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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 05.08.2002
Aktenzeichen: 16 Ta 339/02
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 707
ZPO § 769
ZPO § 794 Abs. 1 Nr. 1
1. Bei Streit um die Wirksamkeit eines Prozessvergleichs wegen dessen Anfechtung findet § 707 ZPO und nicht § 769 ZPO entsprechende Anwendung. Die entsprechende Anwendung von § 707 ZPO führt zum grundsätzlichen Ausschluss der die Anfechtungsmöglichkeit bejahenden oder verneinenden Einstellungsentscheidung (§ 707 Abs. 2 S. 2 ZPO).

2. Ein Fall der ausnahmsweisen Anfechtbarkeit der Entscheidung nach § 707 ZPO wegen greifbarer Gesetzeswidrigkeit liegt nicht deshalb vor, weil das Arbeitsgericht die Einstellung der Zwangsvollstreckung aus einem Prozessvergleich wegen dessen Anfechtung von der Voraussetzung des § 62 Abs. 1 S. 3 ArbGG (Glaubhaftmachung eines nicht zu ersetzenden Nachteils) abhängig macht. Ob in diesem Zusammenhang auch die Erfolgsaussichten der Anfechtung zu prüfen sind, bleibt unentschieden.


Hessisches Landesarbeitsgericht Beschluss

Aktenzeichen: 16 Ta 339/02

In dem Beschwerdeverfahren

hat die Kammer 16 des Hessischen Landesarbeitsgerichts auf die sofortige Beschwerde d. Verfügungsbeklagten gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts in Gießen vom 19. Juni 2002 durch den Vorsitzenden Richter am LAG Hattesen als Vorsitzenden

am 5. August 2002 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Verfügungsbeklagten gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Gießen vom 19. Juni 2002 - 2 Ga 8/02 - wird auf Kosten der Verfügungsbeklagten als unzulässig verworfen.

Der Beschwerdewert wird auf € 10.000,00 festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerdeführerin, die im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens mit der Beschwerdegegnerin am 12. April 2002 einen gerichtlichen Vergleich geschlossen hatte, worin u.a. die Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien zum 30. Juni 2002 sowie die Zahlung einer Abfindung durch die Beschwerdeführerin an die Beschwerdegegnerin in Höhe von € 115.000,00 vereinbart wurde, und die diesen Vergleich mit Schreiben vom 25. April 2002 gegenüber der Beschwerdegegnerin angefochten und das Arbeitsverhältnis fristlos gekündigt hat, wendet sich mit ihrer sofortigen Beschwerde gegen einen Beschluss des Arbeitsgerichts, durch den ihr Antrag auf Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem gerichtlichen Vergleich zurückgewiesen worden ist. Das Arbeitsgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Landesarbeitsgericht vorgelegt.

Die Beschwerde der Beklagten ist unzulässig. Denn gem. § 62 Abs. 2 ArbGG iVm § 707 Abs. 2 S. 2 ZPO ist der Beschluss des Arbeitsgerichtes unanfechtbar. § 62 Abs. 2 ArbGG verweist auf die Vorschriften des 8. Buches der Zivilprozessordnung. Nach § 707 Abs. 2 S. 2 ZPO findet eine Anfechtung des Beschlusses über die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung nach dieser Bestimmung nicht statt (vgl. Kammerbeschluss v. 04.03.2002 - 16 Ta 58/02 AR-Blattei ES 1890 Nr. 55).

Das Arbeitsgericht hat seine Entscheidung über die Einstellung der Zwangsvollstreckung ausdrücklich auf § 707 ZPO gestützt. Das ist zutreffend. Bei Anfechtung eines Prozessvergleichs, wie hier, ist § 707 ZPO nämlich entsprechend anzuwenden. Das entspricht weit überwiegender Meinung in Rspr. und Literatur (vgl. statt vieler: Schuschke/Walker, Vollstreckung und vorläufiger Rechtsschutz, 3. Aufl. 2002 § 707 ZPO Rz1 m.w.N. in Fn.1). Dem folgt die Beschwerdekammer. Regelungszweck des § 707 ZPO ist es, die Zwangsvollstreckung aus einem Vollstreckungstitel zu verhindern, dessen Bestand mittlerweile zweifelhaft geworden ist. Genau so ist es nicht nur in den in § 707 ZPO ausdrücklich genannten Fällen, sondern auch dann, wenn es um den Streit um die Wirksamkeit eines Prozessvergleichs mit dem Einwand geht, dieser sei von Anfang an nichtig (hier wegen seitens der Beschwerdeführerin erklärter Anfechtung nach § 123 BGB) geht. § 769 ZPO passt demgegenüber deshalb nicht, weil diese Vorschrift die Erhebung einer Vollstreckungsgegenklage verlangt und diese nur nach Vergleichsabschluss entstandene Einwendungen, die nicht zur rückwirkenden Nichtigkeit des Vergleichs führen, betreffen kann. Die von der Beschwerdeführerin herangezogene Entscheidung des LAG Nürnberg (07.05.1999 BB 1999, 1387) besagt nichts anderes, da es in dem dort entschiedenen Fall nicht um die Anfechtung eines Vergleichs ging.

Weil § 707 ZPO auf das Begehren auf Einstellung der Zwangsvollstreckung aus einem nach § 123 BGB angefochtenen Prozessvergleich entsprechende Anwendung findet, muss dies auch für den in § 707 Abs. 2 S. 2 ZPO enthaltenen Rechtsmittelausschluss gelten (vgl. LAG Düsseldorf 04.12.1962 NJW 1963, 555). Denn dieser ist integraler Bestandteil des Regelungsinhalts von § 707 ZPO.

Es liegt hier auch kein Fall ausnahmsweiser Zulässigkeit der Anfechtbarkeit vor. Insoweit kann es dahinstehen, ob Beschlüsse wie der vorliegende nur bei greifbarer Gesetzeswidrigkeit oder bereits dann anfechtbar sind, wenn der Vorderrichter das ihm eingeräumte Ermessen verkannt hat (vgl. zum Streitstand: LAG Thüringen 29.12.1997 aaO.; OLG Karlsruhe 20.04.1993 MDR 1993, 798). Denn weder nach der einen, noch nach der anderen Auffassung kann hier eine Anfechtbarkeit bejaht werden.

Von greifbarer Gesetzeswidrigkeit des angefochtenen Beschlusses kann keine Rede sein. Greifbar gesetzeswidrig ist eine Entscheidung nur dann, wenn die Entscheidung mit der geltenden Rechtsordnung schlechthin unvereinbar ist, weil sie jeder rechtlichen Grundlage entbehrt und dem Gesetz inhaltlich fremd ist (vgl. BAG 21.04.1998 NZA 1998, 1357; BGH 14.12.1989 NJW 1990, 1794 (1795); Kammerbeschluss v. 04.03.2002 aaO.). Das ist hier nicht der Fall.

Dass das Arbeitsgericht seinen angefochtenen Beschluss im (fortgesetzten) einstweiligen Verfügungsverfahren getroffen und anschließend die hauptsächlichen Anträge der Beschwerdeführerin in zwei getrennten Verfahren fortführt, ist zwar befremdlich, weil, bei Bedenken gegen die Fortführung des einstweiligen Verfügungsverfahrens, nichts entgegengestanden hätte, die Beschwerdeführerin nach § 139 ZPO zur Fortsetzung des mitverglichenen Rechtsstreits 2 Ca 194/02 zu veranlassen (vgl. Musielak/Lackmann aaO. § 794 Rz21 m.w.N.). Auswirkungen auf die Frage, ob die Zwangsvollstreckung einzustellen ist oder nicht, sind damit jedoch nicht verbunden. Entscheidend ist allein, ob der Antrag der Beschwerdeführerin beschieden worden ist. Das ist geschehen.

Dass das Arbeitsgericht die Glaubhaftmachung eines nicht zu ersetzenden Nachteils als Voraussetzung einer Einstellung der Zwangsvollstreckung angesehen hat, ist nicht greifbar gesetzeswidrig. Zwar kann § 62 Abs. 1 S. 3 ArbGG, der dieses Merkmal verlangt, nicht unmittelbar Anwendung finden, weil auch § 707 ZPO auf Fallkonstellationen wie die vorliegende nur analog anzuwenden ist. Die entsprechende Anwendung von § 62 Abs. 1 S. 3 ArbGG auf die Anfechtung eines gerichtlichen Vergleichs wird jedoch in der Rspr. vertreten (vgl. z.B. LAG Frankfurt a.M. 16.08.1983 DB 1984, 55). Dann kann auch nicht davon ausgegangen werden, die angefochtene Entscheidung beruhe auf einer Gesetzesauslegung, die offensichtlich dem Wortlaut und Zweck des Gesetzes widerspreche und die eine Gesetzesanwendung zur Folge habe, die durch das Gesetz gerade ausgeschlossen werden soll.

Ebenso wenig kann davon ausgegangen werden, dass das Arbeitsgericht das ihm eingeräumte Ermessen verkannt hat. Bei Einstellungsentscheidungen nach § 707 ZPO steht dem Arbeitsgericht ein Ermessensspielraum nur dann zur Verfügung, wenn die zusätzliche Voraussetzung des nicht zu ersetzenden Nachteils glaubhaft gemacht ist (vgl. Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG 3. Aufl. 1999 § 62 Rz32). Dann kann eine Verkennung des Ermessensspielraums nur dann vorliegen, wenn das Arbeitsgericht offenbar gesetzwidrig einen nicht zu ersetzenden Nachteil verneint hat. Dafür spricht nichts. Insoweit kann es dahinstehen, ob jedenfalls in den Fällen, in denen es um die Einstellung der Zwangsvollstreckung wegen Anfechtung eines Prozessvergleichs geht, auch die Erfolgsaussichten der Anfechtung mit in die Betrachtung einbezogen werden müssen. Selbst wenn man dies für geboten hält, ist die Entscheidung des Arbeitsgerichts nämlich schon deshalb nicht offenkundig gesetzwidrig, weil das Arbeitsgericht genau diese Prüfung vorgenommen hat. Dass es dabei zu einem auf den ersten Blick unhaltbaren Ergebnis gekommen ist, hat die Beschwerdeführerin weder aufgezeigt, noch ist dies sonstwie erkennbar.

Im Beschwerdeverfahren nicht entscheidungserheblich ist schließlich die Frage, ob die Beschwerdeführerin aufgrund der von ihr erhobenen Vollstreckungsgegenklage erfolgreich die Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 769 ZPO begehren kann. Über einen solchen Antrag hat das Arbeitsgericht erkennbar nämlich nicht befunden. Im übrigen spricht viel dafür, dass für eine auf die Nichtigkeit des Prozessvergleichs wegen Anfechtung gestützte Vollstreckungsgegenklage - und erkennbar allein hierauf stützt die Beschwerdeführerin ihre Klage nach § 767 ZPO - das Rechtsschutzinteresse fehlt, weil die Fortführung des alten Verfahrens der einfachere Weg ist (vgl. Musielak/Lackmann ZPO 3.Aufl.2002 § 767 Rz 18).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Festsetzung des Beschwerdewertes auf § 3 ZPO, wobei ein Betrag in Höhe von 1/5 des derzeit zur Zahlung fälligen Teils der Abfindungssumme als ausreichend und angemessen erscheint.

Ein Grund für die Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 78 S. 2 iVm § 72 Abs. 2 ArbGG idF von Art. 30 Nr. 15 ZPO-RG vom 27.07.2001) war nicht ersichtlich. Damit ist dieser Beschluss unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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