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Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 02.02.2007
Aktenzeichen: 12 Sa 772/06
Rechtsgebiete: SGB II, BGB


Vorschriften:

SGB II § 16 Abs. 1
SGB II § 19
BGB § 612
Im Rahmen einer von der Bundesagentur für Arbeit bewilligte Maßnahmen nach § 16 Abs. 2 SGB II (hier 14-tägige Praxiserprobung in einem Metallbaubetrieb) erwächst dem teilnehmenden Hilfsbedürftigen, der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gemäß § 19 ff SGB II bezieht., auch für Zeiten, die er täglich über 8 Stunden hinaus tätig wird, kein Vergütungsanspruch nach § 612 BGB gegen den Maßnahmebetrieb. Die Tätigkeit erfolgt auch dann im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Verhältnisses zur Bundesagentur für Arbeit. Arbeitsvertragliche Beziehungen zum Maßnahmebetrieb entstehen nicht.
Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Fulda vom 13. März 2006 - 3 Ca 260/05 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt Vergütung für Zeiten, die er zwischen dem 31.3. und 15.4.2005 über acht Stunden pro Tag hinaus im Betrieb der Beklagten tätig war.

Die Beklagte betreibt in A einen Metallbaubetrieb. Der Kläger ist arbeitslos gemeldet und bezieht vom Landkreis B Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach den §§ 19 ff SGB II. Der Landkreis B (Amt für Arbeit und Soziales) bewilligte dem Kläger vom 31.3. bis 15.4.2005 die Teilnahme an einer betrieblichen Praxiserprobung nach § 16 Abs. 2 SGB II im Betrieb der Beklagten. Die Leistungen nach § 19 ff SGB II bezog der Kläger weiterhin. Während der Praxiserprobung war er teilweise im Betrieb und teilweise auf einer Montagebaustelle in Bensheim tätig. Der Kläger verlangt von der Beklagten für Tage, an denen er mehr als acht Stunden gearbeitet habe, die Bezahlung von Überstunden. Der zeitliche Umfang und der Inhalt der Tätigkeit sind zwischen den Parteien streitig.

Wegen des weiteren unstreitigen Sachverhalts, des Vorbringens beider Parteien in erster Instanz, der vor dem Arbeitsgericht gestellten Anträge und der Erwägungen des Arbeitsgerichts wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen (Bl. 72 - 79 d.A.).

Der Kläger hat gegen das ihm am 26.4.2006 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts am 5.5.2006 Berufung eingelegt und sie gleichzeitig begründet.

Der Kläger vertritt weiterhin die Ansicht, die Beklagte habe ihn im Rahmen der Praxiserprobung nicht mehr als acht Stunden pro Tag ohne zusätzliche Vergütung einsetzen dürfen. Das ergebe sich aus dem Zusatz im Formular "Teilnahmebescheinigung des Unternehmens an einer betrieblichen Praxiserprobung", mit dem der Betrieb als Verpflichtung erklärt: "Die arbeitsrechtlichen Bestimmungen werden von mir eingehalten". Damit sei im Rahmen der Maßnahme nur ein Einsatz von täglich acht Stunden erlaubt und abgedeckt. Darüber hinaus geleistete Arbeiten begründeten eine Zahlungsverpflichtung des Betriebs nach § 612 BGB. Der Kläger behauptet, er sei aufgrund seiner beruflichen Erfahrung in der Lage gewesen, allein auf der Baustelle in Bensheim bei der Montage eines Brückengeländers zu arbeiten. Für die einzelnen vom Kläger behaupteten Tätigkeiten und die Summe der geleisteten Arbeitsstunden wird auf den Schriftsatz des Klägers vom 5.10.2006, Seiten 2 u. 3, Bezug genommen (Bl. 106, 107 d.A.). Der Kläger hält eine Vergütung für seine Tätigkeit in Höhe von € 15,-- pro Stunde für angemessen.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des Arbeitsgerichts Fulda vom 15.3.2006, Az.: 3 Ca 260/05, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 907,50 € brutto, hilfsweise 550,50 € brutto zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil. Sie behauptet weiterhin, dass zwischen den Parteien die Erbringung einer Arbeitsleistung des Klägers nicht vereinbart war und der Kläger auch keine Arbeiten für die Beklagte ausgeführt habe. Sie habe dem Kläger lediglich die Möglichkeit gegeben, sich im Rahmen der vom Amt für Arbeit und Soziales zugewiesenen Beschäftigung praktisch zu erproben.

Zur Ergänzung des Berufungsvorbringens der Parteien wird auf die in der Berufungsinstanz zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Fulda vom 15.3.2006 ist gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 3 b ArbGG statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere ist sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs-. 1, 64 Abs. 6 ARbGG, 519, 520 Abs. 1 und 3 ZPO). Ebenso ist die Rechtswegzuständigkeit der Arbeitsgerichte gemäß §§ 65, 48 Abs. 1 ArbGG, 17 a Abs. 3 GVG gegeben, nachdem das Arbeitsgericht dies, ohne vorangegangene Rüge der Parteien, im Urteil bejaht hat. Das Berufungsgericht ist dann gemäß § 65 ArbGG an diese Entscheidung gebunden (GMPM ArbGG 5. Aufl. § 65 Rz. 4a, 5). Deshalb sei nur kurz erwähnt, dass nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG Beschluss v. 8.11.2006 - 5 AZB 36/06) für den Streitfall die Sozialgerichte zuständig wären.

Die Berufung bleibt jedoch ohne Erfolg, weil sie unbegründet ist. Für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Bezahlung der zwischen dem 31.3. und 15.4 2005 im Rahmen einer Maßnahme nach § 16 Abs. 2 SGB II geleisteten Stunden, die über einen täglichen Einsatz von 8 Stunden hinausgingen, fehlt es gegenüber der Beklagten an einer Anspruchsgrundlage. Zwischen den Parteien besteht weder eine Vergütungsabsprache noch ist § 612 BGB anwendbar.

Der Kläger war bei der Beklagten im Rahmen einer Eingliederungsleistung nach § 16 Abs. 2 SGB II tätig. Grundlage einer solchen Leistung bzw. Maßnahme ist in der Regel, soweit nicht durch Verwaltungsakt angeordnet, eine Eingliederungsvereinbarung gemäß § 15 Abs. 1, 2 Abs. 1 S. 2 SGB II (Löns/Herold-Tews SGB II § 15 Rz. 5). Die Eingliederungsvereinbarung ist ein das Sozialrechtsverhältnis zwischen dem Hilfebedürftigen und dem Leistungsträger, d.h. der Bundesagentur für Arbeit bzw. dem kommunalen Träger, konkretisierender öffentlichrechtlicher Vertrag. Auf keinen Fall wird ein Vertrag mit dem Unternehmen, in dem die Maßnahme, hier die betriebliche Praxiserprobung, stattfindet, begründet. Das Unternehmen verpflichtet sich lediglich gegenüber der Bundesagentur bzw. dem kommunalen Träger, wie nach § 16 Abs. 3 SGB II, die Vorschriften über den Arbeitsschutz einzuhalten. Daraus folgt, dass durch die Tätigkeit des Klägers im Betrieb der Beklagten keine schuldrechtlichen Beziehungen zwischen den Parteien entstanden sind. Anders als in § 16 Abs. 3 SGB II, der die Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung (die sog. Ein-Euro-Jobs) regelt, sieht § 16 Abs. 2 SGB II keinerlei Anspruch auf Vergütung oder Entschädigung gegen den Betrieb, in dem die Maßnahme stattfindet, vor. Der Maßnahmebetrieb geht hier lediglich Verpflichtungen gegenüber dem Leistungsträger, nicht aber gegenüber dem Hilfebedürftigen, ein. Der Hilfebedürftige hat nur gegenüber der Bundesagentur Ansprüche. An diese muss er sich auch wenden, wenn er der Meinung ist, bei einer Maßnahme über Gebühr, über den Maßnahmezweck hinaus beansprucht zu werden.

An dieser Gestaltung der Rechtsbeziehungen ändert sich auch beim Überschreiten einer täglichen Tätigkeitsdauer von acht Stunden nichts. Das Rechtsverhältnis verwandelt sich dann nicht in ein Schuldrechtsverhältnis zwischen dem Hilfebedürftigen und dem Maßnahmebetrieb. Für eine betriebliche Praxiserprobung sind keine festen zeitlichen Grenzen ausdrücklich vorgeschrieben. Ebenso wenig können sie aus dem Charakter der Maßnahme abgeleitet werden. Es ist im Gegenteil eher so, dass zum Erprobungszweck im Rahmen einer Eingliederungsmaßnahme auch gerechnet werden kann, die Belastbarkeit eines Arbeitnehmers beim Anfall von Überstunden zu erproben. Teil des Erprobungszwecks muss grundsätzlich alles sein können, was auch im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses auftreten könnte. Sollte ein Maßnahmebetrieb dabei die gesetzlich zulässigen Höchstgrenzen verletzen, folgt daraus kein Vergütungsanspruch gegenüber dem Betrieb. Entsprechende Anweisungen des Betriebes können jedoch Auswirkungen auf die mit dem Leistungsträger getroffene Eingliederungsvereinbarung nach § 15 SGB II haben. Geht die Inanspruchnahme des Hilfebedürftigen über die gesetzlichen Höchstgrenzen hinaus, besteht für ihn die Möglichkeit, eine Tätigkeit dieses Umfang zu verweigern, u. U. könnte auch die Wirksamkeit der Eingliederungsvereinbarung in Frage gestellt sein (Sonnhoff in juris PK-SGB II § 15 Rz. 101 ff). Arbeitsrechtliche oder sonstige privatrechtliche Beziehungen zum Maßnahmebetrieb, die Grundlage eines Vergütungsanspruchs sein könnten, entstehen dadurch allerdings nicht.

Der Kläger hat gemäß §§ 64 Abs. 6, 97 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Berufung zu tragen.

Das Landesarbeitsgericht hat gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG die Revision zugelassen, weil die entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat.

Ende der Entscheidung

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