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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 07.03.2005
Aktenzeichen: 16/10 Sa 1385/04
Rechtsgebiete: AEntG, VTV, BGB


Vorschriften:

AEntG § 1
VTV v. 12.11.1986 § 62
VTV v. 20.12.1999 § 24
BGB a.F. § 285
BGB a.F. § 286
1. Ein Arbeitgeber mit Sitz im Ausland, der mit Hilfe nach Deutschland entsandter gewerblicher Arbeitnehmer bauliche Leistungen erbringt, schuldet der Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft auch die Zahlung von Zinsen, wenn er mit der Zahlung von Urlaubskassenbeiträgen in Verzug ist.

2. Ein entschuldbarer, Verzug ausschließender Rechtsirrtum liegt nicht vor, wenn ein polnisches, in Deutschland durch entsandte Arbeitnehmer Bauleistungen erbringendes Unternehmen deshalb keine Urlaubskassenbeiträge zahlt, weil zu ihren Gunsten ein nicht rechtskräftiges erstinstanzliches Urteil ergangen war, durch das festgestellt wurde, dass eine Verpflichtung zur Zahlung von Urlaubskassenbeiträgen nicht besteht.


Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 28. April 2004 - 3 Ca 2408/03 - wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um Zinsansprüche des Klägers.

Der Kläger ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes. Er hat nach den für allgemeinverbindlich erklärten tarifvertraglichen Regelungen des Baugewerbes insbesondere die Aufgabe, die Auszahlungen der tarifvertraglich vorgesehenen Urlaubsvergütungen zu sichern. Nach § 8 Ziffer 15.1 des für allgemeinverbindlich erklärten Bundesrahmentarifvertrages für das Baugewerbe (BRTV/Bau) vom 03. Februar 1981 bzw., ab 01. September 2002, vom 04. Juli 2002, haben die baugewerblichen Arbeitgeber die dazu erforderlichen Mittel durch Beiträge aufzubringen. Auf diese Beiträge hat der Kläger einen unmittelbaren Anspruch. Die Höhe der Beiträge, der Beitragseinzug sowie die Leistungen des Klägers sind in einem ebenfalls für allgemeinverbindlich erklärten Verfahrenstarifvertrag (VTV) geregelt.

Die Beklagte ist eine juristische Person polnischen Rechts und unterhält ein Unternehmen, von dem arbeitszeitlich überwiegend Isolierarbeiten durchgeführt werden. In den Jahren 1999 bis 2003 führte sie mit polnischen Arbeitnehmern in der Bundesrepublik Deutschland auf der Grundlage von Werkverträgen als Subunternehmerin technische Isolierarbeiten aus. Eine Klage der Beklagten auf Feststellung, dass sie nicht zur Teilnahme am Urlaubskassenverfahren verpflichtet sei, endete im Berufungsrechtszug mit einer mit Zustimmung des Klägers (und dortigen Beklagten) erfolgten Klagerücknahme, nachdem die Beklagte erstinstanzlich ein obsiegendes Urteil erwirkt hatte.

In der Zeit von 1999 bis 2003 meldete die Beklagte dem Kläger Sozialkassenbeiträge in Höhe von insgesamt € 268.097,32. Hinsichtlich der Höhe der monatlichen Meldungen wird auf die Aufstellung des Klägers (Bl. 7/8 d.A.) Bezug genommen. Auf diesen Betrag zahlte die Beklagte zu den aus der Klageschrift (Bl. 4 d.A.) ersichtlichen Daten insgesamt € 263.939,00.

Der Kläger hat vorgetragen, die Beklagte habe sich mit den Beitragszahlungen in Verzug befunden, da sie, wie sich aus der Auflistung in der Klageschrift (Bl. 4 d.A.) ergebe, die Beiträge nicht, wie tarifvertraglich vorgeschrieben, zum 15. des auf den Abrechnungsmonat folgenden Monats beglichen habe. Dadurch seien, entsprechend der Verzugszinsenrechnung (Bl. 17 - 67 d.A.) Verzugszinsen in Höhe von insgesamt € 23.771,51 bis zum 10. März 2003 angefallen, da die jeweils offenen Beträge jedenfalls ab dem 20. es Folgemonats zu verzinsen seien. Auf diese Forderung habe er ein Guthaben aus Sozialversicherungsgutschriften in Höhe von € 14.832,59 angerechnet, so dass noch Zinsen in Höhe von € 8.938,92 offen ständen.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn € 8.938,92 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Ansicht vertreten, die Voraussetzungen eines Verzugs lägen nicht vor, weil die Beitragszahlungen aufgrund eines unverschuldeten Rechtsirrtums unterblieben seien. Bis Juli 1999 habe sie Beiträge unter Vorbehalt gezahlt und dann, nachdem das Arbeitsgericht ihrer negativen Feststellungsklage stattgegeben habe, die Beitragszahlung insgesamt eingestellt. Bei dieser Sachlage habe sie jedenfalls bis zu den Entscheidungen des BAG vom 25. Juni 2002, in denen erstmals eine Verpflichtung polnischer Arbeitgeber zur Teilnahme am Urlaubskassenverfahren festgestellt worden sei, nicht von Zahlungsverpflichtungen ausgehen müssen. Zudem sei eine Verzinsung unbillig, da sie durch die Verpflichtung zur Teilnahme am Urlaubskassenverfahren grundsätzlich Doppelbelastungen ausgesetzt sei. Bis zum 01. Januar 2004 sei sie nach polnischem Recht gegenüber ihren Arbeitnehmern unbeschadet der Regelung des deutschen Urlaubskassenverfahrens zur Zahlung von Urlaubsvergütung verpflichtet gewesen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 28. April 2004 stattgegeben. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Bl. 80 - 88 d.A.) Bezug genommen.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte innerhalb der zur Niederschrift über die Berufungsverhandlung am 07. März 2005 festgestellten und dort ersichtlichen Fristen Berufung eingelegt.

Sie verfolgt das auf Klageabweisung gerichtete Begehren in vollem Umfang weiter, vertieft ihre Ansicht, wonach sie unverschuldet die Beitragszahlung unterlassen habe und trägt vor, der Kläger habe als Schuldner der Urlaubsentschädigungen und Urlaubsabgeltungen seine Leistungen an ihre Arbeitnehmer in Anbetracht der nicht geklärten Rechtslage von einer Klärung durch Abgabe einer Verzinserklärung auf Beitragsrückzahlung abhängig gemacht. Erst nachdem die Beitragspflicht bestätigt worden sei, hätten die Arbeitnehmer, ohne Zinsen, Auszahlungen erhalten.

Der Kläger beantragt Zurückweisung der Berufung, verteidigt das erstinstanzliche Urteil und wiederholt sein erstinstanzliches Vorbringen.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien im Berufungsrechtszug wird auf den vorgetragenen Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze sowie auf die Niederschrift über die Berufungsverhandlung am 07. März 2005 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gem. §§ 8 Abs. 2 ArbGG, 511 ZPO an sich statthafte Berufung begegnet hinsichtlich des Wertes des Beschwerdegegenstandes (§ 64 Abs. 2 b ArbGG) keinerlei Bedenken. Sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt, sowie rechtzeitig und ordnungsgemäß begründet worden (§§ 66 Abs. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO) und damit insgesamt zulässig.

In der Sache hat die Berufung keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die Beklagte zu Recht zur Zahlung von € 8.938,92 an den Kläger verurteilt. Denn diesen Betrag schuldet die Beklagte dem Kläger.

Anspruchsgrundlage für das klägerische Begehren ist § 1 Abs. 2 AEntG (in den bis 31. Dezember 2003 gültigen Fassungen) i.V.m. den Zinsverpflichtungen eines Arbeitgebers regelnden Vorschriften des Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV).

Nach § 1 Abs. 3 i.V.m. § 1 Abs. 1 AEntG werden die Rechtsnormen eines allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrages des Baugewerbes oder Baunebengewerbes im Sinne der §§ 1 und 2 BaubetriebeVO auch auf ein Arbeitsverhältnis erstreckt, das zwischen einem Arbeitgeber mit Sitz im Ausland und seinen im räumlichen Geltungsbereich des Tarifvertrages beschäftigten Arbeitnehmern besteht. Die Erstreckung setzt voraus, dass der ausländische Arbeitgeber in seinem Betrieb überwiegend Bauleistungen im Sinne des § 211 Abs. 1 SGB III erbringt. Dann hat der ausländische Arbeitgeber ebenso wie ein inländischer Arbeitgeber den im räumlichen Geltungsbereich des Tarifvertrages beschäftigten Arbeitnehmern mindestens die am Arbeitsort geltenden tariflichen Arbeitsbedingungen zu gewähren, soweit die Dauer des Erholungsurlaubs, das Urlaubsentgelt oder ein zusätzliches Urlaubsgeld betroffen sind (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 AEntG).

Die tatsächlichen Voraussetzungen der Erstreckung liegen vor. Die Beklagte befasste sich in den Jahren 1999 bis 2003 mit der Durchführung technischer Isolierarbeiten. Damit erbrachte sie Leistungen im Sinne der BaubetriebeVO (§ 1 Abs. 2 Nr. 8 BaubetriebeVO). Als in Polen ansässiges Bauunternehmen beschäftigte sie auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland von ihr aus Polen entsandte Arbeitnehmer. Der Kläger ist als gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien errichtet. Er zieht u.a. zur Sicherstellung der tariflichen Urlaubsansprüche im Baugewerbe nach § 8 Nr. 15 BRTV/Bau i.V.m. §§ 1 ff. VTV Beiträge ein und gewährt Leistungen.

§ 1 AEntG ist rechtswirksam. Das hat das BAG mehrfach entschieden (vgl. z.B. BAG 25. Juni 2002, AP Nr. 12 und 15 zu § 1 AEntG). Das entspricht auch der ständigen Rechtsprechung der Berufungskammer, die diese Ansicht bereits in den, den BAG-Entscheidungen vorangegangenen Urteilen vertreten hatte und auch weiter in ständiger Rechtsprechung (vgl. z.B. Kammerurteil vom 14. Juli 2003 - 16 Sa 512/00 - AR-Blattei ES 370.3 Nr. 11) vertritt. Die Wirksamkeit von § 1 AEntG stellt denn auch die Beklagte im Berufungsrechtszug nicht mehr in Abrede.

Auch die durch § 1 AEntG erstreckten Rechtsnormen sind rechtswirksam. Sie verstoßen weder gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz noch gegen den Unabdingbarkeitsgrundsatz in § 13 Abs. 2 BUrlG oder die Regelungen des Datenschutzes. Auch das hat das BAG in den vorzitierten Urteilen ausgeführt. Entsprechendes gilt auch für die im VTV geregelte Verpflichtung eines baugewerblichen Arbeitgebers zur Zahlung von Verzugszinsen.

Entsprechende tarifvertragliche Regelungen finden sich in dem für 1999 gültigen VTV vom 12.11.1986 für Arbeitgeber mit Sitz im Ausland in § 62 VTV, ab 01.01.2000 im VTV vom 20. Dezember 1999 (VTV 2000) und dort in § 24 VTV 2000. Solche tarifvertraglichen Regelungen sind bedenkenfrei zulässig. Der Sache nach handelt es sich bei den nach dem VTV bzw. VTV 2000 an den Kläger als gemeinsame Einrichtung zu erbringenden Leistungen von Arbeitgebern um Leistungen für die Arbeitnehmer selbst, also um tarifvertragliche Inhaltsnormen (§§ 1 Abs. 1, 4 Abs. 2 TVG), der Kläger nimmt die Funktion einer betrieblichen Verrechnungsstelle ein (vgl. Kammerurteil vom 19. Juli 2004 - 16 Sa 2167/03). Inhaltsnormen iSv § 1 Abs.1 TVG sind alle Normen, die Rechte und Pflichten der Arbeitsvertragsparteien regeln. Dazu gehören auch Regelungen über das Leistungsstörungsrecht (vgl. Löwisch/Rieble, TVG, 2. Aufl. 2004, § 1 Rz 53). Um nichts anderes geht es bei tarifvertraglichen Regelungen über Verzugszinsen. Verzug ist eine Leistungsstörung. Verzugszinsen haben die Funktion, die Nachteile auszugleichen, die einem Gläubiger dadurch entstehen, dass er infolge nicht rechtzeitiger Zahlung des Schuldners daran gehindert ist, ein ihm zustehenden Geldbetrag zu verwerten (vgl. BAG GS 07. März 2001, AP Nr. 4 zu § 288 BGB; BGH 12. Mai 1998, BB 1998, 1388).

Die tarifvertraglich normierten Voraussetzungen für einen Zinsanspruch des Klägers sind im vorliegenden Fall erfüllt.

Nach § 62 VTV (maßgebend für die bis 31. Dezember 1999 geforderten Zinsen) hatte der Kläger, wenn der Arbeitgeber mit Sitz im Ausland mit der Zahlung des Urlaubskassenbeitrags in Verzug ist, Anspruch auf Verzugszinsen in Höhe des um 3 Prozentpunkte erhöhten jeweiligen Basiszinssatzes. Eine vergleichbare Regelung findet sich für Arbeitgeber mit Sitz im Inland in § 30 VTV. Damit kommt es nicht darauf an, ob die Tarifvertragsparteien befugt waren, wie in den 1999 gültigen tariflichen Regelungen normiert, eigenständige Bestimmungen für Arbeitgeber mit Sitz im Ausland zu treffen (so: BAG 25. Juni 2002 aaO.). Selbst wenn man dies verneint, galt nämlich die für Inländer maßgebliche Vorschrift der §§ 30, 51, 83 VTV auch für sie. Nach § 24 VTV 2000 (maßgeblich für Zinsen ab 01. Januar 2000 für alle Arbeitgeber) hat u.a. der Kläger dann, wenn der Arbeitgeber mit der Zahlung des Sozialkassenbeitrags in Verzug ist, Anspruch auf Verzugszinsen in gesetzlicher Höhe.

Die Beklagte war mit der Zahlung von Urlaubskassenbeiträgen in Verzug. Da die Tarifvertragsparteien den Begriff des "Verzugs" nicht näher erläutert haben, ist davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien in den tarifvertraglichen Bestimmungen der Begriff des "Verzugs" so verwendet wissen wollen, wie er in der allgemeinen Rechtsterminologie verwendet wird. Gesetzliche Voraussetzung des Verzugs ist die rechtswidrige Verzögerung einer Leistung durch den Schuldner aus einem von diesem zu vertretenden Grunde. Das fordert einen fälligen Anspruch des Gläubigers, eine Mahnung, soweit diese nicht nach gesetzlicher Bestimmung entbehrlich ist, z.B., wenn für die Leistung eine Zeit nach dem Kalender bestimmt ist (§ 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB) und Vertreten müssen des Verzugs durch den Schuldner. Diese Voraussetzungen waren hier gegeben.

Die monatlichen Beitragsforderungen des Klägers waren jeweils am 15. des jeweiligen Folgemonats zur Zahlung fällig. Das bestimmte für die Zeit bis 31. Dezember 1999 ausdrücklich § 61 Abs. 3 VTV für Arbeitgeber mit Sitz im Ausland, §§ 29 Abs.1, 50, 76 Abs.1 VTV für Arbeitgeber mit Sitz im Inland. Ab 01. Januar 2000 gilt für alle Arbeitgeber insoweit § 22 Abs. 1 VTV. Damit war eine Mahnung entbehrlich.

Dass sowohl § 24 wie § 22 Abs. 1 VTV 2000 (ebenso 29 Abs.1 VTV) nicht ausdrücklich vom Urlaubskassenbeitrag, sondern vom "Sozialkassenbeitrag" sprechen, ist ohne Belang. Unter "Sozialkassenbeitrag" verstehen die Tarifvertragsparteien den Gesamtbeitrag der vom Arbeitgeber mit Sitz im Inland zu erbringenden Beiträge für die tarifvertraglich festgelegten Leistungen im Urlaubs-, Lohnausgleichs- und Berufsbildungsverfahren (§§ 3 Abs. 4, 18 Abs. 1 VTV 2000). Der Urlaubskassenbeitrag ist Teil des Sozialkassenbeitrags. § 1 AEntG erstreckt nur die Normen über das Urlaubskassenverfahren auf Arbeitgeber wie die Beklagte. Für den Umfang der Erstreckung, also bezüglich des Urlaubskassenverfahrens, gelten dann auch die §§ 24 und 22 Abs. 1 VTV 2000 für Arbeitgeber mit Sitz im Ausland. Dass Verzugszinsen von einem Arbeitgeber mit Sitz im Inland nach § 24 2. Halbsatz VTV 2000 an die Einzugsstelle, also an die Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes (§ 3 Abs. 3 VTV 2000) zu zahlen sind, ändert an der Aktivlegitimation des Klägers nichts. Die Regelungen des § 24 VTV 2000 beinhaltet nichts anderes als die Einräumung einer Prozeßstandschaft zugunsten der Einzugsstelle. Diese erstreckt sich nach der tarifvertraglichen Regelung nur auf die Einziehung des Sozialkassenbeitrags und damit auf die Geltendmachung von Beiträgen gegenüber Arbeitgebern mit Sitz im Inland. An der Gläubigerstellung des Klägers auch bezüglich der Geltendmachung von Verzugszinsen und an seiner Befugnis, diese gegenüber Arbeitgebern mit Sitz im Ausland auch einzuziehen, ändert das nichts.

Die unstreitige verspätete Zahlung von Urlaubskassenbeiträgen an den Kläger hat die Beklagte auch zu vertreten (§ 285 BGB a.F., § 286 Abs. 4 BGB). Zu vertreten hat der Schuldner Vorsatz und Fahrlässigkeit (§ 276 BGB). Tatsachen, aus denen sich herleiten ließe, dass die Beklagte schuldlos davon ausgehen konnte, im Klagezeitraum nicht zur Beitragszahlung an den Kläger verpflichtet gewesen zu sein, sind nicht ersichtlich.

Soweit die Beklagte sich darauf beruft, sie habe aufgrund der Tatsache, dass das Arbeitsgericht mit Urteil vom 04. August 1999 ihrer negativen Feststellungsklage stattgegeben hatte, darauf vertrauen dürfen, dass sie nicht zur Beitragszahlung an den Kläger verpflichtet sei, vermag dies ihr Verschulden nicht auszuschließen.

Richtig ist, dass ein Schuldner dann nicht in Verzug kommt, wenn er infolge eines entschuldbaren Rechtsirrtums nicht leistet. Ein derartiger beachtlicher Rechtsirrtum der Beklagten lag jedoch nicht vor.

Ein entschuldbarer Rechtsirrtum ist nur dann gegeben, wenn die Rechtslage objektiv zweifelhaft ist und der Schuldner nach sorgfältiger Prüfung davon ausgehen durfte, dass seine Rechtsansicht zutrifft (vgl. BAG 12. November 1992, AP Nr. 1 zu § 285 BGB; BAG 13. Juni 2002, AP Nr. 97 zu § 615 BGB). So war es hier nicht.

Die einschlägige gesetzliche Regelung des § 1 AEntG und die auf ausländische Arbeitgeber erstreckten Tarifnormen waren und sind eindeutig. Zudem belegt der historische Befund, dass es ausdrücklich Ziel der gesetzlichen Regelung war, Arbeitgeber mit Sitz im Ausland, die in der Bundesrepublik Deutschland Bauleistungen ausführten, in das Urlaubskassenverfahren einzubeziehen. Anlass für die Schaffung von § 1 AEntG war nämlich der Befund, dass zunehmend die Dienstleistungen von ausländischen Arbeitgebern, und zwar insbesondere in der Bauwirtschaft, aus sog. Billiglohnländern in Deutschland erbracht wurden. Erklärtes Ziel des AEntG war es angesichts dieses von der Gesetzgebung festgestellten Befundes, bei grenzüberschreitenden Dienstleistungen lohnbedingte Wettbewerbsvorteile ausländischer Konkurrenten in den lohnintensiven Bereichen von Bau- und Montageleistungen durch eine Angleichung wesentlicher materieller Arbeitsbedingungen dadurch zu beseitigen, dass bestimmte Regelungen des deutschen Rechts auch für Ausländer zwingender Charakter beigelegt wurde. Damit sollte die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Bauwirtschaft gestärkt, der Abbau der Arbeitslosigkeit im Baugewerbe erreicht und zudem die Tarifautonomie deutscher Sozialpartner geschützt werden (vgl. RegE BR-Drucksache 523/95, S. 6 f; Wiedemann, TVG, 6. Aufl. 1999, § 1 Rz 74). Danach konnte kein vernünftiger Zweifel bestehen, dass es sich bei § 1 AEntG um international zwingendes Recht im Sinne von Art. 34 EGBGB handelte und damit die Geltung ausländischen Rechts im Arbeitsverhältnis der Anwendung der gesetzlichen Bestimmung nicht entgegenstehen konnte. Nachdem der Gesetzgeber zudem mit Wirkung vom 01. Januar 1999 § 1 AEntG geändert hatte, konnte aufgrund der gesetzlichen Bestimmung ebensowenig ein vernünftiger Zweifel daran bestehen, dass auch Arbeitgeber aus Mittel- und Osteuropa, und damit auch aus Polen, von den gesetzlichen Regelungen des Gesetzes erfasst werden sollten. Gerade dies war Zweck des ab 01. Januar 1999 veränderten Inhalt von § 1 Abs. 1 AEntG (BT-Drucksache 14/45, S. 25). Denn der historische Gesetzgeber hat die Streichung des bis 31. Dezember 1998 in § 1 Abs. 1 AEntG enthaltenen Halbsatzes "soweit nicht ohnehin deutsches Recht für das Arbeitsverhältnis maßgebend ist" u.a. gerade deshalb vorgenommen, um den Weg für die Einbeziehung der Werkvertragsarbeitgeber aus Mittel- und Osteuropa in das Urlaubskassenverfahren des Baugewerbes zu ermöglichen.

Bedenken gegen eine Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung von Urlaubskassenbeiträgen an den Kläger konnten sich danach nur dann ergeben, wenn man von einem Verstoß von § 1 AEntG gegen höherrangiges Recht, einer Unwirksamkeit der erstreckten tarifvertraglichen Normen oder einer unwirksamen Erstreckung dieser Normen ausgehen wollte. Ein ebenfalls möglicher Verstoß gegen die Bestimmungen des EG-Vertrages konnte für die Beklagte dagegen schon deshalb keine Auswirkungen haben, weil Polen weiland nicht Mitglied der EG war.

Die Frage der Gültigkeit der gesetzlichen bzw. erstreckten tarifvertraglichen Regelung war im Zeitpunkt der arbeitsgerichtlichen Entscheidung zwischen den Parteien im August 1999 von der Rechtsprechung noch nicht eindeutig beantwortet worden. Das Arbeitsgericht Wiesbaden hatte in mehreren Urteilen (vgl. z.B. ArbG Wiesbaden 15. April 1998, NZA-RR 1998, 412 ff.) u.a. die Ansicht vertreten, durch die im damaligen Zeitpunkt (bis 31. Dezember 1999) geltenden Vorschriften der §§ 55 ff. VTV könnten keine Leistungsverpflichtungen ausländischer Arbeitgeber begründet werden, weil es sich bei diesen Vorschriften um Regelungen nur für ausländische Arbeitgeber handele, die nicht, wie in § 1 AEntG gefordert, "auch" für ausländische Arbeitgeber gelten würden. Ferner hatte es einen Verstoß gegen § 13 BUrlG angenommen. Entscheidungen der ordentlichen Gerichtsbarkeit im Rahmen von Bußgeldverfahren vertraten eine abweichende Ansicht und hielten die gesetzlichen und tariflichen Regelungen für wirksam. In der einschlägigen Literatur waren die vom ArbG Wiesbaden aufgeworfenen Fragen, soweit ersichtlich, nicht problematisiert worden, Entscheidungen von Obergerichten fehlten. Die erste, eine Verpflichtung polnischer Unternehmen zur Zahlung von Urlaubskassenbeiträgen bejahende Entscheidung des LAG, die später vom BAG bestätigt wurde, erging am 10. April 2000 (Kammerurteil vom 10. April 2000 - 16 Sa 1858/99).

Diese Sachlage rechtfertigt nicht die Annahme eines entschuldbaren Rechtsirrtums auf Seiten der Beklagten im Hinblick auf die unterlassene Zahlung von Urlaubskassenbeiträgen.

Nicht hinreichend ist das von ihr erwirkte, ohnehin nur 1999 betreffende, erstinstanzliche Urteil im Feststellungsprozess. Für einen entschuldbaren Rechtsirrtum genügt es nämlich nicht, dass eine Partei in einem Vorprozess in einer unteren Instanz obsiegt (vgl. LAG Frankfurt am Main 07. September 1990 - 15 Sa 1372/88). Denn ein Schuldner muss stets damit rechnen, dass höhere Instanzen, wie es in vergleichbaren Fällen war, zu einer abweichenden Auffassung gelangen, der sich die Beklagte, wie ihre Klagerücknahme im Vorprozess belegt, auch "gebeugt" hat.

Fehlendes Verschulden ist auch nicht deshalb zu bejahen, weil es sich im vorliegenden Fall um Rechtsfragen handelte, deren Beantwortung davon abhing, ob eine dem Willen des Gesetzgebers entsprechende gesetzliche Regelung bzw. die durch die gesetzliche Norm erstreckten Tarifbestimmungen an einem Verstoß der Regelungen gegen höherrangiges Recht oder wegen unzureichender gesetzlicher Umsetzung scheiterten. Insoweit mag allenfalls, wie so oft bei verhältnismäßig neuen Vorschriften, von einer zweifelhaften Rechtslage gesprochen werden. Das schließt Verschulden der Beklagten jedoch nicht aus. Ist nämlich eine maßgebende Rechtsfrage in Rechtsprechung und Schrifttum umstritten, also ihre Beantwortung zweifelhaft, kann der Schuldner nicht darauf vertrauen, dass die von ihm vertretene Rechtsansicht die richtige ist (vgl. MünchKom BGB/Thode, 4. Aufl. 2001, § 285 Rz 11; Ehrmann/J. Hager, BGB, 11. Aufl. 2004, § 286 Rz 64). Das gilt auch dann, wenn der Schuldner bei der Beurteilung seiner Rechtsauffassung mit Sorgfalt vorgegangen ist. Denn das Risiko einer zweifelhaften Rechtslage kann er nicht auf den Gläubiger überwälzen.

Fehlte danach ein beachtlicher Rechtsirrtum bei der Beklagten, befand sich diese mit der Zahlung der Urlaubskassenbeiträge in Verzug. Demzufolge schuldet sie dem Kläger entsprechend der von Beklagtenseite nicht in Zweifel gezogenen Verzugszinsenrechnung den der Höhe nach unter Berücksichtigung eines Erstattungsbetrags offenen Verzugszinsenanspruch in Höhe der Klageforderung.

Soweit die Beklagte schließlich meint, dem Kläger sei kein Schaden entstanden, weil dieser Leistungen an die Arbeitnehmer vor endgültiger Klärung der Beitragsfrage nicht erbracht habe, kann ihm nicht gefolgt werden. Ebenso wie § 288 Abs. 1 BGB räumen auch die tarifvertraglichen Regelungen über Verzugszinsen dem Kläger einen unabhängig von den konkreten Umständen bestehenden Anspruch auf Verzinsung ein. Damit handelt es sich bei der tarifvertraglichen Regelung, nicht anders als bei § 288 Abs. 1 BGB, um eine gesetzliche Schadensfiktion (vgl. BAG GS 07. März 2001, a.a.O.). Entsprechend ist es dem Schuldner nicht möglich, den Nachweis zu führen, dass dem Gläubiger kein oder nur ein geringerer Schaden entstanden sei.

Die Beklagte hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).

Eine gesetzlich begründete Veranlassung zur Zulassung der Revision war nicht ersichtlich.



Ende der Entscheidung

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