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Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 09.03.2005
Aktenzeichen: 2 Sa 2267/04
Rechtsgebiete: BGB, KSchG


Vorschriften:

BGB § 626
KSchG § 2
Es liegt keine Arbeitsverweigerung vor, wenn der Arbeitnehmer eine ihm bereits mit Ausspruch der ordentlichen Änderungskündigung zugewiesene Tätigkeit nicht aufgenommen hat, deren Zuweisung nicht vom Direktionsrecht des Arbeitgebers gedeckt war.
Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kassel vom 19. November 2004 - 3 Ca 232/04 - wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten der Berufung zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten im Berufungsrechtszug weiterhin um die Wirksamkeit einer von der Beklagten ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung.

Der Kläger arbeitete seit über 30 Jahren bei der Beklagten als Kraftfahrer zu einem monatlichen Bruttogehalt von zuletzt € 2.500,00. Im Frühjahr wurde der einzig im Betrieb vorhandene LKW, auf dem der Kläger eingesetzt war, entwendet. Die Beklagte traf die Entscheidung, künftig keinen eigenen LKW mehr einzusetzen, sondern die anfallenden Fahrten durch Spediteure durchführen zu lassen. Sie erklärte mit Schreiben vom 29. April 2004 gegenüber dem Kläger eine ordentliche Kündigung mit dem Angebot der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ab 1. Dezember 2004 zu den Bedingungen des der Änderungskündigung beigefügten Arbeitsvertrags vom 29. April 2004. Wegen des Inhalts der Kündigung und des Änderungsvertrags wird auf Bl. 36 f. und 38 f. d.A. Bezug genommen. Gleichzeitig ordnete sie an, dass der Kläger ab 1. Mai 2004 im Wege der Einzelmaßnahme die Tätigkeit als Verantwortlicher für den Restholzbereich ausüben sollte. Der Kläger nahm die Änderungskündigung unter Vorbehalt an, erhob mit einem am 18. Mai 2004 beim Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Kündigungsschutzklage. Er bot nach dem 29. April 2004 seine Arbeitskraft als LKW-Fahrer gegenüber der Beklagten an, die ihn jedoch aufforderte, die Arbeiten im Restholzbereich auszuführen. Mit Schreiben vom 28. Mai 2004, dem Kläger am 1. Juni 2004 zugegangen, sprach die Beklagte gegenüber dem Kläger nach Erteilung der Zustimmung durch das Integrationsamt eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger aus. Der Kläger erklärte mit Scheiben vom 26. Oktober 2004 eine ordentliche Kündigung gegenüber der Beklagten zum 30. November 2004.

Der Kläger hat mit einem am 3. Juni 2004 beim Arbeitsgericht eingegangene Schriftsatz, der der Beklagten am 7. Juni 2004 zugestellt worden ist, wegen der außerordentlichen Kündigung Kündigungsschutzklage erhoben.

Wegen des weiteren unstreitigen Sachverhaltes, des Vortrags der Parteien im ersten Rechtszug und der dort gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils des Arbeitsgerichts Kassel vom 19. November 2004 gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug genommen (Bl. 113-115 d.A.).

Das Arbeitsgericht Kassel hat durch Urteil vom 19. November 2004 der Klage stattgegeben und festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 28. Mai 2004 nicht aufgelöst worden ist. Es hat genommen, die Voraussetzungen für den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung würden nicht vorliegen. Der Kläger habe - wie dem Schreiben seines Prozessbevollmächtigten an die Beklagte zu entnehmen sei - sich nicht verpflichtet gefühlt, im Restholzbereich zu arbeiten. Daher fehle es für eine mögliche Vertragsverletzung an einem vorwerfbaren Verhalten. Weiterhin verstoße die außerordentliche Kündigung gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Die Beklagte hätte ihre Vergütungszahlungen aufgrund der Nichtarbeit des Klägers einstellen können, so dass ihr ein ausreichendes Sanktionsmittel zur Verfügung gestanden habe. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf Bl. 115-117 d.A. Bezug genommen.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte innerhalb der zur Niederschrift über die Berufungsverhandlung am 9. März 2005 festgestellten und dort ersichtlichen Fristen Berufung eingelegt.

Sie verfolgt ihr Begehren auf Klageabweisung unter Wiederholung und Ergänzung ihres erstinstanzlichen Vorbringens weiter. Sie rügt, das Arbeitsgericht habe verkannt, dass sie aufgrund des Verhaltens des Klägers zum Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung berechtigt gewesen sei. Der Kläger habe beharrlich die Arbeit verweigert, weil er - was unstreitig ist - allmorgendlich im Betrieb erschienen sei, starrsinnig eine Beschäftigung als Fahrer verlangt und die für ihn vorgesehene Arbeit im Restholzbereich nicht aufgenommen habe, zumal er diese im Zuge der Änderungskündigung vorgesehene Tätigkeit unter Vorbehalt angenommen habe.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Kassel vom 19. November 2004 - 3 Ca 232/04 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt die angefochtene Entscheidung ebenfalls unter Wiederholung seines erstinstanzlichen Vorbringens.

Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze und die Sitzungsniederschrift vom 9. März 2005 (Bl. 170 d.A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten gegen das am 19. November 2004 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Kassel ist zulässig. Das Rechtsmittel ist als in einem Rechtsstreit über die Kündigung eines Arbeitsverhältnis eingelegt ohne Rücksicht auf den Wert des Beschwerdegegenstandes statthaft (§§ 64 Abs. 2, 8 Abs. 2 ArbGG). Die Beklagte hat es auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet (§§ 519, 520 ZPO, 66 Abs. 1 ArbGG).

Die Berufung hat jedoch keinen Erfolg. Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien ist durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 29. April 2004 nicht beendet worden, sondern hat bis zum 30. November 2004 fortbestanden und erst infolge der zu diesem Tag ausgesprochenen Eigenkündigung des Klägers geendet.

Entgegen der Auffassung des Beklagten erweist sich die streitgegenständliche fristlose Kündigung als rechtsunwirksam. Das Verhalten des Klägers, die Arbeit im Restholzbereich nicht bereits ab dem 1. Mai 2004 aufzunehmen, rechtfertigt nach Auffassung des Berufungsgerichts nicht den Ausspruch einer solchen Kündigung und stellt insbesondere keine beharrliche Arbeitsverweigerung dar.

Die außerordentliche Kündigung muss inhaltlich den Anforderungen des § 626 BGB genügen. Der Kläger, auf dessen Arbeitsverhältnis das Kündigungsschutzgesetz aufgrund der Dauer seiner Betriebszugehörigkeit und der Größe des Betriebs der Beklagten Anwendung findet, hat mit der am 3. Juni 2004 erweiterten Kündigungsschutzklage die Frist des § 4 Abs. 1 KSchG i.V.m. § 13 Abs. 1 S. 2 KSchG gewahrt.

Eine außerordentliche Kündigung kommt nach § 626 Abs. 1 BGB in Betracht, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Arbeitgeber unter Berücksichtigung aller Umstände und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsparteien die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Prinzipiell sind nur solche Tatsachen geeignet, einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB darzustellen, die das Arbeitsverhältnis erheblich belasten, wobei es allerdings ohne Bedeutung ist, ob sich die Störung im Leistungs-, Vertrauens- oder betrieblichen Bereich auswirkt. Nach der Rechtsprechung kann eine beharrliche Arbeitsverweigerung grundsätzlich geeignet sein, einen wichtigen Grund im vorgenannten Sinne darzustellen (vgl. BAG vom 31. Januar 1985 - 2 AZR 486/83, AP Nr. 6 zu § 8a MuSchG 1968; BAG vom 21. November 1996 - 2 AZR 357/95, AP Nr. 130 zu § 626 BGB). Voraussetzung hierfür ist, dass ein Arbeitnehmer nachhaltig seine Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis verletzt, was sowohl bei wiederholten Verstößen als auch bei einem bewussten und gewollten einmaligen Widersetzen gegen rechtmäßige Anordnungen gegeben sein kann. Dementsprechend verbietet sich die Feststellung einer nachhaltigen Arbeitsverweigerung immer dann, wenn aufgrund der Umstände des Einzelfalls eine Arbeitsverpflichtung des Arbeitnehmers nicht bestanden hat. Ohne Arbeitsverpflichtung kann ein Verhalten nicht als Arbeitsverweigerung gewertet werden.

Bei der Ausgestaltung der Arbeitsverpflichtung in Ausübung des dem Arbeitgeber zustehenden Leistungsbestimmungsrechts hinsichtlich des Orts, der Zeit sowie der Art und Weise der Arbeitsleistung ist dieser insoweit durch das Gesetz beschränkt, als die Ausübung nach billigem Ermessen zu erfolgen hat (§ 315 Abs. 1 BGB). Da das Direktionsrecht jedoch auf den arbeitsvertraglichen Vereinbarungen zwischen den Parteien beruht, kann es auch nur in den Grenzen des vertraglich Vereinbarten ausgeübt werden. Mittels des Direktionsrechtes darf nicht in den kündigungsschutzrechtlich gesicherten Kernbereich des Arbeitsverhältnisses eingegriffen werden (vgl. APS-Künzl, 2. Aufl., § 2 KSchG Rn 106). Das Direktionsrecht erlaubt dem Arbeitgeber deshalb nicht, dem Arbeitnehmer eine Tätigkeit zu übertragen, die nicht mehr von den vertraglichen Festlegungen gedeckt ist. Der Arbeitnehmer hat vielmehr einen allgemeinen Beschäftigungsanspruch, der auf eine vertragsgemäße Beschäftigung gerichtet ist. Deshalb hat der Arbeitgeber im Fall der Umsetzung/Versetzung darzulegen, dass die neue Tätigkeit des Arbeitnehmers dem Arbeitsvertrag entspricht. Die Erfüllung dieser Voraussetzung ist Bedingung für ein entsprechendes Versetzungsrecht des Arbeitgebers (vgl. LAG Köln 4. August 2000 - 11 Sa 1365/99, ZTR 2001, 77). Ist nach dem Inhalt des Arbeitsvertrags aufgrund des Weisungsrechts die Arbeitszuweisung nicht möglich, bedarf es zur Übertragung anderer Tätigkeiten eines Änderungsvertrages oder eine Änderungskündigung.

In Ansehung dieser Grundsätze hat der Kläger mit der Nichtaufnahme der Tätigkeiten im Restholzbereich ab dem 1. Mai 2004 nicht gegen seine arbeitsvertraglichen Verpflichtungen verstoßen. Unstreitig gibt es keine arbeitsvertraglichen Absprachen, aus denen sich ergibt, dass die Parteien arbeitsvertraglich die Zuweisung einer anderen Tätigkeit als der des LKW-Fahrers vorgesehen haben.

Aufgrund der vertraglichen Vereinbarung zwischen den Parteien schuldete der Kläger die Tätigkeiten eines LKW-Fahrers, wozu sicherlich nicht nur die reine Fahrtätigkeit gehört. Jedenfalls nicht erfasst von dieser Tätigkeit sind jedoch die von der Beklagten dem Restholzbereich zugeordneten Aufgaben, da sie ihr ein anderes Gepräge geben. Einseitig durfte die Beklagte dem Kläger nicht derartige Aufgaben als geschuldete Arbeitsleistung zuweisen. Dies hat sie auch selbst erkannt, wie der Ausspruch der Änderungskündigung vom 29. April 2004 zeigt. Hierbei handelte es sich um eine ordentliche Änderungskündigung mit der Folge, dass der Kläger - der die Annahme unter Vorbehalt erklärt hatte - erst mit Ablauf der Kündigungsfrist (30. November 2004) zu den vom Arbeitgeber angebotenen neuen Arbeitsbedingungen arbeiten muss und ab diesem Zeitpunkt eine Weiterbeschäftigung zu den bisherigen Bedingungen nicht mehr hätte verlangen können (vgl. ErfK/Ascheid, 5. Aufl., § 2 KSchG Rn 44).

Wollte das Berufungsgericht der von der Beklagten vertretenen Rechtsauffassung folgen, würde der Arbeitnehmer seines ihm vom Gesetzgeber zugesprochenen Kündigungsschutzes beraubt. Der Arbeitgeber könnte formal eine ordentliche Änderungskündigung aussprechen, ihm aber mittels Anweisung per sofort eine Tätigkeit zuweisen, die nicht vom Arbeitsvertrag gedeckt wäre. Damit würde der Arbeitgeber sich einseitig, ohne dass die Voraussetzungen für eine Kündigung gemäß § 626 BGB vorliegen müssten, vom Vertrag lösen. Die unternehmerische Entscheidung keinen neuen LKW mehr anzuschaffen oder auf andere Weise betrieblich nutzbar zu machen, berechtigt die Beklagte nicht, nach der bis zum 30. November 2002 geltenden Vertragsausgestaltung, dem als Kraftfahrer eingestellten Kläger einseitig ab Mai 2004 eine ausschließlich im Restholzbereich angesiedelte Innendiensttätigkeit zuzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Beklagte hat die Kosten der Berufung zu tragen, weil ihr Rechtsmittel keinen Erfolg gehabt hat.

Für die Zulassung der Revision besteht keine gesetzlich begründete Veranlassung (§ 72 Abs. 2 ArbGG).

Ende der Entscheidung

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