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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 01.03.2006
Aktenzeichen: 13 Ta 81/06
Rechtsgebiete: VV RVG


Vorschriften:

VV RVG Vorbemerkung 3 Abs. 3
Zu einer Mitwirkung an einer auf die Erledigung des Verfahrens gerichteten Besprechung im Sinne der Vorbemerkung 3 Abs. 3 VV RVG reicht es aus, wenn der zur Berufungsrücknahme entschlossene Berufungskläger telefonisch versucht, den Berufungsbeklagten zu einem Verzicht auf die Kostenerstattung zu bewegen. (Rechtsbeschwerde zugelassen).
Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Beklagten wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Arbeitsgerichts Hanau vom 21. Dezember 2005 - 2 Ca 395/04 - abgeändert:

Aufgrund des Beschlusses des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 31. Mai 2005 sind dem Beklagten von der Klägerin 3.420,61 Euro zu erstatten.

Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Klägerin aus einem Beschwerdewert von 1.456,03 Euro. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

I.

Am 04. März 2005 legte die im ersten Rechtszug unterlegene Klägerin beim Hessischen Landesarbeitsgericht Berufung ein gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hanau vom 27. Januar 2005 (AZ.: 2 Ca 395/04; 16 Sa 421/05). Am 18. März 2005 meldete sich der Beklagtenvertreter für den Beklagten zu den Akten der zweiten Instanz. Am 29. März 2005 kam es zu einem Telefonat der Parteivertreter, dessen Inhalt im Detail streitig ist. Jedenfalls ging es dabei um die Rücknahme der Berufung und den eventuellen Verzicht des Beklagten auf Erstattung seiner Kosten. Mit Schriftsatz vom gleichen Tage, beim Hessischen Landesarbeitsgericht am 30. März 2005 eingegangen, nahm die Klägerin dann die Berufung zurück. Durch Beschluss vom 31. März 2005 wurden ihr die Kosten der Berufung auferlegt (Bl. 113 d. A.). Am 25. Oktober 2005 beantragte der Beklagte Kostenfestsetzung gegen die Klägerin für den zweiten Rechtszug aus einem zwischenzeitlich nach Beschluss des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 21. Oktober 2005 festgesetzten Gebührenstreitwert von 46.642,56 Euro wie folgt:

 1,6 Verfahrensgebühr, Berufung § 13, Nr. 3200 VV RVG1.673,60 Euro
1,2 Terminsgebühr, Berufung § 13, Nr. 3202 VV RVG1.255,20 Euro
Post- und Telekommunikation Nr. 7002 VV RVG20,00 Euro
Zwischensumme netto2.948,80 Euro
16 % Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG471,81 Euro
zu zahlender Betrag3.420,61 Euro

Die begehrte Terminsgebühr hat der Beklagte begründet mit der Behauptung, bei dem Telefonat der Prozessbevollmächtigten vom 29. März 2005 habe die Klägervertreterin eine eventuelle Berufungsrücknahme in Aussicht gestellt, falls der Beklagte auf die Geltendmachung der eigenen Gebühren verzichte. Dies sei abgelehnt worden, weil man bereits mit der Rechtsschutzversicherung abgerechnet habe. Gleichwohl, so hat der Beklagte gemeint, sei damit die begehrte Terminsgebühr angefallen.

Die Klägerin hat behauptet, bei dem Telefonat vom 29. März 2005 sei sie bereits zur Berufungsrücknahme entschlossen gewesen. Dies habe sie durch ihre Prozessbevollmächtigte dem Beklagtenvertreter auch mitgeteilt und unabhängig davon gebeten, auf die Gebührenerstattung zu verzichten. Damit sei, so die Meinung der Klägerin, die Terminsgebühr nicht entstanden.

Durch Beschluss vom 21. Dezember 2005 hat das Arbeitsgericht die dem Beklagten von der Klägerin zu erstattenden Kosten auf 1.964,58 Euro festgesetzt. Diese Summe ergibt sich bei Herausrechnung der begehrten Terminsgebühr nebst Mehrwertsteuer.

Nach Zustellung dieses Beschlusses am 31. Januar 2006 hat der Beklagte unter dem 14. Februar 2006 sofortige Beschwerde eingelegt unter Vertiefung seines Rechtstandpunktes. Die Klägerin hat ihre Rechtsposition ebenfalls weiter begründet.

Das Arbeitsgericht hat der sofortigen Beschwerde am 15. Februar 2006 nicht abgeholfen und die Sache dem Hessischen Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im Beschwerdeverfahren wird auf Akteninhalt im Übrigen verwiesen.

II.

Die sofortige Beschwerde des Beklagten ist gemäß den §§ 104 Abs. 3; 567 Abs. 2 ZPO; 11 RPflG; 78 ArbGG statthaft. Der Beschwerdewert von mehr als 200,00 Euro ist erreicht. Auch im Übrigen ist die sofortige Beschwerde zulässig, insbesondere ist sie form- und fristgerecht erhoben.

In der Sache ist die sofortige Beschwerde begründet. Zu Unrecht hat der Rechtspfleger beim Arbeitsgericht die ihrer Höhe nach unstreitige Terminsgebühr (nebst Mehrwertsteuer) in seinem Kostenfestsetzungsbeschluss vom 21. Dezember 2005 unberücksichtigt gelassen.

Gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 3 VV RVG entsteht die Terminsgebühr (unter anderem) "für die Mitwirkung an auf die Vermeidung oder Erledigung des Verfahrens gerichteten Besprechungen ohne Beteiligung des Gerichts; dies gilt nicht für Besprechungen mit dem Auftraggeber."

Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall mit dem Telefonat der Prozessbevollmächtigten am 29. März 2005 erfüllt, und zwar unabhängig davon, welche der divergierenden Darstellungen zum Inhalt des Telefonats zutrifft. Unbezweifelt ist, dass mit diesem Telefonat eine "Besprechung" geführt wurde. Besprechungen können auch per Telefon erfolgen (Kammerbeschluss vom 17. Mai 2005 - 13 Ta 123/05 -; Mayer/Kroiß, RVG, 2004, Vorbemerkung 3 Anmerkung 37; Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert/Müller-Rabe, RVG 16. Auflage 2004, Vorbemerkung 3 VV Randziffer 87 ff).

Es hat auch eine Besprechung im Wortsinne stattgefunden. Voraussetzung dafür ist zwar nicht, dass beide (oder mehrere) Beteiligte sprechen. Notwendig ist aber, dass sich alle Beteiligten inhaltlich auf ein Gespräch einlassen. Dies kann ausdrücklich oder konkludent erfolgen. Aufgedrängte Gespräche, das Einreden auf einen Gegner, der nichts besprechen will und dies eventuell sogar noch ausdrücklich erklärt, kann nicht ausreichen (Gerold/.../, a. a. O. Randziffer 90; a.A. wohl OLG Koblenz vom 03. Mai 2005, NJW-RR 2005, 1592). Im vorliegenden Fall haben die Prozessbevollmächtigten nach übereinstimmendem Vortrag eine telefonische Besprechung geführt. Sie haben über die Berufungsrücknahme in dem anhängigen Verfahren gesprochen. Es ist angefragt worden, ob eventuell auf die Geltendmachung der Kosten verzichtet würde. Der Beklagtenvertreter hat dies im Hinblick auf die erfolgte Abrechnung mit der Rechtsschutzversicherung abgelehnt.

Die Parteivertreter haben damit in jedem Fall durch ihre telefonische Besprechung auch an der "Erledigung des Verfahrens" mitgewirkt, selbst wenn, wie die Klägerin behauptet, die Berufungsrücknahme bereits beschlossen war und es nur noch um die Bitte an den Beklagten ging, auf seinen Kostenerstattungsanspruch zu verzichten. Eine Mitwirkung an der Erledigung des Verfahrens scheidet deshalb nicht etwa aus. Ein Verfahren ist vielmehr erst dann im Sinne der Vorbemerkung 3 Abs. 3 RVG erledigt, wenn es im prozessrechtlichen Sinne erledigt ist, also z. B. durch Erklärung einer Berufungsrücknahme gegenüber dem Gericht. Diese erfolgte ausweislich der Akte aber erst am 30. März 2005. Die von der Klägerin behauptete persönliche Entscheidung hierzu bereits am 29. März 2005 vor dem Telefonat mit dem Beklagtenvertreter ist gebührenrechtlich irrelevant. Sie kann jederzeit geändert werden ist und ist regelmäßig nicht nachprüfbar. Die gebotene Praktikabilität des Gebührenrechts lässt es nicht zu, Gebührentatbestände allein nach behaupteten inneren Entschlüssen entstehen oder nicht entstehen zu lassen. Wenn aber bei dem Telefonat der Prozessbevollmächtigten am 29. März 2005 noch keine Erledigung des Rechtsstreits eingetreten war, konnten auch noch darauf gerichtete Besprechungen geführt werden.

Um eine solche Erledigung ging es auch noch, wenn, wie die Klägerin behauptet, darum gebeten wurde, nach erfolgter Berufungsrücknahme auf die Kostenerstattung zu verzichten. Eine Besprechung zur Mitwirkung an der Erledigung eines Verfahrens bedarf nämlich nicht des umfassenden Ziels einer Gesamteinigung, gar eines Vergleichs im Sinne von § 779 BGB. Dies beweist der Unterschied zu Nr. 1000 VV RVG, wo im Gegensatz zur Vorbemerkung 3 Abs. 3 VV RVG von einer "Einigung" die Rede ist, die dort den Abschluss eines Vertrages meint, die den Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis beseitigt (vgl. dazu Hartmann, Kostengesetze, 35. Auflage 2005, RVG VV Nr. 3104 Randziffer 12). Eine Mitwirkung bei der "Erledigung des Verfahrens" im Sinne der Vorbemerkung 3 Abs. 3 VV RVG ist weniger. Der Gesetzestext stellt nur darauf ab, dass das Gespräch auf die Vermeidung oder Erledigung des Verfahrens gerichtet sein muss, besagt aber nicht, auf welche Weise dieses Ergebnis erreicht werden soll. Unbestritten ist, dass die Terminsgebühr sogar entsteht, wenn das Gespräch erfolglos war (vgl. Hartmann a. a. O., Randziffer 10). Unbestritten ist auch, dass eine Terminsgebühr selbst bei Besprechungen mit Dritten, z. B. mit Zeugen, Sachverständigen, Steuerberatern oder Versicherern entstehen kann (Kammerbeschluss vom 17. Mai 2005 - 13 Ta 123/05 -; Gerold/.../, a. a. O., Randziffer 96; Hartmann, a. a. O., Randziffer 14), Personen also, mit denen eine "Einigung" über den aktuellen oder potentiellen Streitgegenstand überhaupt nicht möglich ist. Auch die Gesetzesmotive beweisen, dass es nur "insbesondere" um Gespräche gehen sollte, die auf eine gütliche Einigung zielen (BT-Drucksache 15/1971, Seite 209). Damit zielt z. B. auch ein Versuch des Rechtsanwalts, den Gegner zu einer Klagerücknahme oder einem Annerkenntnis zu bewegen, auf die Erledigung des Verfahrens (OLG Koblenz vom 29. April 2005, NJW 2005, 2162; Gerold/.../, a. a. O., Randziffer 92; zu streng deshalb OLG Karlsruhe vom 02. Dezember 2005 - 15 W 55/05 -, zitiert nach juris). Nichts anderes gilt für den Versuch, den Gegner im Berufungsverfahren vor der Berufungsrücknahme zum Verzicht auf die Kostenerstattung zu bewegen. Für den Berufungskläger ändert sich dadurch wirtschaftlich das Ergebnis seines Handels. Eine Berufungsrücknahme ohne Kostenerstattungsanspruch der Gegenseite ist billiger als eine mit diesem gesetzlichen Kostenerstattungsanspruch. Der Versuch, vor der Berufungsrücknahme in einer Besprechung insoweit auf den Gegner Einfluss zu nehmen, reicht als Mitwirkung bei der Erledigung eines Verfahrens aus.

Dem Beklagten steht hier somit auch die begehrte Terminsgebühr in Höhe von 1255,20 Euro (nebst Mehrwertsteuer) zu, wie sein Prozessbevollmächtigter sie zutreffend in seinem Kostenfestsetzungsantrag vom 25. Oktober 2005 berechnet hat.

Die Kostenentscheidung zu Lasten der Klägerin folgt für die außergerichtlichen Kosten aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die Gerichtskosten folgt aus Nr. 8613 der Anlage 1 zu § 34 GKG.

Die Festsetzung des Beschwerdewerts ergibt sich aus § 3 ZPO und entspricht dem Wert der streitbefangenen Gebühr inklusive Mehrwertsteuer.

Die Zulassung der Rechtsbeschwerde beruht auf § 78 Satz 2 in Verbindung mit § 72 Abs. 2 ArbGG. Nach Auffassung der Kammer hat die Frage, welche Anforderungen an eine Besprechung ohne Beteiligung des Gerichts zur Erledigung des Verfahrens im Sinne des Abs. 3 der Vorbemerkung 3 VV RVG zu stellen sind, grundsätzliche Bedeutung.

Ende der Entscheidung

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