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Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 16.08.2000
Aktenzeichen: 9 TG 2206/00
Rechtsgebiete: AuslG, DVAuslG


Vorschriften:

AuslG § 70 Abs. 4 S. 1
AuslG § 70 Abs. 4 S. 2
DVAuslG § 25
Mit dem von dem Ausländer gemäß § 70 Abs. 4 Satz 1 AuslG geforderten persönlichen Erscheinen bei der Auslandsvertretung seines Heimatlandes zum Zwecke der Beantragung und Ausstellung eines Passes oder Passersatzdokumentes sind weitergehende Mitwirkungspflichten, wie etwa die Abgabe von Erklärungen, nicht verbunden und können folglich im Rahmen von Zwangsmaßnahmen nach § 70 Abs. 4 Satz 2 AuslG nicht durchgesetzt werden.

Ist zur Ausstellung eines für die Rückkehr des Ausländers erforderlichen Passes oder Passersatzdokumentes durch die Auslandsvertretung des Heimatstaates ein über das bloße Erscheinen des Ausländers bei seiner Auslandsvertretung hinaus gehendes Verhalten erforderlich und weigert sich der Betreffende, diese Mitwirkungsleistung zu erbringen, muss die Ausländerbehörde die erforderliche Mitwirkung zunächst erzwingen, bevor sie - zusätzlich - das persönliche Erscheinen des Ausländers bei der Auslandsvertretung anordnet.

Die Durchsetzung dieser Mitwirkungspflicht ist auf der Grundlage von § 25 Nr. 1 bis 3 DVAuslG möglich. Diese Vorschriften verlangen von dem Ausländer bei sachgerechtem Verständnis nicht nur die Stellung eines Erteilungs- oder Verlängerungsantrages als solchen, sondern darüber hinaus die Abgabe der für die Neuerteilung bzw. Verlängerung notwendigen Erklärungen.


Gründe:

Die von dem Senat zugelassene und auch im Übrigen zulässige Beschwerde des Antragstellers hat Erfolg und führt unter Abänderung der Entscheidung erster Instanz zur Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 19. August 1999 gegen die Verfügung der Ausländerbehörde des Main-Kinzig-Kreises vom 2. August 1999.

Der von dem Antragsteller gestellte Eilantrag ist - wie auch die Vorinstanz zutreffend festgestellt hat - gemäß § 80 Abs. 5 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Es ist hierbei davon auszugehen, dass Gegenstand des Aussetzungsverfahrens allein die Verfügung vom 2. August 1999 und der hiergegen gerichtete Widerspruch des Antragstellers vom 19. August 1999 ist. Durch die vorgenannte ausländerbehördliche Verfügung wurde unter Beibehaltung der Anordnungen in Nummern 1 bis 3 der früheren Verfügung der Behörde vom 19. April 1999 (Anordnung zur Vorsprache bei dem algerischen Generalkonsulat zur Beantragung und Ausstellung eines Nationalpasses oder Passersatzdokuments, Anordnung zur Vorlage einer Bescheinigung über die Vorsprache) deren sofortige Vollziehung angeordnet und die Fristen zur Befolgung der genannten Anordnungen verlängert. Damit wurde die frühere Verfügung vom 19. April 1999 in vollem Umfange ersetzt. Hinsichtlich der Anordnung zur persönlichen Vorsprache bei dem algerischen Generalkonsulat und zur Beibringung einer Bescheinigung über die erfolgte Vorsprache ist der Aussetzungsantrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des hiergegen erhobenen Widerspruchs gerichtet. Bei diesen Verfügungen handelt es sich nämlich nicht um Maßnahmen in der Verwaltungsvollstreckung, die gemäß §§ 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO, 16 HessAGVwGO kraft Gesetzes vorläufig vollstreckbar sind, sondern um Verwaltungsakte, die zu ihrer sofortigen Vollziehung einer entsprechenden - im vorliegenden Fall auch erfolgten - Anordnung nach § 80 Abs. 4 Nr. 4 VwGO bedürfen (vgl. Gemeinschaftskommentar zum Ausländerrecht, Rdn. 71 zu § 70 AuslG).

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers ist, soweit er sich gegen die von ihm verlangte Vorsprache bei dem algerischen Generalkonsulat zum Zwecke der Beantragung und Ausstellung eines Nationalpasses oder Passersatzdokuments und zur Vorlage einer Bescheinigung über die erfolgte Vorsprache richtet, deshalb wiederherzustellen, weil sich diese Anordnungen schon bei überschlägiger Überprüfung im vorliegenden Eilverfahren als offensichtlich rechtswidrig darstellen. Damit überwiegt das private Interesse des Antragstellers, von einer Vollziehung dieser Anordnungen verschont zu bleiben, denn an dem Vollzug offensichtlich rechtswidriger Verwaltungsakte kann kein überwiegendes öffentliches Interesse bestehen.

Die Ausländerbehörde hat die an den Antragsteller gerichtete Forderung, persönlich bei dem algerischen Generalkonsulat in Berlin zur Beantragung eines Nationalpasses oder Passersatzdokumentes vorzusprechen und sich diese Vorsprache durch eine Bescheinigung nachweisen zu lassen, auf § 70 Abs. 4 AuslG gestützt. Danach kann das persönliche Erscheinen des Ausländers bei der zuständigen Behörde sowie den Vertretungen des Staates, dessen Staatsangehörigkeit er vermutlich besitzt, angeordnet werden, soweit es zur Vorbereitung und Durchführung von Maßnahmen nach dem Ausländergesetz und nach ausländerrechtlichen Bestimmungen in anderen Gesetzen erforderlich ist. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Entgegen der Ansicht der Ausländerbehörde und des Verwaltungsgerichts ist die an den Antragsteller ergangene Anordnung, persönlich bei der Auslandsvertretung seines Heimatstaates zum Zwecke der Beantragung der für die Rückkehr erforderlichen Ausweisdokumente vorzusprechen und diese Vorsprache durch Vorlage einer Bescheinigung zu belegen, nicht im Sinne der oben genannten Bestimmung erforderlich, um ausländerrechtliche Maßnahmen durchführen oder in die Wege leiten zu können.

Erforderlich ist eine auf § 70 Abs. 4 Satz 1 AuslG gestützte Anordnung der Ausländerbehörde als Maßnahme der Gefahrenabwehr nur bei Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (vgl. § 4 HSOG). Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet zum einen, dass die ausländerbehördliche Anordnung für den Ausländer zumutbar sein muss. Dieser Forderung ist etwa dann nicht genügt, wenn der Ausländer durch die persönliche Vorsprache bei der Auslandsvertretung seines Heimatstaates im Falle der Rückkehr der Gefahr einer politischen Verfolgung oder der Gefahr sonstiger Repressalien ausgesetzt würde (vgl. Gemeinschaftskommentar zum Ausländerrecht, Rdn. 71 zu § 70 AuslG). Aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz folgt darüber hinaus das Erfordernis der Geeignetheit der Maßnahme. Als geeignet stellt sich die getroffene Maßnahme nur dann dar, wenn hierdurch die Gefahrenlage (im vorliegenden Fall die Unmöglichkeit der Abschiebung des Antragstellers wegen des Fehlens der erforderlichen Rückreisedokumente) entweder unmittelbar beseitigt werden kann oder wenn die Anordnung zumindest einen Schritt in Richtung auf die Ausräumung der Gefahrensituation darstellt. Ungeeignet und damit nicht erforderlich im oben genannten Sinne ist die getroffene Maßnahme mithin dann, wenn sie mit Blick auf das ins Auge gefasste Ziel untauglich ist (vgl. HessVGH, Beschluss vom 20. März 1986 - 7 TH 455/86 -, DÖV 1987, 260).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze erweisen sich die genannten Anordnungen der Ausländerbehörde Main-Kinzig-Kreises deshalb als fehlerhaft, weil diese Maßnahmen untauglich sind, das hiermit angestrebten Ziel, nämlich die Ausstellung der für die Rückkehr des Antragstellers nach Algerien benötigten Dokumente durch das algerische Generalkonsulat, zu erreichen.

Mit dem von der Ausländerbehörde geforderten persönlichen Erscheinen des Antragstellers bei dem algerischen Generalkonsulat allein lässt sich das angestrebte Ziel der Ausstellung eines Passes oder Passersatzdokumentes unmittelbar nicht erreichen. Die Beteiligten und auch das Verwaltungsgericht gehen davon aus, dass allein die Anwesenheit des Antragstellers bei der Auslandsvertretung für die Ausstellung der notwendigen Ausweisdokumente nicht ausreichen wird, sondern dass hierfür eine Antragstellung und ggf. nähere Erläuterungen durch den Antragsteller erforderlich sind. Zu dieser Mitwirkung ist der Antragsteller, wie er im Verlaufe des Rechtsmittelverfahrens erneut bekräftigt hat, aber gerade nicht bereit.

Diese im vorliegenden Fall für die Ausstellung der Dokumente notwendigen weiteren Mitwirkungspflichten sind mit dem angeordneten persönlichen Erscheinen bei der Auslandsvertretung des Heimatstaates gemäß § 70 Abs. 4 Satz 1 AuslG nicht verbunden und könnten folglich bei Weigerung des Antragstellers, gegenüber dem algerischen Generalkonsulat die für die Passausstellung erforderlichen Erklärungen abzugeben bzw. dieser Stelle gegenüber die sonstigen für den Erhalt der Dokumente notwendigen Mitwirkungshandlungen zu erbringen, auch nicht gemäß § 70 Abs. 4 Satz 2 AuslG zwangsweise durchgesetzt werden ( vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Rdnr. 45 zu § 70 AuslG; Gemeinschaftskommentar zum Ausländerrecht, Rdnr. 72 zu § 70 AuslG). Bei der Durchführung der in der Verfügung angedrohten zwangsweisen Vorführung könnte der Antragsteller mithin nicht veranlasst werden, bei dem Generalkonsulat einen Antrag zu stellen und dort die für die Bearbeitung des Antrags notwendigen Erklärungen abzugeben (vgl. auch § 52 Abs. 2 HSOG, wonach unmittelbarer Zwang zur Abgabe einer Erklärung ausgeschlossen ist).

Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts kann die Anordnung des persönlichen Erscheinens auch nicht zumindest dazu beitragen, dass dem Antragsteller nach der ggf. erzwungenen Vorsprache bei dem algerischen Generalkonsulat die notwendigen Ausweispapiere ausgestellt werden. Hinweise darauf, dass sich der Antragsteller unter dem Eindruck der an ihn ergangenen Verfügung doch noch dazu entschließen könnte, den Antrag auf Ausstellung eines Passes oder Passersatzes zu stellen und die hierfür erforderlichen Erklärungen abzugeben, liegen nicht vor. Worauf die Vorinstanz ihre gegenteilige Erwartung stützt, der Antragsteller könne womöglich sein bisheriges "Blockadeverhalten" doch noch aufgeben, ist mangels entsprechender Begründung nicht erkennbar.

Eine Anordnung nach § 70 Abs. 4 Satz 1 AuslG ist in Fällen der vorliegenden Art demnach - allein - nur dann sinnvoll und im Sinne dieser Bestimmung erforderlich zur Vorbereitung und Durchführung ausländerrechtlicher Maßnahmen, wenn der Ausländer grundsätzlich zur Mitwirkung bei der Beschaffung der Rückreisedokumente bereit ist und sich lediglich aus unsachlichen Gründen weigert, bei seiner Auslandsvertretung vorzusprechen oder wenn das persönliche Erscheinen des Ausländers bei der Auslandsvertretung ausnahmsweise genügt, um diese zur Ausstellung der Dokumente zu veranlassen (etwa, wenn nur noch eine Feststellung der Identität anhand von Fotografien notwendig ist).

Ist dagegen, wie im Falle des Antragstellers, ein über das bloße Erscheinen des Ausländers bei seiner Auslandsvertretung hinaus gehendes Verhalten erforderlich und weigert sich der Betreffende, diese Mitwirkungsleistung zu erbringen, muss die Ausländerbehörde die erforderliche Mitwirkung zunächst erzwingen, bevor sie - zusätzlich - das persönliche Erscheinen des Ausländers bei der Auslandsvertretung anordnet.

Die Durchsetzung dieser Mitwirkungspflicht ist auf der Grundlage von § 25 Nr. 1 bis 3 DVAuslG möglich. Danach hat der Ausländer unverzüglich einen Pass oder einen Ausweisersatz zu beantragen, wenn er keinen Pass besitzt oder der vorhandene Pass aus anderen Gründen als dem Ablauf der Gültigkeit ungültig geworden ist, bzw. rechtzeitig vor Ablauf der Gültigkeit des Passes dessen Verlängerung, einen neuen Pass oder einen Ausweisersatz zu beantragen. Diese Vorschriften verlangen von dem Ausländer bei sachgerechtem Verständnis nicht nur die Stellung eines Erteilungs- oder Verlängerungsantrages als solchen, sondern darüber hinaus die Abgabe der für die Neuerteilung bzw. Verlängerung notwendigen Erklärungen (vgl. zum Ganzen bereits Beschluss des Senats vom 21. Juni 2000 - 9 TZ 4036/99 -).

Da die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die von der Ausländerbehörde getroffenen Anordnungen zum persönlichen Erscheinen bei der Auslandsvertretung und zum Nachweis der persönlichen Vorsprache wieder hergestellt wird, ist auch das für den Fall der Nichtbefolgung dieser Verfügungen angedrohte Zwangsmittel außer Vollzug zu setzen.

Der Antragsgegner hat als unterlegener Beteiligter die Kosten des gesamten Verfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 1 VwGO).

Die Entscheidung über die Festsetzung des Streitwertes für das Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 14 Abs. 1, 13 Abs. 1 Satz 2, 20 Abs. 3 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).



Ende der Entscheidung

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