Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 20.12.2006
Aktenzeichen: 9 UE 1572/06
Rechtsgebiete: BauGB, HBO, HVwVfG


Vorschriften:

BauGB § 36 Abs. 2
HBO § 57 Abs. 2
HVwVfG § 28
Zur Frage des Vorliegens eines wichtigen Grundes für die Verlängerung der dreimonatigen Entscheidungsfrist des § 57 Abs. 2 HBO durch die Baugenehmigungsbehörde in einem Fall, in dem die Gemeinde ihr Einvernehmen verweigert hat und die Genehmigungsbehörde ihr zur Wahrung rechtlichen Gehörs Gelegenheit geben will, diese Entscheidung noch einmal zu überdenken.
HESSISCHER VERWALTUNGSGERICHTSHOF BESCHLUSS

9 UE 1572/06

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Baurechts

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 9. Senat - durch

Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Dr. Teufel, Richter am Hess. VGH Prof. Dr. Fischer, Richter am Hess. VGH Seggelke,

am 20. Dezember 2006

beschlossen:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Darmstadt vom 29. Mai 2006 - 2 E 935/05 (2) - wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Berufungsverfahren sowie für das Klageverfahren erster Instanz - insoweit unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Darmstadt vom 5. April 2006 - endgültig auf jeweils 116.250,-- Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Kläger ist Eigentümer des im Stadtgebiet der Beigeladenen in der Gemarkung D., Flur ......, Flurstück 338/1 gelegenen Grundstücks Odenwaldstraße .......

Im März 2004 beschloss die Stadtverordnetenversammlung der Beigeladenen die Aufstellung des Bebauungsplans "Odenwaldstraße". Ziel der Planung sollte es sein, das Baugebiet als Gewerbegebiet festzusetzen. Darüber hinaus sollten weitere Einzelhandels- und Lebensmittelmärkte, die in einem Gewerbegebiet grundsätzlich zulässig wären, ausgeschlossen werden, da in diesem Gebiet bereits eine ausreichende Versorgung mit Einzelhandels- und Lebensmittelmärkten bestehe.

Mit am 18. August 2004 eingegangenem Antrag beantragte der Kläger beim Beklagten die Baugenehmigung für den Neubau eines Lebensmitteldiscounters (Plus-Markt) auf dem oben genannten Grundstück.

Diesen Antrag legte der Beklagte mit Begleitschreiben vom 19. August 2004 der Beigeladenen mit der Bitte um Stellungnahme innerhalb eines Monats vor.

In ihrer Stellungnahme vom 22. September 2004, beim Beklagten eingegangen am 24. September 2004, verwies die Beigeladene darauf, dass das Vorhaben in einem Bereich liege, für den die Aufstellung eines Bebauungsplans beschlossen sei, dessen Festsetzungen es nicht entspreche. Die Beigeladene beantrage daher die Zurückstellung des Baugesuches gemäß § 15 Abs. 1 BauGB.

Mit weiterem Schreiben vom 18. Oktober 2004, beim Beklagten eingegangen am 20. Oktober 2004, versagte die Beigeladene ihr nach § 36 Abs. 1 BauGB erforderliches Einvernehmen und verwies erneut auf den in Aufstellung begriffenen Bebauungsplan, dessen Ziel es sei, dass Gewerbegebiete festzuschreiben und das Ansiedeln weiterer Verkaufsflächen mit Supermarktcharakter auszuschließen.

Daraufhin teilte der Beklagte der Beigeladenen unter dem 1. November 2004 mit, dass sich das Vorhaben nach seiner Einschätzung in die umgebende Bebauung einfüge. Er bitte die Beigeladene daher, ihre Einschätzung zu überdenken. Für den Fall, dass sie bei ihrer Auffassung bleiben sollte, werde er eine Ersetzung des Einvernehmens prüfen.

Ebenfalls unter dem 1. November 2004 bestätigte der Beklagte dem Kläger die Vollständigkeit des am 18. August 2004 eingegangenen Bauantrages und verwies darauf, dass die Beigeladene das für die Erteilung der Baugenehmigung notwendige Einvernehmen verweigert habe. Da die Bauaufsichtsbehörde des Beklagten die Auffassung vertrete, das Vorhaben füge sich planungsrechtlich in die nähere Umgebung ein, sei die Beigeladene gebeten worden, ihre Haltung zu überdenken. Die Frist für die Erteilung des Bescheids werde daher gemäß § 57 Abs. 2 HBO um zwei Monate, bis zum 18. Januar 2005 verlängert.

Am 16. November 2004 erließ die Beigeladene eine Veränderungssperre für den Geltungsbereich des in Aufstellung befindlichen Bebauungsplans "Odenwaldstraße".

Mit Schreiben vom 29. November 2004 legte der Kläger Widerspruch gegen das Schreiben des Beklagten vom 1. November 2004, mit dem die Frist für die Bescheidung des Bauantrages gemäß § 57 Abs. 2 HBO um zwei Monate verlängert worden war.

Auf diesen Widerspruch teilte der Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 2. Dezember 2004 u. a. folgendes mit:

"Im Zuge der Bearbeitung des Bauantrags wurde in die Stadt Groß-Gerau als Träger der Planungshoheit mit Schreiben vom 19.08.2004 zur Abgabe einer Stellungnahme aufgefordert. Ferner wurde um Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens nach § 36 Abs. 2 BauGB ersucht, da das Vorhaben in einem unbeplanten Innenbereich (§ 34 BauGB) ausgeführt werden sollte. Mit Stellungnahme vom 18.10.2004 versagte die Stadt Groß-Gerau das notwendige Einvernehmen und wies auf einen Aufstellungsbeschluss vom 23.03.2004 für einen Bebauungsplan mit der Bezeichnung "Odenwaldstraße" hin. Ziel dieses Bebauungsplans sei die Ausweisung eines Gewerbegebietes unter Ausschluss der Ansiedlung weiterer Verkaufsläden mit Supermarktcharakter.

Aufgrund des verweigerten gemeindlichen Einvernehmens zu dem am 18.08.2004 vollständig vorliegenden Bauantrag hätte der Antrag darauf hin abgelehnt werden müssen. Um Ihrem Mandanten entgegen zu kommen, verzichtete die Bauaufsichtsbehörde zunächst auf den Erlass eines negativen Bescheides und verlängerte die Entscheidungsfrist gemäß § 57 Abs. 2 HBO aus wichtigem Grund. Dieser wichtige Grund lag darin begründet, dass die Bauaufsichtsbehörde ein Einfügen des Vorhabens in die nähere Umgebung für gegeben ansah und damit die Verweigerung des Einvernehmens rechtswidrig wäre. Im Rahmen der Prüfung, ob das gemeindliche Einvernehmen gegebenenfalls zu ersetzen wäre, wurde die Stadt Groß-Gerau mit Anhörungsschreiben vom 01.11.2004 auf die rechtliche Einschätzung der Bauaufsicht hingewiesen und gebeten, bis zum 01.12.2004 ihre Stellungnahme vom 18.10.2004 zu überdenken.

Mit Schreiben vom 26.11.2004 legte die Stadt Groß-Gerau nun den Beschluss vom 23.11.2004 über den Erlass einer Veränderungssperre für den Bereich des künftigen Bebauungsplanes "Odenwaldstraße" vor. Die Satzung wurde am 25.11.2004 amtlich bekannt gemacht und trat am 26.11.2004 in Kraft. U.a. Ziel der Veränderungssperre ist es sicherzustellen, dass künftig keine weiteren Einzelhandels- und Lebensmittelmärkte mehr in dem Plangebiet entstehen, da bereits eine ausreichende Versorgung besteht. Ferner würde die Zulassung eines weiteren Marktes auch den im Rahmen des bestehenden Einzelhandelskonzeptes festgeschriebenen Planungsabsichten der Stadt Groß-Gerau im Hinblick auf das Gewerbegebiet "GG 08" widersprechen.

Nach derzeitigem Stand der Dinge wäre daher der Bauantrag aufgrund des § 14 BauGB abzulehnen. Alternativ käme eine kostengünstigere Rücknahme durch den Antragsteller in Betracht. Sollten uns bis zum 07.01.2005 keine Begründung oder aber Rücknahme des Widerspruchs vorliegen, werden wir den Widerspruch an den Anhörungsausschuss über Widersprüche zur weiteren Bearbeitung weiterleiten. Wäre der Bauantrag bis dahin nicht zurückgenommen, würde ein Ablehnungsbescheid ergehen. Die in der Satzung vorgesehene Zulassung einer Ausnahme (..... wenn überwiegende öffentliche Belange nicht entgegenstehen ....) von der Veränderungssperre erscheint aufgrund der Haltung der Stadt ausgeschlossen."

Den Widerspruch des Klägers wies das Regierungspräsidium Darmstadt mit Widerspruchsbescheid vom 22. April 2005 als unzulässig zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Verlängerung der Entscheidungsfrist nach § 57 Abs. 2 HBO stelle keinen Verwaltungsakt dar. Der Maßnahme fehle es an der für die rechtliche Qualifizierung als Verwaltungsakt notwendigen Voraussetzung einer unmittelbaren Rechtswirkung nach außen. Durch die Verlängerung der Bearbeitungsfrist werde in der Sache, d.h. über den vom Kläger gestellten Bauantrag, nicht entschieden.

Bereits zuvor hatte der Beklagte den Bauantrag des Klägers mit Bescheid vom 12. Januar 2005 abgelehnt, weil dem Vorhaben öffentlich-rechtlich Vorschriften entgegenstünden. Zur Begründung wurde auf die von der Beigeladenen erlassene Veränderungssperre sowie darauf hingewiesen, dass eine Ausnahme zu Gunsten des Klägers im Hinblick auf das fehlende Einvernehmen der Beklagten nicht in Betracht komme. Das vom Kläger hiergegen eingeleitete Widerspruchsverfahren ruht derzeit.

Am 27. Mai 2005 erhob der Kläger Klage gegen die Verlängerung der Entscheidungsfrist nach § 57 Abs. 2 HBO und beantragte, den Bescheid des Beklagten vom 1. November 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Darmstadt vom 22. April 2005 aufzuheben. Er ist der Auffassung, der Beklagte hätte die Entscheidungsfrist nicht gemäß § 57 Abs. 2 HBO verlängern dürfen, ein wichtiger Grund hierfür liege nicht vor. Nach dem Willen des Gesetzgebers habe die Bauaufsichtsbehörde eine Frist von drei Monaten, um über einen Bauantrag, der vollständig bei ihr eingegangen sei, endgültig zu entscheiden. Für die Fälle, in denen sie auf die Mitwirkung anderer Behörden und Entscheidungsträger angewiesen sei, stelle § 57 Abs. 2 HBO eine rechtliche Möglichkeit zur Verfügung, um den gesetzlich vorgeschriebenen Mitwirkungserfordernissen Rechnung zu tragen und gleichzeitig das Eintreten der vorgesehenen Fiktion zu verhindern. Kennzeichnend für diese Fälle einer Verlängerung der Entscheidungsfrist sei die fehlende Möglichkeit eines Einflusses der Bauaufsichtsbehörde auf die Mitwirkung der zu beteiligenden Behörden. Der "wichtige Grund" müsse also außerhalb der Einflusssphäre der Bauaufsichtsbehörde liegen. Im vorliegenden Fall sei indes zu berücksichtigen, dass eine rechtswidrig verweigertes gemeindliches Einvernehmen in jedem Fall gemäß § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB durch die Bauaufsichtsbehörde ersetzt werden könne. Dies habe zur Folge, dass für eine Verlängerung der Bearbeitungsfrist kein Raum sei, da die Bauaufsichtsbehörde selbst in der Lage sei, das Eintreten der Fiktion durch eine eigene Entscheidung zu verhindern. Habe die Gemeinde ihr Einvernehmen rechtmäßig versagt, so sei der Bauantrag umgehend abzulehnen, ohne dass es einer weiteren Bearbeitungsfrist bedürfe. Im Falle einer rechtswidrigen Versagung des gemeindlichen Einvernehmens, bedürfe es ebenfalls keiner Fristverlängerung, um eine Abstimmung zwischen den Behörden herbeizuführen. Die Bauaufsicht könne vielmehr aus eigener Legitimation das fehlende Einvernehmen der Gemeinde ersetzen. Der Beklagte sei im vorliegenden Fall, wie sich aus den Akten und Bescheiden ergebe, zum Zeitpunkt der Fristverlängerung nach eigener fachlicher Prüfung der Überzeugung gewesen, dass das geplante Vorhaben gemäß § 34 BauGB zulässig sei. Diese Auffassung sei zutreffend und werde bis heute von dem Beklagten auch nicht bestritten. Er hätte also ohne weitere Prüfung das gemeindliche Einvernehmen ersetzen können. Jede andere Entscheidung wäre rechtswidrig gewesen. Hieraus folge zugleich, dass die Verlängerung der Bearbeitungsfrist gemäß § 57 Abs. 2 HBO rechtswidrig gewesen sei.

Das Verwaltungsgericht wies den Kläger darauf hin, dass es dazu neige, die Verlängerung der Entscheidungsfrist des § 57 Abs. 2 HBO als behördliche Verfahrenshandlung im Sinne des § 44a VwGO anzusehen, die nicht isoliert angefochten werden könne. Möglich sein dürfte aber - so das Verwaltungsgericht - eine auf die Feststellung gerichtete Klage, dass die beantragte Baugenehmigung gemäß § 57 Abs. 2 Satz 3 HBO fiktiv als erteilt gelte.

Der Kläger beantragte sodann,

festzustellen, dass die von ihm am 16. Auguste 2004 beantragte Baugenehmigung gemäß § 57 Abs. 2 Satz 3 HBO 2002 fiktiv als erteilt gelte.

Der Beklagte beantragte,

die Klage abzuweisen. Nach seiner Auffassung habe für die Verlängerung der Entscheidungsfrist ein wichtiger Grund vorgelegen. Ein derartiger Grund könne darin gesehen werden, dass eine andere Behörde, auf deren Einvernehmen es ankomme, das Vorhaben ablehne. Er, der Beklagte, sei seinerzeit davon ausgegangen, dass die für die Haltung der Beigeladenen maßgeblichen Gründe ausräumbar seien. Auch vor dem Hintergrund des § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB habe er es für angezeigt gehalten, die Beigeladene vor einer Entscheidung anzuhören und mit seinen Bedenken zu konfrontieren.

Die Beigeladene wies mit näherer Begründung darauf hin, dass im Falle eines stattgebenden Urteils ihre Planungsabsichten vereitelt würden.

Mit am 29. Mai 2006 beratenem, im schriftlichen Verfahren ergangenem Urteil wies das Verwaltungsgericht die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, die Verlängerung der Bearbeitungsfrist des § 57 Abs. 2 Satz 2 HBO sei zu Recht erfolgt. Die Erteilung einer Baugenehmigung setze in den Fällen des § 34 BauGB grundsätzlich das gemeindliche Einvernehmen voraus. Werde dieses Einvernehmen rechtswidrig verweigert, könne es durch die untere Bauaufsichtsbehörde gemäß § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB ersetzt werden. Das gemeindliche Einvernehmen gelte nach § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB als erteilt, wenn es nicht binnen zwei Monaten nach Eingang des Ersuchens der Baugenehmigungsbehörde gegenüber verweigert werde. Mit am 20. Oktober 2004 bei dem Beklagten eingegangenem Formblatt habe die Beigeladene sodann unter voller Ausschöpfung der ihr zur Verfügung stehenden Frist ihr Einvernehmen verweigert. Der Kläger könne sich nicht mit Erfolg darauf berufe, dass die Verweigerung des gemeindlichen Einvernehmens rechtswidrig gewesen sei und eine Ersetzung des Einvernehmens durch die untere Bauaufsichtsbehörde hätte erfolgen müssen. Denn die Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens stelle einen Eingriff in das verfassungsrechtliche geschützte Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden dar. Vor einem derartigen Eingriff, der gegenüber der betroffenen Gemeinde einen Verwaltungsakt darstellen würde, hätte die Beigeladene angehört werden müssen. Vor diesem Hintergrund erscheine es nachvollziehbar, dass der Beklagte die Frist gemäß § 57 Abs. 2 Satz 2 HBO verlängert habe. Dem Kläger sei zwar grundsätzlich darin beizupflichten, dass Sinn und Zweck der Vorschrift des § 57 Abs. 2 Satz 2 HBO darin bestünden, das Baugenehmigungsverfahren im Interesse des Bauwilligen zu beschleunigen. Der Gesetzgeber gehe grundsätzlich davon aus, dass eine Frist von drei Monaten ausreichend sei, um die notwendigen Prüfungen, einschließlich etwaiger Beteiligungen anderer Behörden, zu bewerkstelligen. Erweise sich diese Regelvermutung aber als unzutreffend, stehe es im Ermessen der Bauaufsichtsbehörde, die Entscheidungsfrist zu verlängern. Hiervon habe der Beklagte in rechtlich nicht zu beanstandender Weise Gebrauch gemacht. Selbst wenn man davon ausginge, dass die Beigeladene ihr Einvernehmen offenkundig rechtswidrig verweigert habe, führe dies zu keiner anderen rechtlichen Beurteilung. Auch in diesem Falle hätte dies nicht die sofortige Ersetzung des Einvernehmens durch den Beklagten gerechtfertigt, ohne der Beigeladenen zuvor die Möglichkeit zu geben, auf rechtliche Bedenken der Bauaufsichtsbehörde zu reagieren.

Gegen dieses ihm am 30. Mai 2006 zugestellte Urteil hat der Kläger am 30. Juni 2006 die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung eingelegt. In der am 31. Juli 2006 eingegangenen Berufungsbegründung wiederholt und vertieft er im Wesentlichen sein Vorbringen im Verfahren erster Instanz.

Er beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Darmstadt vom 29. Mai 2006 abzuändern und festzustellen, dass die von ihm am 16. August 2004 bei dem Beklagten beantragte Baugenehmigung gemäß § 57 Abs. 2 Satz 3 HBO fiktiv als erteilt gelte.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt - ebenso wie die Beigeladene - das angefochtene Urteil und wiederholt und vertieft im Übrigen im Wesentlichen sein Vorbringen im Verfahren erster Instanz.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der dem Senat vorliegenden Behördenvorgänge ergänzend Bezug genommen.

II.

Die Berufung des Klägers gegen das seine Feststellungsklage abweisende erstinstanzliche Urteil ist vom Verwaltungsgericht zugelassen worden (§ 124 Abs. 1 VwGO) und auch im Übrigen zulässig.

Das Rechtsmittel bleibt indes in der Sache erfolglos, weil das Verwaltungsgericht die Klage zu Recht abgewiesen hat. Der Senat trifft diese Entscheidung nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss, da er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (§ 130a VwGO).

Die Zulässigkeit der vom Kläger erhobenen Feststellungsklage begegnet allerdings keinen Bedenken. Dem Kläger ist ersichtlich an der Klärung der Frage gelegen, ob die Genehmigung seines am 18. August 2004 beim Beklagten gestellten Bauantrags wegen Ablaufs der in § 57 Abs. 2 Satz 2 HBO genannten Dreimonatsfrist als erteilt gilt. Er stellt damit einen zwischen ihm und dem Beklagten streitiges Rechtsverhältnis zur gerichtlichen Entscheidung, so dass die Feststellungsklage des § 43 Abs. 1 VwGO die statthafte Klageart darstellt, für die dem Kläger auch ein Rechtsschutzinteresse zur Seite steht.

Die Feststellungsklage erweist sich indes als unbegründet, da die untere Bauaufsichtsbehörde des Beklagten die in § 57 Abs. 2 HBO geregelte Frist von drei Monaten, die mit - zwischen den Beteiligten unstreitigem - Eingang des vollständigen Bauantrages am 18. August 2004 zu laufen begann und daher am 18. November 2004 abgelaufen wäre, bis zum 18. Januar 2004 gemäß § 57 Abs. 2 Satz 2, zweiter Halbsatz, HBO verlängert hat.

Diese unter dem 1. November 2004 ergangene Entscheidung des Beklagten, der das Verwaltungsgericht zu Recht unter Verweis auf § 44a VwGO den Charakter eines selbstständig anfechtbaren Verwaltungsakts abgesprochen hat, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Zu Recht beruft sich der Beklagte darauf, dass ihm insoweit ein wichtiger Grund im Sinne der vorgenannten gesetzlichen Regelung zur Seite gestanden habe.

Diesen wichtigen Grund sehen der Beklagte - und in Übereinstimmung mit ihm auch das Verwaltungsgericht - darin, dass die beigeladene Gemeinde mit Schreiben vom 18. Oktober 2004, beim Beklagten eingegangen am 20. Oktober 2004, ihr gemäß § 36 Abs. 1 BauGB erforderliches Einvernehmen verweigert hat. Da der Beigeladenen die Antragsunterlagen mit am 19. August 2004 abgesandtem Begleitschreiben des Beklagten zugänglich gemacht wurden, ist davon auszugehen, dass die Versagung ihres Einvernehmens (noch) innerhalb der in § 36 Abs. 2 genannten Zweimonatsfrist erfolgt ist. Die Fiktionswirkung des erteilten Einvernehmens gemäß § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB ist somit nicht eingetreten, die Beigeladene hat den ihr kraft Gesetzes zustehenden zeitlichen Prüfungszeitraum zwar in vollem Umfang ausgeschöpft, ihn jedoch nicht überschritten.

Die durch diesen Verfahrensablauf eingetretene Situation stellte - aus Sicht des Beklagten - einen wichtigen Grund dafür dar, die Entscheidungsfrist des § 57 Abs. 2 Satz 2 HBO zu verlängern, wobei die Wahl der gesetzlich höchstmöglichen Verlängerungsdauer von zwei Monaten unter Ermessensgesichtspunkten nicht zu beanstanden ist.

Insbesondere geht der Einwand des Klägers fehl, ein derartiger wichtiger Grund für die Verlängerung der Entscheidungsfrist habe schon deshalb nicht vorgelegen, weil dem Beklagten, der die Versagung des Einvernehmens seinerzeit - unstreitig und erkennbar - für rechtswidrig gehalten hatte, die Möglichkeit zur Verfügung gestanden habe, das von der Beigeladenen verweigerte Einvernehmen innerhalb der noch offenen Dreimonatsfrist des § 57 Abs. 2 Satz 2 HBO gemäß § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB zu ersetzen.

Diese Argumentation wird weder rechtsstaatlichen Grundsätzen gerecht noch trägt sie der - auch verfassungsrechtlich abgesicherten - Rechtspositionen der Gemeinde Rechnung, wie sie ihr durch § 36 Abs. 1 BauGB eingeräumt wird. Dass über die planungsrechtliche Zulässigkeit bestimmter in § 36 Abs. 1 BauGB näher bezeichneter baulicher Vorhaben nur im Einvernehmen mit der betroffenen Gemeinde entschieden werden darf, ist Ausdruck der kommunalen Planungshoheit und damit des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts. Entscheidet sich die nach Landesrecht zuständige Behörde dafür, ein nach ihrer Ansicht rechtswidrig versagtes Einvernehmen der Gemeinde im Sinne des § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB zu ersetzen, so stellt diese Entscheidung einen in die Planungshoheit der betroffenen Gemeinde eingreifenden Verwaltungsakt dar. Rechtsstaatlichen Grundsätzen entspricht es, in Fällen dieser Art die Gemeinde zuvor anzuhören (vgl. § 28 HVwVfG) und ihr Gelegenheit zu geben, ihre die Herstellung des Einvernehmens ablehnende Entscheidung noch einmal zu überdenken bzw. im Lichte des Risikos einer Ersetzung dieser Entscheidung durch die Bauaufsichtsbehörde vertieft zu rechtfertigen (vgl. insoweit ausdrücklich etwa Abs. 3 des die Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens regelnden § 71 der Landesbauordnung (LBauO) Rheinland-Pfalz vom 24. November 1998 [GVBl. S. 365]: "Die Gemeinde ist vor der Entscheidung anzuhören").

Diese Rechtslage haben sowohl der Beklagten als auch das Verwaltungsgericht zutreffend erkannt. Ihr konnte der Beklagte, wenn er eine wegen Ablaufs der Dreimonatsfrist des § 57 Abs. 2 Satz 2 HBO kraft gesetzlicher Fiktion erteilte, aber wegen fehlenden gemeindlichen Einvernehmens von Anfang an rechtswidrige - und daher gemäß § 48 HVwVfG ohnehin sofort wieder zurücknehmbare - Baugenehmigung verhindern wollte, nur dadurch Rechnung tragen, dass er die vorgenannte Entscheidungsfrist verlängerte.

Ergänzend verweist der Senat darauf, dass sich die zuvor dargestellte Rechtslage in Hessen maßgeblich etwa von der in Rheinland-Pfalz geltenden Rechtslage unterscheidet. In der dem § 57 Abs. 2 HBO sachlich entsprechenden Regelung des § 66 Abs. 4 LBauO Rheinland-Pfalz ist geregelt, dass die gesetzliche Frist zur Bescheidung eines Bauantrages im vereinfachten Verfahren in Fällen, in denen das Einvernehmen der Gemeinde erforderlich ist, erst mit Eingang der Mitteilung über die Entscheidung der Gemeinde oder, sofern das Einvernehmen der Gemeinde durch Fristablauf nach § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB als erteilt gilt, mit dem Zeitpunkt, bis zu dem die Mitteilung über die Verweigerung des Einvernehmens der Gemeinde bei der Bauaufsichtsbehörde hätte eingehen müssen. Diese gesetzliche Regelung wird vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz unter Hervorhebung der Bedeutung der gemeindlichen Planungshoheit und des nach dem Baugesetzbuch erforderlichen Einvernehmens der Gemeinde in der Weise "bundesrechtskonform" ausgelegt, dass die eine Genehmigungsfiktion herbeiführende Bearbeitungsfrist des § 66 Abs. 4 LBO nur durch eine das Einvernehmen der Gemeinde erklärende Mitteilung in Lauf gesetzt werde, nicht jedoch durch eine Mitteilung, in der die Gemeinde ihr Einvernehmen verweigert (OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 12. Dezember 2001 - 8 A 11161/01 -, DÖV 2002, 347 = NVwZ-RR 2002, 264 = BauR 2002,1226 = BRS 64 Nr. 175). Danach ist es in Rheinland-Pfalz ausgeschlossen, dass eine Baugenehmigung kraft gesetzlicher Fiktion als erteilt gilt, obgleich das gemeindliche Einvernehmen zu dem in Frage stehenden Bauvorhaben verweigert wurde.

Aus Anlass des vorliegenden Rechtsstreites bedarf es keiner Entscheidung der Frage, ob - in Anwendung der Grundsätze, wie sie das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz für die dort geltende Rechtslage aufgestellt hat - auch in Hessen mit Blick auf die Bedeutung des gemeindlichen Einvernehmens die Genehmigungsfiktion des § 57 Abs. 2 Satz 3 HBO nur in den Fällen eintreten kann oder sollte, in denen die betreffende Gemeinde das gesetzlich notwendige Einvernehmen erklärt hat oder dieses Einvernehmen wegen Ablaufs der Erklärungsfrist als hergestellt gilt. Ein befriedigender Ausgleich der sich gegenüberstehenden Interessen lässt sich nach Einschätzung des Senats nämlich in Fallkonstellationen der vorliegend umstrittenen Art bereits dadurch sicherstellen, dass der Eintritt der Genehmigungsfiktion durch Verlängerung der Entscheidungsfrist des § 57 Abs. 2 Satz 2 HBO hinausgeschoben wird, um der Bauaufsichtsbehörde die Gelegenheit zu geben, in einem rechtsstaatlich ordnungsgemäßen, weil das Anhörungsinteresse der Gemeinde hinreichend berücksichtigenden, Verfahren die Frage einer eventuellen Ersetzung des Einvernehmens zu prüfen. In Fällen dieser Art erfolgt die Fristverlängerung daher fraglos aus einem "wichtigen Grund" in Sinne des § 57 Abs. 2 Satz 2, zweiter Halbsatz, HBO. Nur ergänzend sei darauf verwiesen, dass diese Auslegung in Übereinstimmung mit der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung steht, wie sie etwa in der Landesbauordnung des Saarlandes vom 18. Februar 2004, zuletzt geändert durch Gesetz vom 19. Mai 2004 (Amtsblatt S. 1498), enthalten ist. Dort ist in § 64 Abs. 3 Satz 1 geregelt, dass über den Bauantrag innerhalb von drei Monaten nach Eingang des vollständigen Antrags zu entscheiden ist. Die Bauaufsichtsbehörde kann - so der weitere Wortlaut - diese Frist aus wichtigem Grund um bis zu einem Monat verlängern, wobei ein wichtiger Grund insbesondere dann vorliege, wenn eine Ausnahme, Befreiung oder Abweichung beantragt ist oder die Erteilung der Baugenehmigung der Entscheidung einer anderen Behörde oder Stelle bedarf (vgl. auch § 66 Abs. 4 Satz 4 LBO Rheinland-Pfalz: "Als wichtiger Grund gelten insbesondere die notwendige Beteiligung anderer Behörden sowie Entscheidungen über Abweichungen.").

Ist die Entscheidung des Beklagten, die Frist des § 57 Abs. 2 Satz 2 HBO zu verlängern somit durch das Vorliegen eines wichtigen Grundes gerechtfertigt, so begegnet auch die Zeitdauer der verfügten Verlängerung keinen Bedenken. Die die Genehmigungsfiktion des § 57 Abs. 2 Satz 2 HBO auslösende Entscheidungsfrist wäre im vorliegenden Rechtsstreit, da die vollständigen Antragsunterlagen dem Beklagten am 18. August 2004 vorlagen, am 18. November 2004 abgelaufen. Mit der Verlängerung bis zum 18. Januar 2004 hat der Beklagte zwar den im Gesetz vorgesehenen, höchst möglichen Zeitraum ausgeschöpft, doch erscheint dies dem Senat nach gegebener Sachlage unter Berücksichtigung des der Bauaufsichtsbehörde eingeräumten Entscheidungsermessen vertretbar zu sein. Nachdem die Beigeladene ihre das Einvernehmen versagende Entscheidung der Bauaufsichtsbehörde erst mit am 20. Oktober 2004 eingegangenem Schreiben mitgeteilt und die Bauaufsichtsbehörde der Gemeinde sodann unter dem 1. November 2004 ihre von deren Ansicht abweichende Sicht der Dinge unter Fristsetzung für eine Stellungnahme bis zum 1. Dezember 2004 mitgeteilt hatte, erscheint es gerechtfertigt, die Frist des § 57 Abs. 2 HBO bis zum 18. Januar 2005 zu verlängern, um dem Beklagten innerhalb des verbleibenden Zeitraums die Möglichkeit einzuräumen, unter Prüfung der von der Beigeladenen möglicherweise noch vorzubringenden Einwände und Überlegungen die Frage einer Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens zu prüfen. Dem Vorbringen des Klägers lassen sich im Übrigen auch keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass die Verlängerung der Frist um den gesetzlich vorgesehenen Zeitraum von zwei Monaten im vorliegenden Falle ermessensfehlerhaft gewesen wäre.

Da die von dem Kläger am 18. August 2004 beantragte Baugenehmigung mit Bescheid des Beklagten vom 12. Januar 2005 - nach zwischenzeitlich erlassener Veränderungssperre - abgelehnt wurde, blieb für den Eintritt der Genehmigungsfiktion des § 57 Abs. 2 Satz 2 HBO unter Berücksichtigung der rechtsfehlerfrei bis zum 18. Januar 2005 verlängerten Entscheidungsfrist kein Raum. Die Feststellungsklage des Klägers ist somit unbegründet.

Die Berufung gegen das die Klage zu Recht abweisende Urteil erster Instanz ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen.

Ein Grund für die Zulassung der Revision ist nicht gegeben (§ 132 Abs. 2 VwGO).

Die Festsetzung des Streitwerts für das Berufungsverfahren folgt aus §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 GKG. Der Kläger begehrt die gerichtliche Feststellung, dass die Baugenehmigung für das von ihm geplante Bauvorhaben - ein Lebensmitteldiscounter mit 775 qm Verkaufsfläche - gemäß § 57 Abs. 2 Satz 3 HBO als erteilt gelte. Nach dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (Stand 2004) gilt als Richtwert bei Klagen auf Erteilung einer Baugenehmigung für einen Einzelhandelsbetrieb ein Betrag von 150,-- Euro pro Quadratmeter Verkaufsfläche. Der Senat vermag nicht zu erkennen, weshalb sich der Streitwert für eine Klage auf Feststellung, dass eine Baugenehmigung (fiktiv) als erteilt gelte, im Vergleich mit einer auf Erteilung der Genehmigung gerichteten Verpflichtungsklage abweichend bestimmen sollte. Bei einer Verkaufsfläche von 775 qm ergäbe sich somit ein Streitwert in Höhe 116.250,-- Euro. Zur Abänderung der deutlich zu niedrigen Streitwertfestsetzung erster Instanz ist der Senat gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 GKG berechtigt.

Die Beteiligten hatten Gelegenheit, hierzu Stellung zu nehmen (vgl. Senatsbeschluss über die vorläufige Streitwertfestsetzung vom 7. Juli 2006).

Ende der Entscheidung

Zurück