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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 02.04.2004
Aktenzeichen: 8 UE 2529/03
Rechtsgebiete: HGO


Vorschriften:

HGO § 63
HGO § 8b Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2
Richtet sich das Bürgerbegehren gegen einen Beschluss der Gemeindevertretung bzw. Stadtverordnetenversammlung, so muss es nach § 8b Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 HGO innerhalb von sechs Wochen nach Bekanntgabe des Beschlusses eingereicht sein.

Auch Sinn und Zweck der Regelung verlangen nicht ihre Auslegung dahin, dass ein durch einen Widerspruch oder eine Beanstandung gemäß § 63 HGO in seinem Vollzug gehemmter Beschluss der Vertretungskörperschaft den Lauf der Sechs-Wochen-Frist hemmt oder dass die Vollzugshemmung sogar den Beginn des Fristlaufs hindert.


Hessischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes Urteil

8 UE 2529/03

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Feststellung der Zulässigkeit eines Bürgerbegehrens

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 8. Senat - durch Richter am Hess. VGH Dr. Nassauer als Berichterstatter nach Verzicht der Beteiligten auf mündliche Verhandlung am 2. April 2004 für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 16. Juli 2003 beratene Urteil des Verwaltungsgerichts Darmstadt wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten der Beklagten vorläufig vollstreckbar. Jedoch darf der Kläger die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festgesetzten Kosten der Beklagten abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten auch im Berufungsverfahren über die Zulässigkeit eines Bürgerbegehrens, mit dem die Unterzeichner des Bürgerbegehrens verhindern wollen, dass die Beklagte das Babenhäuser Schloss kauft.

Am 2. August 2001 beschloss die Stadtverordnetenversammlung der Beklagten unter dem Tagesordnungspunkt 8.2, dass die Beklagte durch die zu diesem Zweck zu gründende "Schloss A-Stadt GmbH + Co. KG" das Schloss A-Stadt zum Preis von 3,58 Mio. DM zuzüglich Steuern und Kosten kauft und dass der Magistrat beauftragt wird, die entsprechenden Verträge zu schließen. Unter dem Tagesordnungspunkt 8.6 beschloss die Stadtverordnetenversammlung u. a., der Betrieb des Schlosses solle durch eine selbständige Betreibergesellschaft in der Rechtsform einer GmbH erfolgen. Wegen der weiteren Einzelheiten der im Zusammenhang mit dem geplanten Kauf des Babenhäuser Schlosses gefassten Beschlüsse der Stadtverordnetenversammlung wird auf den Auszug aus der Niederschrift der 5. öffentlichen Sitzung der Stadtverordnetenversammlung vom 2. August 2001 (Kopie Bl. 14 bis 17 der Gerichtsakte) Bezug genommen. Unter dem 15. August 2001 widersprach der Bürgermeister der Beklagten gemäß § 63 Abs. 1 HGO den Beschlüssen 8.2 und 8.6. Am 30. August 2001 beschloss die Stadtverordnetenversammlung, der Beanstandung nicht abzuhelfen. Die Beschlüsse vom 2. August 2001 wurden bestätigt. Mit Verfügung vom 3. September 2001 beanstandete der Bürgermeister gemäß § 63 Abs. 2 HGO die Beschlüsse der Stadtverordnetenversammlung.

Am 2. Oktober 2001 erhob die Stadtverordnetenversammlung gegen die Beanstandungen Klage, die unter dem Aktenzeichen VG Darmstadt 3 E 2208/01 geführt wurde. Nachdem die Kommunalaufsichtsbehörde des Landkreises C-Stadt-......... mit Verfügung vom 21. Dezember 2001 den Nachtragshaushalt 2001 genehmigt hatte, zog der Bürgermeister mit Schreiben vom 30. Januar 2002 seine Beanstandung zurück. Das genannte Verwaltungsstreitverfahren wurde daraufhin in der Hauptsache für erledigt erklärt.

Nach der zweiten Beschlussfassung in der Stadtverordnetenversammlung am 30. August 2001 und der Beanstandung durch den Bürgermeister sammelten die Vertrauensleute insgesamt 1.317 Unterschriften für das "Bürgerbegehren auf Durchführung eines Bürgerentscheids" mit der Fragestellung: "Sind Sie dagegen, dass die Stadt A-Stadt das Schloss kauft?" Das Bürgerbegehren enthält eine Begründung sowie die Namen und Adressen von zwei Vertrauenspersonen. Der Kläger ist sowohl Vertrauensperson als auch Mitunterzeichner.

Die Unterschriften gingen am 31. Oktober 2001 bei der Beklagten ein. Der Magistrat der Beklagten bestätigte unter dem 8. November 2001, dass 1.293 Personen zum jeweils angegebenen Unterschriftszeitpunkt wahlberechtigt zur Gemeindewahl waren.

Mit Beschluss vom 23. Mai 2002 lehnte die Stadtverordnetenversammlung die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens ab. Dies wurde dem Kläger mit Schreiben des Magistrats der Beklagten vom 14. Juni 2002 mitgeteilt.

Am 23. August 2002 hat der Kläger Klage erhoben und vorgetragen, die sechswöchige Frist des § 8b Abs. 3 Satz 1 HGO stehe der Zulassung des Bürgerbegehrens nicht entgegen, weil der zur Ausführung vorgesehene Beschluss der Stadtverordnetenversammlung aufgrund des Rechtsmittels des Bürgermeisters gehemmt sei. Das Bürgerbegehren richte sich nicht (mehr) gegen den Beschluss vom 2. August 2001, sondern gegen den wiederholenden Grundsatzbeschluss der Stadtverordnetenversammlung vom 30. August 2001. Diesen Beschluss habe der Bürgermeister bereits am 3. September 2001 beanstandet, wobei die Beanstandung aufschiebende Wirkung gehabt habe, d. h. ein Vollzug des Beschlusses nicht möglich gewesen sei. Dem Bürgerbegehren könne § 8b Abs. 3 Satz 1 HGO nicht entgegengehalten werden, denn Sinn und Zweck dieser Regelung sei es, die Umsetzung von Entscheidungen der gemeindlichen Organe durch die Einleitung eines Bürgerbegehrens nicht über Gebühr verzögern zu können. Die Vorschrift sei nach ihrem Sinn und Zweck dahin auszulegen, dass sie einen vollzugsfähigen Beschluss der Stadtverordnetenversammlung voraussetze. Die Ungewissheit der Umsetzung des Beschlusses habe allein auf der Beanstandung des Bürgermeisters beruht und nicht auf einem möglichen Bürgerbegehren. Ein unmittelbar nach seiner Fassung vom Bürgermeister beanstandeter Beschluss der Stadtverordnetenversammlung könne daher sechs Wochen ab dem Wiedereintritt seiner Vollzugsfähigkeit zum Gegenstand eines Bürgerbegehrens gemacht werden.

Der Kläger hat beantragt

festzustellen, dass das von ihm unterzeichnete und am 30. Oktober 2001 eingereichte Bürgerbegehren auf Durchführung eines Bürgerentscheides zu der Fragestellung "Sind Sie dagegen, dass die Stadt A-Stadt das Schloss kauft?", zulässig ist.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat sinngemäß im Wesentlichen vorgetragen, durch die Einreichung der Unterstützerunterschriften am 30. Oktober 2001 sei die 6-Wochen-Frist versäumt, einerlei, ob das Bürgerbegehren sich gegen den Beschluss der Stadtverordnetenversammlung vom 2. August 2001 oder gegen deren Beschluss vom 30. August 2001 richte. Der Kläger vertrete die Auffassung, dass sich durch die nachfolgende Beanstandung des Bürgermeisters, die aufschiebende Wirkung habe, die Frist weiter, d. h. über den 11. Oktober 2001 hinaus, erstrecke. Diese Auffassung sei auch durch die großzügigste Auslegung des § 8b Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 HGO nicht gedeckt. Sie verkehre den Sinn der Vorschrift in ihr Gegenteil. Der Wille des Gesetzgebers, dass der Vollzug eines Beschlusses der Stadtverordnetenversammlung nicht durch ein Bürgerbegehren hinausgezögert werden solle, jedenfalls nicht auf unabsehbare Zeit, sei eindeutig. Für eine über den Wortlaut der Vorschrift hinausgehende Auslegung der gesetzlichen Regelung etwa in der Weise, dass nur ein "rechtskräftiger" Beschluss gemeint sein solle, gebe es angesichts des eindeutigen Wortlauts keinen Raum.

Mit am 16. Juli 2003 beratenem Urteil hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, zwar könne das Bürgerbegehren bei vernünftiger Auslegung als den Anforderungen des § 8b Abs. 3 Satz 2 HGO genügend angesehen werden. Es betreffe auch keinen im Negativkatalog des § 8b Abs. 2 HGO aufgezählten Tatbestand. Es sei jedoch verfristet, weil die sechswöchige Ausschlussfrist des § 8b Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 HGO nicht eingehalten worden sei. Das Bürgerbegehren richte sich gegen den Beschluss der Stadtverordnetenversammlung vom 30. August 2001. Dieser Beschluss sei in öffentlicher Sitzung gefasst worden, so dass die Frist zur Einreichung der Unterschriftenliste am Donnerstag, dem 11. Oktober 2001, abgelaufen sei. Die Unterschriftenliste sei bei dem Magistrat jedoch erst am 31. Oktober 2001, mithin später als sechs Wochen nach Bekanntgabe des Beschlusses, eingereicht worden. Auch ein mittels Beanstandung in seiner Vollziehbarkeit gehemmter Beschluss unterliege der genannten Frist. Die Regelung sei nicht dahin auszulegen, dass die Frist erst bei Vorliegen eines vollziehbaren Beschlusses zu laufen beginne. Auf die Einzelheiten der Begründung des Verwaltungsgerichts wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.

Gegen das am 6. August 2003 zugestellte Urteil hat der Kläger am 5. September 2003 die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung eingelegt und am 6. Oktober 2003 begründet.

Er trägt vor, infolge der Beanstandung durch den Bürgermeister am 3. September 2001 habe nicht die vom Gesetzgeber vorausgesetzte typische Risikolage bestanden, dass die Realisierung bereits von der Vertretungskörperschaft beschlossener gemeindlicher Vorhaben auf unbegrenzte Zeit mit der Gefahr einer gegenteiligen Entscheidung der Gemeindebürger behaftet sei. Ein Beschluss der Vertretungskörperschaft, der aufgrund einer Beanstandung in seinem Vollzug gehemmt sei, könne nicht über Gebühr verzögert oder konterkariert werden, wenn die Unterstützungsunterschriften für das Bürgerbegehren noch während seiner Vollzugshemmung eingereicht würden. Infolgedessen sei § 8b Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 HGO gemäß seinem Sinn und Zweck dahin auszulegen, dass ein in seinem Vollzug gehemmter Beschluss der Vertretungskörperschaft den Lauf der 6-Wochen-Frist nicht in Gang zu setzen vermöge. Die durch die Vorschrift verfolgte Beschleunigungsmaxime setze einen vollzugsfähigen Beschluss voraus. Infolgedessen sei die 6-Wochen-Frist im Zeitpunkt der Abgabe der Unterstützungsunterschriften am 31. Oktober 2001 noch nicht verstrichen gewesen. Die Rücknahme der Beanstandung des Bürgermeisters am 30. Januar 2002 entfalte keine Rückwirkung auf den Zeitpunkt des Erlasses der Beanstandungsverfügung. Erstens sei das Bürgerbegehren während des Suspensiveffekts der Beanstandung eingereicht worden, und eine spätere Rücknahme könne sich nicht nachteilig auf einen bereits abgeschlossenen Vorgang auswirken. Zweitens könnten auch keine Parallelen zur Klagerücknahme gezogen werden, denn die Regelung des fiktiven Nichteintritts der Rechtshängigkeit bei Klagerücknahme (§ 173 VwGO i. V. m. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO) sei eine prozessuale Sonderregelung, die sich nicht auf ein Widerspruchsverfahren übertragen lasse.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

unter Aufhebung des am 16. Juli 2003 beratenen Urteils des Verwaltungsgerichts Darmstadt - 3 E 1935/02 (3) - festzustellen, dass das vom Kläger unterzeichnete und am 31. Oktober 2001 eingereichte Bürgerbegehren auf Durchführung eines Bürgerentscheides zu der Fragestellung "Sind Sie dagegen, dass die Stadt A-Stadt das Schloss kauft?", zulässig ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie bezieht sich zunächst auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichts und trägt ergänzend vor, die Auslegung einer Gesetzesvorschrift gegen ihren Wortlaut könne nur dann zugelassen werden, wenn eine Handhabung nach dem strikten Wortlaut dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung widerspräche. Der Kläger argumentiere lediglich damit, dass die verspätete Einreichung der Unterstützungsunterschriften nichts ausmache, weil der Beschluss der Stadtverordnetenversammlung sowieso nicht umsetzbar sei. Die Rechtsauffassung des Klägers führe im Übrigen zu einer nicht mehr tolerierbaren Rechtsunklarheit. Die Rücknahme der Beanstandung durch den Bürgermeister sei kein öffentlich zu verkündender Rechtsakt gewesen. Wenn man den Beginn der 6-Wochen-Frist auf den Zeitpunkt der Erledigung einer Beanstandung festsetzen wollte, bliebe der Beginn dieser Frist "völlig im Dunkeln". Unklar sei, ob die Frist mit dem Zugang des Schreibens des Bürgermeisters in der Geschäftsstelle der Stadtverordnetenversammlung oder mit der Bekanntgabe an die Stadtverordneten oder aber im Zeitpunkt einer zufälligen Veröffentlichung der Rücknahmeerklärung beginne.

Die Verwaltungsvorgänge der Beklagten (ein Ordner) liegen vor und sind Gegenstand der Entscheidung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die vorgenannten Unterlagen sowie auf die gewechselten Schriftsätze und den darüber hinausgehenden Inhalt der Gerichtsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Unterzeichner kann als Einzelrichter und im schriftlichen Verfahren entscheiden, da die Beteiligten sich mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt haben.

Die Berufung ist zulässig, insbesondere rechtzeitig eingelegt und begründet worden.

Sie hat jedoch keinen Erfolg, denn das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Insoweit wird auf die Entscheidungsgründe des verwaltungsgerichtlichen Urteils vom 16. Juli 2003 Bezug genommen, denen der Unterzeichner sich anschließt.

Dies gilt zunächst, soweit das Verwaltungsgericht feststellt und im Einzelnen begründet, dass und warum das Bürgerbegehren sich gegen den Beschluss der Stadtverordnetenversammlung der Beklagten vom 30. August 2001 richtet. Dies gilt auch, soweit das Verwaltungsgericht ausführt, die Begründung des Bürgerbegehrens sei nicht zu beanstanden, es betreffe auch keinen im Negativkatalog des § 8b Abs. 2 HGO aufgezählten Tatbestand.

Schließlich hat das Verwaltungsgericht das Bürgerbegehren zu Recht als unzulässig angesehen, weil die Ausschlussfrist des § 8b Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 HGO nicht eingehalten worden ist. Dies ergibt sich aus dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift. Auch dann, wenn man auf ihren Sinn und Zweck abstellen wollte, folgte daraus nicht das vom Kläger vertretene Ergebnis, die Frist des § 8b Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 HGO sei eingehalten.

Richtet sich das Bürgerbegehren gegen einen Beschluss der Gemeindevertretung bzw. Stadtverordnetenversammlung, so muss es nach dem Wortlaut des § 8b Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 HGO innerhalb von sechs Wochen nach Bekanntgabe des Beschlusses eingereicht sein. Der Wortlaut ist eindeutig. Weder die zitierte Regelung noch die weiteren Regelungen in § 8b HGO enthalten eine Vorschrift, wonach die 6-Wochen-Frist erst bei Vorliegen eines vollziehbaren Beschlusses zu laufen beginnt. Schon der eindeutige Wortlaut der Regelung des § 8b Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 HGO - und der weiteren Regelungen in § 8b HGO - widerspricht mithin der Auffassung des Klägers, dass ein in seinem Vollzug gehemmter Beschluss der Vertretungskörperschaft den Lauf der 6-Wochen-Frist nicht in Gang zu setzen vermöge, weil die mittels dieser Frist beabsichtigte Beschleunigungsmaxime nicht greife, die Umsetzung des Beschlusses sei wegen seiner Beanstandung unmöglich, folglich bedürfe es bei Beschlüssen, die im Vollzug gehemmt seien, auch nicht einer Beschleunigung der Herbeiführung einer Klärung ihres Bestandes seitens der Bürgerschaft (vgl. insofern den 2. Absatz auf Seite 4 der Berufungsbegründung des Klägers vom 6. Oktober 2003).

Bei der Auslegung eines Gesetzes bildet der dem allgemeinen Sprachgebrauch zu entnehmende Wortsinn den Ausgangspunkt und bestimmt zugleich die Grenze der Auslegung, da das, was jenseits des möglichen Wortsinns liegt, mit ihm auch bei "weitester" Auslegung nicht mehr vereinbar ist, mithin nicht als Inhalt des Gesetzes gelten kann. Bei einem Unterschied zwischen allgemeinem Sprachgebrauch und besonderem Sprachgebrauch des Gesetzes geht der besondere Sprachgebrauch des Gesetzes vor, sofern sich nicht aus anderen Kriterien ergibt, dass das Gesetz hier von seinem eigenen Sprachgebrauch abgewichen ist. Aus dem besonderen Sprachgebrauch des Gesetzes kann sich die jeweils gemeinte Bedeutung mit hinreichender Gewissheit ergeben; in diesem Fall ist die Auslegung mit der Ermittlung des gesetzlichen Sprachgebrauchs und der Feststellung, dass das Gesetz hier nicht von ihm abgewichen sei, am Ende (vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl., 1991, S. 343).

Da hinsichtlich der Anforderung des § 8b Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 HGO, dass das Bürgerbegehren innerhalb von sechs Wochen nach Bekanntgabe des Beschlusses der Gemeindevertretung/Stadtverordnetenversammlung eingereicht sein muss, kein Unterschied zwischen allgemeinem Sprachgebrauch und besonderem Sprachgebrauch des Gesetzes feststellbar ist, ergibt sich aus dem Wortlaut der Regelung "die Grenze der Auslegung" und gleichzeitig die Feststellung, dass die Auslegung mit der Ermittlung des gesetzlichen Sprachgebrauchs "am Ende" ist. Eine Auslegung unter Zugrundelegung anderer Auslegungskriterien, etwa nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift, kommt daher grundsätzlich nicht (mehr) in Frage.

Wenn allerdings der Wortlaut der Vorschrift eindeutig gegen den vom Gesetzgeber mit ihr verfolgten Sinn und Zweck verstieße und der Rechtsanwender davon ausgehen müsste, dass der Wortlaut des Gesetzes "verunglückt" ist, dass also der Gesetzgeber in Wahrheit etwas anderes hat regeln wollen, könnte eine an Sinn und Zweck der Regelung orientierte Auslegung zu einem anderen Verständnis der Vorschrift als dem vom Wortlaut vorgegebenen führen. Dementsprechend kommt - worauf das Verwaltungsgericht auf Seite 12 Mitte seines Urteils sinngemäß zu Recht hingewiesen hat - eine an Sinn und Zweck orientierte einschränkende Auslegung nur in Betracht, wenn die gesetzliche Regel entgegen ihrem Wortsinn, aber gemäß der immanenten Teleologie des Gesetzes einer Einschränkung bedarf, die im Gesetzestext nicht enthalten ist (vgl. Larenz, a. a. O., S. 391).

Diese Voraussetzung liegt hier jedoch nicht vor. Sinn und Zweck der Regelung verlangen aus den vom Verwaltungsgericht genannten Gründen die vom Kläger favorisierte, gegen den eindeutigen Wortlaut der Vorschrift vorgenommene Auslegung nicht. Das Verwaltungsgericht weist zu Recht darauf hin, dass die wortgetreue Anwendung vorliegend völlig im Einklang mit Sinn und Zweck der Vorschrift steht.

Sinn und Zweck der Fristregelung des § 8 b Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 HGO ist es zu verhindern, dass die Ausführung von Beschlüssen der Gemeindevertretung/Stadtverordnetenversammlung auch nach längerer Zeit noch durch einen Bürgerentscheid in Frage gestellt werden kann und die Beschlüsse dann möglicherweise - eventuell mit hohem Kostenaufwand - rückabgewickelt werden müssen. Damit dient die Vorschrift der Beschleunigung, aber auch der Effektivität und Sparsamkeit des gemeindlichen Handelns. Sie ist darüber hinaus Ausdruck des grundsätzlichen Vorrangs der Entscheidungsbefugnis der Gemeindevertretung/Stadtverordnetenversammlung im System der repräsentativen Demokratie. Schließlich dient die Vorschrift auch der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit (vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 14. November 1983 - 1 S 1204/83 - NVwZ 1985, 288 f., Urteil vom 13. April 1993 - 1 S 1076/92 - NVwZ-RR 1994, 110 f.; OVG Greifswald, Beschluss vom 24. Juli 1996 - 1 M 43/46 - NVwZ 1997, 306 ff., 308; Spies, Bürgerversammlung, Bürgerbegehren, Bürgerentscheid, 1999, S. 179 f.).

Eine Aufhebung oder Aussetzung der Ausschlussfrist im Falle eines Widerspruchs oder einer Beanstandung würde sowohl der Beschleunigungsmaxime als auch dem Grundsatz der Effektivität und Sparsamkeit des gemeindlichen Handelns zuwiderlaufen. In der Tat spricht nichts dagegen, den Widerspruch bzw. die Beanstandung und das Bürgerbegehren parallel und unabhängig voneinander zu betreiben. Es dient in jedem Fall der Rechtsklarheit und der Rechtssicherheit, ohne weitere rechtliche Erwägungen anhand der gesetzlichen Fristenregelung zu klären, bis wann spätestens ein Bürgerbegehren gegen einen Beschluss der Vertretungskörperschaft möglich ist. Dies gilt auch dann, wenn der Beschluss der Gemeindevertretung/Stadtverordnetenversammlung, der Gegenstand des Bürgerbegehrens sein soll, vom Bürgermeister durch Widerspruch und/oder Beanstandung angegriffen worden ist. Auch in diesem Fall entspricht es Sinn und Zweck der Vorschrift, innerhalb von sechs Wochen nach Bekanntgabe des Beschlusses Klarheit darüber zu erlangen, ob der Beschluss mit der Gefahr eines gegenläufigen Bürgerentscheids belastet ist. Das Verwaltungsgericht weist zu Recht darauf hin, dass die Durchführung des Bürgerentscheids unter Umständen zur Erledigung des Beanstandungsverfahrens führe, je nachdem, ob die erforderliche Mehrheit erreicht worden sei und welches Verfahren sich als der zügigere Weg herausstelle, einen Beschluss der Gemeindevertretung/Stadtverordnetenversammlung zu Fall zu bringen. Es ist in der Tat kein Grund ersichtlich, warum mit dem Bürgerbegehren abgewartet werden soll, bis ggf. gerichtlich geklärt ist, ob der Beschluss zu Recht beanstandet worden ist. Vielmehr erübrigt sich die gerichtliche Überprüfung der Beanstandung, wenn der Beschluss der Gemeindevertretung von den Bürgern im Wege des Bürgerentscheids zu Fall gebracht wird. Stellt sich das Beanstandungsverfahren als der schnellere Weg zur Aufhebung des ungewollten Beschlusses der Gemeindevertretung/Stadtverordnetenversammlung heraus, wird die Durchführung des Bürgerentscheids entbehrlich. Es dient mithin der Beschleunigungsmaxime, wenn die Fristen für das Bürgerbegehren einerseits (§ 8b Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 HGO) und das Widerspruchs- bzw. Beanstandungsverfahren (§ 63 HGO) andererseits parallel laufen. Es würde gegen die Beschleunigungsmaxime und damit gegen Sinn und Zweck des § 8b Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 HGO verstoßen, wenn die sechswöchige Ausschlussfrist erst mit Beendigung des Widerspruchs- bzw. Beanstandungsverfahrens zu laufen begänne und weitere sechs Wochen unklar wäre, ob ein Bürgerentscheid durchgeführt wird, der zur Rückgängigmachung des Beschlusses der Gemeindevertretung/Stadtverordnetenversammlung führen könnte. Entsprechend würde es gegen die Beschleunigungsmaxime verstoßen, wenn durch das Widerspruchs- bzw. Beanstandungsverfahrens die 6-Wochen-Frist in ihrem Lauf nur gehemmt würde, das heißt, wenn für die Dauer der Vollzugshemmung des Beschlusses der zur Zeit des Eintritts der Vollzugshemmung noch nicht verstrichene Teil der 6-Wochen-Frist gehemmt wäre und dieser Teil der Frist erst ab dem Zeitpunkt des Wegfalls der Vollzugshemmung weiterliefe. Dass in beiden Fällen die Berechnung der 6-Wochen-Frist von weiteren als den im Gesetz geregelten Anknüpfungspunkten abhinge, würde die Fristberechnung über Gebühr komplizieren und damit den Prinzipien der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit zuwiderlaufen.

Nur ergänzend sei darauf hingewiesen, dass auch der Gesetzentwurf der Landesregierung zu dem später Gesetz gewordenen § 8b Abs. 3 Satz 1 HGO eher für als gegen die hier vertretene Rechtsauffassung spricht. Dort wird nämlich lapidar festgestellt, dass ein Bürgerbegehren sich auch gegen einen bereits gefassten Beschluss der Gemeindevertretung richten könne, wenn die Bekanntgabe des Beschlusses nicht länger als sechs Wochen (Ausschlussfrist) zurückliege (vgl. den Gesetzentwurf der Landesregierung für ein Gesetz zur Änderung kommunalrechtlicher Vorschriften, LT-Drucksache 13/1397, S. 26). Hätte der Gesetzgeber die vom Kläger favorisierte Einschränkung der Vorschrift beabsichtigt, hätte es nahe gelegen, dass dies in der Begründung des Gesetzentwurfs zum Ausdruck gebracht worden wäre.

Nach allem kommt es auf die vom Unterzeichner auf Seite 3 seiner Aufklärungsverfügung vom 26. Februar 2004 angesprochene Frage, ob die vom Bürgermeister mit Schreiben vom 30. Januar 2002 erklärte Rücknahme der Beanstandung auf den Zeitpunkt des Erlasses der Beanstandungsverfügung vom 3. September 2001 zurückwirkt, nicht an, worauf in der Aufklärungsverfügung bereits hingewiesen worden ist.

Mithin bleibt es bei der Entscheidung des Verwaltungsgerichts. Das heißt, das Bürgerbegehren ist unzulässig, weil die in § 8b Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 HGO geregelte 6-Wochen-Frist, die eine Ausschlussfrist ist, nicht eingehalten worden ist. Der Beschluss der Stadtverordnetenversammlung ist in öffentlicher Sitzung am Donnerstag, dem 30. August 2001, gefasst worden, so dass die Frist zur Einreichung der Unterschriftenliste am Donnerstag, dem 11. Oktober 2001, abgelaufen ist. Die Unterschriftenliste (vom 30. Oktober 2001) ist jedoch bei dem Magistrat der Beklagten erst am 31. Oktober 2001 eingereicht worden und damit später als sechs Wochen nach Bekanntgabe des Beschlusses der Stadtverordnetenversammlung vom 30. August 2001.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen, da sein Rechtsmittel keinen Erfolg hat (§ 154 Abs. 2 VwGO).

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 10 und § 711 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 VwGO).

Ende der Entscheidung

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