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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 22.08.2005
Aktenzeichen: 16/10 Ta 345/05
Rechtsgebiete: AEntG, ZPO


Vorschriften:

AEntG § 1 a
ZPO § 148
Ein Rechtsstreit, in dem die Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft (ULAK) einen Unternehmer nach § 1a AEntG als Bürge auf Zahlung von Sozialkassenbeiträgen in Anspruch nimmt, ist nicht deshalb auszusetzen, weil der Hauptschuldner in einem anderen Rechtsstreit auf Zahlung von Sozialkassenbeiträgen für den gleichen Zeitraum von der ULAK in Anspruch genommen wird und dort die Verpflichtung zur Zahlung von Sozialkassenbeiträgen in Abrede stellt.
Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 27. Juni 2005 - 11 Ca 11597/04 - wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Gründe:

I

Die Beklagte wendet sich im Beschwerdewege dagegen, dass das Arbeitsgericht eine Aussetzung des Rechtsstreits abgelehnt hat.

Der Kläger ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes. Er hat nach den tarifvertraglichen Regelungen des Baugewerbes (Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe [BRTV/Bau] iVm den Vorschriften des Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren [VTV]) insbesondere die Aufgabe, die Auszahlung der tarifvertraglich vorgesehenen Urlaubsvergütung zu sichern. Nach den tarifvertraglichen Vorschriften, die für allgemeinverbindlich erklärt sind, haben die baugewerblichen Arbeitgeber, die dazu erforderlichen Mittel durch Beiträge aufzubringen.

Die Beklagte ist Rechtsträgerin eines Unternehmens, das sich mit Leistungen der technischen Gebäudeausrüstung wie Gas-, Wasser- und Heizungsinstallationen befasst. In den Jahren 2000 und 2001 beauftragte ihre Rechtsvorgängerin eine juristische Person polnischen Rechts, die Xxxxxxxxxx S.A. mit Sitz in Xxxxxx, mit der Erbringung von Arbeiten auf Baustellen. Dieses polnische Unternehmen wird vom Kläger in zwei beim Arbeitsgericht Wiesbaden anhängigen Rechtsstreiten (1 Ca 1233/02 und 1 Ca 1058/03) auf Zahlung von Urlaubskassenbeiträge für die in Deutschland beschäftigten aus Polen entsandten Arbeitnehmer in Anspruch genommen. Über das Vermögen des polnischen Unternehmens ist mittlerweile in Polen das Insolvenzvergleichsverfahren eröffnet worden.

Mit seiner Klage vertritt der Kläger unter Berufung auf § 1 a AEntG die Ansicht, die Beklagte sei als Bürge verpflichtet, die von dem polnischen Unternehmen geschuldeten, durch Arbeit auf der Baustelle der Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin angefallenen Urlaubskassenbeiträge für Januar bis Oktober 2001 an ihn zu zahlen.

Die Beklagte, die inzwischen dem polnischen Unternehmen den Streit verkündet hat, wehrt sich gegen die Klage und meint, der Rechtsstreit sei bis zur Entscheidung der beim Arbeitsgericht Wiesbaden anhängigen Verfahren auszusetzen, weil dort geklärt würde, ob überhaupt Verpflichtungen des polnischen Unternehmens zur Zahlung von Urlaubskassenbeiträgen gegenüber dem Kläger beständen.

Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 27. Juni 2005, hinsichtlich dessen Inhalts auf Bl. 278 d.A. Bezug genommen wird, die Aussetzung abgelehnt.

Gegen diesen ihr am 29. Juni 2005 zugestellten Beschluss wendet sich die Beklagte mit ihrer am 07. Juli 2005 beim Arbeitsgericht eingegangenen sofortigen Beschwerde. Das Arbeitsgericht hat der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 19. Juli 2005 (Bl. 305 d.A.) nicht abgeholfen und die Sache dem Landesarbeitsgericht vorgelegt.

II

Die Beschwerde ist nach §§ 252 ZPO, 78 S. 1 ArbGG an sich statthaft und wurde, wie sich bereits aus den Daten des Beschlusses und des Eingangs der Beschwerdeschrift ergibt, binnen der Frist des § 569 Abs. 1 S. 1 ZPO fristgerecht eingelegt. Im übrigen wurde durch die Zustellung des arbeitsgerichtlichen Beschlusses die Beschwerdefrist wegen § 9 Abs.5 S. 4 ArbGG schon deshalb nicht in Lauf gesetzt, weil die Rechtsmittelbelehrung als Teil der arbeitsgerichtlichen Entscheidung ausweislich der Akten nicht von der Vorsitzenden des Arbeitsgerichts unterzeichnet worden ist (vgl. GMPM-G/Prütting 5. Aufl. 2004 § 9 Rz 36 m.w.N.).

In der Sache hat die sofortige Beschwerde keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zu Recht eine Aussetzung des Rechtsstreits bis zur Entscheidung der vom Kläger gegen das polnische Unternehmen geführten Rechtsstreite abgelehnt.

Nach § 148 ZPO darf das Gericht eine Verfahrensaussetzung nur beschließen, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen Rechtsstreits bildet, der andere Rechtsstreit also vorgreiflich ist. Insoweit hat das Gericht keinen Ermessensspielraum. Dieser besteht vielmehr nur, wenn das Merkmal der Vorgreiflichkeit gegeben ist.

Vorgreiflichkeit setzt voraus, dass die Entscheidung des auszusetzenden Rechtsstreits von dem des anderen Rechtsstreits abhängt. Das ist nur dann der Fall, wenn der anderen Rechtsstreit für die Entscheidung, die im auszusetzenden Verfahren ergehen soll, präjudizielle Bedeutung hat. Irgendein tatsächlicher Einfluss, etwa auf die Beweiswürdigung, reicht ebenso wenig aus wie die bloße Möglichkeit sich widersprechender Entscheidungen (vgl. OLG Jena 10. Juli 2001 NJW-RR 2001,503; Musielak/Stadler ZPO 4. Aufl. 2005 § 148 Rz 5).

Die beim Arbeitsgericht Wiesbaden anhängigen Rechtsstreite um die Verpflichtung des polnischen Unternehmens zur Zahlung von Urlaubskassenbeiträgen sind in diesem Sinne für das vorliegende Verfahren nicht vorgreiflich.

Dass die Eröffnung des Insolvenzvergleichsverfahrens in Polen über das Vermögen des polnischen Unternehmens nicht zur Vorgreiflichkeit führen kann, hat das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt und wird von der Beklagten genauso gesehen.

Die Vorgreiflichkeit ergibt sich, entgegen der Ansicht der Beklagten, auch nicht daraus, dass vor dem Arbeitsgericht Wiesbaden darum gestritten wird, ob das polnische Unternehmen überhaupt, und wenn ja, in welcher Höhe, zur Zahlung von Urlaubskassenbeiträgen an den Kläger verpflichtet ist, und die Beklagte im vorliegenden Rechtsstreit als Bürge nach § 1a AEntG in Anspruch genommen wird. Denn die Bürgschaft begründet eine von der Verbindlichkeit der Hauptschuld verschiedene, einseitig übernommene oder durch § 1a AEntG gesetzlich dem Bürgen auferlegte Verpflichtung. Ihre Akzessorietät von der Hauptschuld soll nur sicherstellen, dass der Gläubiger vom Bürgen das bekommt, was er vom Hauptschuldner nach dem jeweiligen Bestand der Hauptschuld zu bekommen hat (vgl. BGH 09. Juli 1997 NJW 1998,2572). Entsprechend wirkt denn auch die Rechtskraft einer dem Gläubiger günstigen Entscheidung gegen den Hauptschuldner nicht gegenüber dem Bürgen (vgl. BGH 09. März 1993 NJW 1993,1594). Bei dieser Sachlage kann von einer Präjudizialität der vor dem Arbeitsgericht Wiesbaden anhängigen Rechtsstreite für den vorliegenden keine Rede sein.

Dem lässt sich auch nicht entgegenhalten, dass der Bürge sich dem Gläubiger gegenüber darauf berufen kann, dass die Forderung gegenüber dem Hauptschuldner rechtskräftig abgewiesen worden ist (vgl. BGH 24. November 1969 NJW 1970,269). Abgesehen davon, dass es sich insoweit richtigerweise nicht um einen Fall der Rechtskrafterstreckung, sondern um nichts anderes handelt als um einen Anwendungsfall des § 768 Abs.1 S.1 BGB (vgl. MünchKomm/Habersack 4. Aufl. § 768 Rz 11), vermag dieser Umstand Vorgreiflichkeit der vor dem Arbeitsgericht Wiesbaden anhängigen Rechtsstreite für den vorliegenden nicht zu begründen. Denn Vorgreiflichkeit verlangt, dass hinsichtlich aller möglichen Ergebnisse des anderen Rechtsstreits präjudizielle Wirkung für den Rechtsstreit gegeben ist, um dessen Aussetzung es geht. Fehlt sie auch nur für eine der im anderen Rechtsstreit möglicherweise ergehenden Entscheidungen, ist eine Aussetzung ausgeschlossen (vgl. LAG Nürnberg 14. Mai 2001 AR-Bl. ES 160.7 Nr.214). Gerade so ist es hier, wie der Fall einer erfolgreichen Klage des Klägers vor dem Arbeitsgericht Wiesbaden zeigt.

Anderes muss im vorliegenden Fall auch nicht deshalb gelten, weil die als Bürge nach § 1a AEntG in Anspruch genommene Beklagte dem polnischen Unternehmen im vorliegenden Rechtsstreit zwischenzeitlich den Streit verkündet hat. Denn diese Streitverkündung hat lediglich, soweit zulässig, die Wirkung, dass die Streitverkündete im Verhältnis zur Beklagten nicht mit der Behauptung gehört werden kann, dieser Rechtsstreit sei unrichtig entschieden worden (§§ 74 Abs.3, 68 ZPO). Eine Vorgreiflichkeit der vor dem Arbeitsgericht Wiesbaden anhängigen Rechtsstreite für den vorliegenden kann hierdurch dagegen nicht begründet werden. Allenfalls wäre daran zu denken, die vor dem Arbeitsgericht Wiesbaden anhängigen Rechtsstreite insoweit auszusetzen, als es dort um Urlaubskassenbeiträge geht, für die die Beklagte u.U. als Bürge einzustehen hat. Denn Vorgreiflichkeit wird auch durch die Interventionswirkung der §§ 74 Abs.3, 68 ZPO begründet (vgl. OLG Hamm 29. Oktober 1993 MDR 1994,618,619).

Letztendlich ist es auch nicht geboten, wegen der Besonderheiten der Bürgenhaftung nach § 1a AEntG die Voraussetzungen einer Aussetzung des Rechtsstreits des Klägers gegen den Bürgen entgegen den gesetzlichen Vorgaben zu erweitern, wenn gleichzeitig ein Rechtsstreit mit dem Hauptschuldner der Urlaubskassenbeiträge um Beitragszahlungen für dieselben Zeiträume anhängig ist. Die Rechtsverteidigung des Bürgen gegenüber dem Kläger wird nämlich bei Versagung der Aussetzung nicht unzumutbar erschwert. Zum einen kann er, wie hier seitens der Beklagten auch geschehen, dem Hauptschuldner den Streit verkünden und so bei einem Unterliegen im Rechtsstreit mit dem Kläger in der Auseinandersetzung um Ansprüche gegen den Bürgen dem Einwand des Hauptschuldners, der Bürge sei zu Unrecht verurteilt worden, begegnen. Zum anderen ist und bleibt es im vorliegenden Rechtsstreit Sache des Klägers, die das Bestehen und die Höhe einer Hauptschuld begründenden Tatsachen darzulegen und im Streitfall zu beweisen, während es dem Beklagten freisteht, im Rahmen des § 138 Abs.4 ZPO gegebenenfalls mit Nichtwissen zu bestreiten (vgl. Kammerurteil v. 07. März 2005 - 16/10 Sa 1086/03).

Die Beklagte hat die Kosten ihrer erfolglosen Beschwerde zu tragen (§ 97 Abs.1 ZPO).

Ein Grund für die Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 78 S. 2 iVm § 72 Abs. 2 ArbGG war nicht ersichtlich. Damit ist dieser Beschluss unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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