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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 03.06.2005
Aktenzeichen: 12 Sa 553/04
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 611
Zur Frage, in welchem Umfang der Arbeitgeber einer nach dem Arbeitsvertrag als "kaufmännische Angestellte" eingestellten Arbeitnehmerin im Zusammenhang mit der Übertragung der Tätigkeit einer "Versandleiterin" auch nicht kaufmännische Tätigkeiten (wie das Verpacken der Produkte) abverlangen kann.
Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hanau vom 10. März 2004 - Aktenzeichen: 1 Ca 594/03 - teilweise abgeändert:

Es wird festgestellt, dass die Beklagte nicht befugt ist, der Klägerin im Rahmen der von ihr nach dem Arbeitsvertrag vom 1. Juli 1994 geschuldeten Tätigkeit überwiegend manuelle Versandarbeiten aufzugeben, insbesondere das Ein- und Auspacken von Paketen, das Ein- und Ausräumen von Regalen und das Falten von Kartons in Schachteln.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Von den Kosten der ersten Instanz haben die Klägerin 3/4 und die Beklagte 1/4 u tragen. Die Kosten der Berufung haben die Parteien je zur Hälfte zu tragen.

Die Revision wird gegen dieses Urteil nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, in welchem Umfang der Klägerin die Erledigung manueller Tätigkeiten übertragen werden kann.

Die Klägerin absolvierte bei der Beklagten zunächst eine Ausbildung zur Industriekauffrau. Danach war sie seit dem 1.7.1994 zu einem Bruttomonatsgehalt von zuletzt EUR 1.900,-- als kaufmännische Angestellte im Fertigwarenlager beschäftigt. Nach kurzer Zeit übergab ihr die Beklagte den Bereich vollständig. Zu ihren wesentlichen Aufgaben gehörte - nach den Aussagen im Zwischenzeugnis vom 23.5.2002 (Bl. 53 d.A.) - die Lagerverwaltung der Werkzeugvorräte mit Hilfe von Karteikarten bzw. nach Einführung eines neuen EDV-Systems über Datenbanken. Sie stellte die Waren für die jeweiligen Kunden zusammen, druckte Lieferscheine, Rechnungen und Versandpapiere. Des weiteren unterstützte sie den Versandleiter, schulte Auszubildende und konnte bei vorzubereitenden Inventurarbeiten eingesetzt werden.

Kurz vor Beendigung der von ihr genommenen Elternzeit zum 1.10.2003 teilte die Beklagte der Klägerin unter Hinweis auf die Versetzungsklausel ihres Arbeitsvertrages mit, dass sie nach ihrer Rückkehr künftig als Versandleiterin beschäftigt werde. Nach dem Wortlaut ihres Arbeitsvertrages vom 1.7.1994 war die Klägerin als "kaufmännische Angestellte in der Abteilung Fertigwarenlager" eingestellt worden. Des weiteren verpflichtete sie sich im Vertrag, im Bedarfsfall auch eine andere ihr zumutbare Tätigkeit zu übernehmen, ohne dass damit eine Gehaltsreduzierung verbunden sein dürfe (Bl. 5 d.A.). Bei ihrer Rückkehr am 1.10.2003 übertrug die Beklagte der Klägerin gegen ihren Willen die Tätigkeit der Versandleiterin. Der Versandleiterin sind zwei Mitarbeiter unterstellt, deren alleinige Aufgabe die Erledigung von Verpackungstätigkeiten ist.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, sie werde nicht mehr vertragsgerecht beschäftigt. Sie hat behauptet, sie habe überwiegend manuelle Tätigkeiten, nämlich das versandfertige Verpacken von Waren, zu erledigen. Auf die von der Klägerin für den Zeitraum 1. - 10.10.2003 gefertigte Aufstellung über die ihr übertragenen Tätigkeiten wird Bezug genommen ( Bl. 12- 13 d.A.)

Die Klägerin hat beantragt

festzustellen, dass die Klägerin nicht dazu verpflichtet ist, der Zuweisung der Tätigkeit einer sogenannten Versandleiterin zu folgen,

hilfsweise

festzustellen, dass die Beklagte nicht befugt ist, der Klägerin manuelle Versandarbeiten aufzugeben, insbesondere das Ein- und Auspacken von Paketen, Regale ein- und ausräumen, Kartons in Schachteln falten, sofern es sich dabei nicht um unerhebliche Zusammenhangstätigkeiten zu der nach dem Arbeitsvertrag vom 1.7.1994 geschuldeten Tätigkeit handelt.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die neue Beschäftigung als vertragsgemäß angesehen. Sie hat behauptet, bei Rückkehr der Klägerin sei kein anderer Arbeitsplatz frei gewesen, für die Besetzung der Versandleiterstelle dagegen habe Bedarf bestanden, weil der Vorgänger aufgrund einer dauernden Erkrankung und Behinderung nur noch sehr eingeschränkt einsatzfähig gewesen sei. Die Position sei von übergeordneter Bedeutung. Sie beinhalte die Verantwortung für den Bereich der Logistik. Dazu gehörten, da viele Sendungen ins Ausland gingen, die Wahl des geeigneten Logistik-Dienstleisters und der Abschluss von Transportversicherungen. Die Position sei hierarchisch über der der Lagerverwalterin angesiedelt. Bei den von der Klägerin im Antrag aufgeführten Tätigkeiten handele es sich um solche, die vertretungsweise auch im Lager anfielen und die die Klägerin vor der Elternzeit auch verrichtet habe.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 10.3.2004 den Hauptantrag abgewiesen und auf den Hilfsantrag die von der Klägerin begehrte Feststellung getroffen. Für die Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des Urteils Bezug genommen (Bl. 63, 64 d.A.).

Die Beklagte hat gegen das ihr am 16.3.2004 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts am 22.3.2004 Berufung eingelegt und sie, nach rechtzeitiger Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 16.6.2004, am 18.5.2004 begründet.

Die Beklagte vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen. Sie behauptet, der frühere Versandleiter könne die Tätigkeit mittlerweile überhaupt nicht mehr verrichten. Zum Aufgabengebiet des Versandleiters gehörten folgende Tätigkeiten: eingehende Handelsware und Lieferungen der Zweigwerke erfassen, den Kunden zuordnen und die Waren dem Lager und der Qualitätskontrolle zuleiten. Das setze ausgezeichnete Produktkenntnis voraus. Bei zu versendenden Waren müßten die bereits erstellten Lieferscheine und Rechnungen den Waren zugeordnet werden. Durch Abgleichen der Versandpapiere müsse sichergestellt werden, dass die Waren an die richtigen Adressaten geschickt werden. Die Entscheidung über den richtigen Versandpartner müsse getroffen werden. Bei Auslandssendungen müssen zudem unter Beachtung der einschlägigen Exportvorschriften die Exportpapiere vorbereitet werden. Das Verpacken von Waren obliege ihr nur hinsichtlich der Verpackung der geringgewichtigen (25 Gramm) hochwertigen Diamantpräzisionswerkzeuge. Diese seien von erheblichem Wert (5.000,- - 10.000,-- EUR). Nur in Stoßzeiten werde erwartet, dass sie bei der Verpackung der sonstigen Waren auch selbst mit Hand anlege. Bei den der Versandleiterin übertragenen Aufgaben handelt es sich nach Meinung der Beklagten um einheitliche Arbeitsvorgänge, die schon aus praktischen Gründen nicht voneinander zu trennen seien. Auch die frühere Tätigkeit der Klägerin habe nicht ausschließlich kaufmännische Aufgaben umfaßt. Auch damals habe sie Waren ein- und ausgepackt, sie an die richtigen Plätze im Lager verbracht, inventarisiert, katalogisiert und den Versandleiter unterstützt. Von daher sei die Tätigkeit der Versandleiterin mit ihrer früheren Tätigkeit vergleichbar. Die Tätigkeit der Versandleiterin erfordere eine kaufmännische Ausbildung und gute Produktkenntnisse. Deshalb sei aus ihrer Sicht die Klägerin dafür geeignet.

Die Beklagte beantragt,

unter teilweiser Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Hanau vom 10. März 2004, Az. 1 Ca 594/03, die Klage insgesamt abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin hebt zunächst hervor, dass sie sich mit ihrem Hilfsantrag nicht gegen die Übertragung der Position als Versandleiterin mit den von der Beklagten beschriebenen qualifizierten Aufgaben wende, sondern dagegen, unter der Bezeichnung "Versandleiterin" ausschließlich als Verpackerin eingesetzt zu werden. Im Weiteren verteidigt sie das erstinstanzliche Urteil.

Entscheidungsgründe:

Die nach dem Beschwerdewert statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

In der Sache hat die Berufung teilweise Erfolg. Der Feststellungsantrag, dem das Arbeitsgericht stattgegeben hat, ist zwar zulässig, aber nur teilweise begründet. Die Beklagte kann der Klägerin auf der Position einer Versandleiterin in größerem Umfang die im Antrag genannten manuellen Tätigkeiten aufgeben, als es die Entscheidung des Arbeitsgerichts zum Ausdruck bringt.

Die Feststellungsklage ist, soweit sie mit der Berufung angegriffen wird (Hilfsantrag), zulässig.

Insbesondere ist ein Feststellungsinteresse gegeben. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung ist anerkannt, dass sich eine Feststellungsklage nach § 256 ZPO nicht notwendig auf das Rechtsverhältnis im Ganzen erstrecken muss, sondern auch einzelne Beziehungen oder Folgen daraus betreffen kann, etwa bestimmte Ansprüche oder Verpflichtungen oder den Umfang einer Leistungspflicht, insbesondere den Umfang des Direktionsrechts des Arbeitgebers. Das begehrte Feststellungsurteil muss dann allerdings geeignet sein, den Streit der Parteien über den Inhalt der dem Arbeitnehmer obliegenden Arbeitspflichten zu beenden (BAG Urt. v. 26.4.1985 / AZR 432/82; LAG Köln Urt. v. 14.3 2002, Az. 5 Sa 701/01, dokumentiert bei juris). Letzteres ist bei der von der Klägerin begehrten Feststellung der Fall. Die Parteien streiten über den Umfang von manuellen Tätigkeiten, insbesondere das Verpacken, die der Klägerin - in Ansehung der arbeitsvertraglichen Absprachen - im Rahmen der Ausübung der Position der Versandleiterin abverlangt werden können. Dieser Streit kann mit der gewünschten Feststellung beigelegt werden.

Die Berufung ist teilweise begründet. Die Beklagte kann der Klägerin die im Antrag aufgeführten manuellen Tätigkeiten nicht nur in dem Umfang abverlangen, als sie nur unerhebliche Zusammenhangstätigkeiten zu der nach dem Arbeitsvertrag vom 1.7.1994 geschuldeten Tätigkeit darstellen, sondern darüber hinausgehend, soweit sie die nach dem Arbeitsvertrag vom 1.7.1994 geschuldete Tätigkeit nicht überwiegen.

Die Beklagte ist im Rahmen ihres Direktionsrechts befugt, die Klägerin als Versandleiterin auch mit den im Antrag genannten manuellen Zusammenhangstätigkeiten zu beschäftigen, solange diese im Verhältnis zu den von ihr zu erledigenden rein kaufmännischen Arbeiten nicht den überwiegenden Teil der Tätigkeit ausmachen.

Der konkrete Inhalt der Arbeitsleistung ergibt sich aus den Einzelheiten des Arbeitsvertrages. Diese wiederum bestimmen den Umfang des Direktionsrechts des Arbeitgebers. Wird die Tätigkeit bei der Einstellung fachlich umschrieben, können dem Arbeitnehmer sämtliche Arbeiten zugewiesen werden, die diesem Berufsbild entsprechen. Eine Konkretisierung auf eine bestimmte Tätigkeit tritt allerdings nicht ein, wenn der Arbeitsvertrag einen Vorbehalt zur Zuweisung einer anderen Aufgabe enthält (Erf/K-Schaub 5.Aufl. § 611 BGB Rn. 799, 801, 803, 804). Die Klägerin wurde als "kaufmännische Angestellte in der Abteilung Fertigwarenlager" eingestellt. Daneben enthält der Vertrag den Vorbehalt, dass die Klägerin im Bedarfsfall auch zur Übernahme anderer zumutbarer Tätigkeiten ohne Gehaltsminderung verpflichtet ist. Daraus folgt zunächst, dass die Beklagte ihr alle anderweitigen Tätigkeiten übertragen kann, die sich noch im Rahmen des Berufsbildes einer kaufmännischen Angestellten mit entsprechender Ausbildung bewegen. Dazu gehören nach den Aufgabenbeschreibungen der Parteien sowohl die frühere Tätigkeit der Klägerin als auch die Tätigkeit einer Versandleiterin.

Für die weitere Frage, in welchem Umfang der Klägerin im Rahmen ihrer Angestelltentätigkeit auch gewerbliche Tätigkeiten (Verpacken, Kartons falten, Regale ein- und ausräumen) übertragen werden können, ist Folgendes zu beachten: gem. § 59 HGB ist kaufmännischer Angestellter (Handlungsgehilfe), wer überwiegend geistige Tätigkeit bzw. kaufmännische Dienste verrichtet. Ausschlaggend für die Bestimmung ist zunächst die vereinbarte Beschäftigung, entscheidend jedoch die später ausgeübte Tätigkeit (Baumbach/Hopt HGB 31.Aufl. § 59 Rn. 25, 28; ErfK/Schaub § 59 HGB Rn. 2; BAG 19,267). Danach ist kaufmännischer Angestellter, wer zu mehr als 50 % kaufmännische Tätigkeiten verrichtet. Es können auch gewerbliche bzw. manuelle Tätigkeiten dazu gehören. So war es im Falle der Klägerin von Anfang ihrer Beschäftigung an. Sie hat unstreitig auch in der Vergangenheit in ihrer Position als Lagerverwalterin manuelle und nicht nur rein kaufmännische Tätigkeiten verrichtet. Es handelte sich dabei um das Ein- und Ausräumen von Waren in Regale und das Ein- und Auspacken von Waren, letzteres sowohl im Fertigwarenlager als auch - zur Unterstützung des Versandleiters - im Versand. Diese von Anfang an ausgeübten Arbeiten, die keine anderen sind als die nunmehr von ihr verlangten manuellen Tätigkeiten, gehörten somit schon immer zur vertraglich vereinbarten Tätigkeit der Klägerin, die allein mit der Bezeichnung kaufmännische Angestellte nicht umfassend beschrieben ist.

Dieser Umstand eröffnet der Beklagten die Möglichkeit, bei der Übertragung der neuen Position der Versandleiterin, gegen die sich die Klägerin dem Grunde nach nicht wendet, die genannten manuellen Tätigkeiten in dem Umfang und bis zu der Grenze zu übertragen, dass die rein kaufmännischen Tätigkeiten nicht überwiegen. Damit die Zuweisung der neuen Tätigkeit im Sinne der arbeitsvertraglichen Absprachen für sie zumutbar bleibt, muss die Klägerin auf jeden Fall vorwiegend mit den in der Beschreibung der Beklagten aufgeführten kaufmännischen Aufgaben betraut werden.

Die Kosten des Rechtsstreits haben die Parteien gem. §§ 64 Abs.6 ArbGG, 92 ZPO anteilig zu tragen, da sie jeweils teils obsiegt haben und teils unterlegen sind.

Gründe für die Zulassung der Revision gem. § 72 Abs. 2 ArbGG waren nicht ersichtlich.

Ende der Entscheidung

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