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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 25.11.2003
Aktenzeichen: 13 Ta 356/03
Rechtsgebiete: ZPO, BRAGO


Vorschriften:

ZPO § 114
ZPO § 121
BRAGO § 23 Abs. 1 Satz 1
BRAGO § 122
Die Erstattung einer Vergleichsgebühr aus der Landeskasse unter Berücksichtigung des "Mehrwerts" mitverglichener Ansprüche, die nicht rechtshängig waren, kommt nicht in Betracht, solange kein entsprechender Antrag auf ergänzende Bewilligung von Prozesskostenhilfe gestellt und beschieden ist.
Hessisches Landesarbeitsgericht Beschluss

Aktenzeichen: 13 Ta 356/03

In dem Beschwerdeverfahren

hat die Kammer 13 des Hessischen Landesarbeitsgerichts durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Henkel als Vorsitzenden

am 25. November 2003 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Klägervertreters vom 15. August 2003 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Marburg vom 13. August 2003 - 2 Ca 648/01 - wird zurückgewiesen.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Auslagen werden nicht erstattet.

Gründe:

I.

Die Parteien stritten in dem vorliegenden Rechtsstreit um die Wirksamkeit einer Kündigung vom 28. November 2001. Gemäß Antrag aus der Klageschrift wurde dem Kläger durch Beschluss vom 06. März 2003 Prozesskostenhilfe für den ersten Rechtszug bewilligt und ihm der Klägervertreter als Prozessbevollmächtigter beigeordnet. Der Rechtsstreit endete durch gerichtlichen Vergleich vom 29. Januar 2003. Die Streitwerte wurden - umgerechnet - auf 5.368,56 Euro für die Klage und auf 7.685,91 Euro für den Vergleich wegen Einbeziehung nicht rechtshängiger Ansprüche festgesetzt. Mit Antrag vom 14. November 2002 begehrte der Klägervertreter die Erstattung seiner Kosten aus der Staatskasse. Er machte je eine 10/10 Gebühr als Prozess-, Verhandlung- und Vergleichsgebühr geltend. Einschließlich Auslagen und Mehrwertsteuer errechnete der Klägervertreter insgesamt 839,23 Euro. Mit Festsetzung vom 18. November 2002 wurden abweichend 827,08 Euro festgesetzt mit der Begründung, es sei das nach dem 01. Januar 2002 geltende Kostenrecht anzuwenden. Dieser Beschluss wurde dem Klägervertreter am 28. November 2002 übersandt.

Am 03. Juli 2003 forderte der Klägervertreter in einem "berichtigten Kostenerstattungsantrag für Prozesskostenhilfe" weitere 135,72 Euro unter Zugrundelegung der neuen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Beschluss vom 04. Februar 2003 - 2 AZB 18/02), nach der dem Anwalt nunmehr bei mitverglichenen nicht rechtshängigen Ansprüchen eine 15/10 Gebühr aus dem Wert der einbezogenen Ansprüche zusteht. Durch Beschluss vom 29. Juli 2003 wies der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle diesen Antrag zurück mit der Begründung, die Nachforderung sei verwirkt. Der hiergegen unter dem 11. August 2003 eingelegten Beschwerde half der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle am 12. August 2003 ebenso wenig ab wie das Arbeitsgericht durch Beschluss vom 13. August 2003.

Der hiergegen erhobenen Beschwerde des Klägervertreters vom 15. August 2003 hat das Arbeitsgericht unter Verweis auf die aus seiner Sicht bestehende Verwirkung des Anspruchs nicht abgeholfen und sie dem Hessischen Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Wegen des übrigen Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Akteninhalt verwiesen.

II.

Die gemäß § 128 Abs. 4 BRAGO nach der Art des Rechtsbehelfs statthafte Beschwerde des Klägervertreters ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere ist sie formgerecht eingelegt. Der Beschwerdewert ist erreicht (§ 569 Abs. 2 ZPO; § 128 Abs. 4 Satz 1 BRAGO).

Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

Die Beschwerde ist jedoch unbegründet.

Im Ergebnis zu Recht hat das Arbeitsgericht mit seinem Beschluss vom 13. August 2003 die Erinnerung des Klägervertreters zurückgewiesen, denn der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat in seinem Beschluss vom 29. Juli 2003 zu Recht den Antrag auf Erstattung weiterer 135,72 Euro zurückgewiesen. Der Klägervertreter kann die Erstattung dieser Summe aus der Staatskasse nicht verlangen.

Es mag dabei dahinstehen, ob, wie das Arbeitsgericht meint, die "Nachforderung" des Klägervertreters aus seinem "berichtigten Kostenerstattungsantrag" vom 03. Juli 2003 verwirkt ist.

Der Erstattungsanspruch ist zurückzuweisen, weil der Klägervertreter für den "Mehrwert" des gerichtlichen Vergleichs vom 29. Januar 2002 keine Prozesskostenhilfe beantragt hat und ihm demzufolge insoweit auch keine Prozesshilfe unter seiner Beiordnung bewilligt wurde. Eine Kostenerstattung durch die Staatskasse scheidet deshalb aus.

Die Kammer nimmt damit die bereits in ihrem Beschluss vom 01. August 2003 -13 Ta 509/02 - geäußerten Bedenken wieder auf und gibt als nunmehr für die Kostenbeschwerden zuständige Kammer die Rechtsprechung anderer Kammern des Hessischen Landesarbeitsgerichts auf (vgl. z. B. die Beschlüsse vom 13. Juli 1987 - 1/11 Ta 54/87 -, vom 22. März 1999 - 9/6 Ta 429/98 -, vom 07. Februar 2001 - 2 Ta 53/01 -).

Die dem beigeordneten Rechtsanwalt aus der Staatskasse zu erstattende Vergütung bestimmt sich nach den Beschlüssen, durch die Prozesskostenhilfe bewilligt und der Rechtsanwalt beigeordnet worden ist (§ 122 Abs. 1 BRAGO). Soweit keine Prozesskostenhilfe bewilligt und keine Beiordnung vorgenommen wurde, besteht kein Erstattungsanspruch aus der Staatskasse. Unbestritten ist, dass die Beiordnung auch den Abschluss eines Prozessvergleichs umfasst, weil er "zum Rechtszug" im Sinne des § 119 ZPO gehört (vgl. statt vieler Baumbach/Hartmann, ZPO, 61. Auflage 2003, § 119 Randziffer 46 m. w. N.). Damit sind die Grenzen der Kostenfestsetzung für gerichtliche Vergleiche beschrieben. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe erfasst grundsätzlich nicht Ansprüche, die nicht "zum Rechtszug" gehören, das heißt die nicht, rechtshängig waren, wenn die Bewilligung nicht ausdrücklich auf diese Ansprüche erstreckt worden ist (vgl. z. B. Wax in MüKO ZPO, 1992, § 119 Randziffer 24; Stein/Jonas/Bork, ZPO, 21. Auflage 1994, § 119 Randziffer 7; Zöller/Philippi, ZPO, 23. Auflage 2002, § 119 Randziffer 25; Baumbach/Hartmann, a. a. O. Randziffer 46, jeweils m. w. N.; Riedel/Sußbauer/Schneider, BRAGO, 8. Auflage 2000, § 122 Randziffer 18; LAG Berlin vom 19. August 1992 - 12 Ta 8/92 -, LAGE Nr. 7 zu § 117 ZPO; LG Berlin vom 04. November 1988 - 82 T 556/88 -, MDR 89, 366; stillschweigend ebenso auch LAG Köln vom 17. März 2003 - 7 Ta 350/02 - unter Verweis auf die entsprechende Ansicht ariderer Kammern des LAG Köln, zitiert nach Juris; a. A. LAG Hamm vom 14. Februar 1998 - 7(4) Ta 285/88 - zitiert nach Juris). Dies ergibt ein Umkehrschluss aus § 122 Abs. 3 Satz 1 BRAGO, der die Erstreckung der Prozesskostenhilfe auf bestimmte Folgesachen einer Ehesache ausdrücklich vorsieht, sonstige Erstreckungen aber nicht. Die Vorschrift wäre entbehrlich, wenn auch in anderen Sachen eine gesetzliche Erstreckung der Prozesskostenhilfe auf nicht rechtshängige Ansprüche möglich sein sollte (ebenso LG Berlin, a. a. O. und OLG Koblenz vom 19. September 1996 - 13 WF 871/96 -, JurBüro 1997, 81). Dieser Schluss wird gestützt durch die Nummern 9112, 9121 und 9131 der Anlage 1 zu § 12 Abs. 1 ArbGG. Dort ist für alle Instanzen der Arbeitsgerichtsbarkeit festgehalten, dass die Gerichtsgebühren auch dann entfallen, wenn der Wert eines vor Gericht abgeschlossenen Vergleichs den Wert des Streitgegenstandes übersteigt. Daraus wird deutlich, dass der Gesetzgeber durchaus die Möglichkeit einer Kostenprivilegierung bei "Miterledigung" nicht rechtshängige Streitgegenstände gesehen hat. Er hat sie allerdings nur für den Bereich der Gerichtskosten im arbeitsgerichtlichen Verfahren wahrgenommen, für den Kostenerstattungsanspruchs des beigeordneten Rechtsanwalts gegenüber der Staatskasse aber nicht.

Auch die gelegentlich unternommenen Versuche, die Erstreckung der Prozesskostenhilfe auf den "Mehrwert" mitverglichener Ansprüche im Wege der Auslegung des Prozesskostenhilfeantrags zu erreichen, müssen scheitern (vgl. etwa LAG Berlin, a.a.O.; LAG Köln vom 28. Februar 1990 - 10 Ta 287/89 - MDR 90, 747; LAG Thüringen vom 17. November 2002 - 8 Ta 119/02 - zitiert nach Juris).

Grundsätzlich ist über die Gewährung von Prozesskostenhilfe und die Beiordnung eines Rechtsanwalts nur auf Antrag zu entscheiden (§ 114 ZPO). Der typischerweise mit der Klageeinreichung oder alsbald danach gestellte Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe kann denknotwendig nicht den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für einen eventuellen zukünftigen Vergleich enthalten, der über den vorliegenden Streitgegenstand hinaus reicht. Es liegt in der Natur des Vergleichs, dass man erst mit seinem Zustandekommen weiß, welche Streitgegenstände er umfasst. Die Auslegung des ursprünglich gestellten Prozesskostenhilfeantrags als Antrag auch für den Abschluss eines zukünftigen Vergleichs mit beliebigem Inhalt liefe deshalb auf einen Blankettantrag hinaus, der dem Zivilprozess fremd ist. Auch die Versuche der Rechtsprechung, das Problem dadurch zu bewältigen, dass sie die Auslegung begrenzen auf den Mehrwert von Streitgegenständen die "mit der eingereichten Klage in engem Zusammenhang stehen" (so LAG Berlin, a. a. O.) oder nicht "völlig außerhalb der konkreten Streitigkeit liegende Streitgegenstände von hohem Gegenstandswert" (so LAG Köln vom 28. Februar 1990, a. a. O) sind deshalb nicht überzeugend und auch wegen der offenkundigen Abgrenzungsschwierigkeiten abzulehnen.

Wenn es aber schon keine stillschweigend gestellten Anträge auf Gewährung von Prozesskostenhilfe im Umfang des "Mehrwerts" eventueller zukünftiger Vergleiche gibt, kann es auch keine stillschweigende Bewilligung durch das Gericht geben (so zutreffend Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert, BRAGO 14. Auflage 1999, § 122 Randziffer 83; Hartmann, Kostengesetze, 31. Auflage 2002, § 122 BRAGO Randziffer 99; anders jedoch LAG Thüringen vom 17. November 2002, a. a. O.; unentschieden LAG Baden Württemberg vom 02. Mai 2000 - 1 Ta 28/00 - zitiert nach Juris). Die Gewährung von Prozesskostenhilfe ohne entsprechenden Antrag ist wirkungslos (OLG München vom 8. Juni 1984, JurBüro 1984, 1851).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 128 Abs. 5 BRAGO.

Ende der Entscheidung

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