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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 12.06.2009
Aktenzeichen: 13 Ta 303/09
Rechtsgebiete: RVG VV, RVG, ZPO


Vorschriften:

RVG VV Vorbem. 3 Abs. 4
RVG VV Nr. 2300
RVG VV Nr. 3100
RVG § 58 Abs. 2
ZPO § 122 Abs. 1 Nr. 3
Eine angefallene Geschäftsgebühr nach VV RVG Nr. 2300 ist unabhängig davon, ob sie tatsächlich gezahlt worden ist oder nicht, auch bei einem später im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnetem Rechtsanwalt nach Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG auf die gerichtliche Verfahrensgebühr anzurechnen.

Auch eine vorrangige Verrechnung auf die Differenz zwischen der Regelvergütung und der Wahlanwaltsvergütung findet nicht statt.

(Bestätigung des Kammerbeschlusses vom 28. April 2009. - 13 Ta 115/09)


Tenor:

Die Beschwerde der Beklagtenvertreterin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 7. April 2009 - 8 Ca 2342/05 - wird zurückgewiesen.

Das Verfahren über die Beschwerde ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

I.

Mit der vorliegenden, am 9. Dezember 2005 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage verlangte die Klägerin von dem Beklagten zunächst die Zahlung von 40.217,31 €. Diesen Betrag reduzierte sie später mit Schriftsatz vom 2. Juni 2006 unter teilweiser Klagerücknahme auf 6.011,32 €.

Vor Klageerhebung fand eine außergerichtliche Korrespondenz zwischen dem Beklagten und der Klägerin statt. U. a. übersandte die Beklagtenvertreterin für den Beklagten ein Schreiben vom 8. August 2005 an die Klägerin, worauf eine Betriebsprüfung veranlasst wurde, die am 4. Oktober 2005 in den Räumen des Steuerberaters des Beklagten stattfand. An dieser Prüfung nahm neben dem Betriebsprüfer auch die Beklagtenvertreterin teil.

Durch Beschluss vom 26. Januar 2006 wurde dem Beklagten antragsgemäß Prozesskostenhilfe ohne eigenen Beitrag bewilligt und die Beklagtenvertreterin zur Wahrnehmung der Rechte in dieser Instanz ausschließlich der Zwangsvollstreckung beigeordnet, jedoch unter Ausschluss der Erstattungsfähigkeit von Tage- und Abwesenheitsgeldern sowie etwaiger Reisekosten vom Ort der Kanzlei zum Gerichtsort. Auf die sofortige Beschwerde des Beklagten änderte das Hessische Landesarbeitsgericht (16 Ta 277/06) durch Beschluss vom 14. Juni 2006 den Beschluss des Arbeitsgerichts dahingehend ab, dass dem Beklagten ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt wurde und die Beklagtenvertreterin zur Wahrnehmung der Rechte in dieser Instanz beigeordnet wurde. Mehrkosten, die dadurch entstehenden, dass die Prozessbevollmächtigten des Beklagten ihre Kanzlei nicht am Ort des Prozessgerichts hat, sind nach diesen Beschluss bis zur Höhe der Gebühren eines Verkehrsanwalts am Wohnort des Beklagten aus der Landeskasse so erstatten (Blatt B 28 ff. der Akte).

Am 30. Oktober 2007 verkündete das Arbeitsgericht ein der Klage stattgebendes Urteil. Die dagegen von dem Beklagten, vertreten durch andere Prozessbevollmächtigte, eingelegte Berufung wurde später zurückgenommen.

Mit Schriftsatz vom 2. Januar 2008 beantragte die Beklagtenvertreterin die Gebühren und Auslagen für die erste Instanz gegenüber der Staatskasse festzusetzen. Dabei legte sie, berechnet aus einem Gegenstandswert von 40.217,31 €, eine 1,3 Verfahrensgebühr in Höhe von 508,30 € sowie eine 1,2 Terminsgebühr in Höhe von 469,20 € nebst 20 € Auslagenpauschale zu Grunde. Weiter berechnete sie Fahrtkosten für 498 km zwischen Duisburg und Wiesbaden, jeweils in Höhe von 149,40 € für die Wahrnehmung des Gütetermins und zweier Kammertermine nebst Abwesenheitsgeldern für sieben Stunden in Höhe von jeweils 35 €. Unter Berücksichtigung der Umsatzsteuer errechnete sie so einen Endbetrag von 1845,33 €

Mit Beschluss vom 24. Februar 2009 (Blatt B 46 der Akte) setzte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle die aus der Landeskasse zu zahlende Vergütung für die Beklagtenvertreterin auf 1373,68 € fest. Dabei setzte sie eine hälftige Geschäftsgebühr aus dem Gegenstandswert von 40.217,31€ von der geltend gemachten 1,3 Verfahrensgebühr ab aufgrund der vorgerichtlichen Tätigkeit der Beklagtenvertreterin. Wegen der geltend gemachten Fahrtkosten sowie Tage-und Abwesenheitsgeldern stellte die Urkundsbeamtin eine Vergleichsrechnung an und setzte die geringere für die Beauftragung eines Verkehrsanwaltes hypothetisch zu zahlende Vergütung mit einer 1,0 Verfahrensgebühr aus 40.217,31 € in Höhe von 391 € nebst Auslagenpauschale von 20 € und Umsatzsteuer im Umfang von insgesamt 489,09 € fest.

Mit der am 27. März 2009 beim Arbeitsgericht eingegangenen Erinnerung wandte sich die Beklagtenvertreterin gegen die Kürzungen aus diesem Beschluss.

Weder die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle noch das Arbeitsgericht haben der Erinnerung der Beklagtenvertreterin abgeholfen, letzteres durch Beschluss vom 7. April 2009 (Blatt B 56 ff. der Akten), der der Beklagtenvertreterin am 20. April 2009 zugestellt worden ist.

Der am 28. April 2009 eingegangenen Beschwerde der Beklagtenvertreterin hat das Arbeitsgericht am 15. Mai 2009 nicht abgeholfen und die Sache dem Hessischen Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im Beschwerdeverfahren wird auf den Akteninhalt im Übrigen verwiesen.

II.

Die gemäß den §§ 56, 33 Abs. 3 bis 6 RVG nach der Art des Rechtsbehelfs statthafte Beschwerde der Beklagtenvertreterin ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere ist sie form- und fristgerecht eingelegt. Der Beschwerdewert von mehr als 200 € ist erreicht (§ 33 Abs. 3 S. 2 RVG).

Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen (§ 33 Abs. 4 S. 1 RVG).

Die Beschwerde ist unbegründet.

Das Arbeitsgericht hat in seinem Beschluss vom 7. April 2009 die Erinnerung des Klägervertreters zu recht zurückgewiesen.

Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat durch ihren Beschluss vom 24. Februar 2009 die der Beklagtenvertreterin aus der Landeskasse zu erstattenden Kosten zutreffend auf 1373,68 € festgesetzt.

Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat die der Beklagtenvertreterin zweifelsfrei zustehenden Verfahrensgebühr in Höhe eines Gebührensatzes von 1,3 zu Recht um die Hälfte (Gebührensatz von 0,65) auf 254,15 € gekürzt und so zutreffend unter Berücksichtigung der unbestrittenen 1,2 fachen Terminsgebühr (469,20 €) unter Zusatz von 20 € als Telekommunikationspauschale und 19% Mehrwertsteuer einen Zwischenbetrag von 884,59 € ermittelt.

Die Erstattung folgt zunächst aus den §§ 55, 45, 49 RVG; die Verfahrensgebühr ergibt sich aus Nr. 3100 VV RVG, die Terminsgebühr aus Nr. 3104 VV RVG, die Einigungsgebühr aus Nr. 1003 VV RVG, die Telekommunikationspauschale aus Nr. 7002 VV RVG und die Mehrwertsteuer aus Nr. 7008 VV RVG.

Die vorgenommene Kürzung der Verfahrensgebühr um die Hälfte findet ihren Rechtsgrund in S. 1 der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG, in dem es heißt:

Soweit wegen desselben Gegenstands eine Geschäftsgebühr nach den Nummern 2300 bis 2303 entstanden ist, wird diese Gebühr zur Hälfte, jedoch höchstens mit einem Gebührensatz von 0,75, auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens angerechnet.

Der Bundesgerichtshof hat bereits in seinen Urteilen vom 7. März 2007 - VIII ZR 86/06 - (Rpfleger 2007, 505) und vom 11. Juli 2007 - VIII ZR 310/06 - (AGS 2008, 41) ausgeführt, dass - sofern nach RVG VV Vorbemerkung 3 Abs. 4 eine wegen desselben Gegenstandes entstandene Geschäftsgebühr anteilig auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens anzurechnen ist - sich nicht die bereits entstandene Geschäftsgebühr vermindert, sondern die in dem anschließenden gerichtlichen Verfahren ebenfalls anfallende Verfahrensgebühr. Mit Beschluss vom 22. Januar 2008 - VIII ZB 57/07 - (MDR 2008, 592) hat der BGH seine Rechtsprechung dahingehend präzisiert, dass die Verfahrensgebühr gemäß RVG VV Nr. 3100 wegen der in RVG VV Vorbemerkung 3 Abs. 4 vorgesehenen Anrechnung eines Teils der bereits vorher entstandenen Geschäftsgebühr nach RVG VV Nr. 2300 von vornherein nur in gekürzter Höhe entsteht.

Ein solcher Fall liegt hier vor, nachdem die Beklagtenvertreterin bereits vorgerichtlich für den Beklagten tätig war und damit einen Anspruch auf eine Geschäftsgebühr erwirkt hat.

Ob sich de lege ferenda an dieser Rechtslage etwas ändert, bleibt abzuwarten (vgl. dazu Pressemitteilung des BMJ vom 28. April 2009 und BR-Drucksache 377/09 vom 24. April 2009).

Die verminderte Verfahrensgebühr entsteht unabhängig davon, ob ein Rechtsanwalt seine Gebühren vom Gegner, seiner eigenen Mandantschaft oder gemäß § 55 RVG von der Staatskasse verlangen kann. Die Kammer folgt in diesem Punkt der überwiegenden Ansicht in Rechtsprechung und Literatur (OLG Düsseldorf vom 27. Januar 2009 - I-10 W 120/08 -, AGS 2009, 123; OLG Düsseldorf vom 27. November 2008 - 10 W 109/08 -, JurBüro 2009, 133; OLG Braunschweig vom 12. September 2008 - 2 W 358/08 -, zitiert nach juris; LAG Düsseldorf vom 7. August 2008 - 13 Ta 185/08 -, Rpfleger 2009, 158; OLG Bamberg vom 1. Juli 2008 - 2 WF 92/08 -, zitiert nach juris; OLG Oldenburg vom 12. Juni 2008 - 13 WF 111/08 -, zitiert nach juris; OLG Oldenburg vom 27. Mai 2008 - 2 WF 81/08 -, zitiert nach juris; ).

Das Gesetz unterscheidet in der Vorbemerkung 3.4 VV RVG nämlich nicht danach, ob der Partei im nachfolgenden Verfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und ein Rechtsanwalt beigeordnet worden ist. Die Anrechnung hat vielmehr immer dann zu erfolgen, wenn vorprozessual eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG entstanden ist und in einem nachfolgenden gerichtlichen Verfahren eine Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG anfällt, sei es auch in der verminderten Höhe des § 49 RVG.

Es gibt nach Ansicht der Beschwerdekammer in Übereinstimmung mit dem OLG Düsseldorf in seiner Entscheidung vom 27. Januar 2009 (a.a.O.) keinen rechtfertigenden Grund dafür, im Rahmen der Vergütungsfestsetzung nach § 55 RVG eine Anrechnung nur dann vorzunehmen, wenn der Anwalt die anrechenbare zweite Hälfte der vorgerichtlichen Geschäftsgebühr tatsächlich erhalten hat (so aber OLG Stuttgart vom 15. Januar 2008 - 8 WF 5/08 -, FamRZ 2008, 1013; dagegen auch OLG Frankfurt am Main vom 2. März 2009 - 18 W 373/08 -, zitiert nach juris). Der durch die Kürzung entfallende Teil der Verfahrensgebühr lebt nicht nachträglich wieder auf, sofern es dem im Rahmen der Prozesskostenhilfe beigeordneten Anwalt nicht gelingt, seinen Vergütungsanspruch hinsichtlich der Geschäftsgebühr gegenüber seinem Mandanten (oder dem Gegner) zu realisieren. Eine solche Ausnahme lässt sich weder der Anrechnungsvorschrift entnehmen (vergl. OLG Bamberg, a.a.O.; OLG Oldenburg vom 27. Mai 2008, a.a.O.) noch erscheint sie geboten.

Die uneingeschränkte Anrechnung steht auch nicht im Widerspruch zur Forderungssperre nach § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO, weil die Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG vor der Prozesskostenhilfebewilligung entstanden ist.

Auch steht § 58 Abs. 2 RVG nicht entgegen, weil es in den hier fraglichen Fällen nicht um die Verrechnung von Vorschüssen oder Zahlungen geht, sondern um die Frage, welche Gebühren für die einzelnen Verfahrensabschnitte entstehen und festzusetzen sind (ebenso OLG Düsseldorf vom 27. Januar 2009, a.a.O.; OLG Braunschweig vom 12. September 2008, a.a.O.).

Die Beschwerdekammer vermag auch nicht der Ansicht zu folgen, nach der gemäß § 58 Abs. 2 RVG Geschäftsgebühren vorrangig auf die Differenz zwischen der Regelvergütung und der Wahlanwaltsvergütung zu verrechnen seien (so aber OLG Schleswig vom 3. März 2008 - 15 WF 9/08 -, MDR 2008, 947; Enders, JurBüro 2005, 281). Die nach RVG VV Vorbemerkung 3.4 vorgesehenen Anrechnung würde dann in erster Linie und zulasten der Staatskasse der Deckung der über § 49 RVG hinausgehenden Wahlanwaltsgebühren dienen. Dies erscheint bereits deshalb nicht gerechtfertigt, weil der Anwalt durch das Einfordern eines Vorschusses oder über die Beratungshilfe die Gefahr hätte ausschließen können, dass er den Gebührenanspruch gegenüber seinem Mandanten nicht realisieren kann (ebenso OLG Düsseldorf vom 27. Januar 2009, a.a.O.; zum Ganzen bereits HessLAG vom 28. April 2008 -13 Ta 115/09-).

Soweit die Beklagtenvertreterin sich auch gegen die Kürzungen ihrer Fahrtkosten und Abwesenheitsgelder wendet, ist die Beschwerde ebenfalls ohne Erfolg. Die Beschwerdekammer verweist insoweit auf die zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts in seinem Nichtabhilfebeschluss vom 7. April 2009 und macht sie sich zur Vermeidung von Wiederholungen zu Eigen (Blatt B 56 ff. der Akte). Die von der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle angestellte Vergleichsrechnung entspricht dem Beschluss des hessischen Landesarbeitsgerichts vom 14. Juni 2006 in vollem Umfang. Die von der Beklagtenvertreterin angestellten Erwägungen zu ihrem Verhalten bei Kenntnis des späteren Verfahrensablaufs sind hypothetisch und ignorieren die bindende Wirkung des Prozesskostenhilfebeschlusses. Mehr als die zugesprochenen 489,09 Euro kann die Beklagtenvertreterin daher insoweit nicht erstattet bekommen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 56 Abs. 2 S. 2 und 3 RVG.

Rechtsmittelbelehrung

Gegen diesen Beschluss findet eine weitere Beschwerde nicht statt (§ 56 Abs. 2 S. 1 in Verbindung mit § 33 Abs. 6 RVG). Er ist deshalb unanfechtbar.



Ende der Entscheidung

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