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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 06.06.2002
Aktenzeichen: 11 Sa 505/01
Rechtsgebiete: InsO


Vorschriften:

InsO § 209 Abs. 2 Nr. 3
Zur Frage eines "originären" Rechts des Insolvenzverwalters aus § 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO einen Arbeitnehmer von der Pflicht zur Arbeitleistung freizustellen und zur Frage, falls ein solches Recht besteht, dabei die Grundsätze der Sozialauswahl zu beachten.
Hessisches Landesarbeitsgericht Im Namen des Volkes! Urteil

Aktenzeichen: 11 Sa 505/01

Verkündet laut Protokoll am 06.06.2002

In dem Rechtsstreit

hat das Hessische Landesarbeitsgericht, Kammer 11 in Frankfurt am Main auf die mündliche Verhandlung vom 06. Juni 2002 durch den Vorsitzenden Richter am LAG Launhard als Vorsitzenden und die ehrenamtlichen Richter ... Kürpick ... und Lissmann als Beisitzer

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung wird das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 14.12.2000 (Az.: 16 Ca 441/00) teilweise abgeändert:

Es wird festgestellt, dass die Freistellung vom 30.12.1998 ab 26.12.2002 unwirksam ist.

Im übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Klägerin hat 4/10, der Beklagte 6/10 der Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin ist seit 01.04.1997 bei dem H... F... AG als Krankenpflegehelferin beschäftigt.

Am 30.12.1999 wurde über das Vermögen des Arbeitgebers das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Mit Schreiben vom 30.12.1999 stellte der Beklagte die Klägerin von der Arbeit frei. Am 30.12.1999 zeigte der Beklagte die Masseunzulänglichkeit an.

Zu diesem Zeitpunkt befand sich die Klägerin im Mutterschutz, der bis 22.02.2000 andauerte. Danach nahm die Klägerin Erziehungsurlaub, der bis 25.12.2002 andauert. Die Klägerin war bis Juni 2002 Mitglied des Betriebsrats, der im Juni neu gewählt wurde. Die Klägerin wurde zum Ersatzmitglied gewählt.

Mit ihrer Klage wehrt sich die Klägerin gegen die Freistellung und verlangt Zahlung des Zuschusses zum Mutterschaftsgeld für die Zeit vom 30.12.1999 bis 22.02.2000.

Sie hat geltend gemacht, die Freistellung sei im Hinblick darauf, dass die Sozialauswahl nicht berücksichtigt worden sei, unwirksam.

Die Klägerin hat beantragt,

1. festzustellen, dass die Freistellung vom 30.12.1999 unwirksam ist;

2. den Beklagten zu verurteilen, an sie für die Zeit vom 30.12.1999 bis zum 22.02.2000 den Zuschuss zum Mutterschaftsgeld in Höhe von DM 2.692,25 netto nebst 4% Zinsen seit Rechtshängigkeit (05.09.2000) zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat geltend gemacht, er könne wegen der Masseunzulänglichkeit nicht verpflichtet werden, die Arbeitsleistung der Klägerin anzunehmen und damit Zahlungsverpflichtungen gem. § 55 Abs. 1 Nr. 1 KO und § 209 Abs. 1 Nr. 2 KO auslösen. Im Falle der Fortführung des Geschäftsbetriebs sei der Insolvenzverwalter gehalten, lediglich die Arbeitnehmer tatsächlich zu beschäftigen und damit Masseverbindlichkeiten gem. § 209 Abs. 1 Ziff. 3 KO zu begründen, die er zur Fortführung des Geschäftsbetriebes benötige. Der Beklagte hat geltend gemacht, es hätten Überkapazitäten auf der Normalstation, der Sterilisation, im Hohl- und Bringdienst und in der Liegendaufnahme bestanden, so dass insgesamt 27 Mitarbeiten hätten freigestellt werden müssen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe wird verwiesen.

Gegen das ihr am 21.02.2001 zugestellt Urteil hat die Klägerin am 21.03.2001 Berufung eingelegt und nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 23.05.2001 die Berufung mit am 23.05.2001 eingegangenem Schriftsatz begründet.

Die Klägerin vertieft ihr Vorbringen erster Instanz und beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 14.12.2000 abzuändern und

1. festzustellen, dass die Freistellung vom 30.12.1999 unwirksam ist;

2. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin für die Zeit vom 30.09.1999 bis zum 22.02.2000 den Zuschuss zum Mutterschaftsgeld in Höhe von DM 2.692,25 netto nebst 4% Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts und wiederholt im Übrigen sein Vorbringen erster Instanz.

Zur Ergänzung des beiderseitigen Berufungsvorbringens wird auf die von den Parteien in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die nach dem Wert des Streitgegenstandes statthafte Berufung der Klägerin ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und rechtzeitig begründet worden.

In der Sache selbst ist die Berufung der Klägerin teilweise begründet. Soweit die Klägerin die Feststellung der Unwirksamkeit der Freistellung bis 22.12.2002 begehrt ist die Klage unzulässig. Eine Feststellungsklage gem. § 256 ZPO setzt ein rechtliches Interesse an alsbaldiger Feststellung des Bestehens eines Rechtsverhältnisses voraus. Mit der von der Klägerin beantragten Feststellung begehrt diese die Feststellung, dass die Freistellung von der Arbeitspflicht unwirksam, also eine Pflicht des Beklagten zur Beschäftigung der Klägerin als Krankenpflegehelferin besteht. Eine solche Pflicht des Beklagten besteht zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht nicht. Die Klägerin befindet sich zur Zeit und noch für längere Zeit in Erziehungsurlaub. Ein Beschäftigungsanspruch und hierzu korrespondierend eine Beschäftigungspflicht besteht derzeit nicht.

Dagegen ist das Interesse an alsbaldiger Feststellung für die Zeit ab 26.12.2002 zulässig. Da die Klägerin aufgrund ihrer Mitgliedschaft im Betriebsrat bis Juni 2002 den nachwirkenden Kündigungsschutz des Mandatsträgers gem. § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG von einem Jahr über den 26.12.2002 hinaus besitzt und der Beklagte daher eine ordentliche Kündigung nach Ablauf des Erziehungsurlaubs der Klägerin nicht aussprechen kann, steht jetzt schon fest, dass der Beklagte an der mit Schreiben vom 30.12.1999 erklärten Freistellung der Klägerin von der Arbeitspflicht festhalten wird.

Die Feststellungsklage ist für die Zeit ab 26.12.2002 begründet. Die Klägerin hat ab diesem Zeitpunkt einen Anspruch auf Beschäftigung gegen den Beklagten. Rechtserhebliche Einwände gegen eine Pflicht zur Beschäftigung ab diesem Zeitpunkt hat der Beklagte nicht.

Der Beklagte kann sich nicht auf ein eventuelles Freistellungsrecht aus § 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO berufen. Nach dieser Vorschrift sind bei Masseunzulänglichkeit Lohn- und Gehaltsansprüche nur dann als Masseverbindlichkeiten im Sinne des § 209 Abs. 1 Ziff. 2 InsO anzusehen, soweit der Insolvenzverwalter nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit für die Insolvenzmasse die Gegenleistung in Anspruch genommen hat. Die Auffassung, dass sich aus Gesetz und Begründung hierzu im Umkehrschluss ein Recht des Insolvenzverwalters ergeben soll, den Arbeitnehmer auch "originär" freizustellen (vgl. Berscheid, Arbeitsverhältnisse in der Insolvenz, S. 205, RdZiff. 610 ff.) ist abzulehnen. Es heißt in der Begründung zu § 321 Regierungsentwurf (BR-Drs. 1/92, S. 220):

Schließlich sind auch die Verbindlichkeiten, für die der Verwalter nach dem Antrag auf Feststellung der Masseunzulänglichkeit die Gegenleistung in Anspruch nimmt, als neue Masseverbindlichkeit zu behandeln (Nr. 3). Auch nach einer Feststellung der Masseunzulänglichkeit muss ein Arbeitnehmer, der seine Leistung voll zu erbringen hat - der also nicht vom Verwalter "freigestellt" worden ist - Anspruch auf volle Vergütung für diese Arbeitsleistung haben. Ein wichtiger Teil der neuen Regelung in § 321 des Entwurf ist in § 13 Abs. 1 Nr. 3 Buchstabe a) GesO vorweggenommen worden: Danach sind die Ansprüche der Arbeitnehmer des Schuldners für den Zeitraum, für den diese nach einer Kündigung durch den Verwalter von ihrer Beschäftigung freigestellt sind, in den dritten und letzten Rang der Masseverbindlichkeiten eingestuft.

Gesetz und Begründung befassen sich ausschließlich mit insolvenzrechtlichen Folgen für den Lohn- und Gehaltsanspruch eines Arbeitnehmers, dessen Arbeitsverhältnis sofort nach Insolvenzeröffnung mit ordentlicher Frist gekündigt wurde und der vom Insolvenzverwalter freigestellt wurde (es entstehen sog. Altmasseverbindlichkeiten) oder weiterbeschäftigt wurde (es entstehen sog. Neumasseverbindlichkeiten, die zu 100% zu erfüllen sind) als auch mit den insolvenzrechtlichen Folgen für den Lohn- und Gehaltsanspruch, wenn der Insolvenzverwalter erst später das Arbeitsverhältnis kündigt, und er die Möglichkeit gehabt hätte, das Entstehen dieser Forderungen zu verhindern (§ 209 Abs. 2 Ziff. 2 InsO). Da das Gesetz nur die Folgen der Handlungen des Insolvenzverwalters regelt, ist die Auffassung abzulehnen, dass in einem Arbeitsverhältnis als einem besonderen Dauerschuldverhältnis losgelöst von dem im Arbeitsverhältnis anerkannten Beschäftigungsanspruch eines in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis stehenden Arbeitnehmers ohne weitere Voraussetzungen ein Recht auf Ablehnung der Beschäftigung des Arbeitnehmers begründet sein soll. Eine solche Auslegung des Gesetzes lässt sich auch der Begründung zu § 321 des RegE nicht entnehmen.

Einer abschließenden Entscheidung bedurfte es nicht, da im Streitfall selbst bei Annahme eines grundsätzlichen "originären" Rechts des Insolvenzverwalters auf Freistellung von Arbeitnehmern im ungekündigten Arbeitsverhältnis die gegenüber der Klägerin ausgesprochene Freistellung ab 26.12.2002 unwirksam ist. Der Beklagte hat nicht dargelegt, inwiefern die Freistellung der Klägerin ab diesem Zeitpunkt den Grundsätzen der Sozialauswahl entspricht. Beabsichtigt ein Insolvenzverwalter den Betrieb fortzuführen, hat er im Falle von betriebsbedingten Kündigungen die Grundsätze der Sozialauswahl einzuhalten (vgl. BAG AP Nr. 4 zu § 22 KO). Beeinflusst ein Insolvenzverwalter die Rechtsstellung des Arbeitnehmers durch eine Freistellung ebenfalls zu Ungunsten des Arbeitnehmers, indem bei Freistellung in einem ungekündigt fortbestehenden Arbeitsverhältnis die Lohn- und Gehaltsansprüche nur sog. Altmasseverbindlichkeiten darstellen, die nur quotenmäßig erfüllt werden, während die Lohn- und Gehaltsansprüche der weiterbeschäftigten Arbeitnehmer in vollen Umfang zu befriedigen sind, hat der Insolvenzverwalter ebenfalls eine Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten zu treffen. Zwar verlieren freigestellte Arbeitnehmer ihren Arbeitsplatz nicht wie diejenigen Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis betriebsbedingt gekündigt wird. Ihr Arbeitsverhältnis besteht aber mit verändertem Inhalt fort: Der Anspruch auf Beschäftigung besteht nicht mehr; der Lohn- oder Gehaltsanspruch ist auf die Quote der sog. Altmasseverbindlichkeiten reduziert. Es entsteht somit eine vergleichbare Rechtslage wie sie bei Ausspruch einer betriebsbedingten Änderungskündigung entstehen würde, für die ebenfalls die Grundsätze einer sozialen Auswahl zu beachten wären.

Es bedurfte daher keines Eingehens auf die Frage, ob die Entscheidung des Insolvenzverwalters, nicht alle Arbeitnehmer weiterzubeschäftigen und deshalb einen Teil freizustellen, als Einführung von Kurzarbeit im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG anzusehen ist, die ebenso wie die Auswahl des betroffenen Personenkreises mitbestimmungspflichtig ist (vgl. Berscheid, a.a.O., RdZiff. 610), woraus sich ebenfalls die individualrechtliche Unwirksamkeit der Freistellung gegenüber der Klägerin ergeben könnte.

Der von der Klägerin geltend gemachte Zahlungsanspruch ist nicht begründet. Insoweit wird auf die Ausführungen im arbeitsgerichtlichen Urteil verwiesen.

Da beide Parteien teilweise obsiegt haben und teilweise unterlegen sind waren die Kosten des Rechtsstreits verhältnismäßig zu teilen (§ 92 Abs. 1 ZPO).

Gründe für die Zulassung der Revision waren nicht ersichtlich (§ 72 Abs. 2 ArbGG).

Ende der Entscheidung

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