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Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 17.09.1999
Aktenzeichen: 15 Sa 1015/98 (A)
Rechtsgebiete: TVG, ZPO, ArbGG


Vorschriften:

TVG § 5
TVG § 9 analog
ZPO § 148
ArbGG § 97 V analog
Zur Aussetzung eines arbeitsgerichtlichen Verfahrens, in dem es auf die Frage der Wirksamkeit einer Allgemeinverbindlichkeitserklärung ankommt, im Hinblick auf eine verwaltungsgerichtliche Feststellungsklage bezüglich der Wirksamkeit der Allgemeinverbindlichkeitserklärung.
Tenor:

Die Verhandlung wird ausgesetzt bis zur Erledigung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens Q. ./. Bundesrepublik Deutschland vor dem Verwaltungsgericht Köln (Az.: 1 K 3055/99).

Gründe:

I.

Die Parteien streiten darum, ob die Beklagten verpflichtet sind, dem Kläger gemäß § 4 des Tarifvertrages über die Qualifizierung der Arbeitnehmer aus der Land- und Forstwirtschaft und über Maßnahmen zur Erschließung und Sicherung wettbewerbsfähiger Voll- und Teilzeitarbeitsplätze der Land- und Forstwirtschaft vom 03. Juli 1995 (QLFTV) Beiträge zu zahlen.

Der Kläger ist in der Rechtsform eines eingetragenen Vereins gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des QLFTV - auf Arbeitgeberseite handelt es sich um 17 (Landes-)Mitgliedsverbände des G. und den A. - im Sinne des § 4 Abs. 2 TVG (§ 2 QLFTV). An ihn sind nach dem am 01. Januar 1996 in Kraft getretenen QLFTV, der räumlich für das Gebiet der B. mit Ausnahme der Regierungsbezirke K. und D. und fachlich vor allem für alle Betriebe der Land- und Forstwirtschaft gilt (§ 1 Abs. 1 und 2 QLFTV) und erstmals zum 31. Dezember 2000 kündbar ist (§ 9 Abs. 1 QLFTV), jährlich im Voraus (§ 4 Abs. 4 Satz 1 QLFTV) Beiträge zu entrichten. Beitragspflicht besteht für jeden ständig beschäftigten rentenversicherungspflichtigen Arbeitnehmer (§ 4 Abs. 2 QLFTV), wobei der Beitrag monatlich für den Arbeitgeber 7,-- DM und für den Arbeitnehmer 3,-- DM beträgt und als Gesamtbetrag vom Arbeitgeber abzuführen ist (§ 4 Abs. 3 QLFTV).

Der Tarifvertrag ist aufgrund entsprechenden Antrags, der unter dem 10. Oktober 1995 im Bundesanzeiger Nr. 198 vom 20. Oktober 1995 (S. 11145) bekannt gemacht worden war, nach der Sitzung des Tarifausschusses vom 15. Dezember 1995 mit Wirkung vom 01. Januar 1996 am 30. Januar 1996 vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung für allgemeinverbindlich erklärt worden (Bundesanzeiger Nr. 26 vom 07. Februar 1996).

Die (im verbundenen Verfahren) Beklagten sind landwirtschaftliche Arbeitgeber. Sie gehören keinem der vertragschließenden Arbeitgeberverbände an.

Der Kläger nimmt u.a. die Beklagten auf Beitragszahlung für die Jahre 1996 bis 1998 in Anspruch. Die Beklagten verteidigen sich schwerpunktmäßig damit, dass die AVE nicht den Anforderungen des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG entsprochen habe. Die Zahlen, die der Tarifausschuss und der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung zugrundegelegt hätten, ergäben, daß nur knapp über 50 % der Arbeitnehmer in tarifgebunden Betrieben beschäftigt worden seien, doch seien die Zahlenannahmen für die ostdeutschen Länder erheblich zu hoch ausgefallen, weshalb sich bei richtiger Betrachtung eine Zahl von sehr deutlich unter 50 % ergebe. Der Streit der Prozessparteien dreht sich hauptsächlich um zwei Punkte. Zunächst ist für T. im Hinblick auf eine "Fusion" neben dem vertragschließenden Arbeitgeberverband noch ein weiterer (größerer) Arbeitgeberverband in die Berechnung des Bundesministers mit eingeflossen. Insoweit bestehen unterschiedliche Auffassungen über die Berechtigung der Zusammenfassung dieser beiden Arbeitgeberverbände - unstreitig ist es bis heute nicht zu der "Fusion" gekommen. Außerdem sind aufgrund der dem Bundesminister gemachten Angaben speziell für die Länder S. und M. die dem jeweiligen Bauernverband angehörenden Betriebe als tarifgebundene Betriebe "verbucht" worden - insofern besteht Streit darüber, ob diese "Verbuchung" sich entgegen geäußerten Bedenken (angesichts der jeweiligen Satzungen) als rechtlich tragfähig darstellte.

Das Arbeitsgericht hat den Klagen stattgegeben. Es hat seine Entscheidung im Kern damit begründet, dass die Entscheidung des Bundesarbeitsministers für Arbeit und Sozialordnung vom Formalen her und hinsichtlich des Verfahrens nicht zu beanstanden sei, dass eine inhaltliche Überprüfung im Hinblick auf § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG jedoch ausgeschlossen sei.

Parallel zu dem vorliegenden Rechtsstreit sind beim Hessischen Landesarbeitsgericht - verteilt auf drei Kammern - etwa 400 weitere Berufungsverfahren anhängig. Zusätzliche Rechtsstreite sind noch beim Arbeitsgericht anhängig. Nach den Angaben des Klägers sind insgesamt 404 Arbeitgeber von anhängigen Klagen betroffen. Musterprozessvereinbarungen waren nicht erzielbar.

Am 19. April 1999 reichte der Kläger beim Verwaltungsgericht K. eine Feststellungsklage gegen die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch den Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, ein (Az.: 1 K 3055/99). Mit der Klage wird die Feststellung begehrt, dass das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung berechtigt war, den QLFTV für allgemeinverbindlich zu erklären. Ein Termin ist in diesem Verfahren derzeit noch nicht bestimmt.

II.

Die Kammer hält es nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung vom 17. September 1999 für sachgerecht und auch geboten, die Verhandlung bis zur (rechtskräftigen) Erledigung des verwaltungsgerichtlichen Rechtsstreits zwischen dem Kläger und der Bundesrepublik Deutschland (derzeit anhängig beim VG Köln unter dem angegebenen Aktenzeichen) auszusetzen. Die Aussetzungsentscheidung fußt auf § 148 ZPO i.V.m. §§ 97 Abs. 5 ArbGG analog und § 9 TVG analog (zur Aussetzungsproblematik auch Mäßen/Mauer, NZA 1996, 121, 126).

Dabei geht die Kammer zunächst davon aus, dass der vom Arbeitsgericht gewählte Weg, die gerichtliche Kontrolle der Allgemeinverbindlicherklärung (§ 5 TVG) - nach dem Bundesverfassungsgericht ein Rechtssetzungsakt eigener Art zwischen autonomer Regelung und staatlicher Rechtssetzung auf der Grundlage des Art. 9 Abs. 3 GG (BVerfG Beschluss vom 24. Mai 1977 - 2 BvL 11/74 - AP Nr. 15 zu § 5 TVG; Däubler, Tarifvertragsrecht, 3. Aufl., Rz. 1283; Wank, in: Wiedemann, TVG, 6. Aufl., § 5 Rz. 33 ff., 50; partiell kritisch dazu Kempen/Zachert, TVG, 3. Aufl., § 5 Rz. 31) - sehr stark zurückzunehmen und bezüglich der Anforderungen des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG praktisch auf Null zu reduzieren, nicht gangbar ist. Denn wenn bestimmte Akte des Staates abhängig sind von jeweils gesetzlich formulierten inhaltlichen Vorgaben, muss die Frage danach, ob diese Vorgaben erfüllt sind, einer gerichtlichen inhaltlichen Überprüfung zugänglich sein. Dies folgt aus Art. 19 Abs. 4 GG (parallel dazu bezüglich des Bildungsurlaubsrechts BVerfG Beschluss vom 15. Dezember 1987 - 1 BvR 563/85 - AP Nr. 62 zu Art. 12 GG = EzA § 7 AWbG NW Nr. 1; BAG Urteil vom 09. Februar 1993 - 9 AZR 203/90 - AP Nr. 1 zu § 1 BildungsurlaubsG Hessen).

Praktisch und dogmatisch nicht befriedigend ist indes auch der Weg, den die höchstrichterliche Rechtsprechung und die herrschende Auffassung bislang für den Regelfall allein zur Verfügung stellen, nämlich der Weg der Inzidentkontrolle einer AVE in einem arbeitsgerichtlichen Rechtsstreit, in dem es auf die Frage der Wirksamkeit der Allgemeinverbindlicherklärung (AVE) ankommt (dazu BAG Urteil vom 24. Januar 1979 - 4 AZR 377/77 - AP Nr. 16 zu § 5 TVG; BAG Urteil vom 22. September 1993 - 10 AZR 371/92 - AP Nr., 2 zu § 1 TVG Tarifverträge: Gerüstbau; vgl. dazu auch Däubler, Tarifvertragsrecht, 3. Aufl., Rz. 1285; Kempen/Zachert, TVG, 3. Aufl., § 5 Rz. 35; Wank, in: Wiedemann, TVG, 6. Aufl., § 5 Rz. 175 ff., 177). Dies gilt jedenfalls angesichts der Tatsache, dass die Wirksamkeit von AVEen offenbar zunehmend in Frage gestellt wird (möglicherweise vor dem Hintergrund, dass die tatsächlichen Entwicklungen es zunehmend schwieriger machen, die 50 %-Hürde des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG zu überschreiten) und dass sich damit die Frage einer Inzidentprüfung zunehmend nicht nur in vereinzelten Verfahren stellt, sondern in einer ganzen Reihe von parallelen Verfahren (wie die hier vorliegenden Klagen des Klägers belegen). Das, was das Bundesarbeitsgericht an Ermittlungen im Rahmen der Inzidentprüfung fordert (vgl. BAG Urteile vom 24. Januar 1979 und vom 22. September 1993, beide a.a.O.), ist rein praktisch in einer Vielzahl von parallelen Verfahren (unter Umständen vor verschiedenen Arbeitsgerichten oder Landesarbeitsgerichten) nicht oder kaum sinnvoll zu leisten, und die Klagen des Klägers belegen, dass es keineswegs stets möglich ist, Fluten paralleler Klagen über Musterprozessvereinbarungen zu steuern. Es kommt hinzu, dass die einzelne Entscheidung nur Rechtskraft inter partes (zwischen den Parteien des jeweiligen Rechtsstreites) entfaltet, wobei es angesichts der Fragen von Beurteilung und/oder Schätzung hinsichtlich der Anforderungen des § 5 Abs. 1 Satz 1 TVG (dazu speziell BAG Urteil vom 24. Januar 1979 a.a.O.) nicht ausgeschlossen ist, dass sich divergierende Entscheidungen ergeben und von Gesetzes wegen - es geht um die Beurteilung von Tatsachen - kein Grund für die Zulassung von Berufung oder Revision besteht (§§ 64 Abs. 3, 72 Abs. 2 ArbGG; GK-ArbGG/Ascheid § 72 Rz. 25 ff.; ebenso im Ergebnis Hess. LAG Urteile vom 08. Dezember 1997 - 10 Sa 1479/95,10 Sa 1480/95 und 10 Sa 1689/95 - ).

Die eben skizzierten Überlegungen machen deutlich, dass es wichtig und notwendig ist, ein Verfahren zu haben, in dem die Frage der Wirksamkeit einer AVE mit Bindungswirkung für die jeweiligen davon abhängigen Einzelrechtsstreite geklärt wird (vgl. auch Mäßen/Mauer, NZA 1996, 121, 125). Ob diese Notwendigkeit dadurch noch verstärkt wird, dass mittlerweile auf Teilgebieten des Arbeitsrechts (eine Ausweitung darüber hinaus ist bereits der Diskussion) gewissermaßen eine neue Art von Allgemeinverbindlicherklärung existiert, kann im Ergebnis offen bleiben. Es ist insoweit vorgesehen , dass durch Rechtsverordnung des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung ohne Zustimmung des Bundesrates und ohne gesetzliche inhaltliche Vorgaben wie in § 5 Abs. 1 TVG vorhanden dieselben Wirkungen wie in § 5 Abs. 4 TVG geregelt angeordnet werden können (§ 1 Abs. 3a i.V.m. Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 AEntG), eine Regelung, die speziell im Hinblick auf Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG Fragen aufwirft und für die der Aspekt der negativen Koalitionsfreiheit jedenfalls neu zu diskutieren sein dürfte (vgl. insoweit zur AVE BVerfG Beschluss vom 24. Mai 1977 - 2 BvL 11/74 - AP Nr. 15 zu § 5 TVG; BVerfG Beschluss vom 15 Juli 1980 - 1 BvR 24/74 und 1 BvR 439/79 - AP Nr. 17 zu § 5 TVG; dazu auch Wank, in: Wiedemann, TVG, 6. Aufl., § 5 Rz. 21 ff.). Eine erste entsprechende Rechtsverordnung existiert bereits, die Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen im Baugewerbe vom 25. August 1999 (BGBl. I S. 1894).

Es stellt kein tragfähiges Gegenargument gegen die hier bejahte Notwendigkeit eines Verfahrens, in dem die Frage der Wirksamkeit einer AVE mit Bindung für Verfahren zwischen potentiell über die AVE an einen Tarifvertrag gebundenen Parteien beantwortet wird, dar, dass auch ansonsten in arbeitsgerichtlichen Verfahren Inzident-Kontrollen hinsichtlich der Wirksamkeit von Rechtsnormen unter der Ebene von Gesetzen stattfinden. Denn erstens handelt es sich dabei in aller Regel um Rechtsfragen, so dass insoweit im Ergebnis gewährleistet sein wird, dass die Frage nach der Wirksamkeit der Rechtsnorm im Instanzenzug einheitlich beantwortet werden wird. Zweitens hat der Gesetzgeber selbst - jedenfalls partiell - in §§ 9 TVG, 63 und 97 Abs. 5 ArbGG die Notwendigkeit gesehen, die Voraussetzungen für die Grundlagen der Anwendung von Tarifverträgen übergreifend zu klären, eine bloße Inzidentkontrolle also insofern gerade für nicht ausreichend erachtet.

Dabei muss freilich konstatiert werden, dass die Gesetze ihrem derzeitigen Wortlaut nach keinen Weg zu einer Entscheidung über die Wirksamkeit einer AVE mit Rechtskraft inter omnes oder mit Bindungswirkung für Verfahren, in denen es auf die Wirksamkeit einer AVE ankommt, weisen. § 47 VwGO wird bereits vom Regelungsgehalt her nicht anwendbar sein (dazu ebenso Kempen/Zachert, TVG, 3. Aufl., § 5 Rz. 35; Löwisch/Rieble, TVG, § 5 Rz. 117; Wank, in: Wiedemann, TVG, 6. Aufl., § 5 Rz. 169; zu pauschal Däubler, Tarifvertragsrecht, 3. Aufl., Rz. 1285). Auch § 97 Abs. 5 ArbGG ist nicht unmittelbar einschlägig, diese Norm ordnet den Aussetzungszwang nur an für die Klärung der Frage der Tariffähigkeit oder der Tarifzuständigkeit. Außerdem eröffnen die §§ 2, 2a ArbGG hinsichtlich eines Verfahrens zur Klärung der Wirksamkeit einer AVE nicht den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen (ebenso BVerwG Urteil vom 03. November 1988 - BVerwG 7 C 115.86 - AP Nr. 23 zu § 5 TVG, zu II.1. der Gründe).

Andererseits ist wie bereits angesprochen der Vorschrift des § 97 Abs. 5 ArbGG zu entnehmen, dass der Gesetzgeber jedenfalls, soweit es um die Problematik von Tarifzuständigkeit und Tariffähigkeit geht, die Frage danach, ob ein Tarifvertrag angewandt werden kann, nicht im jeweiligen Einzelverfahren beantwortet wissen will, sondern in einem besonderen Verfahren, nämlich in einem Beschlussverfahren gemäß § 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG (mit den verfahrensmäßigen Besonderheiten der Amtsermittlung gemäß § 83 Abs. 1 und 2 ArbGG !). Diese Regelung als solche erweist sich indes als unvollkommen, da nicht angeordnet ist, dass das Ergebnis des Beschlussverfahrens weitergehende Bindungswirkung entfaltet. Diese Lücke wird zu Recht von der ganz herrschenden Meinung dahingehend geschlossen, dass insoweit § 9 TVG entsprechend herangezogen wird (BAG Urteil vom 10. Mai 1989 - 4 AZR 80/89 - EzA § 256 ZPO Nr. 32; Oetker, in: Wiedemann, TVG, 6. Aufl. § 9 Rz. 23 mit weit. Nachw. in Fn. 63; Däubler, Tarifvertragsrecht, 3. Aufl., Rz. 85 mit. weit. Nachw.; a.A. GK-ArbGG/Leinemann, § 97 Rz. 69) - die weitere Frage, ob es dann nicht jedenfalls de lege ferenda systemgerecht wäre, § 97 Abs. 5 TVG auf die Frage des Bestehens oder Nichtbestehens eines Tarifvertrages auszudehnen und insofern entgegen der derzeitigen Regelung in § 2 Abs. 1 Nr. 1 ArbGG gleichfalls die Entscheidung im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren anzuordnen, bedarf hier keiner weiteren Erörterung (zum derzeitigen Rechtszustand Löwisch/Rieble, TVG, § 9 Rz. 7 und 75).

Nimmt man den mithin vorhandenen gesetzgeberischen Ansatz ernst, dass die Grundlagen für die Anwendbarkeit eines Tarifvertrages in einem gesonderten Verfahrens mit Bindungswirkung in entsprechender Anwendung des § 9 TVG zu klären sind, stellt sich das Fehlen einer entsprechenden gesetzlichen Regelung hinsichtlich der Wirksamkeit einer AVE aus den dargestellten Gründen als (planwidrige) Lücke dar. Diese kann freilich bis zu einer gebotenen gesetzlichen Regelung (die sich an §§ 97 Abs. 5 ArbGG, 9 TVG anlehnen sollte) aus den angesprochenen Gründen nicht durch eine schlichte analoge Anwendung des § 97 Abs. 5 ArbGG geschlossen werden - die Prozessparteien können nicht qua Aussetzungsbeschluss auf ein Beschlussverfahren verwiesen werden, für das der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen nicht eröffnet ist. Die gegebene Lücke ist vielmehr in Analogie zu §§ 97 Abs. 5 ArbGG, 9 TVG (zum hier nicht weiter zu diskutierenden Stellenwert des § 9 TVG insoweit Oetker, in: Wiedemann, TVG, 6. Aufl., § 9 Rz. 23 Fn. 63; Kempen/Zachert, TVG, 3. Aufl., Rz. 1; Mäßen/Mauer, NZA 1996, 121, 125) zumindest dahingehend zu schließen, dass ein arbeitsgerichtliches Verfahren, in dem - wie hier - die Wirksamkeit einer AVE im Streit steht und dessen Entscheidung von der Beantwortung der Frage der Wirksamkeit dieser AVE abhängt, jedenfalls dann ausgesetzt werden kann und soll, wenn vor den Verwaltungsgerichten bereits um die Aufhebung einer AVE gestritten wird (dazu auch Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 8. Aufl., § 207 IV 1) oder wenn - so hier - vor den Verwaltungsgerichten bereits eine Feststellungsklage hinsichtlich der Wirksamkeit einer AVE anhängig ist: Die Verwaltungsgerichtsbarkeit klärt dann (mit den insoweit angemessenen Mitteln der Amtsermittlung: § 86 Abs. 1 VwGO) die Frage der Wirksamkeit der AVE, und zwar in entsprechender Anwendung des § 9 TVG mit der sich daraus ergebenden weitergehenden Bindungswirkung (vgl. insoweit auch Mäßen/Mauer, NZA 1996, 121, 125 f., dort auch zu den erforderlichen Beiladungen gem. § 65 VwGO, wobei ergänzend § 97 Abs. 5 ArbGG zu beachten sein wird). Die bloße Tatsache, dass § 97 Abs. 5 ArbGG einen speziellen Fall regelt, steht als solche einer derartigen Analogie nicht im Wege (grundsätzlich zur Frage der Analogiefähigkeit von sog. Ausnahmebestimmungen BAG Beschluß vom 25. August 1983 - 6 ABR 52/80 - AP Nr. 14 zu § 59 KO, zu III.3. der Gründe).

Dass der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten insoweit nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO eröffnet ist, steht außer Frage (BVerwG Urteil vom 03. November 1988 - BVerwG 7 C 115.86 - AP Nr. 23 zu § 5 TVG = DVBl. 1989, 562). Der Kläger als Partei des Ausgangsrechtsstreits (siehe dazu § 97 Abs. 5 Satz 2 ArbGG) hat (sinngemäß) die Feststellung der Wirksamkeit der hier umstrittenen AVE (zutreffend mit der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch den Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, als Klagegegnerin: dazu Mäßen/Mauer, NZA 1996, 121, 126) beantragt, wobei das Feststellungsinteresse im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO - gleichgültig, ob es sich um eine positive oder negative Feststellungsklage handelt - ungeachtet aller sonst im Hinblick auf § 43 Abs. 1 VwGO diskutierten Fragen (dazu etwa BVerwG Urteil vom 09. Dezember 1982 Buchholz 310 § 43 VwGO Nr. 78; BVerwG Urteil vom 29. Juni 1995 DVBl. 1995, 1250; vgl. auch Eyermann, VwGO, 10. Aufl., § 43 Rz. 9, 15 ff., 22 ff. mit weit. Nachw.; Wank, in: Wiedemann, TVG, 6. Aufl., § 171 mit weit. Nachw.; zur möglicherweise erforderlichen Annahme einer Feststellungsklage sui generis in etwas anderem Zusammenhang Löwisch/Rieble, TVG, § 5 Rz. 120 mit weit. Nachw.) bereits aufgrund der gebotenen analogen Anwendung der §§ 97 Abs. 5 ArbGG, 9 TVG zu bejahen ist (a.A. Löwisch, in: Münchener Handbuch Arbeitsrecht, Bd. 3, § 261 Rz. 107 unter unzutreffendem Hinweis auf die insoweit allein mögliche Inzidentkontrolle; ebenfalls a.A. Wank a.a.O. Rz. 176).

Aufgrund der dargelegten Erwägungen erweist sich die Aussetzung auch unter Würdigung des allgemeinen Beschleunigungsgebotes im arbeitsgerichtlichen Verfahren (§ 9 Abs. 1 ArbGG) und der potentiellen Dauer eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens als sachgerecht, zumal damit möglicherweise divergierende Entscheidungen der Verwaltungsgerichte und der Gerichte für Arbeitssachen vermieden werden. Dies gilt um so mehr, als der Kläger, der sich selbst für die Aussetzung ausgesprochen hat, vor der Berufungskammer ausdrücklich erklärt hat, die hier im Streit stehenden Beiträge weder zu vollstrecken noch anderweitig einzufordern, es solle in jedem Fall die rechtskräftige Entscheidung der Verwaltungsgerichte abgewartet werden.

Ende der Entscheidung

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