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Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 27.03.2009
Aktenzeichen: 10 Sa 2061/08
Rechtsgebiete: TVG


Vorschriften:

TVG § 1
Der Bauzuschlag in § 2 Abs. 1 Satz 1 TV-Mindestlohn ist Teil des Mindestlohns unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer auf Baustellen eingesetzt war.
Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 21. Oktober 2008 - 2 Ca 3730/07 - teilweise abgeändert und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin weitere 244,78 EUR (in Worten: Zweihundertvierundvierzig und 78/100 Euro) zu zahlen.

Von den Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens trägt die Klägerin 61 % und die Beklagte 39 %.

Die Kosten der Berufung trägt die Beklagte.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin berechtigt ist, eine Beitragsdifferenz nach den Sozialkassentarifverträgen des Baugewerbes für einen gewerblichen Arbeitnehmer nachzufordern.

Die Klägerin ist die A.. Sie ist als gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes nach näherer tariflicher Maßgabe die Einzugsstelle für die Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes. Sie nimmt die Beklagte auf der Grundlage des allgemein verbindlichen Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) auf Nachzahlung tarifvertraglich geschuldeter Beiträge in Anspruch.

Die Beklagte unterhält einen Betrieb des Hoch- und Tiefbaus. Sie beschäftigte in der Zeit von Juli 2003 bis Juli 2007 den gewerblichen Arbeitnehmer B., welcher in einer beheizten Halle mit der Reparatur und Wartung von kleineren Baumaschinen und Geräten betraut wurde. Die Beklagte zahlte an diesen Arbeitnehmer einen Stundenlohn in Höhe von 9,00 € brutto und führte auf der Basis dieses Stundenlohns an die Klägerin den Beitrag nach den Sozialkassentarifverträgen ab.

Mit am 20. Dezember 2007 bei Gericht eingegangener, der Beklagten am 14. Januar 2008 zugestellter Klageschrift hat die Klägerin gegenüber der Beklagten eine Nachforderung in Höhe von 1.378,75 € geltend gemacht und die Klage sodann in Höhe von € 838,26 zurückgenommen.

Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, die Beklagte sei verpflichtet, die Sozialkassenbeiträge für den Arbeitnehmer B. auf der Basis des Gesamttarifstundenlohns des Tarifvertrages zur Regelung der Mindestlöhne im Baugewerbe im Gebiet der C. (TV-Mindestlohn) zu entrichten, was unter Zugrundelegung der Lohngruppe 1 einen nachzuzahlenden Betrag in Höhe von € 540,49 ergebe.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 540,49 € zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, bei der Berechnung der Sozialkassenbeiträge sei jedenfalls der tariflich vorgesehene Bauzuschlag für den Arbeitnehmer B. nicht zu berücksichtigen, da dieser nicht auf Baustellen eingesetzt worden sei. Das Arbeitsgericht Wiesbaden hat mit Urteil vom 21. Oktober 2008 - 2 Ca 3730/07 - der Klage in Höhe von € 295,71 stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Es hat unter anderem ausgeführt, die Nachzahlungsverpflichtung in Höhe von € 295,71 folge aus §§ 18, 22 VTV, da die Beklagte als Betrieb des Hoch- und Tiefbaus dem betrieblichen Geltungsbereich dieses Tarifvertrages unterfalle. Die von der Beklagten abzuführenden Beiträge errechneten sich auf der Grundlage des tariflichen Mindestlohns, wobei die Lohngruppe 1 zugrunde zu legen sei, da der Arbeitnehmer B. mit einfachen Wartungs- und Pflegearbeiten betraut gewesen sei. Auf der Basis des Mindestlohns des im Klagezeitraum jeweils geltenden TV-Mindestlohn errechne sich ohne Berücksichtigung des Bauzuschlags der zugesprochene Nachzahlungsbetrag. Die weitergehende Klageforderung sei jedoch nicht begründet, da beim Stundenlohn des Arbeitnehmers B. der Bauzuschlag nicht in die Berechnung des Sozialkassenbeitrags einzubeziehen sei. Diesem Arbeitnehmer stünde ein Anspruch auf die Zahlung des Bauzuschlags nicht zu. Der Gesamttarifstundenlohn setze sich gemäß § 2 Abs. 1 TV-Mindestlohn aus dem Tarifstundenlohn und dem Bauzuschlag zusammen. Nach der tariflichen Regelung werde der Bauzuschlag gewährt zum Ausgleich der besonderen Belastungen, denen der Arbeitnehmer insbesondere durch den ständigen Wechsel der Baustelle (2,5 v. H.) und die Abhängigkeit von der Witterung außerhalb der gesetzlichen Schlechtwetterzeit (2,9 v. H.) ausgesetzt sei; er diene ferner in Höhe von 0,5 v. H. dem Ausgleich von Lohneinbußen, die in der gesetzlichen Schlechtwetterzeit entstehen könnten. Aus dem Wortlaut dieser Norm ergäbe sich, dass der Bauzuschlag nur dann zu zahlen sei, wenn der Arbeitnehmer auch tatsächlich auf Baustellen beschäftigt werde. Wer diesen Belastungen nicht ausgesetzt sei, benötige auch keinen Ausgleich. Die Regelung, dass der Bauzuschlag für jede lohnzahlungspflichtige Stunde gewährt werde, sei so zu verstehen, dass Arbeitnehmer, die nur zu einem Teil ihrer Arbeitszeit auf Baustellen und teilweise anderweitig eingesetzt würden, für sämtliche geleisteten Arbeitsstunden den Bauzuschlag erhalte sollten. Das Arbeitsgericht hat die Berufung zugelassen. Dieses Urteil ist der Klägerin am 29. Oktober 2008 zugestellt worden. Die Berufung der Klägerin ist am 27. November 2008 und die Berufungsbegründung am 18. Dezember 2008 bei Gericht eingegangen.

Die Klägerin wendet sich gegen das erstinstanzliche Urteil, soweit sie unterlegen ist, und ist weiterhin der Ansicht, der Nachzahlungsbeitrag sei auf der Basis des Mindestlohnes in Höhe des Gesamttarifstundenlohnes, also einschließlich des Bauzuschlags zu errechnen. Das ergäbe sich einmal daraus, dass § 2 Abs. 2 TV-Mindestlohn ausdrücklich regele, dass die Gesamttarifstundenlöhne der Lohngruppen 1 und 2 nach § 5 Nr. 3 BRTV zugleich Mindestlöhne im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 Arbeitnehmerentsendegesetz für alle von dem persönlichen Geltungsbereich dieses Tarifvertrages erfassten Arbeitnehmer sei. Daraus werde ersichtlich, dass der Mindestlohn immer der Gesamttarifstundenlohn sei, ohne das zwischen Arbeitsverhältnissen mit und ohne Anspruch auf den Bauzuschlag differenziert werde. Systematisch ergebe sich die Richtigkeit dieser Auslegung aus § 3 des Tarifvertrages zur Regelung der Löhne und Ausbildungsvergütungen im Baugewerbe im Gebiet der C. mit Ausnahme der 5 neuen Länder und des D. (TV-Lohn/West) in der jeweils geltenden Fassung. Nur in diesem Tarifvertrag, der die Höhe der Löhne für die Lohngruppen 2 a bis 6 regele, werde ausdrücklich festgelegt, dass bestimmte Arbeitnehmer, die nicht auf Baustellen arbeiteten, lediglich den Tarifstundenlohn ohne den Bauzuschlag erhielten.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 21. Oktober 2008 - 2 Ca 3730/07 - abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin weitere € 244,78 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil, soweit sie obsiegt hat, und ist der Ansicht, die Auslegung der tariflichen Bestimmungen durch die Klägerin sei nicht zwingend. Da die Tarifvertragsparteien im Tarifvertrag ausdrücklich Gründe für die Zahlung des Bauzuschlags angäben, mache es keinen Sinn, wenn der Bauzuschlag sodann unabhängig vom Vorliegen dieser Gründe an alle gewerblichen Arbeitnehmer zu zahlen sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvorbringens wird auf den Inhalt der Berufungsschriftsätze sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 27. März 2009 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden ist gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthaft. Die Klägerin hat sie auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet, §§ 66 Abs. 1 ArbGG, 519 ZPO.

Die Berufung der Klägerin hat in der Sache Erfolg, denn der Klägerin steht die Beitragsnachzahlung aus dem Gesamttarifstundenlohn einschließlich des Bauzuschlags der Lohngruppe 1 gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 TV-Mindestlohn in der jeweils geltenden Fassung zu. § 2 TV-Mindestlohn enthält, soweit vorliegend relevant, unter anderem folgende Regelungen:

1. "Der Gesamttarifstundenlohn (GTL) der Lohngruppen 1 und 2 nach § 5 Nr. 3 BRTV setzt sich aus dem Tarifstundenlohn und (TL) und dem Bauzuschlag (BZ) zusammen. Der Bauzuschlag beträgt 5,9 v. H. des Tarifstundenlohnes. Der Bauzuschlag wird gewährt zum Ausgleich der besonderen Belastungen, denen der Arbeitnehmer insbesondere durch den ständigen Wechsel der Baustelle (2,5 v. H.) und die Abhängigkeit von der Witterung außerhalb der gesetzlichen Schlechtwetterzeit (2,9 v. H.) ausgesetzt ist; er dient ferner in Höhe von 0,5 v. H. dem Ausgleich von Lohneinbußen, die sich in der gesetzlichen Schlechtwetterzeit ergeben. Der Bauzuschlag wird für jede lohnzahlungspflichtige Stunde, nicht jedoch für Leistungs-Mehrstunden (+ - Stunden, Überschuss-Stunden im Akkord), gewährt.

2. Die Gesamttarifstundenlöhne der Lohngruppen 1 und 2 nach § 5 Nr. 3 BATV sind zugleich Mindestlöhne im Sinne des § 1 Abs. 1 AEntG für alle von dem persönlichen Geltungsbereich dieses Tarifvertrages erfassten Arbeitnehmer."

MTV-Lohn/West, welcher die Löhne ab der Lohngruppe 2 a bis 6 regelt, ist in § 3 unter anderem folgendes bestimmt:

1. "Arbeitnehmer, die in dem jeweiligen Lohnabrechnungszeitraum arbeitszeitlich überwiegend nicht auf Baustellen, sondern stationär, insbesondere in Bauhöfen und Werkstätten ... beschäftigt werden, erhalten den Tarifstundenlohn gemäß § 2 Abs. 7 bis 10, nicht jedoch den Bauzuschlag, soweit dadurch der jeweilige Mindestlohn nicht unterschritten wird. Für die auf Baustellen geleisteten Arbeitsstunden erhalten diese Arbeitnehmer den Tarifstundenlohn und den Bauzuschlag (Gesamttarifstundenlohn). ...."

Ob der Beitragsnachzahlungsanspruch auf der Basis des Gesamttarifstundenlohns einschließlich des Bauzuschlags zu berechnen ist, ist durch Auslegung zu ermitteln. Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben haften zu bleiben. Bei nicht eindeutigem Wortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so der Sinn und der Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können. Gelangt man durch diese Auslegung nicht zu zweifelsfreien Ergebnissen, so können die Gerichte ohne Bindung an eine Reihenfolge weiterer Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages, ggf. auch die praktische Tarifübung und die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ergänzend hinzuziehen und berücksichtigen (BAG 24.01.07 - 4 AZR 19/06 - NZW 2007, 1062).

Vor diesem Hintergrund ergibt sich, dass es zwar auf den ersten Blick wenig Sinn macht, detailliert den Zweck eines Lohnbestandteils im Tarifvertrag zu definieren und sodann die Zahlung dieses Lohnzuschlags unabhängig davon zu gewähren, ob der definierte Zweck, sei es ggf. auch nur teilweise, erreicht wird. Von daher ist die Ansicht der Beklagten nachvollziehbar, dass der Bauzuschlag in Bezug auf den Arbeitnehmer B. nicht zu zahlen ist, da dieser weder besonderen Belastungen durch den ständigen Wechsel der Baustelle und durch die Abhängigkeit von der Witterung noch Lohneinbußen in der gesetzlichen Schlechtwetterzeit ausgesetzt ist.

Allerdings haben die Tarifvertragsparteien ausdrücklich und unabhängig von der Zweckbestimmung des Bauzuschlags in § 2 Abs. 1 Satz 1 TV-Mindestlohn ausdrücklich geregelt, dass der Gesamttarifstundenlohn insbesondere der Lohngruppe 1 sich aus dem Tarifstundenlohn und dem Bauzuschlag zusammensetzt. In § 2 Abs. 1 Satz 3 TV-Mindestlohn ist ausdrücklich bestimmt, dass der Bauzuschlag für jede lohnzahlungspflichtige Stunde gezahlt wird, ohne dass insoweit nach etwaigen Belastungen differenziert wird. In § 2 Abs. 2 TV-Mindestlohn ist sodann festgehalten, dass die Gesamttarifstundenlöhne der Lohngruppe 1 und 2 zugleich Mindestlöhne im Sinn von § 1 Abs. 1 Nr. 1 Arbeitnehmerentsendegesetz sind. Anhand dieser Gesamtregelung in § 2 Abs. 1 und 2 TV-Mindestlohn wird deutlich, dass in den Lohngruppen 1 und 2 ausnahmslos der Gesamttarifstundenlohn als Mindestlohn zu zahlen ist. Dieses Auslegungsergebnis wird bestätigt, wenn § 3 Abs. 1 TV-Lohn/West hinzugezogen wird. Dieser Tarifvertrag enthält Regelungen für die Lohngruppen ab 2 a aufwärts und bestimmt in § 3 Abs. 1, dass insbesondere Arbeitnehmer, die arbeitszeitlich überwiegend nicht aus Baustellen, sondern stationär insbesondere in Bauhöfen und Werkstätten beschäftigt werden, zwar den Tarifstundenlohn, nicht jedoch den Bauzuschlag erhalten, soweit dadurch der jeweilige Mindestlohn nicht unterschritten wird. Diese Arbeitnehmer erhalten den Bauzuschlag mithin nur dann, wenn und solange sie auf Baustellen eingesetzt sind. Die Tarifvertragsparteien habe damit deutlich zu erkennen gegeben, dass der Gesamttarifstundenlohn hinsichtlich der Lohngruppen 1 und 2 der in jedem Fall zu zahlende Mindestlohn ist und dass erst ab der Lohngruppe 2 a danach differenziert wird, ob die mit dem Bauzuschlag verbundenen Erschwernisse vorhanden sind oder nicht.

Der von der Klägerin geltend gemachte Nachzahlungsanspruch besteht mithin in der Höhe, wie er zuletzt von der Klägerin geltend gemacht wurde. Dieser Anspruch ist auch nicht teilweise verfallen gemäß § 25 Abs. 1 VTV, da die Klage auch hinsichtlich des Nachzahlungsanspruchs für das Kalenderjahr 2003 rechtzeitig am 20. Dezember 2007 bei Gericht eingegangen ist und der Beklagten demnächst im Sinn von § 167 ZPO zugestellt wurde.

Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens tragen die Parteien gemäß § 92 Abs. 1 ZPO anteilig, wobei die Klägerin die Kosten der Teilklagerücknahme gemäß § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO trägt.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte, da sie unterlegen ist, § 91 ZPO.

Die Revision wird gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG zugelassen.

Ende der Entscheidung

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