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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 07.07.2009
Aktenzeichen: 13 Ta 302/09
Rechtsgebiete: RVG VV, ZPO, RVG-Entwurf, RVG


Vorschriften:

RVG VV Vorbem. 3 Abs. 4
RVG VV Nr. 2300
RVG VV 3100
RVG § 58 Abs. 2
ZPO § 122 Abs. 1 Nr. 3
RVG-Entwurf § 15 a
RVG § 60 Abs. 1
Eine angefallene Geschäftsgebühr nach VV RVG Nr. 2300 ist unabhängig davon, ob sie tatsächlich gezahlt worden ist oder nicht, auch bei einem später im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnetem Rechtsanwalt nach Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG auf die gerichtliche Verfahrensgebühr anzurechnen.

Auch eine vorrangige Verrechnung auf die Differenz zwischen der Regelvergütung und der Wahlanwaltsvergütung findet nicht statt.

(Bestätigung der Kammerbeschlüsse vom 28. April 2009 - 13 Ta 115/09 und vom 12. Juni 2009 - 13 Ta 303/09).

Der per 01. September 2009 zu erwartende neue § 15 a RVG - Entwurf wird erst für Sachverhalte bedeutsam werden, in denen der Auftrag an den Rechtsanwalt oder die Beiordnung nach der Gesetzesänderung erfolgt.


Tenor:

Die Beschwerde des Klägervertreters gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Kassel vom 7. April 2009 - 4 Ca 95/08 - wird zurückgewiesen.

Das Verfahren über die Beschwerde ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

I.

Mit der vorliegenden, am 8. September 2008 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage verlangte der Kläger von dem Beklagten die Zahlung von 1000 €, die Herausgabe der Arbeitspapiere und die Erteilung eines qualifizierten Zeugnisses.

Vor Klageerhebung fand eine außergerichtliche Korrespondenz zwischen dem Beklagten und dem Kläger über dessen Prozessbevollmächtigten wegen der streitbefangenen Forderungen statt.

Im Gütetermin vom 26. September 2008 schlossen die Parteien unter Beteiligung des Klägervertreters einen prozessbeendenden Vergleich.

Durch Beschluss vom 28. November 2008 wurde dem Kläger auf seinen Antrag aus der Klageschrift Prozesskostenhilfe ohne eigenen Beitrag bewilligt und der Klägervertreter zur Wahrnehmung der Rechte in dieser Instanz ausschließlich der Zwangsvollstreckung beigeordnet.

Mit Schriftsatz vom 10. Dezember 2008 beantragte der Klägervertreter, die Gebühren und Auslagen für die erste Instanz gegenüber der Landeskasse festzusetzen. Dabei legte er, berechnet aus einem gerichtlich in Aussicht gestellten Gegenstandswert von 2000 €, eine 1,3 Verfahrensgebühr in Höhe von 172,90 €, eine 1,2 Terminsgebühr in Höhe von 159,60 € sowie eine 1,0 Einigungsgebühr von 133 € nebst 20 € Auslagenpauschale und Mehrwertsteuer zu Grunde; insgesamt also 577,75 €.

Mit Beschluss vom 2. Februar 2009 (Blatt B 12 der Akte) setzte der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle die aus der Landeskasse zu zahlende Vergütung für den Klägervertreter auf 474,89 € fest. Dazu setzte er eine hälftige Geschäftsgebühr (0,65) aus dem Gegenstandswert von 2000 € von der geltend gemachten 1,3 Verfahrensgebühr ab aufgrund der vorgerichtlichen Tätigkeit Klägervertreters.

Mit der am 6. Februar 2009 beim Arbeitsgericht eingegangenen "Beschwerde" wandte sich der Klägervertreter gegen diese Kürzung.

Weder der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle noch das Arbeitsgericht haben der so verstandenen Erinnerung des Klägervertreters abgeholfen, letzteres durch Beschluss vom 7. April 2009 (Blatt 13 ff. der Akten) bei ausdrücklicher Zulassung der Beschwerde, die dem Klägervertreter am 24. April 2009 zugestellt wurde.

Der am 8. Mai 2009 eingegangenen Beschwerde des Klägervertreters hat das Arbeitsgericht am 19. Mai 2009 nicht abgeholfen und die Sache dem Hessischen Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im Beschwerdeverfahren wird auf den Akteninhalt im Übrigen verwiesen.

II.

Die gemäß den §§ 56, 33 Abs. 3 bis 6 RVG nach der Art des Rechtsbehelfs statthafte Beschwerde des Klägervertreters ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere ist sie form- und fristgerecht eingelegt. Wegen der Zulassung der Beschwerde kommt es auf den Beschwerdewert von mehr als 200 € nicht an (§ 33 Abs. 3 S. 2 RVG).

Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen (§ 33 Abs. 4 S. 1 RVG).

Die Beschwerde ist unbegründet.

Das Arbeitsgericht hat in seinem Beschluss vom 7. April 2009 die Erinnerung des Klägervertreters zu Recht zurückgewiesen.

Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat durch seinen Beschluss vom 2. Februar 2009 die dem Klägervertreter aus der Landeskasse zu erstattenden Kosten zutreffend auf 474,89 € festgesetzt.

Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat die dem Klägervertreter zweifelsfrei zustehenden Verfahrensgebühr in Höhe eines Gebührensatzes von 1,3 zu Recht um die Hälfte (Gebührensatz von 0,65) auf 102,86 € (inkl. Mehrwertsteuer) gekürzt und so zutreffend unter Berücksichtigung der unbestrittenen 1,2 fachen Terminsgebühr (159,60 €) und einer 1,0 Einigungsgebühr von 133 € unter Zusatz von 20 € als Telekommunikationspauschale und 19% Mehrwertsteuer einen Betrag von 474,89 € ermittelt.

Der Erstattungsanspruch folgt aus den §§ 55, 45, 49 RVG; die Verfahrensgebühr ergibt sich aus RVG VV Nr. 3100, die Terminsgebühr aus Nr. RVG VV 3104, die Einigungsgebühr aus RVG VV Nr.1003, die Telekommunikationspauschale aus RVG VV Nr. 7002 und die Erstattung der Mehrwertsteuer aus RVG VV Nr. 7008.

Die vorgenommene Kürzung der Verfahrensgebühr um die Hälfte findet ihren Rechtsgrund in S. 1 der Vorbemerkung 3 Abs. 4 RVG VV, in dem es heißt:

Soweit wegen desselben Gegenstands eine Geschäftsgebühr nach den Nummern 2300 bis 2303 entstanden ist, wird diese Gebühr zur Hälfte, jedoch höchstens mit einem Gebührensatz von 0,75, auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens angerechnet.

Der Bundesgerichtshof hat bereits in seinen Urteilen vom 7. März 2007 - VIII ZR 86/06 - (Rpfleger 2007, 505) und vom 11. Juli 2007 - VIII ZR 310/06 - (AGS 2008, 41) ausgeführt, dass - sofern nach RVG VV Vorbemerkung 3 Abs. 4 eine wegen desselben Gegenstandes entstandene Geschäftsgebühr anteilig auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens anzurechnen ist - sich nicht die bereits entstandene Geschäftsgebühr vermindert, sondern die in dem anschließenden gerichtlichen Verfahren ebenfalls anfallende Verfahrensgebühr. Mit Beschluss vom 22. Januar 2008 - VIII ZB 57/07 - (MDR 2008, 592) hat der BGH seine Rechtsprechung dahingehend präzisiert, dass die Verfahrensgebühr gemäß RVG VV Nr. 3100 wegen der in RVG VV Vorbemerkung 3 Abs. 4 vorgesehenen Anrechnung eines Teils der bereits vorher entstandenen Geschäftsgebühr nach RVG VV Nr. 2300 von vornherein nur in gekürzter Höhe entsteht.

Ein solcher Fall liegt hier vor, nachdem der Klägervertreter bereits vorgerichtlich für den Kläger tätig war und damit einen Anspruch auf eine Geschäftsgebühr gem. RVG VV Nr. 2300 erwirkt hat.

Die verminderte Verfahrensgebühr entsteht unabhängig davon, ob ein Rechtsanwalt seine Gebühren vom Gegner, seiner eigenen Mandantschaft oder gemäß § 55 RVG von der Staatskasse verlangen kann. Die Kammer folgt in diesem Punkt der überwiegenden Ansicht in Rechtsprechung und Literatur (OLG Düsseldorf vom 27. Januar 2009 - I-10 W 120/08 -, AGS 2009, 123; OLG Düsseldorf vom 27. November 2008 - 10 W 109/08 -, JurBüro 2009, 133; OLG Braunschweig vom 12. September 2008 - 2 W 358/08 -, zitiert nach juris; LAG Düsseldorf vom 7. August 2008 - 13 Ta 185/08 -, Rpfleger 2009, 158; OLG Bamberg vom 1. Juli 2008 - 2 WF 92/08 -, zitiert nach juris; OLG Oldenburg vom 12. Juni 2008 - 13 WF 111/08 -, zitiert nach juris; OLG Oldenburg vom 27. Mai 2008 - 2 WF 81/08 -, zitiert nach juris; ).

Das Gesetz unterscheidet in der Vorbemerkung 3.4 VV RVG nämlich nicht danach, ob der Partei im nachfolgenden Verfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und ein Rechtsanwalt beigeordnet worden ist. Die Anrechnung hat vielmehr immer dann zu erfolgen, wenn vorprozessual eine Geschäftsgebühr nach RVG VV Nr. 2300 entstanden ist und in einem nachfolgenden gerichtlichen Verfahren eine Verfahrensgebühr nach RVG VV Nr. 3100 anfällt, sei es auch in der verminderten Höhe des § 49 RVG.

Es gibt nach Ansicht der Beschwerdekammer in Übereinstimmung mit dem OLG Düsseldorf in seiner Entscheidung vom 27. Januar 2009 (a.a.O.) keinen rechtfertigenden Grund dafür, im Rahmen der Vergütungsfestsetzung nach § 55 RVG eine Anrechnung nur dann vorzunehmen, wenn der Anwalt die anrechenbare zweite Hälfte der vorgerichtlichen Geschäftsgebühr tatsächlich erhalten hat (so aber OLG Stuttgart vom 15. Januar 2008 - 8 WF 5/08 -, FamRZ 2008, 1013; dagegen auch OLG Frankfurt am Main vom 2. März 2009 - 18 W 373/08 -, zitiert nach juris). Der durch die Kürzung entfallende Teil der Verfahrensgebühr lebt nicht nachträglich wieder auf, sofern es dem im Rahmen der Prozesskostenhilfe beigeordneten Anwalt nicht gelingt, seinen Vergütungsanspruch hinsichtlich der Geschäftsgebühr gegenüber seinem Mandanten (oder dem Gegner) zu realisieren. Eine solche Ausnahme lässt sich weder der Anrechnungsvorschrift entnehmen (vergl. OLG Bamberg, a.a.O.; OLG Oldenburg vom 27. Mai 2008, a.a.O.) noch erscheint sie geboten.

Die uneingeschränkte Anrechnung steht auch nicht im Widerspruch zur Forderungssperre nach § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO, weil die Geschäftsgebühr nach RVG VV Nr. 2300 vor der Prozesskostenhilfebewilligung entstanden ist.

Auch steht § 58 Abs. 2 RVG nicht entgegen, weil es in den hier fraglichen Fällen nicht um die Verrechnung von Vorschüssen oder Zahlungen geht, sondern um die Frage, welche Gebühren für die einzelnen Verfahrensabschnitte entstehen und festzusetzen sind (ebenso OLG Düsseldorf vom 27. Januar 2009, a.a.O.; OLG Braunschweig vom 12. September 2008, a.a.O.).

Die Beschwerdekammer vermag auch nicht der Ansicht zu folgen, nach der gemäß § 58 Abs. 2 RVG Geschäftsgebühren vorrangig auf die Differenz zwischen der Regelvergütung und der Wahlanwaltsvergütung zu verrechnen seien (so aber OLG Schleswig vom 3. März 2008 - 15 WF 9/08 -, MDR 2008, 947; Enders, JurBüro 2005, 281). Die nach RVG VV Vorbemerkung 3.4 vorgesehenen Anrechnung würde dann in erster Linie und zulasten der Staatskasse der Deckung der über § 49 RVG hinausgehenden Wahlanwaltsgebühren dienen. Dies erscheint bereits deshalb nicht gerechtfertigt, weil der Anwalt durch das Einfordern eines Vorschusses oder über die Beratungshilfe die Gefahr hätte ausschließen können, dass er den Gebührenanspruch gegenüber seinem Mandanten nicht realisieren kann (ebenso OLG Düsseldorf vom 27. Januar 2009, a.a.O.; zum Ganzen bereits HessLAG vom 28. April 2008 -13 Ta 115/09- und vom 12. Juni 2009 - 13 Ta 303/09 -).

Dass sich an dieser Rechtslage wohl per 1. September 2009 durch einen neuen § 15 a RVG etwas ändert, (vgl. Pressemitteilung des BMJ vom 19. Juni 2009; BT-Drucksache 16/12717 vom 22. April 2009; BR-Drucksache 377/09 vom 24. April 2009 und Sitzungsprotokoll des Deutschen Bundestages vom 18. Juni 2009, Seite 25127 und 25132 f.), kann auf die vorliegende Entscheidung selbstredend keinen Einfluss haben. Sie würde im Übrigen auch nach dem 1. September 2009 genauso ergehen müssen, denn gemäß § 60 Abs. 1 RVG kommt es auf das bisherige Recht an, wenn der Auftrag oder die Beiordnung vor Inkrafttreten der Gesetzesänderung erfolgte.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 56 Abs. 2 S. 2 und 3 RVG.

Rechtsmittelbelehrung

Gegen diesen Beschluss findet eine weitere Beschwerde nicht statt (§ 56 Abs. 2 S. 1 in Verbindung mit § 33 Abs. 6 RVG). Er ist deshalb unanfechtbar.



Ende der Entscheidung

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