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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 16.02.2005
Aktenzeichen: 16 Ta 13/05
Rechtsgebiete: ZPO, BGB, KSchG


Vorschriften:

ZPO § 114
ZPO § 260
BGB § 615
KSchG § 4
Die klageweise Geltendmachung von Vergütungsforderungen aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges ist nicht allein deshalb mutwillig, weil diese Ansprüche neben einem Kündigungsschutzantrag mit einem (weiteren) Hauptantrag und nicht mit einem vom Erfolg der Kündigungsschutzklage abhängigen (uneigentlichen) Hilfsantrag verfolgt werden.
Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Offenbach am Main vom 22. Dezember 2004 - 3 Ca 384/04 - aufgehoben.

Die Sache wird an das Arbeitsgericht zurückverwiesen, das nach Maßgabe der Gründe dieses Beschlusses erneut zu entscheiden hat.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.

Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

I

Der Kläger, der zunächst nur für seine Kündigungsschutzklage Prozesskostenhilfe und Rechtsanwaltsbeiordnung (PKH) begehrt hatte, wendet sich mit seiner am 06. Januar 2005 beim Arbeitsgericht eingegangenen sofortigen Beschwerde gegen einen Beschluss des Arbeitsgerichts vom 22. Dezember 2004, durch sein Antrag auf Bewilligung von PKH auch für den klageerweiternden Antrag auf Zahlung von Arbeitsvergütung für die Monate Oktober und November 2004 mit der Begründung zurückgewiesen worden ist, die Klage sei insoweit mutwillig, weil der Kläger den Zahlungsanspruch nicht im Wege eines Hilfsantrages geltend gemacht habe..

Das Arbeitsgericht, das über den Antrag des Klägers auf Bewilligung von PKH für seinen Kündigungsschutzantrag noch nicht entschieden hat, hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Landesarbeitsgericht vorgelegt.

II

Die Beschwerde ist gemäß § 127 Abs. 2 S. 2 ZPO statthaft und wurde fristgerecht eingelegt (§§ 567 Abs. 1, 127 Abs. 2 S. 3 ZPO).

In der Sache hat die sofortige Beschwerde Erfolg. Dem Kläger kann mit der vom Arbeitsgericht gegebenen Begründung PKH für seinen Zahlungsantrag nicht wegen Mutwilligkeit verweigert werden. Die Rechtsverfolgung ist nämlich nicht deshalb mutwillig, wie der Kläger Vergütungsansprüche für die Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist nicht mit einem, vom Erfolg der Kündigungsschutzklage abhängigen Hilfsantrag verfolgt.

Nach § 114 ZPO setzt die Bewilligung von PKH zum einen eine hinreichende Aussicht auf Erfolg der Rechtsverfolgung, zum anderen auch voraus, dass die Rechtsverfolgung nicht mutwillig erscheint. Von Mutwilligkeit ist auszugehen, wenn eine Partei in ihrem prozessualen Verhalten von demjenigen abweicht, was eine verständige und ausreichend bemittelte Partei in der gleichen prozessualen Lag zeigen würde (vgl. G/M/P/M-G/Germelmann ArbGG 5. Aufl. 2004 § 11a Rz 95; Musielak/Fischer ZPO 4. Aufl. 2005 § 114 Rz 30; Zöller/Philippi ZPO 25. Aufl. 2005 § 114 Rz 30). Die Frage der Mutwilligkeit betrifft auch und gerade die Art der verfahrensmäßige Geltendmachung des Anspruchs (vgl. BVerfG 22. Dezember 1992 FamRZ 1993,1422; G/M/P/M-G/Germelmann aaO). Eine PKH begehrende Partei darf nicht durch kostenträchtiges Prozessieren von dem abweichen, was eine bemittelte Partei in gleicher Lage tun würde. Vielmehr muss sie das Kostenrisiko vernünftig abwägen. Denn es ist nicht der Zweck der PKH, auf Kosten der Allgemeinheit bedürftigen Parteien Prozesse zu ermöglichen, die eine "normale "Partei bei vernünftiger und sachgerechter Einschätzung der Sach- und Rechtslage nicht führen würde.

Dass der Kläger überhaupt Vergütungsansprüche geltend macht, die erst nach Ablauf der Kündigungsfrist der angegriffenen Kündigung fällig geworden sind, begründet keine Mutwilligkeit. Denn ohne entsprechenden Anhaltspunkt kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Beklagte derartige Ansprüche bei Erfolg der Kündigungsschutzklage ohne weiteres erfüllen wird. Ein Erfahrungssatz, der eine solche Einschätzung tragen würde, existiert nicht (vgl. LAG Frankfurt 22. Oktober 1984 NZA 1985,196). Hinzukommt im vorliegenden Fall ein weiteres. Nach dem Vortrag des Klägers enthält der Arbeitsvertrag der Parteien eine zweistufige Ausschlussfrist. In einem solchen Fall ist die Erhebung einer Zahlungsklage auf Annahmeverzugsvergütung schon deshalb nicht mutwillig, weil es einem Kläger nicht verwehrt werden kann, den sichersten Weg zur Durchsetzung von Ansprüchen zu beschreiten (vgl. Zöller/Philippi aaO § 114 Rz 33). Ob zweistufige Ausschlussfristen überhaupt wirksam einzelvertraglich vereinbart werden können, spielt insoweit keine Rolle. Dies eine Rechtsfrage, deren Beantwortung u.U. einem Hauptverfahren vorbehalten ist..

Es kann auch nicht, entgegen dem Arbeitsgericht, im vorliegenden Fall deshalb von Mutwilligkeit ausgegangen werden, weil der Kläger seine Ansprüche aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges mit einem neben dem Kündigungsschutzantrag gestellten Haupt- und nicht mit einem (sog. unechten) Hilfsantrag, verfolgt, über den nur für den Erfolg des Kündigungsschutzbegehrens entschieden werden soll.

Es ist bereits fraglich, ob die klageweise Geltendmachung von Zahlungsansprüchen aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges für Zeiten nach dem Kündigungstermin im Wege eines Hilfsantrages tatsächlich kostengünstiger ist als ihre Verfolgung mit einem neben dem Kündigungsschutzantrag gestellten (weiteren) Hauptantrag.

Die Beantwortung dieser Frage hängt davon ab, ob sich der für die Bemessung der gerichtlichen Kosten und der Anwaltsgebühren maßgeblich Streitwert durch die Verbindung des Kündigungsschutzantrages mit einem Antrag auf Zahlung von Annahmeverzugsvergütung für Zeiten nach dem Kündigungstermin erhöht. Dies ist umstritten.

Während teilweise die Ansicht vertreten wird, der Streitwert des Kündigungsschutzantrages sei mit dem der Vergütungsforderung zu kumulieren, wird von anderer Seite eingewandt, derartige Zahlungsforderungen erhöhten, jedenfalls bis zu drei Monatsvergütungen, den Streitwert nicht, weil sie neben dem Wert für die Kündigungsschutzklage nicht gesondert anzusetzen seien (vgl. zum Streitstand KR/Friedrich 7. Aufl. 2004. § 4 KSchG Rz 279a ff m.w.N.; G/M/P/M-G/Germelmann aaO § 12 Rz 99n ff m.w.N.). Folgt man der letztgenannten Ansicht, so führt im vorliegenden Fall die Klageerweiterung um zwei Monatsvergütungen jedenfalls dann nicht zu einer Erhöhung des Streitwertes und damit der Gerichtskosten und Rechtsanwaltsgebühren, wenn man für den Kündigungsschutzantrag als Regelstreitwert drei Monatsvergütungen ansetzt, wobei auch dies freilich wiederum unterschiedlich beantwortet wird (vgl. zum Streitstand KR/Friedrich Aa § 4 KSchG ZR 277 ff) Eine Verfolgung des Zahlungsantrags im Wege eines unerkenntlichen Hilfsantrags ist in diesem Falle kostenmäßig ohne Belang.

Kostengünstiger ist die klageweise Geltendmachung von Annahmeverzugsvergütung für Zeiten nach dem Kündigungstermin im Wege eines Hilfsantrags allerdings dann, wenn man für die Streitwertbestimmung bei einer mit dem Kündigungsschutzantrag verbundenen Klage auf Annahmeverzugslohn den Wert der Zahlungsansprüche mit dem Wert des Kündigungsschutzantrages addiert. Dann entstehen bei Verfolgung der Annahmeverzugsansprüche im Wege der Hilfsklage Gebühren und Kosten für den Hilfsantrag nur, wenn der Kündigungsschutzantrag stattgegeben wird. Denn bei Abweisung des Kündigungsschutzantrags muss über den Hilfsantrag nicht mehr entschieden werden, so dass er kostenmäßig außer Betracht bleibt (§ 45 Abs.1 S.2 GKG).

Bei dieser Sachlage kann nicht davon gesprochen werden, dass die vom Kläger gewählte Form der klageweisen Geltendmachung von Annahmeverzugsansprüchen mutwillig ist. Ebenso wenig wie es angängig ist, im Rahmen der Entscheidung über die Bewilligung von PKH hinreichende Erfolgsaussicht für die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung zu verneinen, wenn es um schwierige Rechtsfragen geht (vgl z.B.. BVerfG 7. April 2000 NJW 2000, 1936, 1937), kann ein Verstoß gegen das Gebot kostensparender Prozessführung und damit Mutwilligkeit dann nicht angenommen werden, wenn die Ermittlung der kostengünstigsten Prozessführung von der Antwort auf eine die Frage abhängt, deren Beantwortung in Rechtsprechung und Literatur streitig ist.

Dem lässt sich auch nicht entgegenhalten, der Kläger habe Annahmeverzugsansprüche schon deshalb im Wege eines Hilfsantrages geltend machen müssen, weil auch und gerade in Ansehung der umstrittenen streitwertmäßigen Bemessung der mit einer Kündigungsschutzklage verbundenen Vergütungsansprüche nach Ablauf des Kündigungstermins eine solche Antragstellung in jedem Fall das geringste Kostenrisiko mit sich bringe.

Dem ist allerdings so. Ein Risiko ist rechnerisch nichts anderes als das Produkt aus Schadensgröße und Eintrittswahrscheinlichkeit. Entsprechend ist die Höhe eines Kostenrisiko dadurch zu ermitteln, dass die höchst möglichen Kosten mit der Wahrscheinlichkeit ihrer Entstehung multipliziert werden. Trägt man dem Rechnung, ist bei einer Rechtsverfolgung der Annahmeverzugsansprüche im Wege eines Hilfsantrags das Kostenrisiko am geringsten. Die höchstmöglichen Kosten entstehen, wenn streitwertmäßig der Kündigungsschutzantrag mit drei Monatsvergütungen bemessen und dieser Wert mit dem des Zahlungsantrags addiert wird. Dieser Wert kommt bei hilfsweiser Geltendmachung des Zahlungsanspruchs - anders als bei Geltendmachung des Zahlungsantrags durch weiteren Hauptantrag - allerdings nur zum Tragen, wenn der Kündigungsschutzantrag Erfolg hat. Selbst wenn man die Wahrscheinlichkeit des Unterliegens mit der Kündigungsschutzklage als gering ansieht, führt das stets dazu, dass das Produkt aus höchstmöglichen Kosten und der Wahrscheinlichkeit ihres Entstehens, und damit das Kostenrisiko, bei hilfsweiser Verfolgung der Annahmeverzugsansprüche geringer ist als dann, wenn der Zahlungsanspruch als weiterer Hauptantrag klageweise geltend gemacht wird.

Dennoch kann allein deshalb von einer mutwilligen Rechtsverfolgung nicht gesprochen werden. Zwar muss eine PKH begehrende Partei von zwei gleichwertigen prozessualen Wegen denjenigen wählen, der am kostengünstigsten ist (vgl. Zöller/Philippi aaO § 114 Rz 34).Von der unbemittelten Partei kann jedoch nicht verlangt werden, dass sie Kostenüberlegungen anstellt, die von einer bemittelten Partei in gleicher Lage in der Regel nicht angestellt zu werden pflegen. So ist es hier. Bemittelte Parteien pflegen nach den Erfahrungen der Berufungskammer in unzähligen Rechtsstreiten mit einem Kündigungsschutzantrag verbundene Zahlungsforderungen für die Zeit nach dem Kündigungstermin unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges in den meisten Fällen nicht in der Form eines Hilfsantrages, sondern eines neben dem Kündigungsschutzantrag gestellten weiteren Hauptantrages zu verfolgen. Das mag bei der Klägerseite, bei ihrem Prozessbevollmächtigten oder einer etwa im Hintergrund stehenden Rechtsschutzversicherung auf unzureichender Kenntnis der kostenrechtlichen Bestimmungen, nicht hinreichender Abschätzung des Kostenrisikos oder der Überzeugung, mit dem Kündigungsschutzantrag allemal zu obsiegen, beruhen. Jedenfalls zeigt es, dass, zumindest derzeit, mögliche Mehrkosten von bemittelten Parteien in Kauf genommen werden. Für eine klageweise Geltendmachung von Annahmeverzugsansprüchen im Wege eines Hauptantrags neben einem Kündigungsschutzantrag hat die hier zuständige Beschwerdekammer im übrigen auch in der Vergangenheit, soweit die übrigen Voraussetzungen für die Gewährung von PKH vorgelegen haben, PKH bewilligt, freilich ohne die Frage der Mutwilligkeit wegen der Art der Antragstellung zu problematisieren. Ob daran angesichts der vorstehend entwickelten Überlegungen zum Kostenrisiko in er Zukunft festgehalten werden kann, mag zweifelhaft sein. Im vorliegenden Fall wäre es angesichts der bisherigen Praxis auch unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes eine Überspannung der Obliegenheit der bedürftigen Partei zu Kosten sparenden Prozessführung, für die klageweise Geltendmachung von Annahmeverzugsansprüchen neben dem Kündigungsschutzantrag PKH stets nur zu bewilligen, wenn insoweit eine hilfsweise Antragstellung erfolgt.

Dem steht schließlich auch nicht entgegen, dass für den mit einem Kündigungsschutzantrag verbundenen Antrag auf Weiterbeschäftigung in der Regel PKH nur bewilligt werden kann, wenn dieser Antrag hilfsweise, also für den Fall des Erfolgs der Kündigungsschutzklage, gestellt wird (vgl Kammerbeschluss v. 28. August 2001 - 16 Ta 308/01; HessLAG 19. Juni 2001 - 9 Ta 159/01; LAG Düsseldorf 17. Mai 1989 LAGE § 114 ZPO Nr.16) Insoweit ist nämlich bereits die Streitwertsituation eine andere. Weit überwiegend wird die Ansicht vertreten, dass ein Weiterbeschäftigungsantrag neben dem Kündigungsschutzantrag stets streitwertmäßig gesondert zu bewerten und der Wert des Weiterbeschäftigungsantrag mit dem des Kündigungsschutzantrages zu addieren ist (vgl. G/M/P/M-G/Germelmann aaO § 12 Rz 108 ff). Damit erweist sich notwendigerweise die klageweise hilfsweise Verfolgung des Weiterbeschäftigungsbegehrens stets als kostengünstiger, weil dieser im Falle der Abweisung des Kündigungsschutzantrags streitwertmäßig nicht anzusetzen ist (vgl. Hess-LAG 23. April 1999 NZA-RR 1999,434 m.w.N.) Ganz in diesem Sinne pflegen denn auch bemittelte Parteien nach den Erfahrungen der Berufungskammer den Weiterbeschäftigungsantrag regelmäßig nur hilfsweise zu stellen.

Kann danach PKH für den Zahlungsantrag nicht allein aufgrund der Geltendmachung im Wege eines Hauptantrags wegen Mutwilligkeit verweigert werden, war dem Arbeitsgericht die Neubescheidung des PKH-Antrages zu übertragen (§ 572 Abs.3 ZPO). Das ist schon deshalb unvermeidlich, weil das Arbeitsgericht über den Antrag des Klägers auf Bewilligung von PKH für den Kündigungsschutzantrag noch nicht entschieden und damit weder die objektiven noch die subjektiven Voraussetzungen für die Bewilligung von PKH hinsichtlich des vorgreiflichen Antrags, aus seiner Sicht allerdings konsequent, geprüft hat. Diese Prüfung obliegt beim derzeitigen Stand des Verfahrens allein dem Arbeitsgericht. Rein vorsorglich wird darauf hingewiesen, dass das Arbeitsgericht, sollte es PKH für den Kündigungsschutzantrag bewilligen, sich darüber klar werden muss, ob und inwieweit die Angaben des Klägers in der vorgelegten Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse in Ansehung von § 117 Abs.2 S.2 ZPO auch Auswirkungen auf die objektiven Voraussetzungen für die Gewährung von PKH für den Zahlungsantrag haben können (vgl. dazu Musielak/Fischer aaO. § 117 Rz 17).

Für eine Kostenentscheidung bestand keine Veranlassung, weil bei erfolgreicher sofortiger Beschwerde keine Gerichtskosten anfallen und es eine Kostenerstattung nicht gibt (§ 127 Abs.4 ZPO).

Ein Grund für die Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 78 S. 2 iVm § 72 Abs. 2 ArbGG) war nicht ersichtlich. Damit ist dieser Beschluss unanfechtbar (§ 78 S. 1 ArbGG iVm § 574 Abs. 1 ZPO).

Ende der Entscheidung

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