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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 06.04.2004
Aktenzeichen: 1 Ta 106/04
Rechtsgebiete: ZPO, ArbGG


Vorschriften:

ZPO § 148
ArbGG § 9 Abs. 1
ArbGG § 61 a
ArbGG § 62 Abs. 1
1. Die Verhandlung in einem Rechtsstreit über eine Klage wegen Zahlungsansprüchen, die von der Unwirksamkeit einer Beendigung eines Arbeitsverhältnisses abhängen, die Gegenstand eines noch nicht rechtswirksam beendeten Rechtsstreit ist, ist weder regelmäßig wegen Vorgreiflichkeit auszusetzen noch nicht auszusetzen, § 148 ZPO.

2. Die Entscheidung über die Aussetzung hat nach pflichtgemäßem Ermessen nach den Umständen des Einzelfalles zu erfolgen. Diese sind in der Entscheidung offenzulegen.

3. Zu den Umständen des Einzelfalles gehören jedenfalls

- der Stand der beiden Verfahren, vor allem auch der des vorgreiflichen Rechtsstreits und dessen voraussichtliche Dauer und damit die voraussichtliche Dauer der Aussetzung;

- die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten der Klagepartei in jenem Rechtsstreit, auch, ob bereits ein Urteil zu ihren Gunsten ergangen ist und wie die Aussichten eines Rechtsmittels zu beurteilen sind;

- die wirtschaftliche Situation beider Parteien;

- die Notwendigkeit für die Klagepartei, ihre Ansprüche mithilfe eines gerichtlichen Titels durchsetzen zu müssen;

- das Verhalten der Klagepartei.


Hessisches Landesarbeitsgericht Beschluss

1 Ta 106/04

In dem Rechtsstreit der Kindertagesstättenleiterin

hat die Kammer 1 des Hessischen Landesarbeitsgerichts durch den Präsidenten des Landesarbeitsgerichts K als Vorsitzenden am 6. April 2004 beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Arbeitsgerichtes Frankfurt/M. vom 30. Januar 2004 - 8 Ca 12423/03 - aufgehoben.

Die erforderliche Anordnung wird dem Vorsitzenden des Arbeitsgerichts Frankfurt/M. übertragen.

Gründe:

I. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit der bei ihr zu einer monatlichen Vergütung von zuletzt 3.724,45 € brutto als Kindertagesstättenleiterin beschäftigten Klägerin mit Schreiben vom 5. Juli 2002 außerordentlich fristlos, vorsorglich mit sozialer Auslauffrist von sechs Monaten. Auf die hiergegen erhobene Kündigungsschutzklage stellte das Arbeitsgericht Frankfurt/M. mit einem am 21. Oktober 2003 verkündeten Urteil - 8 Ca 6540/02 - fest, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch diese Kündigung nicht beendet worden ist. Gegen dieses Urteil legte die Beklagte Berufung ein, die bei der erkennenden Kammer unter dem Aktenzeichen 1 Sa 19/04 anhängig ist Termin zur mündlichen Verhandlung wird voraussichtlich auf den 1. Juni 2004 anberaumt werden. In dem vorliegenden Rechtsstreit verfolgt die Klägerin mit der am 15. Dezember 2003 bei dem Arbeitsgericht eingereichten und der Beklagten am 29. Dezember 2003 zugestellten Klage Ansprüche auf Zahlung von Vergütung bei Annahmeverzug abzüglich erhaltenen Arbeitslosengeldes nebst Zinsen wegen eines Restbetrages für den Monat Juli 2002 und für die Zeit vom 1. August 2002 bis zum 31. Dezember 2003 (Bl. 1 - 3 d. A.).

Die Klägerin hat den Antrag angekündigt,

die Beklage zu verurteilen, an sie 76.013,82 € brutto zzgl. 5 % Zinsen aus 3.346,61 € seit dem 1. September, 1. Oktober und 1. November 2002, aus 7.649 18 € seit dem 1. Dezember 2002, aus jeweils 3.824,59 € seit dem 1. Januar, 1. Februar, 1. März, 1. Mai, 1. Juni, 1. Juli, 1. August, 1. September, 1. Oktober und 1. November 2003 aus 7.649,18 € seit dem 1. Dezember 2003 und aus 3.724,45 € seit dem 1. Januar 2004 abzüglich in der Zeit vom 15. Juli 2002 bis 31. Dezember 2002 bezogenen Arbeitslosengeldes in Höhe von 6.808,50 € und ab 1. Januar 2003 bezogenen Arbeitslosengeldes in Höhe von 277,50 € wöchentlich zu zahlen.

In der Güteverhandlung am 31. Januar 2004 hat der Vorsitzende des Arbeitsgerichts, nachdem die Beklagte sich bereits zuvor auf schriftliche Anfrage des Gerichts mit der Aussetzung einverstanden erklärt hatte, die Klägerin hingegen nicht, mit den Parteien die Aussetzung der Verhandlung erörtert und mit am Ende der Sitzung verkündetem Beschlüsse 8 Ca 12423/03 -"den Rechtsstreit" ausgesetzt bis zur rechtskräftigen Beendigung des Rechtsstreits mit dem Aktenzeichen 8 Ca 6540/02 (Bl. 21 - 23 d. A.). Gegen den ihr am 10. Februar 2004 zugestellten Beschluss hat die Klägerin am 23. Februar 2004 bei dem Hessischen Landesarbeitsgericht sofortige Beschwerde eingelegt und zugleich begründet (Bl. 32 - 34 d. A.). Die Beklagte verteidigt den angefochtenen Beschluss (Bl. 43 - 45 d. A.). Der Vorsitzende des Arbeitsgerichts hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen (Bl. 42 d. A.).

II. 1. Die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Frankfurt/M. vom 30. Januar 2004 - 8 Ca 12423/03 - ist gem. §§ 567 Abs. 1 Nr. 1, 252 ZPO, 78 ArbGG statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere gem. §§ 569 Abs. 1 und 2, 572 Abs. 2, 222 Abs. 1 ZPO, 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB, 78 ArbGG frist- und formgerecht eingelegt worden.

2. Sie hat auch in der Sache Erfolg, weil sie begründet ist. Der angefochtene Beschluss ist aufzuheben. Die erforderlichen Anordnungen sind dem Vorsitzenden des Arbeitsgerichts zu übertragen, § 572 Abs. 3 ZPO.

a) Der Gesetzgeber hat allgemein den Widerstreit zwischen Rechtssicherheit und Beschleunigung des Verfahrens einer- und dem subjektiven Interesse der Rechtssuchenden an einem möglichst uneingeschränkten Rechtsschutz andererseits für alle zivilrechtlichen Streitigkeiten, in denen die Entscheidung von einem vorgreiflichen Rechtsverhältnis oder von dem Verdacht einer Straftat beeinflusst wird, durch die Aussetzungsvorscbriften der §§ 148, 149 ZPO gelöst. Die Gesetzeslage ist mit dem verfassungsrechtlichen Gebot eines wirkungsvollen Rechtsschutzes vereinbar. Der Gesetzgeber hat die Aussetzung aber nicht als Regelfall unterstellt, sondern die Abwägung, ob die Sicherheit über den Ausgang des vorgreiflichen Verfahrens den Nachteil der Verzögerung durch die Aussetzung zu rechtfertigen vermag, den Gerichten überlassen, die hierüber nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden haben. Die Zivilrichter sind dabei verpflichtet, das Grundrecht auf wirkungsvollen Rechtsschutz gem. Art. 2 Abs. 1, 20 Abs. 3 GG zu beachten. In arbeitsrechtlichen Verfahren ist zudem zu berücksichtigen, dass, wenn um den Bestand eines Arbeitsverhältnisses gestritten wird, den Parteien häufig ein Zuwarten nicht zumutbar ist, §§ 9 Abs. 1, 61 a Abs. 1 ArbGG, während dieser Gesichtspunkt bei Zahlungsansprüchen zurücktritt. Die ermessensleitenden Erwägungen sind in der Beschlussbegründung offenzulegen (BVerfG Beschl. v. 30.06.2003 - 1 BvR 2022/03 - n. v., unter II 1 und 2 a - c der Gründe).

Bereits aus dem Vorstehenden folgt, dass die von der Klägerin angeführte "vielfältige Meinung", dass die Aussetzung der Verhandlung in dem Entgeltzahlungsprozess - bei noch nicht abgeschlossenem Kündigungsrechtsstreit - nicht zulässig sei, nicht richtig sein kann. Sie wird auch entgegen ihrer Ansicht nirgendwo vertreten. Soweit sich die von der Klägerin zitierten - älteren - Entscheidungen mit einer solchen Situation befassen (LAG Düsseldorf Beschl. v. 23.12.1982 - 7 Ta 299/82 - EzA Nr. 13 zu § 148 ZPO; LAG Köln - nicht: Düsseldorf - Beschl. v. 17.12.1985 - 9 Ta 230/85 - DB 1986,440; LAG Nürnberg Beschl. v. 09.07.1986 - 3 Ta 8/86 - NZA 1987,211; LAG Hamm Beschl. v. 18.04.1985 - 8 Ta 96/85 - EzA Nr. 14 zu § 148 ZPO betreffend die Aussetzung eines Kündigungsrechtsstreits), schließen sie sämtlich eine Aussetzung nicht aus, sehen darin aber - vom LAG Hamm (aaO) offengelassen - wegen des Beschleunigungsgebotes gem. §§ 9 Abs. 1, 61 a Abs. 1 ArbGG die Ausnahme. Das kann auch nicht anders sein, weil der generelle Ausschluss der Möglichkeit der Aussetzung wegen Vorgreiflichkeit gem. § 148 ZPO für bestimmte Ansprüche in bestimmten Prozesssituationen einfachgesetzlich die dort vorgesehene Prüfung nach pflichtgemäßen Ermessen missachten und entgegen der zuvor geschilderten verfassungsrechtlichen Lage in die Befugnisse des Gesetzgebers eingreifen würde.

Vielmehr geht der Streit "nur" darum, ob in einem Prozess, in diesem Zusammenhang über Vergütungsansprüche, für dessen Entscheidung ein noch nicht rechtswirksam beendeter Beendigungsrechtsstreit vorgreiflich ist, die Regel die Aussetzung der Verhandlung (so insbesondere HessLAG Beschl. v. 23.11.1998 - 9 Ta 626/98 - n. v.; ferner LAG Frankfurt Beschl. v. 04.09.1987 - 13 Ta 267/87 - LAGE § 148 ZPO Nr. 18; LAG Rheinland-Pfalz Beschl. v. 09.05.1986 - 1 Ta 87/86 - LAGE § 148 ZPO Nr. 15; LAG Berlin Beschl. v. 02.12.1993 - 9 Ta 24/93 - LAGE § 148 ZPO Nr. 28; Heinze DB 1985, 111, 120 f.) oder deren Fortsetzung (so vor allem HessLAG Beschl. v. 11.08.1999 - 5 Ta 513/99 - LAGE Nr. 35 zu § 148 ZPO unter II 2 b; LAG Köln Beschl. v. 17.12.1985, aaO, st. Rspr.; v. 24.11.1997 - 4 Ta 343/97 - LAGE § 148 ZPO Nr. 32; LAG Nürnberg Beschl. v. 09.07.1986, aaO; LAG Düsseldorf Beschl. v. 23.12.1982 - 7 Ta 299/82 - EzA § 148 ZPO Nr. 13; GK-ArbGG/Bader, § 9 Rn 14; Hauck, ArbGG, 3. Aufl., § 9 Rn 3; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 21, Aufl., § 148 Rn 218; Vossen, RdA 1989, 96, 101; offengelassen von LAG Hamm Beschl. 20.10.1983 - 8 Ta 291/83 - LAGE § 148 ZPO Nr. 14; ) ist und auf Grund welcher Umstände des Einzelfalls die Anwendung pflichtgemäßen Ermessens (LAG München Beschl. v. 22.02.1989 - 7 Ta 25/89 - LAGE § 148 ZPO Nr. 20) jeweils eine Abweichung rechtfertigt. Dabei sind, wie sich aus den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts ergibt, wegen der Forderung des Gesetzgebers nach besonderer Beschleunigung von Beendigungsrechtsstreiten in § 61 a ArbGG einer- und des bloß allgemeinen Beschleunigungsgebots in § 9 Abs. 1 ArbGG andererseits die zu berücksichtigenden Umstände unterschiedlich zu gewichten, je nach dem, ob der Folgeprozess ebenfalls ein Beendigungsrechtstreit oder ein andersartiger Prozess ist. Unerheblich ist hingegen, ob der weitere Streitgegenstand im Wege der Klagehäufung in demselben Verfahren oder mit einer gesonderten Klage geltend gemacht wird oder die verschiedenen anhängigen Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden werden können (so aber LAG Sachsen-Anhalt Beschl. v. 22.09.1995 - 2 Ta 140/95 - LAGE § 148 ZPO Nr. 29); "anderer anhängiger Rechtsstreit" in § 148 ZPO ist im Sinne von "anderer Streitgegenstand" zu verstehen (a. A. Stein/Jonas/Roth, aaO, § 148 Rn 12).

b) Der Auffassung der Kammer 5 des Hessischen Landesarbeitsgerichts in dem Beschluss vom 11. August 1999 (aaO) ist gerade auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschl. v. 30.06.2003, aaO) nicht zu folgen.

Das allgemeine Beschleunigungsgebot des § 9 Abs. 1 ArbGG, auch in Zusammenhang mit den in § 62 Abs. 1 ArbGG angeordneten vorläufigen Vollstreckbarkeit arbeitsgerichtlicher Titel ohne Sicherheitsleistung, hat, wenn sein Inhalt überhaupt über einen allgemeinen Programmsatz hinausgeht (verneinend Gennelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, 4. Aufl., § 9 Rn 5, 7 und 8; Heinze, DB 1985, 111, 121 f.; a. A. BAG Urt v. 04.12.1975 - 2 AZR 462/74 - AP Nr. 33 zu § 518 ZPO unter 2 f [für die Angabe der ladungsfähigen Anschrift des Berufungsbeklagten oder seines Prozessbevollmächtigten in der Berufungsschrift; insoweit aber aufgegeben und insgesamt eingeschränkt, weil das allgemeine Beschleunigungsgebot für sich keine tragfähige Grundlage für die Abweichung vom ordentlichen Zivilprozess ist, durch: BAG Beschl. v. 16.09.1986 - GS 4/85 - AP Nr. 53 zu § 518 ZPO unter II 2 c]; für den Fall des Streits über die Zustimmung der Hauptfürsorgestelle BAG Urt. v. 26. 09.1991 - 2 AZR 132/91 - AP Nr. 28 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit unter II 2; GK-ArbGG/Bader, aaO; Grunsky, ArbGG, 7. Aufl., § 9 Rn 3; Hauck, aaO; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 21, Aufl., § 148 Rn 218; Vossen, RdA 1989, 96, 101; Wunderlich, BB 1992, 2071, 2072), jedenfalls keinen so bestimmten Inhalt, dass sich daraus eine konkrete Richtschnur für die Anwendung des pflichtgemäßen Ermessens herleiten ließe. Wenn das anders wäre, wäre die Einfügung von § 61 a ArbGG durch den Gesetzgeber überflüssig gewesen.

Weiter ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber in § 149 Abs. 2 Satz 1 ZPO in verfassungsrechtlich grundsätzlich nicht zu beanstandender Weise (BVerfG Beschl. v. 30. 06.2003, aaO, unter II 2 b) einen Aussetzungszeitraum von einem Jahr als verfassungsrechtlich unbedenklich angesehen hat, außerdem auch bei zunächst rechtlich unbedenklicher Aussetzung in regelmäßigen Abständen zu prüfen ist, ob dem Verfahren Fortgang zu geben ist. Das Bundesarbeitsgericht hat sogar in einem dem besonderen Beschleunigungsgebot des § 61 a ArbGG unterliegenden Kündigungsrechtsstreit die Aussetzung gem. § 148 ZPO bis zur Entscheidung über eine zeitlich frühere Kündigung nicht nur für pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts entsprechend gehalten, sondern die unterbliebene Aussetzung als Fehler des Gerichts bezeichnet (BAG Urt. v. 12.06.1986 - 2 AZR 426/85 - NZA 1987, 273, 274 f.). Der Große Senat des Bundesarbeitsgerichts hat in seinem Beschluss vom 27. Februar 1985 - GS 1/84 - sogar die Aussetzung der Verhandlung über den Antrag auf tatsächliche Beschäftigung nur als "nicht geboten" angesehen und weiter ausgeführt, das pflichtgemäße Ermessen zwinge das Gericht nicht zur Aussetzung (NZA 185, 702,709), diese also keineswegs ausgeschlossen.

Auch aus dem richtigen Grundgedanken, dass Arbeitnehmer in der Regel auf die Erzielung von Arbeitseinkommen angewiesen sind, lässt sich für die Anwendung pflichtgemäßen Ermessens bei der Anwendung des § 148 ZPO nichts herleiten. Der Gesetzgeber hat die - in ihrer Wirksamkeit streitige - Beendigung von Arbeitsverhältnissen durch den Arbeitgeber oder auf dessen Veranlassung dahingehend geregelt, dass die Beendigung zunächst faktisch wirksam wird und sich erst im Wege nachträglicher gerichtlicher Überprüfung auf Veranlassung des Arbeitnehmers ihre Unwirksamkeit herausstellen kann. Die Sicherung des Lebensunterhalts des Arbeitnehmers erfolgt zwischenzeitlich, wenn der Arbeitnehmer nicht anderweitige anrechenbare Einkünfte erzielt, im Rahmen öffentlich-rechtlicher Leistungsverhältnisse; der Arbeitnehmer muss sich privat- und öffentlich-rechtlich um die Eingehung eines neuen Arbeitsverhältnisses bemühen, §§ 615 S. 2 BGB, 11 KSchG; 118 ff. SGB III.

Schließlich handelt es sich nicht um einen Wertungswiderspruch, wenn § 62 Abs. 1 ArbGG die vorläufige Vollstreckbarkeit arbeitsgerichtlicher Urteile ohne Sicherheitsleistung bestimmt, ein Arbeitsgericht aber die Aussetzung der Verhandlung gem. § 148 ZPO anordnet. Die vorläufige Vollstreckbarkeit eines ergangenen Urteils verlangt nicht, dieses trotz nicht geringer Zweifel an seiner letztlichen Richtigkeit zu erlassen. Es bedeutet vielmehr eine Missachtung der grundlegenden Systematik der gesetzlichen Regelung, wenn dem Arbeitnehmer, obwohl über die Wirksamkeit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch gerichtlich gestritten wird, nur auf seine bloße Klage hin regelmäßig gerichtlich ein Zahlungsanspruch für Zeiträume zuerkannt wird, die von dem Beendigungsstreit betroffen werden.

Endlich kann nicht außer acht gelassen werden, dass der Erlass eines Zahlungsurteils während eines noch laufenden Beendigungsrechtsstreits in vielen Fällen weder ökonomisch noch prozessökonomisch sinnvoll ist. In den meisten Fällen sind Vergütungsansprüche aus Annahmeverzug, die von der Unwirksamkeit einer Beendigung abhängen, als solche nicht streitig und auch in ihrer Realisierbarkeit nicht gefährdet, z. B. durch drohende Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers. Deren klageweise Durchsetzung bei noch nicht beendetem Beendigungsrechtsstreit führt zu unnötiger zusätzlicher Belastung der Arbeitsgerichte, vor allem auch der Berufungsgerichte, erschwert bei erfolgter Vollstreckung die vergleichsweise Erledigung des Beendigungsrechtsstreits, lässt Gerichtsgebühren entstehen und dient häufig nur der Generierung weiterer Honoraransprüche der beteiligten prozessbevollmächtigten Anwälte.

c) Aber auch der in dem Beschluss der Kammer 9 des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 23. November 1998 (aaO) vertretenen Meinung, dass die Verhandlung in dem Zahlungsprozess im Regelfall auszusetzen sei, kann nicht gefolgt werden.

Die Entscheidung nach pflichtgemäßen Ermessen, ob gem. § 148 ZPO eine Verhandlung in einem Prozess auf Zahlung von Vergütung, dessen Erfolg von der Unwirksamkeit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses abhängt, bis zur rechtswirksamen Erledigung des Rechtsstreits über die Beendigung wegen dessen Vorgreiflichkeit auszusetzen ist, ist vielmehr für jeden Einzelfall unter Abwägung einer Vielzahl von Umständen zu treffen (im Ergebnis ebenso Schultes Anm. zu LAG Berlin LAGE § 148 ZPO Nr. 28). Zu diesen gehören insbesondere:

- der Stand der beiden Verfahren, vor allem auch der des vorgreiflichen Rechtsstreits und dessen voraussichtliche Dauer und damit die voraussichtliche Dauer der Aussetzung;

- die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten der Klagepartei in jenem Rechtsstreit (LAG Düsseldorf Beschl. v. 16.02.1989 - 7 Ta 56/89 - LAGE § 148 ZPO Nr. 21), auch, ob bereits ein Urteil zu ihren Gunsten ergangen ist (BAG GS Beschl. v. 27.02.1985, aaO, 709) und wie die Aussichten eines Rechtsmittels zu beurteilen sind;

- die wirtschaftliche Situation beider Parteien;

- die Notwendigkeit für die Klagepartei, ihre Ansprüche mithilfe eines gerichtlichen Titels durchsetzen zu müssen;

- das Verhalten der Klagepartei.

d) Die Sache ist an das Arbeitsgericht zurückzuverweisen, damit es die notwendigen Anordnungen trifft, insbesondere, da das Beschwerdegericht nicht sein Ermessen an die Stelle desjenigen des Arbeitsgerichts setzen kann (HessLAG Beschl. v. 07.05.2002 - 16 Ta 142/02), damit es seine Ermessensentscheidung über eine Aussetzung der Verhandlung gem. § 148 ZPO unter Berücksichtigung (LAG Düsseldorf Beschl. v. 16.02.1998, aaO) und Offenlegung aller maßgeblichen Umstände fällt.

Das Arbeitsgericht hat bei der Ausübung seines pflichtgemäßen Ermessens im Rahmen des § 148 ZPO lediglich auf die Vorgreiflichkeit der rechtswirksamen Beendigung des Kündigungsschutzprozesses der Parteien, die Probleme der ggf. notwendigen Rückabwicklung und das finanzielle Risiko der Beklagten abgestellt. Im Nichtabhilfebeschluss hat es in seine Überlegungen die dem widerstreitenden Interessen der Klägerin an der Erlangung eines Titels zum Bestreiten ihres Lebensunterhaltes und die Zweckmäßigkeit der Vermeidung weiterer Prozesskosten einbezogen. Diese Gesichtspunkte sind erheblich, aber nicht allem.

Es hat einerseits nicht berücksichtigt, dass einerseits die Klägerin in dem Beendigungsrechtsstreit eine obsiegende Entscheidung erster Instanz erwirkt hat und die Berufungskammer voraussichtlich bereits am 1. Juni 2004 über die gegen diese Urteil von der Beklagten eingelegte Berufung entscheiden wird; andererseits, dass die Klägerin nichts dazu vorgetragen hat, dass die Beklagte im Falle der rechtskräftigen Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung vom 5. Juli 2002 nur auf Grund einer Verurteilung zur Zahlung Vergütungsansprüche der Klägerin aus Annahmeverzug befriedigen würde. Das Arbeitsgericht wird weiter in seine Überlegungen einzubeziehen haben, dass auf Seiten der Beklagten keine Zahlungsunfähigkeit droht, da diese nicht insolvenzfähig ist, ferner bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Situation der Klägerin, dass diese über ihre Einkünfte ab dem 1. Januar 2004 nichts vorgetragen und zudem die Zahlungsklage erst am 15. Dezember 2003, mehr als 15 Monate nach der Kündigung und nach der Verkündung des erstinstanzlichen Urteils in dem Kündigungsschutzprozess, bei dem Arbeitsgericht eingereicht hat.

III. Über die Kosten des Beschwerdeverfahrens wird mit der Hauptsache zu entscheiden sein. Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde ist kein gesetzlicher Grund gegeben, weil die erkennende Kammer zwar möglicherweise von in den Beschlüssen des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 11. August 1999 (aaO) und vom 23. November 1998 (aaO) enthaltenen Rechtssätzen abweicht, es aber auf diese Abweichungen für die Entscheidung nicht ankommt, § 574 Abs. 1 und 2 ZPO.

Ende der Entscheidung

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