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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 10.02.2005
Aktenzeichen: 8 UE 280/02.A
Rechtsgebiete: AsylVfG, GK


Vorschriften:

AsylVfG § 26
AsylVfG § 73 Abs. 1
GK Art. 1 C Nr. 5
1. Für den Widerruf einer Asylanerkennung gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist die Frage der Schutzgewährleistung durch den Heimatstaat nur in Bezug auf eine an asylerhebliche Merkmale anknüpfende Verfolgungsgefährdung, nicht aber in Bezug auf allgemeine Gefahren von Bedeutung.

2. Die Ausschlussklausel des § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG erfasst nur schwerwiegende Belastungen, die unmittelbar auf einer früheren Verfolgung beruhen, nicht dagegen die Folgen einer langjährigen Verfestigung der Lebensverhältnisse des Asylberechtigten im Bundesgebiet mit einer dadurch bewirkten Entfremdung von seinem Herkunftsland und auch nicht dort zu erwartende allgemeine wirtschaftliche oder gesellschaftliche Eingliederungsschwierigkeiten oder allgemeine Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit.


Hessischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes Urteil

8 Senat

8 UE 280/02.A

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Asylrechts/Afghanistan/Familienasyl

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 8. Senat - durch

Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Höllein, Richter am Hess. VGH Dr. Nassauer, Richter am Hess. VGH Jeuthe, ehrenamtliche Richterin Reifenberg, ehrenamtlichen Richter Krüger

auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 10. Februar 2005 für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 5. Juli 2000 - 5 E 30795/99.A (1) - abgeändert und der Bescheid des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 23. Juni 1999 aufgehoben.

Die Beklagte hat die Kosten des gesamten Verfahrens zu tragen, mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diesen selbst zur Last fallen; Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der am 27. April 1999 in Offenbach geborene Beigeladene zu 1. ist afghanischer Staatsangehöriger. Der am 6. Mai 1958 in Kabul/Afghanistan geborene Beigeladene zu 2. ist sein Vater und ebenfalls afghanischer Staatsangehöriger und nach den Eintragungen in dem Formblatt zu seinem Asylantrag tadschikischer Volks- und schiitisch/islamischer Religionszugehörigkeit.

Der seinerzeit 22 Jahre alte Beigeladene zu 2. hatte am 23. Oktober 1980 Afghanistan auf dem Landweg nach Pakistan verlassen, sich dort zwei Monate aufgehalten und war am 19. Dezember 1980 über den Flughafen Frankfurt am Main in die Bundesrepublik Deutschland eingereist.

Hier hatte er gegenüber der Grenzschutzstelle am 20. Dezember 1980 u.a. angegeben, er habe sich nicht zum Militär heranziehen lassen und mit den Kommunisten nichts zu tun haben wollen; deshalb habe er seine Heimat verlassen. Er habe oft an Demonstrationen teilgenommen und sei auch mehrere Male verhaftet, jedoch immer wieder freigelassen worden. Er sei informiert worden, dass Bilder von ihm auf den Polizeistationen vorhanden seien und sein Leben in höchster Gefahr sei. Die Geheimpolizei sei in ihr Haus gekommen und habe nach ihm gesucht.

In seiner ersten Anhörung vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt Bundesamt für Migration und Flüchtlinge; im Folgenden: Bundesamt) am 18. September 1981 hatte er dann noch ergänzt, dass er in Peschawar/Pakistan mit dem Geld seines Vaters in einem Hotel gelebt, sich bei den Behörden bzw. der UNO nicht gemeldet und mit den Widerstandskämpfern keinen Kontakt aufgenommen habe. Er habe sich keiner politischen Gruppe anschließen wollen und Pakistan wegen seiner deshalb schlechten Lebensverhältnisse verlassen. Er bitte um Zurückstellung der Entscheidung, weil er zu seinem Onkel in die USA ausreisen wolle.

Nachdem er schriftlich um Fortsetzung des Verfahrens gebeten hatte, war der Beigeladene zu 2. am 21. April 1982 erneut angehört worden. Dabei hatte er u.a. angegeben: Er sei in Afghanistan Schüler der 12. Klasse gewesen und wäre gleich zum Militär eingezogen worden; danach hätte er ohne Prüfung studieren können. Weil er aber nicht zum Militär gewollt habe, habe er sein Heimatland verlassen. Außerdem habe er im Mai/April 1980 an etwa fünf Demonstrationen teilgenommen und sei dabei zwei Mal verhaftet worden, das erste Mal im April und noch einmal im nächsten Monat. Auf Befragen habe er erklärt, dass er gegen den Einmarsch der Russen in Afghanistan sei. Er sei geschlagen und nach Abgabe von Loyalitätserklärungen nach 15 bzw. 25 Tagen entlassen worden. Zwischen seiner letzten Freilassung und seiner Ausreise habe noch im Juli/August eine Hausdurchsuchung stattgefunden. Von einem Freund im Staatsdienst habe er erfahren, dass er steckbrieflich gesucht werde. Er habe sich zunächst bei Verwandten versteckt und sei dann illegal nach Pakistan ausgereist.

Vor etwa einem Jahr habe er auch in Deutschland an einem Hungerstreik gegen die Anwesenheit der Russen in Afghanistan teilgenommen.

Mit Bescheid vom 26. April 1982 hatte das Bundesamt seinen Asylantrag abgelehnt, weil der Beigeladene zu 2. bereits anderweitigen Schutz vor Verfolgung in Pakistan gefunden habe.

Auf seine Klage hatte das Verwaltungsgericht Kassel mit Urteil vom 11. August 1983 - IV/1 E 07600/82 O - das Bundesamt verpflichtet, den Beigeladenen zu 2. als Asylberechtigten anzuerkennen, und zur Begründung u.a. ausgeführt: Er werde nach seiner Rückkehr nach Afghanistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zum Militärdienst herangezogen und für den Fall der Verweigerung besonders hart bestraft werden. Der Heranziehung zur Wehrpflicht komme unter den gegenwärtigen politischen Verhältnissen in Afghanistan auch eine asylerhebliche Verfolgungstendenz zu. Der Kriegsdienst in Afghanistan beschränke sich "derzeit nicht auf einen Waffendienst, sondern neben der militärischen Ausbildung werden afghanische Wehrpflichtige einer politischen Schulung und ggf. auch Umerziehung nach sowjetisch-sozialistischem Vorbild durch sowjetische Berater oder entsprechend ausgebildete afghanische Offiziere unterzogen, um sie zur kommunistischen Weltanschauung zu bekehren". Deserteure müssten damit rechnen, sofort an der sog. "heißen Front" eingesetzt oder besonders hart bestraft zu werden, wobei auch die Todesstrafe nicht ausgeschlossen sei. Der Militärdienst in Afghanistan unterscheide sich wesentlich von dem Waffendienst der meisten anderen Staaten. "Er dient nicht der Verteidigung des Staates gegen eine Bedrohung seiner Existenz durch äußere oder innere Feinde, sondern - zum Teil mit terrorähnlichen Aktionen - der Zerschlagung des Widerstandes des eigenen Volkes gegen ein totalitäres Regime, das seine Staatsgewalt von einer fremden Macht und deren Invasionstruppen ableitet. Unter den gegenwärtigen Lebensverhältnissen in Afghanistan werden Wehrpflichtige unter Mißachtung ihrer Menschenwürde in einem solchen Maße für die politischen Ziele des totalitären Regimes und die Interessen einer fremden Macht in die Pflicht genommen, daß darin eine politische Verfolgung gesehen werden muss ..." (vgl. S. 7 f. des Urteilsabdrucks). Hier komme hinzu, dass sich der Beigeladene zu 2. nach seinem glaubhaften Vorbringen durch die Teilnahme an Demonstrationen - jedenfalls in den Augen der afghanischen Behörden - staatsfeindlich betätigt habe. Seiner Anerkennung stehe nicht entgegen, dass er sich nach seiner Flucht für knapp zwei Monate in Pakistan aufgehalten habe, weil dies eine bloße Zwischenstation auf seinem Weg in die Bundesrepublik Deutschland gewesen sei.

Auf Grund dieser rechtskräftigen Verurteilung hatte das Bundesamt den Beigeladenen zu 2. mit Bescheid vom 28. Oktober 1983 als Asylberechtigten anerkannt.

Der am 27. April 1999 in Offenbach geborene Beigeladene zu 1. wurde auf den für ihn vom Beigeladenen zu 2. unter dem 31. Mai 1999 gestellten "Antrag auf Bewilligung von Familienasyl gemäß § 26 Asylverfahrensgesetz" (AsylVfG) mit Bescheid des Bundesamtes vom 23. Juni 1999 gemäß § 26 Abs. 2 AsylVfG als Asylberechtigter anerkannt.

Dagegen hat der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten (im Folgenden: Bundesbeauftragter) am 13. Juli 1999 beim Verwaltungsgericht Frankfurt am Main Anfechtungsklage mit der Begründung erhoben, dass die Asylberechtigung seines Vaters, des Beigeladenen zu 2., zu widerrufen sei, weil wegen der derzeitigen und auf absehbare Zeit hinaus fehlenden staatlichen bzw. quasi-staatlichen Gewalt in Afghanistan nicht von einer politischen Verfolgung ausgegangen werden könne. Im Übrigen könne sich der Beigeladene zu 2. bereits seit dem Sturz der letzten kommunistischen Regierung in Afghanistan im April 1992 nicht mehr auf eine befürchtete Verfolgung durch die kommunistische Regierung berufen.

Diese Klage hat das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main mit dem hier angefochtenen Urteil vom 5. Juli 2000 - 5 E 30795/99.A (1) - abgewiesen und zur Begründung u.a. ausgeführt: Der Gewährung von Familienasyl an den Beigeladenen zu 1. stehe gemäß § 26 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 4 AsylVfG nicht entgegen, dass die Anerkennung seines Vaters zu widerrufen oder zurückzunehmen wäre. Bei diesem lägen zwar heute die Voraussetzungen für eine Asylanerkennung nicht mehr vor, weil in Afghanistan schon seit mindestens zwei Jahren Bürgerkrieg herrsche. Einem Widerruf der Asylanerkennung stehe aber § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG entgegen, weil sich der Beigeladene zu 2. seit nunmehr 20 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland aufhalte und er im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan dort ohne familiären Rückhalt sei. Afghanische Staatsangehörige, die in Afghanistan mittel- und beistandslos seien, dürften aber nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Frankfurt und des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs derzeit nicht nach Afghanistan abgeschoben werden, weil Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 6 AuslG bestünden, so dass dem Beigeladenen zu 2. eine Rückkehr nicht möglich sei. Das ergebe sich auch daraus, dass § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG von einer "Rückkehr in den Staat" spreche, also voraussetze, dass ein Staat existiere, dessen Schutz der Asylberechtigte nunmehr wieder in Anspruch nehmen könne. Das sei wegen des Bürgerkrieges derzeit in Afghanistan aber nicht der Fall.

Auf den Zulassungsantrag des Bundesbeauftragten hat der Senat mit Beschluss vom 25. Januar 2002 - 8 UZ 2568/00.A - die Berufung zugelassen; nach Zustellung dieses Beschlusses am 5. Februar 2002 hat der Bundesbeauftragte mit am 26. Februar 2002 eingegangenem Schriftsatz unter teilweiser Bezugnahme auf sein Zulassungsantragsschreiben die Berufung begründet und beantragt,

den Bescheid des Bundesamtes vom 23. Juni 1999 unter Abänderung des angefochtenen Urteils aufzuheben.

Weder das Bundesamt noch die Beigeladenen haben sich im Verfahren zweiter Instanz zur Sache geäußert.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf den Inhalt der vorliegenden Streitakte nebst Verwaltungsvorgang und auf die den Beigeladenen zu 2. betreffende Bundesamtsakte sowie wegen der in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen auf die in dem Schreiben des Berichterstatters an die Beteiligten vom 31. Januar 2005 und nachfolgend nochmals aufgeführten Fundstellen verwiesen.

Liste der zu Grunde gelegten Erkenntnismittel

I. In folgenden Entscheidungen des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs zitierte Erkenntnisse:

- Urteil vom 8. Juli 1996

- 13 UE 962/96.A - (juris)

- Urteil vom 26. Januar 1998

- 13 UE 2978/96.A - (juris)

- Urteil vom 16. November 1998

- 9 UE 3908/96.A - (juris)

II. neuere Erkenntnisquellen

1. G/Geschichte 5/89 "Afghanistan" (auszugsweise)

2. Berg, Das Erbe der Großmoguln, 2. Aufl. 1988 (auszugsweise)

3. Lageberichte des Auswärtigen Amtes vom 10. Januar 2002 (ad hoc)

4. Juni 2002 (ad hoc, Stand: Ende Mai 2002)

2. Dezember 2002 (Stand: November 2002)

6. August 2003 (Stand: Juli 2003)

22. April 2004 (Stand: März 2004)

3. November 2004 (Stand: Oktober 2004)

4. Auskünfte des Auswärtigen Amtes

- an VG Hamburg vom 12. Dezember 2003

- an Sächs. OVG vom 17. Februar 2004

5. Gutachten Dr. M. Danesch

- an VG Wiesbaden vom 9. Oktober 2002

- an VG Bayreuth vom 31. Oktober 2002

- an VG Wiesbaden vom 29. Januar 2003

- an VG Braunschweig vom 21. Mai 2003

- an Sächs. OVG vom 1. Oktober 2003

- an VG Gießen vom 6. April 2004

- an Sächs. OVG vom 24. Juli 2004

6. Gutachten Deutsches Orient-Institut

- an Sächs. OVG vom 23. September 2004

7. Gutachten B. Glatzer

- an VG Braunschweig vom 3. Juli 2003

8. Aufsatz Baraki, in "Aus Politik und Zeitgeschichte" vom 22. November 2004

9. Zeitungsberichte

- FR vom 26. November 2001

"Viele greifen nach der Macht"

"Der lange Krieg"

- HNA vom 6. Dezember 2001

"Hamid Karsai"

- FR vom 13. März 2002

"Kabuler Kleiderordnung"

- HNA vom 4. Juni 2004

"Helfer stellen Arbeit ein"

- FR vom 4. Juni 2004

"Hilfsprojekte gestoppt"

- FR vom 8. Juli 2002

"Kabul befürchtet Rückschlag"

"An Feinden mangelt es Kadir nicht" - FR vom 8. Oktober 2004

"Wahlen im Krieg"

"Angriffslustig"

"Stillstand am Tor zur Wüste"

"In Afghanistan herrscht weiter Armut"

- HNA vom 11. Oktober 2004

"UN: Wahlen waren fair"

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Bundesbeauftragten ist zulässig und begründet.

Der Bundesbeauftragte hat nach der am 5. Februar 2002 erfolgten Zustellung des Zulassungsbeschlusses vom 25. Januar 2002 mit seinem beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof am 26. Februar 2002 eingegangenen Schriftsatz die auch in Rechtsstreitigkeiten nach dem Asylverfahrensgesetz geltende Berufungsbegründungspflicht des § 124 a Abs. 3 VwGO a.F. (vgl. Hess. VGH, Urteil vom 11. November 2004 - 8 UE 2759/01.A - juris m.w.N.) innerhalb der Monatsfrist erfüllt.

Die Berufungsbegründungsschrift enthielt einen Berufungsantrag und eine kurze Begründung, die unter Berücksichtigung der Bezugnahme auf die Zulassungsantragsbegründung dem Begründungserfordernis auch inhaltlich genügt (vgl. Hess. VGH, Urteil vom 11. November 2004 a.a.O. m.w.N.).

Der Bundesbeauftragte ist zwar durch die in dem Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz) vom 30. Juli 2004 unter Art. 3 (Änderung des Asylverfahrensgesetzes) Nr. 5 (BGBl. I Nr. 41 vom 5. August 2004 S. 1950 ff. [1990]) erfolgte Aufhebung des § 6 AsylVfG - gemäß Art. 15 Abs. 2 - mit Wirkung zum 1. September 2004 als Institution aufgelöst worden. § 6 AsylVfG gilt jedoch nach der unter Art. 3 Nr. 48 eingefügten Übergangsvorschrift des § 87 b AsylVfG für das vorliegende, vor dem 1. September 2004 anhängig gewordene gerichtliche Verfahren weiter.

Die Berufung ist auch begründet.

Das Verwaltungsgericht hat die auf § 26 Abs. 2 AsylVfG gestützte Asylgewährung an den Beigeladenen zu 1. zu Unrecht als rechtmäßig angesehen; nach dieser Vorschrift werden die bei Antragstellung minderjährigen ledigen Kinder eines Asylberechtigten nach den dort aufgeführten Voraussetzungen als Asylberechtigte anerkannt.

Obwohl es sich vorliegend um eine Anfechtungsklage handelt, ist gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG auf den Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Tatsachenentscheidung, also auf die mündliche Verhandlung am 10. Februar 2004 und damit auf § 26 AsylVfG in der Fassung abzustellen, die er durch das gemäß Art. 15 Abs. 3 generell am 1. Januar 2005 in Kraft getretene Zuwanderungsgesetz erhalten hat.

Danach steht dem Beigeladenen zu 1. ein Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter nicht zu.

Er hat zwar mit Schreiben des Beigeladenen zu 2. vom 31. Mai 1999 einen wirksamen und gemäß § 26 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG in der damaligen und heutigen Fassung innerhalb eines Jahres nach seiner Geburt in Frankfurt am Main rechtzeitigen Antrag gestellt und war im Zeitpunkt der Asylantragstellung auch minderjährig und ledig.

Zwar ist grundsätzlich ein allgemeiner, und nicht - wie hier - ein auf "Familienasyl gemäß § 26 Asylverfahrensgesetz" beschränkter Asylantrag geboten, weil die Gewährung des Familienasyls eine uneingeschränkte Asylberechtigung verleiht, also eine Identität der Rechtspositionen vorliegt (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juni 1991 - 9 C 48/91 - BVerwGE 88 S. 326 ff. = NVwZ 1992 S. 269 = juris). Wegen der erkennbar begehrten Rechtsfolge ist jedoch auch in einem dermaßen eingeschränkten Antrag ein allgemeiner Asylantrag zu sehen (vgl. Schnäbele, in Gemeinschaftskommentar zum Asylverfahrensgesetz 1992, Stand: Dezember 2004 [GK], Rdnr. 45 zu § 26).

Die durch den bestandskräftigen Bescheid des Bundesamtes vom 28. Oktober 1983 erfolgte Asylanerkennung des Beigeladenen zu 2. ist aber entgegen § 26 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG wegen der zwischenzeitlichen Veränderungen in Afghanistan gemäß § 73 Abs. 1 AsylVfG zu widerrufen.

Die Frage des Vorliegens von Widerrufsgründen ist nach dem Wortlaut des § 26 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG uneingeschränkt schon im Rahmen des Verfahrens auf Gewährung von Familienasyl zu prüfen und nicht einem gesondert gegen den Stammberechtigten gerichteten Widerrufsverfahren vorzubehalten.

Zwar wird teilweise vertreten, der - insoweit mit § 26 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG gleichlautende - Gesetzeswortlaut von § 26 Abs. 1 Nr. 4 AsylVfG sei dahin zu präzisieren, dass nicht das bloße Vorliegen von Widerrufs- oder Rücknahmegründen nach § 73 AsylVfG der Gewährung von Familienasyl entgegenstehe, sondern (nur) die darauf beruhende unanfechtbare Aufhebung der Asylberechtigung des Stammberechtigten. Ebenso wenig wie das Familienasyl nach Absatz 1 Nr. 1 des § 26 AsylVfG vor Eintritt der Unanfechtbarkeit der Asylanerkennung des Stammberechtigten gewährt werden könne, dürfe andererseits das bloße Vorliegen von Widerrufsgründen zum Anlass genommen werden, die Gewährung des Familienasyls zu versagen. Solange die Asylberechtigung nicht unanfechtbar beseitigt sei, sei sie rechtlich auch geeignet, Familienasyl zu vermitteln. Es sei weiterhin unzumutbar, das Verfahren auf Familienasyl auszusetzen, bis über den Widerruf unanfechtbar entschieden worden sei. Die Prüfung der Widerrufsvoraussetzungen durch das Verwaltungsgericht im Rahmen des Familienasylverfahrens würde einen rechtsstaatlich inakzeptablen Eingriff in die Kompetenz des Leiters des Bundesamtes darstellen, der nach § 73 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG zur Entscheidung über Widerruf und Rücknahme der Asylanerkennung berufen sei. Dieser sei auch nicht an Feststellungen und Aussagen des Verwaltungsgerichts gebunden, weil sich die materielle Rechtskraft nach § 121 VwGO nicht auf den Stammberechtigten erstrecke, der nicht Verfahrensbeteiligter im Prozess über die Gewährung des Familienasyls sei (vgl. Marx, Asylverfahrensgesetz, 5. Aufl. 2003, Rdnrn. 46 ff. zu § 26; ebenso VG Gelsenkirchen, Urteil vom 10. Mai 1999 - 5 aK 2978/96.A - InfAuslR 2000 S. 39 f. = juris [LS]).

Letzterem Bedenken ist im vorliegenden Verfahren allerdings schon dadurch Rechnung getragen, dass der Stammberechtigte gemäß § 65 Abs. 1 VwGO beigeladen worden ist, während das Bundesamt als Behörde der Beklagten ohnehin beteiligt ist, so dass die an einem möglichen Widerrufsverfahren Beteiligten gemäß § 121 Nr. 1 i.V.m. § 63 VwGO in die Rechtskraftwirkung des Urteils einbezogen sind.

Nach einer weiteren Auffassung kann bzw. soll das Familienasylverfahren bis zur Entscheidung des Leiters des Bundesamtes über den Widerruf der Asylanerkennung des Stammberechtigten ausgesetzt werden, um der Gefahr eines unterschiedlichen Rechtsstatus der Angehörigen der Flüchtlingsfamilie zu begegnen (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 12. Januar 1993 - A 14 S 1175/91 - juris; Hamb. OVG, Urteil vom 20. Dezember 1993 - Bf VII 10/92 - juris S. 2 f. Rdnr. 18; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: März 1998, Rdnr. 26 zu § 26 AsylVfG; Renner, Ausländerrecht, 7. Aufl. 1999, Rdnr. 8 zu § 26 AsylVfG).

Nachdem der Hessische Verwaltungsgerichtshof mit Urteil vom 2. April 1993 - 10 UE 1413/91 - (juris = NVwZ-RR 1994 S. 234 [LS]) diese uneingeschränkte Prüfungsbefugnis schon ohne weiteres für sich in Anspruch genommen hatte, schließt sich auch der Senat angesichts des klaren Gesetzeswortlauts der wohl inzwischen überwiegenden Auffassung an, wonach Familienasyl schon dann nicht gewährt werden kann, wenn die Anerkennung des Stammberechtigten zu widerrufen ist, ohne dass es darauf ankommt, ob ein Widerrufsverfahren bereits eingeleitet, der Widerruf erfolgt oder gar bestandskräftig geworden ist (vgl. OVG Rheinl.-Pf., Urteil vom 23. November 2000 - 12 A 11485/00 - NVwZ-RR 2001 S. 341 f. = juris; Nieders. OVG, Beschluss vom 1. März 2001 - 8 L 1117/99 - juris; OVG NW, Beschluss vom 2. Juli 2001 - 14 A 2621/01.A - juris; Bay. VGH, Beschluss vom 11. September 2001 - 9 B 00.31496 - InfAuslR 2002 S. 261 ff. = juris; Schnäbele, in GK, Rdnrn. 52 ff. zu § 26); wäre für die Nichtgewährung von Familienasyl die unanfechtbare Aufhebung der Asylanerkennung des Stammberechtigten erforderlich, wäre der eigenständige Versagungsgrund der Nr. 4 des § 26 Abs. 1 AsylVfG neben der in Nr. 1 aufgestellten Voraussetzung einer (noch) unanfechtbar bestehenden Asylanerkennung des Stammberechtigten überflüssig. Die Vorschrift des § 26 Abs. 1 Nr. 4 AsylVfG nimmt zudem auf die Tatbestandsvoraussetzungen für Widerruf und Rücknahme, nicht aber auf das Widerrufs- oder Rücknahmeverfahren Bezug. Deshalb fehlen für eine Aussetzung des die Gewährung von Familienasyl betreffenden Gerichtsverfahrens auch die Voraussetzungen des § 94 VwGO, weil der Widerruf der Asylanerkennung des Stammberechtigten nicht rechtlich vorgreiflich ist. Durch die gesetzlich vorgeschriebene gerichtliche Entscheidung über die Vorfrage des Vorliegens der Widerrufsvoraussetzungen in Bezug auf den Stammberechtigten wird auch im Hinblick auf die in § 73 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG besonders geregelte Kompetenz des Leiters des Bundesamtes im behördlichen Widerrufsverfahren der Grundsatz der Gewaltenteilung nicht verletzt, weil das Verwaltungsgericht zur Überprüfung und gegebenenfalls Korrektur behördlicher Entscheidungen berufen, dabei aber gemäß § 114 VwGO daran gehindert ist, sein eigenes Ermessen an die Stelle des behördlichen Ermessens zu setzen. Zudem steht die Entscheidung über den Widerruf einer Asylanerkennung gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG nicht im behördlichen Ermessen (der - früher - weisungsfreien Einzelentscheider) des Bundesamtes, sondern hat durch dessen (weisungsgebundenen) Leiter "unverzüglich" zu erfolgen, wenn die Voraussetzungen für die Anerkennung nicht mehr vorliegen. Soweit nunmehr der durch das Zuwanderungsgesetz neu eingefügte Absatz 2 a dieser Vorschrift eine spätere Widerrufsentscheidung nach dessen Satz 2 in das Ermessen der Behörde stellt, wenn die nunmehr in Satz 1 vorgeschriebene behördliche Überprüfung binnen drei Jahren nach Unanfechtbarkeit der Anerkennungsentscheidung nicht zu deren Widerruf geführt hat, würde auch eine gerichtliche Prüfung im Rahmen des Familienasyls ergeben, dass die Anerkennung nicht zu widerrufen, sondern insoweit das behördliche Ermessen eröffnet ist, denn auch das Gericht ist an diese gesetzliche Einschränkung gebunden.

Es verstößt auch nicht gegen Sinn und Zweck des Familienasyls, wenn in diesem Rahmen die Voraussetzungen für einen Widerruf der Anerkennung des Stammberechtigten inhaltlich geprüft werden. Die Voraussetzung des § 26 Abs. 1 Nr. 4 und Abs. 2 Satz 1 AsylVfG wird nämlich praktisch nur dann relevant, wenn - wie hier - zwischen der Asylanerkennung des Stammberechtigten und der Bearbeitung des Familienasylantrags eine beträchtliche Zeitspanne liegt und im Verfolgerstaat zwischenzeitlich Veränderungen eingetreten sind, die ein Widerrufsverfahren nahelegen könnten. Dann entspricht es der gesetzgeberischen Intention, vor dem Hintergrund der potentiellen Gefährdungslage der Familienangehörigen eines politisch Verfolgten aus Vereinfachungs- und Integrationsgesichtspunkten nur die Verfolgungsbetroffenheit des Stammberechtigten einer inhaltlichen Prüfung zu unterziehen und dessen Rechtsstatus dann auf die engen Familienangehörigen zu übertragen, die möglicherweise nur noch formal bestehende Rechtsposition des Stammberechtigten aus Anlass eines später eingeleiteten Familienasylverfahrens inhaltlich zu klären und nicht noch parallel dazu nach Aussetzung dieses Verfahrens ein weiteres Verfahren auf Widerruf gegen den Stammberechtigten durchzuführen. Wenn im Familienasylverfahren über die Widerrufsvoraussetzungen in Bezug auf den Stammberechtigten bestands- bzw. rechtskräftig entschieden worden ist - gegebenenfalls mit Bindungswirkung gemäß § 121 VwGO zwischen dem Bundesamt als Behörde der Beklagten und dem gemäß § 65 Abs. 1 VwGO beigeladenen Stammberechtigten - ist über dessen Asylberechtigung gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG eine - unter rechtlichen Gesichtspunkten notwendigerweise übereinstimmende - gebundene Entscheidung zu treffen, denn in dem Ausnahmefall eines gemäß § 73 Abs. 2 a Satz 2 AsylVfG eröffneten behördlichen Ermessens kann auch im Rahmen des § 26 Abs. 1 Nr. 4 und Abs. 2 Satz 1 AsylVfG keine Widerrufsverpflichtung festgestellt werden. Damit ist auch grundsätzlich gewährleistet, dass der Rechtsstatus der Flüchtlingsfamilie einheitlich bleibt.

Die Widerrufsvoraussetzungen des § 73 Abs. 1 AsylVfG liegen im Fall des Beigeladenen zu 2. vor.

Unabhängig von der Frage, ob die Neuregelung des § 73 Abs. 2 a AsylVfG auf den vorliegenden Altfall überhaupt anwendbar wäre (vgl. dazu Huber, NVwZ 2005 S. 1 ff. [10]), unterliegt die Widerrufsentscheidung vorliegend schon deshalb nicht behördlichem Ermessen, sondern der vollen gerichtlichen Prüfung, weil ausweislich der Verwaltungsvorgänge eine - negativ abgeschlossene - behördliche Widerrufsprüfung bisher nicht stattgefunden und das Bundesamt eine entsprechende gerichtliche Anfrage in der Terminsladung bis zur Entscheidung des Senats auch noch nicht - im bejahenden Sinne - beantwortet hat.

Auf Grund der Prüfung des Senats ist gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung des Beigeladenen zu 2. als Asylberechtigter nicht mehr vorliegen, also nachträglich weggefallen sind.

Wenn - wie hier - der Asylanerkennungsbescheid lediglich in Vollziehung einer rechtskräftigen Verurteilung des Bundesamtes ergangen ist, ist für die Beantwortung dieser Frage auf den Zeitpunkt des Ergehens des rechtskräftig gewordenen Verpflichtungsurteils und darauf abzustellen, ob sich die für die gerichtliche Beurteilung der Verfolgungslage maßgeblichen tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse nach Erlass des Urteils erheblich verändert haben, wobei angesichts seiner materiellen Rechtskraft die damalige Rechtsfindung nicht in Frage zu stellen, sondern der Prüfung zu Grunde zu legen ist (vgl. OVG NW, Urteil vom 15. Juli 1991 - 14 A 10131/88 - juris; Hess. VGH, Urteil vom 2. April 1993 a.a.O.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 19. September 2002 - A 14 S 457/02 - juris; BVerwG, Urteile vom 19. September 2000 - 9 C 12/00 - BVerwGE 112 S. 80 ff. = InfAuslR 2001 S. 53 ff. = NVwZ 2001 S. 335 ff. = juris und vom 8. Mai 2003 - 1 C 15/02 - BVerwGE 118 S. 174 ff. = NVwZ 2004 S. 113 ff. = juris). Für das Vorliegen einer nachträglichen Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse, die das Bundesamt zum Widerruf einer bestands- oder rechtskräftigen Asylanerkennung berechtigt und verpflichtet, ist ein strenger Maßstab anzulegen und eine Beweislast des Bundesamtes anzunehmen (vgl. Pfaff, ZAR 2003 S. 225 [228]). Eine solche Veränderung muss nicht nur auf Grund eindeutiger Anhaltspunkte unzweifelhaft eingetreten sein, sie kann jedenfalls für einen vor erlittener oder drohender politischer Verfolgung geflohenen und deshalb als asylberechtigt anerkannten Ausländer auch nur dann im obigen Sinne als erheblich angesehen werden, wenn sich die politisch-gesellschaftliche Lage in seinem Heimatland so wesentlich, grundlegend und dauerhaft verbessert hat, dass bei seiner Rückkehr eine Wiederholung von Verfolgungsmaßnahmen mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen ist. Diese Anforderung folgt aus der humanitären Zielsetzung des Asylgrundrechts, das zwar keinen unveränderbaren Status verleiht und in seinem Bestand von der Fortdauer der Verfolgungsgefahr abhängt, andererseits aber einem Asylsuchenden, der schon einmal von politischer Verfolgung betroffen war, nicht zumutet, erneut der Zugriffsmöglichkeit des Verfolgerstaates und dem Risiko erneuter Verfolgung ausgesetzt zu werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 2. Juli 1980 - 1 BvR 147, 181 und 182/80 - BVerfGE 54 S. 341 ff. = NJW 1980 S. 2641 ff. = juris; BVerwG, Urteil vom 24. November 1992 - 9 C 3/92 - EZAR 214 Nr. 3 = juris; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 16. März 2004 - A 6 S 219/04 - AuAS 2004 S. 142 ff. = NVwZ-RR 2004 S. 790 ff. = juris).

Dies entspricht auch dem in der "Beendigungsklausel" des Art. 1 C Nr. 5 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention) vom 28. Juli 1951 (BGBl. II 1953 S. 559, Bekanntmachung vom 28. April 1954, BGBl. II S. 619) - GK - zum Ausdruck gekommenen Zumutbarkeitsgedanken (vgl. BVerfG, Beschluss vom 2. Juli 1980 a.a.O.). Nach Satz 1 dieser durch § 73 Abs. 1 AsylVfG nachgezeichneten "Beendigungsklausel" führt ein Wegfall der die Flüchtlingseigenschaft begründenden Umstände nur dann zur Beendigung des Flüchtlingsstatus, wenn der Flüchtling es danach nicht mehr ablehnen kann, den Schutz seines Heimatlandes in Anspruch zu nehmen, wenn sich also die Verhältnisse dort so grundlegend und hinreichend stabil verändert haben, dass eine Verfolgungsgefahr nicht mehr besteht. Auf der Grundlage der ober- und höchstrichterlichen Interpretation stimmt der Regelungsgehalt des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG mit dem Inhalt dieser Bestimmung der Genfer Flüchtlingskonvention überein (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 16. März 2004 a.a.O.; kritisch: Salomons/Hruschka, ZAR 2005 S. 1 ff. [6]). Dies gilt nach Auffassung des Senats jedenfalls insoweit, als es um die hinreichende Sicherheit vor einer für die Asylanerkennung allein maßgeblich gewesenen politischen Verfolgung und nicht um sonstige, insbesondere allgemeine Gefahren etwa auf Grund einer unzureichenden Sicherheits- oder/und Versorgungslage geht, vor denen nach deutschem Recht nicht asyl-, sondern ausländer- bzw. aufenthaltsrechtlich Schutz gewährt wird.

Nach Erlass des zur Asylanerkennung des Beigeladenen zu 2. verpflichtenden Urteils des Verwaltungsgerichts Kassel vom 11. August 1983 haben sich die nach dieser Rechtsfindung für seine Verfolgungsgefährdung maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse in Afghanistan nach der Entmachtung des letzten kommunistischen Regimes unter Präsident Nadschibullah im April 1992 so grundlegend und dauerhaft verändert, dass solche asylerheblichen Verfolgungsmaßnahmen gegen den Beigeladenen auch bei Anlegung eines strengen Maßstabs mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden können.

Das Verwaltungsgericht hat eine dem Beigeladenen drohende politische Verfolgung angenommen, weil er bei seiner Rückkehr nach Afghanistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit durch die kommunistischen Machthaber zum Wehrdienst herangezogen oder wegen Kriegsdienstverweigerung bestraft worden wäre. Darin hat es eine asylerhebliche Verfolgung gesehen, weil der Kriegsdienst nach den damaligen afghanischen Verhältnissen eine sowjetisch-sozialistische Umerziehung beinhaltet und der Zerschlagung des Widerstandes des eigenen Volkes gegen das von einer fremden Macht und deren Invasionstruppen gestützte totalitäre kommunistische Regime gedient habe und weil Verweigerer auch mit der Todesstrafe hätten rechnen müssen. Zudem habe sich der Beigeladene durch die Teilnahme an Demonstrationen gegen die russische Besetzung in den Augen der damaligen afghanischen Behörden staatsfeindlich betätigt.

Eine derartige, an seine Ablehnung des kommunistischen Regimes anknüpfende politische Verfolgung droht dem Beigeladenen auf Grund der veränderten Verhältnisse in Afghanistan nicht mehr.

Allerdings bestehen dort - entgegen der Auffassung des Bundesbeauftragten - gegenwärtig wieder staatliche bzw. quasi-staatliche Herrschaftsstrukturen, die grundsätzlich eine politische Verfolgung ermöglichen.

Nach dem Sturz des kommunistischen Regimes unter Nadschibullah durch den Einmarsch der Mudschaheddin in Kabul am 26. April 1992 haben sich nach der Einschätzung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs in seinem damaligen Grundsatzurteil vom 8. Juli 1996 - 13 UE 962/96.A - (juris) alsbald wieder verfolgungsmächtige Machtstrukturen herausgebildet.

Danach ist damals auf Grund eines zwischen den sieben führenden Mudschaheddin-Gruppierungen im pakistanischen Peschawar geschlossenen Drei-Stufen-Plans vom 26. April 1992 eine Übergangsregierung gebildet worden, für zwei Monate zunächst unter dem Übergangspräsidenten Sigbatullah Mudschadidi, dem Führer der "Nationalen Befreiungsfront", und anschließend ab Juni 1992 unter dem dann im Dezember zum Staatspräsidenten gewählten Tadschiken Prof. Burhanuddin Rabbani, dem Führer der Jamiat-e-Islami, die auch mit dem Tadschiken Ahmad Schah Massud den Verteidigungsminister stellte. Unmittelbar danach kam es aber zu schweren, mehrfach durch Friedensbemühungen unterbrochenen bewaffneten Auseinandersetzungen, an denen insbesondere die Jamiat-e-Islami von Rabbani und Massud, die Verbände des Usbeken-Generals Rashid Dostum und die Hezb-e-Islami unter dem paschtunischen Kommandanten Gulbuddin Hekmatyar beteiligt waren. Dadurch kam es nach dem Sturz der kommunistischen Regierung und dem Fehlen einer durchsetzungsfähigen zentralen Regierungsgewalt zunächst zu einem weitgehenden Machtvakuum mit einer unübersehbaren Vielzahl kleiner und kleinster Machtzentren, in denen allgemeine Gesetzlosigkeit, Korruption und Willkür der jeweiligen Familien- und Stammesoberhäupter, Militärkommandanten oder marodierender Kampfgruppen herrschte. Verschiedenen Führern der Bürgerkriegsparteien gelang es aber auf Grund ihres politischen Einflusses und ihrer militärischen Stärke schon bald, ihre Herrschaftsgebiete über Provinzgrenzen hinweg in größere Teilgebiete Afghanistans auszudehnen, diese Gebiete nach innen und außen zu stabilisieren und sie nach übergreifenden rechtlichen Regeln zu ordnen, so dass es zwar weder der Zentralregierung in Kabul noch einer der anderen Bürgerkriegsparteien, zu denen seit Ende 1994 auch die paschtunischen Taliban gehörten, bis zum Entscheidungszeitpunkt des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs am 8. Juli 1996 gelungen war, gesamtstaatliche, landesweite Herrschaftsgewalt in Afghanistan zu erringen. Andererseits war es aber auf regionaler Ebene zur Herausbildung quasi-staatlicher Herrschaftsbereiche gekommen, deren Machthaber zumindest in ihren Machtzentren und in dem Bereich der in diesen Territorien gelegenen größeren Städte als beherrschende und effektive Ordnungsmacht präsent waren. Auch wenn die einzelnen Macht- und Einflusszonen jedenfalls in ihren Randbereichen noch weiterhin umstritten und umkämpft, in ihrer Stabilität insgesamt nicht dauerhaft gesichert und ihre Machtstrukturen nicht so funktionsfähig und effektiv waren, dass sie ihr Gewaltmonopol im gesamten Einflussbereich einschließlich entlegener Gebiete berechenbar sicherstellen konnten, waren doch generell staatsähnliche Herrschaftsgebilde mit einer übergreifenden Friedensordnung entstanden, die zu einer asylrechtlich bedeutsamen, gezielt ausgrenzenden Verfolgung aus politischen Gründen in der Lage waren.

Zu diesen weitgehend autonomen Teilgebieten gehörte die von der Zentralregierung Rabbani/Massud beherrschte Region, nämlich neben der Hauptstadt Kabul einige Provinzen im Zentrum und Nordosten des Landes. Die Regierung hatte Anfang 1995 alle feindlichen Kräfte aus Kabul vertrieben und Anfang 1996 durch eine Verständigung mit ihrem früheren Gegner Hekmatyar und dessen Einbeziehung als Ministerpräsident eine Festigung ihrer Machtstellung erreicht.

Der Machtbereich der Regierung war von gegnerischen Landesteilen umgeben. Dies waren die von General Dostum kontrollierten nördlichen Provinzen Faryab, Jowzjan, Balkh und Samangan mit dem Zentrum Mazar-e-Sharif, weiterhin die unter der Führung einer von dem Kommandanten Hadschi Abdul Kadir dominierten Schura (Ratsversammlung) in Jalalabad stehenden östlichen Provinzen Laghman, Konar und Nangarhar und schließlich die von den Taliban seit Ende 1994 eroberten, nahezu das halbe Staatsgebiet Afghanistans ausmachenden westlichen, südlichen und südöstlichen Provinzen einschließlich des im Westen um die Stadt Herat liegenden Gebiets, das bis zu deren Eroberung durch die Taliban im September 1995 von dem mit Rabbani und Massud verbündeten Mudschaheddin-Führer Ismail Khan beherrscht worden war.

Unter Zugrundelegung der vom 13. Senat des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs in seinem Grundsatzurteil vom 8. Juli 1996 entwickelten und im obigen Sinne höchstrichterlich weitgehend bestätigten und präzisierten Maßstäbe (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. August 2000 - 2 BvR 260 und 1353/98 NVwZ 2000 S. 1165 ff. = InfAuslR 2000 S. 521 ff. = juris; BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2001 - 9 C 20/00 - BVerwGE 114 S. 16 ff. = NVwZ 2001 S. 815 ff. = InfAuslR 2001 S. 353 ff. = juris) gelangt der erkennende Senat nach den derzeit verfügbaren Erkenntnismitteln zu der Überzeugung, dass die nach dem Sturz des kommunistischen Regimes in Afghanistan entstandenen Machtverhältnisse nach der Entmachtung der Taliban Ende 2001 in weiten Bereichen so wiederhergestellt worden sind, wie sie vor und bei deren Eintritt in den Bürgerkrieg bestanden und heute mehr noch als damals - weil jedenfalls eine offene Bürgerkriegssituation nicht mehr besteht - trotz eines fehlenden landesweiten Gewaltmonopols der Übergangsregierung Karsai und trotz der nach wie vor weitgehend unzureichenden Sicherheits- und Versorgungslage die Annahme verfolgungsmächtiger zentralstaatlicher bzw. regionaler quasi-staatlicher Herrschaftsstrukturen rechtfertigen.

Die als - völkerrechtlich anerkannte - Zentralregierung in der Afghanistan-Konferenz der UN auf dem Petersberg bei Bonn im Dezember 2001 gebildete und in einer Sonderratsversammlung ("Emergency Loya Jirga") im Juli 2002 einschließlich ihres Präsidenten gewählte Interims- bzw. Übergangsregierung berücksichtigt in ihrer Zusammensetzung weitgehend die verschiedenen Volksstämme Afghanistans und die sie repräsentierenden Mudschaheddin-Gruppen, die zunächst gegen die kommunistischen Regierungen und dann - zuletzt im Rahmen der sog. Nordallianz - gegen die maßgeblich von Pakistan, Saudi-Arabien und den USA unterstützten paschtunischen Taliban gekämpft haben. Die Regierung wurde von Anfang an von dem zwischenzeitlich am 9. Oktober 2004 in einer allgemeinen Wahl zum Präsidenten gewählten Paschtunen Hamid Karsai geführt, der aus der Nähe der südafghanischen Stadt und Taliban-Hochburg Kandahar stammt und eine Führungsrolle in seinem dort und in benachbarten Provinzen siedelnden, hoch angesehenen und wohlhabenden Stamm der Popolzai einnimmt, deren Stammesführer Ahmed Schah Durrani 1747 das Durrani-Reich gründete, in dem die Grundsteinlegung für das moderne Afghanistan gesehen wird. Hamid Karsai engagierte sich zunächst in monarchistischen Bewegungen, war von 1992 bis 1994 nach dem Sturz Nadschibullahs in der von Mudschadidi und Rabbani geführten Übergangsregierung stellvertretender Außenminister und pflegte nach kurzer Unterstützung der Taliban intensive Kontakte in den USA (vgl. FR vom 26. November 2001; HNA vom 6. Dezember 2001 und FR vom 13. März 2002). Die zweitgrößte Volksgruppe der Tadschiken wird bzw. wurde in der Übergangsregierung insbesondere durch den Außenminister Abdullah Abdullah, den früheren Innen- und jetzigen Erziehungsminister Yunus Kanuni und den bisherigen Verteidigungsminister Mohamed Fahim repräsentiert. Diese drei Minister waren Kommandanten der von dem am 9. September 2001 angeblich im Auftrag der Taliban ermordeten Ahmed Schah Massud geführten Jamiat-e-Islami Rabbanis, bekleideten schon unter dessen Übergangsregierung 1992 wichtige Funktionen und stammen wie Massud aus dem Pandschir-Tal. Neben diesen beiden Hauptpolen sind bzw. waren auch andere Ethnien und Mudschaheddin-Führer in der Regierung vertreten, wie etwa der Usbeken-General Dostum als stellvertretender Verteidigungsminister, der ehemalige Kommandant und Gouverneur der Provinz Nangarhar mit der Hauptstadt Jalalabad, nämlich der am 6. Juli 2002 in Kabul ermordete Paschtune und Unterstützer der von dem Tadschiken Rabbani geführten Nordallianz Hadschi Abdul Kadir, als einer der fünf Stellvertreter von Präsident Karsai und Minister für Infrastruktur bzw. Öffentliche Arbeiten (vgl. FR vom 8. Juli 2002) und der schiitische Hazara Abdul Karim Kahlili als weiterer Stellvertreter Karsais.

Diese Übergangsregierung bzw. ihr Präsident verfügt auch über Herrschaftsstrukturen, die zumindest im Großraum Kabul wirksam sind. Ihr staatliches Gewaltmonopol lässt sich allerdings nicht mit den Befugnissen und Verwaltungs-, Polizei-, Gerichts- und Militärstrukturen begründen, die sich aus der am 26. Januar 2004 in Kraft getretenen Verfassung für Präsident und Regierung ergeben (so aber Auskunft des Auswärtigen Amtes [AA] an das Sächs. OVG vom 17. Februar 2004), weil es nicht auf das Bestehen einer abstrakten Rechtsordnung, sondern darauf ankommt, ob im Sinne einer De-facto-Gebietsgewalt tatsächlich eine übergreifende Herrschaft ausgeübt wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2001 a.a.O.). Dies wird für den Großraum Kabul mit der Begründung bejaht, dass die Macht des Präsidenten hier neben den bisher ausgebildeten ca. 2.000 Polizisten und ca. 7.000 bis 8.300 Soldaten vor allem von der UN- mandatierten und seit August 2003 von der NATO geführten International Security Assistance Force (ISAF) mit einer Stärke von etwa 6.000 bis 7.400 Mann gestützt wird (vgl. u.a. Gutachten Dr. Mostafa Danesch, ein aus dem Iran stammender Autor und Journalist, an Sächs. OVG vom 24. Juli 2004), so dass die Sicherheitslage im Raum Kabul zwar weiter fragil bleibt, aber im regionalen Vergleich zufriedenstellend ist und vom UNHCR für freiwillige Rückkehrer als "ausreichend sicher" bezeichnet wird (vgl. AA, Lagebericht vom 3. November 2004, Stand: Oktober 2004, S. 11). In der Hauptstadt ist danach mit Anwesenheit der ISAF eine Regierung entstanden, die in der Lage ist, dort eine übergreifende Ordnung durchzusetzen, so dass extreme Formen von gewaltsamen Auseinandersetzungen unterbunden werden und der Einzelne im Großen und Ganzen nicht um seine Existenz zu bangen braucht (Dr. Danesch an VG Bayreuth vom 31. Oktober 2002 S. 7). Dass die Regierungsgewalt Präsident Karsais hauptsächlich auf dem Schutz dieser internationalen Truppen beruht, steht der Annahme staatlicher Machtstrukturen nicht entgegen (so aber zunächst Deutsches Orient-Institut an Sächs. OVG vom 23. September 2004 S.1, vgl. aber auch S. 4 f.). Es kommt nämlich weder auf die Legitimität der Machtausübung noch darauf an, in welchen organisatorischen und rechtlichen Formen, Einrichtungen oder Institutionen die faktische Herrschaftsmacht ausgeübt wird; maßgeblich ist allein, ob das Zusammenleben in der konkreten Gemeinschaft mit einer gewissen Stetigkeit und Dauerhaftigkeit durch Befehl und Zwang geordnet wird. Das ist aber auch in Bezug auf die Übergangsregierung Karsai zu bejahen, weil die ISAF gerade zu deren Unterstützung entsandt worden ist und derzeit keine Anhaltspunkte dafür erkennbar sind, dass sie in absehbarer Zeit aus Afghanistan abgezogen werden könnte; im Gegenteil wird ihr Einsatzbereich auf ausgewählte Orte in den Provinzen ausgedehnt. Dass sowohl die eigenen Sicherheits- als auch die Verwaltungs- und Justizstrukturen der Regierung noch im Aufbau begriffen sind und noch kein in unserem Sinne funktionsfähiges System darstellen und deshalb auch in Kabul mit Terroranschlägen, Überfällen von und gegen Polizei- und Sicherheitskräfte(n), Korruption und sonstigen Menschenrechtsverletzungen gerechnet werden muss (vgl. AA, Lagebericht Oktober 2004 S. 11), begründet zwar Zweifel an der Fähigkeit der Regierung, umfassend und in jedem Einzelfall hinreichenden Schutz zu gewährleisten, stellt aber die Existenz eines prinzipiell schutz- und verfolgungsmächtigen Herrschaftsgefüges als solches, das zu einer von den staatstragenden Kräften ausgehenden oder zugelassenen und gezielt an asylerhebliche Merkmale anknüpfenden Verfolgung in der Lage wäre, nicht grundsätzlich in Frage. Kabul befindet sich nicht (mehr) in einem offenen Bürgerkrieg mit einem Zustand von Anarchie und Chaos, in dem jeder unterschiedslos und jederzeit der Willkür des anderen ausgeliefert wäre; auch ein Staat mit hoher Gewaltkriminalität und akuter Terrorgefahr verliert allein dadurch nicht generell seine staatliche, zu asylerheblicher Verfolgung fähige Herrschaftsgewalt.

Dass auch die Bundesregierung und die Innenminister und -senatoren der Bundesländer der Bundesrepublik Deutschland von einer grundsätzlich bestehenden Gebietsgewalt der Übergangsregierung Karsai ausgehen, zeigt sich darin, dass das Bundesinnenministerium mit der afghanischen Regierung Verhandlungen über ein Rückführungsabkommen mit dem Ziel führt, ab Mai 2005 mit der bundesweiten "Rückführung" afghanischer Ausreisepflichtiger beginnen zu können (vgl. Beschlussniederschrift über die 175. Sitzung der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder am 18./19. November 2004 in Lübeck), was nicht vertretbar wäre, wenn in Afghanistan nicht ein Mindestmaß an prinzipiell schutzfähigen staatlichen Herrschaftsstrukturen bestünde.

Die Gebietsgewalt der Regierung Karsai ist nach dem derzeit verfügbaren Erkenntnisstand aber auf den Großraum Kabul beschränkt und erstreckt sich nicht auf das übrige Staatsgebiet Afghanistans.

In den verschiedenen Landesteilen haben sich nach der Entmachtung der Taliban vielmehr wieder ähnliche quasi-staatliche und gegenüber der Zentralregierung autonome Herrschaftsbereiche herausgebildet, wie sie bereits vor deren Eingreifen in den Bürgerkrieg bestanden hatten und oben beschrieben worden sind (vgl. etwa Dr. Danesch an VG Wiesbaden vom 29. Januar 2003 S. 6 ff. und vom 21. Mai 2003 an VG Braunschweig; Deutsches Orient-Institut an Sächs. OVG vom 23. September 2004 S. 1 f., 8, 10.f.).

Dieser Umstand eines fehlenden gesamtstaatlichen Gewaltmonopols schließt die Möglichkeit einer asylerheblichen politischen Verfolgung in Afghanistan nicht aus (so aber u.a. VG Ansbach, Urteile vom 24. April 2002 - AN 11 K 01.31749 -, vom 3. April 2003 - AN 11 K 03.30178 - und vom 15. September 2004 - AN 11 K 04.31184 -; Schl.-Holst. OVG, Urteil vom 16. Juni 2004 - 2 LB 54/03 -; wie hier: VG Hamburg, Urteil vom 10. Juli 2003 - 10 A 1945/2001 - jeweils Asylis-Rspr.), weil diese - wie der Hessische Verwaltungsgerichtshof schon in seinem zitierten Grundsatzurteil vom 8. Juli 1996 ausgeführt hat - zum einen in den verschiedenen regionalen Bereichen erfolgen kann und weil sich zum anderen durch die die Mentalität und Denkweise der afghanischen Gesellschaft bestimmenden traditionellen Stammesstrukturen bisher nie ein Nationalgefühl, sondern vielmehr immer schon eine Ablehnung gegenüber staatlicher Gewalt entwickelt hat und es deshalb und wegen der geografischen, ethnischen und religiösen Zergliederung der Eigenart dieses Landes entspricht, dass einer schwachen Zentralgewalt stets mächtige lokale Herrscher gegenüberstehen, die in ihrem jeweiligen Machtbereich selbstverantwortlich "hoheitliche Befugnisse" wahrnehmen, also etwa eine eigene Armee, eigene Gerichte und Gefängnisse unterhalten (vgl. dazu und auch zum Folgenden Dr. Danesch an Sächs. OVG vom 24. Juli 2004).

Solche Herrschaftsbereiche haben sich wieder wie folgt herausgebildet:

Früher von der Übergangsregierung Rabbani/Massud beherrschte und tadschikisch besiedelte Provinzen im Nordosten und Norden stehen heute unter dem Kommando des offiziell von der Regierung als Armeekommandanten eingesetzten Mohammad Daud Khan, eines früheren Leibwächters und persönlichen Referenten Massuds. Khan unterhält eine weitgehend mit russischem Material ausgerüstete Privatarmee von ca. 15.000 Mann, ist mit dem bisherigen Verteidigungsminister Fahim loyal verbunden, agiert aber relativ autonom.

Die sich weiter westlich anschließenden Nordprovinzen, die General Dostum bis zur endgültigen Eroberung Mazar-e-Sharifs durch die Taliban am 10. August 1998 und seiner anschließenden Flucht in die Türkei beherrscht hatte, gehören jetzt in ihrem östlichen Teil zum Machtbereich des ebenfalls offiziell von Karsai als Kommandanten eingesetzten, aber mit Mohammad Daud Khan verbündeten Tadschiken Ustad Atta, der ebenfalls über eine russisch ausgerüstete Streitkraft von mehreren tausend Kämpfern verfügt.

Die übrigen, weitgehend von Usbeken und Turkmenen bewohnten Nordprovinzen beherrscht von seinem Hauptquartier in Sheberghan/Provinz Jowzjan aus wieder General Dostum, der zum stellvertretenden Verteidigungsminister ernannt worden war, ebenfalls mehrere tausend Kämpfer kommandiert, über Kontakte zur Türkei, zu den USA und nach Usbekistan verfügt und mit seinem alten Rivalen Atta häufig bewaffnete Auseinandersetzungen, insbesondere um Mazar-e-Sharif hatte, die im Oktober 2003 zu einem weitgehend beachteten Waffenstillstand führten.

In diesen nördlichen, von Atta und Dostum beherrschten Provinzen kommt es vielfach zu Übergriffen in Form von Brandstiftungen, Plünderungen, Erpressungen, Zwangsrekrutierungen, Misshandlungen oder Vergewaltigungen, Tötungen etc. gegen die hier eine Minderheit bildenden Paschtunen, die zu einer inzwischen rückläufigen Binnenflucht in den paschtunischen Süden geführt hatten (vgl. AA, Lagebericht Oktober 2004 S.13 f. und 16 f.).

Über die westlichen Provinzen herrscht in der Provinzhauptstadt Herat wieder der fundamentalistische Tadschike Ismail Khan, der sich selbst als Emir oder Kalif versteht, in seinem Gebiet die alleinige politische und militärische Herrschaft beansprucht, über eine auch mit schweren russischen Waffen ausgerüstete, aber nicht einmal formal der Regierung unterstellte große Privatarmee von fast 20.000 Soldaten verfügt, mit seinem repressiven Regime für relative Sicherheit und einen wirtschaftlichen Aufschwung gesorgt hat, ein gutes Verhältnis zum bisherigen Verteidigungsminister Fahim unterhält, einen Sohn als Luftfahrtminister in der Regierung untergebracht hatte und gute bzw. beste Kontakte sowohl zu den USA als auch zu dem westlich angrenzenden Iran pflegt, von dem er finanziell, personell und durch konkrete Aufbauprojekte unterstützt wird. Nachdem im März 2004 sein Sohn bei einer bewaffneten Auseinandersetzung mit Regierungskräften getötet worden war, ist Ismail Khan nach den sich anschließenden Unruhen von Präsident Karsai zwar im September 2004 als Provinzgouverneur abgesetzt worden; ob das aber wirklich zu einer Schwächung oder gar zum Verlust seiner Herrschaft geführt hat, erscheint angesichts der eigentlichen Machtstrukturen sehr zweifelhaft (vgl. AA, Lagebericht Oktober 2004 S. 13 und Deutsches Orient-Institut an Sächs. OVG vom 23. September 2004 S. 3 f.).

In dem angestammten Siedlungsgebiet der schiitischen Hazara in Zentralafghanistan dominiert die Hezb-e-Wahdat mit ihrem in der Übergangsregierung vertretenen Führer Abdul Karim Khalili, die aus religiösen Gründen und wegen der Unterstützung im Bürgerkrieg ebenfalls gute Beziehungen zum schiitischen Iran hat, in ihrem südlichen Herrschaftsbereich aber auch in Flügelkämpfe verwickelt ist (vgl. AA, Lagebericht Oktober 2004 S. 13).

In der östlichen, paschtunisch besiedelten Provinz Nangarhar mit der Hauptstadt Jalalabad regieren zwar nach wie vor die ehemaligen Mudschaheddin-Kommandanten, die schon vor der Machtübernahme der Taliban dort herrschten (Gouverneur ist ein Bruder des 2002 in Kabul ermordeten Hadschi Abdul Kadir), die Verhältnisse sind dort aber durch die nach wie vor stattfindenden kriegerischen Auseinandersetzungen der amerikanisch dominierten Anti-Terror-Koalition mit den radikal-islamischen Kräften der Taliban und Al-Qaida bestimmt, bei denen seitens der USA auch Kämpfer paschtunischer Lokalherrscher eingesetzt werden.

Auch in den anderen östlichen, süd-östlichen und südlichen Provinzen mit dem im gebirgigen Grenzland zu Pakistan liegenden sog. Paschtunengürtel sind die Machtverhältnisse ebenfalls undurchsichtig und instabil, so dass in diesem Bereich quasi-staatliche Strukturen nicht anzunehmen sind.

Neben den für diese paschtunisch geprägten Gebiete typischen Stammesfehden und den verstärkten Aktivitäten der mit den Taliban kooperierenden Hezb-e-Islami des radikalen paschtunischen Milizenführers Hekmatyar kommt es hier zu einer Destabilisierung durch die Reinfiltration von Taliban und Al-Qaida, die zwar von den etwa 18.000 Mann starken US- bzw. Anti-Terror-Streitkräften bekämpft werden (vgl. AA, Lagebericht Oktober 2004 S. 12), aber auf Grund des zur Stammesloyalität verpflichtenden Ehrenkodex "Paschtunwali" großen Rückhalt bei den paschtunischen Stammesführern finden. So ist schon davon die Rede, dass die Taliban im Osten und Süden Afghanistans wieder etwa 35 % des Landes kontrollieren, und zwar mit stillschweigender Billigung Karsais (vgl. Dr. Danesch an Sächs. OVG vom 24. Juli 2004 S. 10; Baraki, "Aus Politik und Zeitgeschichte", Beilage zu "Das Parlament" vom 22. November 2004 S. 24 ff.). Angesichts des teilweise trotzdem bestehenden Einflusses regierungstreuer Kräfte und sonstiger Lokalherrscher und der Bekämpfung durch die Anti-Terror-Streitkräfte kann aber nicht von stabilen und gesicherten regionalen Herrschaftsstrukturen der Taliban/Al-Qaida ausgegangen werden.

In den dargestellten, in weiten Bereichen in ihren früheren, vor der Eroberung durch die Taliban bestehenden Strukturen wiederhergestellten regionalen Herrschaftsgebieten kommt es nicht nur zu gezielt an asylerhebliche Merkmale anknüpfenden Übergriffen, wie etwa in Herat gegen Frauen und (vermeintliche) Oppositionelle und in den Nordprovinzen gegen die dortige Minderheit der Paschtunen, sondern diese regionalen Machtstrukturen sind auch autonom gegenüber der zentralen Übergangsregierung Karsais.

Zwar wird teilweise ein "eigenartiger Doppelcharakter der staatlichen Strukturen in Afghanistan" angenommen, weil zwar einerseits die Lokalherrscher und Kriegsfürsten überall im Lande ihre autonomen, quasi-staatlichen Herrschaftsstrukturen etabliert hätten, andererseits aber die Regierung Karsai den Großteil dieser Lokalherrscher legitimiert und in den Staat integriert habe (vgl. Dr. Danesch an Sächs. OVG vom 24. Juli 2004 S. 18); maßgeblich ist aber nicht auf die formale Legitimierung der Machtausübung, sondern nur auf die faktische, allerdings hinreichend stabilisierte Durchsetzbarkeit einer übergreifenden Herrschaftsgewalt abzustellen (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2001 a.a.O.).

Das aber ist für die Regierung unter Präsident Karsai landesweit (noch) nicht der Fall, so dass zwar die Frage nach der Existenz staatlicher und quasi-staatlicher Strukturen auf dem gesamten Territorium Afghanistans - nach Auffassung des Senats mit Ausnahme der etwa 35 % im Osten und Süden - zu bejahen ist (so Dr. Danesch a.a.O. S. 18), aber nicht im Sinne eines gesamtstaatlichen Gewaltmonopols der Zentralregierung, sondern (wieder) im Sinne des Bestehens mehrerer regionaler Machtbereiche. Die Zentralregierung verfügt nämlich nicht über die notwendigen Machtmittel, um auf die lokalen Machthaber und Kommandeure in den Provinzen praktisch Einfluss auszuüben (vgl. AA, Lagebericht Oktober 2004 S. 18 und 22). So besteht zwischen der noch im Aufbau befindlichen Nationalarmee mit ihrer "wirklichen" Truppenstärke von etwa 7.000 bis 8.300 Mann zu den von ihrem Armeechef geschätzten 100.000 Privatmilizionären der warlords ein Verhältnis "wie Maus und Elefant"; allein der bisherige Verteidigungsminister Fahim soll mit dem im Pandschir-Tal stationierten militärischen Arm der Jamiat-e-Islami über eine Privatarmee von etwa 30.000 Mann verfügen (vgl. Baraki a.a.O.). Hinzu kommt zum einen, dass Fahim auf die ihm als bisherigem Verteidigungsminister ebenfalls unterstehende Nationalarmee starken Einfluss nehmen kann und die Truppe und die unteren Offiziersränge mehrheitlich mit Tadschiken, darunter viele Männer aus seiner Privatarmee, besetzt hat, und zum anderen, dass die USA im Anti-Terror-Krieg die Truppen von Lokalherrschern "als Söldner" einsetzen und damit deren Stellung gegenüber der Zentralregierung stärken (vgl. Dr. Danesch a.a.O. S. 31 f.). Die auch durch ein Treffen am 23. Mai 2004 genährte Vermutung, Karsai müsse die Macht - "mit Rückendeckung der USA" - mit warlords und einem Teil der Taliban teilen, um selbst an der Macht zu bleiben (vgl. Baraki a.a.O.), erscheint deshalb nicht unberechtigt, wenn auch nicht zu verkennen ist, dass er durch die militärische und finanzielle Unterstützung aus dem Ausland, die Besetzung insoweit wichtiger Funktionen und auch durch seine "Hausmacht" im paschtunischen Süden nicht ohne Möglichkeiten ist, seine Machtstellung weiter zu stabilisieren und auszubauen, wozu auch schon die Regierungsneubildung nach den Präsidentschaftswahlen vom 9. Oktober 2004 gedient haben könnte.

Der Beigeladene zu 2. wäre im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan aber vor einer von diesen derzeitigen Machthabern ausgehenden oder von ihnen nicht verhinderten Verfolgung, die an seine frühere Verweigerung des Kriegsdienstes unter dem kommunistischen Regime oder an seine Teilnahme an Demonstrationen gegen die russische Besetzung oder an andere asylerhebliche Merkmale anknüpfen könnte, hinreichend sicher.

Zwar gibt es innerhalb und zwischen der Zentralregierung und den jeweiligen regionalen Herrschaftsstrukturen Rivalitäten, verdeckte und offene Feindschaften bis hin zu terroristischen Anschlägen und militärischen Auseinandersetzungen. Diese überwiegend fundamentalistisch-islamistischen Machthaber verbindet aber die langjährige Feindschaft gegenüber den verbittert bekämpften kommunistischen Regierungen Afghanistans und deren sowjetischen Verbündeten, so dass für keine dieser Gruppierungen ein Anlass bestehen könnte, gegen den Beigeladenen wegen seiner Kriegsdienstverweigerung oder wegen seiner Teilnahme an Demonstrationen gegen die russische Besetzung Verfolgungshandlungen vorzunehmen oder gezielt zu fördern oder zuzulassen; das gilt ebenso für seine tadschikische Volks- und seine schiitische Religionszugehörigkeit.

Dem Widerruf der Asylanerkennung des Beigeladenen zu 2. steht der lange Zeitablauf von fast 13 Jahren seit der Entmachtung des Regimes Nadschibullah im Jahre 1992 nicht entgegen, mit der die für die verwaltungsgerichtliche Annahme der ihm drohenden politischen Verfolgung maßgebliche kommunistische Herrschaftsmacht endgültig entfallen ist.

Ein als asylberechtigt Anerkannter wird nicht dadurch in seinen Rechten verletzt, dass das Bundesamt einen - ansonsten berechtigten - Widerruf der Asylanerkennung nicht "unverzüglich" ausspricht. Die Pflicht zum unverzüglichen Widerruf ist dem Bundesamt nicht im Interesse des einzelnen Ausländers als Adressaten des Widerrufsbescheides, sondern ausschließlich im öffentlichen Interesse an der alsbaldigen Beseitigung der ihm nicht (mehr) zustehenden Rechtsposition des anerkannten Asylberechtigten auferlegt. Angesichts der gesetzlichen Verpflichtung der Behörde zum Widerruf soll die bei Fehlen der Verfolgungsgefahr nicht länger gerechtfertigte Asylberechtigung im Interesse der alsbaldigen Entlastung der Bundesrepublik Deutschland als Aufnahmestaat unverzüglich beseitigt werden (vgl. u.a. BVerwG, Beschlüsse vom 27. Juni 1997 - 9 B 280/97 - NVwZ-RR 1997 S. 241 = juris und vom 25. Mai 1999 - 9 B 288/99 - juris). Eine in diesem Sinne langjährige Untätigkeit des Bundesamtes ist nicht geeignet, ein schutzwürdiges Vertrauen in den Bestand der Asylberechtigung zu begründen, weil das Asylgrundrecht - wie oben ausgeführt - keinen unveränderbaren Status verleiht, sondern von der Fortdauer der Verfolgungsgefahr abhängt.

Aus diesen Gründen folgt der Senat auch der obergerichtlichen Rechtsprechung, wonach die dem Vertrauensschutz dienende Vorschrift des § 48 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 49 Abs. 2 Satz 2 VwVfG über die für den Widerruf von Verwaltungsakten geltende Jahresfrist auf den Widerruf der Asylanerkennung nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG nach dem klaren Wortlaut dieser Vorschrift und ihrem eindeutig erkennbaren Gesetzeszweck nicht anwendbar ist. Zum einen enthält § 73 Abs. 1 AsylVfG keine der Regelung des § 49 Abs. 2 Satz 2 VwVfG entsprechende Bezugnahme auf die Vorschrift des § 48 Abs. 4 VwVfG. Zum anderen schreibt die spezialgesetzliche Regelung in § 73 Abs. 1 AsylVfG den Widerruf beim Vorliegen der Voraussetzungen zwingend vor und räumt der Behörde - abgesehen von dem nunmehr in Absatz 2 a geregelten Sonderfall - kein Ermessen ein, womit der Gesetzgeber eindeutig zu erkennen gegeben hat, dass die Asylanerkennung keinen Bestand haben soll, wenn die Verfolgungsgefahr nachträglich entfallen und damit eine Divergenz zwischen der formellen Rechtsposition des Ausländers und seiner materiellen Schutzbedürftigkeit entstanden ist (vgl. u.a. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 12. August 2003 - A 6 S 820/03 - InfAuslR 2003 S. 455 f. = juris; Sächs. OVG, Beschluss vom 1. Juli 2003 - A 3 B 503/02 - juris; Hamb. OVG, Urteil vom 20. Dezember 1993 a.a.O. juris S. 7 Rdnrn. 36 ff.).

Von einem Widerruf der Asylanerkennung des Beigeladenen zu 2. ist schließlich entgegen der entscheidungstragenden Begründung des angefochtenen verwaltungsgerichtlichen Urteils vom 5. Juli 2000 auch nicht etwa gemäß § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG mit der Begründung abzusehen, dass er sich bereits mehr als 24 Jahre in der Bundesrepublik Deutschland aufhält und ihm eine Rückkehr nach Afghanistan nicht zumutbar sein könnte, weil er dort mittel- und beistandslos wäre und ein ausreichender staatlicher Schutz allgemein nicht existiere (vgl. dazu auch VG Frankfurt am Main, Urteile vom 28. Oktober 1999 - 5 E 30435/99.A - AuAS 2000 S. 10 ff. und vom 22. Februar 2002 - 5 E 30748/99.A (3) - InfAuslR 2002 S. 371 f. jeweils = juris [LS]; Köfner/Nicolaus, Grundlagen des Asylrechts in der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, 1986, Anm. 8.3.2. S. 602 f.; Pfaff a.a.O. S. 228).

Diese Auslegung des unbestimmten, gerichtlich voll überprüfbaren Rechtsbegriffs der "zwingenden, auf früheren Verfolgungen beruhenden Gründe" in dem Ausschlusstatbestand des § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG ist weder systemgerecht noch durch die humanitäre Intention der insoweit wortgleichen Ausschlussregelung in Satz 2 der "Beendigungsklausel" des Art. 1 C Nr. 5 GK geboten.

Da es allein um die an den Wegfall der Verfolgungsgefahr anknüpfende Beendigung des Status der Asylberechtigung geht, erfasst diese Ausschlussklausel weder die Folgen einer langjährigen Verfestigung der Lebensverhältnisse des Asylberechtigten im Bundesgebiet mit einer dadurch bewirkten Entfremdung von seinem Herkunftsland noch dort zu erwartende wirtschaftliche oder gesellschaftliche Eingliederungsschwierigkeiten oder allgemeine Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit etwa infolge eines Bürgerkrieges oder einer schlechten Sicherheits- und Versorgungslage, weil diese Umstände nicht asyl-, sondern ausländer- bzw. aufenthaltsrechtlich zu berücksichtigen sind (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 12. Februar 1986 - A 13 S 77/85 - InfAuslR 1987 S. 91 <93>; OVG Rheinl.-Pf., Urteil vom 24. März 1992 - 6 A 10036/88 - juris S. 7 f. Rdnr. 41; Hamb. OVG, Urteil vom 20. Dezember 1993 a.a.O. juris S. 8 Rdnr. 46). Andernfalls würden Umstände zur Aufrechterhaltung des asylrechtlichen Status einzelner Ausländer führen, die keine individuelle politische Verfolgungsgefahr begründen und deshalb eine Asylanerkennung nicht rechtfertigen, sondern etwa für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis oder nur für die Anordnung eines generellen Abschiebestopps gemäß § 54 AuslG bzw. § 60 a Abs. 1 AufenthG oder für die Feststellung eines Abschiebungshindernisses (in verfassungskonformer Anwendung) gemäß § 53 Abs. 6 AuslG bzw. § 60 Abs. 7 AufenthG herangezogen werden könnten. Dementsprechend wird auch in Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention eine erfolgreiche Integration im Aufnahmestaat nicht als Grund für die Beibehaltung des Flüchtlingsstatus angesehen, sondern eine Lösung im Wege des nationalen Ausländer- bzw. Aufenthaltsrechts für zutreffend gehalten (vgl. Salomons/Hruschka a.a.O. S. 4). Da Art. 1 C Nr. 5 GK keine unmittelbar anwendbare Regelung über Rücknahme oder Widerruf der nationalen Flüchtlingsanerkennung trifft und es deshalb der eigenen Verantwortung des jeweiligen Vertragsstaates im Rahmen der konkreten Ausgestaltung des Personalstatus eines anerkannten Flüchtlings gemäß Art. 12 GK obliegt, eine entsprechende Aufhebungsregelung zu treffen, wie dies hier in § 73 AsylVfG erfolgt ist (vgl. u.a. OVG Sachs.-Anh., Beschluss vom 26. Juli 2004 - 1 C 270/04 - juris; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 16. März 2004 a.a.O.; a.A. Ton, ZAR 2004 S. 367 [369]), widerspricht es den völkerrechtlichen Vorgaben der Genfer Flüchtlingskonvention nicht, die Berücksichtigung verfolgungsunabhängiger Gesichtspunkte dem allgemeinen Ausländer- bzw. Aufenthaltsrecht vorzubehalten. Die Voraussetzungen für ein Absehen von einem Widerruf gemäß § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG einerseits und für die Gewährung von Abschiebungsschutz gemäß § 53 Abs. 6 AuslG bzw. § 60 Abs. 7 AufenthG unterscheiden sich deshalb - auch wenn sich die zu berücksichtigenden Umstände teilweise überschneiden - so wesentlich voneinander, dass sie voneinander zu trennen und gesondert zu prüfen sind (vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 28. Mai 2003 - 12 UZ 2805/02.A - InfAuslR 2003 S. 400 f.).

Deshalb ist zum einen die in Art. 1 C Nr. 5 GK in den Sätzen 1 und 2 angesprochene Schutzgewährleistung durch den Heimatstaat nur im Zusammenhang mit der im Rahmen des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG zu prüfenden - und hier verneinten - Gefahr individueller politischer Verfolgung, nicht dagegen in Bezug auf allgemeine Gefahren von Bedeutung (vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 6. August 2004 - 15 ZB 04.30565 - Asylis-Rspr.), so dass bei fehlenden Anhaltspunkten für eine gezielt an asylerhebliche Merkmale anknüpfende Verfolgungsgefährdung die vom UNHCR aufgestellten Erfordernisse ausreichend stabiler, funktionierender und gesicherter staatlicher Strukturen für die Annahme der "Beendigungsklausel" des Art. 1 C Nr. 5 Satz 1 GK dann nicht im Rahmen des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG, sondern allenfalls ausländer- bzw. aufenthaltsrechtlich prüfungsrelevant sind.

Zum anderen werden im Rahmen der Ausschlussklausel des § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG deshalb ausschließlich Gründe berücksichtigt, die ihre Ursache in einer früheren Verfolgung haben. Dazu gehören etwa psychische, traumatische Belastungen aus einem besonders schweren, nachhaltend wirkenden Verfolgungsschicksal, die es dem Betroffenen trotz einer inzwischen objektiv entfallenen Verfolgungsgefahr subjektiv unzumutbar erscheinen lassen, in den früheren Verfolgerstaat zurückzukehren. Damit soll den besonderen subjektiven Belastungen solcher Flüchtlinge Rechnung getragen werden, die schweren Formen der Verfolgung ausgesetzt waren; ob dies möglicherweise auch für andere schwerwiegende Belastungen gilt, die unmittelbar auf der früheren Verfolgung beruhen und denen der Flüchtling im Falle seiner Rückkehr in den Heimatstaat individuell ausgesetzt wäre, wie etwa einer nach wie vor feinseligen Haltung der Bevölkerung, einer völligen Zerschlagung seiner Familie oder seiner Existenzgrundlagen, ist in der Rechtsprechung bisher nicht abschließend entschieden (vgl. OVG Rheinl.-Pf., Urteil vom 24. März 1992 a.a.O. und Hamb. OVG, Urteil vom 20. Dezember 1993 a.a.O.) und kann auch vorliegend offen bleiben. Die hier vom Verwaltungsgericht für die Anwendung des § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG angeführten Gründe beruhen nämlich nur mittelbar auf dem Verfolgungsschicksal des Beigeladenen zu 2., nämlich dem dadurch bedingten langjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet, und stellen zum anderen typische Auswirkungen der allgemein schlechten Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan dar, so dass diese Gründe jedem Rückkehrer nach einem langen Auslandsaufenthalt und bei schlechten Verhältnissen im Heimatland unabhängig von der Schwere einer eventuellen Vorverfolgung drohen (vgl. zur Berücksichtigung der fehlenden Kausalität zwischen der früheren Verfolgung und den für eine Rückkehr bedeutsamen Umständen: OVG Schl.-Holst., Urteil vom 16. Juni 2004 - 2 LB 54/03 - a.a.O.). Weder in § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG noch in Art. 1 C Nr. 5 Satz 2 GKG sind aber allgemeine Zumutbarkeitskriterien für Rückkehrer enthalten (vgl. Salomons/Hruschka a.a.O. S. 6).

Da nach alledem der Gewährung von Familienasyl an den Beigeladenen zu 1. die Vorschrift des § 26 Abs. 2 i.V.m. § 73 Abs. 1 AsylVfG entgegensteht, ist auf die Berufung des Bundesbeauftragten der Asylanerkennungsbescheid des Bundesamtes vom 23. Juni 1999 unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 5. Juli 2000 aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 83 b AsylVfG, § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 i.V.m. § 154 Abs. 3 VwGO, die Entscheidungen über deren vorläufige Vollstreckbarkeit und über die Abwendungsbefugnis auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Zulassung der Revision ist gemäß § 132 Abs. 2 VwGO wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Frage zuzulassen, ob die Voraussetzungen für ein Absehen von einem Widerruf gemäß § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG wegen einer langjährigen Integration im Bundesgebiet und/oder wegen allgemeiner Gefahren auf Grund einer unzureichenden Sicherheits- und Versorgungslage im Herkunftsstaat angenommen werden können.

Ende der Entscheidung

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