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Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 11.11.2004
Aktenzeichen: 8 UE 2759/01.A
Rechtsgebiete: AuslG


Vorschriften:

AuslG § 53 Abs. 6
1. Für die Verfolgungsgefährdung ehemaliger afghanischer DVPA-Mitglieder sind auch nach Entmachtung der Taliban im Prinzip noch die in der Rechtsprechung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs seit 1996 entwickelten Grundsätze heranzuziehen. Danach besteht eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit nicht schon wegen der bloßen, einfachen Mitgliedschaft in DVPA, Geheimdienst, Militär oder sonstigen Regierungsstellen; bedroht sind aber solche DVPA-Mitglieder oder Regierungsmitarbeiter, die unter dem früheren kommunistischen Regime eine ranghohe Stellung eingenommen hatten, in dieser Tätigkeit deutlich und für einen größeren Personenkreis erkennbar nach außen getreten sind und durch die Ausübung ihrer Funktion - insbesondere im Militär und Geheimdienst - für die Tötung oder Verfolgung von Mudschaheddin verantwortlich gemacht werden könnten. Unter den gegenwärtigen Verhältnissen sind aber für eine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer landesweiten Lebens - oder Leibesgefährdung ehemaliger DVPA-Mitglieder tendenziell eher höhere Anforderungen an deren herausragende Stellung , an ihren überregionalen Bekanntheitsgrad und an ihre Teilnahme an gegen Mudschaheddin gerichteten Aktivitäten zu stellen als unter der Herrschaft der Taliban.

2. Eine verfassungswidrige Schutzlücke, die eine verfassungskonforme Anwendung des § 53 Abs. 6 AuslG rechtfertigen könnte, besteht wegen des derzeitigen generellen Abschiebungsstopps für Afghanistan nach der zur Zeit gültigen Hessischen Erlasslage nicht.


Hessischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes Urteil

8 UE 2759/01.A

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Asylrechts/Afghanistan/Abschiebungsschutz

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 8. Senat - durch

Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Höllein, Richter am Hess. VGH Dr. Nassauer, Richter am Hess. VGH Jeuthe, ehrenamtliche Richterin Hensgen, ehrenamtliche Richterin Hölzel,

auf Grund der mündlichen Verhandlung am 11. November 2004

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Kassel vom 6. April 2000 - 3 E 536/00.A - abgeändert und die Klage in vollem Umfang abgewiesen.

Der Kläger hat die außergerichtlichen Kosten des gesamten Verfahrens zu tragen; Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Das Urteil ist wegen der Kosten des gesamten Verfahrens vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte oder der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der am ......... in ....... geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger paschtunischer Volkszugehörigkeit.

Nachdem seine am ........ in ......... geborene afghanische Ehefrau tadschikischer Volkszugehörigkeit mit ihren am .......... und am .......... in Kabul geborenen Töchtern im Juli 1999 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist war und einen - im September 1999 abgelehnten - Asylantrag gestellt hatte, reiste auch der Kläger am 2./3. November 1999 hier ein und beantragte ebenfalls seine Anerkennung als Asylberechtigter.

Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) machte er am 10. November 1999 nach dem Protokoll u. a. folgende Angaben:

Er habe 1968 in der ehemaligen Sowjetunion in Baku das Studium der Elektrotechnik erfolgreich abgeschlossen und danach zuerst in der Provinz und dann in Kabul bei verschiedenen Ministerien als Elektroingenieur gearbeitet, und zwar bis zum Sturz Nadschibullahs im Jahr 1992. Bis dahin sei er überzeugtes Mitglied der "Demokratischen Volkspartei Afghanistans" (DVPA), aber trotzdem nicht mit der russischen Invasion einverstanden gewesen. Danach sei ihm eine geregelte Erwerbstätigkeit nicht mehr möglich gewesen und er habe sich meistens in den Städten Kabul, ..... und ... aufgehalten, weil er diese für relativ sicher gehalten habe. Seine Familie sei wohlhabend gewesen und habe in Kabul zwei Geschäftsgebäude und ein an die irakische Botschaft vermietetes Haus sowie noch 25 ha Land besessen; zudem habe er von seinen Ersparnissen aus seiner Tätigkeit als Elektroingenieur gut leben können. Als die Taliban-Milizen an die Macht gekommen seien, habe er auf eine positive Veränderung gehofft, sei aber enttäuscht worden. Die Taliban habe mehr aus Pakistani als aus afghanischen Staatsangehörigen bestanden. Etwa vor einem Jahr hätten ehemalige Mitglieder der DVPA und einige intellektuelle Mudschaheddin bzw. Anhänger von Massud beschlossen, der Taliban-Herrschaft ein Ende zu setzen. Deshalb hätte sich dieser Personenkreis, zu dem auch er gehört habe, regelmäßig getroffen, manchmal auch bei ihm zu Hause. Es seien Pläne gegen die Taliban geschmiedet und Flugblätter verteilt worden. Am 8. Juli 1999 sei ein Mitglied seiner Gruppe von der Taliban verhaftet worden. Ihm sei daraufhin von der Gruppe geraten worden, sich in Sicherheit zu bringen, da er bei sich zu Hause eine Schreibmaschine und Kopiergeräte aufbewahrt habe. Er habe sich in einen anderen Stadtteil von Kabul begeben und sich dort im Haus eines Bruders versteckt. Am 13. Juli 1999 seien er und seine Familie mit einem von Bekannten und Freunden zur Verfügung gestellten Minibus auf Umwegen nach Jalalabad gefahren und hätten sich dort etwa zehn Tage bei einem Freund außerhalb der Stadt aufgehalten. Danach habe er von einem Bruder, der in Peshawar/Pakistan einen Fluchthelfer organisiert habe, erfahren, dass die Reiseunterlagen fertiggestellt seien; sie seien dann dorthin gefahren und er habe sich bis zur Ausreise seiner Ehefrau und der Kinder drei Tage lang in Peshawar aufgehalten. Er sei am 28. Juli 1999 in ein kleines Dorf außerhalb Jalalabads zurückgekehrt, wo er weitere zweieinhalb Monate geblieben sei. Am 27. oder 28. Oktober 1999 sei er dann mit einem Auto von ...... nach Peshawar/Pakistan gefahren, sei nach drei Tagen nach Karachi geflogen und von dort am 1. November 1999 mit dem Fluchthelfer Richtung Europa abgeflogen. Nach einem Transit in einem ihm unbekannten arabischen Land sei er in den frühen Morgenstunden des 2. November 1999 auf einem großen deutschen Flughafen gelandet.

Er habe noch zwei volljährige Söhne, die sich gegenwärtig in ...... aufhielten, eine weitere Tochter sei 1989 in die USA ausgewandert.

Bei einer eventuellen Rückkehr nach Afghanistan befürchte er, von den Taliban-Milizen getötet zu werden, mit den Mudschaheddin habe er nie Probleme gehabt. Er habe sich den im Norden Afghanistans gegen die Taliban kämpfenden Gruppen nicht angeschlossen, weil er nicht in dieses Kampfgebiet habe gehen wollen. Er habe eigentlich gewollt, dass sich die Bevölkerung unbewaffnet gegen die Taliban zur Wehr setze.

Nachdem die Asylklage seiner Ehefrau und der beiden Töchter mit Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen vom 21. Dezember 1999 - 2 E 3626/99.A - abgewiesen und die Beklagte lediglich verpflichtet worden war, die Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG hinsichtlich Afghanistans wegen einer extremen allgemeinen Gefahrenlage und insbesondere wegen ihrer tadschikischen Volkszugehörigkeit festzustellen, weil Personen anderer Ethnien im Taliban-Gebiet Gefahren für Leib oder Leben ausgesetzt seien, sofern sie nicht in ein Stammes- oder Familiengefüge zurückkehren könnten, lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers und das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 und des § 53 AuslG mit Bescheid vom 14. Februar 2000 ab.

Er habe weder einen Asylanspruch noch einen Anspruch auf Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG. Afghanistan befinde sich immer noch im Bürgerkrieg und es existiere weder ein Staat noch eine staatsähnliche Macht, so dass ihm nicht die Gefahr politischer Verfolgung drohe; außerdem müsse davon ausgegangen werden, dass er über einen sicheren Drittstaat auf dem Landweg eingereist sei.

Ihm sei auch nicht Abschiebeschutz gemäß § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG zu gewähren. Sein Verfolgungsschicksal sei "spektakulär in Szene" gesetzt, wenig nachvollziehbar und wirke völlig konstruiert. Es sei realitätsfremd und wirke frei erfunden. Auch die Kriegsgefahren und die allgemein schlechte Wirtschafts- und Versorgungslage in Afghanistan rechtfertigten nicht die Feststellung eines Abschiebungshindernisses. Nach der Rechtsprechung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs könne angesichts dieser Situation die Unzumutbarkeit einer mit extremen Gefahren verbundenen Rückkehr nur dann festgestellt werden, wenn es sich um eine Person handele, die bei einer Rückkehr mittellos und ohne jeden Beistand durch Familie oder Stammesverband sei. Das sei hier jedoch nicht der Fall. Für den Kläger ergäben sich schließlich auch keine außergewöhnlich hohen Gefahren aus einer exilpolitischen Tätigkeit.

Auf seine am 28. Februar 2000 durch seine Bevollmächtigte erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht Kassel mit Urteil vom 6. April 2000 - 3 E 536/00.A - die Beklagte unter entsprechender Aufhebung von Nr. 3 des Ablehnungsbescheides zu der Feststellung eines Abschiebungshindernisses gemäß § 53 Abs. 6 AuslG hinsichtlich Afghanistan verpflichtet und die Klage im Übrigen abgewiesen.

Ein Asylanspruch oder ein Anspruch auf Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG scheitere daran, dass derzeit in Afghanistan kein Staat existiere. Dasselbe gelte für ein Abschiebungshindernis gemäß § 53 Abs. 4 AuslG.

Dem Kläger stehe aber ein Anspruch auf die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG in seiner Person hinsichtlich Afghanistans bei verfassungskonformer Auslegung des Satzes 2 dieser Vorschrift zu. Nach Auskunft des Hessischen Innenministeriums werde ein allgemeiner Abschiebungsstopp nach Afghanistan von den Bundesländern auf absehbare Zeit nicht getroffen werden. Den Berichten über die Lebenssituation der Bevölkerung in Afghanistan sei zu entnehmen, dass dem Kläger bei Rückkehr dorthin mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der Tod oder zumindest schwerste Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit drohen würden. Ohne Anbindung an eine Familie, einen Stamm, eine insoweit leistungsfähige Person oder an Grund und Boden habe schon bisher weder im Norden noch im Taliban-Gebiet eine Überlebensmöglichkeit bestanden und diese Situation habe sich durch die Umwälzungen des Jahres 1997 noch weiter verschlechtert. Das Gericht gehe davon aus, dass nunmehr auch die Anbindung an Familie und/oder Grund und Boden für Rückkehrer nach Afghanistan für ein Überleben nicht mehr ausreiche. Das erkennende Gericht sei der Überzeugung, dass aufgrund der neuesten Erkenntnisse die Einschätzung der Situation durch den Hessischen Verwaltungsgerichtshof im Urteil vom 26. Januar 1998 nicht mehr zutreffe. Es sei nunmehr davon auszugehen, dass derzeit die Maßnahmen der Hilfsorganisationen nicht ausreichten, Rückkehrer nach Afghanistan vor den Gefahren im Sinne von § 53 Abs. 6 AuslG zu bewahren.

Auf den Antrag der Beklagten, der u.a. damit begründet wurde, dass das verwaltungsgerichtliche Urteil von der Rechtsprechung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes abweiche, wonach die Annahme einer akuten und hochgradigen Gefahr für Leib und Leben eines afghanischen Rückkehrers vom Fehlen familiären Beistands abhänge, hat der Senat mit Beschluss vom 15. Oktober 2001 - 8 UZ 1701/00.A - die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Kassel vom 6. April 2000 zugelassen.

Der am 23. Oktober 2001 abgesandte Zulassungsbeschluss ist ausweislich der zurückgesandten Empfangsbekenntnisse der Verfahrensbevollmächtigten des Klägers am 24. und dem Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten am 25. Oktober 2001 zugestellt worden; die Beklagte hat zunächst ein Empfangsbekenntnis nicht zurückgesandt.

Mit am 26. November 2001 per Telefax eingegangenem Schriftsatz gleichen Datums hat sie die zugelassene Berufung unter Bezugnahme auf ihren Schriftsatz vom 4. Mai 2000 begründet und ein Empfangsbekenntnis über den Beschluss vom 15. Oktober 2001 ohne Eingangsstempel, aber mit den Bemerken eingereicht, das genaue Eingangsdatum sei nicht feststellbar.

Im Verlauf des Verfahrens hat der Kläger zunächst im August 2002 eine eigene Stellungnahme zur politischen Situation in Afghanistan, insbesondere hinsichtlich der Mitglieder der DVPA, und eine Bescheinigung eines in Deutschland lebenden Funktionärs dieser Partei eingereicht, für deren Inhalte auf die beglaubigten Übersetzungen verwiesen wird.

Im April 2004 hat er nochmals eine ähnliche Übersetzung seiner persönlichen Stellungnahme, der Bescheinigung des Funktionärs der DVPA und eine Bestätigung des Rates der Afghanischen Flüchtlinge e. V. vom 22. März 2004 eingereicht; auch insoweit wird auf die in der Streitakte befindlichen Unterlagen Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf den Inhalt der vorliegenden und der Streitakte des Verwaltungsgerichts Gießen - 2 E 3626/99.A - und auf die jeweils beigezogenen Verwaltungsvorgänge einschließlich der den Kläger betreffenden Ausländerakte des Landkreises B-Stadt verwiesen.

Wegen der in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen wird auf das Schreiben des Berichterstatters an die Beteiligten vom 25. Oktober 2004 Bezug genommen, wegen des Ergebnisses der informatorischen Befragung des Klägers durch den Senat auf die Verhandlungsniederschrift vom 11. November 2004.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet.

Die Beklagte hat mit ihrem am 26. November 2001 beim Hessischen Verwaltungsgerichthofs eingegangenen Telefax die auch in Rechtsstreitigkeiten nach dem Asylverfahrensgesetz geltende Berufungsbegründungspflicht des § 124 a Abs. 3 VwGO a. F. (vgl. Hess. VGH, Urteil vom 15. Januar 1998 - 6 UE 2729/97. A - AuAS 1998 S. 93 f. = juris; BVerwG, Urteil vom 30. Juni 1998 - 9 C 6/98 - NVwZ 1998 S. 1311 ff. = juris) rechtzeitig und hinreichend erfüllt.

Nach dem damals anzuwendenden Verfahrensrecht ist der Zulassungsbeschluss des Senats vom 15. Oktober 2001 der Beklagten nicht wirksam zugestellt worden, weil das von ihr erst mit dem Telefax vom 26. November 2001 zurückgesandte Empfangsbekenntnis keinen Eingangsstempel enthielt und das genaue Eingangsdatum deshalb nicht feststellbar, die Zustellung also nicht ordnungsgemäß erfolgt (vgl. Bay. ObLG, Beschluss vom 30. September 1997 - 2 ZBR 24/97 - juris) und gemäß § 9 Abs. 2 VwZG a. F. i.V.m. § 56 Abs. 2 VwGO a. F. auch nicht geheilt worden ist. Nach letzterer Vorschrift war eine Heilung von Zustellungsmängeln ausgeschlossen, wenn mit der Zustellung einer Frist für die Erhebung der Klage, eine Berufungs- ,Revisions- oder Rechtsmittelbegründungsfrist beginnt, was hier der Fall gewesen wäre. Mangels wirksamer Zustellung ist deshalb eine Berufungsbegründungsfrist nicht in Lauf gesetzt worden.

Die in dem Telefax vom 26. November 2001 enthaltene bloße Bezugnahme auf den Zulassungsantragsschriftsatz der Beklagten vom 4. Mai 2000 genügte auch inhaltlich dem Begründungserfordernis des § 124 a Abs. 3 VwGO a. F.. Das ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts der Fall, wenn die Bezugnahme - wie hier - in einem gesonderten Schriftsatz nach Zulassung der Berufung erfolgt, dadurch eindeutig zu erkennen ist, dass der Berufungsführer nach wie vor die Durchführung eines Berufungsverfahrens erstrebt und durch den Verweis auf die erfolgreiche Begründung des Zulassungsantrags hinreichend zum Ausdruck gebracht wird, dass und weshalb das erstinstanzliche Urteil weiterhin angefochten wird, weil dadurch zu einer entscheidungserheblichen Frage die von der Vorinstanz abweichende Beurteilung der Berufungsbegründung deutlich wird und damit letztlich das Vorbringen im Zulassungsverfahren den Anforderungen an eine Berufungsbegründung genügt (vgl. u.a. BVerwG, Urteil vom 30. Juni 1998 a.a.O. und Beschluss vom 2. Oktober 2003 - 1 B 33.03 - DVBl. 2004 S. 125 f.). Diesen Anforderungen wird das Zulassungsantragsschreiben des Bundesamtes vom 4. Mai 2000, das auch schon einen Berufungsantrag enthielt, auf Grund seiner ausführlichen Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Urteil gerecht.

Die Berufung der Beklagten ist auch begründet, denn die Klage ist unter Abänderung des teilstattgebenden Urteils des Verwaltungsgerichts Kassel vom 6. April 2000 auch insoweit abzuweisen, als der Kläger die Verpflichtung der Beklagten begehrt, für ihn die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen eines Abschiebungshindernisses gemäß § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG hinsichtlich Afghanistans festzustellen.

Da das Hauptbegehren auf Asylgewährung gemäß Art. 16 a GG und/oder auf Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG, das Hilfsbegehren auf Aufhebung der negativen Feststellung zu § 53 AuslG und zugleich teilweise Aufhebung der Abschiebungsandrohung wegen des Bestehens von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 1 bis 4 AuslG in Bezug auf das Abschiebezielland und das weitere Hilfsbegehren jedenfalls auf die Verpflichtung des Bundesamtes, die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG festzustellen, entweder eigenständige Streitgegenstände oder jedenfalls rechtlich abtrennbare Streitgegenstandsteile in einem bestimmten Rangverhältnis darstellen (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. April 1997 - 9 C 19.96 - InfAuslR 1997 S. 420 ff. = juris) und das Verwaltungsgericht mit dem angefochtenen Urteil das Haupt- und erste Hilfsbegehren des Klägers rechtskräftig abgewiesen hat, ist Streitgegenstand des vorliegenden Berufungsverfahrens nur noch der vom Verwaltungsgericht zugesprochene Anspruch auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG in Bezug auf den Kläger und Afghanistan.

Da gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG für diese Verpflichtungsklage (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. März 1996 - 9 C 116/95 - DVBl. 1996 S. 1257 = juris) auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen ist, ist § 53 Abs. 6 AuslG in der derzeit noch gültigen Fassung anzuwenden, denn § 60 Abs. 7 des Aufenthaltgesetzes i.d.F. des Zuwanderungsgesetzes vom 30. Juli 2004 (BGBl. S. 1950 <1972>) tritt nach dessen Art. 15 Abs. 3 erst am 1. Januar 2005 in Kraft.

Eine Verpflichtung des Bundesamtes zur Feststellung der tatbestandlichen Voraussetzungen eines Abschiebungshindernisses ergibt sich zunächst nicht in unmittelbarer Anwendung des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG. Dem Kläger droht nach der gegenwärtigen Sachlage im Falle der Rückkehr nach Afghanistan nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit und landesweit eine konkrete, d.h. einzelfallbezogen und individuell auf seine Person zielende erhebliche Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit.

Dabei sind auch Gefahren zu berücksichtigen, die der Schutzsuchende bereits ohne Erfolg in einem Asylverfahren vorgebracht hat, die Gefahr muss auch nicht vom Staat oder von einer staatsähnlichen Macht ausgehen oder diesem(r) zurechenbar sein. Da der Gefahrbegriff des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG nicht das sich aus dem besonderen humanitären Charakter des Asylrechts ergebende Element der Zumutbarkeit der Rückkehr enthält, hat eine eventuelle Vorverfolgung für den anzulegenden Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit des Eintritts einer individuell erheblichen Gefährdungssituation aber auch keine herabstufende Wirkung (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 1995 - 9 C 9/95 - NVwZ 1996 S. 199 ff. = juris).

Die vom Kläger dargelegte Mitgliedschaft in der kommunistischen DVPA, sein Studium in der ehemaligen Sowjetunion, seine beruflichen und ehrenamtlichen Tätigkeiten unter der kommunistischen Regierung Afghanistans, seine paschtunische Volkszugehörigkeit und/oder sonstige besondere persönliche Umstände, wie etwa auch seine Betätigung in exilpolitischen Gruppierungen, begründen für ihn keine über die allgemeine Gefahrenlage in Afghanistan hinausgehende und davon unabhängige individuelle Gefahr im Sinne dieser Vorschrift.

Die von ihm als Ausreisegrund geschilderten und vom Bundesamt im Ablehnungsbescheid vom 14. Februar 2000 als "völlig konstruiert" bezeichneten konkreten Geschehnisse um die Flugblattverteilung im Jahre 1999 können unberücksichtigt bleiben, weil eine Vorverfolgung den Maßstab nicht herabstufen würde und sich die politisch-gesellschaftlichen Verhältnisse in Afghanistan zumindest insoweit verändert haben, dass eine landesweite Verfolgung durch die Taliban nicht mehr beachtlich wahrscheinlich ist.

Für die Verfolgungsgefährdung ehemaliger DVPA-Mitglieder sind nach Einschätzung des Senats auch für die Zeit nach der Entmachtung der Taliban bis heute im Prinzip noch die in der Rechtsprechung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs seit 1996 entwickelten Grundsätze heranzuziehen.

Danach besteht in den einzelnen regionalen Herrschaftsbereichen, die sich in Afghanistan nach dem Sturz der kommunistischen Regierung herausgebildet hatten und nach dem Sturz der Taliban-Herrschaft wieder herausgebildet haben, eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit nicht schon wegen der bloßen, einfachen Mitgliedschaft in der DVPA oder wegen einer untergeordneten Stellung in Geheimdienst, Militär oder sonstigen Regierungsstellen. Da die regionalen Machtzentren aber weiterhin in erheblichem Umfang auch mit ehemaligen Mudschaheddin-Kommandanten und -Kämpfern bzw. mit Personen besetzt sind, die auf Grund ihrer streng islamischen Ausrichtung jedes ehemalige Mitglied der DVPA als potentiellen Feind betrachten und nicht davor zurückscheuen, gegen solche Personen Verfolgungsmaßnahmen zu ergreifen, wenn gegen sie - aus Sicht der potentiellen Verfolger - über die bloße Parteimitgliedschaft hinaus schwerwiegende Beschuldigungen zu erheben sind, sind seit dem Sturz des kommunistischen Regimes auch unter den Bedingungen seit 1996 solche früheren Angehörigen der DVPA und sonstige Mitarbeiter der früheren kommunistischen Regierung in erheblichem Maße von Verfolgungsmaßnahmen bedroht, die unter dem früheren Regime eine ranghohe Stellung eingenommen hatten, in dieser Tätigkeit deutlich und für einen größeren Personenkreis erkennbar nach außen getreten sind und durch die Ausübung ihrer Funktion - insbesondere im Militär und im früheren Geheimdienst Khad - für die Tötung oder Verfolgung von Mudschaheddin verantwortlich gemacht werden könnten (vgl. Hess. VGH, Urteile vom 8. Juli 1996 - 13 UE 962/96.A -, vom 26. Januar 1998 - 13 UE 2978/96.A - und vom 16. November 1998 - 9 UE 3908/96.A - jeweils juris). Angesichts des inzwischen weiteren zeitlichen Abstands zum Ende der kommunistischen Herrschaft im April 1992, der Entmachtung der übersteigert extrem-fundamentalistischen Taliban Ende 2001, der Einmischung des Auslands mit der Präsenz der ISAF-Truppen und der amerikanischen Streitkräfte mit ihren Verbündeten in Kabul und vornehmlich in den süd/süd-östlichen Gebieten Afghanistans sowie der internationalen Hilfeleistung und Beobachtung sind aber für eine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer landesweiten Lebens- oder Leibesgefährdung ehemaliger DVPA-Mitglieder tendenziell eher höhere Anforderungen an deren herausragende Stellung, an ihren überregionalen Bekanntheitsgrad und an ihre Teilnahme an gegen Mudschaheddin gerichteten Aktivitäten, die ihnen zum Vorwurf gemacht werden könnten, zu stellen als unter der Herrschaft der Taliban.

Diese Einschätzung beruht auf der Bewertung der gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse und Entwicklungen Afghanistans, wie sie der Senat aus den in den zitierten Urteilen des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs herangezogenen und aus den Erkenntnismitteln herleitet, die den Beteiligten des vorliegenden Verfahrens mit gerichtlicher Verfügung vom 25. Oktober 2004 ergänzend benannt worden sind; daraus ergibt sich im Wesentlichen folgendes Bild:

Das zentralasiatische Hochgebirgsland Afghanistan mit einer etwa doppelt so großen Fläche wie die BRD und mit mehr als 20 Mio. Einwohnern ist ein Vielvölkerstaat. Die Bevölkerungsmehrheit stellen die Paschtunen (ca. 45 - 50 %), die in zahlreiche Stämme zerfallen, dann folgen die Tadschiken (ca. 25 - 30 %), die Hazaras (ca. 20 %), die im Gegensatz zur sunnitischen Mehrheit Schiiten wie die Perser sind, die Usbeken (ca. 6 %) und u.a. noch die Nuristani und Belutschen. Die angestammten Siedlungsgebiete der Paschtunen liegen schwerpunktmäßig im Süden und Südosten Afghanistans mit den großen Städten Kandahar, Ghazni und Jalalabad und überschreiten die Grenze zu Pakistan, wo die Paschtunen die Nord-West-Grenzprovinz bewohnen. Die Tadschiken leben hauptsächlich in den städtischen Zentren, im Umland von Herat und Kabul sowie im Nordosten, während die Usbeken in den Ebenen Nordafghanistans mit den großen Städten Mazar-e-Sharif und Kundus und die Hazaras im zentralen Bergland siedeln (G/Geschichte 5/89 "Afghanistan" S. 19).

Der Charakter dieser Volksstämme, insbesondere aber der mehrheitlich-dominierenden Paschtunen, wird dahin beschrieben, dass sie ein unter asiatischen Völkern einzigartiger, ausgeprägter Drang nach individueller Freiheit gegenüber fremder und eigener obrigkeitlicher Herrschaft bei gleichzeitiger absoluter Loyalität zu ihren Stammesführern auszeichnet, so dass sich ein afghanisches Nationalgefühl nie entwickelt habe und eine Zentralgewalt immer schon von wackeliger Natur gewesen sei; zur Stammesstruktur gehörten auch stets Blutrache und Sippenhaft (vgl. u.a. Gutachten Dr. Mostafa Danesch, ein aus dem Iran stammender Autor und Journalist, an Sächs. OVG vom 24. Juli 2004; Deutsches Orient-Institut an Sächs. OVG vom 23. September 2004 und G/Geschichte 5/89 S. 48). Die afghanischen Stämme wurden schon in "Meyers Konservationslexikon" von 1895 kollektiv als "geborene Krieger, unerschrocken und mutig im Angriff, verräterisch, treulos und unersättlich in ihrer Rache" beschrieben (vgl. Berg, das Erbe der Großmoguln, 1988, S. 86).

Nachdem das afghanische "Durchzugsgebiet" zwischen Persien, Indien und China jahrhundertelang Schauplatz von Eroberungszügen gewesen war (u.a. 330 v. Chr. Alexander der Große, ab 652 n. Chr. Abasiden/Islamisierung, 1220 Dschingis Khan, 1370 Timur Lenk und ab 1526 die Großmoguln), gründete der paschtunische Stammesführer Ahmed Schah Durrani 1747 ein Königreich, das die Dynastie der Durrani zwischen Russland im Norden und den Briten als Kolonialmacht Indiens im Süden nach britischer Besetzung 1919 in die Unabhängigkeit führte. Der damalige, westlich orientierte König Amanullah brachte mit seiner Reformpolitik (u.a. allgemeine Schulpflicht, Frauenemanzipation, Trennung von Staat und Kirche) Stammesführer und islamische Geistlichkeit gegen sich auf und wurde 1929 gestürzt. Ab 1933 übernahm der stärker nach Russland orientierte König Zahir Schah die Regierung, die er 1953 an seinen Vetter, Prinz Mohamed Daud, übergab. Dieser stärkte die Zentralgewalt, leitete die Modernisierung des Landes und soziale Reformen ein, unterdrückte Demokratiebestrebungen und betrieb eine Neutralitätspolitik zwischen den Supermächten USA und UdSSR. Nachdem er wegen des Dauerkonflikts mit Pakistan um ein unabhängiges "Paschtunistan" im Gebiet der teilautonomen pakistanischen Nord-West-Grenzprovinz westlichen Militärpakten nicht beigetreten war, näherte er sich weiter der UdSSR an, die dann u.a. die afghanische Armee ausbildete und ausrüsteten sowie in Afghanistan Verbindungsstraßen baute. Auf den Widerstand der unterdrückten Opposition und konservativer Kreise hin berief ihn der König 1963 ab und ernannte in der Folge sechs bürgerliche Ministerpräsidenten. Nach den ersten Parlamentswahlen 1965 kam es immer wieder zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen traditionell-islamischen Kräften und progressiv-kommunistischen Gruppierungen. Im Juli 1973 übernahm Mohamed Daud in einem unblutigen Staatsstreich mit Unterstützung pro-sowjetischer Armeeangehöriger und kommunistischer Gruppierungen wieder die Macht (der abwesende König verblieb bis April 2002 im italienischen Exil), verkündete die Republik und führte zunächst seine frühere Politik der Blockfreiheit und inneren Reformen fort, löste sich dann aber auf den Druck konservativ-islamischer Kreise von den kommunistischen Gruppen und versuchte, den sowjetischen Einfluss zurückzudrängen.

Am 27. April 1978 kam es in einem blutigen Staatsstreich zur kommunistischen Machtübernahme durch die bis dahin oppositionelle, pro-sowjetische DVPA, die in einen paschtunisch dominierten Khalq-Flügel und einen tadschikisch dominierten Parcham-Flügel gespalten war. Ministerpräsident wurde Nur Mohamed Taraki, der Gründer der Khalq-Partei, mit den Stellvertretern Babrak Karmal, dem Führer des Parcham-Flügels, und Hafizullah Amin. Afghanistan wurde "Volksrepublik" mit Einheitspartei, Revolutionsrat und Zentralkomitee. Der auch gegen die Reformvorhaben (u.a. Bodenreform, Frauenemanzipation, Modernisierung des Erziehungswesens) sehr schnell - insbesondere von Stammesführern und Mullahs - entfachte bewaffnete Widerstand durch Mudschaheddin-Gruppen wurde gewaltsam bekämpft. Auf Grund eines Machtkampfes innerhalb der DVPA übernahm Hafizullah Amin im September 1979 das Amt des Ministerpräsidenten, wobei Nur Mohamed Taraki umgebracht wurde.

Am 27. Dezember 1979 erfolgte die Invasion sowjetischer Truppen, Amin wurde hingerichtet und der 1978 entmachtete Babrak Karmal als neuer Regierungschef eingesetzt. Der bewaffnete Widerstand wurde nun zu einem mit pakistanischer und amerikanischer Hilfe geführten Freiheitskampf der Mudschaheddin, die sich in unterschiedlichste Kampfgruppen aufteilten. Zu ihnen gehörten insbesondere radikal-fundamentalistisch bzw. traditionalistisch orientierte Islamisten, wie etwa die radikale Hezb-e-Islami unter dem paschtunischen Kommandanten Hekmatyar und die Islamische Partei unter Yunos Khalis, die pro-westliche Nationale Islamische Front unter Sayred Ahmed Geilani aus Jalalabad, die islamische Befreiungsallianz unter Abdulrab Sayyaf und die Jamiat-e-Islami unter den tadschikischen Führern Rabbani und Ahmed Schah Massud. Im Verlauf der nachfolgenden Auseinandersetzungen flohen etwa 3,1 Mio. Afghanen nach Pakistan und 2,35 Mio. in den Iran.

Im Zuge der politischen Veränderungen in der UdSSR nach Amtsantritt von Gorbatschow als Generalsekretär der KPdSU wurde Babrak Karmal 1986/87 zum Rücktritt gezwungen und durch den früheren Leiter des Geheimdienstes Khad und trotz seiner paschtunischen Volkszugehörigkeit dem Parcham-Flügel der DVPA angehörenden Mohammed Nadschibullah ersetzt. Nachdem sein Versuch einer "Nationalen Versöhnung" am Boykott der Widerstandsgruppen gescheitert war, wurden die sowjetischen Truppen auf Grund einer im April 1988 in Genf unter Beteiligung der USA geschlossenen Friedensvereinbarung bis zum 15. Februar 1989 endgültig abgezogen.

Die verbliebene pro-sowjetische Kabuler Regierung Nadschibullahs verfügte durch kommunistisch erzogene Kader in der Armee, der Polizei, dem Geheimdienst Khad und der Beamtenschaft über ein zentralgesteuertes Machtpotential und konnte sich zunächst gegen die uneinigen Mudschaheddin behaupten, die einen Rachefeldzug, eine gewaltsame Eroberung Kabuls und eine blutige Abrechnung mit den kommunistischen Machthabern angedroht hatten (vgl. Berg a.a.O. S. 302). Erst nachdem der Usbeken-General Rashid Dostum der kommunistischen Regierung seine Unterstützung entzogen, die Nordprovinzen unter seine Kontrolle gebracht und sich mit der Jamiat-e-Islami von Rabbani und Massud verbündet hatte, rückten die Verbände aller Mudschaheddin-Gruppen im April 1992 in Kabul ein, setzten Nadschibullah ab und ersetzten ihn durch einen Rat der - inzwischen in "Watan" (Vaterland) umbenannten - DVPA, der mit ihnen über eine friedliche Machtübergabe verhandelte; es wurde eine Übergangsregierung unter Mudschadidi, dem Führer der "Nationalen Befreiungsfront", gebildet.

Unmittelbar nach dem Einmarsch begannen heftige Kämpfe zwischen den Mudschaheddin-Gruppen von Rabbani/Massud und Hekmatyar, der in die Außenbezirke Kabuls zurückgedrängt wurde. Vereinbarungsgemäß übernahm Rabbani im Juni 1992 das Amt des Übergangspräsidenten; im Dezember 1992 wurde er zum Staatspräsidenten gewählt. In der Folge kam es mehrfach zu Einigungsversuchen und erneuten Feindseligkeiten und es bildeten sich Einfluss- und Machtbereiche verschiedener Mudschaheddin-Gruppen heraus.

1994 traten die Taliban, aus ehemaligen Koranschülern in pakistanischen Flüchtlingslagern rekrutierte, von Pakistan/Saudi-Arabien und den USA sowie pakistanischen und arabischen Kämpfern unterstützte sunnitisch-fundamentalistische Mudschaheddin-Gruppierungen paschtunischer Herkunft, in den Bürgerkrieg ein und eroberten im Oktober 1994 den Süden und Kandahar und - nachdem sie sich vor Kabul festgesetzt hatten - im September 1995 Herat im Westen Afghanistans, so dass etwa die Hälfte des afghanischen Territoriums ihrer rigoros-fundamentalistischen Herrschaft unterlag. Die bis dahin entstandenen Macht- und Einflusszonen der einzelnen Gruppierungen gerieten mit einer neuen Offensive der Taliban ins Wanken, die im September 1996 erst die östlichen Provinzen mit Jalalabad und dann die Hauptstadt Kabul einnahmen, dort Nadschibullah und seinen Bruder hinrichteten und nach Norden vordrangen. In den beiden nachfolgenden Jahren kam es zu Offensiven der Taliban Richtung Norden und zu Gegenoffensiven der nach Nordosten, insbesondere ins Pandschir-Tal zurückgewichenen Streitkräfte Massuds; nachdem Mazar-e-Sharif von den Taliban im Mai 1997 kurzfristig und im August 1998 endgültig erobert worden und General Dostum in die Türkei geflüchtet war, beherrschten die Taliban Ende 1998 ca. 80 % Afghanistans und war allein Massud als Führer der gegen die Taliban kämpfenden Nordallianz verblieben.

Nachdem die Taliban Osama bin Laden und sein Terrornetzwerk Al-Qaida unterstützten und die USA, Pakistan und Saudi Arabien ihnen gegenüber schon ab 1998 eine eher zurückhaltende Position eingenommen hatten, fiel am 9. September 2001 Ahmed Schah Massud einem - den Taliban zugeschriebenen - Bombenattentat zum Opfer und fanden am 11. September 2001 die der Al-Qaida zugeschriebenen Terroranschläge auf das World Trade Center in New York und das Pentagon in Washington statt. Dies veranlasste die USA zum Eingreifen. Im Flankenschutz der im Oktober 2001 begonnenen amerikanisch/britischen Luftangriffe machte die Nordallianz rasche Geländegewinne und eroberte im November 2001 Mazar-e-Sharif, Herat, Kabul und Anfang Dezember 2001 Kandahar als die letzte Hochburg der Taliban; diese zogen sich zum Teil in die gebirgige süd-östliche Grenzregion zu Pakistan zurück, wo sie bis heute amerikanischen und anderen westlichen Sondereinheiten Widerstand leisten, Anschläge verüben und in jüngster Zeit wieder Geländegewinne verzeichnen.

In der Afghanistan-Konferenz der UN auf dem Petersberg bei Bonn wurde im Dezember 2001 eine 29-köpfige Interimsregierung für sechs Monate unter dem Vorsitz des Paschtunen Hamid Karsai gebildet, in der alle großen ethnischen Gruppen vertreten sind und der u.a. folgende Minister angehör(t)en: Dr. Abdullah Abdullah/Außen, Yunus Kanuni/Inneres und Mohamed Fahim /Verteidigung, drei Tadschiken aus dem Pandschir-Tal und ehemalige Kommandanten unter Massud, und Usbeken-General Dostum als stellvertretender Verteidigungsminister. Die schlechte Sicherheitslage in Kabul und Umgebung sollte durch Entsendung einer UN-Friedenstruppe (ISAF) verbessert werden, in den Provinzen hängt die Sicherheit von den jeweiligen lokalen "warlords" ab. Zwischen diesen kam und kommt es immer wieder zu bewaffneten Auseinandersetzungen und es fanden inzwischen auch mehrere Mordattentate statt; so wurde u.a. im Juli 2002 der von Karsai als Vizepräsident in die Regierung geholte paschtunische Gouverneur der Provinz Nangarhar aus Jalalabad, Abdul Kadir, ermordet. Im Juni 2002 fand nach vorherigen präventiven Verhaftungen von Islamisten eine "Emergency Loya Jirga" statt, in der Karsai zum Präsidenten gewählt und eine Übergangsregierung und ein Übergangsparlament eingesetzt wurden. Im Januar 2004 wurde von einer erneuten Versammlung eine Verfassung verabschiedet. Die für den Sommer vorgesehenen Präsidentschaftswahlen haben erst am 9. Oktober 2004 - allerdings ohne die angedrohten Anschläge der Taliban - stattgefunden (Karsai wurde zum Präsidenten gewählt).

Nach den aktuell verfügbaren Erkenntnismitteln hat sich auch nach dem Sturz der Taliban Ende 2001 und der nachfolgenden Einsetzung der Übergangsregierung Karsai die Verfolgungsgefährdung ehemaliger DVPA-Mitglieder angesichts der Schwäche der Zentralregierung, der nach wie vor bestehenden ethnischen und politischen Spannungen und Auseinandersetzungen und der Dominanz regionaler und lokaler Machthaber nicht grundlegend verbessert, so dass die in der Rechtsprechung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs während der Taliban-Herrschaft entwickelten Maßstäbe grundsätzlich - wenn auch mit den oben gemachten Einschränkungen - ihre Gültigkeit nicht verloren haben.

Die Situation stellt sich danach zum gegenwärtigen Zeitpunkt im Wesentlichen wie folgt dar:

Das Auswärtige Amt (AA) führt in seinem Lagebericht vom 23. April 2004 (Stand: März 2004) u.a. aus, die Übergangsregierung bestehe aus teils stark miteinander rivalisierenden Fraktionen. Es fehle an funktionierenden Verwaltungsstrukturen, einem nur ansatzweise funktionierenden Justizwesen und an Einigkeit über die Gültigkeit und damit Anwendbarkeit von Rechtssätzen. Der praktisch landesweit bestehende Zustand weitgehender Rechtlosigkeit des Einzelnen sei noch nicht überwunden, was etwa an der Vielzahl meist unbekannt bleibender Menschenrechtsverletzungen oder landesweiten Streitigkeiten um willkürlich besetzte Privatgrundstücke und Wasserquellen sichtbar werde. Eine Strafverfolgung lokaler Machthaber außerhalb Kabuls wegen Übergriffen sei praktisch nicht möglich. Eine funktionierende Polizei existiere derzeit noch nicht, der Aufbau der Nationalarmee komme voran.

Die Sicherheitslage habe sich für afghanische Staatsangehörige weiterhin landesweit nicht verbessert, in mancher Beziehung sogar verschlechtert. Im Raum Kabul bleibe sie weiter fragil, auch wenn sie auf Grund der ISAF-Präsenz im regionalen Vergleich zufriedenstellend sei. Es komme aber immer wieder zu Granatenbeschuss und teilweise zu Übergriffen von Polizei und Sicherheitskräften; so sei es auch zu mehreren - teilweise missglückten - Mordanschlägen gekommen. Die Anti-Terror-Koalition bekämpfe die radikal-islamistischen Kräfte vor allem im Osten, Südosten und Süden mit über 11.000 Mann. Diese Kräfte sickerten aus dem pakistanischen Paschtunengürtel ein, auch Kräfte des Milizenführers Hekmatyar seien wieder verstärkt aktiv und es häuften sich in süd/östlichen Provinzen terroristische Anschläge. In den verschiedenen Teilen des Landes hielten Kämpfe zwischen militärischen und politischen Rivalen weiter an. Die größte Gefahr für die Nichtbeachtung der Menschenrechte gehe von lokalen Machthabern und Kommandeuren aus. Die Zentralregierung habe auf viele dieser Menschenrechtsverletzer praktisch keinen Einfluss. Sie könne diese Täter weder kontrollieren noch ihre Taten untersuchen oder sie verurteilen. Wegen des desolaten Verwaltungs- und Rechtswesens blieben darüber hinaus Menschenrechtsverletzungen häufig ohne Sanktion.

Zur Verfolgungsgefährdung ehemaliger Kommunisten ist in dem Lagebericht wörtlich ausgeführt:

"Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die afghanische Übergangsregierung unter Präsident Karsai ehemalige Kommunisten verfolgt. Eine Gefährdung - auch an Leib und Leben - hochrangiger früherer Repräsentanten der Demokratischen Volkspartei Afghanistans (Parcham- wie Khalq-Flügel) bzw. herausragender Militärs und Polizeirepräsentanten sowie des Geheimdienstes Khad der kommunistischen Zeit durch Teile der Bevölkerung kann allerdings als mögliche Reaktion auf frühere Menschenrechtsverletzungen nicht ausgeschlossen werden. Es bestehen Hinweise darauf, dass einzelne Regierungsmitglieder in eigener Verantwortung Verfolgung, Repression und auch Tötung ehemaliger Feinde gut heißen. Private Racheakte gegen hochrangige ehemalige Repräsentanten des kommunistischen Systems können nicht ausgeschlossen werden. Einige ehemalige Kommunisten, die sich zur Zeit in Kabul aufhalten, können dies nur deshalb gefahrlos tun, weil sie über entsprechende Netzwerke und Kontakte verfügen. Ohne diese Absicherung wäre der gefahrlose Aufenthalt in der Hauptstadt undenkbar. Die Zentralregierung verfügt nicht über die notwendigen Machtmittel, um ihre Bürger in ausreichendem Maße zu schützen. Der Einfluss der Zentralregierung ist insbesondere in den Provinzen begrenzt, bzw. praktisch nicht vorhanden."

Dr. Danesch hat in seinem dem Sächsischen Oberverwaltungsgericht erteilten Gutachten vom 24. Juli 2004 u.a. ausgeführt, das Kabinett Karsai zerfalle in ethnische Fraktionen und sei nach militärischen und machtpolitischen Gegebenheiten zusammengesetzt, es gebe auch "graue Eminenzen", wie Rabbani oder den extremen Fundamentalistenführer Sayyaf. Man könne von einem Gewaltmonopol des Präsidenten durch die ISAF und US-Soldaten allenfalls in Kabul und Umgebung sprechen, in den verschiedenen Landesteilen herrschten aber ehemalige Mudschaheddin-Führer als lokale Kriegsfürsten und Kommandanten. Diese seien teilweise offiziell von Karsai eingesetzt, ließen sich von der Zentralregierung aber keine Vorschriften machen. In ganz Afghanistan bestehe letztlich ein Gewaltmonopol derjenigen fundamentalistisch-islamischen Kräfte, teilweise sogar derselben Personen, die 1992 Präsident Nadschibullah gestürzt hätten und für die nachfolgende Verfolgung ehemaliger Kommunisten verantwortlich gewesen seien. Der damalige erste Präsident und heute wieder einflussreiche Mudschadidi erkläre seine Amnestie von 1992 für bedeutungslos und rufe zur Fortsetzung des Heiligen Krieges gegen die alten Kommunisten auf.

Seine Recherchen über den Kläger jenes Verfahrens hätten ergeben, dass dieser ein hochrangiges und altgedientes Mitglied der DVPA, 1975 innerhalb einer kleinen Elite in heftigen Auseinandersetzungen mit späteren Mudschaheddin-Führern, wie Hektmatyar, Massud und Sayyaf, verstrickt gewesen sei und nach der DVPA-Machtergreifung 1978 mit dem Geheimdienst Khad zusammengearbeitet habe. Als "eingefleischter Kommunist" und "Gottloser" begebe er sich bei einer Rückkehr nach Afghanistan in größte Gefahr für Leib und Leben.

Das Deutsche Orient-Institut hat zum gleichen Fall unter dem 23. September 2004 in Übereinstimmung mit Dr. Danesch ein Gewaltmonopol der Übergangsregierung allenfalls im Großraum Kabul i.S. eines durch die internationalen Truppen geschaffenen künstlichen Schutzraumes bejaht; im Übrigen regierten wie seit Jahrhunderten lokale Potentaten in den Regionen des Landes. Der Versuch der westlichen Welt, aus Afghanistan so etwas wie einen Nationalstaat zu machen, resultiere aus einer unhistorischen Betrachtungsweise.

Dem Kläger schade weder seine tadschikische Volks- noch seine schiitische Glaubenszugehörigkeit. Wenn seine Angaben über seine Position in obersten Gremien der DVPA und die Verursachung von Misshelligkeiten für andere Personen zuträfen, drohe ihm auch heute noch nachwirkende Verfolgung mit nicht unbeachtlicher Wahrscheinlichkeit, die allerdings schwer einzuschätzen sei, weil es keine systematische Verfolgung aller DVPA-Funktionsträger gegeben habe oder gebe, sondern diese auf individueller Basis stattfinde.

Nach den danach im Prinzip nach wie vor anzulegenden Maßstäben des Grundsatzurteils des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 8. Juli 1996 (a.a.O.) lässt sich dem Vorbringen des Klägers aus dem bisherigen Akteninhalt und aus seiner informatorischen Anhörung vor dem Senat am 11. November 2004 eine an seine frühere DVPA-Mitgliedschaft und seine Tätigkeiten im Staatsdienst anknüpfende, konkret-individuell auf seine Person zielende und mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit landesweit drohende Leib-, Lebens- oder Freiheitsgefahr nicht entnehmen.

Angesichts seiner insoweit recht detaillierten, im Wesentlichen widerspruchsfreien und mit den allgemeinen Erkenntnissen über die Verhältnisse und die Entwicklung in Afghanistan übereinstimmenden Angaben erscheint es glaubhaft, dass der Kläger während seines Studiums der Elektro- oder Turbotechnik in der ehemaligen Sowjetunion in Baku im Jahre 1966 in die - von dem späteren Ministerpräsidenten Taraki gegründete und danach während des Daud-Regimes mit der Parcham-Organisation zur DVPA zusammengeschlossene (vgl. Berg a.a.O. S. 230) - Khalq-Partei eingetreten ist, sein Studium 1967 oder 1968 abgeschlossen und anschließend höhere bis leitende technische Positionen als Bauleiter/Generaldirektor eines Düngemittel/Strom-Kombinats in Mazar-e-Sharif, als Präsident einer Zementfabrik in Herat und - nach zweimonatiger Tätigkeit im Ministerium - einer Zementfabrik in Djabulsari in der Provinz Parvan und nach einem zweijährigen Militärdienst als Präsident eines Energie-Kombinats in Kabul bekleidet sowie schließlich von Ende 1985 bis 1992 als stellvertretender Abteilungsleiter in einem Ministerium in Kabul gearbeitet und gleichzeitig ehrenamtlich in der von Nadschibullah begründeten Versöhnungskommission mitgearbeitet hat; es stimmt auch mit diesen Schilderungen und den vorliegenden Erkenntnismitteln überein, dass er als DVPA-Mitglied nach dem Sturz der kommunistischen Regierung und der Machtübernahme der Mudschaheddin im April 1992 aus diesen Regierungsämtern entlassen worden ist.

Dem Kläger ist auch seine etwa zweijährige Tätigkeit als Schatzmeister des DVPA-Verbandes der Provinz Parvan abzunehmen; er hat aber darüber hinaus keine konkreten substantiierten Angaben gemacht, aus denen sich ergeben könnte, dass er in einer hochrangigen Stellung in dem früheren kommunistischen Regime deutlich und für einen größeren Personenkreis erkennbar nach außen getreten wäre und durch die Ausübung seiner Funktion - insbesondere im Militär oder im Geheimdienst - für die Tötung oder Verfolgung von Mudschaheddin verantwortlich gemacht werden könnte. Er hat vielmehr rein technisch/administrative, wenn auch leitende Tätigkeiten ausgeübt und selbst während seiner Militärzeit als einfacher Soldat nicht an Kampfeinsätzen teilgenommen, sondern anderen Soldaten Unterricht in Lesen und Schreiben erteilt. Es ist deshalb ohne plausiblen Hintergrund und bleibt im Gegensatz zu seiner sonstigen Darstellung auch pauschal und oberflächlich, wenn in den von ihm eingereichten schriftlichen Bescheinigungen und Stellungnahmen und in seiner persönlichen Anhörung vor dem Senat am 11. November 2004 davon die Rede ist, er habe als aktiver Kader und bekannte Person der DVPA an Aktivitäten, Demonstrationen und an dem politischen Kampf gegen den Fundamentalismus und die Fundamentalisten teilgenommen (Bescheinigungen des Ingenieurs Barial vom 8. Juli 2002 und des früheren Generals Gulaham Nabi), er habe 25 Jahre lang gegen die Leute gekämpft, die jetzt in Afghanistan an der Macht seien (Anhörung vom 11. November 2004) und er sei nach der Machtübernahme der Mudschaheddin 1992 untergetaucht und habe mit seiner Familie Tag und Nacht in Angst vor deren Übergriffen verbracht (Stellungnahme des Klägers vom 25. März 2004). Er hat zwar auch in seiner persönlichen Anhörung angegeben, dass er mit seiner Familie nach 1992 wiederholt Kabul verlassen und sich in Mazar-e-Sharif - der Stadt seiner ersten beruflichen Tätigkeit und Geburtsstadt seiner Ehefrau - und in Jalalabad - dem früheren Wohnsitz seiner beiden volljährigen Söhne und der Hauptstadt seiner Geburtsprovinz Nangahar - aufgehalten hat; zur Begründung hat er aber zunächst ohne weitere Erläuterung lediglich ausgeführt, er sei verfolgt worden; naheliegender erscheint deshalb, dass der Kläger mit seiner Familie jeweils vor den Auswirkungen des Bürgerkrieges geflohen ist. Auf Nachfrage des Gerichts hat er dann zwar ergänzt, der Kommandant Massuds in der Provinz Parvan und jetzige Verteidigungsminister Fahim habe ihn 1992 in Kabul persönlich bedroht. Er hat dazu aber keine plausiblen und nachvollziehbaren Gründe und Einzelheiten geschildert. Gegen die Existenz bzw. Ernsthaftigkeit einer solchen Drohung spricht auch, dass es dem Kläger nach seinen Angaben vor dem Bundesamt und dem Senat nach 1992 durchaus möglich war, seine Immobilien in Kabul zu vermieten und 1996 zu verkaufen.

Zudem wäre eine solche Bedrohung nach den allgemeinen Erkenntnissen angesichts der Stellung des Klägers zwar nicht völlig ausgeschlossen, aber auch nicht sehr wahrscheinlich. Kurz nach dem im April 1992 erfolgten Sturz der kommunistischen Regierung ist es zwar - auch auf Grund von Anweisungen des Staatspräsidenten Rabbani zur Säuberung staatlicher Einrichtungen von ehemaligen Kommunisten - bis 1993/94 zu zahlreichen Übergriffen gegen Mitglieder und Sympathisanten der DVPA gekommen, von denen neben führenden Repräsentanten auch einfache Mitglieder und Mitläufer betroffen gewesen sind. Eine allgemeine oder breit angelegte Verfolgung von Kommunisten in Afghanistan hat es aber nicht gegeben, vielmehr haben zahlreiche, auch prominente DVPA-Mitglieder und führende Regierungsrepräsentanten sogar Anschluss an Mudschaheddin-Gruppierungen gefunden. Gerade dies hat der Kläger aber gerade auch für seine Person vorgetragen. Er hat nämlich sowohl dem Bundesamt wie auch dem Senat gegenüber angegeben, etwa 1998 in einer gegen die Taliban gerichteten Oppositionsgruppe, die sich teilweise auch in seiner Kabuler Wohnung getroffen habe, mit Anhängern der Jamiat-Gruppierung Rabbanis und Massuds, deren Kommandanten u.a. der jetzige Verteidigungsminister Fahim und der jetzige Erziehungsminister und Präsidentschaftskandidat Kanuni gewesen sind, zusammen gearbeitet zu haben, so dass eine Bedrohung - sollte sie wirklich erfolgt sein - spätestens zu diesem Zeitpunkt nicht mehr bestand. Vor dem Bundesamt hat der Kläger sogar ausdrücklich erklärt, er habe mit Mudschaheddin nie Probleme gehabt.

Bei einer Gesamtwürdigung seines Vorbringens erscheint deshalb jedenfalls diese letztere Aussage eher wahrscheinlich und ebenso glaubhaft wie die Darstellung seines beruflichen und parteipolitischen Werdegangs, aus dem sich aber nach alledem eine gegenwärtige Verfolgungsgefährdung nicht herleiten lässt.

Die Feststellung eines Abschiebungshindernisses in unmittelbarer Anwendung des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG lässt sich auch nicht damit begründen, dass Auslandsafghanen und Rückkehrer nach dem Lagebericht des AA vom 6. August 2003 (Stand: Juli 2003, S. 13) über den praktisch landesweit herrschenden Zustand allgemeiner und weitgehender Rechtlosigkeit hinaus typischerweise Opfer von Menschenrechtsverletzungen, Streitigkeiten um willkürlich besetzte Privatgrundstücke und Wasserquellen, Plünderungen und Gelderpressungen seien, weil von ihnen angenommen werde, dass sie über finanzielle Ressourcen und/oder Rückkehrbeihilfen verfügten (so aber VG Wiesbaden, u.a. Urteil vom 14. November 2003 - 7 E 2415/03.A (V) -).

Diese besonderen Gefahren für Rückkehrer erwachsen nämlich aus der generell schlechten Sicherheitslage Afghanistans und stellen sich deshalb als typische Auswirkungen der allgemeinen Gefahrenlage dar, die durch individuelle oder gruppenspezifische erschwerende Besonderheiten begründet oder verstärkt werden, die aber an der Typik einer sich realisierenden allgemeinen Gefahr im Sinne des Satzes 2 des § 53 Abs. 6 AuslG nichts ändern (vgl. u.a. BVerwG, Urteil vom 8. Dezember 1998 - 9 C 4/98 - NVwZ 1999 S. 666 ff. = juris).

Der Kläger hat auch wegen der allgemeinen schlechten Wirtschafts- und Sicherheitslage in Afghanistan keinen Anspruch auf Feststellung der Voraussetzungen eines Abschiebungshindernisses gemäß § 53 Abs. 6 AuslG in verfassungskonformer Anwendung. Dies setzt neben einer extremen Gefahrenlage auch eine verfassungswidrige Schutzlücke voraus, die wegen des derzeitigen generellen Abschiebungsstopps für Afghanistan nicht besteht.

Macht ein Ausländer nicht eine auf ihn persönlich konkret-individuell zielende, sondern eine allgemeine Gefahr geltend, die im Abschiebezielstaat die Bevölkerung insgesamt oder eine Bevölkerungsgruppe gleichermaßen so trifft, dass grundsätzlich jedem von ihnen deshalb mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine erhebliche Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG droht, so dass wegen der Größe der betroffenen Gruppe und der Art der Gefahr über die Schutzgewährung nicht im Einzelfall durch das Bundesamt und eine Ermessensentscheidung der Ausländerbehörde zu entscheiden ist, greift nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die sog. Sperrwirkung des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG ein. Danach wird bei solchen allgemeinen Gefahren Abschiebungsschutz auch für den Einzelnen, selbst wenn er von diesen Gefahren konkret und in individualisierbarer Weise betroffen ist, ausschließlich durch eine - möglichst bundeseinheitliche - generelle Regelung gewährt, die wegen ihrer weitreichenden Folgewirkungen nach der Konzeption des Gesetzgebers für die gesamte Gruppe der potentiell Betroffenen einheitlich als eine politische Leit- bzw. Grundsatzentscheidung getroffen wird und als solche allein in das Ermessen der Innenministerien des Bundes und der Länder gestellt ist, so dass insoweit auch subjektive, einklagbare Rechte einzelner Ausländer grundsätzlich ausgeschlossen sind.

Trotz geäußerter Kritik, es verstoße gegen den Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG, wenn Ausländern unterschiedlicher Abschiebungsschutz gewährt werde je nachdem, ob ihnen Gefahren nur als Teil einer Bevölkerungsgruppe drohten oder ob sie persönlich als Einzelne betroffen seien, hat das Bundesverwaltungsgericht mit der Begründung an seiner Rechtsprechung festgehalten, das Gesetz überantworte den Abschiebungsschutz bei erheblichen konkreten Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit in gleicher Weise wie bei allgemeinen Gefahren dem Ermessen der Exekutive und teile lediglich die Entscheidungszuständigkeit zwischen Bundesamt und Ausländerbehörde im Falle des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG einerseits und den zuständigen Innenministerien nach § 53 Abs. 6 Satz 2 und § 54 AuslG andererseits auf, womit auch eine unterschiedliche Ausgestaltung des Rechtsschutzes verbunden sei. Während der Ausländer im Falle einer ihm persönlich drohenden Gefahr einen Anspruch auf Feststellung der tatbestandlichen Voraussetzungen der Abschiebungsschutzgründe durch das Bundesamt und auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung der Ausländerbehörde habe, könne er im Falle einer ihm als Teil einer Bevölkerungsgruppe drohenden allgemeinen Gefahr einen allgemeinen Abschiebestopp durch ministeriellen Erlass nicht einklagen. Dies sei sachlich durch die weiterreichenden Folgen der Gewährung von Abschiebungsschutz für Angehörige einer ganzen Ausländergruppe und durch den Charakter als politische Leitentscheidung gerechtfertigt.

Wenn die obersten Landesbehörden von dieser Ermessensermächtigung in § 54 AuslG keinen Gebrauch gemacht und einen generellen Abschiebestopp nicht verfügt haben, obwohl im Abschiebezielstaat eine so extreme allgemeine Gefahrenlage besteht, dass praktisch jeder einzelne in diesen Staat abgeschobene Ausländer gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten körperlichen Beeinträchtigungen alsbald nach seiner Rückkehr landesweit oder auf dem Weg in sichere Landesteile ausgeliefert würde, gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, dem einzelnen Ausländer in Überwindung dieser Sperrwirkung im Wege einer verfassungskonformen Auslegung und Anwendung des § 53 Abs. 6 AuslG Abschiebungsschutz nach dieser Vorschrift zu gewähren (vgl. grundlegend: BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 1995 - 9 C 9/95 - a.a.O., u.a. auch Urteile vom 29. März 1996 - 9 C 116/95 - a.a.O., vom 19. November 1996 - 1 C 6/95 - NVwZ 1997 S. 685 ff., vom 2. September 1997 - 9 C 40/96 - DVBl. 1998 S. 271 ff., vom 27. April 1998 - 9 C 13/97 - NVwZ 1998 S. 973 f., vom 8. Dezember 1998 - 9 C 4/98 - a.a.O. und Beschluss vom 26. Januar 1999 - 9 B 617/98 - NVwZ 1999 S. 668 jeweils = juris).

Eine Überwindung der Sperrwirkung durch verfassungskonforme Anwendung des § 53 Abs. 6 AuslG wegen einer extremen Gefährdungslage ist wegen der aus dem Gewaltenteilungsgrundsatz folgenden Pflicht zur möglichst weitgehenden Beachtung des gesetzlichen Regelungskonzepts aber nur zulässig, um verfassungswidrige Schutzlücken zu vermeiden. Deshalb wurde diese zunächst nur dann als geboten und zulässig angesehen, wenn nicht bereits zielstaatsbezogener Abschiebungsschutz nach anderen Bestimmungen (§ 53 Abs. 1, 2, 4 oder 6 Satz 1 AuslG) oder nach § 54 AuslG bestand. Die verfassungskonforme Anwendung des § 53 Abs. 6 AuslG ist darüber hinaus aber auch dann zulässig, wenn der Abschiebung zwar anderweitige Hindernisse entgegenstehen, aber keinen gleichwertigen Schutz bieten, der dem entspricht, den der Ausländer bei Vorliegen eines Erlasses nach § 54 AuslG oder bei unmittelbarer Anwendung des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG hätte. Ist der Ausländer anderweitig und gleichwertig vor Abschiebung geschützt, bedarf es nicht des zusätzlichen Schutzes durch eine verfassungskonforme Anwendung des § 53 Abs. 6 AuslG. Als gleichwertig in diesem Sinne können noch unentschiedene sonstige Bleiberechte und Duldungsansprüche oder vorübergehende faktische Vollstreckungshindernisse nicht angesehen werden. Das Bundesamt und die Verwaltungsgerichte sind deshalb auf die Prüfung beschränkt, ob eine bestimmte Erlasslage oder eine aus individuellen Gründen bereits schriftlich erteilte Aufenthaltsgenehmigung oder Duldung weiteren Abschiebungsschutz im Wege einer verfassungskonformen Anwendung des § 53 Abs. 6 AuslG entbehrlich macht (vgl. BVerwG, Urteile vom 12. Juli 2001 - 1 C 2/01 - und - 1 C 5/01 - NVwZ 2001 S. 1420 ff. und NVwZ 2002 S. 101 ff. jeweils = juris).

Eine in diesem Sinne verfassungswidrige Schutzlücke, die eine verfassungskonforme Anwendung des § 53 Abs. 6 AuslG zu Gunsten des Klägers ermöglichen würde, besteht im gegenwärtigen Zeitpunkt im Hinblick auf Afghanistan nicht, so dass die Frage einer extremen allgemeinen Gefahrenlage in diesem Abschiebezielstaat derzeit keiner Entscheidung bedarf.

Dem Kläger ist zwar ausweislich seiner Ausländerakte keine asylverfahrensunabhängige Duldung oder ein sonstiges Bleiberecht erteilt worden; als gleichwertiger Schutz ist aber der generelle Abschiebestopp nach dem derzeitigen Erlass des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport vom 22. Juli 2004 über die Rückführung afghanischer Staatsangehöriger anzusehen. Dieser führt vorangegangene Erlasse vom 3. Dezember 2003, 26. Januar und 29. März 2004 fort und verweist auf den Beschluss der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder (IMK) vom 7./8. Juli 2004, wonach in den nächsten Monaten Regelungen ausgearbeitet werden sollen über eine zwangsweise Rückführung nach Afghanistan, die nach früheren Beschlüssen vom 6. Juni und 6. Dezember 2002 auf Grund der zivilen und militärischen Lage in Afghanistan "derzeit bzw. zunächst weiterhin grundsätzlich nicht in Betracht" kam und dann jeweils für spätere Zeitpunkte angestrebt wurde. In dem Erlass ist weiter ausgeführt, dass nach dem IMK-Beschluss vom 7./8. Juli 2004 die Entscheidung über den Zeitpunkt des generellen Beginns der Rückführung ausreisepflichtiger afghanischer Staatsangehöriger weiterhin offen sei und deren Duldungen daher bis zum 31. Dezember 2004 weiter verlängert werden können.

Damit ist inhaltlich eine dem § 54 Satz 1 AuslG vergleichbare Entscheidung getroffen worden, wenn auch vom Wortlaut her keine strikte Anordnung der Abschiebungsaussetzung vorliegt und es angesichts deren inzwischen sechs Monate deutlich übersteigender Dauer nach Satz 2 der Vorschrift auch eines Einvernehmens mit dem Bundesminister des Inneren bedurft hätte. Ob deshalb eine Anordnung gemäß § 54 AuslG unwirksam wäre (oder ob die Bundeseinheitlichkeit nicht durch die gemeinsame Beschlusslage der IMK-Konferenz hinreichend gewahrt ist), kann hier dahinstehen, weil neben einer Anordnung nach § 54 AuslG auch jede andere ausländerrechtliche Erlasslage zur Vermeidung einer verfassungswidrigen Schutzlücke ausreicht, die dem einzelnen Ausländer einen vergleichbar wirksamen Schutz vor Abschiebung vermittelt (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 20. September 2001 - A 14 S 2130/00 - InfAuslR 2002 S. 102 ff. = juris).

Das kann für den hessischen Erlass vom 22. Juli 2004 trotz seines nicht anordnenden Wortlauts im Ergebnis bejaht werden. Die Formulierung, dass die Duldungen afghanischer Staatsangehöriger bis 31. Dezember 2004 weiter verlängert werden "können", ist nicht als Einräumung eines freien Ermessens an die Ausländerbehörden zu verstehen, sondern stellt nur eine Öffnung für die anschließend aufgeführten Sonderfälle (Straftäter, sog. Sicherheitsgefährder und Befugnisverlängerungen) dar. Aus dem in Bezug genommenen IMK-Beschluss ergibt sich jedenfalls, dass im Übrigen derzeit keine Abschiebung nach Afghanistan durchgeführt wird.

Auch der Umstand, dass der Erlass im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung keine drei Monate mehr erfassen wird, steht der Gleichwertigkeit des Schutzes nicht entgegen, da jedenfalls eine Verlängerung bis Ende April 2005 sicher zu erwarten ist (vgl. auch VGH Bad.-Württ. a.a.O. S. 105). Wenn vorher oder danach ein Rückübernahmeabkommen mit Afghanistan abgeschlossen werden sollte, bliebe es dem Kläger unbenommen, eine von ihm gleichwohl angenommene extreme allgemeine Gefahrenlage in Afghanistan im Rahmen eines Folgeschutzgesuchs an das Bundesamt geltend zu machen und ein Wiederaufgreifen des Verfahrens zu verlangen, weil die gerichtlich bestätigte negative Feststellung zu § 53 Abs. 6 AuslG nur mit dem Inhalt bestandskräftig wird, den sie durch die letzte verwaltungsgerichtliche Entscheidung erhält (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2001 - 1 C 2/01 - a.a.O.).

Soweit die Gleichwertigkeit dieses Schutzes im Hinblick auf die Bindungswirkung des § 42 Satz 1 AsylVfG und die Förmlichkeit eines Widerrufsverfahrens gemäß § 73 Abs. 3 AsylVfG verneint werden könnte, steht dem zum einen entgegen, dass diese Verfahrensgestaltung auch bei einem Erlass nach § 54 AuslG nicht besteht und dass zum anderen die zusätzlichen Vorteile aus der weitreichenden Bindungswirkung der Bundesamts-Entscheidung nicht zu berücksichtigen sind, weil sie nicht dem Interesse des Asylbewerbers, sondern der Bewältigung der behördlichen Zuständigkeitsaufteilung dienen (vgl. BVerwG a.a.O. S. 1422).

Die Erlasslage über die derzeitige Abschiebungsaussetzung nach Afghanistan ist auch weder "noch unentschieden" noch ein "vorübergehendes (nur) faktisches Vollstreckungshindernis" und bietet deshalb gleichwertigen Abschiebeschutz im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts.

Nach alledem ist der Berufung der Beklagten mit der Kostenfolge aus § 83 b AsylVfG, § 154 Abs. 1 VwGO und § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO stattzugeben.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor, weil bundesrechtliche Grundsatzfragen nicht behandelt worden sind.



Ende der Entscheidung

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