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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 02.11.2007
Aktenzeichen: 16 Ta 88/08
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 148
1. Eine Aussetzung nach § 148 ZPO kommt nur dann in Betracht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits von dem des anderen Rechtsstreits, in dem es um das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses geht, abhängt. Fehlt diese Vorgreiflichkeit auch nur für eine der im anderen Rechtsstreit möglicherweise ergehenden Entscheidungen, ist eine Aussetzung ausgeschlossen.

2. Ein Aussetzungsbeschluss des Arbeitsgerichts, durch den ein Rechtsstreit um die Entfernung von Abmahnungen aus der Personalakte bis zum rechtskräftigen Abschluss eines Kündigungsschutzverfahrens ausgesetzt worden ist, muss auf sofortige Beschwerde aufgehoben werden, wenn sich dem Aussetzungsbeschluss nicht entnehmen lässt, dass bei Erfolg des Arbeitnehmers in dem Kündigungsschutzverfahren der Klage auf Entfernung der Abmahnungen stattzugeben sein wird.


Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Gießen vom 02. November 2007 - 4 Ca 342/07 -aufgehoben.

Das Verfahren ist fortzusetzen.

Gründe:

I

Der Kläger wendet sich im Beschwerdewege gegen einen Aussetzungsbeschluss des Arbeitsgerichts.

Der Kläger war bei der Beklagten, einem Unternehmen des Einzelhandels beschäftigt. Im Rahmen einer gegen drei fristlose und drei ordentliche Kündigungen gerichteten Klage erweiterte er seine Anträge dahingehend, die Beklagte zu verurteilen, Abmahnungen vom 28. August 1996 und vom 16. April 2005 zurückzunehmen und nebst dem in diesem Zusammenhang entstandenen Schriftverkehr aus der Personalakte zu entfernen. Im Kammertermin vom 17. August 2007 trennte das Arbeitsgericht diese Klageerweiterung ab und führte sie unter eigenem Aktenzeichen als eigenen Rechtsstreit fort.

Nach Anhörung der Parteien hat das Arbeitsgericht den vorliegenden Rechtsstreit um die beiden Abmahnungen mit Beschluss vom 02. November 2007 bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreits der Parteien Gießen ausgesetzt. Hinsichtlich der Begründung wird auf Bl. 27 d.A. Bezug genommen. In dem Kündigungsschutzverfahren gab das Arbeitsgericht der Klage mit Urteil vom 02. November 2007 in vollem Umfang statt.

Gegen den ihm am 22. Januar 2008 zugestellten Aussetzungsbeschluss wendet sich der Kläger mit seiner am 05. Februar 2008 beim Arbeitsgericht eingegangenen sofortigen Beschwerde aus den aus dem Schriftsatz vom 05. Februar 2008 (Bl. 30 bzw. 31 d.A). ersichtlichen Gründen. Dieser hat das Arbeitsgericht nicht abgeholfen und die Sache dem Landesarbeitsgericht vorgelegt.

Die Beklagte hatte Gelegenheit zur Stellungnahme.

Im Übrigen wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II

Die Beschwerde ist nach §§ 252 ZPO, 78 S. 1 ArbGG an sich statthaft und wurde binnen der Frist des § 569 Abs. 1 S. 1 ZPO eingelegt.

In der Sache hat die sofortige Beschwerde Erfolg. Beim derzeitigen Stand des Verfahrens kommt die Aussetzung nicht in Betracht. Vielmehr ist das Verfahren fortzusetzen.

Nach § 148 ZPO "kann" das Gericht eine Verfahrensaussetzung nur beschließen, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen Rechtsstreits bildet. Bereits aus dem Wortlaut der gesetzlichen Bestimmung folgt daher, dass das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen über die Aussetzung zu entscheiden hat. Daraus ergibt sich gleichzeitig eine eingeschränkte Prüfungskompetenz des Beschwerdegerichts, weil sich dieses nur mit der Aussetzung, nicht aber mit der Sache zu befassen hat. Zu überprüfen ist daher vom Beschwerdegericht nur, ob das Prozessgericht die Voraussetzungen der Aussetzung fehlerhaft beurteilt, die Grenzen seines Ermessens verkannt oder unrichtige und sachfremde Erwägungen angestellt hat (vgl. Kammerbeschlüsse v. 18. November 1998 - 16 Ta 564/98, v. 20. Oktober 1995 - 16 Ta 414/95 und v. 21. Mai 1998 - 16 Ta 171/98; LAG Frankfurt am Main 20. November 1996 NZA 1997 321 [322]; OLG Düsseldorf 15. April 1977 MDR 1977,761).

Auch diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält der angegriffene Beschluss nicht stand.

Jedenfalls beim gegenwärtigen Stand des Verfahrens sind die Voraussetzungen des § 148 ZPO nicht gegeben.

§ 148 ZPO verlangt, dass die Entscheidung des auszusetzenden Rechtsstreits von dem des anderen Rechtsstreits abhängt. Das ist nur dann der Fall, wenn der anderen Rechtsstreit für die Entscheidung, die im auszusetzenden Verfahren ergehen soll, vorgreiflich ist, also präjudizielle Bedeutung hat. Irgendein tatsächlicher Einfluss, etwa auf die Beweiswürdigung, reicht ebenso wenig aus wie die bloße Möglichkeit sich widersprechender Entscheidungen (vgl. OLG Jena 10. Juli 2001 NJW-RR 2001,503; Musielak/Stadler ZPO 5. Aufl. 2007 § 148 Rz 5). Erforderlich ist, dass hinsichtlich aller möglichen Ergebnisse des anderen Rechtsstreits präjudizielle Wirkung für den Rechtsstreit gegeben ist, um dessen Aussetzung es geht. Fehlt Vorgreiflichkeit auch nur für eine der im anderen Rechtsstreit möglicherweise ergehenden Entscheidungen, ist eine Aussetzung ausgeschlossen (vgl. Kammerbeschlüsse v. 15. Dezember 2006 - 16 Ta 566/06 - EzA-SD 2007 Nr. 3 S.15 und v. 22. Mai 2005 - 16 /10 Ta 345/05 NZA-RR 2006,381; LAG Nürnberg 14. Mai 2001 AR-Bl. ES 160.7 Nr.214).

Nach diesen Maßstäben ist nicht erkennbar, dass der Ausgang des Verfahrens 4 Ca 99/07 Arbeitsgericht Gießen für den vorliegenden Rechtsstreit vorgreiflich ist.

Richtig ist, dass der Ausgang des Kündigungsschutzverfahrens für den vorliegenden Rechtsstreit dann von Bedeutung ist, wenn jenes rechtskräftig zuungunsten des Klägers endet. In diesem Falle spricht alles dafür, dass die Klage auf Entfernung der Abmahnung keinen Erfolg haben kann. Denn nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses kann der Arbeitnehmer, soweit die Abmahnung ihm nicht auch dann noch schaden kann, keine Entfernung der Abmahnung aus den Personalakten mehr verlangen kann. Insoweit fehlt freilich nicht das Rechtsschutzbedürfnis für die Klage auf Entfernung der Abmahnung, wohl aber ein entsprechender Anspruch auf die Entfernung (vgl. BAG 14. September 1994 AP Nr.13 zu § 611 BGB Abmahnung).

Umgekehrt ist jedoch nicht erkennbar, dass dann, wenn das Kündigungsschutzverfahren mit einem Erfolg des Klägers endet, dies für den Ausgang des Abmahnungsrechtsstreits von Bedeutung ist. Das wäre nur dann der Fall, wenn bei Unwirksamkeit der angefochtenen Kündigungen der Kläger mit seiner Klage auf Entfernung der Abmahnungen Erfolg haben müsste. Andernfalls könnte nämlich die Klage auf Entfernung der Abmahnungen ohne Rücksicht auf den Ausgang des Kündigungsschutzverfahrens abgewiesen werden.

Eine solche Prüfung hat das Arbeitsgericht nicht vorgenommen. Dies im vorliegenden Beschwerdeverfahren zu beurteilen, ist nicht Sache der Beschwerdekammer, weil diese lediglich über die sofortige Beschwerde zu entscheiden hat. Über materielle Fragen zu befinden wäre ein Verstoß gegen das Prinzip der Selbständigkeit der Instanzen.

Im Übrigen ist ergänzend zu bemerken, dass das Arbeitsgericht durch seine Verfahrensweise, nämlich die Abtrennung der Anträge auf Entfernung der Abmahnungen, die entstandenen Probleme selbst herbeigeführt hat. Zu einer Beschleunigung des Kündigungsschutzverfahrens hat dies erkennbar nicht geführt, weil dieses in dem Termin, in dem die Abtrennung erfolgte, erstinstanzlich ohnehin nicht abgeschlossen worden ist. Zudem wäre es für das Arbeitsgericht ohne weiteres möglich gewesen, nachdem das Kündigungsschutzverfahren nicht im Termin vom 17. August 2007 erstinstanzlich abgeschlossen werden konnte, die beiden Verfahren nach § 147 ZPO (wieder) zu verbinden. Eine solche Verfahrensweise wird zur Vermeidung möglicherweise divergierender Entscheidungen sogar bei echter Vorgreiflichkeit befürwortet (vgl. Kammerbeschluss v. 20. Oktober 1995 - 16 Ta 414/95; LAG Schleswig-Holstein 25.September 1998 AP Nr. 5 zu § 148 ZPO; LAG Hamm 20. Oktober 1983 EzA § 148 ZPO Nr.14; Zöller/Greger ZPO 26. Aufl. 2007 § 148 Rz 9). Nunmehr ist dieser Weg freilich wegen erstinstanzlichen Abschlusses des Kündigungsschutzverfahrens versperrt.

Einer Kostenentscheidung bedurfte es nicht. Bei erfolgreicher sofortiger Beschwerde fallen Gerichtskosten nicht an. Einer Entscheidung hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten ist entbehrlich, weil es sich insoweit um Kosten handelt, die Teil der Gesamtkosten des Rechtsstreits sind, die nach den §§ 91 ff ZPO der mit den Prozesskosten belasteten Partei auferlegt werden.

Ein Grund für die Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 78 S. 2 iVm § 72 Abs. 2 ArbGG war nicht ersichtlich. Damit ist dieser Beschluss unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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