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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 23.06.2006
Aktenzeichen: 10 Sa 1140/05
Rechtsgebiete: TVG, TV Dachdeckerhandwerk, ZPO


Vorschriften:

TVG § 1
TV Dachdeckerhandwerk
ZPO § 178
Ersatzzustellung in Wohnung / Geschäftsraum kann wirksam sein, wenn bewusst der Anschein erweckt wird, unter einer bestimmten Anschrift eine Wohnung / einen Geschäftsraum zu unterhalten.
Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 12.05.2005 - 4 Ca 811/04 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, ob der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger Auskunft nach den Sozialkassentarifverträgen des Dachdeckerhandwerks zu erteilen, und ob er im Falle nicht fristgerechter Auskunftserteilung eine Entschädigung zu leisten hat.

Der Kläger ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien in der Rechtsform eines rechtsfähigen Vereins kraft staatlicher Verleihung. Er ist tarifvertraglich zum Einzug der Beiträge zur Sozialkasse des Dachdeckerhandwerks verpflichtet. Der Kläger nimmt auf der Grundlage des allgemeinverbindlichen Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Dachdeckerhandwerk vom 06. Dezember 1995 (VTV) den Beklagten zur Vorbereitung von Beitragszahlungen auf Erteilung der in dem Verfahrenstarifvertrag vorgesehenen Auskünfte über die Zahl der im Betrieb beschäftigten gewerblichen Arbeitnehmer und der für diese Arbeitnehmer monatlich gezahlten Bruttolohnsumme in Anspruch, und zwar für den Zeitraum Dezember 2000 bis August 2001. Für den Fall, dass der Beklagte seiner Auskunftspflicht nicht nachkommt, begehrt der Kläger eine Entschädigung in Höhe von ca. 80% des Betrages, den der Beklagte an Beiträgen zu melden hat.

Der Beklagte unterhielt im streitgegenständlichen Zeitraum einen Betrieb des Dachdeckerhandwerks.

Am 29. April 2002 ist gegen den Beklagten auf Antrag des Klägers ein Versäumnisurteil ergangen. Dieses Versäumnisurteil ist ausweislich der Zustellungsurkunde, die an den Kläger unter der Adresse E 40 in F gerichtet war, von G, dem Vater des Beklagten, am 22. Mai 2002 entgegengenommen worden (vgl. Bl. 10 d.A.). Mit am 18. März 2004 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz hat der Beklagte Einspruch gegen das Versäumnisurteil eingelegt und darüber hinaus die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, dass das Wiedereinsetzungsgesuch des Beklagten zurückzuweisen sei.

Der Kläger hat beantragt,

das Versäumnisurteil vom 29. April 2002 aufrechtzuerhalten.

Der Beklagte hat beantragt,

das Versäumnisurteil aufzuheben und die Klage abzuweisen sowie ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bezüglich der Versäumung der Einspruchsfrist gegen das Versäumnisurteil zu gewähren.

Der Beklagte hat die Ansicht vertreten, sein Wiedereinsetzungsantrag sei begründet, da ihm das Versäumnisurteil bisher nicht wirksam zugestellt worden sei. Der Beklagte hat behauptet, zum Zeitpunkt der Zustellung des Versäumnisurteils habe er keine Wohnung in der E 40 in F gehabt. Bei dem dortigen Anwesen handele es sich um das Elternhaus des Beklagten, aus welchem er im Jahr 1999 ausgezogen sei. Trotz seines Auszugs sei er in F in der E 40 gemeldet geblieben, da er mit seinem Betrieb für die Gemeinde F habe arbeiten wollen. Bei der Auftragsvergabe habe er darauf hinweisen wollen, dass er mit Hauptwohnsitz in F gemeldet sei. Allein aus diesem Grund sei die Meldung in F bestehen geblieben. Seit dem Jahr 1999 bis zum 14. Mai 2002 habe er ausschließlich in der G 14 in H und seit dem 15. Mai 2002 in der I 9 in J gewohnt. Zum 28. Mai 2002 sei sodann die Abmeldung in der Gemeinde F erfolgt.

Der Kläger hat beantragt,

den Wiedereinsetzungsantrag des Beklagten zurückzuweisen.

Mit Urteil vom 12. Mai 2005 hat das Arbeitsgericht Wiesbaden - 4 Ca 811/04 - den Antrag des Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als unzulässig verworfen und das Versäumnisurteil vom 29. April 2002 aufrechterhalten. Es hat u. a. ausgeführt, der Wiedereinsetzungsantrag sei unzulässig, da die Jahresfrist des § 234 Abs. 3 ZPO abgelaufen sei. Ausweislich der Postzustellungsurkunde sei dem Beklagten das Versäumnisurteil am 22. Mai 2002 zugegangen und die Einspruchsfrist somit am 29. Mai 2002 abgelaufen. Die Jahresfrist habe am 29. Mai 2003 geendet, weshalb der am 18. März 2004 bei Gericht eingegangene Wiedereinsetzungsantrag verspätet sei. Es sei auch von einer wirksamen Zustellung des Versäumnisurteils auszugehen, da der Beklagte bis zum 28. Mai 2002 unter der Adresse seines Elternhauses in F mit Hauptwohnsitz polizeilich gemeldet gewesen sei. Hieran müsse sich der Beklagte festhalten lassen, auch wenn er bereits seit 1999 aus der elterlichen Wohnung ausgezogen sei, da er die entsprechende Ummeldung erst mehrere Jahre später veranlasst habe.

Dieses Urteil ist dem Beklagten am 01. Juli 2005 zugestellt worden. Die Berufung des Beklagten ist am 04. Juli 2005 und die Berufungsbegründung nach rechtzeitiger Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 04. Oktober 2005 am selben Tag bei Gericht eingegangen.

Der Beklagte wendet sich gegen das erstinstanzliche Urteil und ist der Ansicht, eine wirksame Zustellung des Versäumnisurteils sei am 22. Mai 2002 nicht erfolgt. Er habe in F tatsächlich keine Wohnung unterhalten; die polizeiliche Meldung sei entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts nicht maßgeblich.

Der Beklagte beantragt,

dem Beklagten die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Frist zur Einlegung des Einspruchs gegen das Versäumnisurteil vom 29.04.2002 zu gewähren und insofern das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 12. Mai 2005, Az. 4 Ca 811/04, aufzuheben.

Der Kläger beantragt,

die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

Der Kläger ist der Ansicht, das Versäumnisurteil sei am 29. April 2002 wirksam an den Beklagten zugestellt worden. Der Beklagte müsse sich an dem Rechtsschein, den er gesetzt habe, festhalten lassen.

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 23. Juni 2006 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden ist gem. §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthaft. Der Beklagte hat sie auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet, §§ 66 Abs. 1 ArbGG, 517, 519, 520 ZPO.

Die Berufung des Beklagten hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag des Beklagten zu Recht verworfen und das Versäumnisurteil vom 29. April 2002 aufrechterhalten.

Gemäß § 233 ZPO ist einer Partei auf ihren Antrag hin u. a. dann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn die Partei ohne ihr Verschulden verhindert war, eine Notfrist einzuhalten. Voraussetzung für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist mithin die Versäumung einer Notfrist, im vorliegenden Fall die Versäumung der 1-wöchigen Einspruchsfrist gegen das Versäumnisurteil vom 29. April 2002. Diese Notfrist wäre allerdings dann nicht versäumt, wenn das Versäumnisurteil bisher noch nicht wirksam an den Beklagten zugestellt worden wäre, da der Lauf der Einspruchsfrist erst mit der Zustellung beginnt. In diesem Fall müsste das Versäumnisurteil zunächst wirksam zugestellt werden und bliebe für einen Wiedereinsetzungsantrag kein Raum.

Allerdings ist das Versäumnisurteil vom 29. April 2002 dem Beklagten wirksam im Wege der Ersatzzustellung in seiner Wohnung oder in seinem Geschäftsraum zugestellt worden.

Gemäß § 178 Abs. 1 Ziffer 1. ZPO kann das zuzustellende Schriftstück in der Wohnung des Zustellungsempfängers u. a. einem erwachsenen Familienangehörigen zugestellt werden, sofern die Person, der zugestellt werden soll, in ihrer Wohnung nicht angetroffen wird. Zwischen den Parteien ist nicht streitig, dass das Versäumnisurteil am 22. Mai 2002 dem Vater des Beklagten unter der Anschrift in F ausgehändigt worden ist. Unter dieser Anschrift befand sich auch die Wohnung des Beklagten. Der Begriff der "Wohnung" ist stets nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen, wobei auf den Sinn und Zweck der Ersatzzustellungsvorschriften abzustellen ist (Zöller, ZPO, 25. Aufl. 2005, § 178 Rn 7, m.w.N.). Vom Ansatz her zutreffend geht der Beklagte davon aus, dass es für den Begriff der Wohnung im Sinn der Zustellungsvorschriften grundsätzlich nicht darauf ankommt, ob der Adressat in dieser Wohnung polizeilich gemeldet ist oder nicht. Entscheidend ist vielmehr, ob er tatsächlich dort wohnt, d.h., ob der Zustellungsempfänger hauptsächlich in den betreffenden Räumen lebt und auch schläft (BGH 24. November 1977 - II ZR 1/76 - NJW 1978, 1858; Hess. LAG 24. Januar 2000 - 16 Sa 1531/99 - LAGE § 181 ZPO Nr. 2). Entsprechend den Behauptungen des Beklagten geht das Gericht zu seinen Gunsten davon aus, dass der Beklagte seit dem Jahr 1999 das elterliche Anwesen verlassen hatte, bis zum 14. Mai 2002 in H und ab dem 15. Mai 2002 in J wohnte.

Das Versäumnisurteil ist gleichwohl in der Wohnung des Beklagten zugestellt worden, denn auch die bewusst unterlassene Abmeldung und der Anschein, den man selbst erweckt, können zur Annahme einer Wohnung im Sinn der Zustellungsvorschriften ausreichen (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 63. Aufl. 2005, § 178 Rn 5; Thomas/Putzo, ZPO, 26. Aufl. 2004, § 178 Rn 8, jeweils m.w.N.). Einen solchen Anschein hat der Beklagte vorliegend willentlich gesetzt. Der Beklagte trägt selbst vor, dass er mit seinem Betrieb für die Gemeinde F arbeiten wollte und er bei der Auftragsvergabe deshalb habe darauf hinweisen wollen, dass er mit Hauptwohnsitz in F gemeldet sei. Der Beklagte hat somit die rechtzeitige Ummeldung bewusst unterlassen und den Anschein erweckt, in F weiterhin seinen Hauptwohnsitz zu unterhalten.

Wenn der obigen Argumentation nicht gefolgt wird, ergibt sich gleichwohl im Ergebnis nichts anderes. Gemäß § 178 Abs. 1 ZPO kann die Ersatzzustellung nämlich auch in dem Geschäftsraum erfolgen, und zwar an eine dort beschäftigte Person. Geschäftsraum ist jeder Raum, in dem Geschäfte, welcher Art auch immer, ausgeübt werden; der Geschäftsraum kann auch Bestandteil einer Wohnung sein (Thomas/Putzo, ZPO, a.a.O., § 178 Rn 16). Dabei ist es unerheblich, ob es sich um das Hauptgeschäft oder um eine Zweigniederlassung handelt (Baumbach u. a., ZPO, a.a.O., § 178 Rn 16). Unter der Adresse in F unterhielt der Beklagte nach seiner eigenen Einlassung einen Geschäftsraum. Der Beklagte wollte nämlich unter dieser Anschrift Aufträge der Gemeinde F anwerben und, da er der Gemeinde gegenüber diese Adresse als Hauptwohnsitz angeben wollte, auch abwickeln. Das Versäumnisurteil ist auch einer im Geschäftsraum beschäftigten Person, nämlich dem Vater des Beklagten ersatzweise zugestellt worden. Beschäftigt im Sinn dieser Vorschrift sind auch diejenigen Personen, die ohne Vertrag und unentgeltlich Dienstleistungen erbringen, wie etwa das aushilfsweise tätige Familienmitglied (Zöller, ZPO, a.a.O., § 178 Rn 18). Da der Beklagte über das Anwesen seiner Eltern Aufträge der Gemeinde F anwerben und abwickeln wollte, musste er notwendigerweise auch seine dort lebenden Familienangehörigen mit der Entgegennahme entsprechender Schriftstücke betrauen.

Als Zwischenergebnis kann somit festgehalten werden, dass das Versäumnisurteil dem Beklagten am 22. Mai 2002 wirksam zugestellt worden ist und der Beklagte die 1-wöchige Einspruchsfrist nicht eingehalten hat. Der Beklagte hat somit die Notfrist versäumt.

Das Arbeitsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag des Beklagten zu Recht als unzulässig verworfen. Gemäß § 236 Abs. 2 ZPO muss der Antrag auf Wiedereinsetzung die Angabe der die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen enthalten, wobei diese bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen sind. Gemäß § 234 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO muss die Wiedereinsetzung innerhalb einer 2-wöchigen Frist beantragt werden, deren Lauf mit dem Tag beginnt, an dem das Hindernis behoben ist. Der Beklagte hat keinerlei Tatsachen behauptet und glaubhaft gemacht, aus denen sich ergeben könnte, wann das Hindernis, nämlich die unverschuldete Verhinderung, die Notfrist einzuhalten, behoben war. Von daher kann nicht beurteilt werden, ob der Beklagte die 2-Wochen-Frist des § 234 Abs. 1 ZPO eingehalten hat.

Unabhängig davon ist mit dem Arbeitsgericht davon auszugehen, dass der Beklagte jedenfalls die Frist des § 234 Abs. 3 ZPO versäumt hat. Danach kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden nach Ablauf eines Jahres von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet. Diese Frist läuft unabhängig von der Frist des Abs. 1 und 2 und auch bei Fortbestehen der unverschuldeten Verhinderung (Thomas/Putzo, ZPO, a.a.O., § 234 Rn 12). Ausnahmsweise wirkt diese Frist dann nicht, wenn der Prozessgegner auf den Eintritt der Rechtskraft nicht vertrauen durfte und den Antragsteller kein Verschulden trifft. Tatsachen, aufgrund derer auf einen solchen Ausnahmetatbestand geschlossen werden könnte, hat der Beklagte weder behauptet, noch glaubhaft gemacht.

Da der Beklagte mithin die Einspruchsfrist gegen das Versäumnisurteil versäumt hat, ist das Versäumnisurteil gem. § 343 Satz 1 ZPO aufrechtzuerhalten.

Der Beklagte trägt die Kosten des ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels der Berufung, § 97 Abs. 1 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision im Sinn des § 72 Abs. 2 ArbGG sind nicht ersichtlich.

Ende der Entscheidung

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