Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 06.03.2006
Aktenzeichen: 10 Sa 467/05
Rechtsgebiete: TVG, BGB, ZPO


Vorschriften:

TVG § 1
BGB § 291
ZPO § 322
Beitrags- und Zinsanspruch auf Beiträge betreffen unterschiedliche Streitgegenstände. Die Voraussetzungen des Zinsanspruchs sind auch dann vorzutragen, wenn der Beitragsanspruch bereits rechtskräftig tituliert ist.
Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 11.11.2004 - 4 Ca 1482/02 - abgeändert, das Versäumnisurteil vom 15. Juli 2002 aufgehoben und die Klage insgesamt abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger Zinsansprüche auf rechtskräftig titulierte Forderungen zustehen.

Der Kläger ist die Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes. Er ist als gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes nach näherer tariflicher Maßgabe die Einzugsstelle für die Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes. Er nimmt den Beklagten auf der Grundlage des allgemeinverbindlichen Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) auf Zahlung von Zinsen für in der Zeit vom 01. Januar 2000 bis zum 30. Dezember 2001 gebuchte Umsätze betreffend den Zinszeitraum ab dem 01. Januar 1997 in Anspruch. Wegen der gegenüber dem Beklagten mit Schreiben vom 16. Oktober 2001 geltend gemachten Verzugszinsrechnung wird auf Bl. 11 - 15 d.A. und wegen der korrigierten Verzugszinsrechnung auf Bl. 65 - 67 d.A. Bezug genommen. Der Verzugszinsrechnung zugrunde liegt ein im Wege eines zweiten Versäumnisurteils (ArbG Wiesbaden, Az. 4 Ca 1526/99) rechtskräftig titulierter Beitragsanspruch des Klägers für den Zeitraum von Dezember 1992 bis November 1993 über DM 19.081,48 (entspricht € 9.756,21).

Mit Mahnbescheid vom 02. Mai 2002, dem Beklagten am 04. Mai 2002 zugestellt, hat der Kläger die oben angegebenen Verzugszinsen in Höhe von € 5.576,83 geltend gemacht. Am 15. Juli 2002 ist gegen den Beklagten Versäumnisurteil ergangen (vgl. Bl. 19 d.A.), gegen welches er rechtzeitig Einspruch eingelegt hat. Mit Schriftsatz vom 31. Juli 2003 hat der Kläger die Klage teilweise zurückgenommen (vgl. Bl. 99 d.A.).

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, der Beklagte schulde ihm den geltend gemachten Betrag unter dem Gesichtspunkt der Zahlung von Verzugszinsen. Der Kläger hat behauptet, der Beklagte habe in den Kalenderjahren 1992 und 1993 einen baugewerblichen Betrieb mit im Einzelnen genannten, arbeitszeitlich überwiegend erbrachten Tätigkeiten geführt. Anhaltspunkte dafür, dass die Tätigkeiten im Ausland erbracht worden seien, bestünden nicht.

Der Kläger hat beantragt,

das Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 15. Juli 2002 mit der Maßgabe aufrechtzuerhalten, dass der Beklagte verurteilt wird, an den Kläger € 3.086,23 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

das Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 15. Juli 2002 aufzuheben und die Klage insgesamt abzuweisen.

Der Beklagte hat die Ansicht vertreten, eine Zahlungsverpflichtung bestünde nicht. Er hat behauptet, keine baugewerblichen Tätigkeiten, sondern kleinere Maler- und Putzarbeiten ausschließlich in Frankreich verrichtet zu haben. Der Beklagte hat sich auf die Einrede der Verjährung berufen.

Das Arbeitsgericht Wiesbaden hat mit Urteil vom 11. November 2004 - 4 Ca 1482/02 - der Klage teilweise stattgegeben und das Versäumnisurteil in Höhe von € 1.560,99 aufrechterhalten. Es hat u.a. ausgeführt, ein Anspruch des Klägers auf Zahlung von Verzugszinsen ergäbe sich nicht aus § 30 VTV vom 12. November 1986 in der jeweils gültigen Fassung bzw. für die Zeit ab dem 01. Januar 2000 aus § 24 VTV vom 20. Dezember 1999. Der Beklagte habe nämlich in den Jahren 1992 und 1993 keinen baugewerblichen Betrieb im Sinn des Verfahrenstarifvertrages unterhalten. Gemäß § 1 Abs. 1 VTV sei der räumliche Geltungsbereich des Tarifvertrages auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland beschränkt. Diese Anbindung an Inlandsarbeitsverhältnisse gelte auch für die im Tarifvertrag normierten Leistungspflichten des baugewerblichen Arbeitgebers gegenüber dem Kläger. Abweichendes gelte nur, wenn im Rahmen von Arbeitsverhältnissen im Inland die Arbeitsleistung lediglich vorübergehend im Ausland geleistet werde. Der Kläger, der für das Vorliegen sämtlicher Anspruchsvoraussetzungen darlegungs- und beweispflichtig sei, habe nur pauschal und ohne nähere Anhaltspunkte behauptet, sämtliche Arbeiten im Betrieb des Beklagten seien in der Bundesrepublik Deutschland ausgeführt worden, was nicht ausreichend sei. Die fehlende Tarifunterworfenheit werde auch nicht durch das rechtskräftige Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden hinsichtlich der Beitragsansprüche für die Monate Dezember 1992 bis November 1993 ersetzt. Die Rechtskraft dieses Urteils stehe einer gegenteiligen Entscheidung im Nachfolgeprozess, in dem die entsprechende Beitragsforderung verzinst werde, nicht entgegen. Es entstünde keine Präklusionswirkung und § 318 ZPO greife nicht ein. Unabhängig davon, dass die Beitragsansprüche rechtskräftig tituliert seien, könne der Beklagte sich für die Frage der Verzinsung darauf berufen, dass ein derartiger Anspruch des Klägers nicht bestehe. Die materielle Rechtskraft sei auf die im Vorprozess jeweils entschiedenen Ansprüche beschränkt, sodass nur bezüglich eines kongruenten Streitgegenstandes eine neue Klage ausgeschlossen sei. Dem Kläger stehe jedoch dem Grunde nach für den Zeitraum vom 04. Dezember 1997 bis zum 30. Dezember 2001 ein Anspruch auf Zahlung von Prozesszinsen gem. § 291 BGB zu. Voraussetzung für die Zahlungspflicht gem. § 291 BGB sei, dass es sich um eine Geldschuld im Sinn von § 245 BGB handele, unabhängig davon, auf welchem Rechtsgrund diese beruhe. Der Anspruch müsse fällig und durchsetzbar sein. Bei der am 03. Dezember 1997 dem Beklagten zugestellten Zahlungsklage betreffend die Beitragsschulden für die Jahre 1992 und 1993 handele es sich um eine Leistungsklage, die zu dem genannten Datum rechtshängig geworden sei; der Anspruch sei zum Zeitpunkt der Rechtshängigkeit fällig und durchsetzbar gewesen, weshalb ab diesem Zeitpunkt ein Anspruch auf Zahlung von Prozesszinsen bestehe. Dieser Zahlungsanspruch sei hinsichtlich der Prozesszinsen für das Jahr 1997 jedoch verjährt, da eine rechtzeitige Unterbrechung der Verjährung durch Klageerhebung für die Zinsen bezüglich dieses Zeitraums nicht erfolgt sei. Der Höhe nach stünden dem Kläger 4% Zinsen für die Zeit vom 01. Januar 1998 bis zum 31. Dezember 2001 in der zugesprochenen Höhe zu.

Dieses Urteil ist dem Beklagten am 15. Februar 2005 zugestellt worden. Die Berufung des Beklagten ist am 14. März 2005 und die Berufungsbegründung am 14. April 2005 bei Gericht eingegangen.

Der Beklagte wendet sich gegen das erstinstanzliche Urteil. Er ist weiterhin der Ansicht, im Klagezeitraum keinen Betrieb unterhalten zu haben, der dem betrieblichen oder räumlichen Geltungsbereich des VTV unterfallen sei. Der Beklagte beruft sich auf den Verfall und die Verjährung der geltend gemachten Ansprüche, hält die Klage für unschlüssig, den Vortrag des Klägers für verspätet und wendet ein, dass einer Verurteilung außerdem § 242 BGB entgegenstehe.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 15. Juli 2000 - 4 Ca 1482/02 - abzuändern, das Versäumnisurteil vom 15. Juli 2002 aufzuheben und die Klage insgesamt abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.

Der Kläger ist der Ansicht, er könne vom Beklagten die Zahlung tarifvertraglicher Zinsen auf den rechtskräftig titulierten Beitragsanspruch verlangen, wie vom LAG Berlin bestätigt worden sei. Die Forderung des Klägers sei weder verfallen, noch verwirkt, verjährt oder nach Treu und Glauben untergegangen. Auch könne der Kläger auf die Ausübung seiner tarifvertraglichen Rechte nicht verzichten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der Berufungsschriftsätze sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 06. März 2006 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden ist gem. §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthaft. Der Beklagte hat sie auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet, §§ 66 Abs. 1 ArbGG, 517, 519, 520 ZPO.

In der Sache hat die Berufung des Beklagten Erfolg. Der Kläger kann von dem Beklagten keine Zinsen auf die in der Zeit vom 01. Januar 2000 bis zum 30. Dezember 2001 gebuchten Umsätze verlangen. Als Anspruchsgrundlage für die geltend gemachten Zinsen kommen die §§ 30 VTV 1986 bzw. 24 VTV 1999 in der jeweils geltenden Fassung in Betracht. Bis zum 31. Dezember 2000 war der Arbeitgeber, der mit der Zahlung des Sozialkassenbeitrags oder des Beitrags für Angestellte in Verzug war, verpflichtet, Verzugszinsen in Höhe des um 3 Prozentpunkte erhöhten jeweiligen Basiszinssatzes zu zahlen. Ab dem 01. Januar 2001 besteht der tarifvertragliche Verzugszinsanspruch in gesetzlicher Höhe.

Der Kläger hat die Voraussetzungen dieses tariflichen Verzugszinsanspruchs nicht hinreichend dargetan. Voraussetzung für die Entstehung des Zinsanspruchs ist das Bestehen eines Beitragsanspruchs. Ein solcher Beitragsanspruch bestünde, wenn der Betrieb des Beklagten in den Kalenderjahren 1992 und 1993 als Betrieb des Baugewerbes gem. § 1 Abs. 2 VTV dem betrieblichen und räumlichen Geltungsbereich des Tarifvertrages zugeordnet werden könnte. Insoweit hat der darlegungs- und beweispflichtige Kläger (vgl. zur Beweislast BAG 28.03.1990 - 4 AZR 615/89 - AP Nr. 130 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau) zwar im Einzelnen vorgetragen, welche Tätigkeiten im Betrieb des Beklagten in den Kalenderjahren verrichtet wurden. Der Beklagte geht im Übrigen selbst davon aus, dass in seinem Betrieb - in welchem Umfang auch immer - neben den Malerarbeiten auch Putzarbeiten verrichtet wurden. Allerdings hat der Kläger nicht hinreichend dargelegt, dass der Betrieb des Beklagten auch dem räumlichen Geltungsbereich des VTV zuzuordnen ist. Der Kläger hat im Wesentlichen erstinstanzlich bestritten, dass der Beklagte ausschließlich in Frankreich seine betriebliche Tätigkeit entfaltet. Der Kläger hat jedoch keine durch Indizien belegten und ggf. vermuteten Tatsachenbehauptungen aufgestellt, aus denen sich ergeben könnte, dass der Beklagte (auch) auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland tätig geworden ist.

Dem Kläger steht auch kein Anspruch auf Verzugszinsen gem. §§ 286, 288 BGB oder auf Prozesszinsen gem. § 291 BGB zu. Gemäß § 288 Abs. 1 BGB ist eine Geldschuld während des Verzuges zu verzinsen. Gemäß § 291 Abs. 1 Satz 1 BGB ist eine Geldschuld durch den Schuldner von dem Eintritt der Rechtshängigkeit an zu verzinsen. Beide Vorschriften setzen das Bestehen einer Geldschuld voraus. Zwar steht rechtskräftig fest, dass der Beklagte dem Kläger für die Kalenderjahre 1992 und 1993 Beiträge in Höhe von DM 19.081,48 schuldet. Daraus folgt jedoch entgegen der Ansicht des Klägers und auch entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts Berlin (LAG Berlin 16.03.2005 - 17 Sa 2598/04 -) nicht, dass der Beklagte aufgrund der rechtskräftigen Titulierung der Beitragsforderungen im Rahmen der vorliegenden Zinsklage nicht mehr geltend machen könnte, zur Zahlung von Zinsen auf Beiträge nicht verpflichtet zu sein. Die Rechtskraft eines Urteils, mit dem ein Arbeitgeber zur Zahlung von Beiträgen nach dem Tarifvertrag über das Sozialkassenverfahren verurteilt wird, steht einer gegenteiligen Entscheidung im Nachfolgeprozess, in welchem die Zinsen auf die Beitragsforderungen geltend gemacht werden, grundsätzlich nicht entgegen. Die Entscheidung über den Hauptanspruch schließt einen Zinsanspruch nur insoweit aus, als die Klage abgewiesen wird. In diesem Umfang erstreckt sich die Rechtskraft der Entscheidung über den Hauptanspruch auch auf den Zinsanspruch. Wird der Hauptanspruch dagegen für begründet erachtet, ist die Rechtskraft dieser Entscheidung auf den Hauptanspruch beschränkt und die zusätzliche und nachträgliche Einklagung von Zinsen nicht verwehrt (BGH 14. Januar 1987, NJW-RR 1987, 386; vgl. auch zum Verhältnis Auskunfts- zur Beitragsklage: BAG 23. November 1988 - 4 AZR 393/88 - NZA 1989, 436; Zöller, ZPO, 25. Aufl., vor § 322 Rz 28; OLG Frankfurt am Main 11. November 1996 - 18 U 15/96 - NJW-RR 1997, 700; a.A. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 63. Aufl. 2005, § 322 Rz 74). Gemäß § 322 Abs. 1 ZPO sind Urteile nämlich nur insoweit der Rechtskraft fähig, als über den durch die Klage oder durch die Widerklage erhobenen Anspruch entschieden ist. Damit soll verhindert werden, dass aus dem gleichen Sachverhalt zwischen denselben Parteien über eine daraus abgeleitete zivilrechtliche Rechtsfolge dann anders entschieden wird, wenn hierüber bereits durch ein älteres Urteil rechtskräftig entschieden ist (BAG 23. November 1988, a.a.O.). Streitgegenstand des beim Arbeitsgericht Wiesbaden mit zweitem Versäumnisurteil beendeten Verfahrens war die Verpflichtung des Beklagten zur Beitragszahlung für die Jahre 1992 und 1993. Im vorliegenden Verfahren liegt ein anderer Streitgegenstand vor, da der Kläger Zinsen auf geschuldete Beiträge geltend macht. Zwar stellt sich in allen Verfahren die gleiche Frage, ob nämlich der Betrieb des Beklagten im streitgegenständlichen Zeitraum dem Geltungsbereich der Sozialkassentarifverträge unterfiel. Die rechtliche Beurteilung in dem Vorprozess erwuchs jedoch nicht in Rechtskraft, sodass diese Frage jeweils neu geklärt werden muss. Das gilt unabhängig davon, ob der Zinsanspruch aus dem VTV oder aus dem Gesetz abgeleitet wird.

Auch aus § 264 Ziffer 2 ZPO ergibt sich, dass ein anderer Streitgegenstand vorliegt. Nach dieser Vorschrift ist es nicht als eine Änderung der Klage anzusehen, wenn ohne Änderung des Klagegrundes der Klageantrag u.a. in Bezug auf Nebenforderungen erweitert wird. Einer solchen gesetzlichen Regelung bedürfte es nicht, wenn Haupt- und Nebenforderung ohnehin denselben Streitgegenstand beträfen.

Da dem Kläger der geltend gemachte Zinsanspruch nicht zusteht, kann dahinstehen, ob etwaige Ansprüche verfallen oder verjährt oder sonst nach Treu und Glauben nicht geltend gemacht werden könnten.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits, da er unterlegen ist, § 91 ZPO.

Die Revision wird gem. § 72 Abs. 2 Ziffer 1 und 2 ArbGG zugelassen.

Ende der Entscheidung

Zurück