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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 13.08.2002
Aktenzeichen: 16 Ta 321/02
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 888
Lautet der Vollstreckungstitel auf Herausgabe bestimmter ausgefüllter Arbeitspapiere, so hat jedenfalls dann zunächst die Herausgabevollstreckung nach § 883 ZPO und nicht die Vollstreckung nach § 888 ZPO zu erfolgen, wenn der Schuldner einwendet, er habe die Papiere übersandt und damit nicht mehr in Besitz.
Hessisches Landesarbeitsgericht Beschluss

Aktenzeichen: 16 Ta 321/02

In dem Beschwerdeverfahren

hat die Kammer 16 des Hessischen Landesarbeitsgerichts auf die sofortige Beschwerde d. Schuldnerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts in Hanau vom 22. Mai 2002 durch den Vorsitzenden Richter am LAG Hattesen

am 13. August 2002 beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Schuldnerin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Hanau vom 22. Mai 2002 - 1 Ga 1/02 - aufgehoben.

Der Zwangsmittelantrag des Gläubigers vom 10. April 2002 wird zurückgewiesen.

Der Gläubiger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen

Der Beschwerdewert wird auf € 100,00 festgesetzt.

Gründe:

Die Schuldnerin wendet sich mit ihrer am 12. Juni 2002 beim Arbeitsgericht eingelegten sofortigen Beschwerde gegen einen ihr am 10. Juni 2002 zugestellten Beschluss des Arbeitsgerichts, durch den sie auf Antrag des Gläubigers zur Erzwingung der in einem gerichtlichen Vergleich vom 27. Februar 2002 titulierten Verpflichtungen zur Herausgabe der ordnungsgemäß ausgefüllten Lohnsteuerkarte und des Sozialversicherungsnachweises des Gläubigers durch Zwangsmittel angehalten worden ist. Zur Begründung beruft sie sich darauf, sie habe die Arbeitspapiere sofort nach Vergleichsabschluss übersandt. Der Gläubiger hält entgegen, es sei bislang lediglich eine besondere Lohnsteuerbescheinigung und eine Bescheinigung über die Beitreibung von Sozialversicherungsbeiträgen durch die BEK übersandt worden. Das Arbeitsgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Beschwerdegericht zur Entscheidung vorgelegt.

Die sofortige Beschwerde ist nach § 793 ZPO an sich statthaft und wurde innerhalb der in § 569 Abs. 1 ZPO (in der ab 1. Januar 2002 geltenden, hier maßgeblichen Fassung von Art. 2 ZPO-RG) normierten Zweiwochenfrist fristgerecht eingelegt.

In der Sache hat die sofortige Beschwerde Erfolg.

Soweit das Arbeitsgericht den Schuldner zur Herausgabe des ordnungsgemäß ausgefüllten Sozialversicherungsnachweises angehalten hat, ist die sofortige Beschwerde erfolgreich, weil der arbeitsgerichtliche Vergleich für eine Zwangsvollstreckung, jedenfalls nach § 888 ZPO, zu unbestimmt ist. Es bleibt nämlich unklar, was mit »Sozialversicherungsnachweis« und was mit der im Vergleich aufgenommenen »Ausfüllung« gemeint sein soll. Das frühere sog. Sozialversicherungsnachweisheft kann nicht gemeint sein, weil dieses zum 01.01.1999 abgeschafft wurde. Dass der Sozialversicherungsausweis (§ 95 Abs. 1 SGB IV) gemeint sein könnte, ist abwegig, weil dieser nicht vom Arbeitgeber, sondern vom zuständigen Rentenversicherungsträger ausgestellt wird (§ 96 SGB IV). Ob der vom Arbeitgeber einem Beschäftigten mitzuteilende Inhalt der Meldung an den Sozialversicherungsträger (§ 28a Abs. 3 SGB IV) gemeint sein soll, ist fraglich, weil im Vergleich von einer ordnungsgemäßen Ausfüllung und nicht von der Mitteilung der dem Sozialversicherungsträger gemachten Angaben die Rede ist. Bei dieser Sachlage kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich aus dem gerichtlichen Titel mit der für eine Zwangsvollstreckung erforderlichen eindeutigen Weise ermitteln lässt, was die Schuldnerin zu leisten hat.

Bezüglich der von der Schuldnerin vergleichsweise übernommenen Verpflichtung zur Herausgabe der ordnungsgemäß ausgefüllten Lohnsteuerkarte des Gläubigers kann eine Zwangsvollstreckung nach § 888 ZPO jedenfalls derzeit nicht zum Tragen kommen.

Richtig ist, dass die Verpflichtung zur Ausfüllung von Arbeitspapieren, wie hier einer Lohnsteuerkarte, als Verpflichtung zur Vornahme einer unvertretbaren Handlung nach § 888 ZPO zu vollstrecken ist. Im vorliegenden Fall enthält der gerichtliche Vergleich jedoch eine Verpflichtung der Schuldnerin sowohl zur Ausfüllung wie zur Herausgabe der Lohnsteuerkarte. Im vorliegenden Fall muss der Gläubiger zunächst die Herausgabevollstreckung nach § 883 ZPO betreiben.

Insoweit kann dahinstehen, ob eine derartige »doppelte« Verpflichtung einheitlich nach § 888 ZPO vollstreckt werden kann (vgl. LAG Hamburg 29.01.1996 NZA-RR 1996, 422; LAG Thüringen 12.12.2000 BB 2001, 943; LAG Schleswig-Holstein 19.07.2001 - 4 Ta 98/01 -[juris]) oder ob in einem derartigen Fall regelmäßig zunächst die Zwangsvollstreckung nach § 883 ZPO durchzuführen und erst nach erfolgreicher Zwangsvollstreckung eine Vollstreckung nach § 888 ZPO möglich ist (vgl. LAG Berlin 07.01.1998 LAGE § 888 ZPO Nr. 40; LAG Düsseldorf 22.10.1984 JurBüro 1985, 1430; Zöller/Stöber ZPO 23. Aufl. 2002 § 888 Rz3; Brill AR-Blattei D Arbeitspapiere III B III). Jedenfalls im vorliegenden Fall muss die zuletzt genannte Reihenfolge eingehalten werden.

Die Schuldnerin hat sich im Beschwerdeverfahren ausdrücklich darauf berufen, sie habe die im Vergleich genannten Arbeitspapiere an den Gläubiger übersandt. Dieser Vortrag muss dahingehend gedeutet werden, dass die Schuldnerin damit vortragen will, sie habe die Lohnsteuerkarte nicht mehr in ihrem Gewahrsam. Bei dieser Sachlage bestehen Zweifel daran, ob die Schuldnerin zur Ausfüllung der Lohnsteuerkarte überhaupt (noch) imstande ist. Dann muss der Gläubiger zunächst nach § 883 ZPO vorgehen.

Dahinstehen kann, ob der Einwand der nachträglichen Unmöglichkeit der Erfüllung im Verfahren nach § 888 ZPO geltend gemacht, oder über die Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO verfolgt werden muss (vgl. einerseits Musielak/Lackmann ZPO 3. Aufl. 2002 § 888 Rz9, andererseits Thomas/Putzo ZPO 24. Aufl. 2002 § 888 Rz7 u. § 887 Rz4). Jedenfalls dann, wenn der Gläubiger, wie hier, einen Titel auf Herausgabe und Ausfüllung der Lohnsteuerkarte besitzt, muss er bei einem derartigen Einwand des Schuldners zunächst nach § 883 ZPO vorgehen, wobei er entsprechende Versicherungen des Schuldners nach § 883 Abs. 2 ZPO erreichen kann. Denn die ihm zur Verfügung stehenden zwangsvollstreckungsrechtlichen Mittel (hier Zwangsvollstreckung nach § 883 ZPO) muss der Gläubiger zur Klärung der Frage, ob die begehrte Handlung dem Schuldner noch möglich ist, ausnutzen. Nach dem Wortlaut von § 888 Abs. 1 S. ZPO (wenn die Handlung »ausschließlich vom Willen des Schuldners abhängt«) trifft nämlich den Gläubiger die Beweislast dafür, dass die Handlung dem Schuldner (noch) möglich ist.

Die Kosten des Verfahrens hat der Gläubiger nach § 91 ZPO zu tragen, weil auch im Verfahren nach § 888 ZPO die Kostenentscheidung nach den Bestimmungen der §§ 91ff ZPO zu erfolgen hat. Das ergibt sich aus § 891 S. 3 ZPO und entspricht st. Rspr. der erkennenden Beschwerdekammer (vgl. Kammerbeschluss v. 15.06.1993 - 16 Ta 146/93; ebenso: LAG Berlin 18. Februar 1999 LAGE § 888 ZPO Nr. 44; a.A. LAG Thüringen 22. Dezember 2000 BB 2001, 943)

Die Festsetzung des Beschwerdewertes beruht auf § 3 ZPO.

Ein Grund für die Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 78 S. 2 iVm § 72 Abs. 2 ArbGG idF von Art. 30 Nr. 15 ZPO-RG vom 27.07.2001 BGBl. I 2001 S. 1887) war nicht ersichtlich. Damit ist dieser Beschluss unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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