem sonstigen Drittstaat vor politischer Verfolgung sicher war, nicht als Asylberechtigter anerkannt wird, steht der Asylgewährung gemäß § 26 AsylVfG an die Beigeladenen zu 1. bis 5. deshalb nicht entgegen, weil er im Rahmen des Familienasyls nach dessen Entstehungsgeschichte, Konzeption und gesetzgeberischer Zielsetzung nicht anwendbar ist.

Nachdem in der früheren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts den Ehegatten und minderjährigen Kindern eines politisch Verfolgten der Status als Asylberechtigter zunächst allein auf Grund der familiären Verbundenheit gewährt, dann zwar eine eigene politische Verfolgung der Familienangehörigen gefordert, zu ihren Gunsten aber bei im Verfolgerstaat festgestellten Fällen von Sippenhaft eine Regelvermutung aufgestellt worden war, führte der Gesetzgeber 1990 mit § 7 a Abs. 3 AsylVfG das sog. Familienasyl ein, das den Familienangehörigen eines anerkannten politischen Verfolgten den Rechtsstatus von Asylberechtigten ohne Prüfung ihrer eigenen Verfolgung zuerkannte (vgl. u.a. BVerwG, Urteil vom 25. Juni 1991 - 9 C 48/91 - BVerwGE 88 S. 326 ff. = NVwZ 1992 S. 269 = juris). Mit der Einführung des Familienasyls verfolgte der Gesetzgeber die Zwecke, das Bundesamt und die Verwaltungsgerichte von der u.U. schwierigen Prüfung der eigenen Verfolgungsgründe der Familienangehörigen zu entlasten und die Integration der nahen Familienangehörigen eines in der Bundesrepublik Deutschland als Asylberechtigten aufgenommenen politisch Verfolgten zu fördern (vgl. BT/Ds. 11/6960 zu Art. 3 S. 29 f.).

Mit dieser auf die Klein-(Kern-)Familie beschränkten Regelung wurde allen von ihr erfassten Familienmitgliedern ein einheitlicher asylrechtlicher Status nicht nur dann eingeräumt, wenn eine politische Verfolgung in jeweils eigener Person offen blieb, sondern auch dann, wenn objektiv feststand, dass Familienangehörige des nach Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG a.F. Asylberechtigten nicht in eigener Person von politischer Verfolgung bedroht waren und ihnen ein Asylanspruch auch auf Grund der Regelvermutung eigener Verfolgung nach Maßgabe der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht zustand. Insofern entfaltete § 7 a Abs. 3 AsylVfG a.F. eine über Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG a.F. hinausgehende eigenständige Bedeutung und fand in diesen Fällen seine Rechtfertigung als einfach-gesetzliche Begünstigung der Klein-(Kern-)Familie in Art. 6 Abs. 1 GG. Mit dieser gesetzlichen Regelung des Familienasyls wurden nunmehr die bisher in einer Familie von Eltern mit ihren minderjährigen ledigen Kindern möglicherweise entstehenden Statusdifferenzen beseitigt, indem die Rechtsstellung eines Asylberechtigten auf alle Mitglieder der Klein-(Kern-)Familie erstreckt wurde ohne Rücksicht auf die Frage nach deren politischer Verfolgung in jeweils eigener Person. Diese einheitliche Rechtsstellung stellte eine zusätzliche Vergünstigung für die Familienangehörigen dar. Mit dem durch die Neuregelung verkürzten "Prüfprogramm" sollten schnellere und einheitliche Entscheidungen für alle von § 7 a Abs. 3 AsylVfG a.F. erfassten Personen ermöglicht und damit ein Beschleunigungs- und Vereinfachungseffekt bei der Entscheidung über Asylanträge herbeigeführt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Januar 1992 - 9 C 66/91 - BVerwGE 89 S. 315 ff. = NVwZ 1992 S. 987 f. = juris). Ein beachtlich wahrscheinlicher Eintritt politischer Verfolgung wegen der familiären Verbundenheit mit dem eigentlich Verfolgten wurde in Weiterführung der richterrechtlich entwickelten Regelvermutung gesetzlich unterstellt mit dem weiteren Zweck, die Einordnung der nahen Angehörigen des anerkannten politisch Verfolgten in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland zu fördern (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Januar 1992 - 9 C 63/91 - BVerwGE 89 S. 309 ff. = NVwZ 1992 S. 577 f. = juris).

An dieser gesetzgeberischen Konzeption des Familienasyls als einer unter Vereinfachungs- und Integrationsgesichtspunkten von den tatbestandsmäßigen Voraussetzungen der grundgesetzlich verbürgten Asylgewährung losgelösten einfach-gesetzlichen bloßen Rechtsfolgenanordnung hat sich durch die Neufassung in § 26 AsylVfG nichts geändert.

Diesem Konzept widerspricht es aber, für diese Rechtsfolgenanordnung über die in § 26 AsylVfG selbst aufgestellten und damit allein maßgeblichen Voraussetzungen hinaus (vgl. BT/Ds. 12/2718 S. 60 zu § 26: "unter den angegebenen Voraussetzungen gleichfalls als Asylberechtigte anerkannt") die negative Tatbestandsvoraussetzung für eine Asylanerkennung in Form des Nichtvorliegens einer anderweitigen Verfolgungssicherheit gemäß § 27 AsylVfG zu verlangen.

Zwar ist die Zuerkennung von Familienasyl unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte letztlich auf die Schutzgewährung vor einer möglichen Einbeziehung in die politische Verfolgung des als asylberechtigt anerkannten Stammberechtigten gerichtet, so dass die bereits in einem Drittstaat erlangte Verfolgungssicherheit auch der Asylanerkennung nach § 26 AsylVfG entgegenstehen könnte (so insbesondere OVG NW, Beschluss vom 4. September 1996 - 25 A 5830/95.A - DVBl. 1997 S. 192 f. = juris; BVerwG, Urteil vom 6. Mai 1997 a.a.O.). Diese Argumentation berücksichtigt jedoch nicht hinreichend, dass diese Schutzgewährleistung auch weiterhin über die in der Rechtsprechung entwickelte Regelvermutung möglich gewesen wäre und dass deshalb das eigentliche gesetzgeberische Ziel bei der Einführung des Familienasyls darin bestand, aus Vereinfachungs- und Beschleunigungsgründen und zu Integrationszwecken einen einheitlichen Rechtsstatus der Flüchtlingsfamilie als Asylberechtigte gerade losgelöst von einer inhaltlichen Prüfung der eigenen Verfolgungsgründe der Familienangehörigen im Wege einer bloßen Rechtsfolgenanordnung zu gewähren, die wegen dieser Zwecke allein an das Vorliegen der Voraussetzungen des § 26 AsylVfG geknüpft wird.

Wenn in Berücksichtigung dieser Normzwecke die positiven tatbestandsmäßigen Voraussetzungen einer Asylanerkennung in Form einer eigenen politischen Verfolgung der Familienangehörigen nicht geprüft werden sollen, muss dies ebenso für die negativen tatbestandsmäßigen Voraussetzungen in Form des Nichtvorliegens anderweitiger Verfolgungssicherheit gelten. Bei einem Ausschluss der Gewährung von Familienasyl durch Anwendung des § 27 AsylVfG müsste nämlich angesichts ihres aufenthaltsrechtlichen Bleiberechts entgegen dem Vereinfachungs- und Beschleunigungszweck trotz der bereits auf Grund einer inhaltlichen Prüfung erfolgten Asylanerkennung des Stammberechtigten auch noch die eigene politische Verfolgung seiner engen Familienangehörigen im Rahmen des § 51 Abs. 1 AuslG bzw. jetzt des § 60 Abs. 1 AufenthG in der Fassung des Zuwanderungsgesetzes inhaltlich geprüft werden (vgl. auch die Zurückverweisung im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. Mai 1997 a.a.O.) und unabhängig vom Ausgang dieser Prüfung erhielte die Flüchtlingsfamilie entgegen dem weiterhin verfolgten Integrationsziel auch keinen einheitlichen personalen Rechtsstatus.

Dass der Gesetzgeber diese Folgen vermeiden und an seinen bisherigen Zielen, durch die Sonderregelung des § 26 AsylVfG für Flüchtlingsfamilien eine Verfahrensvereinfachung und -beschleunigung und einen einheitlichen Rechtsstatus im Wege einer bloßen Rechtsfolgenanordnung zu bewirken, festhalten will, kommt durch die Einfügung des Absatz 4 in § 26 AsylVfG durch Art. 3 Nr. 17 des Zuwanderungsgesetzes vom 30. Juli 2004 nochmals deutlich zum Ausdruck.

Die der höchstrichterlichen Rechtsprechung entsprechende Anwendung der 1993 eingeführten Drittstaatenklausel des § 26a AsylVfG auch auf solche Fälle, in denen kein bestimmter Staat festgestellt werden konnte, aus dem der Asylbewerber eingereist war, dieser aber andererseits seine Einreise auf dem Luft- oder Seeweg und damit seine Nichteinreise aus einem der sicheren Drittstaaten, von denen Deutschland umgeben ist, nicht nachweisen konnte, führte entgegen der eigentlichen gesetzgeberischen Absicht einer gesamteuropäischen Lastenumverteilung dazu, dass zwar der Anteil der förmlichen Asylanerkennungen erheblich zurückging, mangels Rückführbarkeit in einen sicheren Drittstaat aber die Quote der Zuerkennung des Flüchtlingsstatus nach der Genfer Konvention über den Abschiebungsschutz gemäß § 51 Abs. 1 AuslG dagegen stark zunahm (vgl. Jahresgutachten 2004 des Sachverständigenrates für Zuwanderung und Integration S. 141 f.), so dass die Zahl der Konventionsflüchtlinge mehr als doppelt so hoch war wie die der Asylanerkannten (vgl. BT/Ds. 15/420 S. 109 zu Nr. 17). Da die Übertragung des Rechtsstatus eines in diesem Sinne als politisch Verfolgter anerkannten Stammberechtigten auf seine engen Familienangehörigen unter den Voraussetzungen des § 26 AsylVfG mangels entsprechender Regelung nicht möglich war (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 15. Oktober 2002 - A 9 S 1038/99 - VBlBW 2003 S. 171 f. = juris), musste in diesen Fällen entgegen den gesetzgeberischen Vorstellungen die eigene Verfolgungsbetroffenheit der Familienangehörigen zusätzlich und mit der möglichen Folge geprüft werden, dass die Flüchtlingsfamilie einen uneinheitlichen Rechtsstatus erhielt.

Im Hinblick darauf hat der Gesetzgeber des Zuwanderungsgesetzes vom 30. Juli 2004 "... dem in Art. 6 Abs. 1 GG verankerten und dem internationalen Flüchtlingsschutz immanenten Gedanken der Familieneinheit ... (und) der Forderung nach einem gesicherten aufenthaltsrechtlichen Status für die engsten Familienangehörigen der Konventionsflüchtlinge ... vor dem Hintergrund der Drittstaatenregelung ... Rechnung" getragen (vgl. BT/Ds. 15/420 S. 109 zu Nr. 17) und den § 26 AsylVfG um einen Absatz 4 erweitert, wonach entsprechend den Voraussetzungen der Absätze 1 bis 3 für die Gewährung von Familienasyl auch Familienabschiebungsschutz gewährt wird, wenn der Stammberechtigte "nicht als Asylberechtigter anerkannt ..., ... für ihn aber unanfechtbar das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes festgestellt" worden ist; ebenso wie diese Feststellung für den Stammberechtigten ist auch die Gewährung von Familienabschiebungsschutz von vornherein unabhängig von den asylrechtlichen Ausschlusstatbeständen, nämlich davon, ob die Familienangehörigen über einen - unbekannten - sicheren Drittstaat gemäß § 26 a AsylVfG eingereist sind oder eine anderweitige Verfolgungssicherheit in einem sonstigen Drittstaat gemäß § 27 AsylVfG erlangt haben.

Der Gesetzgeber ist bei der Einführung des Familienabschiebungsschutzes in Absatz 4 des § 26 AsylVfG aber ersichtlich davon ausgegangen, dass Familienangehörigen eines als Asylberechtigten anerkannten Ausländers unter den Voraussetzungen der Absätze 1 bis 3 ohne weiteres Familienasyl gewährt wird, weil er sie ausdrücklich vom Anwendungsbereich des Familienabschiebungsschutzes ausgenommen, für sie also offensichtlich kein Regelungsbedürfnis gesehen hat. Bei Anwendung der §§ 26 a und 27 AsylVfG auf die Familienangehörigen eines Asylberechtigten im Rahmen des § 26 AsylVfG würde dagegen die gesetzgeberische Konzeption trotz der Neuregelung wieder durchbrochen, weil diesen dann weder Familienasyl noch Familienabschiebungsschutz zuerkannt werden könnte, ihre eigene Verfolgungsbetroffenheit also trotz der anerkannten politischen Verfolgung des Stammberechtigten im Hinblick auf § 60 Abs. 1 AufenthG entgegen dem beabsichtigten Vereinfachungs- und Beschleunigungszweck und mit der Möglichkeit eines unterschiedlichen Familienstatus inhaltlich geprüft werden müsste.

Die Anwendbarkeit des asylrechtlichen Ausschlusstatbestandes der anderweitigen Verfolgungssicherheit gemäß § 27 AsylVfG im Rahmen des Familienasyls gemäß § 26 AsylVfG lässt sich - entgegen der Auffassung des Bundesbeauftragten und in Übereinstimmung mit der des Verwaltungsgerichts - auch nicht mit den Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts im Urteil vom 6. Mai 1997 (a.a.O.) zur Anwendbarkeit der Drittstaatenregelung gemäß § 26 a AsylVfG auf das Familienasyl begründen.

Abgesehen von der Überlegung, auch für nachreisende Familienangehörige sei Verfolgungsschutz in Deutschland nach Aufgabe des im Drittstaat gefundenen Schutzes entbehrlich, die nach den obigen Ausführungen des Senats dem gesetzgeberischen Ziel und der Konzeption der verfahrensrechtlichen Sonderregelung des § 26 AsylVfG nicht hinreichend Rechnung trägt, begründet das Bundesverwaltungsgericht die Anwendbarkeit der Drittstaatenregelung auf die Gewährung von Familienasyl noch im Wesentlichen damit, dass der Gesetzgeber das gesamte Asylrecht grundlegend geändert und mit der Drittstaatenregelung ein neues System der Schutzgewährung geschaffen habe, welches die Subsidiarität des Asylschutzes in Deutschland betone und eine gesamteuropäische Verteilungsregelung anstrebe und ermöglichen solle. Die Vorschriften über das Familienasyl seien hiervon nicht unberührt geblieben, wie sich am deutlichsten aus § 26 a Abs. 1 Satz 3 AsylVfG ergebe. Das Funktionieren des hinter der Drittstaatenregelung stehenden Konzepts der innereuropäischen Lastenverteilung setze ein geordnetes, die Einreisebestimmungen wahrendes Verfahren für die Einreise nach Deutschland voraus. Die Regelung über die Durchbrechung der Drittstaatenregelung in § 26 a Abs. 1 Satz 3 AsylVfG verfolge deshalb offensichtlich den Zweck, die unkontrollierte Einreise einzudämmen und einen Ausländer von der Ausschlusswirkung der Drittstaatenregelung nur dann auszunehmen, wenn dies völkerrechtlich vorgesehen oder im Einzelfall durch Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung vorab geprüft und gebilligt worden sei. Der Anwendbarkeit der Drittstaatenregelung stehe der weitere Zweck des Familienasyls nicht entgegen, der Flüchtlingsfamilie zu einer raschen Integration und einem einheitlichen Personalstatus zu verhelfen. Den nicht selbst gefährdeten, Familienasyl lediglich zur Fortführung der familiären Gemeinschaft erstrebenden Familienangehörigen sei die Beantragung eines Sichtvermerks oder ein Abwarten auf die Asylanerkennung des Stammberechtigten im Heimatland vor der Einreise nach Deutschland auch zumutbar, so wie bei eigener Verfolgungsgefährdung die Asylbeantragung im sicheren Drittstaat; bei Einhaltung dieser Einreisebestimmungen und/oder nach erfolgter Asylanerkennung des Stammberechtigten oder der Familienangehörigen könne die Zusammenführung der Familie in Deutschland oder in dem Drittstaat erreicht werden.

Es ist schon fraglich, ob die in erster Linie nicht an nachreisende Familienangehörige, sondern an den um Asyl nachsuchenden Stammberechtigten gerichtete Vorschrift des § 26 a Abs. 1 Satz 3 AsylVfG im ordnungsrechtlichen Sinne der Durchsetzung der ausländerrechtlichen Einreisebestimmungen dient und damit etwa die Einleitung eines Asylverfahrens und eine Asylgewährung von der vorherigen Einholung eines deutschen Einreisesichtvermerks abhängig macht. Vor dem Hintergrund der angestrebten Gesamtregelung der Schutzgewährung für Flüchtlinge im europäischen Binnenraum mit einer - die Zuwanderung nach Deutschland begrenzenden - gesamteuropäischen Lasten(um)verteilung dürfte mehr dafür sprechen, dass damit nur eine Kollisionsregelung für die staatliche Zuständigkeit darüber getroffen wird, in welchen Fällen wegen besonderer Anknüpfungspunkte das Asylverfahren ausnahmsweise trotz Einreise aus einem sicheren Drittstaat nicht dort, sondern in der Bundesrepublik Deutschland durchgeführt wird (Gerson, InfAuslR 1997 S. 424 f.).

Jedenfalls aber können diese höchstrichterlichen Erwägungen zur Anwendbarkeit des § 26 a AsylVfG nicht auf § 27 AsylVfG übertragen werden, denn die sonstigen Drittstaaten im Sinne dieser Vorschrift - wie hier etwa Pakistan - gehören nicht zum europäischen Binnenraum und sind an dem mit der Drittstaatenregelung geschaffenen bzw. angestrebten neuen System der Schutzgewährung mit seiner gesamteuropäischen Verteilungsregelung nicht beteiligt. Diese Vorschrift enthält auch keinen dem § 26 a Abs. 1 Satz 3 AsylVfG vergleichbaren Anwendungsausschluss, der einerseits im Interesse des Funktionierens des neuen gesamteuropäischen Verteilungssystems eine "geordnete Einreise" nach Deutschland gewährleisten soll und andererseits trotz etwa erlangter anderweitiger Verfolgungssicherheit den nachreisenden Familienangehörigen die Herbeiführung eines "gemeinschaftlichen Lebens in Deutschland" durch zumutbare Bemühungen um ein ordnungsgemäßes Einreiseverfahren ermöglichen würde; so würde im vorliegenden Fall die vor der Einreise erfolgte ordnungsgemäße Einholung des Sichtvermerks der Deutschen Botschaft in Pakistan die Beigeladenen zu 1. bis 5. nicht vor einer die Familienasylgewährung ausschließenden Anwendung des § 27 AsylVfG schützen, wie das Verwaltungsgericht in seinem angefochtenen Urteil zu Recht ausgeführt hat.

Dementsprechend wird - soweit überhaupt Äußerungen zu dieser Frage ersichtlich sind - die Anwendbarkeit des § 27 AsylVfG im Rahmen des Familienasyls etwa mit der Begründung abgelehnt, dass es dem Stammberechtigten auf Grund seiner Asylberechtigung nicht zumutbar sei, die Lebensgemeinschaft mit seiner Familie in einem Drittstaat zu führen, nur weil dort ein Familienangehöriger eine anderweitige Verfolgungssicherheit gefunden habe; ganz abgesehen davon, dass dieser Drittstaat die Rücknahme mit dem Hinweis auf die stärkere Bindung an die Bundesrepublik Deutschland wegen der erfolgten Asylanerkennung verweigern würde (vgl. Schnäbele, in GK, Rdnr. 93 f. zu § 26 und Marx, Asylverfahrensgesetz, 5. Aufl. 2003, Rdnr. 105 zu § 26).

Es bedarf deshalb vorliegend keiner Entscheidung, ob die Voraussetzungen der Vermutungsregelung des § 27 Abs. 3 AsylVfG wegen des Aufenthalts der Beigeladenen zu 1. bis 5. in Pakistan überhaupt vorlägen. Dies erscheint zweifelhaft, weil sie Pakistan verlassen haben, um mit dem Beigeladenen zu 6. in ehelicher/familiärer Gemeinschaft zu leben, und sie somit einen wichtigen Grund hatten, aus Pakistan auszureisen. Bei einer solchen Fallgestaltung dürfte der gesetzgeberische Grund für die vorgenannte Regelung, dass es nämlich für denjenigen, der in einem anderen Staat vor Verfolgung sicher ist, zumutbar ist, dort zu bleiben, nicht zum Tragen kommen und - jedenfalls deshalb - die Anwendung von § 27 Abs. 1 AsylVfG nicht gerechtfertigt sein (vgl. OVG NW, Urteil vom 14. Juli 1993 - 14 A 10049/90 - juris [LS]).

Nach den danach ausschließlich maßgeblichen Voraussetzungen des § 26 AsylVfG steht den Beigeladenen zu 1. bis 5. die im Wege des Familienasyls erfolgte Anerkennung als Asylberechtigte zu.

Sie haben mit Schreiben der Beigeladenen zu 1. vom 18. März 1998 einen wirksamen Antrag gestellt.

Zwar ist grundsätzlich ein allgemeiner, und nicht - wie hier - ein auf "Familienasyl gemäß § 26 Asylverfahrensgesetz" beschränkter Asylantrag geboten, weil die Gewährung des Familienasyls eine uneingeschränkte Asylberechtigung verleiht, also eine Identität der Rechtspositionen vorliegt (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juni 1991 - 9 C 48/91 - a.a.O.). Wegen der erkennbar begehrten Rechtsfolge ist jedoch auch in einem dermaßen eingeschränkten Antrag ein allgemeiner Asylantrag zu sehen (vgl. Schnäbele, in GK, Rdnr. 45 zu § 26).

Der Antrag der Beigeladenen ist auch im Sinne des § 26 Abs. 1 Nr. 3 AsylVfG "unverzüglich" nach der ihren unwiderlegten Angaben nach am 4. März 1998 erfolgten Einreise gestellt worden. Dieser Antragsfrist kommt eine Ordnungsfunktion zu, die im öffentlichen Interesse möglichst schnell Rechtsklarheit schaffen, neben der raschen Integration der Familie auch die Vereinfachung des Verfahrens fördern und nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in der Regel zwei Wochen betragen soll (vgl. Urteil vom 13. Mai 1997 - 9 C 35/96 - BVerwGE 104 S. 362 ff. = NVwZ 1997 S. 1137 ff. = juris). In Fällen der vorliegenden Art, in denen der Stammberechtigte bei Stellung des Familienasylantrags bereits unanfechtbar als Asylberechtigter anerkannt ist und die Familienangehörigen mit zum Zwecke der Familienzusammenführung erteilten Sichtvermerken eingereist sind und nach der Einreise Aufenthaltserlaubnisse erhalten haben, ist angesichts dieser Gesetzeszwecke eine strenge Handhabung des Fristerfordernisses allerdings nicht geboten (vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 24. Juni 2003 - 10 UE 843/03 - NVwZ 2004, Beilage Nr. 1 S. 6 f. = InfAuslR 2003 S. 402 ff. = juris), so dass vorliegend eine verfahrensrelevante Fristversäumnis nicht vorliegt.

Die die familiäre Stellung der Beigeladenen zu 1. bis 5. betreffenden Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Satz 1 AsylVfG sind ebenfalls gegeben; die am 14. Januar 1988 in Kabul/Afghanistan geschlossene Ehe zwischen den Beigeladenen zu 1. und 6. bestand schon im Verfolgerstaat und deren Kinder, die Beigeladenen zu 2. bis 5., waren im Zeitpunkt der Asylantragstellung im März 1998 minderjährig und ledig.

Die Asylanerkennung des Beigeladenen zu 6. durch Bescheid des Bundesamtes vom 21. Oktober 1996 ist auch entsprechend § 26 Abs. 1 Nr. 1 und 4 und Abs. 2 Satz 1 AsylVfG unanfechtbar und nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen.

Für eine Rücknahme gemäß § 73 Abs. 2 AsylVfG sind Anhaltspunkte nicht ersichtlich. Die zwischenzeitlichen Veränderungen in Afghanistan rechtfertigen auch keinen Widerruf gemäß § 73 Abs. 1 AsylVfG.

Die Frage des Vorliegens von Widerrufsgründen ist nach dem Wortlaut des § 26 Abs. 1 Nr. 4 und Abs. 2 Satz 1 AsylVfG uneingeschränkt schon im Rahmen des Verfahrens auf Gewährung von Familienasyl zu prüfen und nicht einem gesondert gegen den Stammberechtigten gerichteten Widerrufsverfahren vorzubehalten.

Zwar wird teilweise vertreten, der Gesetzeswortlaut von § 26 Abs. 1 Nr. 4 AsylVfG sei dahin zu präzisieren, dass nicht das bloße Vorliegen von Widerrufs- oder Rücknahmegründen nach § 73 AsylVfG der Gewährung von Familienasyl entgegenstehe, sondern (nur) die darauf beruhende unanfechtbare Aufhebung der Asylberechtigung des Stammberechtigten. Ebenso wenig wie das Familienasyl nach Absatz 1 Nr. 1 des § 26 AsylVfG vor Eintritt der Unanfechtbarkeit der Asylanerkennung des Stammberechtigten gewährt werden könne, dürfe andererseits das bloße Vorliegen von Widerrufsgründen zum Anlass genommen werden, die Gewährung des Familienasyls zu versagen. Solange die Asylberechtigung nicht unanfechtbar beseitigt sei, sei sie rechtlich auch geeignet, Familienasyl zu vermitteln. Es sei weiterhin unzumutbar, das Verfahren auf Familienasyl auszusetzen, bis über den Widerruf unanfechtbar entschieden worden sei. Die Prüfung der Widerrufsvoraussetzungen durch das Verwaltungsgericht im Rahmen des Familienasylverfahrens würde einen rechtsstaatlich inakzeptablen Eingriff in die Kompetenz des Leiters des Bundesamtes darstellen, der nach § 73 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG zur Entscheidung über Widerruf und Rücknahme der Asylanerkennung berufen sei. Dieser sei auch nicht an Feststellungen und Aussagen des Verwaltungsgerichts gebunden, weil sich die materielle Rechtskraft nach § 121 VwGO nicht auf den Stammberechtigten erstrecke, der nicht Verfahrensbeteiligter im Prozess über die Gewährung des Familienasyls sei (vgl. Marx a.a.O. Rdnrn. 46 ff. zu § 26; ebenso VG Gelsenkirchen, Urteil vom 10. Mai 1999 - 5 aK 2978/96.A - InfAuslR 2000 S. 39 f. = juris [LS]).

Letzterem Bedenken ist im vorliegenden Verfahren allerdings schon dadurch Rechnung getragen, dass der Stammberechtigte gemäß § 65 Abs. 1 VwGO beigeladen worden ist, während das Bundesamt als Behörde der Beklagten ohnehin beteiligt ist, so dass die an einem möglichen Widerrufsverfahren Beteiligten gemäß § 121 Nr. 1 i.V.m. § 63 VwGO in die Rechtskraftwirkung des Urteils einbezogen sind.

Nach einer weiteren Auffassung kann bzw. soll das Familienasylverfahren bis zur Entscheidung des Leiters des Bundesamtes über den Widerruf der Asylanerkennung des Stammberechtigten ausgesetzt werden, um der Gefahr eines unterschiedlichen Rechtsstatus der Angehörigen der Flüchtlingsfamilie zu begegnen (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 12. Januar 1993 - A 14 S 1175/91 - juris; Hamb. OVG, Urteil vom 20. Dezember 1993 - Bf VII 10/92 - juris S. 2 f. Rdnr. 18; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: März 1998, Rdnr. 26 zu § 26 AsylVfG; Renner, Ausländerrecht, 7. Aufl. 1999, Rdnr. 8 zu § 26 AsylVfG).

Nachdem der Hessische Verwaltungsgerichtshof mit Urteil vom 2. April 1993 - 10 UE 1413/91 - (juris = NVwZ-RR 1994 S. 234 [LS]) diese uneingeschränkte Prüfungsbefugnis schon ohne weiteres für sich in Anspruch genommen hatte, schließt sich auch der Senat angesichts des klaren Gesetzeswortlauts der wohl inzwischen überwiegenden Auffassung an, wonach Familienasyl schon dann nicht gewährt werden kann, wenn die Anerkennung des Stammberechtigten zu widerrufen ist, ohne dass es darauf ankommt, ob ein Widerrufsverfahren bereits eingeleitet, der Widerruf erfolgt oder gar bestandskräftig geworden ist (vgl. OVG Reinl.-Pf., Urteil vom 23. November 2000 - 12 A 11485/00 - NVwZ-RR 2001 S. 341 f. = juris; OVG Lüneburg, Beschluss vom 1. März 2001 - 8 L 1117/99 - juris; OVG NW, Beschluss vom 2. Juli 2001 - 14 A 2621/01.A - juris; Bay. VGH, Beschluss vom 11. September 2001 - 9 B 00.31496 - InfAuslR 2002 S. 261 ff. = juris; Schnäbele, in GK, Rdnrn. 52 ff. zu § 26); wäre für die Nichtgewährung von Familienasyl die unanfechtbare Aufhebung der Asylanerkennung des Stammberechtigten erforderlich, wäre der eigenständige Versagungsgrund der Nr. 4 des § 26 Abs. 1 AsylVfG neben der in Nr. 1 aufgestellten Voraussetzung einer (noch) unanfechtbar bestehenden Asylanerkennung des Stammberechtigten überflüssig. Die Vorschrift des § 26 Abs. 1 Nr. 4 AsylVfG nimmt zudem auf die Tatbestandsvoraussetzungen für Widerruf und Rücknahme, nicht aber auf das Widerrufs- oder Rücknahmeverfahren Bezug. Deshalb fehlen für eine Aussetzung des die Gewährung von Familienasyl betreffenden Gerichtsverfahrens auch die Voraussetzungen des § 94 VwGO, weil der Widerruf der Asylanerkennung des Stammberechtigten nicht rechtlich vorgreiflich ist. Durch die gesetzlich vorgeschriebene gerichtliche Entscheidung über die Vorfrage des Vorliegens der Widerrufsvoraussetzungen in Bezug auf den Stammberechtigten wird auch im Hinblick auf die in § 73 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG besonders geregelte Kompetenz des Leiters des Bundesamtes im behördlichen Widerrufsverfahren der Grundsatz der Gewaltenteilung nicht verletzt, weil das Verwaltungsgericht zur Überprüfung und gegebenenfalls Korrektur behördlicher Entscheidungen berufen, dabei aber gemäß § 114 VwGO daran gehindert ist, sein eigenes Ermessen an die Stelle des behördlichen Ermessens zu setzen. Zudem steht die Entscheidung über den Widerruf einer Asylanerkennung gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG nicht im behördlichen Ermessen (der - früher - weisungsfreien Einzelentscheider) des Bundesamtes, sondern hat durch dessen (weisungsgebundenen) Leiter "unverzüglich" zu erfolgen, wenn die Voraussetzungen für die Anerkennung nicht mehr vorliegen. Soweit nunmehr der durch das Zuwanderungsgesetz neu eingefügte Absatz 2 a dieser Vorschrift eine spätere Widerrufsentscheidung nach dessen Satz 2 in das Ermessen der Behörde stellt, wenn die nunmehr in Satz 1 vorgeschriebene behördliche Überprüfung binnen drei Jahren nach Unanfechtbarkeit der Anerkennungsentscheidung nicht zu deren Widerruf geführt hat, würde auch eine gerichtliche Prüfung im Rahmen des Familienasyls ergeben, dass die Anerkennung nicht zu widerrufen, sondern insoweit das behördliche Ermessen eröffnet ist, denn auch das Gericht ist an diese gesetzliche Einschränkung gebunden.

Es verstößt auch nicht gegen Sinn und Zweck des Familienasyls, wenn in diesem Rahmen die Voraussetzungen für einen Widerruf der Anerkennung des Stammberechtigten inhaltlich geprüft werden. Die Voraussetzung des § 26 Abs. 1 Nr. 4 und Abs. 2 Satz 1 AsylVfG wird nämlich praktisch nur dann relevant, wenn zwischen der Asylanerkennung des Stammberechtigten und der Bearbeitung des Familienasylantrags eine beträchtliche Zeitspanne liegt und im Verfolgerstaat zwischenzeitlich Veränderungen eingetreten sind, die ein Widerrufsverfahren nahelegen könnten. Dann entspricht es der oben dargestellten gesetzgeberischen Intention, nämlich vor dem Hintergrund der potentiellen Gefährdungslage der Familienangehörigen eines politisch Verfolgten aus Vereinfachungs- und Integrationsgesichtspunkten nur die Verfolgungsbetroffenheit des Stammberechtigten einer inhaltlichen Prüfung zu unterziehen und dessen Rechtsstatus dann auf die engen Familienangehörigen zu übertragen, die möglicherweise nur noch formal bestehende Rechtsposition des Stammberechtigten aus Anlass eines später eingeleiteten Familienasylverfahrens inhaltlich zu klären und nicht noch parallel dazu nach Aussetzung dieses Verfahrens ein weiteres Verfahren auf Widerruf gegen den Stammberechtigten durchzuführen. Wenn im Familienasylverfahren über die Widerrufsvoraussetzungen in Bezug auf den Stammberechtigten bestands- bzw. rechtskräftig entschieden worden ist - gegebenenfalls mit Bindungswirkung gemäß § 121 VwGO zwischen dem Bundesamt als Behörde der Beklagten und dem gemäß § 65 Abs. 1 VwGO beigeladenen Stammberechtigten - ist über dessen Asylberechtigung gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG eine - unter rechtlichen Gesichtspunkten notwendigerweise übereinstimmende - gebundene Entscheidung zu treffen, denn in dem Ausnahmefall eines gemäß § 73 Abs. 2 a Satz 2 AsylVfG eröffneten behördlichen Ermessens kann auch im Rahmen des § 26 Abs. 1 Nr. 4 und Abs. 2 Satz 1 AsylVfG keine Widerrufsverpflichtung festgestellt werden. Damit ist auch grundsätzlich gewährleistet, dass der Rechtsstatus der Flüchtlingsfamilie einheitlich bleibt.

Die Widerrufsvoraussetzungen des § 73 Abs. 1 AsylVfG liegen im Fall des Beigeladenen zu 6. nicht vor.

Unabhängig von der Frage, ob die Neuregelung des § 73 Abs. 2 a AsylVfG auf den vorliegenden Altfall überhaupt anwendbar wäre (vgl. dazu Huber, NVwZ 2005 S. 1 ff. [10]), unterliegt die Widerrufsentscheidung vorliegend schon deshalb nicht behördlichem Ermessen, sondern der vollen gerichtlichen Prüfung, weil ausweislich der Verwaltungsvorgänge eine - negativ abgeschlossene - behördliche Widerrufsprüfung bisher nicht stattgefunden und das Bundesamt eine entsprechende gerichtliche Anfrage in der Terminsladung bis zur Entscheidung des Senats auch noch nicht - im bejahenden Sinne - beantwortet hat.

Auf Grund der Prüfung des Senats kann nicht gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG festgestellt werden, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung des Beigeladenen zu 6. als Asylberechtigter nicht mehr vorliegen, also nachträglich weggefallen sind.

Wenn - wie hier - der Asylanerkennungsbescheid lediglich in Vollziehung einer rechtskräftigen Verurteilung des Bundesamtes ergangen ist, ist für die Beantwortung dieser Frage auf den Zeitpunkt des Ergehens des rechtskräftig gewordenen Verpflichtungsurteils und darauf abzustellen, ob sich die für die gerichtliche Beurteilung der Verfolgungslage maßgeblichen tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse nach Erlass des Urteils erheblich verändert haben, wobei angesichts seiner materiellen Rechtskraft die damalige Rechtsfindung nicht in Frage zu stellen, sondern der Prüfung zu Grunde zu legen ist (vgl. OVG NW, Urteil vom 15. Juli 1991 - 14 A 10131/88 - juris; Hess. VGH, Urteil vom 2. April 1993 a.a.O.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 19. September 2002 - A 14 S 457/02 - juris; BVerwG, Urteile vom 19. September 2000 - 9 C 12/00 - BVerwGE 112 S. 80 ff. = InfAuslR 2001 S. 53 ff. = NVwZ 2001 S. 335 ff. = juris und vom 8. Mai 2003 - 1 C 15/02 - BVerwGE 118 S. 174 ff. = NVwZ 2004 S. 113 ff. = juris). Für das Vorliegen einer nachträglichen Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse, die das Bundesamt zum Widerruf einer bestands- oder rechtskräftigen Asylanerkennung berechtigt und verpflichtet, ist ein strenger Maßstab anzulegen und eine Beweislast des Bundesamtes anzunehmen (vgl. Pfaff, ZAR 2003 S. 225 [228]). Eine solche Veränderung muss nicht nur auf Grund eindeutiger Anhaltspunkte unzweifelhaft eingetreten sein, sie kann jedenfalls für einen vor erlittener oder drohender politischer Verfolgung geflohenen und deshalb als asylberechtigt anerkannten Ausländer auch nur dann im obigen Sinne als erheblich angesehen werden, wenn sich die politisch-gesellschaftliche Lage in seinem Heimatland so wesentlich, grundlegend und dauerhaft verbessert hat, dass bei seiner Rückkehr eine Wiederholung von Verfolgungsmaßnahmen mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen ist. Diese Anforderung folgt aus der humanitären Zielsetzung des Asylgrundrechts, das zwar keinen unveränderbaren Status verleiht und in seinem Bestand von der Fortdauer der Verfolgungsgefahr abhängt, andererseits aber einem Asylsuchenden, der schon einmal von politischer Verfolgung betroffen war, nicht zumutet, erneut der Zugriffsmöglichkeit des Verfolgerstaates und dem Risiko erneuter Verfolgung ausgesetzt zu werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 2. Juli 1980 - 1 BvR 147, 181 und 182/80 - BVerfGE 54 S. 341 ff. = NJW 1980 S. 2641 ff. = juris; BVerwG, Urteil vom 24. November 1992 - 9 C 3/92 - EZAR 214 Nr. 3 = juris; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 16. März 2004 - A 6 S 219/04 - AuAS 2004 S. 142 ff. = NVwZ-RR 2004 S. 790 ff. = juris).

Dies entspricht auch dem in der "Beendigungsklausel" des Art. 1 C Nr. 5 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention) vom 28. Juli 1951 (BGBl. II 1953 S. 559, Bekanntmachung vom 28. April 1954, BGBl. II S. 619) - GK - zum Ausdruck gekommenen Zumutbarkeitsgedanken (vgl. BVerfG, Beschluss vom 2. Juli 1980 a.a.O.). Nach Satz 1 dieser durch § 73 Abs. 1 AsylVfG nachgezeichneten "Beendigungsklausel" führt ein Wegfall der die Flüchtlingseigenschaft begründenden Umstände nur dann zur Beendigung des Flüchtlingsstatus, wenn der Flüchtling es danach nicht mehr ablehnen kann, den Schutz seines Heimatlandes in Anspruch zu nehmen, wenn sich also die Verhältnisse dort so grundlegend und hinreichend stabil verändert haben, dass eine Verfolgungsgefahr nicht mehr besteht. Auf der Grundlage der ober- und höchstrichterlichen Interpretation stimmt der Regelungsgehalt des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG mit dem Inhalt dieser Bestimmung der Genfer Flüchtlingskonvention überein (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 16. März 2004 a.a.O.; kritisch: Salomons/Hruschka, ZAR 2005 S. 1 ff. [6]), dies gilt nach Auffassung des Senats jedenfalls insoweit, als es um die hinreichende Sicherheit vor einer für die Asylanerkennung allein maßgeblich gewesenen politischen Verfolgung und nicht um sonstige, insbesondere allgemeine Gefahren etwa auf Grund einer unzureichenden Sicherheits- oder/und Versorgungslage geht, vor denen nach deutschem Recht nicht asyl-, sondern ausländer- bzw. aufenthaltsrechtlich Schutz gewährt wird.

Nach Erlass des zur Asylanerkennung des Beigeladenen zu 6. verpflichtenden Urteils des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 16. November 1995 haben sich die nach dieser Rechtsfindung für seine Verfolgungsgefährdung maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse in Afghanistan nach der Entmachtung der zwischenzeitlich in weiten Teilen des Landes an die Macht gelangten Taliban und der Einsetzung der Übergangsregierung unter Präsident Karsai seit Ende 2001 nicht so grundlegend, stabil und dauerhaft verändert, dass eine Wiederholung entsprechender asylerheblicher Verfolgungsmaßnahmen gegen den Beigeladenen bei Anlegung des danach gebotenen strengen Maßstabs mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden könnte; das gilt sowohl für das eine politische Verfolgung überhaupt erst ermöglichende Bestehen staatlicher bzw. quasi-staatlicher Herrschaftsstrukturen als auch für eine Verfolgungsgefährdung ehemaliger DVPA-Mitglieder und unter dem kommunistischen Regime Nadschibullahs tätiger Mitarbeiter des Geheimdienstes Khad.

Das Verwaltungsgericht hat eine asylerhebliche Vorverfolgung des Beigeladenen deshalb angenommen, weil er als Angehöriger des Geheimdienstes Khad im Rahmen von Kampfhandlungen von den Mudschaheddin zwar schon 1990 gefangen genommen, aber ca. 3 1/2 Jahre lang bis über den Zeitpunkt der Machtübernahme der Mudschaheddin hinaus gefangengehalten worden sei, so dass deren Verfolgungsmaßnahmen als staatliche anzusehen seien, weil zumindest für den Zeitpunkt ihrer Machtübernahme sowie einige Monate danach noch nicht die erst in der Folgezeit die innerafghanische Situation prägende Bürgerkriegssituation bestanden habe.

Ob diese Annahme des Verwaltungsgerichts, dass von den Mudschaheddin-Gruppierungen in den ersten Monaten nach dem am 26. April 1992 erfolgten Sturz der kommunistischen Herrschaft Nadschibullahs staatliche bzw. staatsähnliche Gewalt und damit auch politische Verfolgung im Sinne des Asylrechts ausgeübt worden sei, für den für die Vorverfolgung des Beigeladenen maßgeblichen Zeitraum zutreffend ist, ist hier nicht zu prüfen (so auch Hess. VGH, Beschluss vom 20. September 1996 - 13 UZ 621/96 - für das Zulassungsantragsverfahren). Sie deckt sich aber grundsätzlich mit der damaligen Einschätzung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs in seinem Grundsatzurteil vom 8. Juli 1996 - 13 UE 962/96.A - (juris), der der Senat folgt und die Grundlage für die Prüfung ist, ob eine nachträgliche Veränderung zum Wegfall verfolgungsmächtiger staatlicher oder quasi-staatlicher Herrschaftsstrukturen geführt hat.

Nach diesem Grundsatzurteil ist damals zwar auf Grund eines zwischen den sieben führenden Mudschaheddin-Gruppierungen im pakistanischen Peschawar geschlossenen Drei-Stufen-Plans vom 26. April 1992 nach ihrem siegreichen Einmarsch in Kabul eine Übergangsregierung gebildet worden, für zwei Monate zunächst unter dem Übergangspräsidenten Sigbatullah Mudschadidi, dem Führer der "Nationalen Befreiungsfront", und anschließend ab Juni 1992 unter dem dann im Dezember zum Staatspräsidenten gewählten Tadschiken Prof. Burhanuddin Rabbani, dem Führer der Jamiat-e-Islami, die auch mit dem Tadschiken Ahmad Schah Massud den Verteidigungsminister stellte. Unmittelbar danach kam es aber zu schweren, mehrfach durch Friedensbemühungen unterbrochenen bewaffneten Auseinandersetzungen, an denen insbesondere die Jamiat-e-Islami von Rabbani und Massud, die Verbände des Usbeken-Generals Rashid Dostum und die Hezb-e-Islami unter dem paschtunischen Kommandanten Gulbuddin Hekmatyar beteiligt waren. Dadurch kam es nach dem Sturz der kommunistischen Regierung und dem Fehlen einer durchsetzungsfähigen zentralen Regierungsgewalt zunächst zu einem weitgehenden Machtvakuum mit einer unübersehbaren Vielzahl kleiner und kleinster Machtzentren, in denen allgemeine Gesetzlosigkeit, Korruption und Willkür der jeweiligen Familien- und Stammesoberhäupter, Militärkommandanten oder marodierender Kampfgruppen herrschte. Verschiedenen Führern der Bürgerkriegsparteien gelang es aber auf Grund ihres politischen Einflusses und ihrer militärischen Stärke schon bald, ihre Herrschaftsgebiete über Provinzgrenzen hinweg in größere Teilgebiete Afghanistans auszudehnen, diese Gebiete nach innen und außen zu stabilisieren und sie nach übergreifenden rechtlichen Regeln zu ordnen, so dass es zwar weder der Zentralregierung in Kabul noch einer der anderen Bürgerkriegsparteien, zu denen seit Ende 1994 auch die paschtunischen Taliban gehörten, bis zum Entscheidungszeitpunkt des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs am 8. Juli 1996 gelungen war, gesamtstaatliche, landesweite Herrschaftsgewalt in Afghanistan zu erringen. Andererseits war es aber auf regionaler Ebene zur Herausbildung quasi-staatlicher Herrschaftsbereiche gekommen, deren Machthaber zumindest in ihren Machtzentren und in dem Bereich der in diesen Territorien gelegenen größeren Städte als beherrschende und effektive Ordnungsmacht präsent waren. Auch wenn die einzelnen Macht- und Einflusszonen jedenfalls in ihren Randbereichen noch weiterhin umstritten und umkämpft, in ihrer Stabilität insgesamt nicht dauerhaft gesichert und ihre Machtstrukturen nicht so funktionsfähig und effektiv waren, dass sie ihr Gewaltmonopol im gesamten Einflussbereich einschließlich entlegener Gebiete berechenbar sicherstellen konnten, waren doch generell staatsähnliche Herrschaftsgebilde mit einer übergreifenden Friedensordnung entstanden, die zu einer asylrechtlich bedeutsamen, gezielt ausgrenzenden Verfolgung aus politischen Gründen in der Lage waren.

Zu diesen weitgehend autonomen Teilgebieten gehörte die von der Zentralregierung Rabbani/Massud beherrschte Region, nämlich neben der Hauptstadt Kabul einige Provinzen im Zentrum und Nordosten des Landes. Die Regierung hatte Anfang 1995 alle feindlichen Kräfte aus Kabul vertrieben und Anfang 1996 durch eine Verständigung mit ihrem früheren Gegner Hekmatyar und dessen Einbeziehung als Ministerpräsident eine Festigung ihrer Machtstellung erreicht.

Der Machtbereich der Regierung war von gegnerischen Landesteilen umgeben. Dies waren die von General Dostum kontrollierten nördlichen Provinzen Faryab, Jowzjan, Balkh und Samangan mit dem Zentrum Mazar-e-Sharif, weiterhin die unter der Führung einer von dem Kommandanten Hadschi Abdul Kadir dominierten Schura (Ratsversammlung) in Jalalabad stehenden östlichen Provinzen Laghman, Konar und Nangarhar und schließlich die von den Taliban seit Ende 1994 eroberten, nahezu das halbe Staatsgebiet Afghanistans ausmachenden westlichen, südlichen und südöstlichen Provinzen einschließlich des im Westen um die Stadt Herat liegenden Gebiets, das bis zu deren Eroberung durch die Taliban im September 1995 von dem mit Rabbani und Massud verbündeten Mudschaheddin-Führer Ismail Khan beherrscht worden war.

Dieses Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 8. Juli 1996, dem sich der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Urteil vom 8. Oktober 1996 - 6 BA 96.32524 - (Asylis-Rspr.) angeschlossen hatte, wurde vom Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 4. November 1997 - 9 C 43/96 - (BVerwGE 105 S. 306 ff. = NVwZ 1998 S. 750 ff. = juris; dieser Rspr. folgend: Hess. VGH, Urteile vom 26. Januar 1998 - 13 UE 2978/96.A - juris und vom 16. November 1998 - 9 UE 3908/96.A - InfAuslR 1999 S. 296 ff. = juris), aufgehoben (wie auch ein entsprechender Beschluss des OVG Reinl.-Pf. vom 23. Juli 1997 - 11 A 10570/97 - juris durch Urteil des BVerwG vom 19. Mai 1998 - 9 C 5/98 - AuAS 1998 S. 224 f. = juris), weil bei der Annahme quasi-staatlicher Teilregionen ein zu wenig strenger Maßstab angelegt worden sei. Die vom Hessischen Verwaltungsgerichtshof in dem aufgehobenen Grundsatzurteil vom 8. Juli 1996 entwickelten Kriterien sind dann vom Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 10. August 2000 - 2 BvR 260 und 1353/98 - (NVwZ 2000 S. 1165 ff. = InfAuslR 2000 S. 521 ff. = juris) unter Aufhebung des bundesverwaltungsgerichtlichen Urteils vom 4. November 1997 zu einen erheblichem Teil mit folgenden Erwägungen bestätigt worden:

Eine Verfolgung stelle sich dann als politische dar, wenn sie - im Unterschied etwa zu einer privaten Verfolgung - einen öffentlichen Bezug habe und von einem Träger überlegener, in der Regel hoheitlicher Macht ausgehe, der der Verletzte unterworfen sei; politische Verfolgung sei somit grundsätzlich staatliche Verfolgung, könne aber mit dieser nicht vollkommen gleich gesetzt werden. Das Element der "Staatlichkeit" oder "Quasi-Staatlichkeit" dürfe deshalb nicht losgelöst vom verfassungsrechtlichen Tatbestandsmerkmal des "politisch" Verfolgten betrachtet und nach abstrakten staatstheoretischen Begriffsmerkmalen geprüft werden. Derartige Merkmale für die Annahme vorhandener oder neu entstehender Staatlichkeit könnten mithin für die Beurteilung der politischen Qualität einer Verfolgung nicht schlechthin konstitutiv, sondern nur indiziell sein. Maßgeblich sei nur, dass der Schutzsuchende einerseits in ein übergreifendes, das Zusammenleben in der konkreten Gemeinschaft durch Befehl und Zwang ordnendes Herrschaftsgefüge eingebunden sei, welches den ihm Unterworfenen in der Regel Schutz gewähre, und durch gezielt zugefügte Rechtsverletzungen aus dieser konkreten Gemeinschaft ausgeschlossen werde. Ob in einer Bürgerkriegssituation von einer Bürgerkriegspartei politische Verfolgung ausgehen könne, beurteile sich folglich maßgeblich danach, ob diese zumindest in einem "Kernterritorium" ein solches Herrschaftsgefüge von gewisser Stabilität - im Sinne einer "übergreifenden Friedensordnung" - tatsächlich errichtet habe. Dieser Maßstab werde verengt, wenn eine dauerhaft verfestigte Gebietsherrschaft nach außen verlangt werde, denn die anhaltende (äußere) militärische Bedrohung schließe das Bestehen eines staatsähnlichen Herrschaftsgefüges im Innern nicht zwingend aus, vor allem dann nicht, wenn der Bürgerkrieg ohne entscheidende Veränderung der Machtverhältnisse andauere. Durch Aufstellen eines solchen Erfordernisses werde die maßgebliche Frage nach der Beschaffenheit des Herrschaftsgefüges im Innern des beherrschten Gebiets zwischen dem verfolgenden Machthaber und den ihm unterworfenen Verfolgten verfehlt. Es sei auch ohne weitere Prüfung nicht ersichtlich, ob die Annahme politischer Verfolgung dadurch ausgeschlossen wäre, dass alle derzeit in Afghanistan herrschenden Machthaber zur Aufrechterhaltung ihrer militärischen Herrschaft mehr oder minder auf autonome örtliche Kommandanten angewiesen seien.

Dem hat sich das Bundesverwaltungsgericht dann unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung mit Urteil vom 20. Februar 2001 - 9 C 20/00 - (BVerwGE 114 S. 16 ff. = NVwZ 2001 S. 815 ff. = InfAuslR 2001 S. 353 ff. = juris) dahin angeschlossen, dass für die Möglichkeit politischer Verfolgung in erster Linie die Beschaffenheit des Herrschaftsgefüges im Innern des beherrschten Gebietes maßgeblich sei. Dafür bedürfe es der Feststellung und Bewertung, ob eine übergreifende Friedensordnung mit einem prinzipiellen Gewaltmonopol existiere, die von einer hinreichend organisierten, effektiven und stabilen Gebietsgewalt in einem abgrenzbaren (Kern-)Territorium getragen werde, was eine gewisse Stetigkeit und Dauerhaftigkeit der Herrschaft voraussetze. Entscheidend sei die Lage im Innern und nur ergänzend indiziell komme es auf etwaige äußere Gefährdungen an. Besondere Bedeutung komme der Zeitspanne zu, während derer die Herrschaftsorganisation bereits Bestand habe. Je länger sich ein Machtgebilde halte, desto eher müsse es als dauerhafte, schutz- und verfolgungsmächtige Gebietsgewalt angesehen werden. Dies gelte auch für Bedrohungen der Herrschaftsgewalt im Innern, etwa durch örtliche Machthaber, autonome Stammes- oder Clanfürsten oder rebellierende Untertanen. Je länger sich eine Herrschaftsorganisation trotz solcher Bedrohungen ohne wesentliche Änderung der Machtverhältnisse behaupten könne, umso weniger sei die Annahme einer staatsähnlichen Gewalt ausgeschlossen. Neben dem Zeitfaktor könnten auch Anzahl, Größe und machtpolitisches Gewicht autonomer oder nicht befriedeter, dem Zugriff der Herrschaftsorganisation entzogener Gebiete von Bedeutung sein. Nicht entscheidend seien demgegenüber die Legitimität der Machtausübung, deren Akzeptanz durch alle oder eine Mehrheit der Gewaltunterworfenen, die Willkürfreiheit der Herrschaft oder die Beachtung eines menschenrechtlichen Mindeststandards, maßgeblich sei lediglich, ob eine De-facto-Gebietsgewalt vorhanden sei, die tatsächlich eine prinzipiell schutz- und verfolgungsmächtige Ordnung von gewisser Stabilität errichtet habe. Kennzeichnend dafür sei vor allem die Erringung eines weitgehenden tatsächlichen (Schutz- und) Gewaltmonopols im Innern, ohne das eine Friedensordnung nicht lebensfähig sei. Wesentlich sei dabei nicht auf das Bestehen einer abtrakten Rechtsordnung im Sinne übergreifender rechtlicher Regeln, sondern darauf abzustellen, ob tatsächlich eine übergreifende Herrschaft ausgeübt werde, die das Zusammenleben in der konkreten Gemeinschaft durch Befehl und Zwang ordne. In welchen organisatorischen und rechtlichen Formen, Einrichtungen oder Institutionen diese faktische Herrschaftsmacht ausgeübt werde, sei weniger wichtig; erst recht sei es nicht unabdingbar, dass bestimmte Verwaltungsstrukturen oder zivilisatorische Errungenschaften der Daseinsvorsorge, wie Bildungs- und Kultureinrichtungen, oder etwa ein funktionierendes Gesundheitswesens existiere, was allenfalls ein Indiz für eine auf Dauer angelegte übergreifende Ordnungsmacht darstellen könne.

Unter Zugrundelegung der vom 13. Senat des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs in seinem Grundsatzurteil vom 8. Juli 1996 entwickelten und im obigen Sinne höchstrichterlich bestätigten und präzisierten Maßstäbe gelangt der erkennende Senat nach den derzeit verfügbaren Erkenntnismitteln zu der Überzeugung, dass die bei der Ausreise des Beigeladenen im Januar 1994 und damit vor dem Eintritt der Taliban in den Bürgerkrieg im gleichen Jahre in Afghanistan bestehenden Machtverhältnisse nach deren Entmachtung Ende 2001 in weiten Bereichen so wiederhergestellt worden sind und heute mehr noch als damals - weil jedenfalls eine offene Bürgerkriegssituation nicht mehr besteht - trotz eines fehlenden landesweiten Gewaltmonopols der Übergangsregierung Karsai und trotz der nach wie vor weitgehend unzureichenden Sicherheits- und Versorgungslage die Annahme verfolgungsmächtiger zentralstaatlicher bzw. regionaler quasi-staatlicher Herrschaftsstrukturen rechtfertigen.

Die als - völkerrechtlich anerkannte - Zentralregierung in der Afghanistan-Konferenz der UN auf dem Petersberg bei Bonn im Dezember 2001 gebildete und in einer Sonderratsversammlung ("Emergency Loya Jirga") im Juli 2002 einschließlich ihres Präsidenten gewählte Interims- bzw. Übergangsregierung berücksichtigt in ihrer Zusammensetzung weitgehend die verschiedenen Volksstämme Afghanistans und die sie repräsentierenden Mudschaheddin-Gruppen, die zunächst gegen die kommunistischen Regierungen und dann - zuletzt im Rahmen der sog. Nordallianz - gegen die maßgeblich von Pakistan, Saudi-Arabien und den USA unterstützten paschtunischen Taliban gekämpft haben. Die Regierung wurde von Anfang an von dem zwischenzeitlich am 9. Oktober 2004 in einer allgemeinen Wahl zum Präsidenten gewählten Paschtunen Hamid Karsai geführt, der aus der Nähe der südafghanischen Stadt und Taliban-Hochburg Kandahar stammt und eine Führungsrolle in seinem dort und in benachbarten Provinzen siedelnden, hoch angesehenen und wohlhabenden Stamm der Popolzai einnimmt, deren Stammesführer Ahmed Schah Durrani 1747 das Durrani-Reich gründete, in dem die Grundsteinlegung für das moderne Afghanistan gesehen wird. Hamid Karsai engagierte sich zunächst in monarchistischen Bewegungen, war von 1992 bis 1994 nach dem Sturz Nadschibullahs in der von Mudschadidi und Rabbani geführten Übergangsregierung stellvertretender Außenminister und pflegte nach kurzer Unterstützung der Taliban intensive Kontakte in den USA (vgl. FR vom 26. November 2001; HNA vom 6. Dezember 2001 und FR vom 13. März 2002). Die zweitgrößte Volksgruppe der Tadschiken wird bzw. wurde in der Übergangsregierung insbesondere durch den Außenminister Abdullah Abdullah, den früheren Innen- und jetzigen Erziehungsminister Yunus Kanuni und den bisherigen Verteidigungsminister Mohamed Fahim repräsentiert. Diese drei Minister waren Kommandanten der von dem am 9. September 2001 angeblich im Auftrag der Taliban ermordeten Ahmed Schah Massud geführten Jamiat-e-Islami Rabbanis, bekleideten schon unter dessen Übergangsregierung 1992 wichtige Funktionen und stammen wie Massud aus dem Pandschir-Tal. Neben diesen beiden Hauptpolen sind bzw. waren auch andere Ethnien und Mudschaheddin-Führer in der Regierung vertreten, wie etwa der Usbeken-General Dostum als stellvertretender Verteidigungsminister, der ehemalige Kommandant und Gouverneur der Provinz Nangarhar mit der Hauptstadt Jalalabad, nämlich der am 6. Juli 2002 in Kabul ermordete Paschtune und Unterstützer der von dem Tadschiken Rabbani geführten Nordallianz Hadschi Abdul Kadir, als einer der fünf Stellvertreter von Präsident Karsai und Minister für Infrastruktur bzw. Öffentliche Arbeiten (vgl. FR vom 8. Juli 2002) und der schiitische Hazara Abdul Karim Kahlili als weiterer Stellvertreter Karsais.

Diese Übergangsregierung bzw. ihr Präsident verfügt auch über Herrschaftsstrukturen, die zumindest im Großraum Kabul wirksam sind. Ihr staatliches Gewaltmonopol lässt sich allerdings nicht mit den Befugnissen und Verwaltungs-, Polizei-, Gerichts- und Militärstrukturen begründen, die sich aus der am 26. Januar 2004 in Kraft getretenen Verfassung für Präsident und Regierung ergeben (so aber Auskunft des Auswärtigen Amtes [AA] an das Sächs. OVG vom 17. Februar 2004), weil es nicht auf das Bestehen einer abstrakten Rechtsordnung, sondern darauf ankommt, ob im Sinne einer De-facto-Gebietsgewalt tatsächlich eine übergreifende Herrschaft ausgeübt wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2001 a.a.O.). Dies wird für den Großraum Kabul mit der Begründung bejaht, dass die Macht des Präsidenten hier neben den bisher ausgebildeten ca. 2.000 Polizisten und ca. 7.000 bis 8.300 Soldaten vor allem von der UN- mandatierten und seit August 2003 von der NATO geführten International Security Assistance Force (ISAF) mit einer Stärke von etwa 6.000 bis 7.400 Mann gestützt wird (vgl. u.a. Gutachten Dr. Mostafa Danesch, ein aus dem Iran stammender Autor und Journalist, an Sächs. OVG vom 24. Juli 2004), so dass die Sicherheitslage im Raum Kabul zwar weiter fragil bleibt, aber im regionalen Vergleich zufriedenstellend ist und vom UNHCR für freiwillige Rückkehrer als "ausreichend sicher" bezeichnet wird (vgl. AA, Lagebericht vom 3. November 2004, Stand: Oktober 2004, S. 11). In der Hauptstadt ist danach mit Anwesenheit der ISAF eine Regierung entstanden, die in der Lage ist, dort eine übergreifende Ordnung durchzusetzen, so dass extreme Formen von gewaltsamen Auseinandersetzungen unterbunden werden und der Einzelne im Großen und Ganzen nicht um seine Existenz zu bangen braucht (Dr. Danesch an VG Bayreuth vom 31. Oktober 2002 S. 7). Dass die Regierungsgewalt Präsident Karsais hauptsächlich auf dem Schutz dieser internationalen Truppen beruht, steht der Annahme staatlicher Machtstrukturen nicht entgegen (so aber zunächst Deutsches Orient-Institut an Sächs. OVG vom 23. September 2004 S.1, vgl. aber auch S. 4 f.). Es kommt nämlich weder auf die Legitimität der Machtausübung noch darauf an, in welchen organisatorischen und rechtlichen Formen, Einrichtungen oder Institutionen die faktische Herrschaftsmacht ausgeübt wird, maßgeblich ist allein, ob das Zusammenleben in der konkreten Gemeinschaft mit einer gewissen Stetigkeit und Dauerhaftigkeit durch Befehl und Zwang geordnet wird. Das ist aber auch in Bezug auf die Übergangsregierung Karsai zu bejahen, weil die ISAF gerade zu deren Unterstützung entsandt worden ist und derzeit keine Anhaltspunkte dafür erkennbar sind, dass sie in absehbarer Zeit aus Afghanistan abgezogen werden könnte; im Gegenteil wird ihr Einsatzbereich auf ausgewählte Orte in den Provinzen ausgedehnt. Dass sowohl die eigenen Sicherheits-, wie auch Verwaltungs- und Justizstrukturen der Regierung noch im Aufbau begriffen sind und noch kein in unserem Sinne funktionsfähiges System darstellen und deshalb auch in Kabul mit Terroranschlägen, Überfällen von und gegen Polizei- und Sicherheitskräfte(n), Korruption und sonstigen Menschenrechtsverletzungen gerechnet werden muss (vgl. AA, Lagebericht Oktober 2004 S. 11), begründet zwar Zweifel an der Fähigkeit der Regierung, umfassend und in jedem Einzelfall hinreichenden Schutz zu gewährleisten, stellt aber die Existenz eines prinzipiell schutz- und verfolgungsmächtigen Herrschaftsgefüges als solches, das zu einer von den staatstragenden Kräften ausgehenden oder zugelassenen und gezielt an asylerhebliche Merkmale anknüpfenden Verfolgung in der Lage wäre, nicht grundsätzlich in Frage. Kabul befindet sich nicht (mehr) in einem offenen Bürgerkrieg mit einem Zustand von Anarchie und Chaos, in dem jeder unterschiedslos und jederzeit der Willkür des anderen ausgeliefert wäre; auch ein Staat mit hoher Gewaltkriminalität und akuter Terrorgefahr verliert allein dadurch nicht generell seine staatliche zu asylerheblicher Verfolgung fähige Herrschaftsgewalt.

Dass auch die Bundesregierung und die Innenminister und -senatoren der Bundesländer der Bundesrepublik Deutschland von einer grundsätzlich bestehenden Gebietsgewalt der Übergangsregierung Karsai ausgehen, zeigt sich darin, dass das Bundesinnenministerium mit der afghanischen Regierung Verhandlungen über ein Rückführungsabkommen mit dem Ziel führt, ab Mai 2005 mit der bundesweiten "Rückführung" afghanischer Ausreisepflichtiger beginnen zu können (vgl. Beschlussniederschrift über die 175. Sitzung der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder am 18./19. November 2004 in Lübeck), was nicht vertretbar wäre, wenn in Afghanistan nicht ein Mindestmaß an prinzipiell schutzfähigen staatlichen Herrschaftsstrukturen bestünde.

Die Gebietsgewalt der Regierung Karsai ist nach dem derzeit verfügbaren Erkenntnisstand aber auf den Großraum Kabul beschränkt und erstreckt sich nicht auf das übrige Staatsgebiet Afghanistans.

In den verschiedenen Landesteilen haben sich nach der Entmachtung der Taliban vielmehr wieder ähnliche quasi-staatliche und gegenüber der Zentralregierung autonome Herrschaftsbereiche herausgebildet, wie sie bereits vor deren Eingreifen in den Bürgerkrieg bestanden hatten und oben beschrieben worden sind (vgl. etwa Dr. Danesch an VG Wiesbaden vom 29. Januar 2003 S. 6 ff. und vom 21. Mai 2003 an VG Braunschweig; Deutsches Orient-Institut an Sächs. OVG vom 23. September 2004 S. 1 f., 8, 10.f.).

Dieser Umstand eines fehlenden gesamtstaatlichen Gewaltmonopols schließt die Möglichkeit einer asylerheblichen politischen Verfolgung in Afghanistan nicht aus (so aber u.a. VG Ansbach, Urteile vom 24. April 2002 - AN 11 K 01.31749 -, vom 3. April 2003 - AN 11 K 03.30178 - und vom 15. September 2004 - AN 11 K 04.31184 -; Sch.-Holst. OVG, Urteil vom 16. Juni 2004 - 2 LB 54/03 -; wie hier: VG Hamburg, Urteil vom 10. Juli 2003 - 10 A 1945/2001 - jeweils Asylis-Rspr.), weil diese - wie der Hessische Verwaltungsgerichtshof schon in seinem zitierten Grundsatzurteil vom 8. Juli 1996 ausgeführt hat - zum einen in den verschiedenen regionalen Bereichen erfolgen kann und weil sich zum anderen durch die die Mentalität und Denkweise der afghanischen Gesellschaft bestimmenden traditionellen Stammesstrukturen bisher nie ein Nationalgefühl, sondern vielmehr immer schon eine Ablehnung gegenüber staatlicher Gewalt entwickelt hat und es deshalb und wegen der geografischen, ethnischen und religiösen Zergliederung der Eigenart dieses Landes entspricht, dass einer schwachen Zentralgewalt stets mächtige lokale Herrscher gegenüberstehen, die in ihrem Machtbereich selbst verantwortlich "hoheitliche Befugnisse" wahrnehmen, also etwa eine eigene Armee, eigene Gerichte und Gefängnisse unterhalten (vgl. dazu und auch zum Folgenden Dr. Danesch an Sächs. OVG vom 24. Juli 2004).

Solche Herrschaftsbereiche haben sich wieder wie folgt herausgebildet:

Früher von der Übergangsregierung Rabbani/Massud beherrschte und tadschikisch besiedelte Provinzen im Nordosten und Norden stehen heute unter dem Kommando des offiziell von der Regierung als Armeekommandanten eingesetzten Mohammad Daud Khan, eines früheren Leibwächters und persönlichen Referenten Massuds. Khan unterhält eine weitgehend mit russischem Material ausgerüstete Privatarmee von ca. 15.000 Mann, ist mit dem bisherigen Verteidigungsminister Fahim loyal verbunden, agiert aber relativ autonom.

Die sich weiter westlich anschließenden Nordprovinzen, die General Dostum bis zur endgültigen Eroberung Mazar-e-Sharifs durch die Taliban am 10. August 1998 und seiner anschließenden Flucht in die Türkei beherrscht hatte, gehören jetzt in ihrem östlichen Teil zum Machtbereich des ebenfalls offiziell von Karsai als Kommandanten eingesetzten, aber mit Mohammad Daud Khan verbündeten Tadschiken Ustad Atta, der ebenfalls über eine russisch ausgerüstete Streitkraft von mehreren tausend Kämpfern verfügt.

Die übrigen, weitgehend von Usbeken und Turkmenen bewohnten Nordprovinzen beherrscht von seinem Hauptquartier in Sheberghan/Provinz Jowzjan aus wieder General Dostum, der zum stellvertretenden Verteidigungsminister ernannt worden war, ebenfalls mehrere tausend Kämpfer kommandiert, über Kontakte zur Türkei, zu den USA und nach Usbekistan verfügt und mit seinem alten Rivalen Atta häufig bewaffnete Auseinandersetzungen, insbesondere um Mazar-e-Sharif hatte, die im Oktober 2003 zu einem weitgehend beachteten Waffenstillstand führten.

In diesen nördlichen, von Atta und Dostum beherrschten Provinzen kommt es vielfach zu Übergriffen in Form von Brandstiftungen, Plünderungen, Erpressungen, Zwangsrekrutierungen, Misshandlungen oder Vergewaltigungen, Tötungen etc. gegen die hier eine Minderheit bildenden Paschtunen, die zu einer inzwischen rückläufigen Binnenflucht in den paschtunischen Süden geführt hatten (vgl. AA, Lagebericht Oktober 2004 S.13 f. und 16 f.).

Über die westlichen Provinzen herrscht in der Provinzhauptstadt Herat wieder der fundamentalistische Tadschike Ismail Khan, der sich selbst als Emir oder Kalif versteht, in seinem Gebiet die alleinige politische und militärische Herrschaft beansprucht, über eine auch mit schweren russischen Waffen ausgerüstete, aber nicht einmal formal der Regierung unterstellte große Privatarmee von fast 20.000 Soldaten verfügt, mit seinem repressiven Regime für relative Sicherheit und einen wirtschaftlichen Aufschwung gesorgt hat, ein gutes Verhältnis zum bisherigen Verteidigungsminister Fahim unterhält, einen Sohn als Luftfahrtminister in der Regierung untergebracht hatte und gute bzw. beste Kontakte sowohl zu den USA wie auch zu dem westlich angrenzenden Iran pflegt, von dem er finanziell, personell und durch konkrete Aufbauprojekte unterstützt wird. Nachdem im März 2004 sein Sohn bei einer bewaffneten Auseinandersetzung mit Regierungskräften getötet worden war, ist Ismail Khan nach den sich anschließenden Unruhen von Präsident Karsai zwar im September 2004 als Provinzgouverneur abgesetzt worden, ob das aber wirklich zu einer Schwächung oder gar zum Verlust seiner Herrschaft geführt hat, erscheint angesichts der eigentlichen Machtstrukturen sehr zweifelhaft (vgl. AA, Lagebericht Oktober 2004 S. 13 und Deutsches Orient-Institut an Sächs. OVG vom 23. September 2004 S. 3 f.).

In dem angestammten Siedlungsgebiet der schiitischen Hazara in Zentralafghanistan dominiert die Hezb-e-Wahdat mit ihrem in der Übergangsregierung vertretenen Führer Abdul Karim Khalili, die aus religiösen Gründen und wegen der Unterstützung im Bürgerkrieg ebenfalls gute Beziehungen zum schiitischen Iran hat, in ihrem südlichen Herrschaftsbereich aber auch in Flügelkämpfe verwickelt ist (vgl. AA, Lagebericht Oktober 2004 S. 13).

In der östlichen, paschtunisch besiedelten Provinz Nangarhar mit der Hauptstadt Jalalabad regieren zwar nach wie vor die ehemaligen Mudschaheddin-Kommandanten, die schon vor der Machtübernahme der Taliban dort herrschten (Gouverneur ist ein Bruder des 2002 in Kabul ermordeten Hadschi Abdul Kadir), die Verhältnisse sind dort aber durch die nach wie vor stattfindenden kriegerischen Auseinandersetzungen der amerikanisch dominierten Anti-Terror-Koalition mit den radikal-islamischen Kräften der Taliban und Al-Qaida bestimmt, bei der auch Kämpfer paschtunischer Lokalherrscher eingesetzt werden.

Auch in den anderen östlichen, süd-östlichen und südlichen Provinzen mit dem im gebirgigen Grenzland zu Pakistan liegenden sog. Paschtunengürtel sind die Machtverhältnisse ebenfalls undurchsichtig und instabil, so dass in diesem Bereich quasi-staatliche Strukturen nicht anzunehmen sind.

Neben den für diese paschtunisch geprägten Gebiete typischen Stammesfehden und den verstärkten Aktivitäten der mit den Taliban kooperierenden Hezb-e-Islami des radikalen paschtunischen Milizenführers Hekmatyar kommt es hier zu einer Destabilisierung durch die Reinfiltration von Taliban und Al-Qaida, die zwar von den etwa 18.000 Mann starken US- bzw. Anti-Terror-Streitkräften bekämpft werden (vgl. AA, Lagebericht Oktober 2004 S. 12), aber auf Grund des zur Stammesloyalität verpflichtenden Ehrenkodex "Paschtunwali" großen Rückhalt bei den paschtunischen Stammesführern finden. So ist schon davon die Rede, dass die Taliban im Osten und Süden Afghanistans wieder etwa 35 % des Landes kontrollieren, und zwar mit stillschweigender Billigung Karsais (vgl. Dr. Danesch an Sächs. OVG vom 24. Juli 2004 S. 10; Baraki, "Aus Politik und Zeitgeschichte", Beilage zu "Das Parlament" vom 22. November 2004 S. 24 ff.). Angesichts des teilweise trotzdem bestehenden Einflusses regierungstreuer Kräfte und sonstiger Lokalherrscher und der Bekämpfung durch die Anti-Terror-Streitkräfte kann aber nicht von stabilen und gesicherten regionalen Herrschaftsstrukturen der Taliban/Al-Quida ausgegangen werden.

In den dargestellten, in weiten Bereichen in ihren früheren, vor der Eroberung durch die Taliban bestehenden Strukturen wiederhergestellten regionalen Herrschaftsgebieten kommt es nicht nur zu gezielt an asylerhebliche Merkmale anknüpfenden Übergriffen, wie etwa in Herat gegen Frauen und (vermeintliche) Oppositionelle und in den Nordprovinzen gegen die dortige Minderheit der Paschtunen, sondern diese regionalen Machtstrukturen sind auch autonom gegenüber der zentralen Übergangsregierung Karsais.

Zwar wird teilweise ein "eigenartiger Doppelcharakter der staatlichen Strukturen in Afghanistan" angenommen, weil zwar einerseits die Lokalherrscher und Kriegsfürsten überall im Lande ihre autonomen, quasi-staatlichen Herrschaftsstrukturen etabliert hätten, andererseits aber die Regierung Karsai den Großteil dieser Lokalherrscher legitimiert und in den Staat integriert habe (vgl. Dr. Danesch an Sächs. OVG vom 24. Juli 2004 S. 18), maßgeblich ist aber nicht auf die formale Legitimierung der Machtausübung, sondern nur auf die faktische, allerdings hinreichend stabilisierte Durchsetzbarkeit einer übergreifenden Herrschaftsgewalt abzustellen (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2001 a.a.O.).

Das aber ist für die Regierung unter Präsident Karsai landesweit (noch) nicht der Fall, so dass zwar die Frage nach der Existenz staatlicher und quasi-staatlicher Strukturen auf dem gesamten Territorium Afghanistans - nach Auffassung des Senats mit Ausnahme der etwa 35 % im Osten und Süden - zu bejahen ist (so Dr. Danesch a.a.O. S. 18), aber nicht im Sinne eines gesamtstaatlichen Gewaltmonopols der Zentralregierung, sondern (wieder) im Sinne des Bestehens mehrerer regionaler Machtbereiche. Die Zentralregierung verfügt nämlich nicht über die notwendigen Machtmittel, um auf die lokalen Machthaber und Kommandeure in den Provinzen praktisch Einfluss auszuüben (vgl. AA, Lagebericht Oktober 2004 S. 18 und 22). So besteht zwischen der noch im Aufbau befindlichen Nationalarmee mit ihrer "wirklichen" Truppenstärke von etwa 7.000 bis 8.300 Mann zu den von ihrem Armeechef geschätzten 100.000 Privatmilizionären der warlords ein Verhältnis "wie Maus und Elefant"; allein der bisherige Verteidigungsminister Fahim soll mit dem im Pandschir-Tal stationierten militärischen Arm der Jamiat-e-Islami über eine Privatarmee von etwa 30.000 Mann verfügen (vgl. Baraki a.a.O.). Hinzu kommt zum einen, dass Fahim auf die ihm als bisherigem Verteidigungsminister ebenfalls unterstehende Nationalarmee starken Einfluss nehmen kann und die Truppe und die unteren Offiziersränge mehrheitlich mit Tadschiken, darunter viele Männer aus seiner Privatarmee, besetzt hat, und zum anderen, dass die USA im Anti-Terror-Krieg die Truppen von Lokalherrschern "als Söldner" einsetzen und damit deren Stellung gegenüber der Zentralregierung stärken (vgl. Dr. Danesch a.a.O. S. 31 f.). Die auch durch ein Treffen am 23. Mai 2004 genährte Vermutung, Karsai müsse die Macht - "mit Rückendeckung der USA" - mit warlords und einem Teil der Taliban teilen, um selbst an der Macht zu bleiben (vgl. Baraki a.a.O.), erscheint deshalb nicht unberechtigt, wenn auch nicht zu verkennen ist, dass er durch die militärische und finanzielle Unterstützung aus dem Ausland, die Besetzung insoweit wichtiger Funktionen und auch durch seine "Hausmacht" im paschtunischen Süden nicht ohne Möglichkeiten ist, seine Machtstellung weiter zu stabilisieren und auszubauen, wozu auch schon die Regierungsneubildung nach den Präsidentschaftswahlen vom 9. Oktober 2004 gedient haben könnte.

Der Beigeladene zu 6. wäre im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan vor einer von diesen derzeit bestehenden Machtstrukturen ausgehenden oder von ihnen nicht verhinderten, gezielt an seine frühere DVPA-Mitgliedschaft und seine Tätigkeit für das kommunistische Regime Nadschibullahs als Angehöriger des Geheimdienstes Khad anknüpfenden Verfolgung nicht hinreichend sicher.

Eine grundsätzlich nach wie vor bestehende Verfolgungsgefährdung wegen einer früheren Mitgliedschaft in der kommunistischen DVPA oder/und im Geheimdienst, Militär oder in sonstigen Regierungsstellen des kommunistischen Regimes hat der Senat im Urteil vom 11. November 2004 (a.a.O.) bereits mit u.a. folgenden Erwägungen bejaht:

"Für die Verfolgungsgefährdung ehemaliger DVPA-Mitglieder sind nach Einschätzung des Senats auch für die Zeit nach der Entmachtung der Taliban bis heute im Prinzip noch die in der Rechtsprechung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs seit 1996 entwickelten Grundsätze heranzuziehen.

Danach besteht in den einzelnen regionalen Herrschaftsbereichen, die sich in Afghanistan nach dem Sturz der kommunistischen Regierung herausgebildet hatten und nach dem Sturz der Taliban-Herrschaft wieder herausgebildet haben, eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit nicht schon wegen der bloßen, einfachen Mitgliedschaft in der DVPA oder wegen einer untergeordneten Stellung in Geheimdienst, Militär oder sonstigen Regierungsstellen. Da die regionalen Machtzentren aber weiterhin in erheblichem Umfang auch mit ehemaligen Mudschaheddin-Kommandanten und -Kämpfern bzw. mit Personen besetzt sind, die auf Grund ihrer streng islamischen Ausrichtung jedes ehemalige Mitglied der DVPA als potentiellen Feind betrachten und nicht davor zurückscheuen, gegen solche Personen Verfolgungsmaßnahmen zu ergreifen, wenn gegen sie - aus Sicht der potentiellen Verfolger - über die bloße Parteimitgliedschaft hinaus schwerwiegende Beschuldigungen zu erheben sind, sind seit dem Sturz des kommunistischen Regimes auch unter den Bedingungen seit 1996 solche früheren Angehörigen der DVPA und sonstige Mitarbeiter der früheren kommunistischen Regierung in erheblichem Maße von Verfolgungsmaßnahmen bedroht, die unter dem früheren Regime eine ranghohe Stellung eingenommen hatten, in dieser Tätigkeit deutlich und für einen größeren Personenkreis erkennbar nach außen getreten sind und durch die Ausübung ihrer Funktion - insbesondere im Militär und im früheren Geheimdienst Khad - für die Tötung oder Verfolgung von Mudschaheddin verantwortlich gemacht werden könnten (vgl. Hess. VGH, Urteile vom 8. Juli 1996 - 13 UE 962/96.A -, vom 26. Januar 1998 - 13 UE 2978/96.A - und vom 16. November 1998 - 9 UE 3908/96.A - jeweils juris). Angesichts des inzwischen weiteren zeitlichen Abstands zum Ende der kommunistischen Herrschaft im April 1992, der Entmachtung der übersteigert extrem-fundamenta-listischen Taliban Ende 2001, der Einmischung des Auslands mit der Präsenz der ISAF-Truppen und der amerikanischen Streitkräfte mit ihren Verbündeten in Kabul und vornehmlich in den süd/süd-östlichen Gebieten Afghanistans sowie der internationalen Hilfeleistung und Beobachtung sind aber für eine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer landesweiten Lebens- oder Leibesgefährdung ehemaliger DVPA-Mitglieder tendenziell eher höhere Anforderungen an deren herausragende Stellung, an ihren überregionalen Bekanntheitsgrad und an ihre Teilnahme an gegen Mudschaheddin gerichteten Aktivitäten, die ihnen zum Vorwurf gemacht werden könnten, zu stellen als unter der Herrschaft der Taliban.

...

Nach den aktuell verfügbaren Erkenntnismitteln hat sich auch nach dem Sturz der Taliban Ende 2001 und der nachfolgenden Einsetzung der Übergangsregierung Karsai die Verfolgungsgefährdung ehemaliger DVPA-Mitglieder angesichts der Schwäche der Zentralregierung, der nach wie vor bestehenden ethnischen und politischen Spannungen und Auseinandersetzungen und der Dominanz regionaler und lokaler Machthaber nicht grundlegend verbessert, so dass die in der Rechtsprechung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs während der Taliban-Herrschaft entwickelten Maßstäbe grundsätzlich - wenn auch mit den oben gemachten Einschränkungen - ihre Gültigkeit nicht verloren haben.

Die Situation stellt sich danach zum gegenwärtigen Zeitpunkt im Wesentlichen wie folgt dar:

Das Auswärtige Amt (AA) führt in seinem Lagebericht vom 23. April 2004 (Stand: März 2004) u.a. aus, die Übergangsregierung bestehe aus teils stark miteinander rivalisierenden Fraktionen. Es fehle an funktionierenden Verwaltungsstrukturen, einem nur ansatzweise funktionierenden Justizwesen und an Einigkeit über die Gültigkeit und damit Anwendbarkeit von Rechtssätzen. Der praktisch landesweit bestehende Zustand weitgehender Rechtlosigkeit des Einzelnen sei noch nicht überwunden, was etwa an der Vielzahl meist unbekannt bleibender Menschenrechtsverletzungen oder landesweiten Streitigkeiten um willkürlich besetzte Privatgrundstücke und Wasserquellen sichtbar werde. Eine Strafverfolgung lokaler Machthaber außerhalb Kabuls wegen Übergriffen sei praktisch nicht möglich. Eine funktionierende Polizei existiere derzeit noch nicht, der Aufbau der Nationalarmee komme voran.

Die Sicherheitslage habe sich für afghanische Staatsangehörige weiterhin landesweit nicht verbessert, in mancher Beziehung sogar verschlechtert. Im Raum Kabul bleibe sie weiter fragil, auch wenn sie auf Grund der ISAF-Präsenz im regionalen Vergleich zufriedenstellend sei. Es komme aber immer wieder zu Granatenbeschuss und teilweise zu Übergriffen von Polizei und Sicherheitskräften; so sei es auch zu mehreren - teilweise missglückten - Mordanschlägen gekommen. Die Anti-Terror-Koalition bekämpfe die radikal-islamistischen Kräfte vor allem im Osten, Südosten und Süden mit über 11.000 Mann. Diese Kräfte sickerten aus dem pakistanischen Paschtunengürtel ein, auch Kräfte des Milizenführers Hekmatyar seien wieder verstärkt aktiv und es häuften sich in süd/östlichen Provinzen terroristische Anschläge. In den verschiedenen Teilen des Landes hielten Kämpfe zwischen militärischen und politischen Rivalen weiter an. Die größte Gefahr für die Nichtbeachtung der Menschenrechte gehe von lokalen Machthabern und Kommandeuren aus. Die Zentralregierung habe auf viele dieser Menschenrechtsverletzer praktisch keinen Einfluss. Sie könne diese Täter weder kontrollieren noch ihre Taten untersuchen oder sie verurteilen. Wegen des desolaten Verwaltungs- und Rechtswesens blieben darüber hinaus Menschenrechtsverletzungen häufig ohne Sanktion.

Zur Verfolgungsgefährdung ehemaliger Kommunisten ist in dem Lagebericht wörtlich ausgeführt:

'Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die afghanische Übergangsregierung unter Präsident Karsai ehemalige Kommunisten verfolgt. Eine Gefährdung - auch an Leib und Leben - hochrangiger früherer Repräsentanten der Demokratischen Volkspartei Afghanistans (Parcham- wie Khalq-Flügel) bzw. herausragender Militärs und Polizeirepräsentanten sowie des Geheimdienstes Khad der kommunistischen Zeit durch Teile der Bevölkerung kann allerdings als mögliche Reaktion auf frühere Menschenrechtsverletzungen nicht ausgeschlossen werden. Es bestehen Hinweise darauf, dass einzelne Regierungsmitglieder in eigener Verantwortung Verfolgung, Repression und auch Tötung ehemaliger Feinde gut heißen. Private Racheakte gegen hochrangige ehemalige Repräsentanten des kommunistischen Systems können nicht ausgeschlossen werden. Einige ehemalige Kommunisten, die sich zur Zeit in Kabul aufhalten, können dies nur deshalb gefahrlos tun, weil sie über entsprechende Netzwerke und Kontakte verfügen. Ohne diese Absicherung wäre der gefahrlose Aufenthalt in der Hauptstadt undenkbar. Die Zentralregierung verfügt nicht über die notwendigen Machtmittel, um ihre Bürger in ausreichendem Maße zu schützen. Der Einfluss der Zentralregierung ist insbesondere in den Provinzen begrenzt bzw. praktisch nicht vorhanden.'

Dr. Danesch hat in seinem dem Sächsischen Oberverwaltungsgericht erteilten Gutachten vom 24. Juli 2004 u.a. ausgeführt, das Kabinett Karsai zerfalle in ethnische Fraktionen und sei nach militärischen und machtpolitischen Gegebenheiten zusammengesetzt, es gebe auch graue 'Eminenzen', wie Rabbani oder den extremen Fundamentalistenführer Sayyaf. Man könne von einem Gewaltmonopol des Präsidenten durch die ISAF und US-Soldaten allenfalls in Kabul und Umgebung sprechen, in den verschiedenen Landesteilen herrschten aber ehemalige Mudschaheddin-Führer als lokale Kriegsfürsten und Kommandanten. Diese seien teilweise offiziell von Karsai eingesetzt, ließen sich von der Zentralregierung aber keine Vorschriften machen. In ganz Afghanistan bestehe letztlich ein Gewaltmonopol derjenigen fundamentalistisch-islamischen Kräfte, teilweise sogar derselben Personen, die 1992 Präsident Nadschibullah gestürzt hätten und für die nachfolgende Verfolgung ehemaliger Kommunisten verantwortlich gewesen seien. Der damalige erste Präsident und heute wieder einflussreiche Mudschadidi erkläre seine Amnestie von 1992 für bedeutungslos und rufe zur Fortsetzung des Heiligen Krieges gegen die alten Kommunisten auf.

Seine Recherchen über den Kläger jenes Verfahrens hätten ergeben, dass dieser ein hochrangiges und altgedientes Mitglied der DVPA, 1975 innerhalb einer kleinen Elite in heftigen Auseinandersetzungen mit späteren Mudschaheddin-Führern, wie Hektmatyar, Massud und Sayyaf, verstrickt gewesen sei und nach der DVPA-Machtergreifung 1978 mit dem Geheimdienst Khad zusammengearbeitet habe. Als 'eingefleischter Kommunist' und 'Gottloser' begebe er sich bei einer Rückkehr nach Afghanistan in größte Gefahr für Leib und Leben.

Das Deutsche Orient-Institut hat zum gleichen Fall unter dem 23. September 2004 in Übereinstimmung mit Dr. Danesch ein Gewaltmonopol der Übergangsregierung allenfalls im Großraum Kabul i.S. eines durch die internationalen Truppen geschaffenen künstlichen Schutzraumes bejaht; im Übrigen regierten wie seit Jahrhunderten lokale Potentaten in den Regionen des Landes. Der Versuch der westlichen Welt, aus Afghanistan so etwas wie einen Nationalstaat zu machen, resultiere aus einer unhistorischen Betrachtungsweise.

Dem Kläger schade weder seine tadschikische Volks- noch seine schiitische Glaubenszugehörigkeit. Wenn seine Angaben über seine Position in obersten Gremien der DVPA und die Verursachung von Misshelligkeiten für andere Personen zuträfen, drohe ihm auch heute noch nachwirkende Verfolgung mit nicht unbeachtlicher Wahrscheinlichkeit, die allerdings schwer einzuschätzen sei, weil es keine systematische Verfolgung aller DVPA-Funktions-träger gegeben habe oder gebe, sondern diese auf individueller Basis stattfinde."

Im Verhältnis zu diesen Ausführungen haben sich zwischenzeitlich keine entscheidend neuen Erkenntnisse ergeben, insbesondere ist die zur Gefährdung ehemaliger Kommunisten wörtlich aus dem AA-Lagebericht März 2004 zitierte Passage in den letzten AA-Lagebericht Oktober 2004 bis auf eine kleine Abweichung im letzten Satz (statt "insbesondere in den Provinzen", jetzt "in zahlreichen Provinzen") wörtlich übernommen worden.

Nach diesen im Senatsurteil vom 11. November 2004 aufgestellten Kriterien könnte sogar eine so herausragende und bekannt gewordene Stellung des Beigeladenen beim Geheimdienst noch bejaht werden, dass er mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer Lebens- oder Leibesgefährdung in Kabul oder in den regionalen, von ehemaligen Mudschaheddin-Führern beherrschten Machtzentren ausgesetzt wäre, denn immerhin hat er in dieser Funktion Verbleib und Aufenthalt von Mudschaheddin-Gruppen erforscht und Angriffe auf sie organisiert und ist er von ihnen 3 1/2 Jahre lang inhaftiert und unter Folter zu seinen Kenntnissen über staatliche und militärische Strukturen des Nadschibullah-Regimes befragt worden. Dies bedarf hier aber keiner endgültigen Entscheidung, denn jedenfalls ist der Beigeladene vor einer Wiederholung daran anknüpfender Verfolgungsmaßnahmen nicht hinreichend sicher.

Unabhängig davon, ob diese Frage im vorliegenden Zusammenhang überhaupt prüfungsrelevant ist (verneinend Salomons/Hruschka a.a.O. S. 6), kann eine sog. inländische Fluchtalternative in den durch die reinfiltrierten und wiedererstarkt Taliban/Al-Qaida destabilisierten östlichen und südlichen Provinzen nicht angenommen werden. Der aus der nördlich an Kabul angrenzenden Provinz Kapisa stammende Beigeladene wäre als Tadschike und ehemaliger Kommunist und Geheimdienstmitarbeiter in diesen paschtunischen Unruheprovinzen in hohem Maße gefährdet und nicht überlebensfähig.

Da nach alledem in Bezug auf die Asylanerkennung des stammberechtigten Beigeladenen zu 6. die Widerrufsvoraussetzungen des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG nicht vorliegen, sind die Beigeladenen zu 1. bis 5. gemäß § 26 AsylVfG zu Recht im Wege des Familienasyls anerkannt worden, so dass die Berufung des Bundesbeauftragten gegen das seine Klage abweisende Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 10. Februar 2000 mit der Kostenfolge aus § 83 b AsylVfG, § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 i.V.m. § 154 Abs. 3 VwGO und § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO zurückzuweisen ist.

Die Zulassung der Revision ist gemäß § 132 Abs. 2 VwGO wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Frage der Anwendbarkeit des asylrechtlichen Ausschlussgrundes der anderweitigen Verfolgungssicherheit gemäß § 27 AsylVfG im Rahmen der Gewährung von Familienasyl gemäß § 26 AsylVfG zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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